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BAG, Ur­teil vom 19.01.2011, 10 AZR 738/09

   
Schlagworte: AGB-Kontrolle, Versetzung
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 10 AZR 738/09
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 19.01.2011
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Karlsruhe, Urteil vom 16.07.2008, 4 Ca 25/08
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 15.04.2009, 16 Sa 102/08
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


10 AZR 738/09
16 Sa 102/08
Lan­des­ar­beits­ge­richt

Ba­den-Würt­tem­berg

Im Na­men des Vol­kes!


Verkündet am

19. Ja­nu­ar 2011


UR­TEIL

Jatz, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le


In Sa­chen


Be­klag­te, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­onskläge­rin,


pp.


Kläge­rin, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,


hat der Zehn­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 19. Ja­nu­ar 2011 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Prof. Dr. Mi­kosch, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Ey­lert und Mest­werdt so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Thiel und Pe­tri für Recht er­kannt:



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1. Auf die Re­vi­si­on der Be­klag­ten wird das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ba­den-Würt­tem­berg vom 15. April 2009 - 16 Sa 102/08 - auf­ge­ho­ben, so­weit es über die Ver­set­zung der Kläge­rin und über die Kos­ten der Be­ru­fung ent­schie­den hat.


2. Im Um­fang der Auf­he­bung wird der Rechts­streit zur neu­en Ver­hand­lung und Ent­schei­dung, auch über die Kos­ten der Re­vi­si­on, an das Lan­des­ar­beits­ge­richt zurück­ver­wie­sen.


Von Rechts we­gen!


Tat­be­stand


Die Par­tei­en strei­ten noch über die Ver­set­zung der Kläge­rin in ei­nen an­de­ren Außen­dienst­be­zirk.


Die Be­klag­te stellt Arz­nei­mit­tel her und ver­treibt die­se. Die ver­hei­ra­te­te und zwei Kin­dern un­ter­halts­pflich­ti­ge Kläge­rin ist seit dem 1. April 2000 für die Be­klag­te als Phar­ma­be­ra­te­rin im Ver­ord­nungs-Außen­dienst - An­sprech­part­ner: Ärz­te (VO-Außen­dienst) tätig. Ihr Brut­to­mo­nats­ein­kom­men be­trug zu­letzt 3.059,45 Eu­ro.


Der Ar­beits­ver­trag der Par­tei­en vom 9. März 2000 re­gelt ua. wie folgt:


§ 1 ...


3. Das Ar­beits­ge­biet um­fasst

AB 926


4. Für das Ar­beits­verhält­nis gel­ten die je­weils gülti­ge Fas­sung der Per­so­nal­richt­li­ni­en, Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen, Ar­beits­ord­nung, Or­ga­ni­sa­ti­ons-, Ver­wal­tungs- und Dienst­an­wei­sung so­wie des Ak­ti­ons­plans.


...

6. Ein Wech­sel des Do­mi­zils ist nur mit vor­he­ri­ger schrift­li­cher Zu­stim­mung der Fir­ma möglich.



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...
§ 16 Dienst­ver­set­zung


1. Die Fir­ma behält sich Ge­bietsände­run­gen oder Zu­wei­sung ei­nes an­de­ren Ge­bie­tes vor, wenn sich dies aus der wei­te­ren Ent­wick­lung des Außen­diens­tes er­gibt.


2. Die Fir­ma ist be­rech­tigt, bei Ar­beits­un­ter­bre­chun­gen je­der Art (Ur­laub/Krank­heit) in dem vom Mit­ar­bei­ter be­setz­ten Ge­biet wei­te­re Mit­ar­bei­ter ein­zu­set­zen.“

Das Ar­beits­ge­biet AB 926 liegt im Os­ten von Sach­sen und wird nun­mehr als Ge­biet Nr. 423 be­zeich­net. Die Kläge­rin wohnt dort. An die Ge­burt ih­res ers­ten Kin­des im April 2005 schloss sich ei­ne einjähri­ge El­tern­zeit an. Nach Wie­der­auf­nah­me ih­rer Tätig­keit und nach meh­re­ren Ab­mah­nun­gen im Fe­bru­ar 2007 kündig­te die Be­klag­te das Ar­beits­verhält­nis im April 2007 frist­los. Die­se Kündi­gung ist rechts­un­wirk­sam (ArbG Dres­den 9. Ok­to­ber 2007 - 4 Ca 1714/07 -).


Mit Schrei­ben vom 12. De­zem­ber 2007 wies die Be­klag­te der Kläge­rin zum 1. Ja­nu­ar 2008 das zwi­schen Göttin­gen und Mag­de­burg ge­le­ge­ne Ge­biet Nr. 314 zu und sprach vor­sorg­lich ei­ne ent­spre­chen­de außer­or­dent­li­che Ände­rungskündi­gung aus. Zu die­sem Zeit­punkt war die Kläge­rin er­neut schwan­ger. Die Ände­rungskündi­gung ist nach der Ent­schei­dung der Vor­in­stanz rechts­un­wirk­sam; die Be­klag­te hat in­so­weit kei­ne Re­vi­si­on ein­ge­legt.


Die Kläge­rin hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, die Ver­set­zung sei rechts­un­wirk­sam. Der Ver­set­zungs­vor­be­halt in § 16 des Ar­beits­ver­trags sei als über­ra­schen­de Klau­sel nicht Ver­trags­be­stand­teil ge­wor­den. Die Ver­set­zung wi­der­spre­che auch bil­li­gem Er­mes­sen. Die Mit­ar­bei­te­rin, der die Be­klag­te ihr bis­he­ri­ges Ge­biet zu­ge­wie­sen ha­be, sei so­zi­al we­ni­ger schutzwürdig.


Die Kläge­rin hat zu­letzt be­an­tragt,

fest­zu­stel­len, dass die von der Be­klag­ten mit Wir­kung ab 1. Ja­nu­ar 2008 vor­ge­nom­me­ne Ver­set­zung der Kläge­rin als Phar­ma­be­ra­te­rin VO-Außen­dienst vom Ge­biet 423 in das Ge­biet 314 un­wirk­sam ist.



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Die Be­klag­te hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen. Die Ver­set­zung sei auf Grund der Zu­sam­men­le­gung der Außen­diens­te für Apo­the­ken und Ärz­te er­for­der­lich ge­we­sen. Die Ge­biets­in­ha­ber müss­ten nun­mehr im Schwer­punkt Apo­the­ken be­su­chen. Die im bis­he­ri­gen Ge­biet der Kläge­rin im Apo­the­ken­außen­dienst täti­ge Mit­ar­bei­te­rin verfüge über be­son­de­re Er­fah­run­gen und sehr gu­te langjähri­ge Kon­tak­te, so dass sie die­ser Mit­ar­bei­te­rin das Ge­biet Nr. 423 über­tra­gen und die Kläge­rin in das nächs­te freie Ge­biet ver­setzt ha­be.


Die Vor­in­stan­zen ha­ben der Kla­ge statt­ge­ge­ben. Mit der vom Bun­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt die Be­klag­te ih­ren An­trag auf Kla­ge­ab­wei­sung wei­ter.


Ent­schei­dungs­gründe


Die Re­vi­si­on ist be­gründet. Mit der Be­gründung des Lan­des­ar­beits­ge­richts kann die Be­ru­fung nicht ins­ge­samt zurück­ge­wie­sen wer­den. Der Se­nat kann man­gels aus­rei­chen­der Fest­stel­lun­gen nicht ab­sch­ließend ent­schei­den. Die Re­vi­si­on führt da­her zur Auf­he­bung des an­ge­foch­te­nen Ur­teils und zur Zurück­ver­wei­sung der Sa­che an das Be­ru­fungs­ge­richt (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), so­weit über die Ver­set­zung ent­schie­den wor­den ist.


I. Nach dem Ar­beits­ver­trag der Par­tei­en ist die Be­klag­te ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Vor­in­stan­zen be­rech­tigt, der Kläge­rin nach Maßga­be von § 106 Satz 1 Ge­wO ein an­de­res Ge­biet zu­zu­wei­sen.


1. Bei der Prüfung der Wirk­sam­keit ei­ner Ver­set­zung, die auf Re­ge­lun­gen in All­ge­mei­nen Geschäfts­be­din­gun­gen gem. §§ 305 ff. BGB be­ruht, ist zunächst durch Aus­le­gung der In­halt der ver­trag­li­chen Re­ge­lun­gen un­ter Berück­sich­ti­gung al­ler Umstände des Ein­zel­falls zu er­mit­teln (im Ein­zel­nen Se­nat 25. Au­gust 2010 - 10 AZR 275/09 - Rn. 17 bis 31, NZA 2010, 1355). Fest­zu­stel­len ist, ob ein be­stimm­ter Tätig­keits­in­halt und Tätig­keits­ort ver­trag­lich



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fest­ge­legt sind und wel­chen In­halt ein ggf. ver­ein­bar­ter Ver­set­zungs­vor­be­halt hat.


a) All­ge­mei­ne Geschäfts­be­din­gun­gen sind da­bei nach ih­rem ob­jek­ti­ven In­halt und ty­pi­schen Sinn ein­heit­lich so aus­zu­le­gen, wie sie von verständi­gen und red­li­chen Ver­trags­part­nern un­ter Abwägung der In­ter­es­sen der nor­ma­ler­wei­se be­tei­lig­ten Ver­kehrs­krei­se ver­stan­den wer­den, wo­bei nicht die Verständ­nismöglich­kei­ten des kon­kre­ten, son­dern die des durch­schnitt­li­chen Ver­trags­part­ners des Ver­wen­ders zu­grun­de zu le­gen sind. An­satz­punkt für die nicht am Wil­len der kon­kre­ten Ver­trags­part­ner zu ori­en­tie­ren­de Aus­le­gung All­ge­mei­ner Geschäfts­be­din­gun­gen ist in ers­ter Li­nie der Ver­trags­wort­laut. Ist der Wort­laut ei­nes For­mu­lar­ver­trags nicht ein­deu­tig, kommt es für die Aus­le­gung ent­schei­dend dar­auf an, wie der Ver­trags­text aus der Sicht der ty­pi­scher­wei­se an Geschäften die­ser Art be­tei­lig­ten Ver­kehrs­krei­se zu ver­ste­hen ist, wo­bei der Ver­trags­wil­le verständi­ger und red­li­cher Ver­trags­part­ner be­ach­tet wer­den muss (zB Se­nat 10. De­zem­ber 2008 - 10 AZR 1/08 - Rn. 14, AP BGB § 307 Nr. 40 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 40). Von Be­deu­tung für das Aus­le­gungs­er­geb­nis sind fer­ner der von den Ver­trags­par­tei­en ver­folg­te Re­ge­lungs­zweck so­wie die der je­weils an­de­ren Sei­te er­kenn­ba­re In­ter­es­sen­la­ge der Be­tei­lig­ten (BAG 9. Ju­ni 2010 - 5 AZR 332/09 - Rn. 36, NZA 2010, 877). Un­gewöhn­li­che, ins­be­son­de­re über­ra­schen­de Klau­seln iSv. § 305c Abs. 1 BGB (zB „ver­steck­te“ Ver­set­zungs­vor­be­hal­te) wer­den nicht Ver­trags­be­stand­teil und blei­ben des­halb im Rah­men der Aus­le­gung der ver­trag­li­chen Ver­ein­ba­run­gen un­berück­sich­tigt.


Bleibt nach Ausschöpfung der Aus­le­gungs­me­tho­den ein nicht be­heb­ba­rer Zwei­fel, geht dies gem. § 305c Abs. 2 BGB zu­las­ten des Ver­wen­ders. Die An­wen­dung der Un­klar­hei­ten­re­gel des § 305c Abs. 2 BGB setzt vor­aus, dass die Aus­le­gung ei­ner ein­zel­nen AGB-Be­stim­mung min­des­tens zwei Er­geb­nis­se als ver­tret­bar er­schei­nen lässt und von die­sen kei­nes den kla­ren Vor­zug ver­dient. Es müssen „er­heb­li­che Zwei­fel“ an der rich­ti­gen Aus­le­gung be­ste­hen. Die ent­fern­te Möglich­keit, zu ei­nem an­de­ren Er­geb­nis zu kom­men, genügt für die An­wen­dung der Be­stim­mung nicht (zB Se­nat 10. De­zem­ber 2008 - 10 AZR 1/08 - Rn. 15, AP BGB § 307 Nr. 40 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 40). Der die



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All­ge­mei­nen Geschäfts­be­din­gun­gen ver­wen­den­de Ar­beit­ge­ber muss bei Un­klar­hei­ten die ihm ungüns­tigs­te Aus­le­gungsmöglich­keit ge­gen sich gel­ten las­sen (Se­nat 25. Au­gust 2010 - 10 AZR 275/09 - Rn. 20, NZA 2010, 1355; st. Rspr. BGH 14. Ju­li 2010 - VIII ZR 246/08 - Rn. 41, BGHZ 186, 180).


b) Bei der Aus­le­gung der ver­trag­li­chen Be­stim­mun­gen kann in Be­tracht kom­men, dass ei­ne wie ein Ver­set­zungs­vor­be­halt er­schei­nen­de Klau­sel tatsächlich le­dig­lich den Um­fang der ge­schul­de­ten Leis­tung be­stim­men soll, ins­be­son­de­re wenn al­ter­na­ti­ve Tätig­keits­in­hal­te oder Tätig­keits­or­te kon­kret be­nannt sind (Se­nat 25. Au­gust 2010 - 10 AZR 275/09 - Rn. 18, NZA 2010, 1355). Fer­ner ist zu be­ach­ten, dass die Be­stim­mung ei­nes Orts der Ar­beits­leis­tung in Kom­bi­na­ti­on mit ei­ner im Ar­beits­ver­trag durch Ver­set­zungs­vor­be­halt ge­re­gel­ten Ein­satzmöglich­keit im ge­sam­ten Un­ter­neh­men re­gelmäßig die ver­trag­li­che Be­schränkung auf den im Ver­trag ge­nann­ten Ort der Ar­beits­leis­tung ver­hin­dert (BAG 13. April 2010 - 9 AZR 36/09 - Rn. 27, EzA BGB 2002 § 307 Nr. 47; Preis/Ge­nen­ger NZA 2008, 969, 970). Es macht kei­nen Un­ter­schied, ob im Ar­beits­ver­trag auf ei­ne Fest­le­gung des Orts der Ar­beits­leis­tung ver­zich­tet und die­se dem Ar­beit­ge­ber im Rah­men von § 106 Ge­wO vor­be­hal­ten bleibt oder ob der Ort der Ar­beits­leis­tung be­stimmt, aber die Möglich­keit der Zu­wei­sung ei­nes an­de­ren Orts ver­ein­bart wird. In die­sem Fall wird le­dig­lich klar­ge­stellt, dass § 106 Satz 1 Ge­wO gel­ten und ei­ne Ver­set­zungs­be­fug­nis an an­de­re Ar­beits­or­te be­ste­hen soll.


c) Er­gibt die Aus­le­gung, dass der Ver­trag ei­ne nähe­re Fest­le­gung hin­sicht­lich Art und/oder Ort der Tätig­keit enthält, so un­ter­liegt die­se kei­ner An­ge­mes­sen­heits­kon­trol­le iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Viel­mehr han­delt es sich um die Be­stim­mung des In­halts der Haupt­pflicht (Se­nat 25. Au­gust 2010 - 10 AZR 275/09 - Rn. 21, NZA 2010, 1355; BAG 13. Ju­ni 2007 - 5 AZR 564/06 - Rn. 30, BA­GE 123, 98). Da­bei ist es un­er­heb­lich, wie eng oder weit die Leis­tungs­be­stim­mung ge­fasst ist. Vor­zu­neh­men ist le­dig­lich ei­ne Trans­pa­renz­kon­trol­le nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB.


Fehlt es an ei­ner Fest­le­gung des In­halts oder des Orts der Leis­tungs­pflicht im Ar­beits­ver­trag, er­gibt sich der Um­fang der Wei­sungs­rech­te des


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Ar­beit­ge­bers aus § 106 Ge­wO. Je all­ge­mei­ner die vom Ar­beit­neh­mer zu leis­ten­den Diens­te oder der Ort der Ar­beits­leis­tung im Ar­beits­ver­trag fest­ge­legt sind, des­to wei­ter geht die Be­fug­nis des Ar­beit­ge­bers, dem Ar­beit­neh­mer un­ter­schied­li­che Auf­ga­ben oder ei­nen an­de­ren Ort im We­ge des Di­rek­ti­ons­rechts zu­zu­wei­sen (vgl. zB BAG 2. März 2006 - 2 AZR 23/05 - Rn. 16, AP KSchG 1969 § 1 So­zia­le Aus­wahl Nr. 81 = EzA KSchG § 1 So­zia­le Aus­wahl Nr. 67). Auf die Zulässig­keit ei­nes darüber hin­aus ver­ein­bar­ten Ver­set­zungs­vor­be­halts kommt es dann nicht an. Bei ei­ner en­gen Be­stim­mung der Tätig­keit oder Fest­le­gung des Orts der Leis­tungs­pflicht wird das Di­rek­ti­ons­recht hin­ge­gen ein­ge­schränkt; der Ar­beit­ge­ber kann dem Ar­beit­neh­mer nur die be­tref­fen­den Auf­ga­ben zu­wei­sen. Ei­ne Verände­rung des Tätig­keits­be­reichs oder des Orts der Ar­beits­leis­tung kann er nur ein­ver­nehm­lich oder durch ei­ne Ände­rungskündi­gung her­beiführen (Se­nat 25. Au­gust 2010 - 10 AZR 275/09 - Rn. 22, NZA 2010, 1355).


d) Fehlt es an ei­ner Fest­le­gung und weist der Ar­beit­ge­ber dem Ar­beit­neh­mer ei­nen an­de­ren Ar­beits­ort zu, so un­ter­liegt dies der Ausübungs­kon­trol­le gem. § 106 Satz 1 Ge­wO, § 315 Abs. 3 BGB. Ei­ne Leis­tungs­be­stim­mung ent­spricht bil­li­gem Er­mes­sen, wenn die we­sent­li­chen Umstände des Falls ab­ge­wo­gen und die bei­der­sei­ti­gen In­ter­es­sen an­ge­mes­sen berück­sich­tigt wor­den sind (vgl. Se­nat 25. Au­gust 2010 - 10 AZR 275/09 - Rn. 31, NZA 2010, 1355; BAG 13. April 2010 - 9 AZR 36/09 - Rn. 40, EzA BGB 2002 § 307 Nr. 47; 23. Sep­tem­ber 2004 - 6 AZR 567/03 - zu IV 2 a der Gründe, BA­GE 112, 80).


2. Nach den Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts ha­ben die Par­tei­en ei­nen For­mu­lar­ver­trag ge­schlos­sen, auf den die Vor­schrif­ten über All­ge­mei­ne Geschäfts­be­din­gun­gen nach §§ 305 ff. BGB zur An­wen­dung kom­men. Die Aus­le­gung All­ge­mei­ner Geschäfts­be­din­gun­gen durch das Be­ru­fungs­ge­richt un­ter­liegt der vol­len re­vi­si­ons­recht­li­chen Nach­prüfung (Se­nat 24. Ok­to­ber 2007 - 10 AZR 825/06 - Rn. 15, BA­GE 124, 259). Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat oh­ne hin­rei­chen­de Aus­le­gung des Ar­beits­ver­trags an­ge­nom­men, das Außen­dienst­ge­biet sei in § 1 Nr. 3 des Ar­beits­ver­trags ver­trag­lich fest­ge­legt. Dies hält ei­ner Über­prüfung nicht stand. Da in­so­weit al­le we­sent­li­chen Umstände fest­ge­stellt



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sind und wei­te­rer Vor­trag nicht zu er­war­ten ist, kann der Se­nat die Aus­le­gung selbst vor­neh­men.


a) Der Wort­laut von § 1 Nr. 3 des Ar­beits­ver­trags, wo­nach das Ar­beits­ge­biet ei­nen be­stimm­ten Außen­dienst­be­zirk um­fasst, kann für ei­ne ver­trag­li­che Fest­le­gung spre­chen. Auch die Ver­ein­ba­rung der Do­mi­zil­klau­sel in § 1 Nr. 6 kann im Verständ­nis ei­ner Bran­che, die ih­ren Ver­trieb über ei­nen Außen­dienst or­ga­ni­siert, ein In­diz für ei­ne ge­woll­te ver­trag­li­che Fest­le­gung des Ar­beits­orts sein. Die Par­tei­en ha­ben aber in § 16 Nr. 1 des Ar­beits­ver­trags ver­ein­bart, dass die Fir­ma sich die Zu­wei­sung ei­nes an­de­ren Ge­biets vor­behält. Da­mit ha­ben die Par­tei­en klar­ge­stellt, dass § 106 Satz 1 Ge­wO gel­ten und ei­ne Ver­set­zungs­be­fug­nis in ei­nen an­de­ren Außen­dienst­be­zirk be­ste­hen soll.


b) Die Klau­sel ist Ver­trags­be­stand­teil ge­wor­den. Sie ist nicht über­ra­schend iSv. § 305c Abs. 1 BGB.


aa) Nach § 305c Abs. 1 BGB wer­den Be­stim­mun­gen in All­ge­mei­nen Geschäfts­be­din­gun­gen, die nach den Umständen, ins­be­son­de­re nach dem äußeren Er­schei­nungs­bild des Ver­trags, so un­gewöhn­lich sind, dass der Ver­trags­part­ner des Ver­wen­ders mit ih­nen nicht zu rech­nen braucht, nicht Ver­trags­be­stand­teil. Ei­ne Be­stim­mung in All­ge­mei­nen Geschäfts­be­din­gun­gen hat über­ra­schen­den Cha­rak­ter im Sin­ne die­ser Vor­schrift, wenn sie von den Er­war­tun­gen des Ver­trags­part­ners deut­lich ab­weicht und die­ser den Umständen nach mit ihr vernünf­ti­ger­wei­se nicht zu rech­nen braucht. Über­ra­schen­den Klau­seln muss ein „Über­rum­pe­lungs- und Übertölpe­lungs­ef­fekt“ in­ne­woh­nen. Zwi­schen den durch die Umstände bei Ver­trags­schluss be­gründe­ten Er­war­tun­gen und dem tatsächli­chen Ver­trags­in­halt muss ein deut­li­cher Wi­der­spruch be­ste­hen. Die be­rech­tig­ten Er­war­tun­gen des Ver­trags­part­ners be­stim­men sich nach den kon­kre­ten Umständen bei Ver­trags­schluss eben­so wie nach der Ge­stal­tung des Ar­beits­ver­trags, ins­be­son­de­re des­sen äußerem Er­schei­nungs­bild. So kann der un­gewöhn­li­che äußere Zu­schnitt ei­ner Klau­sel oder ih­re Un­ter­brin­gung an un­er­war­te­ter Stel­le die Be­stim­mung zu ei­ner un­gewöhn­li­chen und da­mit über­ra­schen­den Klau­sel ma­chen (BAG 16. April 2008 - 7 AZR 132/07 - Rn. 16, BA­GE 126, 295; 31. Au­gust 2005 - 5 AZR 545/04 -



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Rn. 24, BA­GE 115, 372). Im Ein­zel­fall kann der Ver­wen­der ge­hal­ten sein, auf die Klau­sel be­son­ders hin­zu­wei­sen oder sie druck­tech­nisch her­vor­zu­he­ben (BAG 16. April 2008 - 7 AZR 132/07 - aaO).


bb) Der Ar­beits­ver­trag enthält in § 1 Re­ge­lun­gen zur Ar­beits­pflicht und re­gelt an sei­nem En­de in § 16 die Möglich­keit ei­ner Ver­set­zung. Da die Ver­ein­ba­rung von Ände­rungs­mo­da­litäten am En­de ei­nes Ver­trags nicht unüblich ist, kann ein ge­wis­sen­haf­ter Ar­beit­neh­mer durch ei­nen Ver­set­zungs­vor­be­halt an die­ser Stel­le nicht über­rascht wer­den. Die Über­schrift „Dienst­ver­set­zung“ ent­spricht in­so­weit zwar nicht gängi­ger Be­griff­lich­keit, lässt aber kei­nen Zwei­fel auf­kom­men, dass nach­fol­gend ein Ver­set­zungs­vor­be­halt ge­re­gelt wird. Druck­tech­nisch ist der Ar­beits­ver­trag über­sicht­lich auf­ge­baut. Der Ver­set­zungs­vor­be­halt in § 16 ist des­halb nicht über­ra­schend iSv. § 305c Abs. 1 BGB.


c) Nach § 16 Nr. 1 des Ar­beits­ver­trags hat sich die Be­klag­te die Zu­wei­sung ei­nes an­de­ren Ge­biets vor­be­hal­ten; die Zu­wei­sung ei­ner in­halt­lich an­de­ren Tätig­keit ist aus­ge­schlos­sen. Nach dem ob­jek­ti­ven In­halt und ty­pi­schen Sinn ei­ner Klau­sel, wel­che die Zu­wei­sung ei­nes an­de­ren Ge­biets ge­stat­tet, er­gibt sich, dass ei­ne ände­rungs­fes­te Fest­le­gung des Ar­beits­orts im Ar­beits­ver­trag ge­ra­de nicht er­fol­gen soll; im Hin­blick auf das ver­ein­bar­te Fest­ge­halt ist darüber hin­aus aus­ge­schlos­sen, dass die ver­ein­bar­te Vergütung durch die Zu­wei­sung ei­nes an­de­ren Ge­biets verändert wer­den kann. Im Lich­te die­ses Ver­set­zungs­vor­be­halts er­gibt die Aus­le­gung der ver­trag­li­chen Re­ge­lun­gen des­halb, dass in § 1 Nr. 3 ei­ne Fest­le­gung des Orts der Ar­beits­leis­tung tatsächlich nicht ver­ein­bart ist. Der Ver­set­zungs­vor­be­halt ver­hin­dert die Be­schränkung auf ei­nen be­stimm­ten Ort (vgl. BAG 13. April 2010 - 9 AZR 36/09 - Rn. 27, EzA BGB 2002 § 307 Nr. 47).


II. Ob die Ver­set­zung der Kläge­rin der ge­bo­te­nen Ausübungs­kon­trol­le am Maßstab von § 106 Ge­wO, § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB standhält, kann der Se­nat nicht ent­schei­den. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat - von sei­nem Stand­punkt aus kon­se­quent - ei­ne sol­che Kon­trol­le nicht vor­ge­nom­men. Es hat auch die wech­sel­sei­ti­gen In­ter­es­sen nicht ge­gen­ein­an­der ab­ge­wo­gen. Zur Vor­nah­me der



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Ausübungs­kon­trol­le wird das Lan­des­ar­beits­ge­richt zunächst die er­for­der­li­chen Fest­stel­lun­gen tref­fen müssen. Es be­darf der Aufklärung, ob und ggf. wel­ches kon­kre­te un­ter­neh­me­ri­sche Kon­zept die Ver­set­zung der Kläge­rin be­dingt ha­ben soll. Fer­ner ist zu klären, ob das be­nach­bar­te Ge­biet Nr. 422, wie von der Kläge­rin be­haup­tet, mit ei­nem Leih­ar­beit­neh­mer be­setzt war und wel­che Gründe da­ge­gen spra­chen, ihr die­ses Ge­biet zu über­tra­gen. Bei der Abwägung der wech­sel­sei­ti­gen In­ter­es­sen wird das Lan­des­ar­beits­ge­richt schließlich zu erwägen ha­ben, ob die Ver­set­zung in ein wei­ter ent­fern­tes Ge­biet dem be­son­de­ren Zu­stand der schwan­ge­ren Kläge­rin und ih­ren be­rech­tig­ten persönli­chen Be­lan­gen an­ge­mes­sen Rech­nung ge­tra­gen hat (vgl. BAG 21. April 1999 - 5 AZR 174/98 - zu A II 2 der Gründe, AP MuSchG 1968 § 4 Nr. 5 = EzA MuSchG nF § 11 Nr. 18) oder ob die Ver­set­zung nicht tatsächlich un­zu­mut­bar war.


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Thiel

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