HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 14/065

An­fech­tung ei­nes Auf­he­bungs­ver­trags we­gen Dro­hung mit Straf­an­zei­ge

Die Dro­hung mit ei­ner Straf­an­zei­ge kann auch dann rech­tens sein, wenn die An­zei­ge ei­ne (mög­li­che) Straf­tat zu­las­ten Drit­ter be­tref­fen wür­de: Lan­des­ar­beits­ge­richt Hamm, Ur­teil vom 25.10.2013, 10 Sa 99/13
Pillen - Medikamente Me­di­ka­ti­on von Pa­ti­en­ten durch Pfle­ge­kräf­te oh­ne ärzt­li­che Wei­sung ist straf­bar.

25.02.2014. Wer als Ar­beit­neh­mer im Ver­dacht steht, ei­nen er­heb­li­chen Pflicht­ver­stoß be­gan­gen zu ha­ben, wird oft vom Ar­beit­ge­ber da­zu ge­drängt, ei­nen Auf­he­bungs­ver­trag ab­zu­schlie­ßen.

Um den Ar­beit­neh­mer in ei­ner sol­chen Si­tua­ti­on zur Un­ter­schrift zu be­we­gen, ma­len Ar­beit­ge­ber die Al­ter­na­ti­ven zu ei­nem Auf­he­bungs­ver­trag in grel­len Far­ben an die Wand: Sie rei­chen von ei­ner frist­lo­sen Kün­di­gung bis hin zur Straf­an­zei­ge.

Ar­beit­neh­mer, die die­sem Druck nicht stand­hal­ten und un­ter­schrei­ben, müs­sen sich spä­ter fra­gen, ob sie nicht vor­schnell ge­han­delt ha­ben. Dann steht die Fra­ge im Raum, ob der Auf­he­bungs­ver­trag durch ei­ne An­fech­tung be­sei­tigt wer­den kann.

Das ist meist nicht der Fall, auch dann nicht, wenn der Ar­beit­ge­ber mit ei­ner Straf­an­zei­ge ge­droht hat. Ei­ne sol­che Dro­hung kann so­gar dann rech­tens sein, wenn der (mög­li­cher­wei­se straf­ba­re) Pflicht­ver­stoß nicht zu­las­ten des Ar­beit­ge­bers ver­übt wor­den sein soll: Lan­des­ar­beits­ge­richt Hamm, Ur­teil vom 25.10.2013, 10 Sa 99/13.

Wann kann man ei­nen Auf­he­bungs­ver­trag an­fech­ten, weil der Ar­beit­ge­ber mit ei­ner Straf­an­zei­ge ge­droht hat?

Wer bei der Ar­beit straf­ba­re Pflicht­ver­let­zun­gen be­geht, ris­kiert ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung, die der Ar­beit­ge­ber meist als frist­lo­se Kündi­gung aus­spre­chen wird. Pro­fes­sio­nel­le Ar­beit­ge­ber stützen die Kündi­gung da­bei nicht nur auf die aus ih­rer Sicht nach­weis­ba­ren Pflicht­verstöße, son­dern außer­dem auf den drin­gen­den Tat­ver­dacht (Ver­dachtskündi­gung).

Die­ses Vor­ge­hen ist aus Ar­beit­ge­ber­sicht stres­sig: Die Vorwürfe müssen geklärt wer­den, d.h. mögli­che Zeu­gen müssen gehört und ih­re Aus­sa­gen soll­ten pro­to­kol­liert wer­den, und dann ist zur Vor­be­rei­tung ei­ner Ver­dachtskündi­gung auch der zu kündi­gen­de Ar­beit­neh­mer an­zuhören, je nach La­ge des Fal­les auch mehr­fach. Außer­dem muss der Be­triebs­rat über die ge­plan­te(n) Kündi­gung(en) vor­ab haar­klein in­for­miert wer­den, und auch da­bei können Feh­ler un­ter­lau­fen. Zum gu­ten Schluss er­hebt der Ar­beit­neh­mer Kündi­gungs­schutz­kla­ge und der Ar­beit­ge­ber muss vor Ge­richt al­le Tat­sa­chen be­wei­sen, auf die er sei­ne Kündi­gung(en) stützen möch­te.

Schnel­ler, we­ni­ger ar­beits­auf­wen­dig und bil­li­ger ist da ein Auf­he­bungs­ver­trag. Ei­ne klei­ne Un­ter­schrift des Ar­beit­neh­mers, und al­les ist ge­ritzt. Da­zu braucht der Ar­beit­ge­ber aber über­zeu­gen­de Ar­gu­men­te. Oft dro­hen Ar­beit­ge­ber im Per­so­nal­gespräch mit ei­ner frist­lo­sen Kündi­gung, mit ei­ner Sperr­zeit, mit Nach­tei­len im künf­ti­gen Be­rufs­le­ben, mit hor­ren­den An­walts­kos­ten und/oder mit ei­ner Straf­an­zei­ge.

Sol­che Dro­hun­gen, z.B. mit ei­ner Straf­an­zei­ge, sind le­gal und be­rech­ti­gen den Ar­beit­neh­mer da­her nicht zur An­fech­tung des Auf­he­bungs­ver­trags we­gen „wi­der­recht­li­cher Dro­hung“ im Sin­ne von § 123 Abs.1 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB), wenn ein "vernünf­ti­ger" Ar­beit­ge­ber im kon­kre­ten Fall ei­ne Straf­an­zei­ge ernst­haft in Erwägung zie­hen würde. Da­zu muss der Vor­wurf er­heb­lich sein und das Ziel des Ar­beit­ge­bers (= Auf­he­bungs­ver­trag) mit der an­zu­zei­gen­den Straf­tat "in ei­nem in­ne­ren Zu­sam­men­hang" ste­hen.

Die­se Vor­aus­set­zun­gen ei­ner zulässi­gen Dro­hung mit ei­ner Straf­an­zei­ge können auch dann vor­lie­gen, wenn die Straf­tat, die der Ar­beit­neh­mer verübt ha­ben soll, nicht den Ar­beit­ge­ber, son­dern des­sen Kun­den schädi­gen würde.

Der Fall: Kran­ken­schwes­ter soll an­stren­gen­de Pa­ti­en­ten oh­ne ärzt­li­che An­ord­nung mit Ta­vor ru­hig­ge­stellt ha­ben

Im Streit­fall wur­de ei­ne seit über 20 Jah­ren beschäftig­te Kran­ken­schwes­ter von zwei Schwes­ternschüle­rin­nen be­schul­digt, den Ver­such un­ter­nom­men zu ha­ben, ei­nen oft nach den Schwes­tern klin­geln­den Pa­ti­en­ten mit dem Be­ru­hi­gungs­mit­tel "Ta­vor" ru­hig­zu­stel­len. 

Da­zu soll sie ei­ner der bei­den Schüle­rin­nen ei­ne Ta­blet­te Ta­vor ge­ge­ben ha­ben mit der Be­mer­kung „Hier, gib ihm mal die Ta­blet­te, dann ist hier gleich Ru­he.". Die­ses Me­di­ka­ti­on war ärzt­lich nicht an­ge­ord­net. Die da­zu an­ge­stif­te­te Schüle­rin ver­ab­reich­te dem Pa­ti­en­ten die Ta­blet­te nicht, son­dern wand­te sich an ih­re Vor­ge­setz­ten.

Außer­dem soll die Kran­ken­schwes­ter, so die Aus­sa­ge ei­ner der zwei Schüle­rin­nen, ei­nen oft we­gen Harn­drangs klin­geln­den Pa­ti­en­ten oh­ne ärzt­li­che An­wei­sung ka­the­te­ri­siert ha­ben.

Aus die­sen Gründen kam es zu ei­nem Per­so­nal­gespräch mit dem Ver­wal­tungs­di­rek­tor und zum Ab­schluss ei­nes Auf­he­bungs­ver­trags. Während des Gesprächs soll der Ver­wal­tungs­di­rek­tor mit ei­ner Straf­an­zei­ge ge­droht ha­ben für den Fall, dass die Kran­ken­schwes­ter dem Auf­he­bungs­ver­trag nicht zu­stim­men soll­te.

Die Kran­ken­schwes­ter erklärte we­ni­ge Wo­chen später die An­fech­tung des Auf­he­bungs­ver­trags gemäß § 123 Abs.1 BGB we­gen wi­der­recht­li­cher Dro­hung mit ei­ner Straf­an­zei­ge und mit an­de­ren be­ruf­li­chen Nach­tei­len. Das Ar­beits­ge­richt wies ih­re Kla­ge, mit der sie den Fort­be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses fest­ge­stellt se­hen woll­te, ab (Ar­beits­ge­richt Iser­lohn, Ur­teil vom 11.12.2012, 4 Ca 1201/12).

LAG Hamm: Die Dro­hung mit ei­ner Straf­an­zei­ge kann auch dann rech­tens sein, wenn die An­zei­ge ei­ne (mögli­che) Straf­tat zu­las­ten Drit­ter be­tref­fen würde

Auch vor dem LAG Hamm hat­te die Kran­ken­schwes­ter kei­nen Er­folg.

In den Ur­teils­gründen lässt das Ge­richt of­fen, ob der Ver­wal­tungs­di­rek­tor mit ei­ner An­zei­ge ge­droht hat­te. Aber selbst wenn er es ge­tan hätte, wäre es recht­lich in Ord­nung ge­we­sen, denn die ge­gen die Kran­ken­schwes­ter er­ho­be­nen Vorwürfe wa­ren gra­vie­rend und ih­re Erklärun­gen nicht über­zeu­gend, so das LAG. Vor die­sem Hin­ter­grund konn­te ein "vernünf­ti­ger" Ar­beit­ge­ber ei­ne Straf­an­zei­ge in Be­tracht zie­hen.

Da­bei spiel­te es kei­ne Rol­le, dass die von der Kran­ken­schwes­ter mögli­cher­wei­se be­gan­ge­nen Körper­ver­let­zun­gen nicht den Ar­beit­ge­ber, son­dern am Ar­beits­verhält­nis nicht be­tei­lig­te Drit­te (die Pa­ti­en­ten) schädig­ten. Denn die­se (mögli­chen) Straf­ta­ten stan­den in en­gem Zu­sam­men­hang mit dem Ar­beits­verhält­nis.

Dass der Ar­beit­ge­ber hier im Streit­fall die Vorwürfe nicht so ge­nau ge­prüft hat­te, wie er das zur Vor­be­rei­tung ei­ner Ver­dachtskündi­gung hätte tun müssen, war aus Sicht des Ge­richts in Ord­nung, denn er hat­te ja eben ge­ra­de kei­ne Kündi­gung aus­ge­spro­chen, son­dern ei­nen Auf­he­bungs­ver­trag ab­ge­schlos­sen. 

Und dass er nach Ab­schluss des Auf­he­bungs­ver­trags kei­ne An­zei­ge er­stat­tet hat­te, mach­te sei­ne Dro­hung nicht nachträglich miss­bräuch­lich, denn der Ar­beit­ge­ber hat­te den Ar­beits­kon­flikt ja durch den Auf­he­bungs­ver­trag gelöst. Wer mit ei­ner An­zei­ge droht (und dro­hen darf), muss sie nicht später auch er­stat­ten, um glaubwürdig zu blei­ben.

Fa­zit: Auf­he­bungs­verträge sind kei­ne Kündi­gun­gen und müssen da­her nicht die Vor­aus­set­zun­gen für die Rechtmäßig­keit von Kündi­gun­gen erfüllen. Ar­beit­neh­mern ist zu ra­ten, sich ei­ne Be­denk­zeit von min­des­tens ei­nem oder zwei Ta­gen aus­zu­be­din­gen, um ei­ne Über­rum­pe­lung zu ver­mei­den.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 11. April 2018

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Bewertung:

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de