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BAG, Be­schluss vom 25.02.2015, 5 AZR 962/13 (A)

   
Schlagworte: Arbeitsgerichte: Zuständigkeit, Zuständigkeit: International, Internationale Zuständigkeit
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 5 AZR 962/13 (A)
Typ: Beschluss
Entscheidungsdatum: 25.02.2015
   
Leitsätze: 1. Zur Anwendung der Rom I-Verordnung auf Arbeitsverhältnisse, die durch einen vor dem 17. Dezember 2009 unterzeichneten Arbeitsvertrag begründet wurden.
2. Zur Bedeutung des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit der itgliedstaaten der Europäischen Union für die Rechtsprechung der Mitgliedstaaten.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 30.03.2012, 10 Ca 59/11
Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 25.09.2013, 2 Sa 253/12
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

5 AZR 962/13 (A)
2 Sa 253/12
Lan­des­ar­beits­ge­richt Nürn­berg

Verkündet am
25. Fe­bru­ar 2015

BESCHLUSS

Rad­t­ke, Ur­kunds­be­am­tin
der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Kläger, Be­ru­fungskläger und Re­vi­si­ons­be­klag­ter,

hat der Fünf­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 25. Fe­bru­ar 2015 durch den Vi­ze­präsi­den­ten des Bun­des­ar­beits­ge­richts Dr. Müller-Glöge, den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Biebl, die Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt We­ber so­wie den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Dr. Dom­brow­sky und die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin Zorn be­schlos­sen:

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I. Dem Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on wer­den gemäß Art. 267 AEUV fol­gen­de Fra­gen vor­ge­legt:

1. Fin­det die Rom I-VO nach Art. 28 auf Ar­beits­verhält­nis­se aus­sch­ließlich dann An­wen­dung, wenn das Rechts­verhält­nis durch ei­nen nach dem 16. De­zem­ber 2009 ver­ein­bar­ten Ar­beits­ver­trag be­gründet wor­den ist, oder führt je­der späte­re Kon­sens der Ver­trags­par­tei­en, ihr Ar­beits­verhält­nis verändert oder un­verändert fort­zu­set­zen, zur An­wend­bar­keit der Ver­ord­nung?

2. Sch­ließt Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO al­lein die di­rek­te An­wen­dung von Ein­griffs­nor­men ei­nes Dritt­staats aus, in dem die durch den Ver­trag be­gründe­ten Ver­pflich­tun­gen nicht erfüllt wer­den sol­len oder erfüllt wor­den sind, oder auch die mit­tel­ba­re Berück­sich­ti­gung im Recht des Staa­tes, des­sen Recht der Ver­trag un­ter­liegt?

3. Kommt dem in Art. 4 Abs. 3 EUV ver­an­ker­ten Grund­satz der loya­len Zu­sam­men­ar­beit recht­li­che Be­deu­tung für die Ent­schei­dung na­tio­na­ler Ge­rich­te zu, Ein­griffs­nor­men ei­nes an­de­ren Mit­glied­staats un­mit­tel­bar oder mit­tel­bar an­zu­wen­den?

II. Das Re­vi­si­ons­ver­fah­ren wird bis zur Ent­schei­dung des Ge­richts­hofs aus­ge­setzt.

Gründe

A. Ge­gen­stand des Aus­gangs­ver­fah­rens:

Im Aus­gangs­ver­fah­ren for­dert der als Leh­rer an der von der be­klag­ten Re­pu­blik ge­tra­ge­nen Grie­chi­schen Volks­schu­le in N beschäftig­te Kläger wei­te­re Vergütung für den Zeit­raum Ok­to­ber 2010 bis De­zem­ber 2012 so­wie Lohn­ab­rech­nun­gen. Die be­klag­te Re­pu­blik kürz­te in die­sem Zeit­raum die zu­vor in An­leh­nung an deut­sches Ta­rif­recht ge­leis­te­te Brut­to­vergütung des Klägers un­ter Be­ru­fung auf die grie­chi­schen Ge­set­ze Nr. 3833/2010 und Nr. 3845/2010 um ins­ge­samt 20.262,32 Eu­ro. Im des­we­gen ein­ge­lei­te­ten Rechts­streit hat die auf Zah­lung in An­spruch ge­nom­me­ne Re­pu­blik Grie­chen­land gel­tend ge­macht, sie sei mit dem Er­lass die­ser Ge­set­ze den mit der Kom­mis­si­on der Eu­ropäischen Uni­on, der Eu­ropäischen Zen­tral­bank (EZB) und dem In­ter­na­tio­na­len Währungs­fonds (IWF), al­so der Troi­ka, ge­trof­fe­nen Ver­ein­ba­run­gen nach­ge­kom-

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men. Ihr sei kei­ne Wahlmöglich­keit eröff­net ge­we­sen. Die Ge­set­ze Nr. 3833/2010 und Nr. 3845/2010 wirk­ten un­mit­tel­bar auf das Ar­beits­verhält­nis des Klägers ein und führ­ten oh­ne je­den wei­te­ren Um­set­zungs­akt zu ei­ner Ver­min­de­rung sei­ner Vergütungs­ansprüche. Für das Bun­des­ar­beits­ge­richt ist es strei­tent­schei­dend, ob die­se grie­chi­schen Ge­set­ze auf das in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land zu erfüllen­de und deut­schem Recht un­ter­lie­gen­de Ar­beits­verhält­nis un­mit­tel­bar oder mit­tel­bar An­wen­dung fin­den. Da­bei ist in ers­ter Li­nie zu klären, ob das im Jahr 1996 be­gründe­te und je­den­falls bis En­de 2012 fort­ge­setz­te Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en dem Gel­tungs­be­reich der Rom I-VO oder des al­ten In­ter­na­tio­na­len Pri­vat­rechts (IPR) Deutsch­lands (Art. 27 ff. EGBGB aF) un­terfällt. Soll­te Art. 9 Rom I-VO An­wen­dung fin­den, sind Be­deu­tung und Trag­wei­te der Aus­nah­me­be­stim­mung des Art. 9 Abs. 3 ROM I-VO klärungs­bedürf­tig. Des Wei­te­ren be­darf es der Aus­le­gung des in Art. 4 Abs. 3 EUV ver­an­ker­ten Grund­sat­zes der loya­len Zu­sam­men­ar­beit der Mit­glied­staa­ten bei An­wen­dung von Ein­griffs­nor­men an­de­rer Mit­glied­staa­ten. 

B. Recht­li­cher Rah­men

Das In­ter­na­tio­na­le Pri­vat­recht der Bun­des­re­pu­blik war bis zum In­kraft­tre­ten der Rom I-VO in den Art. 27 ff. des Einführungs­ge­set­zes zum Bürger­li­chen Ge­setz­buch (EGBGB) ge­re­gelt und fand auch auf Ar­beits­verhält­nis­se An­wen­dung. Zu Ein­griffs­nor­men ent­hielt Art. 34 EGBGB fol­gen­de Be­stim­mung: 

„Die­ser Un­ter­ab­schnitt berührt nicht die An­wen­dung der Be­stim­mun­gen des deut­schen Rechts, die oh­ne Rück­sicht auf das auf den Ver­trag an­zu­wen­den­de Recht den Sach­ver­halt zwin­gend re­geln.“ 

Die An­wen­dung ausländi­scher Ein­griffs­nor­men wur­de durch die­se Norm nicht aus­ge­schlos­sen und be­stimm­te sich nach Recht­spre­chung und Leh­re. In gro­ben Zügen be­deu­te­te dies, dass dritt­staat­li­che Ein­griffs­nor­men zu­min­dest als tatsächli­che Umstände im Rah­men ausfüllungs­bedürf­ti­ger Rechts­nor­men berück­sich­tigt wer­den konn­ten (vgl. zB BGH 22. Ju­ni 1972 - II ZR 113/70 - zu II der Gründe, BGHZ 59, 82; 17. No­vem­ber 1994 - III ZR 70/93 - zu II 2 e bb der Gründe, BGHZ 128, 41; MüKoBGB/Son­nen­ber­ger 5. Aufl. Einl. IPR Rn. 609). 

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Das Bürger­li­che Ge­setz­buch (BGB) fin­det auch auf Ar­beits­verhält­nis­se An­wen­dung. Es enthält in der seit dem 1. Ja­nu­ar 2002 gel­ten­den Fas­sung ua. fol­gen­de Re­ge­lun­gen: 

„§ 241 Pflich­ten aus dem Schuld­verhält­nis 

(1) Kraft des Schuld­verhält­nis­ses ist der Gläubi­ger be­rech­tigt, von dem Schuld­ner ei­ne Leis­tung zu for­dern. Die Leis­tung kann auch in ei­nem Un­ter­las­sen be­ste­hen. 

(2) Das Schuld­verhält­nis kann nach sei­nem In­halt je­den Teil zur Rück­sicht auf die Rech­te, Rechtsgüter und In­ter­es­sen des an­de­ren Teils ver­pflich­ten.“ 

Im Rah­men ih­rer Schul­den­kri­se er­ließ die Re­pu­blik Grie­chen­land zum Schutz der na­tio­na­len Wirt­schaft das Ge­setz Nr. 3833/2010 über drin­gen­de Maßnah­men zur Bewälti­gung der Kri­se der Staats­fi­nan­zen, das in den hier wie­der­ge­ge­be­nen Tei­len zum 1. Ja­nu­ar 2010 in Kraft ge­setzt wur­de (Re­gie­rungs­blatt der Re­pu­blik Grie­chen­land Teil I Blatt Nr. 40 vom 15. März 2010). Nach der dem Be­ru­fungs­ge­richt vor­ge­leg­ten Über­set­zung des Norm­tex­tes enthält es ua. fol­gen­de Re­ge­lun­gen: 

„Ar­ti­kel 1 

Kürzung der Bezüge im wei­te­ren öffent­li­chen Sek­tor 

§ 2 

Die Zu­la­gen je­der Art, die Entschädi­gun­gen und Ent­gel­te im all­ge­mei­nen, so­wie al­les mit je­der an­de­ren Be­zeich­nung Be­stimm­te und al­les in wel­cher auch im­mer all­ge­mei­nen oder be­son­de­ren Be­stim­mung Vor­ge­se­he­ne für die Amts­träger und An­ge­stell­ten der öffent­li­chen Hand, der ju­ris­ti­schen Per­so­nen des öffent­li­chen Rechts und der kom­mu­na­len Ge­bietskörper­schaf­ten, der ständi­gen Mit­glie­der der Streit­kräfte und der grie­chi­schen Po­li­zei so­wie auch der Feu­er­wehr und der Ha­fen­po­li­zei wer­den um ei­nen An­teil von zwölf vom Hun­dert (12%) gekürzt. 

Die Zu­la­gen der Pa­ra­gra­phen A3 der Art. 30 und 33 des Ge­set­zes 3205/2003 (Re­gie­rungs­blatt 297 Teil A) in der gel­ten­den Fas­sung, wer­den um ei­nen An­teil von zwan­zig vom Hun­dert (20%) gekürzt und die Zu­la­gen für Weih­nach­ten, Os­tern und Ur­laub wer­den um ei­nen An­teil von dreißig vom Hun­dert (30%) gekürzt. 

Die Be­stim­mun­gen des vor­lie­gen­den Pa­ra­gra­phen wer­den auch auf das Per­so­nal an­ge­wen­det, wel­ches sich in ei­nem

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pri­vat­recht­li­chen Ar­beits­verhält­nis mit der öffent­li­chen Hand, den ju­ris­ti­schen Per­so­nen des öffent­li­chen Rechts und der kom­mu­na­len Ge­bietskörper­schaf­ten, den Streit­kräften, der grie­chi­schen Po­li­zei, der Feu­er­wehr und der Ha­fen­po­li­zei be­fin­det und ha­ben Vor­rang vor je­der all­ge­mei­nen oder be­son­de­ren Be­stim­mung oder Klau­sel oder Be­din­gung ei­nes Ta­rif­ver­trags, ei­nes Schieds­spruchs oder ei­nes Ar­beits­ver­trags oder ei­ner (sons­ti­gen) Ver­ein­ba­rung.

… 

§ 4

Bei dem Per­so­nal mit ei­nem pri­vat­recht­li­chen Ar­beits­verhält­nis des § 2, auf wel­ches die Be­stim­mun­gen des Ge­set­zes 3205/2003 nicht an­zu­wen­den sind, sind von der in § 2 vor­ge­se­he­nen Kürzung die Zu­la­gen aus­ge­nom­men, die mit dem Fa­mi­li­en­stand oder der dienst­li­chen Lauf­bahn zu­sam­menhängen, so­wie auch die an die Ge­sund­heitsschädlich­keit oder Gefähr­lich­keit der Ar­beit oder mit post­gra­dua­len Stu­di­en­ab­schlüssen ver­bun­de­nen. Wenn an das vor­ge­nann­te Per­so­nal kei­ne Zu­la­gen, Entschädi­gun­gen oder Ent­gel­te im Sinn des ers­ten Ab­sat­zes des § 2 des vor­lie­gen­den (Ar­ti­kels) ge­leis­tet wer­den, sind die Bezüge je­der Art um sie­ben vom Hun­dert (7%) zu kürzen.“

Darüber hin­aus er­ließ die Re­pu­blik Grie­chen­land das Ge­setz Nr. 3845/2010 über Maßnah­men für die An­wen­dung des Stützungs­me­cha­nis­mus für die grie­chi­sche Wirt­schaft von Sei­ten der Mit­gliedsländer der Eu­ro­zo­ne und des In­ter­na­tio­na­len Währungs­fonds, das in den hier wie­der­ge­ge­be­nen Tei­len zum 1. Ju­ni 2010 in Kraft ge­setzt wur­de (Re­gie­rungs­blatt der Re­pu­blik Grie­chen­land Teil I Blatt Nr. 65 vom 6. Mai 2010). Nach der dem Be­ru­fungs­ge­richt vor­ge­leg­ten Über­set­zung des Norm­tex­tes enthält es ua. fol­gen­de Re­ge­lun­gen:

„Drit­ter Ar­ti­kel 

Maßnah­men für die Kürzung der öffent­li­chen Aus­ga­ben

§ 3

Bei dem Per­so­nal mit ei­nem pri­vat­recht­li­chen Ar­beits­verhält­nis des § 2 des Ar­ti­kels 1 des Ge­set­zes 3833/2010, auf wel­ches die Be­stim­mun­gen des Ge­set­zes 3205/2003 nicht an­zu­wen­den sind, sind von der in § 1 vor­ge­se­he­nen Kürzung die Zu­la­gen aus­ge­nom­men, die mit dem Fa­mi­li­en­stand oder der dienst­li­chen Lauf­bahn zu­sam­menhängen, so­wie auch die an die Ge­sund­heitsschädlich­keit oder Gefähr­lich­keit der Ar­beit oder mit post­gra­dua­len Stu­di­en-

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ab­schlüssen ver­bun­de­nen. Wenn an das vor­ge­nann­te Per­so­nal kei­ne Zu­la­gen, Entschädi­gun­gen oder Ent­gel­te im Sinn des § 1 ge­leis­tet wer­den, sind die Bezüge je­der Art um drei vom Hun­dert (3%) zu kürzen. Die or­dent­li­chen Bezüge, die Zu­la­gen, Entschädi­gun­gen und Ent­gel­te im all­ge­mei­nen, so­wie al­les mit je­der an­de­ren Be­zeich­nung Be­stimm­te und al­les in wel­cher auch im­mer all­ge­mei­nen oder be­son­de­ren Be­stim­mung oder Klau­sel oder Be­din­gun­gen ei­nes Ta­rif­ver­trags, ei­nes Schieds­spruchs oder ei­nes Ar­beits­ver­trags oder ei­ner (sons­ti­gen) Ver­ein­ba­rung vor­ge­se­he­ne für aus­nahms­los al­le Ar­beitstäti­gen bei Recht­strägern des ers­ten Ab­sat­zes des § 5 des Art. 1 des Ge­set­zes 3833/2010 in der gel­ten­den Fas­sung, wer­den um ei­nen An­teil von drei vom Hun­dert (3%) gekürzt. 

Von der Kürzung des vor­aus­ge­gan­ge­nen Ab­sat­zes sind aus­ge­nom­men die Zu­la­gen, die mit dem Fa­mi­li­en­stand oder der dienst­li­chen Lauf­bahn zu­sam­menhängen so­wie auch die an die Ge­sund­heitsschädlich­keit oder Gefähr­lich­keit der Ar­beit oder mit post­gra­dua­len Stu­di­en­ab­schlüssen ver­bun­de­nen.“ 

C. Er­for­der­lich­keit der Ent­schei­dung des EuGH 

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt ver­neint im Hin­blick auf die Tätig­keit des Klägers als Leh­rer im pri­vat­recht­li­chen Ar­beits­verhält­nis ei­ne Staa­ten­im­mu­nität Grie­chen­lands und be­jaht die in­ter­na­tio­na­le Zuständig­keit deut­scher Ge­rich­te nach Art. 18 Abs. 1, Art. 19 Nr. 2 a) Eu­GV­VO. Das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en rich­tet sich nach deut­schem Recht, das - für sich be­trach­tet - die von der Be­klag­ten vor­ge­nom­me­nen Ent­geltkürzun­gen oh­ne Ände­rungs­ver­trag oder Ände­rungskündi­gung nicht zulässt. Des­halb ist ent­schei­dungs­er­heb­lich, ob die grie­chi­schen Ge­set­ze Nr. 3833/2010 und Nr. 3845/2010 als dritt­staat­li­che Ein­griffs­nor­men auf das Ar­beits­verhält­nis der Pro­zess­par­tei­en un­mit­tel­bar oder mit­tel­bar An­wen­dung fin­den. Die­se Ge­set­ze se­hen zwin­gend die Kürzung der Gehälter al­ler Ar­beit­neh­mer des öffent­li­chen Diens­tes der Re­pu­blik Grie­chen­land vor, un­abhängig da­von, ob die­se in Grie­chen­land oder in ei­nem an­de­ren Staat beschäftigt wer­den. Die un­ter B. wie­der­ge­ge­be­nen Re­ge­lun­gen über die Kürzung der Bezüge der Staats­be­diens­te­ten sind zwin­gend. Sie be­an­spru­chen Gel­tung ge­genüber je­der­mann, las­sen kei­ne Aus­nah­men zu und erfüllen die An­for­de­run­gen an Ein­griffs­nor­men iSd. IPR. Für das Bun­des­ar­beits­ge­richt stellt

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sich die Fra­ge, nach wel­chem Recht über die An­wen­dung der Ge­set­ze Nr. 3833/2010 und Nr. 3845/2010 als dritt­staat­li­che Ein­griffs­nor­men zu ent­schei­den ist. Ins­be­son­de­re ob Art. 9 Rom I-VO her­an­zu­zie­hen ist. Darüber hin­aus ist of­fen, ob bei An­wend­bar­keit der Rom I-VO die bis­he­ri­ge na­tio­na­le Pra­xis der zu­min­dest mit­tel­ba­ren An­wen­dung dritt­staat­li­cher Ein­griffs­nor­men in be­gründe­ten Fällen auf­recht­er­hal­ten wer­den kann. We­gen des be­son­de­ren Ran­ges der in Art. 4 EUV ver­an­ker­ten Loya­litäts­pflicht der Mit­glied­staa­ten ist für das Bun­des­ar­beits­ge­richt des Wei­te­ren of­fen, ob im Fal­le der Exis­tenz­gefähr­dung ei­nes an­de­ren Mit­glied­staats die An­wen­dung der zu de­ren Ab­wen­dung er­las­se­nen Nor­men als dritt­staat­li­che Ein­griffs­nor­men uni­ons­recht­lich ge­for­dert ist. 

Zur Fra­ge 1 

Gemäß Art. 28 Rom I-VO wird die­se Ver­ord­nung auf Verträge an­ge­wen­det, die ab dem 17. De­zem­ber 2009 „ge­schlos­sen“ wer­den. Im deut­schen Schrift­tum wird die­se Re­ge­lung da­hin ver­stan­den, es kom­me auf den Zeit­punkt des Kon­sen­ses der Ver­trags­par­tei­en an (vgl. MüKoBGB/Mar­ti­ny 6. Aufl. Art. 28 Rom I-VO Rn. 4; Pa­landt/Thorn BGB 74. Aufl. Rom I-VO 28 Rn. 2). Die­se In­ter­pre­ta­ti­on der uni­ons­recht­li­chen Re­ge­lung ist zu­min­dest für Ar­beits­verhält­nis­se mehr­deu­tig, zu­mal in­ner­halb der Uni­on für Ar­beits­verträge an­de­re Zeit­punk­te ver­tre­ten wer­den könn­ten. So ist in der Ge­schich­te des deut­schen Ar­beits­rechts die Be­gründung von Ar­beits­verhält­nis­sen in ganz un­ter­schied­li­cher Wei­se be­grif­fen wor­den (vgl. Adom­eit NJW 1996, 1710). Zu nen­nen sind ver­schie­de­ne Spiel­ar­ten von Ein­glie­de­rungs­theo­ri­en (vgl. Bo­em­ke Schuld­ver­trag und Ar­beits­verhält­nis 1999, S. 226 ff.), die im Ge­gen­satz zu Ver­trags­theo­ri­en stan­den (vgl. BAG 16. Fe­bru­ar 2000 - 5 AZB 71/99 - zu II 2 b bb der Gründe, BA­GE 93, 310; von Ste­but Der ar­beits­recht­li­che Ein­glie­de­rungs­ver­trag FS Kis­sel 1994 S. 1135 ff.). Des­halb be­darf es nach Auf­fas­sung des Se­nats ei­ner uni­ons­ein­heit­li­chen Klärung, wie das Merk­mal „ge­schlos­sen“ aus­zu­le­gen ist. Vor al­lem be­darf es der Klärung, wie die­se Be­stim­mung im Fal­le lang­fris­ti­ger Ar­beits­verhält­nis­se aus­zu­le­gen ist. Denn würde al­lein auf den erst­ma­li­gen Ver­trags­schluss ab­ge­stellt, hätte die­se In­ter­pre­ta­ti­on zur Fol­ge, dass auf ein vor dem 17. De­zem­ber 2009 be­gründe­tes Ar­beits­verhält­nis womöglich auf Jahr­zehn­te

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noch das al­te IPR des Mit­glied­staats An­wen­dung fände. Würde man nicht al­lein auf den Akt der erst­ma­li­gen Be­gründung des Ar­beits­verhält­nis­ses ab­stel­len, blie­be zu be­ant­wor­ten, ob und ggf. wel­che vom Kon­sens der Ver­trags­par­tei­en ge­tra­ge­nen Ände­run­gen des Ar­beits­verhält­nis­ses zur An­wend­bar­keit der Rom I-VO führen können. ZB ist die ver­trag­li­che Ände­rung der Brut­to­vergütung oder der Ar­beits­pflicht als mögli­cher An­knüpfungs­punkt in Be­tracht zu zie­hen. Darüber hin­aus könn­te die Fort­set­zung der Ar­beits­leis­tung nach ei­nem Ver­trags­bruch oder ei­ner an­de­ren Un­ter­bre­chung der Ver­trags­erfüllung als Fort­set­zung der be­trieb­li­chen Ein­glie­de­rung des Ar­beit­neh­mers her­an­ge­zo­gen wer­den, um die An­wend­bar­keit der Rom I-VO aus­zulösen.  

Soll­te die Rom I-VO im Aus­gangs­fall nicht gel­ten, weil die letz­te schrift­li­che Ände­rung des Ar­beits­ver­trags be­reits 2008 ver­ein­bart wur­de, kämen die Art. 27 ff. EGBGB aF zur An­wen­dung. Dies würde ei­ne Berück­sich­ti­gung grie­chi­scher Ein­griffs­nor­men bei der In­ter­pre­ta­ti­on von Leis­tungs­treue- und Leis­tungs­ne­ben­pflich­ten des Ar­beit­neh­mers (§ 241 Abs. 2 BGB) er­lau­ben. 

Zur Fra­ge 2 

Gemäß Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO kann den Ein­griffs­nor­men des Staa­tes, in dem die durch den Ver­trag be­gründe­ten Ver­pflich­tun­gen erfüllt wer­den sol­len oder erfüllt wor­den sind, Wir­kung ver­lie­hen wer­den, so­weit die­se Ein­griffs­nor­men die Erfüllung des Ver­trags un­rechtmäßig wer­den las­sen. Im Aus­gangs­fall liegt der Erfüllungs­ort nicht in Grie­chen­land, son­dern in Deutsch­land. Ist Art. 9 Rom I-VO nach sei­nem zeit­li­chen Gel­tungs­be­reich an­wend­bar, be­darf es der Klärung, ob Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO ei­ne ab­sch­ließen­de Wir­kung in dem Sin­ne zu­kommt, dass nur noch Ein­griffs­nor­men des Erfüllungs­orts des Ver­trags An­wen­dung fin­den können oder - nach wie vor - ausländi­sche Ein­griffs­nor­men mit­tel­bar berück­sich­tigt wer­den dürfen. Ei­ne sol­che ma­te­ri­ell-recht­li­che Berück­sich­ti­gung ausländi­scher Ein­griffs­nor­men wird im deut­schen Schrift­tum auch un­ter Gel­tung von Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO ver­tre­ten (vgl. MüKoBGB/v. Hein 6. Aufl. Einl. IPR Rn. 289; Dei­nert In­ter­na­tio­na­les Ar­beits­recht 2013 § 10 Rn. 161; Er­man/Hoh­loch BGB 14. Aufl. EGBGB Anh. III Art. 9 Rom-I Rn. 27;

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Frei­tag IPRax 2009, 109; Tho­ma­le IPRax 2013, 375; Pa­landt/Thorn BGB 74. Aufl. Rom I 9 Rn. 14; aA Wag­ner IPRax 2008, 1, 15). 

Zur Fra­ge 3 

Wenn auf den Streit­fall Art. 27 ff. EGBGB aF An­wen­dung fin­den oder Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO der Berück­sich­ti­gung ausländi­scher Ein­griffs­nor­men nicht ent­ge­gen­steht, könn­te es der in Art. 4 Abs. 3 EUV ver­an­ker­te Grund­satz der loya­len Zu­sam­men­ar­beit der Mit­glied­staa­ten na­tio­na­len Ge­rich­ten ge­bie­ten, Ein­griffs­nor­men an­de­rer Mit­glied­staa­ten Wir­kung zu ver­schaf­fen. Selbst wenn Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO de­ren Berück­sich­ti­gung ent­ge­genstünde, könn­te aus Art. 4 Abs. 3 Satz 1 EUV Ab­wei­chen­des fol­gen. Die Ach­tung der loya­len Zu­sam­men­ar­beit und ge­gen­sei­ti­gen Un­terstützung der Uni­on und ih­rer Mit­glied­staa­ten bei der Erfüllung ih­rer Auf­ga­ben, die sich aus den Verträgen er­ge­ben (Art. 4 Abs. 3 Satz 1 EUV), könn­te sich auch auf die Um­set­zung der von der Re­pu­blik Grie­chen­land mit der Kom­mis­si­on der Eu­ropäischen Uni­on, der Eu­ropäischen Zen­tral­bank (EZB) und dem In­ter­na­tio­na­len Währungs­fonds (IWF), al­so der Troi­ka, ge­trof­fe­nen Ver­ein­ba­run­gen durch na­tio­na­le Ge­set­ze er­stre­cken. Denn die Ge­set­ze Nr. 3833/2010 und Nr. 3845/2010 die­nen der Um­set­zung der mit der Re­pu­blik Grie­chen­land anläss­lich der Kre­dit­ver­ga­be ge­trof­fe­nen Ver­ein­ba­run­gen. Da­mit soll die Re­pu­blik Grie­chen­land ih­ren nach Art. 119 ff. AEUV (ins­be­son­de­re Art. 126 AEUV) be­ste­hen­den, durch den Rat der Eu­ropäischen Uni­on kon­kre­ti­sier­ten Ver­pflich­tun­gen nach­kom­men. Der an Grie­chen­land ge­rich­te­te, auf Art. 126 Abs. 9 und Art. 136 AEUV gestütz­te Be­schluss des Ra­tes der Eu­ropäischen Uni­on vom 8. Ju­ni 2010 be­tref­fend die Aus­wei­tung und In­ten­si­vie­rung der haus­halts­po­li­ti­schen Über­wa­chung zwecks Be­en­di­gung des übermäßigen De­fi­zits (2010/320/EU - ABl. EU L 145 vom 11. Ju­ni 2010 S. 6) nimmt Be­zug auf die zu­vor mit Grie­chen­land ge­trof­fe­nen Ver­ein­ba­run­gen und for­dert von Grie­chen­land Maßnah­men zur Haus­halts­kon­so­li­die­rung. Es liegt des­halb na­he an­zu­neh­men, der in Art. 4 Abs. 3 EUV ver­an­ker­te Grund­satz der loya­len Zu­sam­men­ar­beit fin­de auf die zur Um­set­zung die­ser Vor­ga­ben not­wen­di­gen Maßnah­men An­wen­dung. Die Loya­litäts­pflicht könn­te es er­for­dern, Grie­chen­land bei der Um­set­zung der durch die Uni­on­s­or-

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ga­ne ge­for­der­ten Schrit­te um­fas­send durch Berück­sich­ti­gung der grie­chi­schen Ge­set­ze in­ner­halb des deut­schen Rechts zu un­terstützen.

Müller-Glöge 

Biebl

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Dom­brow­sky

Zorn

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