HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

EuGH, Ur­teil vom 05.02.2015, C-317/14 - Kom­mis­si­on gg Bel­gi­en

   
Schlagworte: Arbeitnehmerfreizügigkeit, Diskriminierung: Ethnische Herkunft, Diskriminierung: Mittelbar
   
Gericht: Europäischer Gerichtshof
Aktenzeichen: C-317/14
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 05.02.2015
   
Leitsätze:

1. Das Königreich Belgien hat dadurch, dass es von Bewerbern auf Stellen bei lokalen Dienststellen im französischen oder im deutschen Sprachgebiet, aus deren erforderlichen Diplomen oder Zeugnissen nicht ersichtlich ist, dass sie am Unterricht in der betreffenden Sprache teilgenommen haben, verlangt, dass sie ihre Sprachkenntnisse durch eine einzige Art von Bescheinigung nachweisen, die nur von einer einzigen amtlichen belgischen Einrichtung nach einer von dieser in Belgien abgehaltenen Prüfung ausgestellt wird, gegen seine Verpflichtungen aus Art. 45 AEUV und der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union verstoßen.

2. Das Königreich Belgien trägt die Kosten.

Vorinstanzen:
   

UR­TEIL DES GERICH­TSHOFS (Sechs­te Kam­mer)

5. Fe­bru­ar 2015(*)

„Ver­trags­ver­let­zung ei­nes Mit­glied­staats - Art. 45 AEUV - Ver­ord­nung (EU) Nr. 492/2011 - Freizügig­keit der Ar­beit­neh­mer - Zu­gang zur Beschäfti­gung - Lo­ka­le öffent­li­che Ver­wal­tung - Sprach­kennt­nis­se - Art des Nach­wei­ses“

In der Rechts­sa­che C-317/14

be­tref­fend ei­ne Ver­trags­ver­let­zungs­kla­ge nach Art. 258 AEUV, ein­ge­reicht am 2. Ju­li 2014,

Eu­ropäische Kom­mis­si­on, ver­tre­ten durch J. En­e­gren und D. Mar­tin als Be­vollmäch­tig­te, Zu­stel­lungs­an­schrift in Lu­xem­burg,

Kläge­rin,

ge­gen

König­reich Bel­gi­en, ver­tre­ten durch L. Van den Bro­eck, J. Van Holm und M. Ja­cobs als Be­vollmäch­tig­te,

Be­klag­ter,

erlässt

DER GERICH­TSHOF (Sechs­te Kam­mer)

un­ter Mit­wir­kung des Kam­mer­präsi­den­ten S. Ro­din, des Rich­ters A. Borg Bart­het und der Rich­te­rin M. Ber­ger (Be­richt­er­stat­te­rin),

Ge­ne­ral­an­walt: P. Cruz Vil­lalón,

Kanz­ler: A. Ca­lot Es­co­bar,

auf­grund des schrift­li­chen Ver­fah­rens,

auf­grund des nach Anhörung des Ge­ne­ral­an­walts er­gan­ge­nen Be­schlus­ses, oh­ne Schluss­anträge über die Rechts­sa­che zu ent­schei­den,

fol­gen­des

Ur­teil

1 Mit ih­rer Kla­ge be­an­tragt die Eu­ropäische Kom­mis­si­on, fest­zu­stel­len, dass das König­reich Bel­gi­en da­durch, dass es von Be­wer­bern auf Stel­len bei lo­ka­len Dienst­stel­len im französi­schen oder im deut­schen Sprach­ge­biet, aus de­ren Di­plo­men oder Zeug­nis­sen nicht er­sicht­lich ist, dass sie ih­ren Un­ter­richt in der be­tref­fen­den Spra­che ab­sol­viert ha­ben, als ein­zi­gen Nach­weis ih­rer für den Zu­gang zu die­sen Stel­len er­for­der­li­chen Sprach­kennt­nis­se den Er­werb der Be­schei­ni­gung ver­langt, die das dem „Ser­vice pu­blic fédéral Per­son­nel et Or­ga­ni­sa­ti­on“ (Föde­ra­ler Öffent­li­cher Dienst Per­so­nal und Or­ga­ni­sa­ti­on) un­ter­ste­hen­de „Bu­reau de sélec­tion“ (Aus­wahlbüro) (SELOR) nach Be­ste­hen ei­ner von ihm ab­ge­hal­te­nen Prüfung er­teilt, ge­gen sei­ne Ver­pflich­tun­gen aus Art. 45 AEUV und der Ver­ord­nung (EU) Nr. 492/2011 des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 5. April 2011 über die Freizügig­keit der Ar­beit­neh­mer in­ner­halb der Uni­on (ABl. L 141, S. 1) ver­s­toßen hat.

Recht­li­cher Rah­men

Uni­ons­recht

2 Die Ver­ord­nung (EWG) Nr. 1612/68 des Ra­tes vom 15. Ok­to­ber 1968 über die Freizügig­keit der Ar­beit­neh­mer in­ner­halb der Ge­mein­schaft (ABl. L 257, S. 2), auf die in dem Auf­for­de­rungs­schrei­ben und in der von der Kom­mis­si­on im vor­lie­gen­den Fall ab­ge­ge­be­nen mit Gründen ver­se­he­nen Stel­lung­nah­me Be­zug ge­nom­men wird, wur­de durch die Ver­ord­nung Nr. 492/2011 mit Wir­kung vom 16. Ju­ni 2011, al­so nach Ab­lauf der in der mit Gründen ver­se­he­nen Stel­lung­nah­me ge­nann­ten Frist, auf­ge­ho­ben und er­setzt. De­ren Art. 3 Abs. 1 über­nimmt je­doch un­verändert den Wort­laut des Art. 3 der Ver­ord­nung Nr. 1612/68. Er lau­tet:

„Die fol­gen­den Rechts- und Ver­wal­tungs­vor­schrif­ten oder Ver­wal­tungs­prak­ti­ken ei­nes Mit­glied­staats fin­den im Rah­men die­ser Ver­ord­nung kei­ne An­wen­dung:

a) Vor­schrif­ten, die das Stel­len­an­ge­bot und das Ar­beits­ge­such, den Zu­gang zur Beschäfti­gung und de­ren Ausübung durch Ausländer ein­schränken oder von Be­din­gun­gen abhängig ma­chen, die für Inländer nicht gel­ten; oder

b) Vor­schrif­ten, die, oh­ne auf die Staats­an­gehörig­keit ab­zu­stel­len, aus­sch­ließlich oder hauptsächlich be­zwe­cken oder be­wir­ken, dass An­gehöri­ge der übri­gen Mit­glied­staa­ten von der an­ge­bo­te­nen Stel­le fern­ge­hal­ten wer­den.

Un­ter­ab­satz 1 gilt nicht für Be­din­gun­gen, wel­che die in An­be­tracht der Be­son­der­heit der zu ver­ge­ben­den Stel­le er­for­der­li­chen Sprach­kennt­nis­se be­tref­fen.“

Bel­gi­sches Recht

3 Die Ver­fas­sung de­fi­niert vier Sprach­ge­bie­te, d. h. vier ge­son­der­te Tei­le des na­tio­na­len Ho­heits­ge­biets mit ein­heit­li­chen Re­geln für den Spra­chen­ge­brauch, ins­be­son­de­re in Ver­wal­tungs­an­ge­le­gen­hei­ten: das französi­sche Sprach­ge­biet, das nie­derländi­sche Sprach­ge­biet, das deut­sche Sprach­ge­biet und das zwei­spra­chi­ge Ge­biet Brüssel-Haupt­stadt.
4 Die Be­stim­mun­gen in Ka­pi­tel III der „Lois co­or­données sur lʼem­ploi des lan­gues en ma­tière ad­mi­nis­tra­ti­ve“ (Ko­or­di­nier­te Ge­set­ze über den Spra­chen­ge­brauch in Ver­wal­tungs­an­ge­le­gen­hei­ten, im Fol­gen­den: Ko­or­di­nier­te Ge­set­ze) vom 18. Ju­li 1966 (Mo­ni­teur bel­ge vom 2. Au­gust 1966, S. 7799) in ih­rer geänder­ten Fas­sung re­geln u. a. den Spra­chen­ge­brauch in lo­ka­len Dienst­stel­len. Die­se sind in Art. 1 § 2 und Art. 9 der Ko­or­di­nier­ten Ge­set­ze de­fi­niert als natürli­che und ju­ris­ti­sche Per­so­nen, die Kon­zes­si­onäre ei­nes öffent­li­chen Diens­tes sind oder mit ei­nem Auf­trag be­traut sind, der ih­nen durch das Ge­setz oder die öffent­li­chen Behörden im Rah­men des Ge­mein­wohls an­ver­traut wor­den ist, und de­ren Tätig­keits­be­reich sich nicht auf mehr als ei­ne Ge­mein­de er­streckt.
5 Ab­schnitt 2 der Ko­or­di­nier­ten Ge­set­ze be­trifft de­ren An­wen­dung auf das französi­sche, das nie­derländi­sche und das deut­sche Sprach­ge­biet. In­so­fern be­stimmt Art. 15 Abs. 1 der Ko­or­di­nier­ten Ge­set­ze:

„In lo­ka­len Dienst­stel­len, die im französi­schen, nie­derländi­schen oder deut­schen Sprach­ge­biet an­ge­sie­delt sind, darf nie­mand in ein Amt oder ei­ne Stel­le er­nannt oder befördert wer­den, wenn er die Spra­che des Ge­bie­tes nicht be­herrscht.

Zu­las­sungs- und Beförde­rungs­prüfun­gen wer­den in der­sel­ben Spra­che ab­ge­hal­ten.

Be­wer­ber wer­den nur zur Prüfung zu­ge­las­sen, wenn aus den er­for­der­li­chen Di­plo­men oder Stu­di­en­zeug­nis­sen her­vor­geht, dass sie am Un­ter­richt in der oben erwähn­ten Spra­che teil­ge­nom­men ha­ben. In Er­man­ge­lung ei­nes sol­chen Di­ploms oder Zeug­nis­ses muss die Kennt­nis der Spra­che vor­her durch ei­ne Prüfung nach­ge­wie­sen wer­den.

Wird ein Amt oder ei­ne Stel­le oh­ne Zu­las­sungs­prüfung ver­ge­ben, so wird die er­for­der­li­che Kennt­nis der Spra­che an­hand der dies­bezüglich in Ab­satz 3 vor­ge­schrie­be­nen Nach­wei­se fest­ge­stellt.“

6 In Art. 53 der Ko­or­di­nier­ten Ge­set­ze, der zu de­ren Ka­pi­tel VI mit be­son­de­ren Be­stim­mun­gen gehört, war zum Zeit­punkt des Ab­laufs der in der mit Gründen ver­se­he­nen Stel­lung­nah­me ge­setz­ten Frist be­stimmt:

„Nur der Ständi­ge An­wer­bungs­se­kretär ist be­fugt, Be­schei­ni­gun­gen zur Bestäti­gung der durch das Ge­setz vom 2. Au­gust 1963 vor­ge­schrie­be­nen Sprach­kennt­nis­se aus­zu­stel­len.“

7 Aus den Ak­ten, die dem Ge­richts­hof vor­ge­legt wur­den, geht her­vor, dass das Ständi­ge An­wer­bungs­se­kre­ta­ri­at durch den SELOR er­setzt wur­de, die ein­zi­ge Ein­rich­tung, die be­fugt ist, Be­wer­bern, die die von ihr in Brüssel ab­ge­hal­te­nen Prüfun­gen be­stan­den ha­ben, die ge­nann­ten Be­schei­ni­gun­gen aus­zu­stel­len.

Vor­ver­fah­ren

8 Am 22. März 2010 sand­te die Kom­mis­si­on ein Auf­for­de­rungs­schrei­ben an das König­reich Bel­gi­en, in dem sie dar­auf hin­wies, dass das in der bel­gi­schen Re­ge­lung ent­hal­te­ne Er­for­der­nis ei­nes ein­zi­gen Nach­wei­ses der Sprach­kennt­nis­se für den Zu­gang zu den in den lo­ka­len Dienst­stel­len des französi­schen, des nie­derländi­schen oder des deut­schen Sprach­ge­biets zu be­set­zen­den Stel­len ei­ne durch Art. 45 AEUV und die Ver­ord­nung Nr. 1612/68 ver­bo­te­ne Dis­kri­mi­nie­rung dar­stel­le.
9 Die Behörden der Flämi­schen Ge­mein­schaft ant­wor­te­ten mit Schrei­ben vom 19. Ju­li 2010. Sie erklärten sich be­reit, die flämi­sche Re­ge­lung zu den An­for­de­run­gen der öffent­li­chen Ar­beit­ge­ber an die Sprach­kennt­nis­se mit dem Uni­ons­recht in Ein­klang zu brin­gen.
10 Mit Schrei­ben vom 8. No­vem­ber 2010 for­der­ten die Dienst­stel­len der Kom­mis­si­on das König­reich Bel­gi­en auf, ei­nen Ent­wurf für die Ände­rung der Re­ge­lung und ei­nen ge­nau­en und de­tail­lier­ten Zeit­plan für den Er­lass vor­zu­le­gen. Mit No­te vom 20. De­zem­ber 2010 über­sand­ten die Behörden der Flämi­schen Ge­mein­schaft den Vor­ent­wurf ei­nes De­krets, das im Ja­nu­ar 2011 er­las­sen wer­den soll­te.
11 Nach­dem die Kom­mis­si­on vom König­reich Bel­gi­en kei­ne wei­te­re Ant­wort er­hal­ten hat­te, über­sand­te sie die­sem am 20. Mai 2011 ei­ne mit Gründen ver­se­he­ne Stel­lung­nah­me und for­der­te es auf, die er­for­der­li­chen Maßnah­men zu tref­fen, um der Stel­lung­nah­me in­ner­halb von zwei Mo­na­ten nach de­ren Er­halt nach­zu­kom­men.
12 Das König­reich Bel­gi­en ant­wor­te­te mit Schrei­ben vom 2. De­zem­ber 2011, in dem es noch ein­mal sei­nen Wil­len be­kun­de­te, das bel­gi­sche Recht mit dem Uni­ons­recht in Ein­klang zu brin­gen. Es wies aber auch auf die durch die Exis­tenz meh­re­rer Sprach­ge­bie­te und die mit der Auf­tei­lung der Zuständig­kei­ten zwi­schen den ver­schie­de­nen föde­ra­len Ein­hei­ten zu­sam­menhängen­den Be­son­der­hei­ten be­ding­te Kom­ple­xität der Fra­ge der Spra­chen­ver­wen­dung in Ver­wal­tungs­an­ge­le­gen­hei­ten in Bel­gi­en hin. 
13

Mit Schrei­ben vom 27. März, 13. Ju­li und 17. Ok­to­ber 2012 bat die Kom­mis­si­on das König­reich Bel­gi­en um ergänzen­de Auskünf­te zur Si­tua­ti­on in den ein­zel­nen Sprach­ge­bie­ten.

14 Dar­auf­hin über­mit­tel­te das König­reich Bel­gi­en der Kom­mis­si­on den Ent­wurf ei­nes Ausführungs­er­las­ses der Flämi­schen Ge­mein­schaft so­wie ei­nen Vor­ent­wurf ei­nes De­krets und ei­nen Vor­ent­wurf ei­nes Ausführungs­er­las­ses der Französi­schen Ge­mein­schaft.
15 In der Fol­ge wur­de der Kom­mis­si­on der Ausführungs­er­lass zum De­kret der Flämi­schen Ge­mein­schaft über­mit­telt. Die Französi­sche Ge­mein­schaft über­mit­tel­te der Kom­mis­si­on fer­ner ei­ne Ko­pie des De­krets vom 7. No­vem­ber 2013 über den Nach­weis der nach den Ge­set­zen über den Spra­chen­ge­brauch in Ver­wal­tungs­an­ge­le­gen­hei­ten er­for­der­li­chen Sprach­kennt­nis­se. Die­ses De­kret be­durf­te al­ler­dings noch ei­nes Ausführungs­er­las­ses. Im Übri­gen wur­den ge­genüber der Kom­mis­si­on kei­ner­lei An­ga­ben zum deut­schen Sprach­ge­biet ge­macht.
16 Vor die­sem Hin­ter­grund hat die Kom­mis­si­on be­schlos­sen, die vor­lie­gen­de Kla­ge zu er­he­ben.
17 Mit Schrei­ben vom 18. De­zem­ber 2014, das am 22. De­zem­ber 2014 beim Ge­richts­hof ein­ge­gan­gen ist, hat das König­reich Bel­gi­en dem Ge­richts­hof mit­ge­teilt, dass es der Kom­mis­si­on den Er­lass der Re­gie­rung der Französi­schen Ge­mein­schaft vom 22. Ok­to­ber 2014 zur Ausführung des in Rn. 15 des vor­lie­gen­den Ur­teils ge­nann­ten De­krets vom 7. No­vem­ber 2013 über­mit­telt ha­be.

Zur Kla­ge

Vor­brin­gen der Par­tei­en

18

Die Kom­mis­si­on weist dar­auf hin, dass die Mit­glied­staa­ten nach Art. 3 Abs. 1 der Ver­ord­nung Nr. 492/2011 ver­lan­gen könn­ten, dass An­gehöri­ge der an­de­ren Mit­glied­staa­ten über die in An­be­tracht der Be­son­der­heit der zu ver­ge­ben­den Stel­le er­for­der­li­chen Sprach­kennt­nis­se verfügten.

19 Nach der Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs müss­ten die An­for­de­run­gen an die Sprach­kennt­nis­se aber verhält­nismäßig und nicht dis­kri­mi­nie­rend aus­ge­stal­tet wer­den. Im Ur­teil An­go­ne­se (C-281/98, EU:C:2000:296) ha­be der Ge­richts­hof ent­schei­den, dass dies nicht der Fall sei, wenn ein Ar­beit­ge­ber für den Zu­gang ei­nes Be­wer­bers zu ei­nem Aus­wahl­ver­fah­ren zur Ein­stel­lung von Per­so­nal die­sen ver­pflich­te, sei­ne Sprach­kennt­nis­se aus­sch­ließlich durch ein ein­zi­ges in ei­ner ein­zi­gen Pro­vinz ei­nes Mit­glied­staats aus­ge­stell­tes Di­plom nach­zu­wei­sen.
20 Die­se Recht­spre­chung las­se sich auf die bel­gi­sche Re­ge­lung über­tra­gen, da die­se von ei­nem Be­wer­ber für den Zu­gang zu ei­nem sol­chen Aus­wahl­ver­fah­ren ver­lan­ge, dass er sei­ne Sprach­kennt­nis­se durch ein ein­zi­ges aus­sch­ließlich in Bel­gi­en aus­ge­stell­tes Di­plom nach­wei­se.
21 Das König­reich Bel­gi­en zieht die Be­gründet­heit der Kla­ge nicht in Zwei­fel. Es be­schränkt sich dar­auf, den Fort­gang der Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­ren zu schil­dern, die ein­ge­lei­tet wor­den sei­en, um der Rüge der Kom­mis­si­on ab­zu­hel­fen, wo­bei es dar­auf hin­weist, dass die lan­ge Dau­er der Ver­fah­ren mit der kom­ple­xen Struk­tur des König­reichs zu­sam­menhänge.

Würdi­gung durch den Ge­richts­hof

22 Nach ge­fes­tig­ter Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs sol­len sämt­li­che Be­stim­mun­gen des AEU-Ver­trags über die Freizügig­keit den Uni­onsbürgern die Ausübung be­ruf­li­cher Tätig­kei­ten al­ler Art im Ge­biet der Uni­on er­leich­tern und ste­hen Maßnah­men ent­ge­gen, die die Uni­onsbürger be­nach­tei­li­gen könn­ten, wenn sie im Ge­biet ei­nes an­de­ren Mit­glied­staats ei­ne wirt­schaft­li­che Tätig­keit ausüben wol­len (vgl. u. a. Ur­teil Las, C-202/11, EU:C:2013:239, Rn. 19 und die dort an­geführ­te Recht­spre­chung).
23 Folg­lich ste­hen die­se Be­stim­mun­gen und ins­be­son­de­re Art. 45 AEUV je­der Maßnah­me ent­ge­gen, die, auch wenn sie oh­ne Dis­kri­mi­nie­rung aus Gründen der Staats­an­gehörig­keit gilt, ge­eig­net ist, die Ausübung der durch den Ver­trag ga­ran­tier­ten Grund­frei­hei­ten durch die Uni­ons­an­gehöri­gen zu be­hin­dern oder we­ni­ger at­trak­tiv zu ma­chen (Ur­teil Las, EU:C:2013:239, Rn. 20 und die dort an­geführ­te Recht­spre­chung).
24 Zwar räumt Art. 3 Abs. 1 Un­terabs. 2 der Ver­ord­nung Nr. 492/2011 den Mit­glied­staa­ten das Recht ein, die Be­din­gun­gen fest­zu­le­gen, wel­che die in An­be­tracht der Be­son­der­heit der zu ver­ge­ben­den Stel­le er­for­der­li­chen Sprach­kennt­nis­se be­tref­fen.
25 Das Recht, je nach der Be­son­der­heit der Stel­le ein be­stimm­tes Ni­veau an Sprach­kennt­nis­sen zu ver­lan­gen, darf je­doch die Freizügig­keit der Ar­beit­neh­mer nicht be­ein­träch­ti­gen. Die Maßnah­men zu sei­ner Durchführung dürfen in kei­nem Fall außer Verhält­nis zu dem ver­folg­ten Ziel ste­hen. Ih­re An­wen­dung darf nicht zur Dis­kri­mi­nie­rung von An­gehöri­gen an­de­rer Mit­glied­staa­ten führen (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­teil Groener, C-379/87, EU:C:1989:599, Rn. 19).
26 Im vor­lie­gen­den Fall ist an­zu­er­ken­nen, dass es durch­aus le­gi­tim sein kann, von ei­nem Be­wer­ber ei­nes Aus­wahl­ver­fah­rens zur Be­set­zung ei­ner Stel­le in ei­ner lo­ka­len Dienst­stel­le, d. h. ei­ner Ein­rich­tung, die im Ge­biet ei­ner Ge­mein­de Kon­zes­si­onärin ei­nes öffent­li­chen Diens­tes ist oder mit ei­ner im All­ge­mein­in­ter­es­se lie­gen­den Auf­ga­be be­traut ist, zu ver­lan­gen, dass er über ein Ni­veau an Kennt­nis­sen der Spra­che der Re­gi­on verfügt, in der sich die be­tref­fen­de Ge­mein­de be­fin­det, das der Be­son­der­heit der zu ver­ge­ben­den Stel­le ent­spricht. Es kann nämlich an­ge­nom­men wer­den, dass ei­ne Stel­le in ei­ner sol­chen Dienst­stel­le die Fähig­keit zur Kom­mu­ni­ka­ti­on mit den lo­ka­len Ver­wal­tungs­behörden und ge­ge­be­nen­falls mit der Öffent­lich­keit er­for­dert.
27 In ei­nem sol­chen Fall kann der Be­sitz ei­nes Di­ploms über das Be­ste­hen ei­ner Sprach­prüfung ein Kri­te­ri­um dar­stel­len, an­hand des­sen sich die er­for­der­li­chen Sprach­kennt­nis­se be­ur­tei­len las­sen (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­teil An­go­ne­se, EU:C:2000:296, Rn. 44).
28 Von ei­nem Be­wer­ber ei­nes Aus­wahl­ver­fah­rens zur Ein­stel­lung von Per­so­nal aber wie die Ko­or­di­nier­ten Ge­set­ze zu ver­lan­gen, dass er sei­ne Sprach­kennt­nis­se durch ei­ne ein­zi­ge Art von Be­schei­ni­gung nach­weist, die nur von ei­ner ein­zi­gen bel­gi­schen Ein­rich­tung aus­ge­stellt wird, die zu die­sem Zweck mit der Durchführung von Sprach­prüfun­gen im bel­gi­schen Ho­heits­ge­biet be­traut ist, ist im Hin­blick auf die Ge­bo­te der Ar­beit­neh­mer­freizügig­keit in Be­zug auf das ver­folg­te Ziel un­verhält­nismäßig.
29 Die­ses Er­for­der­nis schließt nämlich die Berück­sich­ti­gung des Gra­des der Kennt­nis­se, auf die ein in ei­nem an­de­ren Mit­glied­staat er­lang­tes Di­plom auf­grund der Art und Dau­er des Un­ter­richts, des­sen er­folg­rei­che Ab­sol­vie­rung es bestätigt, schließen lässt, völlig aus (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­teil An­go­ne­se, EU:C:2000:296, Rn. 44).
30 Außer­dem be­nach­tei­ligt es, auch wenn es un­ter­schieds­los auf Inländer wie auf Staats­an­gehöri­ge der an­de­ren Mit­glied­staa­ten an­wend­bar ist, in Wirk­lich­keit die An­gehöri­gen der an­de­ren Mit­glied­staa­ten, die sich um ei­ne Stel­le in ei­ner lo­ka­len Dienst­stel­le in Bel­gi­en be­wer­ben wol­len.
31 Die­ses Er­for­der­nis zwingt nämlich die Be­trof­fe­nen, die in an­de­ren Mit­glied­staa­ten le­ben, über­wie­gend al­so Staats­an­gehöri­ge die­ser Mit­glied­staa­ten, sich nach Bel­gi­en zu be­ge­ben, nur um ih­re Kennt­nis­se im Rah­men ei­ner Prüfung be­wer­ten zu las­sen, die für die Er­tei­lung der für die Ein­rei­chung ih­rer Be­wer­bung er­for­der­li­chen Be­schei­ni­gung ob­li­ga­to­risch ist. Der da­mit ver­bun­de­ne zusätz­li­che Auf­wand ist ge­eig­net, den Zu­gang zu den be­tref­fen­den Stel­len zu er­schwe­ren (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­teil An­go­ne­se, EU:C:2000:296, Rn. 38 und 39).
32 Das König­reich Bel­gi­en hat kein Ziel gel­tend ge­macht, des­sen Ver­wirk­li­chung die­se Aus­wir­kun­gen recht­fer­ti­gen könn­te.
33 So­weit das König­reich Bel­gi­en gel­tend macht, es sei­en Ge­setz­ge­bungs­ar­bei­ten ein­ge­lei­tet wor­den, um die in Re­de ste­hen­de na­tio­na­le Re­ge­lung mit den Er­for­der­nis­sen des Uni­ons­rechts in Ein­klang zu brin­gen, auf­grund der Struk­tur des König­reichs sei­en da­bei aber lang­wie­ri­ge und kom­ple­xe Ver­fah­ren zu durch­lau­fen, ist dar­auf hin­zu­wei­sen, dass sich ein Mit­glied­staat nach ständi­ger Recht­spre­chung nicht auf Be­stim­mun­gen sei­ner in­ter­nen Rechts­ord­nung, auch nicht auf sol­che ver­fas­sungs­recht­li­cher Art, be­ru­fen kann, um die Nicht­ein­hal­tung der aus dem Uni­ons­recht fol­gen­den Ver­pflich­tun­gen zu recht­fer­ti­gen (vgl. u. a. Ur­teil Kom­mis­si­on/Un­garn, C-288/12, EU:C:2014:237, Rn. 35 und die dort an­geführ­te Recht­spre­chung).
34 Je­den­falls ist das Vor­lie­gen ei­ner Ver­trags­ver­let­zung an­hand der La­ge zu be­ur­tei­len, in der sich der Mit­glied­staat bei Ab­lauf der Frist be­fand, die in der mit Gründen ver­se­he­nen Stel­lung­nah­me ge­setzt wur­de; später ein­ge­tre­te­ne Verände­run­gen können vom Ge­richts­hof nicht berück­sich­tigt wer­den (vgl. u. a. Ur­teil Kom­mis­si­on/Ver­ei­nig­tes König­reich, C-640/13, EU:C:2014:2457, Rn. 42 und die dort an­geführ­te Recht­spre­chung).
35 So­mit ist fest­zu­stel­len, dass das König­reich Bel­gi­en da­durch, dass es von Be­wer­bern auf Stel­len bei lo­ka­len Dienst­stel­len im französi­schen oder im deut­schen Sprach­ge­biet, aus de­ren er­for­der­li­chen Di­plo­men oder Zeug­nis­sen nicht er­sicht­lich ist, dass sie am Un­ter­richt in der be­tref­fen­den Spra­che teil­ge­nom­men ha­ben, ver­langt, dass sie ih­re Sprach­kennt­nis­se durch ei­ne ein­zi­ge Art von Be­schei­ni­gung nach­wei­sen, die nur von ei­ner ein­zi­gen amt­li­chen bel­gi­schen Ein­rich­tung nach ei­ner von die­ser in Bel­gi­en ab­ge­hal­te­nen Prüfung aus­ge­stellt wird, ge­gen sei­ne Ver­pflich­tun­gen aus Art. 45 AEUV und der Ver­ord­nung Nr. 492/2011 ver­s­toßen hat.

Kos­ten

36 Nach Art. 138 Abs. 1 der Ver­fah­rens­ord­nung des Ge­richts­hofs ist die un­ter­lie­gen­de Par­tei auf An­trag zur Tra­gung der Kos­ten zu ver­ur­tei­len. Da die Kom­mis­si­on die Ver­ur­tei­lung des König­reichs Bel­gi­en be­an­tragt hat und die­ses mit sei­nem Vor­brin­gen un­ter­le­gen ist, sind ihm die Kos­ten auf­zu­er­le­gen.

Aus die­sen Gründen hat der Ge­richts­hof (Sechs­te Kam­mer) für Recht er­kannt und ent­schie­den:

1. Das König­reich Bel­gi­en hat da­durch, dass es von Be­wer­bern auf Stel­len bei lo­ka­len Dienst­stel­len im französi­schen oder im deut­schen Sprach­ge­biet, aus de­ren er­for­der­li­chen Di­plo­men oder Zeug­nis­sen nicht er­sicht­lich ist, dass sie am Un­ter­richt in der be­tref­fen­den Spra­che teil­ge­nom­men ha­ben, ver­langt, dass sie ih­re Sprach­kennt­nis­se durch ei­ne ein­zi­ge Art von Be­schei­ni­gung nach­wei­sen, die nur von ei­ner ein­zi­gen amt­li­chen bel­gi­schen Ein­rich­tung nach ei­ner von die­ser in Bel­gi­en ab­ge­hal­te­nen Prüfung aus­ge­stellt wird, ge­gen sei­ne Ver­pflich­tun­gen aus Art. 45 AEUV und der Ver­ord­nung (EU) Nr. 492/2011 des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 5. April 2011 über die Freizügig­keit der Ar­beit­neh­mer in­ner­halb der Uni­on ver­s­toßen.

2. Das König­reich Bel­gi­en trägt die Kos­ten.

Un­ter­schrif­ten

* Ver­fah­rens­spra­che: Französisch.

Quel­le: http://cu­ria.eu­ro­pa.eu

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