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BAG, Ur­teil vom 19.07.2016, 2 AZR 536/15

   
Schlagworte: Abfindung, Sozialplan, Kündigung
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 2 AZR 536/15
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 19.07.2016
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Frankfurt (Oder), Urteil vom 04.03.2015, 5 Ca 1616/14
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10.07.2015, 8 Sa 531/15
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

2 AZR 536/15
8 Sa 531/15
Lan­des­ar­beits­ge­richt
Ber­lin-Bran­den­burg

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am
19. Ju­li 2016

UR­TEIL

Rad­t­ke, Ur­kunds­be­am­tin
der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Be­klag­te, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Kläger, Be­ru­fungs­be­klag­ter und Re­vi­si­ons­be­klag­ter,

hat der Zwei­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der Be­ra­tung vom 19. Ju­li 2016 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Prof. Dr. Koch, die Rich­te­rin­nen am Bun­des­ar­beits­ge­richt Ber­ger und Ra­chor so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Söller und Cla­es für Recht er­kannt:

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Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ber­lin-Bran­den­burg vom 10. Ju­li 2015 - 8 Sa 531/15 - wird auf ih­re Kos­ten zurück­ge­wie­sen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über ei­nen Ab­fin­dungs­an­spruch nach § 1a KSchG.

Der Kläger war bei der Be­klag­ten seit März 1974 beschäftigt.

Die Be­klag­te und der bei ihr ge­bil­de­te Be­triebs­rat schlos­sen am 15. Ja­nu­ar 2014 ei­ne als „In­ter­es­sen­aus­gleich“ be­zeich­ne­te Ver­ein­ba­rung ab. Nach de­ren § 4 steht den von ei­ner Kündi­gung be­trof­fe­nen Mit­ar­bei­tern ei­ne nach § 1a Abs. 2 KSchG zu be­rech­nen­de Ab­fin­dung zu.

Die Be­klag­te kündig­te mit Schrei­ben vom 10. Fe­bru­ar 2014 das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en aus be­triebs­be­ding­ten Gründen zum 30. Sep­tem­ber 2014. In dem Schrei­ben heißt es ua.:

„Hin­wei­se

Sie ha­ben die Möglich­keit, sich ge­gen die­se be­triebs­be­ding­te Kündi­gung zu weh­ren. Das müssen Sie nach dem Kündi­gungs­schutz­ge­setz in­ner­halb von drei Wo­chen ab Zu­gang der Kündi­gung tun. Las­sen Sie die­se Frist ver­strei­chen, oh­ne ei­ne Kündi­gungs­schutz­kla­ge beim Ar­beits­ge­richt zu er­he­ben, ha­ben Sie nach § 1a KSchG An­spruch auf Zah­lung ei­ner Ab­fin­dung in Höhe ei­nes hal­ben Mo­nats­ver­diens­tes für je­des vol­le Beschäfti­gungs­jahr.“

Der Kläger er­hob kei­ne Kündi­gungs­schutz­kla­ge. Die Be­klag­te zahl­te ihm ei­ne Ab­fin­dung nach dem „In­ter­es­sen­aus­gleich“ iHv. 86.300,00 Eu­ro brut­to. Mit der vor­lie­gen­den Kla­ge be­an­sprucht der Kläger die Zah­lung ei­ner Ab­fin­dung nach § 1a KSchG.

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Der Kläger hat be­an­tragt,

die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an ihn 86.300,00 Eu­ro brut­to nebst Zin­sen iHv. fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 1. Ok­to­ber 2014 zu zah­len.

Die Be­klag­te hat Kla­ge­ab­wei­sung be­an­tragt. Der Kläger könne die Ab­fin­dung nur ein­mal be­an­spru­chen. Der Hin­weis auf § 1a KSchG im Kündi­gungs­schrei­ben sei le­dig­lich als Be­rech­nungs­grund­la­ge für die nach dem „In­ter­es­sen­aus­gleich“ zu zah­len­de Ab­fin­dung zu ver­ste­hen. Dem Kläger sei nach Er­halt der Kündi­gung in ei­nem Gespräch die Höhe der Ab­fin­dung erläutert wor­den. Je­den­falls be­ste­he zwi­schen dem An­spruch aus dem „In­ter­es­sen­aus­gleich“ und ei­ner Ab­fin­dung nach § 1a KSchG ei­ne „An­spruchs­kon­kur­renz“. Die Ansprüche könn­ten da­her nicht ne­ben­ein­an­der gel­tend ge­macht wer­den.

Bei­de Vor­in­stan­zen ha­ben der Kla­ge ent­spro­chen. Mit der Re­vi­si­on ver­folgt die Be­klag­te ih­ren Kla­ge­ab­wei­sungs­an­trag wei­ter.

Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on ist un­be­gründet. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Be­ru­fung der Be­klag­ten ge­gen die kla­ge­statt­ge­ben­de Ent­schei­dung des Ar­beits­ge­richts mit zu­tref­fen­der Be­gründung zurück­ge­wie­sen. Der Kläger hat An­spruch auf Zah­lung ei­ner Ab­fin­dung gemäß § 1a Abs. 1 KSchG, de­ren nach § 1a Abs. 2 KSchG zu be­rech­nen­de Höhe zwi­schen den Par­tei­en un­strei­tig ist.

I. Nach § 1a Abs. 1 Satz 1 KSchG hat der Ar­beit­neh­mer An­spruch auf ei­ne Ab­fin­dung, wenn der Ar­beit­ge­ber das Ar­beits­verhält­nis we­gen drin­gen­der be­trieb­li­cher Er­for­der­nis­se nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG kündigt und der Ar­beit­neh­mer bis zum Ab­lauf der Frist des § 4 Satz 1 KSchG kei­ne Kla­ge auf Fest­stel­lung er­hebt, dass das Ar­beits­verhält­nis durch die Kündi­gung nicht auf­gelöst ist. Gemäß § 1a Abs. 1 Satz 2 KSchG setzt der An­spruch den Hin­weis des Ar­beit­ge­bers in der Kündi­gungs­erklärung vor­aus, dass die Kündi­gung auf drin­gen­de be­trieb­li­che Er­for­der­nis­se gestützt ist und der Ar­beit­neh­mer bei Ver-

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strei­chen­las­sen der Kla­ge­frist die Ab­fin­dung be­an­spru­chen kann. Die­se beträgt ei­nen hal­ben Mo­nats­ver­dienst für je­des Jahr des Be­ste­hens des Ar­beits­verhält­nis­ses; für die Be­stim­mung des Mo­nats­ver­diens­tes gilt die Re­ge­lung in § 10 Abs. 3 KSchG ent­spre­chend.

II. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat oh­ne Rechts­feh­ler das Vor­lie­gen der An­spruchs­vor­aus­set­zun­gen aus § 1a Abs. 1 KSchG be­jaht.

1. Die Be­klag­te hat dem Kläger ei­ne auf be­triebs­be­ding­te Gründe gestütz­te or­dent­li­che Kündi­gung erklärt und ihn im Kündi­gungs­schrei­ben vom 10. Fe­bru­ar 2014 aus­drück­lich dar­auf hin­ge­wie­sen, dass er bei Ver­strei­chen­las­sen der Kla­ge­frist ei­ne Ab­fin­dung „nach § 1a KSchG“ be­an­spru­chen könne. Der Kläger hat kei­ne Kündi­gungs­schutz­kla­ge er­ho­ben. Der An­spruch auf Zah­lung der ge­setz­lich vor­ge­se­he­nen Ab­fin­dung mit Ab­lauf der Kündi­gungs­frist am 30. Sep­tem­ber 2014 ist da­mit dem Grun­de nach ent­stan­den.

2. Die Be­klag­te hat im Kündi­gungs­schrei­ben vom 10. Fe­bru­ar 2014 nicht le­dig­lich auf die Ab­fin­dungs­re­ge­lung im „In­ter­es­sen­aus­gleich“ hin­ge­wie­sen.

a) Zwar schließt es die Vor­schrift des § 1a KSchG nicht aus, dass der Ar­beit­ge­ber ei­ne Ab­fin­dung auf an­de­rer Grund­la­ge ver­spricht oder sich dar­auf be­schränkt, im Kündi­gungs­schrei­ben rein de­kla­ra­to­risch auf kol­lek­tiv­recht­li­che Be­stim­mun­gen zu ver­wei­sen, aus de­nen ein Ab­fin­dungs­an­spruch bei Ver­lust des Ar­beits­plat­zes folgt. Der Wil­le des Ar­beit­ge­bers, ein von der ge­setz­li­chen Vor­ga­be ab­wei­chen­des An­ge­bot un­ter­brei­ten zu wol­len, muss sich aber aus dem Kündi­gungs­schrei­ben ein­deu­tig und un­miss­verständ­lich er­ge­ben (vgl. BAG 19. Ju­ni 2007 - 1 AZR 340/06 - Rn. 18, BA­GE 123, 121). Enthält die­ses ei­nen vollständi­gen Hin­weis nach § 1a Abs. 1 Satz 2 KSchG, spricht dies für ei­nen An­spruch des Ar­beit­neh­mers nach § 1a Abs. 2 KSchG (vgl. BAG 13. De­zem­ber 2007 - 2 AZR 663/06 - Rn. 21, BA­GE 125, 191).

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b) Dar­an ge­mes­sen können die Erklärun­gen im Kündi­gungs­schrei­ben nicht als rein de­kla­ra­to­ri­sche Be­zug­nah­me auf die So­zi­al­plan­re­ge­lung in § 4 des „In­ter­es­sen­aus­gleichs“ vom 15. Ja­nu­ar 2014 ver­stan­den wer­den. Zu ei­nem kol­lek­tiv­recht­lich be­gründe­ten Ab­fin­dungs­an­spruch hat die Be­klag­te im Rah­men ih­rer „Hin­wei­se“ kei­nen Zu­sam­men­hang her­ge­stellt. Statt­des­sen hat sie For­mu­lie­run­gen gewählt, die auf § 1a Abs. 1 KSchG als An­spruchs­grund­la­ge ver­wei­sen. Ins­be­son­de­re hat sie als Vor­aus­set­zung für die Ab­fin­dung den Ver­zicht auf die Er­he­bung ei­ner Kündi­gungs­schutz­kla­ge ge­nannt. Dar­an knüpft die Re­ge­lung im „In­ter­es­sen­aus­gleich“ nicht an. Eben­so fehlt es an ei­nem Hin­weis im Kündi­gungs­schrei­ben auf ei­ne mögli­che An­rech­nung der je­wei­li­gen Ab­fin­dun­gen aus dem „In­ter­es­sen­aus­gleich“ und nach § 1a KSchG. Es be­darf da­her kei­ner Ent­schei­dung, ob ein mit ei­nem Hin­weis nach § 1a KSchG ver­bun­de­ner An­rech­nungs­vor­be­halt als un­zulässi­ge Be­din­gung oder als ein ab­wei­chen­des An­ge­bot auf ei­ne Ab­fin­dungs­zah­lung an­zu­se­hen wäre.

c) Die­ser Sicht­wei­se steht nicht ent­ge­gen, dass der Kläger nach dem „In­ter­es­sen­aus­gleich“ und dem im Kündi­gungs­schrei­ben vom 10. Fe­bru­ar 2014 ent­hal­te­nen Hin­weis zwei Ab­fin­dungs­zah­lun­gen in glei­cher Höhe be­an­spru­chen kann. Ei­ne sol­che Dop­pe­lung ist - dar­in ist der Be­klag­ten noch zu fol­gen - si­cher­lich un­gewöhn­lich. Al­ler­dings brauch­te der Kläger über die Mo­ti­ve für das Han­deln der Be­klag­ten nicht zu rätseln, zu­mal die­se mit ei­ner sorgfälti­gen Ab­fas­sung des Kündi­gungs­schrei­bens den Um­fang ih­rer be­ab­sich­tig­ten Leis­tungs­gewährung oh­ne Wei­te­res hätte klar­stel­len können. Der Kläger durf­te es zu­min­dest für möglich hal­ten, die Be­klag­te ha­be für die durch das Ver­strei­chen­las­sen der Kla­ge­frist er­lang­te Rechts­si­cher­heit ei­nen wei­te­ren Ab­fin­dungs­be­trag gewähren wol­len. Aus die­sem Grund ist es un­er­heb­lich, ob der Kläger durch den sich aus bei­den Ab­fin­dun­gen er­ge­ben­den Ge­samt­be­trag wirt­schaft­lich bes­ser ge­stellt wird, als wenn er bis zu ei­ner Al­ters­gren­ze bei der Be­klag­ten wei­ter ge­ar­bei­tet hätte.

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d) Auf den In­halt des nach Zu­gang des Kündi­gungs­schrei­bens vom 10. Fe­bru­ar 2014 zwi­schen den Par­tei­en geführ­ten Gesprächs über die Höhe der dem Kläger zu­ste­hen­den Ab­fin­dung kommt es nicht an. Für die Aus­le­gung ei­ner mögli­chen Erklärung nach § 1a KSchG ist aus Gründen der Rechts­si­cher­heit, Rechts­klar­heit und Be­weis­si­che­rung der Zeit­punkt des Zu­gangs des Kündi­gungs­schrei­bens maßgeb­lich. Aus die­sem muss der Ar­beit­neh­mer ein­deu­tig und un­miss­verständ­lich er­ken­nen können, ob und ggf. wel­che Ab­fin­dung der Ar­beit­ge­ber an­bie­tet. Das Ge­setz räumt dem Ar­beit­neh­mer nach dem Er­halt der Kündi­gungs­erklärung ei­ne dreiwöchi­ge Über­le­gungs­frist ein, in­ner­halb de­rer er über die An­nah­me des dort ent­hal­te­nen An­ge­bots ent­schei­den kann. Hier­mit wäre es un­ver­ein­bar, wenn der Ar­beit­ge­ber die - nach sei­nem Hin­weis - nur noch vom Wil­len des Ar­beit­neh­mers abhängi­ge Ent­ste­hung des An­spruchs nach § 1a KSchG durch wei­te­re Erklärun­gen wie­der in Zwei­fel zie­hen könn­te.

e) Dem An­spruch steht auch ei­ne von der Be­klag­ten be­haup­te­te Un­wirk­sam­keit ih­rer Kündi­gung vom 10. Fe­bru­ar 2014 we­gen ei­ner un­zu­rei­chen­den Be­tei­li­gung des Be­triebs­rats (§ 102 Abs. 1 Satz 3 Be­trVG) nicht ent­ge­gen. Der An­spruch nach § 1a KSchG setzt kei­ne wirk­sa­me Kündi­gung des Ar­beit­ge­bers vor­aus. Ein Streit über de­ren Wirk­sam­keit soll durch das An­ge­bot des Ar­beit­ge­bers nach § 1a KSchG ge­ra­de ver­mie­den wer­den. Da­ne­ben wird die Wirk­sam­keit der von der Be­klag­ten erklärten Kündi­gung durch § 7 KSchG fin­giert.

III. Die Be­klag­te hat den sich aus § 1a Abs. 1 KSchG er­ge­ben­den An­spruch des Klägers nicht durch die Zah­lung der sich aus dem „In­ter­es­sen­aus­gleich“ er­ge­ben­den Ab­fin­dung erfüllt. Ei­ne (vollständi­ge) An­rech­nung der dort nor­ma­tiv ge­re­gel­ten Ab­fin­dung auf den durch den Hin­weis nach § 1a Abs. 1 KSchG be­gründe­ten Ab­fin­dungs­an­spruch schei­det we­gen der un­ter­schied­li­chen Leis­tungs­zwe­cke aus Rechts­gründen aus.

1. Mit der Re­ge­lung in § 1a KSchG woll­te der Ge­setz­ge­ber ei­ne „ein­fach zu hand­ha­ben­de, mo­der­ne und unbüro­kra­ti­sche Al­ter­na­ti­ve zum Kündi­gungs­schutz­pro­zess“ schaf­fen. Die for­ma­li­sier­ten Vor­aus­set­zun­gen für den Ab­fin­dungs­an­spruch und die ge­setz­lich fest­ge­leg­te Höhe der Ab­fin­dung sol­len es den Ar­beits­ver­trags­par­tei­en er­leich­tern, die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis-

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ses nach ar­beit­ge­ber­sei­ti­ger be­triebs­be­ding­ter Kündi­gung außer­ge­richt­lich kostengüns­tig zu klären. Mit der Einfügung des am 1. Ja­nu­ar 2004 in Kraft ge­tre­te­nen § 1a in das Kündi­gungs­schutz­ge­setz durch Art. 1 des Ge­set­zes zu Re­for­men am Ar­beits­markt vom 24. De­zem­ber 2003 (BGBl. I S. 3002) war die Er­war­tung ver­bun­den, dass Ar­beit­ge­ber be­reit sein würden, die ge­setz­lich vor­ge­ge­be­ne Ab­fin­dungs­sum­me zu zah­len, wenn sie Ri­si­ken und Kos­ten ei­nes Kündi­gungs­schutz­pro­zes­ses in Be­tracht zögen, und Ar­beit­neh­mer, die an ih­rem Ar­beits­verhält­nis nicht zwin­gend fest­hal­ten wol­len, die Kündi­gung ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses ak­zep­tie­ren würden, wenn sie den im Ge­setz vor­ge­se­he­nen Ab­fin­dungs­be­trag er­hiel­ten (BT-Drs. 15/1204 S. 12).

2. Ein sol­cher Norm­zweck liegt So­zi­al­plan­leis­tun­gen iSv. § 112 Abs. 1 Satz 2 Be­trVG, die dem Aus­gleich oder der Ab­mil­de­rung der mit ei­ner Be­triebsände­rung für die Ar­beit­neh­mer ver­bun­de­nen wirt­schaft­li­chen Nach­tei­le die­nen, nicht zu­grun­de. Die­se dürfen nicht von ei­nem Ver­zicht des Ar­beit­neh­mers auf die Er­he­bung ei­ner Kündi­gungs­schutz­kla­ge (§ 4 Satz 1 KSchG) abhängig ge­macht wer­den. Das folgt aus dem in § 75 Abs. 1 Be­trVG nor­mier­ten be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen Gleich­be­hand­lungs­grund­satz. Macht ein So­zi­al­plan den Ver­zicht auf die Er­he­bung ei­ner Kündi­gungs­schutz­kla­ge zur Vor­aus­set­zung für den An­spruch auf die So­zi­al­plan­ab­fin­dung, er­folgt ei­ne Grup­pen­bil­dung, wel­che die An­wen­dung des Gleich­heits­sat­zes ermöglicht und ge­bie­tet. Die Ar­beit­neh­mer, die ei­ne Kündi­gungs­schutz­kla­ge er­he­ben, wer­den hin­sicht­lich der So­zi­al­plan­ab­fin­dung schlech­ter be­han­delt als die­je­ni­gen, die von der ge­richt­li­chen Über­prüfung der Wirk­sam­keit der Kündi­gung ab­se­hen. Die­se Un­gleich­be­hand­lung ist nach Sinn und Zweck des So­zi­al­plans sach­lich nicht ge­recht­fer­tigt (BAG 31. Mai 2005 - 1 AZR 254/04 - zu II 1 der Gründe, BA­GE 115, 68). Nur wenn die Be­triebs­par­tei­en ih­rer Pflicht zur Auf­stel­lung ei­nes So­zi­al­plans nach­ge­kom­men sind, können sie frei­wil­lig ei­ne kol­lek­tiv­recht­li­che Re­ge­lung tref­fen, die im In­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers an als­bal­di­ger Pla­nungs­si­cher­heit fi­nan­zi­el­le Leis­tun­gen für den Fall vor­sieht, dass der Ar­beit­neh­mer von der Möglich­keit der Er­he­bung ei­ner Kündi­gungs­schutz­kla­ge kei­nen Ge­brauch macht oder frei­wil­lig aus dem Ar­beits­verhält­nis im We­ge ei­ner Auf­he­bungs­ver­ein­ba­rung aus­schei­det. Das Ver­bot, So­zi­al­plan­ab­fin­dun­gen von ei­nem Ver­zicht auf die Er­he­bung

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der Kündi­gungs­schutz­kla­ge abhängig zu ma­chen, darf da­durch aber nicht um­gan­gen wer­den (BAG 9. De­zem­ber 2014 - 1 AZR 146/13 - Rn. 39). Eben­so können die Be­triebs­par­tei­en die An­rech­nung von Leis­tun­gen des Ar­beit­ge­bers nach § 1a KSchG auf ei­ge­ne Ab­fin­dungs­ansprüche zum Aus­gleich der Nach­tei­le des Ar­beits­platz­ver­lus­tes vor­se­hen, oh­ne da­mit ge­gen den Zweck die­ser Leis­tun­gen zu ver­s­toßen (BAG 19. Ju­ni 2007 - 1 AZR 340/06 - Rn. 37, BA­GE 123, 121).

3. Nach die­sen Grundsätzen schei­det vor­lie­gend die von der Be­klag­ten gel­tend ge­mach­te (vollständi­ge) An­rech­nung des An­spruchs aus dem „In­ter­es­sen­aus­gleich“ auf den durch das Kündi­gungs­schrei­ben vom 10. Fe­bru­ar 2014 be­gründe­ten Ab­fin­dungs­an­spruch aus. Die mit den je­wei­li­gen Zah­lun­gen ver­folg­ten Zwe­cke sind nicht de­ckungs­gleich. Bei der nor­ma­tiv ge­re­gel­ten Ab­fin­dung han­delt es sich um ei­ne Leis­tung nach § 112 Abs. 1 Satz 2 Be­trVG. Die­se dient - an­ders als die Ab­fin­dung nach § 1a KSchG - aus­sch­ließlich dem Aus­gleich der mit dem Ver­lust des Ar­beits­plat­zes ver­bun­de­nen wirt­schaft­li­chen Nach­tei­le. Wei­te­re Leis­tungs­zwe­cke ver­fol­gen die Be­triebs­par­tei­en mit der im „In­ter­es­sen­aus­gleich“ ent­hal­te­nen Zah­lung nicht. Die Be­klag­te und der Be­triebs­rat ha­ben dort kei­ne ge­son­der­te Re­ge­lung für den Fall vor­ge­se­hen, dass der Ar­beit­neh­mer von der Möglich­keit der Er­he­bung ei­ner Kündi­gungs­schutz­kla­ge kei­nen Ge­brauch macht. Eben­so ha­ben sie die An­rech­nung ei­ner nach § 1a Abs. 1 KSchG gewähr­ten Ab­fin­dung nicht - auch nicht nachträglich - ver­ein­bart.

IV. Die ge­richt­li­che Durch­set­zung des sich aus dem Hin­weis der Be­klag­ten im Kündi­gungs­schrei­ben vom 10. Fe­bru­ar 2014 er­ge­ben­den Ab­fin­dungs­an­spruchs stellt kein nach § 242 BGB un­zulässi­ges rechts­miss­bräuch­li­ches Ver­hal­ten des Klägers dar. Auch dies hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt im Er­geb­nis zu­tref­fend er­kannt.

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V. Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. 

Koch
Ra­chor
Rich­te­rin am BAG Ber­ger ist we­gen Dienst­unfähig­keit ge­hin­dert, ih­re Un­ter­schrift bei­zufügen
Koch
A. Cla­es
Söller

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