HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

BAG, Be­schluss vom 17.06.2015, 4 AZR 95/14 (A)

   
Schlagworte: Dynamische Bezugnahmeklausel, Betriebsübergang
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 4 AZR 95/14 (A)
Typ: Beschluss
Entscheidungsdatum: 17.06.2015
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Offenbach am Main, Urteil vom 12.03.2013, 9 Ca 353/12
Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 10.12.2013, 8 Sa 512/13
   

Par­al­lel­ent­schei­dung zu führen­der Sa­che - 4 AZR 61/14

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

4 AZR 95/14 (A)
8 Sa 512/13
Hes­si­sches
Lan­des­ar­beits­ge­richt

Verkündet am
17. Ju­ni 2015

BESCHLUSS

Frei­tag, Ur­kunds­be­am­tin
der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Be­klag­te, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Kläge­rin, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Vier­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 17. Ju­ni 2015 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Ey­lert, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Creutz­feldt und Dr. Tre­ber so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Kie­fer und Pie­per be­schlos­sen:

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A. Der Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on wird gemäß Art. 267 des Ver­trags über die Ar­beits­wei­se der Eu­ropäischen Uni­on (AEUV) um die Be­ant­wor­tung fol­gen­der Fra­gen er­sucht:

I.
1. Steht Art. 3 der Richt­li­nie 2001/23/EG des Ra­tes vom 12. März 2001 ei­ner na­tio­na­len Re­ge­lung ent­ge­gen, die vor­sieht, dass im Fal­le ei­nes Un­ter­neh­mens oder Be­triebsüber­gangs al­le zwi­schen dem Veräußerer und dem Ar­beit­neh­mer pri­vat­au­to­nom und in­di­vi­du­ell im Ar­beits­ver­trag ver­ein­bar­ten Ar­beits­be­din­gun­gen auf den Er­wer­ber un­verändert über­ge­hen, so als hätte er sie selbst mit dem Ar­beit­neh­mer ein­zel­ver­trag­lich ver­ein­bart, wenn das na­tio­na­le Recht so­wohl ein­ver­nehm­li­che als auch ein­sei­ti­ge An­pas­sungsmöglich­kei­ten für den Er­wer­ber vor­sieht?

2. Wenn die Fra­ge 1 ins­ge­samt oder für ei­ne be­stimm­te Grup­pe in­di­vi­du­ell ver­ein­bar­ter Ar­beits­be­din­gun­gen aus dem Ar­beits­ver­trag zwi­schen Veräußerer und Ar­beit­neh­mer mit „Ja“ be­ant­wor­tet wird:

Er­gibt sich aus der An­wen­dung von Art. 3 der Richt­li­nie 2001/23/EG, dass von dem un­veränder­ten Über­gang auf den Er­wer­ber be­stimm­te pri­vat­au­to­nom ver­ein­bar­te Ar­beits­ver­trags­be­din­gun­gen zwi­schen Veräußerer und Ar­beit­neh­mer aus­zu­neh­men und al­lein auf­grund des Un­ter­neh­mens- oder Be­triebsüber­gangs an­zu­pas­sen sind?

3. Wenn nach den Maßstäben der Ant­wor­ten des Ge­richts­hofs auf die Fra­gen 1 und 2 ei­ne in­di­vi­du­el­le, ein­zel­ver­trag­lich ver­ein­bar­te Ver­wei­sung, auf­grund de­rer be­stimm­te Re­ge­lun­gen aus ei­nem Kol­lek­tiv­ver­trag in dy­na­mi­scher Wei­se pri­vat­au­to­nom zum In­halt des Ar­beits­ver­trags ge­macht wer­den, nicht in un­veränder­ter Form auf den Er­wer­ber über­geht:

a) Gilt dies auch dann, wenn we­der der Veräußerer noch der Er­wer­ber Par­tei ei­nes Kol­lek­tiv­ver­trags ist oder ei­ner sol­chen Par­tei an­gehört, dh. wenn die Re­ge­lun­gen aus dem Kol­lek­tiv­ver­trag be­reits vor dem Un­ter­neh­mens- oder Be­triebsüber­gang oh­ne die pri­vat­au­to­no­me ar­beits­ver­trag­li­che Ver­ein­ba­rung ei­ner Ver­wei­sungs­klau­sel für das Ar­beits­verhält­nis mit dem Veräußerer kei­ne An­wen­dung ge­fun­den hätten?

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b) Wenn die­se Fra­ge be­jaht wird:

Gilt dies auch dann, wenn Veräußerer und Er­wer­ber Un­ter­neh­men des­sel­ben Kon­zerns sind?

II.
Steht Art. 16 der Char­ta der Grund­rech­te der Eu­ropäischen Uni­on ei­ner in Um­set­zung der Richt­li­ni­en 77/187/EWG oder 2001/23/EG er­las­se­nen na­tio­na­len Re­ge­lung ent­ge­gen, die vor­sieht, dass bei ei­nem Un­ter­neh­mens- oder Be­triebsüber­gang der Er­wer­ber an die vom Veräußerer mit dem Ar­beit­neh­mer vor dem Be­triebsüber­gang pri­vat­au­to­nom und in­di­vi­du­ell ver­ein­bar­ten Ar­beits­ver­trags­be­din­gun­gen auch dann so ge­bun­den ist, als ha­be er sie selbst ver­ein­bart, wenn die­se Be­din­gun­gen be­stimm­te Re­ge­lun­gen ei­nes an­dern­falls für das Ar­beits­verhält­nis nicht gel­ten­den Kol­lek­tiv­ver­trags in dy­na­mi­scher Wei­se zum In­halt des Ar­beits­ver­trags ma­chen, so­fern das na­tio­na­le Recht so­wohl ein­ver­nehm­li­che als auch ein­sei­ti­ge An­pas­sungsmöglich­kei­ten für den Er­wer­ber vor­sieht?

B. Der Rechts­streit wird bis zur Ent­schei­dung des Ge­richts­hofs der Eu­ropäischen Uni­on aus­ge­setzt.

Gründe

A. Ge­gen­stand des Aus­gangs­ver­fah­rens 

Die Kläge­rin ist seit 1986 un­un­ter­bro­chen im Kran­ken­haus D als Sta­ti­ons­hil­fe beschäftigt. Nach­dem der Kreis O, ei­ne kom­mu­na­le Ge­bietskörper­schaft, im Jahr 1995 das Kran­ken­haus auf ei­ne pri­vat­recht­lich or­ga­ni­sier­te GmbH über­tra­gen hat­te, ging der Be­triebs­teil, in dem die Kläge­rin beschäftigt ist, 1997 auf das Un­ter­neh­men K GmbH (im Fol­gen­den: K) über. Die K, die nicht Mit­glied in ei­nem Ar­beit­ge­ber­ver­band war, ver­ein­bar­te mit der Kläge­rin ver­trag­lich, dass das Ar­beits­verhält­nis sich - wie zu­vor auch - nach dem für den öffent­li­chen Dienst ge­schlos­se­nen Bun­des­man­tel­ta­rif­ver­trag für Ar­bei­ter ge­meind­li­cher Ver­wal­tun­gen und Be­trie­be (BMT-G II) und den die­sen ergänzen-

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den, ändern­den und er­set­zen­den Ta­rif­verträgen rich­ten soll­te. Im Fol­gen­den wur­de die K Teil des A-Kon­zerns. In die­sem sind zahl­rei­che Un­ter­neh­men des Kran­ken­haus­we­sens zu­sam­men­ge­fasst. Zum 1. Ju­li 2008 ging der Be­triebs­teil, in dem die Kläge­rin beschäftigt ist, von der K auf ei­ne an­de­re Kon­zern­ge­sell­schaft, die A Dienst­leis­tungs­ge­sell­schaft mbH, die Be­klag­te, über. Auch die­se war und ist nicht durch die Mit­glied­schaft in ei­nem Ar­beit­ge­ber­ver­band an den BMT-G II und den die­sen seit dem 1. Ok­to­ber 2005 er­set­zen­den Ta­rif­ver­trag für den öffent­li­chen Dienst (TVöD) und den hier­zu ver­ein­bar­ten Über­lei­tungs­ta­rif­ver­trag (TVÜ-VKA) ge­bun­den.

Die Kläge­rin hat die ge­richt­li­che Fest­stel­lung be­gehrt, dass auf ihr Ar­beits­verhält­nis die Vor­schrif­ten des TVöD und der die­sen ergänzen­den Ta­rif­verträge so­wie des TVÜ-VKA in ih­ren je­weils gülti­gen Fas­sun­gen, dh. dy­na­misch An­wen­dung fin­den.

Die Be­klag­te hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, der nach na­tio­na­lem Recht vor­ge­se­he­nen Rechts­fol­ge ei­ner dy­na­mi­schen An­wen­dung der ar­beits­ver­trag­lich in Be­zug ge­nom­me­nen Kol­lek­tiv­nor­men des öffent­li­chen Diens­tes ständen die RL 2001/23/EG so­wie Art. 16 der Char­ta der Grund­rech­te der Eu­ropäischen Uni­on (Char­ta) ent­ge­gen. Sie führ­ten zu ei­ner le­dig­lich sta­ti­schen An­wen­dung der Kol­lek­tiv­verträge auf das über­ge­gan­ge­ne Ar­beits­verhält­nis der Kläge­rin.

Die Vor­in­stan­zen ha­ben der Kla­ge statt­ge­ge­ben. 

B. Recht­li­cher Rah­men 

I. Uni­ons­recht 

Nach dem drit­ten Erwägungs­grund der Richt­li­nie 2001/23/EG des Ra­tes vom 12. März 2001 zur An­glei­chung der Rechts­vor­schrif­ten der Mit­glied­staa­ten über die Wah­rung von Ansprüchen der Ar­beit­neh­mer beim Über­gang von Un­ter­neh­men, Be­trie­ben oder Un­ter­neh­mens- oder Be­triebs­tei­len (RL 2001/23) sind Be­stim­mun­gen not­wen­dig, die die Ar­beit­neh­mer bei ei­nem In­ha­ber­wech­sel schützen und ins­be­son­de­re die Wah­rung ih­rer Ansprüche ge-

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währ­leis­ten. Dem vier­ten Erwägungs­grund zu­fol­ge be­ste­hen in Be­zug auf den Um­fang des Ar­beit­neh­mer­schut­zes auf die­sem Ge­biet wei­ter­hin Un­ter­schie­de, die ver­rin­gert wer­den sol­len.

In der RL 2001/23 heißt es ua.:

„Ar­ti­kel 3

1. Die Rech­te und Pflich­ten des Veräußerers aus ei­nem zum Zeit­punkt des Über­gangs be­ste­hen­den Ar­beits­ver­trag oder Ar­beits­verhält­nis ge­hen auf­grund des Über­gangs auf den Er­wer­ber über.
...

3. Nach dem Über­gang erhält der Er­wer­ber die in ei­nem Kol­lek­tiv­ver­trag ver­ein­bar­ten Ar­beits­be­din­gun­gen bis zur Kündi­gung oder zum Ab­lauf des Kol­lek­tiv­ver­trags bzw. bis zum In­kraft­tre­ten oder bis zur An­wen­dung ei­nes an­de­ren Kol­lek­tiv­ver­trags in dem glei­chen Maße auf­recht, wie sie in dem Kol­lek­tiv­ver­trag für den Veräußerer vor­ge­se­hen wa­ren.

Die Mit­glied­staa­ten können den Zeit­raum der Auf­recht­er­hal­tung der Ar­beits­be­din­gun­gen be­gren­zen, al­ler­dings darf die­ser nicht we­ni­ger als ein Jahr be­tra­gen.
...

Ar­ti­kel 8

Die­se Richt­li­nie schränkt die Möglich­keit der Mit­glied­staa­ten nicht ein, für die Ar­beit­neh­mer güns­ti­ge­re Rechts- oder Ver­wal­tungs­vor­schrif­ten an­zu­wen­den oder zu er­las­sen oder für die Ar­beit­neh­mer güns­ti­ge­re Kol­lek­tiv­verträge und an­de­re zwi­schen den So­zi­al­part­nern ab­ge­schlos­se­ne Ver­ein­ba­run­gen, die für die Ar­beit­neh­mer güns­ti­ger sind, zu fördern oder zu­zu­las­sen.“

II. Na­tio­na­les Recht 

1. Die Rech­te und Pflich­ten im Fal­le ei­nes Be­triebsüber­gangs re­gelt in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land § 613a Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB), des­sen Ab­satz 1 wie folgt lau­tet:

„Geht ein Be­trieb oder Be­triebs­teil durch Rechts­geschäft auf ei­nen an­de­ren In­ha­ber über, so tritt die­ser in die Rech­te und Pflich­ten aus den im Zeit­punkt des Über­gangs be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis­sen ein. Sind die­se Rech­te

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und Pflich­ten durch Rechts­nor­men ei­nes Ta­rif­ver­trags oder durch ei­ne Be­triebs­ver­ein­ba­rung ge­re­gelt, so wer­den sie In­halt des Ar­beits­verhält­nis­ses zwi­schen dem neu­en In­ha­ber und dem Ar­beit­neh­mer und dürfen nicht vor Ab­lauf ei­nes Jah­res nach dem Zeit­punkt des Über­gangs zum Nach­teil des Ar­beit­neh­mers geändert wer­den. Satz 2 gilt nicht, wenn die Rech­te und Pflich­ten bei dem neu­en In­ha­ber durch Rechts­nor­men ei­nes an­de­ren Ta­rif­ver­trags oder durch ei­ne an­de­re Be­triebs­ver­ein­ba­rung ge­re­gelt wer­den. Vor Ab­lauf der Frist nach Satz 2 können die Rech­te und Pflich­ten geändert wer­den, wenn der Ta­rif­ver­trag oder die Be­triebs­ver­ein­ba­rung nicht mehr gilt oder bei feh­len­der bei­der­sei­ti­ger Ta­rif­ge­bun­den­heit im Gel­tungs­be­reich ei­nes an­de­ren Ta­rif­ver­trags des­sen An­wen­dung zwi­schen dem neu­en In­ha­ber und dem Ar­beit­neh­mer ver­ein­bart wird.“

2. Die na­tio­na­le Re­ge­lung des § 613a BGB dient der Um­set­zung der Richt­li­nie 77/187/EWG (RL 77/187) und der in Art. 3 gleich­lau­ten­den RL 2001/23. Da­bei hat der na­tio­na­le Ge­setz­ge­ber die in Art. 3 RL 2001/23 vor­ge­ge­be­ne Un­ter­schei­dung zwi­schen ein­zel­ver­trag­lich be­gründe­ten Rech­ten und Pflich­ten (Art. 3 Abs. 1 RL 2001/23) und sol­chen Re­ge­lun­gen, die auf­grund ei­nes kol­lek­tiv­recht­li­chen Ver­trags un­mit­tel­bar und zwin­gend für das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en gel­ten (Art. 3 Abs. 3 RL 2001/23), durch § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB ei­ner­seits und § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB an­de­rer­seits nach­voll­zo­gen.

3. Zu den nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den Er­wer­ber über­ge­hen den Rech­ten und Pflich­ten des Veräußerers aus ei­nem zum Zeit­punkt des Über­gangs be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis gehören nach na­tio­na­lem Recht auch ein auf­grund ei­ner ver­trag­lich ver­ein­bar­ten Ver­wei­sungs­klau­sel in Be­zug ge­nom­me­ner Ta­rif­ver­trag und des­sen Kol­lek­tiv­re­ge­lun­gen.

a) Ei­ne pri­vat­au­to­nom ver­ein­bar­te Ver­wei­sungs­klau­sel be­gründet nach deut­schem Recht nicht die nor­ma­ti­ve Wir­kung von Kol­lek­tiv­re­ge­lun­gen. Sie macht die von den Kol­lek­tiv­par­tei­en aus­ge­han­del­ten Nor­men ei­nes Ta­rif­ver­trags viel­mehr zum In­halt ih­rer in­di­vi­du­al­ver­trag­li­chen Ei­ni­gung und da­mit des Ar­beits­ver­trags. Ei­ne sol­che Ver­wei­sung ist so­wohl hin­sicht­lich ei­nes ge­sam­ten

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Ta­rif­werks als auch ein­zel­ner Ta­rif­verträge oder ein­zel­ner Ta­rif­re­ge­lun­gen (et­wa den Ur­laub be­tref­fend) möglich und in der be­trieb­li­chen Pra­xis üblich. Da­bei sind die Par­tei­en des Ar­beits­ver­trags frei, auch ei­nen Kol­lek­tiv­ver­trag in Be­zug zu neh­men, der sei­nem ei­ge­nen Gel­tungs­be­reich nach das Ar­beits­verhält­nis nicht er­fas­sen würde, zB ei­nen bran­chen- oder orts­frem­den Ta­rif­ver­trag. Die Re­ge­lun­gen des Kol­lek­tiv­ver­trags, die im Ar­beits­ver­trag ge­nannt sind, fin­den da­nach so auf das Ar­beits­verhält­nis An­wen­dung, als hätten die Par­tei­en des Ar­beits­ver­trags die­se pri­vat­au­to­nom ver­ein­bart. Sie wir­ken nicht nor­ma­tiv, dh. „von außen“ auf das Ar­beits­verhält­nis ein. Sie können durch die Ar­beits­ver­trags­par­tei­en je­der­zeit ein­ver­nehm­lich ab­geändert wer­den. Die Kol­lek­tiv­re­ge­lun­gen können auch in dy­na­mi­scher Wei­se in Be­zug ge­nom­men und so mit ih­rem je­wei­li­gen In­halt zum Ge­gen­stand des Ar­beits­ver­trags ge­macht wer­den. In glei­cher Wei­se können die Par­tei­en des Ar­beits­ver­trags auch an­de­re ex­ter­ne Re­ge­lungs­wer­ke, zB den sta­tis­ti­schen Le­bens­hal­tungs­kos­ten­in­dex, die für Be­am­te gel­ten­den Re­ge­lun­gen, die So­zi­al­ver­si­che­rungs­be­mes­sungs­gren­ze oder den Ba­sis­zins­satz der Eu­ropäischen Zen­tral­bank, in Be­zug neh­men.

b) Im Fall ei­nes Be­triebsüber­gangs wird der Er­wer­ber so ge­stellt, als hätte er die dem Ar­beits­verhält­nis zu­grun­de lie­gen­den pri­vat­au­to­no­men Wil­lens­erklärun­gen des Veräußerers ge­genüber dem Ar­beit­neh­mer selbst ab­ge­ge­ben und die Ver­ein­ba­run­gen in ei­ge­ner Per­son, dh. mit der Ver­wei­sung auf ein be­stimm­tes Ta­rif­werk oder Tei­le da­von in der je­wei­li­gen Fas­sung ab­ge­schlos­sen und zum In­halt des Ar­beits­ver­trags ge­macht. Da­bei bleibt der in­di­vi­du­al­ver­trag­li­che Cha­rak­ter der in Be­zug ge­nom­me­nen Kol­lek­tiv­re­ge­lun­gen er­hal­ten. Die Ver­ein­ba­run­gen des Ver­trags, auch die Ver­wei­sungs­klau­seln mit den dort ge­nann­ten Ta­rif­verträgen, können zum ei­nen vom Er­wer­ber je­der­zeit ein­ver­nehm­lich mit dem Ar­beit­neh­mer - auch zu des­sen Las­ten - ab­geändert wer­den. Ei­nes sach­li­chen Grun­des hierfür be­darf es nicht (vgl. BAG 23. Sep­tem­ber 2009 - 4 AZR 331/08 - Rn. 23, BA­GE 132, 169; 7. No­vem­ber 2007 - 5 AZR 1007/06 - Rn. 15, BA­GE 124, 345). Zum an­de­ren können sie nach deut­schem Recht mit­tels ei­ner Ände­rungskündi­gung des Er­wer­bers - un­ter Wah­rung der ge­setz­li­chen

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Vor­aus­set­zun­gen (§ 2 Kündi­gungs­schutz­ge­setz) - auch ge­gen den Wil­len des Ar­beit­neh­mers an­ge­passt wer­den.

4. Von die­sen pri­vat­au­to­nom be­gründe­ten Rech­ten und Pflich­ten sind die Ar­beits­be­din­gun­gen zu un­ter­schei­den, die auf­grund ei­nes kol­lek­tiv­recht­li­chen Ver­trags gel­ten. De­ren Gel­tung be­ruht nicht auf ei­ner Ei­ni­gung zwi­schen den Ar­beits­ver­trags­par­tei­en, son­dern in der Re­gel auf der Mit­glied­schaft bei­der Sei­ten in ei­ner ta­rif­sch­ließen­den Ko­ali­ti­on (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Ta­rif­ver­trags­ge­setz - TVG) oder auf ei­ner staat­li­chen All­ge­mein­ver­bind­li­cherklärung (§ 5 Abs. 4 TVG). Sind Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer auf­grund ih­rer Ver­bands­mit­glied­schaft an den­sel­ben Ta­rif­ver­trag ge­bun­den, gel­ten des­sen Be­din­gun­gen in dem Ar­beits­verhält­nis als Min­dest­ar­beits­be­din­gun­gen nor­ma­tiv, dh. un­mit­tel­bar und zwin­gend. Es be­darf - an­ders als zB im Recht des Ver­ei­nig­ten König­reichs, das der Ent­schei­dung des Ge­richts­hofs vom 18. Ju­li 2013 (- C-426/11 - [Alemo-Her­ron ua.]) zu­grun­de lag - kei­ner ge­son­der­ten in­di­vi­du­al­ver­trag­li­chen Ver­wei­sung (§ 4 Abs. 1 TVG). Ab­wei­chen­de Ver­ein­ba­run­gen der Ar­beits­ver­trags­part­ner sind dann le­dig­lich zu­guns­ten des Ar­beit­neh­mers oder mit Zu­stim­mung der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en wirk­sam (§ 4 Abs. 3 TVG).

Für den Fall des Be­triebsüber­gangs hat der na­tio­na­le Ge­setz­ge­ber in § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB be­stimmt, dass Rech­te und Pflich­ten, die in ei­nem Kol­lek­tiv­ver­trag ge­re­gelt sind und auf die­se Wei­se als Min­dest­be­din­gun­gen im Ar­beits­verhält­nis mit dem Veräußerer un­mit­tel­bar und zwin­gend gel­ten, im Ar­beits­verhält­nis mit ei­nem nicht an den­sel­ben Ta­rif­ver­trag ge­bun­de­nen Er­wer­ber nur sta­tisch, al­so mit dem Re­ge­lungs­be­stand zum Zeit­punkt des Be­triebsüber­gangs, den In­halt des Ar­beits­verhält­nis­ses wei­ter be­stim­men. Ent­spre­chend Art. 3 Abs. 3 RL 2001/23 gilt dies je­doch nur für den Fall, dass die Ar­beits­ver­trags­par­tei­en nach dem Be­triebsüber­gang nicht ge­mein­sam an ei­nen an­de­ren Ta­rif­ver­trag ge­bun­den sind (§ 613a Abs. 1 Satz 3 BGB). Die nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB über­ge­gan­ge­nen sta­ti­schen Be­din­gun­gen können vor Ab­lauf ei­nes Jah­res nur un­ter be­stimm­ten Vor­aus­set­zun­gen zu­las­ten des Ar­beit­neh­mers geändert wer­den, nämlich wenn der auf die­se be­son­de­re Wei­se sta­tisch wei­ter­gel­ten­de Ta­rif­ver­trag ins­ge­samt en­det oder wenn die Par­tei­en des

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Ar­beits­verhält­nis­ses sich dar­auf ei­ni­gen, dass ein an­de­rer Ta­rif­ver­trag, des­sen Gel­tungs­be­reich das Ar­beits­verhält­nis um­fasst, auf die­ses An­wen­dung fin­den soll (§ 613a Abs. 1 Satz 4 BGB).

5. Auf­grund der Un­ter­schei­dung von ar­beits­ver­trag­lich be­gründe­ten Rech­ten und Pflich­ten auf der ei­nen und un­mit­tel­bar und zwin­gend gel­ten­den Kol­lek­tiv­nor­men auf der an­de­ren Sei­te kann es zu ei­nem Ne­ben­ein­an­der sol­cher Re­ge­lun­gen für ein Ar­beits­verhält­nis kom­men. Sind die Re­ge­lun­gen ei­nes Kol­lek­tiv­ver­trags auf­grund pri­vat­au­to­no­mer Ver­ein­ba­rung In­halt des Ar­beits­verhält­nis­ses ge­wor­den und gel­ten gleich­zei­tig die hier­von ab­wei­chen­den Nor­men ei­nes an­de­ren Kol­lek­tiv­ver­trags auf­grund bei­der­sei­ti­ger Mit­glied­schaft in der je­wei­li­gen ta­rif­sch­ließen­den Ko­ali­ti­on un­mit­tel­bar und zwin­gend, wird die­se Kol­li­si­on durch das ge­setz­lich ge­re­gel­te Güns­tig­keits­prin­zip (§ 4 Abs. 3 TVG) gelöst. Da­nach kom­men die auf­grund der Ver­wei­sungs­klau­sel, dh. auf­grund pri­vat­au­to­no­mer Ver­ein­ba­rung zum In­halt des Ar­beits­ver­trags ge­mach­ten kol­lek­tiv­ver­trag­li­chen Re­ge­lun­gen dann zur An­wen­dung im Ar­beits­verhält­nis, wenn sie für den Ar­beit­neh­mer güns­ti­ger sind als die un­mit­tel­bar und zwin­gend gel­ten­den Ta­rif­nor­men (vgl. BAG 22. April 2009 - 4 AZR 100/08 - BA­GE 130, 237; 29. Au­gust 2007 - 4 AZR 767/06 - BA­GE 124, 34).

C. Ent­schei­dungs­er­heb­lich­keit und Erläute­rung der Vor­la­ge­fra­gen 

I. Zur Zulässig­keit der Vor­la­ge

Der Rechts­streit be­trifft zwar ei­nen rein in­ner­staat­li­chen Sach­ver­halt und ist un­ter Be­ach­tung der na­tio­na­len Re­ge­lun­gen des § 613a Abs. 1 BGB zu ent­schei­den. Die na­tio­na­le Re­ge­lung dient je­doch der Um­set­zung der RL 2001/23 bzw. der (Vorgänger-)Richt­li­nie RL 77/187 und ist des­halb richt­li­ni­en­kon­form aus­zu­le­gen und ent­spre­chend an­zu­wen­den (vgl. da­zu EuGH 7. No­vem­ber 2013 - C-522/12 - [Is­bir] Rn. 28).

II. Zu den Vor­la­ge­fra­gen all­ge­mein

Das Aus­gangs­ver­fah­ren be­trifft die Fra­ge, ob bei ei­nem Be­triebsüber­gang al­le in­di­vi­du­al­ver­trag­li­chen Ver­ein­ba­run­gen zwi­schen dem Ar­beit­neh­mer

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und dem Veräußerer des Be­triebs in un­veränder­ter Form auf das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen dem Ar­beit­neh­mer und dem Er­wer­ber des Be­triebs so über­ge­hen, als hätte die­ser sie selbst mit dem Ar­beit­neh­mer ver­ein­bart. Da­bei ist fer­ner strei­tig, ob dies auch für ei­ne rein ver­trag­li­che Ver­ein­ba­rung zwi­schen Veräußerer und Ar­beit­neh­mer gilt, wo­nach die Re­ge­lun­gen ei­nes be­stimm­ten Ta­rif­ver­trags in sei­ner je­wei­li­gen (dy­na­mi­schen) Fas­sung In­halt des Ar­beits­ver­trags sind. Im Aus­gangs­ver­fah­ren ist da­bei auch von Be­deu­tung, dass der im Ar­beits­ver­trag in Be­zug ge­nom­me­ne Ta­rif­ver­trag nach sei­nen ei­ge­nen Gel­tungs­be­reichs­be­stim­mun­gen nor­ma­tiv we­der für den Veräußerer noch für den Er­wer­ber gel­ten konn­te und er des­halb im Ar­beits­verhält­nis be­reits vor dem Be­triebsüber­gang aus­sch­ließlich auf­grund der ver­trag­li­chen Ver­ein­ba­rung an­zu­wen­den war. Nach na­tio­na­lem Recht sind die Re­ge­lun­gen ei­nes in­di­vi­du­al­ver­trag­lich in Be­zug ge­nom­me­nen Kol­lek­tiv­ver­trags Teil der Rech­te und Pflich­ten des Ar­beits­ver­trags, die im Fal­le ei­nes Be­triebsüber­gangs nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB un­verändert auf den Er­wer­ber über­ge­hen. Ob dies auch nach Art. 3 RL 2001/23 der Fall ist, er­scheint dem vor­le­gen­den Ge­richt un­ter Berück­sich­ti­gung der Recht­spre­chung des EuGH nicht hin­rei­chend geklärt.

1. Der Ge­richts­hof hat in der Rechts­sa­che Alemo-Her­ron ua. (18. Ju­li 24 2013 - C-426/11 -) ent­schie­den, Art. 3 RL 2001/23 sei da­hin ge­hend aus­zu­le­gen, dass es ei­nem Mit­glied­staat ver­wehrt sei vor­zu­se­hen, dass die Klau­seln, die dy­na­misch auf nach dem Zeit­punkt des Über­gangs ver­han­del­te und ab­ge­schlos­se­ne Kol­lek­tiv­verträge ver­wie­sen, ge­genüber dem Er­wer­ber durch­setz­bar sei­en, wenn die­ser nicht die Möglich­keit ha­be, an den Ver­hand­lun­gen über die­se nach dem Über­gang ab­ge­schlos­se­nen Kol­lek­tiv­verträge teil­zu­neh­men. Art. 3 RL 2001/23 sei im Ein­klang mit Art. 16 der Char­ta zur un­ter­neh­me­ri­schen Frei­heit aus­zu­le­gen. Dem Be­triebs­er­wer­ber müsse es möglich sein, im Rah­men ei­nes zum Kol­lek­tiv­ver­trags­ab­schluss führen­den Ver­fah­rens, an dem er be­tei­ligt ist, sei­ne In­ter­es­sen wirk­sam gel­tend zu ma­chen und die die Ent­wick­lung der Ar­beits­be­din­gun­gen sei­ner Ar­beit­neh­mer be­stim­men­den Fak­to­ren mit Blick auf sei­ne künf­ti­ge wirt­schaft­li­che Tätig­keit aus­zu­han­deln. Sei dies nicht möglich, sei die Ver­trags­frei­heit des Be­triebs­er­wer­bers in ei­nem Aus­maß re­du­ziert, dass

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dies den We­sens­ge­halt sei­nes Grund­rechts auf un­ter­neh­me­ri­sche Frei­heit be­ein­träch­ti­gen könn­te (EuGH 18. Ju­li 2013 - C-426/11 - [Alemo-Her­ron ua.] Rn. 31 ff.).

2. Nach dem Verständ­nis des vor­le­gen­den Ge­richts können die vom Ge­richts­hof ge­trof­fe­nen Aus­sa­gen nicht oh­ne Wei­te­res auf pri­vat­au­to­nom ver­ein­bar­te Ver­wei­sungs­klau­seln iSd. na­tio­na­len Ver­trags­rechts über­tra­gen wer­den. Für die Aus­le­gung von Uni­ons­recht ist je­doch al­lein der Ge­richts­hof zuständig (Art. 19 EUV).

a) Für die Be­ant­wor­tung der Vor­la­ge­fra­gen ist aus Sicht des vor­le­gen­den Ge­richts die Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen den Vor­aus­set­zun­gen und Rechts­fol­gen von Art. 3 Abs. 1 und Abs. 3 RL 2001/23 von grund­le­gen­der Be­deu­tung. Sind Re­ge­lun­gen ei­nes Kol­lek­tiv­ver­trags al­lein auf­grund ei­ner pri­vat­au­to­nom zwi­schen den Ar­beits­ver­trags­par­tei­en ver­ein­bar­ten Ver­wei­sungs­klau­sel zum In­halt des Ar­beits­ver­trags ge­wor­den, ge­bie­tet Art. 3 Abs. 1 RL 2001/23 wie § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB nach dem Verständ­nis des vor­le­gen­den Ge­richts de­ren ge­genüber dem bis­he­ri­gen Rechts­zu­stand un­veränder­te Fort­wir­kung im Fal­le des Be­triebsüber­gangs.

b) Art. 3 Abs. 3 RL 2001/23 re­gelt dem­ge­genüber ei­ne an­de­re Kon­stel­la­ti­on. Nach Auf­fas­sung des vor­le­gen­den Ge­richts sind in Art. 3 Abs. 3 der Richt­li­nie die­je­ni­gen Kol­lek­tiv­verträge ge­meint, die nach der Re­ge­lungs­ab­sicht der Kol­lek­tiv­ver­trags­par­tei­en das Ar­beits­verhält­nis sei­ner Art nach auch er­fas­sen wol­len und können. Nach dem Wort­laut der Vor­schrift sol­len die Ar­beits­be­din­gun­gen so auf­recht­er­hal­ten wer­den, „wie sie in dem Kol­lek­tiv­ver­trag für den Veräußerer vor­ge­se­hen wa­ren“. Die Be­stim­mung soll da­mit gewähr­leis­ten, dass trotz des Be­triebsüber­gangs die kol­lek­tiv­recht­lich ge­re­gel­ten Ar­beits­be­din­gun­gen so fort­wir­ken, „wie sie von den Par­tei­en des Kol­lek­tiv­ver­trags ge­wollt wa­ren“ (EuGH 27. No­vem­ber 2008 - C-396/07 - [Ju­uri] Rn. 33, Slg. 2008, I-8883). Die nach der Richt­li­nie zu wah­ren­den Ansprüche gründen in die­sen Kon­stel­la­tio­nen auf dem übe­rein­stim­men­den Wil­len der Kol­lek­tiv­ver­trags­par­tei­en, die für

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ih­re Mit­glie­der un­mit­tel­bar und zwin­gend gel­ten­de Ar­beits­be­din­gun­gen ver­ein­ba­ren.

c) Die­se Kon­stel­la­ti­on liegt je­doch nicht vor, wenn die Ver­trags­par­tei­en ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses die Re­ge­lun­gen ei­nes Kol­lek­tiv­ver­trags pri­vat­au­to­nom zum In­halt ih­res in­di­vi­du­el­len Ar­beits­ver­trags ma­chen. Das wird be­son­ders deut­lich, wenn sie ei­nen Kol­lek­tiv­ver­trag in Be­zug neh­men, der nach sei­nem ei­ge­nen Gel­tungs­be­reich auf das Ar­beits­verhält­nis grundsätz­lich und auch schon beim Veräußerer kol­lek­tiv­recht­lich gar kei­ne An­wen­dung fin­den kann, zB weil er die Ar­beits­verhält­nis­se ei­ner an­de­ren Bran­che re­gelt. Dann sind die Ar­beits­be­din­gun­gen be­reits für den Veräußerer nicht in dem Kol­lek­tiv­ver­trag „vor­ge­se­hen“. Der Wil­le der Par­tei­en des Kol­lek­tiv­ver­trags er­fasst die­ses Ar­beits­verhält­nis nicht und kann es auch nicht er­fas­sen, weil es außer­halb ih­rer Re­ge­lungs­macht steht, die sich - nach na­tio­na­lem Recht - nur auf die von ih­nen ge­re­gel­te Bran­che und die ta­rif­ge­bun­de­nen Ar­beits­verhält­nis­se be­zieht. Es kann bei ei­ner sol­chen rein ver­trag­li­chen Klau­sel des­halb nicht dar­auf an­kom­men, ob der Veräußerer oder der Er­wer­ber die Möglich­keit hat, auf die Ver­hand­lun­gen über die in Be­zug ge­nom­me­nen Kol­lek­tiv­verträge Ein­fluss zu neh­men.

d) Ein sol­cher Sach­ver­halt liegt dem Aus­gangs­ver­fah­ren zu­grun­de. Schon das veräußern­de Kon­zern­un­ter­neh­men gehörte nicht dem öffent­lich-recht­li­chen Sek­tor an. Es konn­te des­halb nicht Mit­glied des ta­rif­sch­ließen­den Ver­bands (Ver­ei­ni­gung der kom­mu­na­len Ar­beit­ge­ber­verbände) wer­den. Aus dem­sel­ben Grund wur­de das Ar­beits­verhält­nis schon vor dem Be­triebsüber­gang und wird auch da­nach nicht vom Gel­tungs­be­reich des in Be­zug ge­nom­me­nen Ta­rif­ver­trags er­fasst. Die­ser gilt nur für den öffent­li­chen Dienst. Trotz­dem ha­ben schon der Veräußerer selbst und die Kläge­rin pri­vat­au­to­nom ge­ra­de die­ses Ta­rif­werk gewählt, um es in dy­na­mi­scher Form zum In­halt des Ar­beits­verhält­nis­ses zu ma­chen. Da die Re­ge­lun­gen so­mit al­lein auf ver­trag­li­che Wei­se In­halt des Ar­beits­verhält­nis­ses mit dem Veräußerer ge­wor­den sind, kann auch der Er­wer­ber die für die Fort­set­zung sei­ner Tätig­keit er­for­der­li­chen An­pas­sun­gen mit­hil­fe

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der hierfür nach dem na­tio­na­len Recht vor­ge­se­he­nen ver­trags­recht­li­chen In­stru­men­ta­ri­en - zB Ände­rungs­ver­trag oder Ände­rungskündi­gung - vor­neh­men. Die Möglich­keit ei­ner Teil­nah­me an Ta­rif­ver­trags­ver­hand­lun­gen kann da­nach al­len­falls dann von Be­deu­tung sein, wenn dem Er­wer­ber die­se ver­trags­recht­li­chen An­pas­sungsmöglich­kei­ten nicht zur Verfügung ste­hen, son­dern die Gel­tung der Ta­rif­nor­men - an­ders als im Aus­gangs­fall - kol­lek­tiv­recht­lich, zB durch Mit­glied­schaft in ei­ner Ko­ali­ti­on, ver­mit­telt ist. An­dern­falls würde der ver­trag­lich ver­ein­bar­te In­halt des Ar­beits­verhält­nis­ses al­lein und aus­sch­ließlich durch den Be­triebsüber­gang zum Nach­teil des Ar­beit­neh­mers verändert. Ge­ra­de dies soll Art. 3 RL 2001/23 je­doch aus­sch­ließen.

3. Das Recht auf ne­ga­ti­ve Ver­ei­ni­gungs­frei­heit ist - eben­so wie in der Rechts­sa­che Alemo-Her­ron ua. (18. Ju­li 2013 - C-426/11 - Rn. 31) - nicht Ge­gen­stand des Ver­fah­rens. Nach deut­schem Recht kann die pri­vat­au­to­no­me Ver­ein­ba­rung der An­wen­dung ei­nes Ta­rif­ver­trags im Gan­zen oder in Tei­len oh­ne­hin nicht ge­gen die ne­ga­ti­ve Ver­ei­ni­gungs­frei­heit ei­nes der bei­den Ver­trags­part­ner ver­s­toßen (BAG 23. Sep­tem­ber 2009 - 4 AZR 331/08 - Rn. 27 bis 29, BA­GE 132, 169).

III. Zur Vor­la­ge­fra­ge I.1.

Das vor­le­gen­de Ge­richt ver­steht Art. 3 RL 2001/23 in der Wei­se, dass im Fal­le ei­nes Un­ter­neh­mens- oder Be­triebsüber­gangs auch uni­ons­recht­lich al­le zwi­schen dem Veräußerer und dem Ar­beit­neh­mer pri­vat­au­to­nom und in­di­vi­du­ell im Ar­beits­ver­trag ver­ein­bar­ten Rech­te und Pflich­ten un­verändert auf den Er­wer­ber über­ge­hen, so als hätte die­ser sie selbst mit dem Ar­beit­neh­mer ver­ein­bart. Für die­ses Verständ­nis spre­chen Sinn und Zweck der Richt­li­nie so­wie die Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs.

1. Nach dem drit­ten Erwägungs­grund die­nen die Vor­schrif­ten der RL 2001/23 da­zu, die Ar­beit­neh­mer bei ei­nem In­ha­ber­wech­sel zu schützen. Ins­be­son­de­re soll die Wah­rung ih­rer Ansprüche gewähr­leis­tet wer­den. Hier­von ist auch der Ge­richts­hof im­mer aus­ge­gan­gen (EuGH 28. Ja­nu­ar 2015 - C-688/13 - [Gim­na­sio De­por­tivo San An­drés] Rn. 34; 16. Ok­to­ber 2008

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- C-313/07 - [Kir­tru­na und Vi­ga­no] Rn. 36, Slg. 2008, I-7907; 6. No­vem­ber 2003 - C-4/01 - [Mar­tin ua.] Rn. 39, Slg. 2003, I-12859; 12. No­vem­ber 1992 - C-209/91 - [Rask und Chris­ten­sen] Rn. 26, Slg. 1992, I-5755). Die Ar­beit­neh­mer sol­len ihr Beschäfti­gungs­verhält­nis mit dem neu­en Ar­beit­ge­ber zu den Be­din­gun­gen fort­set­zen können, die mit dem Veräußerer ver­ein­bart wa­ren (zB EuGH 6. März 2014 - C-458/12 - [Ama­to­ri ua.] Rn. 49; 29. Ju­li 2010 - C-151/09 - [UGT-FSP] Rn. 40, Slg. 2010, I-7591; 27. No­vem­ber 2008 - C-396/07 - [Ju­uri] Rn. 28 mwN, Sgl. 2008, I-8883; 2. De­zem­ber 1999 - C-234/98 - [Al­len ua.] Rn. 20, Slg. 1999, I-8643). Die Richt­li­nie soll die Fort­set­zung des Ar­beits­ver­trags oder des Ar­beits­verhält­nis­ses mit dem Er­wer­ber in un­veränder­ter Form gewähr­leis­ten, um ei­ne Ver­schlech­te­rung der La­ge der be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer al­lein auf­grund des Über­gangs zu ver­hin­dern (EuGH 6. Sep­tem­ber 2011 - C-108/10 - [Scat­to­lon] Rn. 77, Slg. 2011, I-7491; 15. Sep­tem­ber 2010 - C-386/09 - [Bri­ot] Rn. 26 mwN, Slg. 2010, I-8471). Die­ser Über­gang er­folgt ip­so iu­re, dh. au­to­ma­tisch und oh­ne dass der even­tu­ell ent­ge­gen­ste­hen­de Wil­le ei­ner der Be­tei­lig­ten da­bei von Be­deu­tung ist (EuGH 14. No­vem­ber 1996 - C-305/94 - [Rots­art de Her­ta­ing] Rn. 18, Slg. 1996, I-5927). Ei­ne ein­ver­nehm­li­che Ände­rung, die an­sons­ten nach dem je­wei­li­gen na­tio­na­len Recht zwi­schen Veräußerer und Ar­beit­neh­mer ge­nau­so möglich sein muss wie zwi­schen Er­wer­ber und Ar­beit­neh­mer, darf nach der Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs nicht anläss­lich des Be­triebsüber­gangs ver­ein­bart wer­den. In­so­weit ist ei­ne Verkürzung der Rech­te der Ar­beit­neh­mer selbst mit ih­rer Zu­stim­mung un­zulässig (zB EuGH 6. No­vem­ber 2003 - C-4/01 - [Mar­tin ua.] Rn. 40, aaO; 10. Fe­bru­ar 1988 - C-324/86 - [Dad­dy’s Dance Hall] Rn. 15, Slg. 1988, 739). Das Recht und die Möglich­keit, ei­ne sol­che Ver­ein­ba­rung nach dem Be­triebsüber­gang mit dem Ar­beit­neh­mer zu tref­fen, in der zB die in­di­vi­du­al­recht­li­che Ver­wei­sung auf den Ta­rif­ver­trag geändert, auf­ge­ho­ben oder an­ge­passt wird, bleibt dem Er­wer­ber je­doch - an­ders als bei ei­ner kol­lek­tiv­ver­trag­li­chen nor­ma­ti­ven Gel­tung - je­der­zeit of­fen, wie dies auch vor­her dem Veräußerer möglich ge­we­sen war (EuGH 6. No­vem­ber 2003 - C-4/01 - [Mar­tin ua.] Rn. 42, aaO; 12. No­vem­ber 1992 - C-209/91 - [Rask und Chris­ten­sen] Rn. 28, 31, aaO). Die­ses Recht wird nicht an­ge­tas­tet. Es gehört

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viel­mehr zum Be­stand der auf den Er­wer­ber über­ge­hen­den „Rech­te und Pflich­ten“ aus dem Ar­beits­ver­trag nach Art. 3 Abs. 1 RL 2001/23.

2. Die­ser Schutz­zweck wird durch Art. 8 RL 2001/23 bestätigt. Da­nach wird die Möglich­keit der Mit­glied­staa­ten, für die Ar­beit­neh­mer güns­ti­ge­re Re­ge­lun­gen an­zu­wen­den, zu er­las­sen, zu fördern oder zu­zu­las­sen, durch die Richt­li­nie nicht ein­ge­schränkt (vgl. auch EuGH 28. Ja­nu­ar 2015 - C-688/13 - [Gim­na­sio De­por­tivo San An­drés] Rn. 56). Da­mit ist klar­ge­stellt, dass die RL 2001/23 ei­nen nicht zu un­ter­schrei­ten­den uni­ons­recht­li­chen Min­dest­stan­dard schaf­fen will, der der Si­che­rung der Ar­beit­neh­mer­rech­te bei ei­nem Be­triebsüber­gang dient. Na­tio­nal­staat­li­che Re­ge­lun­gen, die ei­ne für die Ar­beit­neh­mer güns­ti­ge­re Rechts­fol­ge vor­se­hen, sol­len durch die RL 2001/23 nicht ver­hin­dert wer­den.

3. Dem­ent­spre­chend ist es nicht Ziel der Richt­li­nie, ei­ne vollständi­ge Har­mo­ni­sie­rung auf dem Ge­biet des Ar­beit­neh­mer­schut­zes durch ein ein­heit­li­ches Schutz­ni­veau her­bei­zuführen. Sie soll viel­mehr si­cher­stel­len, dass die be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer in den Rechts­be­zie­hun­gen zum Er­wer­ber in glei­cher Wei­se geschützt sind, wie sie es vor dem Un­ter­neh­mensüber­gang ge­genüber dem Veräußerer wa­ren. Da­bei sind für das Maß des Schut­zes die je­wei­li­gen na­tio­na­len Rechts­vor­schrif­ten maßge­bend (EuGH 6. März 2014 - C-458/12 - [Ama­to­ri ua.] Rn. 41; 6. No­vem­ber 2003 - C-4/01 - [Mar­tin ua.] Rn. 41, Slg. 2003, I-12859; 12. No­vem­ber 1992 - C-209/91 - [Rask und Chris­ten­sen] Rn. 27, Slg. 1992, I-5755; 10. Fe­bru­ar 1988 - C-324/86 - [Dad­dy’s Dance Hall] Rn. 16, Slg. 1988, 739).

4. Wie oben dar­ge­stellt ist der Be­stands­schutz der Ar­beit­neh­mer be­tref­fend ih­re in­di­vi­du­ell aus­ge­han­del­ten Rech­te und Pflich­ten beim Be­triebsüber­gang nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB nach na­tio­na­lem Recht auch in­so­weit ent­spre­chend Art. 3 Abs. 1 RL 2001/23 aus­ge­stal­tet, als die­se in­di­vi­du­ell aus­ge­han­del­ten Rech­te und Pflich­ten - ganz oder teil­wei­se - auf Ar­beits­be­din­gun­gen ver­wei­sen, die der Be­stim­mung durch Drit­te über­las­sen sind, wie dies vor al­lem bei Kol­lek­tiv­verträgen der Fall ist. Be­son­ders deut­lich wird dies vor dem

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Hin­ter­grund, dass die Ver­wei­sung auf Re­ge­lun­gen aus Kol­lek­tiv­verträgen im Ar­beits­ver­trag häufig nur ergänzen­de Funk­ti­on ha­ben und nur so­weit rei­chen sol­len, wie die Ar­beits­verträge selbst kei­ne ei­genständi­ge Re­ge­lung ge­trof­fen ha­ben (vgl. da­zu BAG 11. De­zem­ber 2013 - 4 AZR 473/12 - Rn. 18, BA­GE 147, 41). Da­mit ist die Ver­wei­sung auf den Kol­lek­tiv­ver­trag ein un­selbstständi­ger Be­stand­teil ei­nes En­sem­bles von Ver­trags­be­din­gun­gen, die zwi­schen Veräuße-rer und Ar­beit­neh­mer pri­vat­au­to­nom ver­ein­bart wor­den sind.

So­weit da­ge­gen die un­mit­tel­ba­re und zwin­gen­de Wir­kung von Kol­lek­tiv­verträgen den In­halt des Ar­beits­verhält­nis­ses mit dem Veräußerer be­stimmt, ist der Ar­beit­neh­mer­schutz - ab­wei­chend von Art. 3 Abs. 1 RL 2001/23 - ent­spre­chend Art. 3 Abs. 3 RL 2001/23 ein­ge­schränkt und un­ter­liegt auch nach na­tio­na­lem Recht den in der Richt­li­nie fest­ge­leg­ten Maßga­ben. Nach dem Verständ­nis des vor­le­gen­den Ge­richts ist von die­ser Zu­ord­nung der je­weils un­ter­schied­lich be­gründe­ten und in der Fol­ge un­ter­schied­lich geschütz­ten Rechts­po­si­tio­nen der Ar­beit­neh­mer beim Be­triebsüber­gang, wie sie im na­tio­na­len Recht der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land - und in­so­fern deut­lich ab­wei­chend von der Rechts­la­ge im Ver­ei­nig­ten König­reich - ge­re­gelt ist, dem­nach auch bei der Aus­le­gung und An­wen­dung der Richt­li­nie aus­zu­ge­hen.

5. So­weit der Ge­richts­hof in den Ent­schei­dun­gen Alemo-Her­ron ua. (18. Ju­li 2013 - C-426/11 - Rn. 25) und Öster­rei­chi­scher Ge­werk­schafts­bund (11. Sep­tem­ber 2014 - C-328/13 - Rn. 29) dar­auf hin­ge­wie­sen hat, die Richt­li­nie die­ne nicht nur dem Schutz der Ar­beit­neh­mer­inter­es­sen, son­dern sie sol­le auch ei­nen ge­rech­ten Aus­gleich zwi­schen den In­ter­es­sen der Ar­beit­neh­mer ei­ner­seits und de­nen des Er­wer­bers an­de­rer­seits gewähr­leis­ten, geht das vor­le­gen­de Ge­richt da­von aus, dass dem kein ab­wei­chen­des Verständ­nis der Richt­li­nie zu­grun­de liegt. Der Ar­beit­neh­mer­schutz ist in die­sem Sin­ne als Grund und Recht­fer­ti­gung für die par­ti­el­le - und in Art. 3 Abs. 1 und Abs. 3 RL 2001/23 un­ter Berück­sich­ti­gung der be­tei­lig­ten In­ter­es­sen un­ter­schied­lich ge­re­gel­te - Be­schränkung der Un­ter­neh­mer­frei­heit zu ver­ste­hen. Die - auch durch die Char­ta geschütz­ten - Er­wer­ber­in­ter­es­sen fin­den in der Be­triebsüber­g­angs­richt-li­nie aus­drück­lich Berück­sich­ti­gung, wie ins­be­son­de­re Art. 3 Abs. 3 und Abs. 4

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RL 2001/23 zei­gen. Ei­ner un­be­schränk­ten Ausübung der un­ter­neh­me­ri­schen Frei­heit des er­wer­ben­den Ar­beit­ge­bers steht ge­ra­de der drit­te Erwägungs­grund der RL 2001/23 ent­ge­gen, nach dem die Be­stim­mun­gen der Richt­li­nie für den Ar­beit­neh­mer­schutz bei ei­nem In­ha­ber­wech­sel „not­wen­dig“ sind. Würden be­stimm­te in­di­vi­du­ell zwi­schen Veräußerer und Ar­beit­neh­mer aus­ge­han­del­te Rech­te und Pflich­ten von die­ser Ver­pflich­tung aus­ge­nom­men wer­den, würde dies dem Art. 3 Abs. 1 RL 2001/23 sei­ne vol­le Wir­kung neh­men.

IV. Zu Vor­la­ge­fra­ge I.2.

Soll­te der Ge­richts­hof Art. 3 der RL 2001/23 in der Wei­se aus­le­gen, dass be­stimm­te pri­vat­au­to­nom ver­ein­bar­te Ar­beits­ver­trags­be­din­gun­gen nicht un­verändert auf den Er­wer­ber über­ge­hen, würde dies nach dem Verständ­nis des vor­le­gen­den Ge­richts be­deu­ten, dass die­se Be­din­gun­gen al­lein auf­grund des Un­ter­neh­mens- oder Be­triebsüber­gangs an­zu­pas­sen sind bzw. an­ge­passt wer­den. Der Ge­richts­hof hat aber selbst ei­ne ein­ver­nehm­li­che Ände­rung als durch den Be­triebsüber­gang ver­an­lasst ge­se­hen, in der der Er­wer­ber die Ver­trags­be­din­gun­gen „schlicht und ein­fach den­je­ni­gen Be­din­gun­gen [an­ge­passt hat], die im Zeit­punkt des Über­gangs für die an­de­ren Beschäftig­ten des Er­wer­bers gal­ten“. Ei­ne sol­che Ände­rung des Ar­beits­verhält­nis­ses hänge mit dem Über­gang zu­sam­men und stel­le des­halb ei­nen Ver­s­toß ge­gen das in Art. 3 Abs. 1 RL 2001/23 ge­re­gel­te Be­stands­schutz­ge­bot dar (EuGH 6. No­vem­ber 2003 - C-4/01 - [Mar­tin ua.] Rn. 48, Slg. 2003, I-12859). Dies scheint ge­gen die An­nah­me zu spre­chen, dass bei ei­nem Un­ter­neh­mensüber­gang schon al­lein die An­wen­dung der RL 2001/23 auf die ver­trag­li­chen Be­din­gun­gen des Ar­beits­verhält­nis­ses da­zu führen kann, dass die­se zum Nach­teil des Ar­beit­neh­mers ge­genüber den mit dem Veräußerer be­ste­hen­den Be­din­gun­gen ver­schlech­tert wer­den. Die nach na­tio­na­lem Recht für den Er­wer­ber wei­ter­hin - wie vor­her für den Veräußerer - ge­ge­be­ne Möglich­keit ei­ner ein­ver­nehm­li­chen oder gar ein­sei­ti­gen Ände­rung der Ver­trags­be­din­gun­gen bleibt vom Be­triebsüber­gang bzw. der da­bei an­zu­wen­den­den Re­ge­lung des Art. 3 RL 2001/23 un­berührt.

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Ei­ne dem even­tu­ell ent­ge­gen­ste­hen­de Auf­fas­sung, nach der be­stimm­te pri­vat­au­to­nom ver­ein­bar­te Ver­trags­be­din­gun­gen zwi­schen Veräußerer und Ar­beit­neh­mern beim Über­gang nicht nach Art. 3 Abs. 1 RL 2001/23 un­verändert über­ge­hen, son­dern ei­ner in­halt­li­chen Mo­di­fi­ka­ti­on un­ter­zo­gen würden, ist aus Sicht des vor­le­gen­den Ge­richts bis­her nicht aus der An­wen­dung der Richt­li­nie ge­fol­gert wor­den. Für den Fall der Be­ja­hung der Vor­la­ge­fra­ge I.1. wären die Kri­te­ri­en un­geklärt, nach de­nen zwi­schen Ver­trags­be­din­gun­gen, die un­verändert über­ge­hen, und - als un­ge­schrie­be­ne Aus­nah­me von Art. 3 Abs. 1 RL 2001/23 - Ver­trags­be­din­gun­gen, die nur in veränder­ter Form zwi­schen Er­wer­ber und Ar­beit­neh­mer gel­ten, zu un­ter­schei­den ist.

V. Zur Vor­la­ge­fra­ge I.3.

Soll­te der Ge­richts­hof an­neh­men, Art. 3 der RL 2001/23 ste­he ei­ner Re­ge­lung ent­ge­gen, die den un­veränder­ten Über­gang ei­ner pri­vat­au­to­nom ver­ein­bar­ten Ver­wei­sung auf ei­nen Kol­lek­tiv­ver­trag vor­sieht, die des­sen Re­ge­lun­gen in dy­na­mi­scher Wei­se zum In­halt des Ar­beits­ver­trags macht, stellt sich im Aus­gangs­ver­fah­ren die wei­te­re Fra­ge, ob dies auch dann gilt, wenn be­reits der Veräußerer nicht Par­tei des Kol­lek­tiv­ver­trags ist oder ei­ner sol­chen Par­tei an­gehört und wenn der Veräußerer und der Er­wer­ber zu ei­nem Kon­zern gehören.

1. Hat der Veräußerer - wie im Aus­gangs­ver­fah­ren - ei­ne Be­zug­nah­me­klau­sel auf ei­nen Kol­lek­tiv­ver­trag in dy­na­mi­scher Form ver­ein­bart, ob­wohl er nicht Mit­glied der ta­rif­sch­ließen­den Par­tei ist und es auch nicht wer­den kann, hat be­reits er - und nicht erst der Er­wer­ber - kei­ne Möglich­keit an den Ta­rif­ver­hand­lun­gen teil­zu­neh­men. Gleich­wohl ist er nach na­tio­na­lem Recht auf­grund pri­vat­au­to­no­mer Ent­schei­dung an die in Be­zug ge­nom­me­nen Ta­rif­re­ge­lun­gen ge­bun­den wie an je­de an­de­re Ver­ein­ba­rung des Ar­beits­ver­trags. Für den Er­wer­ber, der das Un­ter­neh­men oder den Be­trieb auf­grund pri­vat­au­to­no­mer Ent­schei­dung er­wirbt, kann nach dem Verständ­nis des vor­le­gen­den Ge­richts nichts an­de­res gel­ten.

Die Bin­dung an die auf­grund pri­vat­au­to­no­mer Ver­ein­ba­rung zum In­halt des Ar­beits­ver­trags ge­wor­de­nen Kol­lek­tiv­re­ge­lun­gen führt - an­ders als in dem

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dem Vor­ab­ent­schei­dungs­ver­fah­ren Alemo-Her­ron ua. zu­grun­de lie­gen­den Fall - nicht da­zu, dass der Er­wer­ber kei­ne Möglich­keit hätte, sich von den in Be­zug ge­nom­me­nen Ar­beits­be­din­gun­gen zu lösen (zu die­sem Er­for­der­nis vgl. EuGH 11. Sep­tem­ber 2014 - C-328/13 - [Öster­rei­chi­scher Ge­werk­schafts­bund] Rn. 29; 18. Ju­li 2013 - C-426/11 - [Alemo-Her­ron ua.] Rn. 33 ff.). Viel­mehr kann die­ser nach deut­schem Recht mit dem Ar­beit­neh­mer oh­ne Wei­te­res ei­ne an­de­re Ab­ma­chung tref­fen. Auch hat er die Möglich­keit, ei­ne Ände­rungskündi­gung zu erklären und so­mit den In­halt des Ar­beits­ver­trags durch ein­sei­ti­ge Wil­lens­erklärung zu ändern. Auf die­se Wei­se ist nach na­tio­na­lem Recht gewähr­leis­tet, dass er - un­ter an­ge­mes­se­ner Wah­rung der Ar­beit­neh­mer­inter­es­sen (§ 2 Kündi­gungs­schutz­ge­setz) - die für sei­ne künf­ti­ge wirt­schaft­li­che Tätig­keit not­wen­di­gen An­pas­sun­gen vor­neh­men kann. Der Er­wer­ber kann die Rech­te und Pflich­ten aus dem Ar­beits­verhält­nis, in das er ein­tritt, in dem­sel­ben Um­fang und auf die­sel­be Wei­se ändern, wie dies dem Veräußerer möglich war (EuGH 14. Sep­tem­ber 2002 - C-343/98 - [Col­li­no und Chiap­pe­ro] Rn. 52, Slg. 2002, I-6659).

So­weit der Ge­richts­hof in der Rechts­sa­che Alemo-Her­ron ua. dem Um stand be­son­de­re Be­deu­tung bei­ge­mes­sen hat, dass es sich um den Über­gang ei­nes Un­ter­neh­mens vom öffent­li­chen auf den pri­va­ten Sek­tor han­del­te (EuGH 18. Ju­li 2013 - C-426/11 - Rn. 26 f.), ist für das hie­si­ge Aus­gangs­ver­fah­ren auf ei­nen wei­te­ren we­sent­li­chen tatsächli­chen Un­ter­schied hin­zu­wei­sen. Der Veräußerer gehörte selbst nie dem öffent­li­chen Dienst an. Gleich­wohl hat er in dem pri­vat­au­to­nom ge­schlos­se­nen Ar­beits­ver­trag auf die dort nor­ma­tiv gel­ten­den Ta­rif­verträge für das Ar­beits­verhält­nis mit der Kläge­rin ver­wie­sen und sie so zum In­halt des Ar­beits­ver­trags ge­macht, ob­wohl sie die Ar­beits­be­din­gun­gen ei­ner an­de­ren Bran­che re­geln. Auf ein bei dem Er­wer­ber we­gen des Über­gangs vom öffent­li­chen auf den pri­va­ten Sek­tor be­ste­hen­des An­pas­sungs­bedürf­nis kann des­halb vor­lie­gend nicht ab­ge­stellt wer­den.

2. Aus Sicht des vor­le­gen­den Ge­richts ist es an­ge­sichts des Re­ge­lungs­ziels der RL 2001/23 auch von Be­deu­tung, dass der Be­triebsüber­gang im Aus-

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gangs­ver­fah­ren von ei­ner Kon­zern­toch­ter­ge­sell­schaft auf ei­ne an­de­re er­folgt ist. Dar­auf be­zieht sich die Vor­la­ge­fra­ge I.3.b.

a) Nach der Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs gel­ten die Vor­schrif­ten der RL 2001/23 glei­cher­maßen für ei­nen Be­triebsüber­gang zwi­schen Kon­zern­un­ter­neh­men. Ei­ne Lösung, die da­zu führen würde, Übergänge zwi­schen Ge­sell­schaf­ten des­sel­ben Kon­zerns vom An­wen­dungs­be­reich der Richt­li­nie aus­zu­sch­ließen, würde de­ren Ziel, die Auf­recht­er­hal­tung der Rech­te der Ar­beit­neh­mer bei ei­nem Wech­sel des Un­ter­neh­mens­in­ha­bers so­weit wie möglich zu gewähr­leis­ten, zu­wi­der­lau­fen (EuGH 6. März 2014 - C-458/12 - [Ama­to­ri ua.] Rn. 49; 2. De­zem­ber 1999 - C-234/98 - [Al­len ua.] Rn. 20, Slg. 1999, I-8643).

b) Wäre die Richt­li­nie da­hin ge­hend zu ver­ste­hen, dass der Be­triebs­er­wer­ber an be­stimm­te In­hal­te des Ar­beits­ver­trags nicht ge­bun­den ist, die der Be­triebs­veräußerer pri­vat­au­to­nom mit dem Ar­beit­neh­mer ver­ein­bart hat­te, wäre es dem Ar­beit­ge­ber oh­ne Wei­te­res möglich, sich von die­sen - pri­vat­au­to­nom ein­ge­gan­ge­nen - ar­beits­ver­trag­li­chen Ver­pflich­tun­gen da­durch zu lösen, dass er sei­nen Be­trieb auf ein an­de­res Kon­zern­un­ter­neh­men ver­la­gert. An­ge­sichts des bei ei­nem Kon­zern vor­lie­gen­den ein­heit­li­chen Ver­hal­tens der Kon­zern­ge­sell­schaf­ten auf dem Markt (EuGH 6. März 2014 - C-458/12 - [Ama­to­ri ua.] Rn. 49) bzw. der nach deut­schem Recht bei ei­nem Kon­zern vor­lie­gen­den ein­heit­li­chen Lei­tung (§ 18 Ak­ti­en­ge­setz) sind Be­triebs- oder Be­triebs­teilüber­tra­gun­gen in­ner­halb ei­nes Kon­zerns struk­tu­rell ein­fa­cher zu ge­stal­ten als zwi­schen Un­ter­neh­men, die nicht ei­ner ein­heit­li­chen Lei­tung un­ter­lie­gen. Die­sen Be­son­der­hei­ten ei­ner Kon­zern­ver­bin­dung hat der Ge­richts­hof in der Ent­schei­dung Al­bron Ca­te­ring da­durch Rech­nung ge­tra­gen, dass im Ein­zel­fall auch ein dem­sel­ben Kon­zern wie der Ver­trags­ar­beit­ge­ber an­gehören­des Un­ter­neh­men als „nicht­ver­trag­li­cher Ar­beit­ge­ber“ an­zu­se­hen sein könn­te (EuGH 21. Ok­to­ber 2010 - C-242/09 - Rn. 31, Slg. 2010, I-10309). An­ge­sichts des Schutz­zwecks der RL 2001/23 er­schie­ne es pro­ble­ma­tisch, wenn man es ei­ner nicht ta­rif­ge­bun­de­nen Kon­zern­toch­ter­ge­sell­schaft, die die dy­na­mi­sche An­wen­dung ei­nes für sie nicht gel­ten­den Kol­lek­tiv­ver­trags in ei­nem Ar­beits­verhält­nis pri­vat­au­to-

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nom ver­ein­bart hat, ermögli­chen würde, das Ar­beits­verhält­nis al­lein durch Über­tra­gung der be­tref­fen­den wirt­schaft­li­chen Ein­heit auf ei­ne an­de­re, eben­falls nicht ta­rif­ge­bun­de­ne Kon­zern­toch­ter­ge­sell­schaft von die­ser ver­trag­li­chen Ver­pflich­tung zu be­frei­en und sie hier­zu nicht auf die dafür nach na­tio­na­lem Recht zur Verfügung ste­hen­den ver­trag­li­chen Mit­tel ei­ner ein­ver­nehm­li­chen oder ein­sei­ti­gen Ver­tragsände­rung zu ver­wei­sen.

VI. Zur Vor­la­ge­fra­ge II. 

Fer­ner möch­te das vor­le­gen­de Ge­richt wis­sen, ob Art. 16 der Char­ta ei­ner in Um­set­zung der RL 2001/23 er­las­se­nen na­tio­na­len Re­ge­lung ent­ge­gen­steht, die vor­sieht, dass bei ei­nem Un­ter­neh­mens- oder Be­triebsüber­gang der Er­wer­ber an die vom Veräußerer mit dem Ar­beit­neh­mer vor dem Be­triebsüber­gang pri­vat­au­to­nom und in­di­vi­du­al­ver­trag­lich als In­halt des Ar­beits­ver­trags be­stimm­ten Re­ge­lun­gen so ge­bun­den ist, als ha­be er sie selbst ver­ein­bart, so­fern das na­tio­na­le Recht so­wohl ein­ver­nehm­li­che als auch ein­sei­ti­ge An­pas­sungsmöglich­kei­ten für den Er­wer­ber vor­sieht.

1. Der Ge­richts­hof hat die Ent­schei­dung zur Rechts­sa­che Alemo-Her­ron ua. auch auf das sich aus Art. 16 der Char­ta er­ge­ben­de Grund­recht der Un­ter­neh­mer­frei­heit gestützt, wel­ches das Recht der Ver­trags­frei­heit be­inhal­tet. Sei es dem Er­wer­ber nicht möglich, im Rah­men ei­nes zum Ver­trags­ab­schluss führen­den Ver­fah­rens sei­ne In­ter­es­sen wirk­sam gel­tend zu ma­chen oder die die Ent­wick­lung der Ar­beits­be­din­gun­gen sei­ner Ar­beit­neh­mer be­stim­men­den Fak­to­ren mit Blick auf sei­ne künf­ti­ge wirt­schaft­li­che Tätig­keit aus­zu­han­deln, sei sei­ne Ver­trags­frei­heit so er­heb­lich re­du­ziert, dass hier­durch der We­sens­ge­halt des Rechts auf un­ter­neh­me­ri­sche Frei­heit be­ein­träch­tigt sein könne (EuGH 18. Ju­li 2013 - C-426/11 - [Alemo-Her­ron ua.] Rn. 32 ff.).

2. Auch wenn der An­wen­dungs­be­reich der Char­ta eröff­net sein soll­te, tref­fen nach dem Verständ­nis des vor­le­gen­den Ge­richts die­se Erwägun­gen nicht glei­cher­maßen auf den Fall zu, dass - wie im Aus­gangs­ver­fah­ren - die Ar­beits­ver­trags­par­tei­en in­di­vi­du­ell ver­ein­bart ha­ben, dass ein­zel­ne in­halt­li­che Be­stim-

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mun­gen des zwi­schen ih­nen be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis­ses sich dy­na­misch aus ei­nem ex­ter­nen Re­gel­werk er­ge­ben und wei­ter­ent­wi­ckeln sol­len.

a) Aus Sicht des vor­le­gen­den Ge­richts ist zwei­fel­haft, ob der An­wen­dungs­be­reich der Char­ta eröff­net ist. Der Ge­richts­hof hat in der Ent­schei­dung Alemo-Her­ron ua. aus­geführt, Art. 3 iVm. Art. 8 RL 2001/23 ver­weh­re es den Mit­glied­staa­ten, Maßnah­men zu er­las­sen, die zwar für die Ar­beit­neh­mer güns­ti­ger sei­en, aber den We­sens­ge­halt des Rechts des Er­wer­bers auf un­ter­neh­me­ri­sche Frei­heit be­ein­träch­ti­gen könn­ten (EuGH 18. Ju­li 2013 - C-426/11 - Rn. 36). Die Char­ta gilt nach ih­rem Art. 51 Abs. 1 aus­sch­ließlich bei der Durchführung des Rechts der Uni­on (EuGH 26. Fe­bru­ar 2013 - C-617/10 - [Åker­berg Frans­son] Rn. 17; 28. No­vem­ber 2013 - C-258/13 - [So­cie­da­de Agríco­la] Rn. 18). Des­halb er­scheint es dem vor­le­gen­den Ge­richt im Hin­blick auf die Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs nicht ab­sch­ließend geklärt, ob in je­dem Fall der Wahr­neh­mung der na­tio­na­len Kom­pe­tenz zu ergänzen­den ar­beit­neh­merschützen­den Maßnah­men iSv. Art. 8 RL 2001/23 ei­ne Durchführung von Uni­ons­recht iSv. Art. 51 Abs. 1 der Char­ta liegt. In­so­weit hat der Ge­richts­hof fest­ge­stellt, dass die Grund­rech­te der Uni­on im Verhält­nis zu ei­ner na­tio­na­len Re­ge­lung un­an­wend­bar sind, wenn die uni­ons­recht­li­chen Vor­schrif­ten in dem be­tref­fen­den Sach­ver­halt kei­ne Ver­pflich­tun­gen der Mit­glied­staa­ten im Hin­blick auf den frag­li­chen Sach­ver­halt schaf­fen (EuGH 6. März 2014 - C-206/13 - [Si­ra­gu­sa] Rn. 26; 10. Ju­li 2014 - C-198/13 - [Ju­li­an Hernández ua.] Rn. 35; 13. Ju­ni 1996 - C-144/95 - [Mau­rin] Rn. 12, Slg. 1996, I-2909). Dem An­wen­dungs­be­reich der Char­ta un­ter­liegt das Uni­ons­recht aus­sch­ließlich in den Gren­zen der der Uni­on über­tra­ge­nen Zuständig­kei­ten (EuGH 8. No­vem­ber 2012 - C-40/11 - [Ii­da] Rn. 78). Nach dem Wort­laut von Art. 8 RL 2001/23 schränkt die Richt­li­nie die Möglich­keit der Mit­glied­staa­ten nicht ein, für die Ar­beit­neh­mer güns­ti­ge­re Rechts­vor­schrif­ten an­zu­wen­den oder zu er­las­sen. Die Richt­li­nie setzt da­her die - un­abhängig von ihr be­ste­hen­de - Kom­pe­tenz der Mit­glied­staa­ten zu Re­ge­lun­gen in die­sem Be­reich vor­aus. Sie schafft in ih­ren vor­an­ge­gan­ge­nen Be­stim­mun­gen so­mit nur Min­dest­stan­dards, an die sämt­li­che Mit­glied­staa­ten auch nur in­so­weit ge­bun­den sind. So­weit die­se wei­ter ge­hen­de

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Maßnah­men er­grei­fen oder re­geln, han­delt es sich ge­ra­de nicht um ei­ne Ver­pflich­tung zur Um­set­zung von Uni­ons­recht. Es genügt auch nicht, dass die frag­li­chen Sach­be­rei­che be­nach­bart sind oder der ei­ne von ih­nen mit­tel­ba­re Aus­wir­kun­gen auf den an­de­ren ha­ben kann (EuGH 6. März 2014 - C-206/13 - [Si­ra­gu­sa] Rn. 24; 10. Ju­li 2014 - C-198/13 - [Ju­li­an Hernández ua.] Rn. 37).

b) Wenn man da­ge­gen von der An­nah­me aus­geht, es han­de­le sich bei der Aus­ge­stal­tung des Be­stands­schut­zes der Ar­beit­neh­mer beim Be­triebsüber­gang auch im Fal­le von Art. 8 RL 2001/23 um die An­wen­dung von Uni­ons­recht iSv. Art. 51 Abs. 1 der Char­ta, ist nach Auf­fas­sung des vor­le­gen­den Ge­richts durch sei­ne Aus­le­gung von § 613a Abs. 1 BGB das Grund­recht des Er­wer­bers aus Art. 16 der Char­ta nicht un­verhält­nismäßig be­ein­träch­tigt.

aa) Art. 16 der Char­ta er­kennt die un­ter­neh­me­ri­sche Frei­heit nach dem Uni­ons­recht und den ein­zel­staat­li­chen Rechts­vor­schrif­ten und Ge­pflo­gen­hei­ten an. Wie sich aus den Erläute­run­gen er­gibt, die als An­lei­tung für die Aus­le­gung der Char­ta ver­fasst wur­den (Abl. EU C 303 vom 14. De­zem­ber 2007 S. 17), um­fasst die­ses Grund­recht ins­be­son­de­re die Ver­trags­frei­heit, zu der ua. die freie Wahl des Geschäfts­part­ners und die Frei­heit, den Preis für ei­ne Leis­tung fest­zu­le­gen, gehört (EuGH 22. Ja­nu­ar 2013 - C-283/11 - [Sky Öster­reich] Rn. 43). Das ent­spricht dem Recht je­des Un­ter­neh­mens, in den Gren­zen sei­ner Ver­ant­wort­lich­keit für sei­ne ei­ge­nen Hand­lun­gen frei über sei­ne wirt­schaft­li­chen, tech­ni­schen und fi­nan­zi­el­len Res­sour­cen verfügen zu können (EuGH 27. März 2014 - C-314/12 - [UPC Te­le­ka­bel Wien] Rn. 49). Die Ver­trags­frei­heit be­inhal­tet nicht nur die Frei­heit, Verträge zu schließen, son­dern auch die Frei­heit, kei­ne Verträge zu schließen. Auch die - im vor­lie­gen­den Fall ge­ge­be­ne - Möglich­keit, be­ste­hen­de Verträge ein­ver­nehm­lich zu ändern, ist Be­stand­teil der grund­recht­lich geschütz­ten Ver­trags­frei­heit (EuGH 5. Ok­to­ber 1999 - C-240/97 - [Spa­ni­en/Kom­mis­si­on] Rn. 99, Slg. 1999, I-6571).

bb) Art. 3 Abs. 1 RL 2001/23 führt - eben­so wie § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB - zu ei­ner Ein­schränkung der Ver­trags­frei­heit. Zwar kann der Er­wer­ber ei­nes Un­ter­neh­mens oder Be­triebs oder ei­nes Teils da­von die ma­te­ri­el­len und im­ma­te­ri-

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el­len Be­triebs­mit­tel auf­grund frei­er Ent­schei­dung er­wer­ben, wenn er sich mit dem Veräußerer auf den hierfür zu zah­len­den Preis ge­ei­nigt hat. Die ge­nann­ten Re­ge­lun­gen ord­nen für den Fall, dass die er­wor­be­nen Be­triebs­mit­tel ei­ne wirt­schaft­li­che Ein­heit iSv. Art. 1 Abs. 1 RL 2001/23 bil­den, an, dass oh­ne Rück­sicht auf den Wil­len des Veräußerers oder des Er­wer­bers die an die­se Ein­heit ge­bun­de­nen Ar­beits­verhält­nis­se mit den dort ge­re­gel­ten Rech­ten und Pflich­ten des Veräußerers auf den Er­wer­ber über­ge­hen. Die Richt­li­nie soll ge­ra­de die Kon­ti­nuität der im Rah­men ei­ner wirt­schaft­li­chen Ein­heit be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis­se un­abhängig von ei­nem In­ha­ber­wech­sel gewähr­leis­ten (EuGH 20. No­vem­ber 2003 - C-340/01 - [Ab­ler ua.] Rn. 29, Slg. 2003, I-14023; vgl. auch oben Rn. 33). Dies ist nur dann möglich, wenn der Er­wer­ber an die Ge­samt­heit der im Ar­beits­verhält­nis ver­ein­bar­ten Rech­te und Pflich­ten ge­bun­den ist. Die­se Rechts­fol­ge ist nicht ab­ding­bar. Da­mit ist es dem Er­wer­ber nicht nur ver­wehrt, Ar­beits­verhält­nis­se nach sei­nem frei­en Wil­len zu über­neh­men oder nicht, son­dern auch we­gen des Un­ter­neh­mensüber­gangs die Ar­beits­be­din­gun­gen zu ändern (vgl. da­zu oben Rn. 33, 40).

cc) Die­se Ein­schränkung ver­letzt nach Auf­fas­sung des vor­le­gen­den Ge­richts nicht die von Art. 16 der Char­ta geschütz­te un­ter­neh­me­ri­sche Frei­heit und die in ihr ent­hal­ten­de Ver­trags­frei­heit.

(1) Art. 52 Abs. 1 der Char­ta lässt Ein­schränkun­gen der Ausübung der Rech­te und Frei­hei­ten - wie der un­ter­neh­me­ri­schen Frei­heit - zu, so­fern die­se Ein­schränkun­gen ge­setz­lich vor­ge­se­hen sind, den We­sens­ge­halt die­ser Rech­te und Frei­hei­ten ach­ten und un­ter Wah­rung des Grund­sat­zes der Verhält­nismäßig­keit er­for­der­lich sind und den von der Eu­ropäischen Uni­on an­er­kann­ten dem Ge­mein­wohl die­nen­den Ziel­set­zun­gen oder den Er­for­der­nis­sen des Schut­zes der Rech­te und Frei­hei­ten an­de­rer tatsächlich ent­spre­chen. Dies gilt ins­be­son­de­re für Grund­rech­te, die - wie Art. 16 der Char­ta - ei­nen ei­ge­nen Vor­be­halt zu­guns­ten des Uni­ons­rechts so­wie der ein­zel­staat­li­chen Rechts­vor­schrif­ten und Ge­pflo­gen­hei­ten ent­hal­ten. Spe­zi­ell zum Grund­recht der un­ter­neh­me­ri­schen Frei­heit hat der Ge­richts­hof wei­ter­hin dar­auf hin­ge­wie­sen, dass die­ses nicht

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schran­ken­los gilt, son­dern im Zu­sam­men­hang mit sei­ner ge­sell­schaft­li­chen Funk­ti­on zu se­hen ist (vgl. nur EuGH 22. Ja­nu­ar 2013 - C-283/11 - [Sky Öster­reich] Rn. 45; 6. Sep­tem­ber 2012 - C-544/10 - [Deut­sches Wein­tor] Rn. 54 mwN; 6. De­zem­ber 2005 - C-453/03 ua. - [AB­NA ua.] Rn. 87, Slg. 2005, I-10423; 30. Ju­ni 2005 - C-295/03 P - [Ales­sand­ri­ni ua.] Rn. 86, Slg. 2005, I-5673; 9. Sep­tem­ber 2004 - C-184/02 und C-223/02 - [Spa­ni­en und Finn-land/Par­la­ment und Rat] Rn. 51 f., Slg. 2004, I-7789). Folg­lich kann die un­ter­neh­me­ri­sche Frei­heit Ein­schränkun­gen un­ter­wor­fen wer­den, so­fern die­se tatsächlich dem Ge­mein­wohl die­nen­den Zie­len der Ge­mein­schaft ent­spre­chen und nicht ei­nen im Hin­blick auf den ver­folg­ten Zweck un­verhält­nismäßigen, nicht trag­ba­ren Ein­griff dar­stel­len, der das Recht in sei­nem We­sens­ge­halt an­tas­tet (EuGH 30. Ju­ni 2005 - C-295/03 P - [Ales­sand­ri­ni ua.] Rn. 86 mwN, aaO; 14. De­zem­ber 2004 - C-210/03 - [Swe­dish Match] Rn. 72 mwN, Slg. 2004, I-11893; je­weils für das Ei­gen­tums­recht und die freie Be­rufs­ausübung; 9. Sep­tem­ber 2004 - C-184/02 und C-223/02 - [Spa­ni­en und Finn­land/ Par­la­ment und Rat] Rn. 52, aaO, für die un­ter­neh­me­ri­sche Frei­heit).

(2) Das Uni­ons­recht wie auch das deut­sche Recht knüpfen be­reits al­lein an das Be­ste­hen ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses zahl­rei­che ein­sei­tig zwin­gen­de Re­ge­lun­gen zu­guns­ten des Ar­beit­neh­mers, zB im Be­reich des Kündi­gungs­schutz-und des Ar­beits­schutz­rechts. An der Rechtmäßig­keit und ins­be­son­de­re der Verhält­nismäßig­keit die­ser - so­wohl uni­ons­recht­lich als auch na­tio­nal - ge­setz­lich an­ge­ord­ne­ten Ein­schränkun­gen der Ver­trags­frei­heit des Ar­beit­ge­bers be­ste­hen kei­ne grundsätz­li­chen Be­den­ken.

Als ei­ne sol­che ge­setz­li­che Ein­schränkung sieht das vor­le­gen­de Ge­richt auch § 613a Abs. 1 BGB bzw. Art. 3 Abs. 1 so­wie Art. 8 RL 2001/23 an. Die nach na­tio­na­lem Recht und nach Uni­ons­recht an­ge­ord­ne­te Rechts­fol­ge, dass bei der iden­titäts­wah­ren­den Über­nah­me ei­ner wirt­schaft­li­chen Ein­heit im Sin­ne der Richt­li­nie auch die Ar­beits­verhält­nis­se zwin­gend über­ge­hen, ist be­reits als sol­che ein Ein­griff in die Ver­trags­frei­heit des Er­wer­bers. Von der Rechtmäßig­keit die­ses Ein­griffs geht die Richt­li­nie selbst aus, will man nicht de­ren Ver­ein­bar­keit mit der Grund­rech­te­char­ta in­fra­ge stel­len. Die dort an­ge-

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ord­ne­te Rechts­fol­ge darf nicht durch ein­zel­ver­trag­li­che Ver­ein­ba­run­gen um­gan­gen wer­den (EuGH 24. Ja­nu­ar 2002 - C-51/00 - [Tem­co] Rn. 35, Slg. 2002, I-969; 14. No­vem­ber 1996 - C-305/94 - [Rots­art de Her­ta­ing] Rn. 16 bis 18, Slg. 1996, I-5927, „Über­gang ip­so iu­re“; 10. Fe­bru­ar 1988 - C-324/86 - [Dad­dy’s Dance Hall] Rn. 14, Slg. 1988, 739). Dass die da­durch be­wirk­te Ein­schränkung nur zu­las­ten des Ar­beit­ge­bers ein­sei­tig zwin­gend ist, er­gibt sich aus dem Schutz­cha­rak­ter der Richt­li­nie. Die Ver­trags­frei­heit des Ar­beit­neh­mers wird nicht be­ein­träch­tigt. Ent­schei­det er sich frei dafür, das Ar­beits­verhält­nis mit dem Er­wer­ber nicht fort­zu­set­zen, entfällt der Schutz­auf­trag der Richt­li­nie und die Mit­glied­staa­ten können un­abhängig da­von be­stim­men, was in ei­nem sol­chen Fall zu gel­ten hat (EuGH 12. No­vem­ber 1998 - C-399/96 - [Eu­ro­pièces] Rn. 37 bis 39, Slg. 1998, I-6965). Ent­spre­chend die­sen Grundsätzen muss der Er­wer­ber die uni­ons- und na­tio­nal­recht­li­chen zwin­gen­den Vor­ga­ben bei der Ausübung sei­ner Ver­trags­frei­heit in Form der Ver­hand­lun­gen und ggf. des pri­vat­au­to­no­men Ab­schlus­ses ei­nes Über­nah­me­ver­trags als preis­bil­den­den Fak­tor ein­be­zie­hen. Dies be­inhal­tet auch den ge­setz­lich an­ge­ord­ne­ten Über­gang der Rech­te und Pflich­ten aus den Ar­beits­verhält­nis­sen. Die­se Einschätzung und die der Kos­ten, die mit den ver­schie­de­nen Möglich­kei­ten ver­bun­den sind, gehören zum frei­en Wett­be­werb (EuGH 25. Ja­nu­ar 2001 - C-172/99 - [Liiken­ne] Rn. 23, Slg. 2001, I-745). Auch führt dies nicht zu ei­nem Ein­griff in die Wett­be­werbs­stel­lung des Er­wer­bers ge­genüber an­de­ren Markt­teil­neh­mern, weil für die­se im Fal­le des Er­werbs ei­nes Un­ter­neh­mens- oder Be­triebs­teils je­weils die­sel­ben Be­din­gun­gen gel­ten. So hat der Ge­richts­hof bei der Aus­le­gung von Art. 3 Abs. 1 der RL 2001/23 dar­auf ab­ge­stellt, dass die durch die dort an­ge­ord­ne­te Rechts­fol­ge ein­tre­ten­de Ein­schränkung der Ver­trags­frei­heit des Er­wer­bers un­mit­tel­bar be­ab­sich­tigt und durch den Zweck der Richt­li­nie ge­recht­fer­tigt ist. Dort ging es um die Fra­ge, ob Art. 3 Abs. 1 RL 77/187 (ent­spricht Art. 3 Abs. 1 RL 2001/23) da­hin aus­zu­le­gen ist, „dass al­le im Zeit­punkt der Veräußerung ei­nes Un­ter­neh­mens zwi­schen dem Veräußerer und den Beschäftig­ten ... be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis­se kraft der bloßen Tat­sa­che der Veräußerung au­to­ma­tisch auf den Er­wer­ber über­ge­hen“. Die Be­klag­ten des Aus­gangs­ver­fah­rens und die ita­lie­ni­sche Re­gie­rung hat­ten ein­ge­wandt, die Richt­li­nie würde bei die­ser Aus­le-

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gung die un­ter­neh­me­ri­sche Frei­heit be­ein­träch­ti­gen. Da­zu hat der Ge­richts­hof aus­geführt, die­se Be­ein­träch­ti­gung der un­ter­neh­me­ri­schen Frei­heit gehöre „ge­ra­de zur Zweck­be­stim­mung der Richt­li­nie“, die dar­auf ab­zie­le, im In­ter­es­se der Ar­beit­neh­mer die sich aus den Ar­beits­verträgen oder -verhält­nis­sen er­ge­ben­den Ver­pflich­tun­gen auf den Er­wer­ber zu über­tra­gen (EuGH 25. Ju­li 1991 - C-362/89 - [d’Ur­so ua.] Rn. 15, Slg. 1991, I-4105). Ein Veräußerer, der sich ar­beits­ver­trag­lich zur dy­na­mi­schen An­wen­dung ei­nes Kol­lek­tiv­ver­trags oder ei­nes Teils da­von ver­pflich­tet hat, ist an die­ses Er­geb­nis der auch von ihm aus­geübten Ver­trags­frei­heit ge­bun­den. Würde man den Er­wer­ber al­lein durch den Be­triebsüber­gang von die­ser Ver­pflich­tung be­frei­en, wäre er bes­ser ge­stellt als der Veräußerer und der Ar­beit­neh­mer al­lein durch den Be­triebsüber­gang schlech­ter als ge­genüber dem Veräußerer.

Ey­lert
Tre­ber
Creutz­feldt
Kie­fer
Pie­per

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