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LAG Köln, Ur­teil vom 18.06.2010, 10 Sa 307/10

   
Schlagworte: Kündigung: Fristlos, Kündigung: Verhaltensbedingt, Abmahnung, Kündigung: Beleidigung
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Aktenzeichen: 10 Sa 307/10
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 18.06.2010
   
Leitsätze:

1. Das Götz-Zitat ist grundsätzlich als grobe Beleidigung anzusehen, die auch ohne Abmahnung als Kündigungsgrund ausreichen kann.

2. Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung im Einzelfall sind allerdings die die Beleidigung auslösende Konfliktsituation, der dadurch entstandene Erregungszustand, die vor Ausspruch der Kündigung erfolgte Entschuldigung des Arbeitnehmers bei dem Betroffenen - hier dem Geschäftsführer - zugunsten des Arbeitnehmers in Erwägung zu ziehen.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Köln, Urteil vom 14.01.2010, 10 Ca 7683/09
   

10 Sa 307/10

10 Ca 7683/09

Ar­beits­ge­richt Köln

Verkündet am 18. Ju­ni 2010

Dal­le­ma­gne,

Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

 

LAN­DES­AR­BEITS­GERICHT KÖLN

 

IM NA­MEN DES VOL­KES

 

UR­TEIL

In dem Rechts­streit

 

hat die 10. Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts Köln auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 18.06.2010 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Lan­des­ar­beits­ge­richt Dr. Sta­schik als Vor­sit­zen­den so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Fran­ke und Beißel

für R e c h t er­kannt:

1. Die Be­ru­fung der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Köln vom 14.01.2010 – 10 Ca 7683/09 – wird zurück­ge­wie­sen.

2. Auf die Be­ru­fung des Klägers wird das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Köln vom 14.01.2010 – 10 Ca 7673/09 – teil­wei­se ab­geändert und die Be­klag­te ver­ur­teilt, an den Kläger 2.470,00 € brut­to abzüglich 1.555,72 € net­to nebst Zin­sen in Höhe von 5 % über dem Ba­sis­zins aus 836,00 € brut­to ab 01.10.2009, wei­te­ren 836,00 € ab 02.11.2009 abzüglich 1.031,23 € net­to und aus 798,00 € brut­to, abzüglich 524,40 € net­to ab 01.12.2009 zu zah­len.

3. Die Kos­ten des Rechts­streits tra­gen der Kläger zu 3/10 und die Be­klag­te zu 7/10.

4. Die Re­vi­si­on wird nicht zu­ge­las­sen.


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T a t b e s t a n d

Die Par­tei­en strei­ten um die Wirk­sam­keit ei­ner ar­beit­ge­ber­sei­ti­gen or­dent­li­chen ver­hal­tens­be­ding­ten Kündi­gung, um die Wei­ter­beschäfti­gung des Klägers und um des­sen Ver­zugs­lohn­ansprüche.

Der am 01.01.1988 ge­bo­re­ne, le­di­ge Kläger ist seit dem 17.11.2005 als Mit­ar­bei­ter Ro­ta­ti­ons­sys­te­me im Sys­tem­gas­tro­no­mie­be­trieb der Be­klag­ten, die re­gelmäßig mehr als 10 Mit­ar­bei­ter beschäftigt, mit 25 Wo­chen­stun­den und ei­nem mo­nat­li­chen Brut­to­ein­kom­men, das nach den un­ter­schied­li­chen An­ga­ben der Par­tei­en zwi­schen 1.100,33 EUR und 1.284,30 EUR liegt, tätig.

Der Kläger er­hielt schrift­li­che Ab­mah­nun­gen durch die Be­klag­te vom 11.09.2007 und 12.03.2009 je­weils we­gen un­ent­schul­dig­tem Feh­len so­wie vom 25.05.2009 we­gen ver­späte­tem Er­schei­nen am Ar­beits­platz. Zu­dem erklärt die Be­klag­te die or­dent­li­che Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses mit Schrei­ben vom 22.06.2009 we­gen von ihr an­ge­nom­me­ner nicht ord­nungs­gemäßer Krank­mel­dung. Die Kündi­gung vom 22.06.2009 nahm die Be­klag­te in der Fol­ge­zeit zurück.

Am 05.08.2009 kam es im Re­stau­rant der Be­klag­ten im E in K im Zu­sam­men­hang mit der Ver­brin­gung ei­ner Wa­ren­lie­fe­rung in den Kel­ler und die Kühlräume des Re­stau­rants durch den Kläger zu ei­ner Aus­ein­an­der­set­zung des Klägers mit dem Geschäftsführer der Be­klag­ten.

Dar­auf­hin erklärte die Be­klag­te mit Schrei­ben vom 11.08.2009 die or­dent­li­che Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses der Par­tei­en frist­ge­recht zum 01.09.2009, hilfs­wei­se zum nächstmögli­chen Ter­min.

Hier­ge­gen rich­tet sich die Kündi­gungs­schutz­kla­ge des Klägers vom 13.08.2009, wel­che beim Ar­beits­ge­richt in Köln am 17.09.2009 ein­ge­gan­gen ist.


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Der Kläger hat ge­meint, im Rah­men der Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Geschäftsführer der Be­klag­ten am 05.08.2009 sei es we­der zu ei­ner Be­lei­di­gung noch zu ei­ner Be­dro­hung des Geschäftsführers durch den Kläger ge­kom­men. Nach An­lie­fe­rung der tief­ge­fro­re­nen Wa­re ha­be er die­se ord­nungs­gemäß auf die zum Kel­ler führen­de Rut­sche ver­bracht. Beschädi­gun­gen an der Wa­re sei­en nicht ein­ge­tre­ten, was er dem Geschäftsführer erklärt ha­be. Nach der Dis­kus­si­on mit dem Geschäftsführer vor dem Re­stau­rant, sei er später ins Re­stau­rant ge­gan­gen, um sich dort ein Ge­tränk zu ho­len. Dort ha­be er den Geschäftsführer an­ge­trof­fen, der sich bei dem Va­ter des Klägers, der eben­falls im Re­stau­rant beschäftigt ist, be­schwert ha­be. Der Kläger ha­be dann sei­ne Erklärung, dass er beim Ausräum­en der Wa­re nicht beschädigt ha­be, wie­der­holt. Der Geschäftsführer ha­be ihn dar­auf­hin an­ge­schrien, so dass der Kläger erklärt ha­be, der Geschäftsführer sol­le den Kläger nicht vor dem Pu­bli­kum bla­mie­ren, man könne ins Büro ge­hen, um die Sa­che wei­ter zu be­spre­chen. Der Kläger hat zu­dem die Rechts­an­sicht geäußert, ein et­wai­ges Fehl­ver­hal­ten des Klägers bei der Aus­ein­an­der­set­zung vom 05.08.2009 recht­fer­ti­ge nicht den Aus­spruch ei­ner ar­beit­ge­ber­sei­ti­gen or­dent­li­chen Kündi­gung, da es an vor­an­ge­gan­ge­nen ein­schlägi­gen Ab­mah­nun­gen feh­le. Zu­dem sei­en die frühe­ren Ab­mah­nun­gen wie auch die später zurück­ge­nom­me­ne or­dent­li­che Kündi­gung vom 22.06.2009 un­be­rech­tigt. Der Kläger hat zu­dem die Ord­nungs­gemäßheit der Be­triebs­rats­anhörung vor Aus­spruch der Kündi­gung in Ab­re­de ge­stellt. Durch die Kündi­gung vom 11.08.2009 zum 01.09.2009 sei auch die vierwöchi­ge Kündi­gungs­frist nach dem Man­tel­ta­rif­ver­trag Sys­tem­gas­tro­no­mie BdS nicht ein­ge­hal­ten. Erst­in­stanz­lich hat der Kläger Ver­zugs­lohn für den Zeit­raum Sep­tem­ber bis No­vem­ber 2009 gel­tend ge­macht.

Der Kläger hat be­an­tragt,

1. fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en durch die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 11.08.2009 nicht be­en­det wird;


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2. im Fal­le des Ob­sie­gens mit dem An­trag zu 1) die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, ihn bis zum
rechts­kräfti­gen Ab­schluss des Kündi­gungs­schutz­ver­fah­rens zu un­veränder­ten ar­beits­ver­trag­li­chen Be­din­gun­gen als Mit­ar­bei­ter Ro­ta­ti­ons­sys­tem wei­ter­zu­beschäfti­gen;

3. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an ihn 2.470,00 € brut­to nebst Zin­sen in Höhe von 5
Pro­zent­punk­ten über dem je­wei­li­gen Ba­sis­zins­satz auf 836,00 € brut­to ab dem 01.10.2009, auf wei­te­re 836,00 € brut­to ab dem 02.11.2009 und auf 798,00 € brut­to ab dem 01.02.2009 zu zah­len.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Die Be­klag­te hat gel­tend ge­macht, das Ver­hal­ten des Klägers beim Vor­fall vom 05.08.2009 im Re­stau­rant im E in K recht­fer­ti­ge die or­dent­li­che Kündi­gung vom 11.08.2009 aus ver­hal­tens­be­ding­ten Gründen. Hier­zu hat die Be­klag­te be­haup­tet, der Kläger ha­be die an­ge­lie­fer­te tief­ge­fro­re­ne Wa­re - u. a. 54 Kar­tons mit Pom­mes Fri­tes - auf die Rut­sche zum Kel­ler aus ei­ner Höhe von ca. 1 m ge­wor­fen. Der Be­klag­ten­geschäftsführer ha­be den Kläger abends am 20.45 Uhr dar­auf an­ge­spro­chen. Der Kläger ha­be dar­auf­hin ge­ant­wor­tet, er ver­fah­re im­mer so und wol­le al­les be­zah­len, wenn et­wa ka­putt ge­he. Der Be­klag­ten­geschäftsführer ha­be dem Kläger dar­auf­hin ge­genüber klar­ge­stellt, dass ein sol­cher Um­gang mit der Wa­re nicht ak­zep­ta­bel und dem Kläger nicht ge­stat­tet sei. Der Kläger sei dar­auf­hin dem Be­klag­ten­geschäftsführer in die Küche ge­folgt und ha­be dort ei­ne laut­star­ke Dis­kus­si­on be­gon­nen. Er ha­be sich da­bei dem Geschäftsführer genähert und wild ges­ti­ku­liert. Der Kläger ha­be den Be­klag­ten­geschäftsführer ge­duzt und geäußert, die­ser sol­le nicht her­um­pa­la­vern und die­sem die Fra­ge ge­stellt: „Wer bist Du denn?“. Zu­dem


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ha­be der Kläger geäußert: „Du kannst mich mal...“. Der Va­ter des Klägers ha­be den Kläger von wei­te­rem ab­ge­hal­ten. Der Geschäftsführer ha­be sich be­droht und be­lei­digt gefühlt. Erst nach der vier­ten Auf­for­de­rung und der Dro­hung, an­sons­ten die Po­li­zei zu ho­len, ha­be der Kläger das Re­stau­rant ver­las­sen. Die Be­lei­di­gung und Be­dro­hung durch den Kläger ge­genüber dem Geschäftsführer der Be­klag­ten sei als or­dent­li­cher Kündi­gungs­grund aus­rei­chend. Ei­ne vor­an­ge­gan­ge­ne Ab­mah­nung sei nicht er­for­der­lich. Spätes­tens mit Rück­nah­me der or­dent­li­chen Kündi­gung vom 22.06.2009 sei der Kläger aus­rei­chend ge­warnt wor­den, da ihm ver­deut­licht wor­den sei, dass er nun­mehr ei­ne letz­te Chan­ce für den Ver­bleib im Ar­beits­verhält­nis er­hal­te. Die Aus­ein­an­der­set­zung am 05.09.2009 ha­be al­lein der Kläger her­vor­ge­ru­fen. Ei­ne In­ter­es­sen­abwägung ge­he zu Las­ten des Klägers, des­sen Ar­beits­verhält­nis zu Recht mit Aus­spruch der or­dent­li­chen Kündi­gung vom 11.08.2009 be­en­det wor­den sei. Der Be­triebs­rat sei hin­rei­chend mit Schrei­ben vom 07.08.2009 an­gehört wor­den, wor­auf­hin die ab­sch­ließen­de Stel­lung­nah­me des Be­triebs­ra­tes mit des­sen Schrei­ben vom 10.08.2009 er­folgt sei.

Durch Ur­teil vom 14.01.2009 hat das Ar­beits­ge­richt Köln die Kla­ge teil­wei­se für be­gründet ge­hal­ten und da­bei die Un­wirk­sam­keit der or­dent­li­chen Kündi­gung vom 11.08.2009 fest­ge­stellt und die Be­klag­te zur Wei­ter­beschäfti­gung des Klägers ver­ur­teilt, während der Ver­zugs­lohn­an­spruch des Klägers mit Rück­sicht auf sei­nen Ar­beits­lo­sen­geld­be­zug ab 01.09.2009 we­gen un­geklärter Ak­tiv­le­gi­ti­ma­ti­on ab­ge­wie­sen wur­de. Die or­dent­li­che Kündi­gung vom 11.08.2009 sei un­wirk­sam, da das Ver­hal­ten des Klägers nach dem Vor­trag der Be­klag­ten ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung nicht recht­fer­ti­ge. Ei­ne vor­an­ge­gan­ge­ne Ab­mah­nung sei nur ent­behr­lich, wenn ei­ne be­son­ders schwe­re und kränken­de Be­lei­di­gung ge­ge­ben sei. Hier­bei sei der er­reg­te Zu­stand des Klägers we­gen der vor­an­ge­gan­ge­nen ver­ba­len Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Be­klag­ten­geschäftsführer zu berück­sich­ti­gen. Die Wort­wahl des Klägers sei nach dem Vor­trag der Be­klag­ten zwar un­an­ge­mes­sen ge­we­sen, aber nicht der­art schwer­wie­gend, dass ei­ne Ab­mah­nung als ent­behr­lich an­zu­se­hen sei.

 

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Ge­gen das bei­den Par­tei­en je­weils am 05.02.2010 zu­ge­stell­te Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Köln hat die Be­klag­te am 23.02.2010 Be­ru­fung ein­ge­legt und die­se nach Verlänge­rung der Be­ru­fungs­be­gründungs­frist bis 05.05.2010 am 04.05.2010 beim Lan­des­ar­beits­ge­richt schrift­lich be­gründet. Der Kläger hat ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Köln am 01.03.2010 Be­ru­fung ein­ge­legt und die­se nach Verlänge­rung der Be­ru­fungs­be­gründungs­frist bis 06.05.2010 am 28.04.2010 be­gründet.

Die Be­klag­te ver­bleibt bei ih­rer Rechts­auf­fas­sung, die or­dent­li­che Kündi­gung vom 11.08.2009 sei aus ver­hal­tens­be­ding­ten Gründen hin­rei­chend so­zi­al ge­recht­fer­tigt und da­mit wirk­sam. Zu berück­sich­ti­gen sei, dass zwi­schen den Par­tei­en ein schwer be­las­te­tes Ar­beits­verhält­nis vor­ge­le­gen ha­be. Der Kläger ha­be am 05.08.2009 mit sei­nem pro­vo­kan­ten Ver­hal­ten auf die kor­rek­te Wei­sung des Geschäftsführers hin­sicht­lich der Ver­la­dung der Kar­tons re­agiert. An­knüpfend sei es dann in der Fol­ge zu der Be­lei­di­gung und der Be­dro­hung des Klägers ge­genüber dem Geschäftsführer ge­kom­men. Ent­ge­gen der erst­in­stanz­li­chen Ent­schei­dung des Ar­beits­ge­richts Köln lie­ge ei­ne gro­be Be­lei­di­gung durch den Kläger vor, in dem er das trotz verkürz­ter Form ein­deu­tig er­kenn­ba­re Götz-Zi­tat ver­wen­det ha­be. Zu­dem ha­be er sei­ne Ge­ringschätzung ge­genüber dem Be­klag­ten­geschäftsführer durch die Ver­wen­dung der Duz­form ge­stei­gert. Durch die­ses Ver­hal­ten sei die Au­to­rität des Geschäftsführers als Vor­ge­setz­ten un­ter­gra­ben wor­den. Zu­dem ha­be der Kläger durch sein Agie­ren und dem un­an­ge­mes­se­nen Her­an­drängen an den Geschäftsführer die­sen auch be­droht. Die Re­stau­rant­lei­te­rin Frau F ha­be befürch­tet, der Kläger wer­de gleich zu­schla­gen. Ein Er­re­gungs­zu­stand könne nicht ent­las­tend für den Kläger ge­wer­tet wer­den, da der Kläger selbst die­sen pro­vo­ziert ha­be. Ei­ne Ab­mah­nung sei vor Aus­spruch der Kündi­gung we­gen der Schwe­re der Pflicht­ver­let­zung nicht als er­for­der­lich an­zu­se­hen. Die In­ter­es­sen­abwägung ge­he mit Rück­sicht auf das nach­hal­tig be­las­te­te Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en zu Las­ten des Klägers, wo­bei die halb­her­zi­ge Ent­schul­di­gung des Klägers vom 06.08.2009 nicht ent­schei­dend zu sei­nen Guns­ten wir­ke.

Die Be­klag­te be­an­tragt,


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das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Köln vom 14.01.2010, Ak­ten­zei­chen 10 Ca 7683/09, ab­zuändern und nach den Schluss­anträgen in ers­ter In­stanz zu er­ken­nen.

Der Kläger be­an­tragt,

die Be­ru­fung der Be­klag­ten zurück­zu­wei­sen.

Der Kläger be­an­tragt zu­dem,

un­ter teil­wei­ser Abände­rung des Ur­teils des Ar­beits­ge­richts Köln vom 14.01.2010 - Az.: 10 Ca 7683/09 - die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an den Kläger 2.470,00 € brut­to abzüglich 1.555,72 € net­to zuzüglich Zin­sen in Höhe von 5 % über dem Ba­sis­zins aus 836,00 € brut­to ab 01.10.2009, wei­te­ren 836,00 € ab 02.11.2009, abzüglich 1.031,23 € net­to und aus 798,00 € brut­to, abzüglich 524,40 € net­to ab 01.12.2009 zu zah­len.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

die Be­ru­fung des Klägers zurück­zu­wei­sen.

Der Kläger ver­bleibt bei sei­ner Mei­nung, sein Ver­hal­ten im Rah­men der Aus­ein­an­der­set­zung vom 05.08.2009 stel­le kei­ne Pflicht­ver­let­zung und da­mit kei­nen ver­hal­tens­be­ding­ten Kündi­gungs­grund für die Be­klag­te dar. Ei­ne Pro­vo­ka­ti­on durch den Kläger ge­genüber dem Geschäftsführer sei nicht er­folgt, der Kläger ha­be während des Gesprächs anläss­lich des Ver­la­de­vor­gangs le­dig­lich geäußert, er und die übri­gen Mit­ar­bei­ter mach­ten das im­mer so.

Im Rah­men sei­ner Be­ru­fung macht der Kläger un­ter Rück­nah­me der Kla­ge im Übri­gen letzt­lich of­fe­ne Ver­zugs­lohn­ansprüche für den Zeit­raum von Sep­tem­ber bis No­vem­ber 2009 in Höhe von 2.470,00 € brut­to abzüglich für


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Sep­tem­ber und Ok­to­ber 2009 er­hal­te­nes Ar­beits­lo­sen­geld in Höhe von 1.031,32 € und für No­vem­ber 2009 be­zo­ge­nes Ar­beits­lo­sen­geld in Höhe von wei­te­ren 524,40 € gel­tend.

We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des Sach- und Streit­stan­des wird auf die Schriftsätze der Par­tei­en nebst den zu den Ak­ten ge­reich­ten An­la­gen, wel­che Ge­gen­stand der münd­li­chen Ver­hand­lung wa­ren, ergänzend ver­wie­sen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I. Bei­de Be­ru­fun­gen der Par­tei­en sind je­weils zulässig, weil sie statt­haft (§§ 64 Abs. 1, 2 ArbGG) und frist- so­wie form­ge­recht ein­ge­legt und be­gründet wor­den sind (§§ 66 Abs. 1 S. 1, 64 Abs. 6 S. 1, 519, 520 ZPO).

II. In der Sa­che hat das Rechts­mit­tel der Be­klag­ten je­doch kei­nen Er­folg, da sich die or­dent­li­che Kündi­gung vom 11.08.2009 nicht als so­zi­al ge­recht­fer­tigt gemäß § 1 Abs. 2 KSchG er­weist. Ein aus­rei­chen­der ver­hal­tens­be­ding­ter Kündi­gungs­grund ist ge­genüber dem Kläger nicht ge­ge­ben.

1. Zunächst ist da­von aus­zu­ge­hen, dass gro­be Be­lei­di­gun­gen und Be­dro­hun­gen ge­genüber dem Ar­beit­ge­ber ei­nen er­heb­li­chen Ver­trags­ver­s­toß des Ar­beit­neh­mers dar­stel­len und da­her an sich als aus­rei­chen­der Kündi­gungs­grund ge­eig­net sind. Nach ständi­ger Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts sind Be­lei­di­gun­gen durch den Ar­beit­neh­mer, die nach Form und In­halt ei­ne er­heb­li­che Ehr­ver­let­zung für den be­trof­fe­nen Ar­beit­ge­ber be­deu­ten, als Ver­s­toß des Ar­beit­neh­mers ge­gen sei­ne Pflich­ten aus dem Ar­beits­verhält­nis an sich zur Recht­fer­ti­gung so­gar ei­ner außer­or­dent­li­chen Kündi­gung ge­eig­net; der Ar­beit­neh­mer kann sich dann nicht er­folg­reich auf sein Recht auf freie Mei­nungsäußerung (Ar­ti­kel 5 Abs. 1 GG) be­ru­fen. Kündi­gungs­recht­lich ist da­bei nicht aus­schlag­ge­bend die straf­recht­li­che Be­ur­tei­lung. Ei­ne ein­ma­li­ge Ehr­ver­let­zung ist kündi­gungs­recht­lich um­so schwer­wie­gen­der, je un­verhält­nismäßiger und je über­leg­ter sie aus­geführt


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wur­de (vgl. BAG, Ur­teil vom 10.10.2002 - 2 AZR 418/01 - in DB 2003, Sei­te 1797 f.; Ur­teil vom 17.02.2000 - 2 AZR 927/98 - , zi­tiert nach Ju­ris m. w. N.). Im gro­ben Maße un­sach­li­che An­grif­fe, die u. a. zur Un­ter­gra­bung der Po­si­ti­on ei­nes Vor­ge­setz­ten führen können, muss der Ar­beit­ge­ber nicht hin­neh­men (BAG, Ur­teil vom 10.10.2002 - 2 AZR 418/01 - a.a.O.).

Vor­lie­gend hat die Be­klag­te ei­ne Be­dro­hung des Be­klag­ten­geschäftsführers durch den Kläger nicht hin­rei­chend vor­ge­tra­gen. Das Her­anrücken des Klägers auf ei­ne nicht zu dul­den­de körper­li­che Nähe ist hierfür nicht aus­sa­ge­kräftig ge­nug. Der Vor­trag der Be­klag­ten, die Re­stau­rant­lei­te­rin F ha­be an­ge­sichts des Ver­hal­tens des Klägers befürch­tet, der Kläger wer­de gleich zu­schla­gen, gibt le­dig­lich de­ren sub­jek­ti­ven Ein­druck wie­der, oh­ne ei­ne sub­stan­ti­ier­te Tat­sa­chen­grund­la­ge hierfür zu schil­dern. Da­her er­weist sich auch der dies­bezügli­che Sach­vor­trag der Be­klag­ten nicht als hin­rei­chend kon­kret, um ei­ne aus­schlag­ge­ben­de In­dizwir­kung zu ent­fal­ten. Ei­ne Be­weis­auf­nah­me durch Ver­neh­mung der Zeu­gin F hier­zu war da­her nicht ge­bo­ten.

Die von der Be­klag­ten be­haup­te­te und vom Kläger be­strit­te­ne Äußerung des Klägers zum En­de der ver­ba­len Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Geschäftsführer im Re­stau­rant mit den Wor­ten „du kannst mich mal...“ ist auf­grund der Gesprächs­ent­wick­lung durch­aus als Kurz­form des Götz-Zi­tats zu wer­ten, da auch der Kläger ei­ne an­der­wei­ti­ge Erklärung für die­se von der Be­klag­ten be­haup­te­te For­mu­lie­rung nicht ge­lie­fert, son­dern sich auf das Be­strei­ten ei­ner sol­chen Äußerung be­schränkt hat. Die­ses Götz-Zi­tat ver­bun­den mit der von der Be­klag­ten wei­ter be­haup­te­ten Ver­wen­dung der Duz­form ge­genüber dem Geschäftsführer so­wie den wei­te­ren be­haup­te­ten Erklärun­gen des Klägers, der Geschäftsführer sol­le nicht her­um­pa­la­vern und die Fra­ge an die­sen „Wer bist Du denn?“ stel­len grundsätz­lich ei­ne er­heb­li­che Miss­ach­tung der Per­son und Funk­ti­on des Geschäftsführers ins­be­son­de­re in An­we­sen­heit der sons­ti­gen Be­leg­schaft des Re­stau­rants dar.

2. Im Rah­men ei­ner gro­ben Be­lei­di­gung ist auch ei­ne vor­an­ge­gan­ge­ne ein­schlägi­ge Ab­mah­nung als ent­behr­lich an­zu­se­hen. Dies gilt dann, wenn es


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um schwe­re Pflicht­ver­let­zun­gen geht, de­ren Rechts­wid­rig­keit dem Ar­beit­neh­mer oh­ne Wei­te­res er­kenn­bar ist und bei dem ei­ne Hin­nah­me des Ver­hal­tens of­fen­sicht­lich aus­ge­schlos­sen ist. (vgl. Er­fur­ter Kom­men­tar - Be­ar­bei­ter Müller-Glöge, § 626 BGB, Rd­nr. 29 m. w. N.).

3. Al­ler­dings er­weist sich die or­dent­li­che Kündi­gung vom 11.08.2009 auf­grund ei­ner In­ter­es­sen­abwägung im Ein­zel­fall als un­wirk­sam.

Bei der In­ter­es­sen­abwägung sind ei­ner­seits die Schwe­re der Ver­feh­lung, de­ren Fol­ge für den Ar­beit­ge­ber, die Be­triebs­ord­nung und den Be­triebs­frie­den, ein even­tu­ell ein­ge­tre­te­ner Ver­trau­ens­ver­lust so­wie die Größe des Ver­schul­dens und der Grad ei­ner be­ste­hen­den Wie­der­ho­lungs­ge­fahr zu berück­sich­ti­gen. An­de­rer­seits sind die Dau­er des Ar­beits­verhält­nis­ses, Le­bens­al­ter und die Möglich­keit ei­ner an­der­wei­ti­gen Beschäfti­gung von Be­deu­tung.

Hier­bei sind zu­guns­ten des Klägers die vor­an­ge­gan­ge­ne Kon­flikt­si­tua­ti­on bei Ver­la­den der an­ge­lie­fer­ten Wa­re und der auf­grund der Dis­kus­si­on mit dem Be­klag­ten­geschäftsführer ein­ge­tre­te­ne Er­re­gungs­zu­stand des Klägers zu berück­sich­ti­gen. Von da­her sind die von der Be­klag­ten be­haup­te­ten Äußerun­gen des Klägers ge­genüber dem Be­klag­ten­geschäftsführer nicht als über­leg­te Hand­lun­gen des Klägers zu wer­ten. Das Merk­mal ei­ner über­leg­ten Ehr­ver­let­zung, das vom Bun­des­ar­beits­ge­richt für das kündi­gungs­recht­li­che Schwer­ge­wicht her­an­ge­zo­gen wird (vgl. Ur­teil vom 10.10.2002 - 2 AZR 418/01 - a.a.O.; Ur­teil vom 17.02.2000 - 2 AZR 927/98 - a.a.O.), ist vor­lie­gend folg­lich nicht ge­ge­ben. Dies ist im Rah­men der In­ter­es­sen­abwägung zu­guns­ten des Klägers zu berück­sich­ti­gen.

Zu­dem ist fest­zu­hal­ten, dass der Kläger sich un­strei­tig am 06.08.2009 - al­so noch vor Aus­spruch der Kündi­gung - te­le­fo­nisch beim Be­klag­ten­geschäftsführer ent­schul­digt hat (vgl. hier­zu LAG Rhein­land-Pfalz, Ur­teil vom 17.12.2009 - 11 Sa 263/09 - , zi­tiert nach Ju­ris). In die­sem Zu­sam­men­hang ist auch zu berück­sich­ti­gen, dass nach ei­ge­nem Vor­trag der Be­klag­ten der Kläger sich in der Kon­flikt­si­tua­ti­on vom 05.08.2009 dem


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mäßigen­den Ein­fluss sei­nes eben­falls im Re­stau­rant im E in K beschäftig­ten Va­ters gefügt und sei­ne von der Be­klag­ten be­haup­te­ten Ver­ba­lent­glei­sun­gen ein­ge­stellt hat.

Zu­guns­ten des Klägers hat die Kam­mer zu­dem berück­sich­tigt, dass die Be­klag­te dem Kläger ei­ne vor­an­ge­gan­ge­ne ähn­li­che oder gleich­ge­la­ger­te Ent­glei­sung nicht vor­wirft. Die von der Be­klag­ten zur Be­gründung der vor­an­ge­gan­ge­nen Ab­mah­nun­gen und der Kündi­gung vom 22.06.2008 vor­ge­tra­ge­nen Pflicht­ver­let­zun­gen des Klägers sind sämt­lich in an­de­ren, nicht ein­schlägi­gen Pflich­ten­be­rei­chen an­ge­sie­delt und be­tref­fen den Be­reich des un­ent­schul­dig­ten Feh­lens, des ver­späte­ten Er­schei­nens am Ar­beits­platz und der nicht ord­nungs­gemäßen Krank­mel­dung.

Vor die­sem Hin­ter­grund ist es auf­grund der Ein­zel­fal­l­umstände der Be­klag­ten zu­zu­mu­ten, trotz der durch die von ihr vor­ge­tra­ge­ne Be­lei­di­gung des Geschäftsführers durch den Kläger ein­ge­tre­te­ne In­fra­ge­stel­lung der Po­si­ti­on des Vor­ge­setz­ten und der be­trieb­li­chen Ord­nung zu­zu­mu­ten, an dem Ar­beits­verhält­nis mit dem Kläger fest­zu­hal­ten. Hin­sicht­lich ei­ner nicht aus­zu­sch­ließen­den Wie­der­ho­lungs­ge­fahr für ei­ne ähn­li­ches zukünf­ti­ges Fehl­ver­hal­ten des Klägers er­scheint die Vor­beu­gung durch den Aus­spruch ei­ner Ab­mah­nung aus­rei­chend.

III. Die Be­ru­fung des Klägers er­weist sich im zu­letzt ge­stell­ten Um­fang als be­gründet, so dass die Be­klag­te un­ter teil­wei­ser Abände­rung des erst­in­stanz­li­chen Ur­teils vom 14.01.2010 zur Zah­lung von 2.470,00 € brut­to abzüglich 1.555,72 € net­to nebst Zin­sen zu ver­ur­tei­len war.

Durch den Aus­spruch der or­dent­li­chen Kündi­gung vom 11.08.2009 zum 01.09.2009 und die sich dar­an an­sch­ließen­de Nicht­beschäfti­gung des Klägers in der Fol­ge­zeit lie­gen die Vor­aus­set­zun­gen für ei­nen Vergütungs­an­spruch des Klägers we­gen An­nah­me­ver­zug gemäß den §§ 293 ff. BGB für den Zeit­raum vom Sep­tem­ber bis No­vem­ber 2009 in Höhe von 2.470,00 € brut­to vor. Hier­auf hat sich der Kläger gemäß sei­nem zu­letzt ge­stell­ten Be­ru­fungs­an­trag das für


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die­sen Zeit­raum er­hal­te­ne Ar­beits­lo­sen­geld in Höhe von 1.555,72 € net­to gemäß § 11 Nr. 3 KSchG an­rech­nen las­sen.

IV. Die Kos­ten des Be­ru­fungs­ver­fah­rens trägt die Be­klag­te zu 7/10 und der Kläger zu 3/10. Die Kos­ten­last für den Kläger er­gibt sich aus der im Lau­fe des Be­ru­fungs­ver­fah­rens ein­ge­tre­te­nen Re­du­zie­rung sei­nes Zah­lungs­an­tra­ges und da­mit aus Rück­sicht auf die dies­bezügli­che teil­wei­se Kla­gerück­nah­me aus § 269 Abs. 3 BGB.

Für die Zu­las­sung der Re­vi­si­on be­stand im Hin­blick auf die in § 72 Abs. 2 ge­nann­ten Kri­te­ri­en kei­ne Ver­an­las­sung, da die an­ge­wand­ten Rechts­fra­gen be­reits höchst­rich­ter­lich ent­schie­den sind und sich die Ent­schei­dung auf die Umstände des Ein­zel­fal­les stützt.

 

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Ge­gen die­ses Ur­teil ist für die kla­gen­de Par­tei ein Rechts­mit­tel nicht ge­ge­ben.

Ge­gen die­ses Ur­teil ist für be­klag­te Par­tei man­gels aus­drück­li­cher Zu­las­sung die Re­vi­si­on nicht statt­haft, § 72 Abs. 1 ArbGG. We­gen der Möglich­keit, die Nicht­zu­las­sung der Re­vi­si­on selbständig durch Be­schwer­de beim

Bun­des­ar­beits­ge­richt

Hu­go-Preuß-Platz 1

99084 Er­furt

Fax: (0361) 2636 – 2000


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an­zu­fech­ten, wird die be­klag­te Par­tei auf die An­for­de­run­gen des § 72 a ArbGG ver­wie­sen.

 

Dr .Sta­schik

Fran­ke

Beißel

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