HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 10/222

Lohn aus ab­ge­rech­ne­ten Zeit­gut­ha­ben ver­fällt nicht auf­grund ta­rif­li­cher Aus­schluss­frist

Lohn­an­sprü­che aus ab­ge­rech­ne­ten Zeit­gut­ha­ben ver­fal­len nicht auf­grund ta­rif­li­cher Aus­schluss­fris­ten: Bun­des­ar­beits­ge­richt , Ur­teil vom 28.07.2010, 5 AZR 521/09
Abrisskalender Aus­schluss­fris­ten: Die Uhr tickt.

12.11.2010. Aus­schluss­klau­seln sind häu­fig in Ar­beits­ver­trä­gen oder Ta­rif­ver­trä­gen ge­re­gelt. Durch sie ver­fal­len bei­spiels­wei­se Lohn­an­sprü­che, die nicht in­ner­halb ei­ner be­stimm­ten Aus­schluss­frist gel­tend ge­macht wer­den.

Da­durch soll in un­kla­ren, streit­an­fäl­li­gen Si­tua­tio­nen schnell für kla­re Ver­hält­nis­se ge­sorgt wer­den. Wenn al­ler­dings der Ar­beit­ge­ber mit ei­ner vor­be­halt­lo­sen (Lohn-)Ab­rech­nung selbst für Klar­heit ge­sorgt hat, ist dies nicht mehr not­wen­dig.

Da­her greift in die­sen Fäl­len die Aus­schluss­klau­sel nach Auf­fas­sung der Recht­spre­chung nicht. Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hat nun ent­schie­den, ob die­se Sicht­wei­se auch auf ab­ge­rech­ne­te Zeit­gut­ha­ben über­tra­gen wer­den kann: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 28.07.2010, 5 AZR 521/09.

Was gilt für ab­ge­rech­ne­te Lohn­ansprüche und Zeit­gut­ha­ben?

Ar­beits­zeit­kon­ten sind zu­neh­mend be­liebt und wer­den v.a. von Leih­ar­beits­un­ter­neh­men und im Bau­ge­wer­be an­ge­wandt. Das Ar­beits­zeit­kon­to hält fest, in wel­chem Um­fang der Ar­beit­neh­mer ge­ar­bei­tet hat und da­her Lohn bzw. Ge­halt be­an­spru­chen kann (bzw. in wel­chem Um­fang er bei Mi­nus­stun­den noch wei­te­re Ar­beit er­brin­gen muss). Kennt man den St­un­den­lohn, kann man ein Ar­beits­zeit­gut­ha­ben oh­ne wei­te­res in ei­nen Vergütungs­an­spruch um­rech­nen, d.h. ein Zeit­gut­ha­ben drückt dann ei­nen noch of­fe­nen Lohn­an­spruch des Ar­beit­neh­mers aus. Ein Zeit­gut­ha­ben ent­spricht da­mit ei­nem Vergütungs­an­spruch für noch nicht be­zahl­te Ar­beit.

Die Hand­ha­bung von Ar­beits­zeit­kon­ten wird meist in Ta­rif­verträgen ge­re­gelt. Dort fin­den sich auch Aus­schluss­fris­ten. Durch Aus­schluss­fris­ten ver­fal­len Ansprüche aus dem Ar­beits­verhält­nis un­wie­der­bring­lich, wenn sie nicht in­ner­halb ei­ner in der Aus­schluss­klau­sel fest­ge­leg­ten Zeit und in ei­ner dort be­stimm­ten Form (meist schrift­lich) gel­tend ge­macht wer­den.

Während es bei sog. ein­stu­fi­gen Aus­schluss­fris­ten genügt, den säum­i­gen Ver­trags­part­ner außer­ge­richt­lich zur Erfüllung des of­fe­nen An­spruchs auf­zu­for­dern, ist es bei zwei­stu­fi­gen Aus­schluss­fris­ten darüber hin­aus er­for­der­lich, den An­spruch in­ner­halb ei­ner wei­te­ren Frist ge­richt­lich gel­tend zu ma­chen, d.h. ein­zu­kla­gen, falls die außer­ge­richt­li­che Auf­for­de­rung (ers­te Stu­fe) nicht zur Erfüllung geführt hat.

Aus­schluss­klau­seln ver­nich­ten an sich be­ste­hen­de ver­trag­li­che Ansprüche und bedürfen da­her ei­ner Recht­fer­ti­gung. Ge­recht­fer­tigt wer­den Aus­schluss­fris­ten durch ih­ren Zweck, in un­kla­ren und streit­anfälli­gen An­ge­le­gen­heit schnell für „kla­re Verhält­nis­se“ zu sor­gen. Gel­ten Aus­schluss­fris­ten, hat der Schuld­ner rasch Ge­wiss­heit darüber, ob er mit wei­te­ren For­de­run­gen rech­nen muss oder ob die An­ge­le­gen­heit er­le­digt ist.

Aus die­sem Zweck von Aus­schluss­fris­ten lei­tet das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) her, dass Aus­schluss­fris­ten aus­nahms­wei­se dann nicht gel­ten, wenn der Ar­beit­ge­ber in ei­ner schrift­li­chen Lohn­ab­rech­nung ei­ne Lohn­for­de­rung des Ar­beit­neh­mers oh­ne Vor­be­hal­te aus­weist. Er stellt dann nämlich die Lohn­for­de­rung des Ar­beit­neh­mers un­strei­tig, d.h. er gibt zu er­ken­nen, dass be­reits „kla­re Verhält­nis­se“ herr­schen. Dann ist ei­ne er­neu­te schrift­li­che Zah­lungs­auf­for­de­rung des Ar­beit­neh­mers nicht mehr er­for­der­lich.

Frag­lich ist, ob die­se Recht­spre­chung zum Verhält­nis von Aus­schluss­fris­ten und Lohn­ab­rech­nun­gen auch für Ar­beits­zeit­gut­ha­ben gilt. Darüber hat­te vor kur­zem das BAG zu ent­schei­den (Ur­teil vom 28.07.2010, 5 AZR 521/09).

Der Fall: Ar­beit­neh­mer macht ab­ge­rech­ne­tes Zeit­gut­ha­ben erst nach vie­len Mo­na­ten gel­tend

Für das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen Kläger und Be­klag­ten galt der all­ge­mein­ver­bind­li­che Bun­des­rah­men­ta­rif­ver­trag für das Bau­ge­wer­be (BRTV Bau). Laut BRTV Bau wird für je­den Ar­beit­neh­mer ein in­di­vi­du­el­les „Aus­gleichs­kon­to“ ein­ge­rich­tet. Dar­auf wird fest­ge­hal­ten, ob und in wel­chem Um­fang der Ar­beit­neh­mer mehr St­un­den ge­ar­bei­tet hat, als ihm in den ak­tu­el­len Lohn­ab­rech­nun­gen je­weils aus­be­zahlt wird.

Im lau­fen­den Ar­beits­verhält­nis ist ein Gut­ha­ben durch be­zahl­te Frei­stel­lung von der Ar­beit aus­zu­glei­chen, und zwar bin­nen ei­nes Aus­gleichs­zeit­raums von zwölf Mo­na­ten. Sind die Gut­ha­ben­stun­den in­ner­halb die­ses Aus­gleichs­zeit­raums nicht ab­ge­bum­melt, sind sie aus­zu­zah­len. En­det das Ar­beits­verhält­nis, müssen Gut­ha­ben eben­falls an den Ar­beit­neh­mer aus­be­zahlt wer­den.

Der BRTV Bau enthält auch Aus­schluss­fris­ten. Gemäß § 15 Abs. 1 BRTV Bau ver­fal­len al­le ge­gen­sei­ti­gen Ansprüche, wenn sie nicht bin­nen zwei Mo­na­ten nach Fällig­keit schrift­lich gel­tend ge­macht wer­den. Be­steht bei Aus­schei­den des Ar­beit­neh­mers ein Ar­beits­zeit­gut­ha­ben, beträgt die­se Frist sechs Mo­na­te.

Ein ge­werb­li­cher Ar­beit­neh­mer, des­sen Ar­beits­verhält­nis un­ter den BRTV Bau fiel, er­hielt bis Sep­tem­ber 2006 mit sei­nen Lohn­ab­rech­nun­gen je­weils ein Zu­satz­blatt, das als „Be­stand­teil der Lohn­ab­rech­nung“ be­zeich­net wur­de und auf dem der Stand sei­nes Ar­beits­zeit­gut­ha­bens an­ge­ge­ben wur­de. En­de Sep­tem­ber 2006 be­lief sich das Gut­ha­ben auf 90 St­un­den. Ab Ok­to­ber 2006 wur­de die­ses Gut­ha­ben nicht mehr aus­ge­wie­sen.

Nach­dem das Ar­beits­verhält­nis im Mai 2008 ge­en­det hat­te, ver­lang­te der Ar­beit­neh­mer Be­zah­lung sei­ner 90 Gut­ha­ben­stun­den zu ei­nem St­un­den­satz von 12,50 EUR brut­to, d.h. 1.125,00 EUR. Das Ar­beits­ge­richt Dort­mund (Ur­teil vom 26.11.2008, 5 Ca 3785/08) und das für die Be­ru­fung zuständi­ge Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Hamm (Ur­teil vom 31.04.2009, 8 Sa 58/09) wie­sen die Kla­ge ab.

Bei­de Ge­rich­te mein­ten nämlich, dass das En­de Sep­tem­ber 2006 be­ste­hen­de Zeit­gut­ha­ben sich En­de Sep­tem­ber 2007 in ei­nen Zah­lungs­an­spruch um­ge­wan­delt hat­te, und die­sen Zah­lungs­an­spruch hätte der Ar­beit­neh­mer in­ner­halb der zwei­mo­na­ti­gen Aus­schluss­frist, d.h. spätes­tens bis En­de No­vem­ber 2006 schrift­lich gel­tend ma­chen müssen. Da­her sei der An­spruch auf Be­zah­lung der 90 Gut­ha­ben­stun­den mit Ab­lauf der Aus­schluss­frist ver­fal­len.

Bun­des­ar­beits­ge­richt: Ab­ge­rech­ne­te (Zeit­gut­ha­ben-)Ansprüche wer­den nicht von ei­ner Aus­schluss­frist er­fasst - Sie ver­fal­len da­her nicht

An­ders als die Vor­in­stan­zen gab das BAG dem Ar­beit­neh­mer Recht.

Die Be­gründung lau­tet, dass vom Ar­beit­ge­ber schrift­lich aus­ge­wie­se­ne Gut­ha­ben auf ei­nem Ar­beits­zeit­kon­to das Be­ste­hen ei­nes dem Gut­ha­ben ent­spre­chen­den Lohn­an­spruchs eben­so streit­los stel­len wie ei­ne Lohn­ab­rech­nung, mit der der Ar­beit­ge­ber dem Ar­beit­neh­mer „schwarz auf weiß“ bestätigt, dass er ei­nen Lo­h­an­spruch in be­stimm­ter Höhe hat.

In­fol­ge­des­sen kann sich der Ar­beit­ge­ber, der dem Ar­beit­neh­mer ein­mal ein be­stimm­tes Ar­beits­zeit­kon­to­gut­ha­ben schrift­lich und oh­ne Vor­be­hal­te mit­ge­teilt hat, später nicht ge­gen den aus dem Zeit­kon­to fol­gen­den Zah­lungs­an­spruch ein­wen­den, dass die­ser auf­grund ei­ner Aus­schluss­frist ver­fal­len sei. Denn der Zweck von Aus­schluss­fris­ten, in un­kla­ren und streit­anfälli­gen An­ge­le­gen­hei­ten rasch Klar­heit zu schaf­fen, ist in sol­chen Fällen be­reits rea­li­siert, nämlich eben durch die vom Ar­beit­ge­ber selbst er­teil­te schrift­li­che Mit­tei­lung über das Ar­beits­zeit­gut­ha­ben.

Da der Ar­beit­neh­mer dem­zu­fol­ge im vor­lie­gen­den Streit­fall die ers­te Stu­fe der ta­rif­li­chen Aus­schluss­frist nicht ein­hal­ten muss­te, be­gann auch die zwei­te Stu­fe nie­mals zu lau­fen.

Fa­zit: Dem Ur­teil ist zu­zu­stim­men, da zwi­schen schrift­li­chen Lohn­ab­rech­nun­gen und schrift­li­chen Nach­wei­sen über ein Ar­beits­zeit­gut­ha­ben in­so­fern kein Un­ter­schied be­steht, als der Ar­beit­ge­ber in bei­den Fällen selbst schrift­lich Klar­heit über den Um­fang der dem Ar­beit­neh­mer zu­ste­hen­den Ansprüche schafft. Mit die­sem Ur­teil ent­las­tet das BAG den Ar­beit­neh­mer von der un­sin­ni­gen Ob­lie­gen­heit, sei­ne vom Ar­beit­ge­ber streit­los ge­stell­ten Ansprüche noch­mals schrift­lich an­zu­mah­nen oder gar ein­zu­kla­gen.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 16. November 2020

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de
Bewertung: 5.0 von 5 Sternen (1 Bewertung)

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de