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LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 09.04.2010, 13 Sa 30/10

   
Schlagworte: Massenentlassung
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen: 13 Sa 30/10
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 09.04.2010
   
Leitsätze: Nach § 18 KSchG werden Entlassungen, die nach § 17 KSchG anzuzeigen sind, vor Ablauf eines Monats nach Eingang der Massenentlassungsanzeige nur mit Zustimmung der Agentur für Arbeit wirksam. Eine nach erfolgter Anzeigeerstattung ausgesprochene Kündigung bleibt aber als Rechtsgeschäft grundsätzlich wirksam. Sie beendet, sofern der Kündigungstermin vor Ablauf dieser Sperrfrist liegen sollte, das Arbeitsverhältnis nur nicht zu dem in der Kündigungserklärung genannten Zeitpunkt, sondern erst mit Ablauf eines Monats nach Eingang der Anzeige, wenn keine Zustimmung der Agentur für Arbeit zu einer früheren Beendigung erfolgt.(Rn.13)
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Potsdam, Urteil vom 10.11.2009, 5 Ca 209/09
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt

Ber­lin-Bran­den­burg

Verkündet

am 9. April 2010

Geschäfts­zei­chen (bit­te im­mer an­ge­ben)

13 Sa 30/10

5 Ca 209/09
Ar­beits­ge­richt Pots­dam

L., VA
als Ur­kunds­be­am­tin
der Geschäfts­stel­le

 

Im Na­men des Vol­kes

Ur­teil

 

In Sa­chen

pp 

hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg, 13. Kam­mer, auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 9. April 2010 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Lan­des­ar­beits­ge­richt Dr. F. als Vor­sit­zen­der­so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter B. und H.

für Recht er­kannt:

I. Die Be­ru­fung des Klägers ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Pots­dam
vom 10. No­vem­ber 2009 - 5 Ca 209/09 - wird auf sei­ne Kos­ten bei ei­nem Streit­wert von 6.400,00 EUR in der II. In­stanz zurück­ge­wie­sen.

II. Die Re­vi­si­on wird nicht zu­ge­las­sen.


Dr. F. M. B. 

 

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Tat­be­stand

Der Kläger ver­langt aus An­nah­me­ver­zug für den Mo­nat Au­gust 2009 6.400,-- € brut­to nebst Zin­sen von der Be­klag­ten. Die Be­klag­te hat­te im Rah­men von Mas­sen­ent­las­sun­gen auch das Ar­beits­verhält­nis des Klägers mit der or­dent­li­chen Kündi­gungs­frist von 7 Mo­na­ten zum Mo­nats­en­de nach § 622 Abs. 2 Ziff. 7 BGB mit Schrei­ben vom 23. De­zem­ber 2008, dem Kläger am 30. De­zem­ber 2008 zu­ge­gan­gen, zum 31. Ju­li 2009 gekündigt. Am 22. De­zem­ber 2008 hat­te die Be­klag­te bei der Bun­des­agen­tur für Ar­beit - Agen­tur für Ar­beit Pots­dam - (im Fol­gen­den: Ar­beits­agen­tur Pots­dam) gem. § 17 KSchG ei­ne Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge er­stat­tet.

Mit Be­scheid vom 23. De­zem­ber 2008 teil­te die Ar­beits­agen­tur Pots­dam der Be­klag­ten mit, dass die in § 18 KSchG fest­ge­setz­te Frist (Ent­las­sungs­sper­re oder Sperr­frist) von 1 Mo­nat am 23. De­zem­ber 2008 be­gann und am 22. Ja­nu­ar 2009 en­de­te, was nach ei­ner Verlänge­rung der Sper­re durch die Ar­beits­agen­tur Pots­dam und dem er­folg­rei­chen Wi­der­spruch der Be­klag­ten nun­mehr rechts­kräftig fest­steht.

Der Kläger ist im Rah­men sei­ner am 30. Ja­nu­ar 2009 beim Ar­beits­ge­richt Pots­dam ein­ge­gan­ge­nen Kla­ge der Auf­fas­sung ge­we­sen, dass die Kündi­gungs­frist erst mit Ab­lauf der Sperr­frist des § 18 Abs. 1 KSchG in Lauf ge­setzt wor­den sei und da­mit das Ar­beits­verhält­nis erst am 31. Au­gust 2009 ge­en­det ha­be.

Das Ar­beits­ge­richt Pots­dam hat die Kla­ge mit Ur­teil vom 10. No­vem­ber 2009 ab­ge­wie­sen und sich zur Be­gründung auf das Ur­teil des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 06. No­vem­ber 2008 - 2 AZR 935/07 - (z. B. EzA § 18 KSchG Nr. 1 mit zu­stim­men­der An­mer­kung von Bro­se) gestützt. Da­nach hin­dert die Ent­las­sungs­sper­re nach § 18 Abs. 1 KSchG we­der den Aus­spruch ei­ner Kündi­gung nach An­zei­ge der Mas­sen­ent­las­sung bei der Agen­tur für Ar­beit während des Laufs der Sperr­frist noch verlängert die Sperr­frist die ge­setz­li­chen Kündi­gungs­fris­ten. We­gen der kon­kre­ten Be­gründung des Ar­beits­ge­richts und des

 

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Vor­trags der Par­tei­en ers­ter In­stanz wird auf das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Pots­dam vom 10. No­vem­ber 2009 (Bl. 71 ff d. A.) ver­wie­sen.


Ge­gen die­ses ihr am 08. De­zem­ber 2009 zu­ge­stell­te Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Pots­dam rich­tet sich die am 07. Ja­nu­ar 2010 im Ori­gi­nal ein­ge­gan­ge­ne und am 22. Fe­bru­ar 2010 nach Verlänge­rung der Be­ru­fungs­be­gründungs­frist bis zum 22. Fe­bru­ar 2010 per Fax be­gründe­te Be­ru­fung des Klägers. Er meint, dass die Auf­fas­sung des Ar­beits­ge­richts Pots­dam und des Bun­des­ar­beits­ge­richts in der zi­tier­ten Grund­satz­ent­schei­dung eu­ro­pa­rechts­wid­rig sei und nicht genügend die Ent­schei­dungs­gründe der EuGH-Ent­schei­dung vom 27. Ja­nu­ar 2005 - C - 188/03 - [Junk] (EzA § 17 KSchG Nr. 13) berück­sich­ti­ge. Nach den dor­ti­gen Ent­schei­dungs­gründen und ins­be­son­de­re der Gleich­set­zung von „Kündi­gung“ und „Ent­las­sung“ in §§ 17, 18 KSchG könne zwar nach Er­stat­tung der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge die Kündi­gung aus­ge­spro­chen wer­den, der Lauf der Kündi­gungs­frist sei je­den­falls bis zum Ab­lauf der Ent­las­sungs­sper­re ge­hemmt, so dass vor­lie­gend der Lauf der Kündi­gungs­frist sich um 1 Mo­nat verlänge­re.

Der Kläger be­an­tragt,

das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Pots­dam vom 10. No­vem­ber 2009 - 5 Ca 209/09 - ab­zuändern und die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an ihn 6.400,-- € brut­to nebst Zin­sen in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 01. Sep­tem­ber 2009 zu zah­len.

 

Die Be­klag­te be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

 

Die Be­klag­te ver­tei­digt das erst­in­stanz­li­che Ur­teil und ver­weist so­wohl auf das Ur­teil des Bun­des­ar­beits­ge­richts als auch des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs.

We­gen des wei­te­ren kon­kre­ten Vor­trags in der zwei­ten In­stanz wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 22. Fe­bru­ar 2010 (Bl. 100 ff d. A.) und 31. März 2010 (Bl. 135 f. d. A.) und der Be­klag­ten vom 24. März 2010 (Bl. 121 ff d. A.) ver­wie­sen.

 

- 5 -

 

Ent­schei­dungs­gründe

 


I.

 

Die gem. §§ 8 Abs. 2; 64 Abs. 1, Abs. 2 Buch­sta­be b, Abs. 6; 66 Abs. 1 S. 1 und S. 5 ArbGG; §§ 519; 520 Abs. 1 und Abs. 3 ZPO zulässi­ge Be­ru­fung ist ins­be­son­de­re form­ge­recht und frist­gemäß ein­ge­legt und be­gründet wor­den.


II.

In der Sa­che hat die Be­ru­fung des Klägers je­doch kei­nen Er­folg. So­wohl im Er­geb­nis als auch in der Be­gründung zu Recht hat das Ar­beits­ge­richt Pots­dam un­ter Ver­weis auf die zi­tier­te Grund­satz­ent­schei­dung des BAG vom 06. No­vem­ber 2008 die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg folgt dem Ar­beits­ge­richt Pots­dam, dem Bun­des­ar­beits­ge­richt in der zi­tier­ten Ent­schei­dung und der bestäti­gen­den Ent­schei­dung des 8. Se­nats des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 28. Mai 2009 - 8 AZR 273/08 - EzA § 17 KSchG Nr. 20, zu Rz. 67 ff und ver­weist wie in der münd­li­chen Ver­hand­lung auf die bei­den ei­ge­nen rechts­kräftig ent­schie­de­nen Fälle vom 28. No­vem­ber 2008 - 13 Sa 1561/08 - n. v. - und 13 Sa 1461/08 - n. v. -, so dass von ei­ner nur wie­der­ho­len­den Be­gründung gem. § 69 Abs. 2 ArbGG ab­ge­se­hen wird. Zu­sam­men­fas­send wird nur dar­auf ver­wie­sen, dass nach § 18 Abs. 1 KSchG Ent­las­sun­gen, die nach § 17 KSchG an­zu­zei­gen sind, vor Ab­lauf ei­nes Mo­nats nach Ein­gang der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge nur mit Zu­stim­mung der Agen­tur für Ar­beit wirk­sam wer­den. Ei­ne nach er­folg­ter An­zei­ge­er­stat­tung aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung bleibt aber als Rechts­geschäft grundsätz­lich wirk­sam. Sie be­en­det, so­fern der Kündi­gungs­ter­min vor Ab­lauf die­ser Sperr­frist lie­gen soll­te, das Ar­beits­verhält­nis nur nicht zu dem in der Kündi­gungs­erklärung ge­nann­ten Zeit­punkt, son­dern erst mit Ab­lauf ei­nes Mo­nats nach Ein­gang der An­zei­ge, wenn kei­ne Zu­stim­mung der Agen­tur für Ar­beit zu ei­ner frühe­ren Be­en­di­gung er­folgt.

 

- 6 -

Nach dem Wort­laut des § 18 Abs. 1 KSchG darf ei­ne Kündi­gung schon un­mit­tel­bar nach Ein­gang der An­zei­ge bei der Agen­tur für Ar­beit aus­ge­spro­chen wer­den. Die Fas­sung des Ge­set­zes ver­bie­tet den Aus­spruch der Kündi­gung vor dem Ab­lauf der Sperr­frist nicht, auch wenn un­ter „Ent­las­sung“ i. S. d. § 18 Abs. 1 KSchG die Kündi­gung ver­stan­den wird. Aus dem Ge­set­zes­wort­laut lässt sich nur ent­neh­men, dass die Ent­las­sung - auch bei ord­nungs­gemäßer An­zei­ge - grundsätz­lich nicht oh­ne Ein­hal­tung ei­ner Min­dest­frist von 1 Mo­nat voll­zo­gen wer­den darf. Ge­re­gelt wird in­so­weit nur der Voll­zug der Ent­las­sung. Da­mit be­zieht sich das „Wirk­sam­wer­den“ i. S. d. § 18 KSchG auf den Ein­tritt der Rechts­fol­gen der Kündi­gung. Die­se tre­ten mit dem Ab­lauf der Kündi­gungs­frist ein. Der Ge­set­zes­wort­laut um­schreibt da­her nur ei­nen „Min­dest­zeit­raum“, der zwi­schen der An­zei­gen­er­stat­tung und der tatsächli­chen Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses lie­gen muss. Die­ses Er­geb­nis steht auch der Richt­li­nie 98/59/EG vom 20. Ju­li 1998 (Mas­sen­ent­las­sungs­richt­li­nie) nicht ent­ge­gen (BAG 28.05.2009, a. a. O., Rz. 70; BAG 06.11.2008, a. a. O., m. w. N. und ein­ge­hen­der Be­gründung). Im Streit­fall er­langt § 18 Abs. 1 KSchG des­halb kei­ne Be­deu­tung, weil der Kündi­gungs­ter­min (31.07.2009) außer­halb der Sperr­frist des § 18 Abs. 1 KSchG liegt (eben­so BAG 28.05.2009, a. a. O., Rz. 71).


III.

Der Kläger trägt da­her die Kos­ten sei­ner er­folg­lo­sen Be­ru­fung gem. § 97 Abs. 1 ZPO.



IV.


Für ei­ne Zu­las­sung der Re­vi­si­on oder ei­ner Vor­la­ge an den EuGH zwecks Vor­ab­ent­schei­dung be­stand kei­ne Ver­an­las­sung:

1. Die ent­schei­dungs­er­heb­li­che Rechts­fra­ge hat kei­ne grundsätz­li­che Be­deu­tung i. S. v. § 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG, da sie nun be­reits mehr­fach durch das Bun­des­ar­beits­ge­richt ent­schie­den wor­den ist.

 

- 7 -

2. Ei­ner Vor­la­ge an den EuGH be­durf­te es zum ei­nen des­halb nicht, weil kei­ne Vor­la­ge­pflicht gem. Art. 267 Abs. 2 AEUV be­steht, da das Lan­des­ar­beits­ge­richt we­gen der Möglich­keit der Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de nicht letzt­in­stanz­lich ent­schei­den­des na­tio­na­les Ge­richt ist (ständi­ge Recht­spre­chung der na­tio­na­len Ober­ge­rich­te, des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts und des EuGH, vgl. et­wa BFH 30.09.2009 - VII B 72/09 - zi­tiert nach ju­ris, zu Rz. 10 m. w. N. aus der Recht­spre­chung), zum an­de­ren weil auch der EuGH in der zi­tier­ten Ent­schei­dung vom 27.01.2005 [„Junk“] be­reits das vor­lie­gen­de Pro­blem ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Klägers ent­schie­den hat.

 

Rechts­mit­tel­be­leh­rung


Ge­gen die­ses Ur­teil ist ein Rechts­mit­tel der Par­tei­en da­her nicht ge­ge­ben.

 

Dr. F.

M. B.

H.

Sa

 


 

 

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