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LAG Hamm, Be­schluss vom 28.08.2003, 13 TaBV 127/03

   
Schlagworte: Betriebsrat, Betriebsänderung
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Aktenzeichen: 13 TaBV 127/03
Typ: Beschluss
Entscheidungsdatum: 28.08.2003
   
Leitsätze: Dem Betriebsrat steht ein Anspruch auf Unterlassung einer Betriebsänderung bis zum Zustandekommen oder endgültigen Scheitern eines Interessenausgleichs zu. Dieser Anspruch kann bei Vorliegen eines Verfügungsgrundes im Wege der einstweiligen Verfügung durchgesetzt werden (Änderung der früheren Rechtsprechung der Kammer).
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Minden, Beschluss vom 6.08.2003, 3 BVGa 3/03
   

13 TaBV 127/03

3 BV­Ga 3/03 ArbG Min­den  

 

Verkündet am: 28.08.2003

Rit­ter Re­gie­rungs­an­ge­stell­te Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

 

Lan­des­ar­beits­ge­richt Hamm

Im Na­men des Vol­kes

Be­schluss

In dem Be­schluss­ver­fah­ren un­ter Be­tei­li­gung

1. Be­triebs­rat der M1xxxx P1xxxxxxxxxxxxxxxxx GmbH - G1x N1xxxx -, ver­tre­ten durch den Be­triebs­rats­vor­sit­zen­den D1xxxx D2xxxxx, N1xxxx 51, 31xxx P2xxxxxxxxx,

- An­trag­stel­ler und Be­schwer­deführer -

Ver­fah­rens­be­vollmäch­tig­te:
Rechts­anwälte K1xxxxxx und V1xxxx, H1xxxx S1xxxx 12, 32xxx M2xxxx,

2. M1xxxx P1xxxxxxxxxxxxxxxxx GmbH, ver­tre­ten durch die Geschäftsführer D3. A1xx P3xxxx, D3. M3xxxx K2xxxx und D1xxxx W1xxx, N1xxxx 51, 31xxx P2xxxxxxxxx,

Ver­fah­rens­be­vollmäch­tig­te:
Rechts­anwälte F1xxx & C1xxxxxx, K3xxxxxxxxxx 21, 33xxx W2xxxxxx,

hat die 13. Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts Hamm auf­grund der münd­li­chen Anhörung vom 28.08.2003
durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Lan­des­ar­beits­ge­richt Schle­gel
so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Schöne­berg und Pe­ter­sen

be­schlos­sen:

 

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Auf die Be­schwer­de des Be­triebs­rats wird der am 06.08.2003 verkünde­te Be­schluss des Ar­beits­ge­richts Min­den - 3 BV­Ga 3/03 - ab­geändert.

Dem Ar­beit­ge­ber wird auf­ge­ge­ben, die am 01.09.2003 ge­plan­te Aus­glie­de­rung der Be­triebs­tei­le Küche/Ca­fe­te­ria auf die Fir­ma „m4xx a3 l1 c2xxx" C3xxxxxx GmbH, B3xxxx, so lan­ge zu un­ter­las­sen, bis der zwi­schen den Be­tei­lig­ten zu ver­su­chen­de In­ter­es­sen­aus­gleich zu­stan­de ge­kom­men oder endgültig ge­schei­tert ist.

Für den Fall der Zu­wi­der­hand­lung wird dem Ar­beit­ge­ber ein Ord­nungs­geld bis zu 100.000,00 € an­ge­droht.

Gründe

I

Der Be­triebs­rat will dem am Ver­fah­ren be­tei­lig­ten Ar­beit­ge­ber im We­ge der einst­wei­li­gen Verfügung auf­ge­ben las­sen, die Aus­glie­de­rung ei­nes Be­triebs­teils bis zum Ab­schluss oder Schei­tern ei­nes In­ter­es­sen­aus­gleichs zu un­ter­las­sen.

Der Ar­beit­ge­ber be­treibt ei­ne Be­treu­ungs- und Pfle­ge­ein­rich­tung für psy­chisch Kran­ke und Sucht­kran­ke. Er beschäftigt re­gelmäßig et­wa 108 Ar­beit­neh­mer. An­trag­stel­ler ist der dort be­ste­hen­de Be­triebs­rat.

Mit Schrei­ben vom 15.05.2003 un­ter­rich­te­te der Ar­beit­ge­ber den Wirt­schafts­aus­schuss über das ge­plan­te Out­sour­cing des Be­triebs­teils Küche/Ca­fe­te­ria. Der Ar­beit­ge­ber teil­te die Gründe für die ge­plan­te Maßnah­me mit. Er teil­te wei­ter mit, das über­neh­men­de Un­ter­neh­men sol­le die Ar­beit­neh­mer wei­ter beschäfti­gen und die Be­triebs­mit­tel pach­ten. Der Be­triebsüber­gang sei kei­ne Be­triebsände­rung. Von der Maßnah­me sind acht Mit­ar­bei­ter be­trof­fen, die im Be­triebs­teil Küche/Ca­fe­te­ria beschäftigt wer­den. Mit Schrei­ben vom 10.06.2003 for­der­te der Be­triebs­rat den Ar­beit­ge­ber auf, in Ver­hand­lun­gen über ei­nen In­ter­es­sen­aus­gleich und So­zi­al­plan ein­zu­tre­ten. Der Ar­beit­ge­ber er­wi­der­te mit Schrei­ben vom 11.06.2003, die Maßnah­me sei we­der in­ter­es­sen­aus­gleichs- noch so­zi­al­plan­pflich­tig.

 

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Auf An­trag des Be­triebs­rats be­stell­te das Ar­beits­ge­richt durch Be­schluss vom 08.07.2003 - 3 BV 30/03 - ei­nen Ei­ni­gungs­stel­len­vor­sit­zen­den und setz­te die Zahl der Bei­sit­zer der Ei­ni­gungs­stel­le fest. Ge­gen­stand der Ei­ni­gungs­stel­le ist un­ter an­de­rem der Ver­such der Her­beiführung ei­nes In­ter­es­sen­aus­gleichs we­gen der ge­plan­ten Aus­glie­de­rung der Be­triebs­tei­le Küche/Ca­fe­te­ria. Der Be­schluss ist in­zwi­schen rechts­kräftig. Die Ei­ni­gungs­stel­le ist aber noch nicht zu­sam­men­ge­tre­ten.

Mit gleich­lau­ten­den Schrei­ben vom 23.07.2003 teil­ten der Ar­beit­ge­ber und der Be­triebs­er­wer­ber den acht von der ge­plan­ten Maßnah­me be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mern mit, die Geschäfts­fel­der Küche und Ca­fe­te­ria würden an den Be­triebs­er­wer­ber „m4xx á1 l1 c2xxx" C3xxxxxx GmbH ver­ge­ben. Der Teil­be­triebsüber­gang wer­de zum 01.09.2003 statt­fin­den. We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten wird auf die Ko­pie die­ses Schrei­bens Be­zug ge­nom­men (Bl. 16 - 18 d.A.).

Mit sei­nem am 01.08.2003 bei dem Ar­beits­ge­richt Min­den ein­ge­gan­ge­nen An­trag auf Er­lass ei­ner einst­wei­li­gen Verfügung will der Be­triebs­rat dem Ar­beit­ge­ber auf­ge­ben las­sen, die Aus­glie­de­rung der Be­triebs­tei­le Küche/Ca­fe­te­ria zu un­ter­las­sen, bis ein In­ter­es­sen­aus­gleich zu­stan­de ge­kom­men oder endgültig ge­schei­tert ist. Der Be­triebs­rat hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, ihm ste­he der gel­tend ge­mach­te Un­ter­las­sungs­an­spruch zu. Es be­ste­he auch der er­for­der­li­che Verfügungs­grund. Da der Ar­beit­ge­ber die Maßnah­me zum 01.09.2003 durchführen wol­le, könne der Be­triebs­rat nicht auf ein nor­ma­les Be­schluss­ver­fah­ren ver­wie­sen wer­den.

Der Be­triebs­rat hat be­an­tragt,

dem Ar­beit­ge­ber auf­zu­ge­ben, die am 01.09.2003 ge­plan­te Aus­glie­de­rung der Be­triebs­tei­le Küche/Ca­fe­te­ria auf die Fir­ma „m4xx á1 l1 c2xxx" C3xxxxxx GmbH, B3xxxx, so lan­ge zu un­ter­las­sen, bis der zwi­schen den Be­tei­lig­ten zu ver­su­chen­de In­ter­es­sen­aus­gleich zu­stan­de ge­kom­men oder endgültig ge­schei­tert ist,

für den Fall der Zu­wi­der­hand­lung dem Ar­beit­ge­ber ein Ord­nungs­geld bis zu 100.000,00 € an­zu­dro­hen.

Der Ar­beit­ge­ber hat be­an­tragt,

die Anträge zurück­zu­wei­sen.

 

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Der Ar­beit­ge­ber hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, es be­ste­he kein An­spruch des Be­triebs­rats auf Er­lass der einst­wei­li­gen Verfügung.

Durch ei­nen am 06.08.2003 verkünde­ten Be­schluss hat das Ar­beits­ge­richt die Anträge des Be­triebs­rats ab­ge­wie­sen. Auf die Gründe des an­ge­foch­te­nen Be­schlus­ses wird Be­zug ge­nom­men.

Ge­gen die­sen Be­schluss wen­det sich der Be­triebs­rat mit sei­ner form- und frist­ge­recht ein­ge­leg­ten und be­gründe­ten Be­schwer­de. Der Be­triebs­rat ver­tritt wei­ter­hin die Auf­fas­sung, der gel­tend ge­mach­te Un­ter­las­sungs­an­spruch be­ste­he. We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des zweit­in­stanz­li­chen Vor­trags des Be­triebs­rats wird auf sei­ne Schriftsätze vom 12. und 26.08.2003 Be­zug ge­nom­men.

Der Be­triebs­rat be­an­tragt,

den Be­schluss des Ar­beits­ge­richts Min­den vom 06.08.2003 - 3 BV­Ga 3/03 - ab­zuändern,

dem Ar­beit­ge­ber auf­zu­ge­ben, die am 01.09.2003 ge­plan­te Aus­glie­de­rung der Be­triebs­tei­le Küche/Ca­fe­te­ria auf die Fir­ma „m4xx á1 l1 c2xxx" C3xxxxxx GmbH, B3xxxx, so lan­ge zu un­ter­las­sen, bis der zwi­schen den Be­tei­lig­ten zu ver­su­chen­de In­ter­es­sen­aus­gleich zu­stan­de ge­kom­men oder endgültig ge­schei­tert ist,

für den Fall der Zu­wi­der­hand­lung dem Ar­beit­ge­ber ein Ord­nungs­geld bis zu 100.000,00 € an­zu­dro­hen.

Der Ar­beit­ge­ber be­an­tragt,

die Be­schwer­de zurück­zu­wei­sen.

Der Ar­beit­ge­ber ver­tritt wei­ter­hin die Auf­fas­sung, der von dem Be­triebs­rat gel­tend ge­mach­te Un­ter­las­sungs­an­spruch be­ste­he nicht. We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des zweit­in­stanz­li­chen Vor­trags des Ar­beit­ge­bers wird auf sei­nen Schrift­satz vom 26.08.2003 Be­zug ge­nom­men.

 

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II

Die Be­schwer­de des Be­triebs­rats ist zulässig. Sie ist auch be­gründet. Der an­ge­foch­te­ne Be­schluss war ab­zuändern und den Anträgen des Be­triebs­rats war statt­zu­ge­ben.

In Recht­spre­chung und Li­te­ra­tur ist die Fra­ge um­strit­ten, ob dem Be­triebs­rat ein im einst­wei­li­gen Verfügungs­ver­fah­ren durch­setz­ba­rer An­spruch auf Un­ter­las­sung ei­ner Be­triebsände­rung bis zum Ab­schluss der Ver­hand­lun­gen über ei­nen In­ter­es­sen­aus­gleich zu­steht oder ob im Rah­men des § 111 Be­trVG ein Un­ter­las­sungs­an­spruch be­reits vom Grund­satz her nicht in Be­tracht kommt (vgl. ei­ner­seits: LAG Ham­burg, Be­schluss vom 13.11.1981 - DB 1982, 1522; LAG Frank­furt, Be­schluss vom 21.09.1982 - DB 1983, 613; LAG Hamm, Be­schluss vom 23.03.1984 - AuR 1984, 54; LAG Ber­lin, Be­schluss vom 07.09.1995 - LA­GE § 111 Be­trVG 1972 Nr. 13 = NZA 1996, 1284; LAG Ham­burg, Be­schluss vom 26.06.1997 - LA­GE § 113 Be­trVG 1972 Nr. 6 = NZA-RR 1997, 296; LAG Ham­burg, Be­schluss vom 27.06.1997 - LA­GE § 111 Be­trVG 1972 Nr. 15; LAG Thürin­gen, Be­schluss vom 26.09.2000 - LA­GE § 111 Be­trVG 1972 Nr. 17; Fit­ting/Kai­ser/Heit­her/En­gels/Schmidt, Be­trVG, 21. Aufl., § 111 Rz. 130 ff.; Däubler/Kitt­ner/ Kle­be, Be­trVG, 8. Aufl., §§ 112, 112 a Rz. 23; Fa­bri­ci­us/Oet­ker, 7. Aufl., § 111 Rz. 189 ff.; Heit­her, Fest­schrift für Däubler, 1999, S. 338; Mat­thes, RDA 1999, 178; Mat­thes, Fest­schrift für Die­te­rich, 1999, S. 355; Zwan­zi­ger, BB 1998, 477; Pflüger, DB 1998, 2062; Dütz, AuR 1998, 181; an­de­rer­seits: LAG Schles­wig-Hol­stein, Be­schluss vom 13.01.1992 - LA­GE § 111 Be­trVG 1972 Nr. 11; LAG Düssel­dorf, Be­schluss vom 19.11.1996 - LA­GE § 111 Be­trVG 1972 Nr. 14 = NZA-RR 1997, 297; LAG Hamm, Be­schluss vom 01.04.1997 - NZA-RR 1997, 343; ArbG Dres­den, Be­schluss vom 25.07.1997 - NZA-RR 1998, 125; ArbG Schwe­rin, Be­schluss vom 13.02.1998 - NZA-RR 1998, 448; Bau­er, DB 1994, 224; Schaub, Ar­beits­rechts­hand­buch, 9. Aufl., § 244 Rz. 29; Ri­char­di/An­nuß, Be­trVG, 8. Aufl., § 111 Rz. 166 f.; Ho­hen­statt, NZA 1998 Rz. 846; Neef, NZA 1997, 68; Raab, ZfA 1997, 183, 246 ff. m.j.w.N.).

Die er­ken­nen­de Kam­mer hat in zwei Be­schlüssen die Auf­fas­sung ver­tre­ten, es be­ste­he kein An­spruch des Be­triebs­rats auf Un­ter­las­sung ei­ner Be­triebsände­rung bis zum Ab­schluss der Ver­hand­lun­gen über ei­nen In­ter­es­sen­aus­gleich (Be­schlüsse v. 01.04.1997 - 13 TaBV 34/97 - und v. 23.07.1997 - 13 TaBV 77/97 -). Die­se Recht­spre­chung wird auf­ge­ge­ben. Die bes­se­ren Ar­gu­men­te spre­chen dafür, ei­nen Un­ter­las­sungs­an­spruch des Be­triebs­rats zu be­ja­hen.

§ 111 Abs. 1 Be­trVG ver­pflich­tet den Ar­beit­ge­ber zur Un­ter­rich­tung des Be­triebs­rats über ge­plan­te Be­triebsände­run­gen. Nach die­ser Vor­schrift ist der Ar­beit­ge­ber darüber hin­aus zur

 

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Be­ra­tung mit dem Be­triebs­rat ver­pflich­tet. Das in § 112 Abs. 2 Be­trVG vor­ge­se­he­ne Ver­fah­ren, zu ei­nem In­ter­es­sen­aus­gleich zu ge­lan­gen, muss voll aus­geschöpft wer­den (BAG v. 18.12.1984 - 1 AZR 176/82 -). Dar­aus er­gibt sich al­ler­dings noch nicht, ob der Be­triebs­rat selbst zur Wah­rung sei­ner Rech­te auf Be­ra­tung und da­mit zur Si­che­rung der Möglich­keit, auf die Wil­lens­bil­dung des Un­ter­neh­mers Ein­fluss neh­men zu können, ei­nen An­spruch auf Un­ter­las­sung al­ler Maßnah­men hat, die die Be­triebsände­rung ganz oder teil­wei­se vor­weg neh­men. Nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts be­darf je­doch nicht die Be­ja­hung ei­nes Un­ter­las­sungs­an­spruchs ei­ner be­son­de­ren Be­gründung, son­dern des­sen Ver­nei­nung, weil dem Ge­setz­ge­ber im Zwei­fel nicht un­ter­stellt wer­den kann, dass er rechts­wid­ri­ges Ver­hal­ten sank­ti­ons­los hin­neh­men will (BAG v. 23.07.1996 - 1 ABR 13/96 - zu B III 1 der Gründe). Das in § 111 Be­trVG ge­re­gel­te Be­ra­tungs­recht be­zweckt, dass die Wahr­neh­mung der Ar­beit­neh­mer­inter­es­sen bei ei­ner Be­triebsände­rung in die Ent­schei­dungs­fin­dung des Un­ter­neh­mers ein­ge­hen (Ri­char­di, Be­trVG, § 111 Rn. 163). Wird da­her ei­ne Be­triebsände­rung durch­geführt, oh­ne dass ei­ne Be­ra­tung statt­ge­fun­den hat, muss sich der Be­triebs­rat da­ge­gen zur Wehr set­zen können (Mat­thes, FS Wlotz­ke S. 417). Zur Si­che­rung der Be­tei­li­gungs­rech­te des Be­triebs­rats sind Un­ter­las­sungs­ansprüche des Be­triebs­rats er­for­der­lich, denn das Ge­setz will mit­be­stim­mungs­wid­ri­ges Ver­hal­ten des Ar­beit­ge­bers ver­hin­dern (Fit­ting, Be­trVG, 21. Aufl., § 111 Rn. 132).

Aus der in § 113 Abs. 3 Be­trVG ent­hal­te­nen Sank­ti­onsmöglich­keit er­gibt sich kein hin­rei­chen­der Schutz des Rechts des Be­triebs­rats auf Un­ter­rich­tung und Be­ra­tung. Ob die Ar­beit­neh­mer ih­re sich aus § 113 Abs. 3 Be­trVG er­ge­ben­den Rech­te gel­tend ma­chen, hängt al­lein von ih­nen ab. Die Ver­hand­lun­gen über ei­nen In­ter­es­sen­aus­gleich be­hal­ten aber nur dann ih­ren Sinn, wenn der Ar­beit­ge­ber nicht von sich aus „voll­ende­te Tat­sa­chen" schaf­fen kann. Eben­so wie die Sank­ti­on der in­di­vi­du­al­recht­li­chen Un­wirk­sam­keit mit­be­stim­mungs­wid­ri­ger Maßnah­men des Ar­beit­ge­bers nach § 87 Be­trVG den Un­ter­las­sungs­an­spruch des Be­triebs­rats nicht aus­sch­ließt, schließt die ge­setz­li­che Re­ge­lung in­di­vi­du­al­recht­li­cher Ansprüche von Ar­beit­neh­mern in § 113 Abs. 3 Be­trVG ei­nen Un­ter­las­sungs­an­spruch des Be­triebs­rats nicht aus. Der Be­triebs­rat als Träger der Be­tei­li­gungs­rech­te muss selbst ein wirk­sa­mes In­stru­ment zur Ver­hin­de­rung mit­be­stim­mungs­wid­ri­gen Ver­hal­tens in der Hand ha­ben. § 113 Be­trVG kann nichts darüber aus­sa­gen, wel­che Rech­te dem Be­triebs­rat zu­ste­hen. Der Un­ter­las­sungs­an­spruch ist ein Si­che­rungs­an­spruch, er will be­triebs­ver­fas­sungs­gemäßes Ver­hal­ten er­rei­chen. Ansprüche aus § 113 Be­trVG sind Sank­tio­nen bei be­reits ein­ge­tre­te­nem mit­be­stim­mungs­wid­ri­gem Ver­hal­ten. Bei­de Ansprüche ergänzen sich, schließen sich aber nicht aus (Fit­ting, aaO, § 111 Rn. 133). Aus der in § 113 Abs. 3 Be­trVG ent­hal­te­nen Re­ge­lung lässt sich nicht

 

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ent­neh­men, dass der Ge­setz­ge­ber ei­nen wei­ter­ge­hen­den Schutz ge­gen mit­be­stim­mungs­wid­ri­ges Ver­hal­ten nicht gewähren woll­te.

Dem Un­ter­las­sungs­an­spruch des Be­triebs­rats steht auch nicht der Um­stand ent­ge­gen, dass der Be­triebs­rat letzt­lich die Durchführung der Be­triebsände­rung nicht ver­hin­dern kann. Ge­ra­de weil der Be­triebs­rat nur auf Ar­gu­men­te an­ge­wie­sen ist, muss ihm die­ser Ein­fluss auf die Wil­lens­bil­dung des Ar­beit­ge­bers ge­si­chert wer­den. Wenn schon dem Be­triebs­rat ei­ne di­rek­te Ein­fluss­nah­me auf die un­ter­neh­me­ri­sche Ent­schei­dung ver­sagt ist, ist es um­so not­wen­di­ger, dem Be­triebs­rat ein ab­ge­si­cher­tes Ver­fah­ren zur Verfügung zu stel­len, um die Ar­beit­neh­mer­inter­es­sen ar­gu­men­ta­tiv in den Ent­schei­dungs­pro­zess des Un­ter­neh­mers ein­fließen zu las­sen. Bei gu­ten Ar­gu­men­ten des Be­triebs­rats wird ein verständi­ger Un­ter­neh­mer sei­ne Ent­schei­dung über­prüfen und ge­ge­be­nen­falls auf die vor­ge­tra­ge­nen Ar­gu­men­te re­agie­ren. Im­mer wie­der ha­ben Be­triebsräte in Anhörungs­ter­mi­nen vor der er­ken­nen­den Kam­mer über­zeu­gend vor­ge­tra­gen, wie wert­voll und für die Wahr­neh­mung der Ar­beit­neh­mer­inter­es­sen wich­tig es ist, wenn es dem Be­triebs­rat ge­lingt, mit dem Ar­beit­ge­ber „an ei­nen Tisch zu kom­men", auch wenn der Be­triebs­rat nur auf Ar­gu­men­te an­ge­wie­sen ist.

Ins­ge­samt ist fest­zu­hal­ten, dass dem Ver­hand­lungs­an­spruch des Be­triebs­rats bezüglich des In­ter­es­sen­aus­gleichs ein Un­ter­las­sungs­an­spruch des Be­triebs­rats kor­re­spon­diert, der sich ge­gen je­de ein­sei­ti­ge Durchführung der Be­triebsände­rung rich­tet. Miss­ach­tet der Ar­beit­ge­ber den Ver­hand­lungs­an­spruch des Be­triebs­rats, kann der Be­triebs­rat ver­lan­gen, dass der Ar­beit­ge­ber die Be­triebsände­rung bis zum Ab­schluss ei­nes In­ter­es­sen­aus­gleichs oder bis zum endgülti­gen Schei­tern des In­ter­es­sen­aus­gleichs un­terlässt.

Da der Ar­beit­ge­ber hier ei­ne Be­triebsände­rung im Sin­ne von § 111 Satz 2 Nr. 3 Be­trVG plant, oh­ne den Be­triebs­rat gemäß § 111 Abs. 1 Be­trVG zu be­tei­li­gen, be­steht der vom Be­triebs­rat gel­tend ge­mach­te Un­ter­las­sungs­an­spruch. Die ge­plan­te Aus­glie­de­rung der Be­rei­che Küche/Ca­fe­te­ria erfüllt den Tat­be­stand ei­ner Spal­tung im Sin­ne von § 111 Satz 2 Nr. 3 Be­trVG. Ei­ne Be­triebs­auf­spal­tung liegt zum Bei­spiel vor, wenn der Un­ter­neh­mer ei­nen Be­triebs­teil aus­glie­dert, um ihn auf ein an­de­res Un­ter­neh­men zu über­tra­gen (Fit­ting, aaO, § 111 Rn. 88). Nicht er­for­der­lich ist, dass es sich um ei­nen „we­sent­li­chen" Be­triebs­teil han­delt. § 111 Satz 2 Nr. 3 Be­trVG stellt nicht auf die Ab­spal­tung ei­nes er­heb­li­chen oder we­sent­li­chen Teils ei­nes Be­trie­bes ab. Wird ein Be­triebs­teil, wie hier, an ein an­de­res Un­ter­neh­men veräußert, setzt dies ei­ne veräußerungsfähi­ge Ein­heit vor­aus. Die­se ist aber re­gelmäßig erst bei ei­ner wirt­schaft­lich re­le­van­ten Größen­ord­nung und ei­ner ab­grenz­ba­ren, ei­genständi­gen Struk­tur ge­ge­ben. Die Aus­glie­de­rung im Zu­sam­men­hang mit ei­ner Über­tra­gung erfüllt da­her re­gelmäßig den Be­griff der Spal­tung (BAG v. 10.12.1996 - 1 ABR

 

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32/96 -). Da­mit ist fin­giert, dass auf­grund die­ser Spal­tung we­sent­li­che Nach­tei­le für die Be­leg­schaft oder er­heb­li­che Tei­le da­von ein­tre­ten können.

Es be­steht auch der er­for­der­li­che Verfügungs­grund. Die Sa­che eilt, weil der Ar­beit­ge­ber die Maßnah­me be­reits am 01.09.2003 durchführen will, oh­ne die Ver­hand­lung der Ei­ni­gungs­stel­le ab­zu­war­ten. Zur Wah­rung sei­nes sich aus § 111 Be­trVG er­ge­ben­den Be­ra­tungs­rechts ist der Be­triebs­rat auf die einst­wei­li­ge Verfügung an­ge­wie­sen. In ei­nem Haupt­sa­che­ver­fah­ren könn­te das Be­ra­tungs­recht des Be­triebs­rats nicht mehr recht­zei­tig vor Durchführung der Be­triebsände­rung erstrit­ten wer­den.

Auf An­trag des Be­triebs­rats war dem Ar­beit­ge­ber ein Ord­nungs­geld für den Fall der Zu­wi­der­hand­lung an­zu­dro­hen. Die­se An­dro­hung folgt aus § 890 ZPO. Die An­dro­hung des Ord­nungs­gel­des ist auch be­reits im Er­kennt­nis­ver­fah­ren möglich und zulässig.

Rechts­mit­tel­be­leh­rung

Ge­gen die­se Ent­schei­dung fin­det die Rechts­be­schwer­de nicht statt, §§ 92 Abs. 1 Satz 3, 85 Abs. 2 ArbGG.

Der eh­ren­amt­li­che Rich­ter Schöne­berg ist an der Un­ter­schrift we­gen Ur­laub ver­hin­dert.

 

Schle­gel 

Schle­gel 

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Ri.

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