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LAG Hamm, Be­schluss vom 28.06.2010, 13 Ta 372/10

   
Schlagworte: Betriebsrat, Betriebsänderung
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Aktenzeichen: 13 Ta 372/10
Typ: Beschluss
Entscheidungsdatum: 28.06.2010
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Detmold, Beschluss vom 24.06.2010, 2 BVGA 6/10
   

13 Ta 372/10

2 BV­Ga 6/10
ArbG Det­mold

 

Verkündet am 28.06.2010

Bre­er Reg.-Beschäftig­te Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

 

Lan­des­ar­beits­ge­richt Hamm

Im Na­men des Vol­kes

Be­schluss

In dem Ver­fah­ren mit den Be­tei­lig­ten

hat die 13. Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts Hamm auf­grund der münd­li­chen Anhörung vom 28.06.2010 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Lan­des­ar­beits­ge­richt Dr. Müller so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Feld­kamp und Hüls­mann

be­schlos­sen :

Die Be­schwer­de des Be­triebs­rats ge­gen den Be­schluss des Ar­beits­ge­richts Det­mold vom 24.06.2010 – 2 BV­Ga 6/10 – wird zurück­ge­wie­sen.

 

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Gründe

A.

Hin­sicht­lich des Tat­be­stan­des wird Be­zug ge­nom­men auf I. der erst­in­stanz­li­chen Ent­schei­dung. Im Übri­gen wird von der Dar­stel­lung ab­ge­se­hen (vgl. § 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO).

B.

Die gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zulässi­ge so­for­ti­ge Be­schwer­de des Be­triebs­ra­tes ist un­be­gründet.

I.

Al­ler­dings be­steht ent­ge­gen der An­sicht des Ar­beits­ge­richts ein im We­ge der einst­wei­li­gen Verfügung durch­setz­ba­rer An­spruch des Be­triebs­ra­tes dar­auf, Be­triebsände­run­gen so lan­ge zu un­ter­las­sen, bis von Sei­ten des Ar­beit­ge­bers den An­for­de­run­gen des § 111 Satz 1 Be­trVG Rech­nung ge­tra­gen wor­den ist. Dies ent­spricht der ständi­gen Recht­spre­chung bei­der Be­schwer­de­kam­mern des LAG Hamm seit der grund­le­gen­den Ent­schei­dung vom 28.08.2003 (13 TaBV 127/03 - AP Be­trVG 1972 § 112 Nr. 165; 26.02.2007 – 10 TaBV­Ga 3/07 – NZA-RR 2007, 469; 30.07.2007 – 10 TaBV­Ga 17/07 – AuR 2008, 121; 30.07.2007 - 13 TaBV­Ga 16/07; 30.04.2008 - 13 TaBV­Ga 8/08; 30.05.2008 – 10 TaBV­Ga 9/08, je­weils m.w.N.).
Nur so kann nämlich si­cher­ge­stellt wer­den, dass der Be­triebs­rat die ihm durch §§ 111, 112 Be­trVG zu­ge­wie­se­nen Auf­ga­ben wahr­neh­men kann, nämlich nach er­folg­ter Un­ter­rich­tung im Zu­ge der zwin­gend vom Ge­setz­ge­ber vor­ge­ge­be­nen Be­ra­tung die Ar­beit­neh­mer­inter­es­sen ar­gu­men­ta­tiv in den Ent­schei­dungs­pro­zess des Un­ter­neh­mers ein­fließen zu las­sen. Bei der Gewährung ei­nes Un­ter­las­sungs­an­spruchs geht es al­so aus­sch­ließlich dar­um, den Weg bis zum ord­nungs­gemäßen Zu­stan­de­kom­men ei­nes In­ter­es­sen­aus­gleichs oder sei­nes

 

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Schei­terns ver­fah­rens­recht­lich ab­zu­si­chern. An­dern­falls würde man den Be­triebs­rat hin­sicht­lich sei­ner Rech­te auf recht­zei­ti­ge und um­fas­sen­de Un­ter­rich­tung und auf Be­ra­tung ein­sch­ließlich der Möglich­kei­ten, den Vor­stand der Bun­des­agen­tur für Ar­beit um Ver­mitt­lung zu er­su­chen und/oder die Ei­ni­gungs­stel­le an­zu­ru­fen (§ 111 Satz 1, § 112 Abs. 2 Be­trVG), im Er­geb­nis schutz­los stel­len.
Auch der Ver­weis auf § 113 Abs. 3 Be­trVG kann den Un­ter­las­sungs­an­spruch nicht aus­sch­ließen. Es muss nämlich un­ter­schie­den wer­den zwi­schen dem kol­lek­tiv­recht­li­chen Verhält­nis zwi­schen Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat ei­ner­seits und dem in­di­vi­du­al­recht­li­chen Verhält­nis zwi­schen Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer an­de­rer­seits. Die Tat­sa­che, dass ei­nem be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer ein von ihm gel­tend zu ma­chen­der Nach­teils­aus­gleichs­an­spruch zu­steht, kann ent­ge­gen der An­sicht des Ar­beits­ge­richts nicht da­zu führen, die dem Be­triebs­rat als Kol­lek­tiv­or­gan zu­ste­hen­den Rech­te nach §§ 111 f. Be­trVG als aus­rei­chend ge­si­chert an­zu­se­hen. Be­son­ders an­schau­lich kommt das auch in dem von Fit­ting (25. Aufl., § 111 Rn. 138) vor­ge­schla­ge­nen Weg zum Aus­druck. Da­nach hat das Ge­richt zur ef­fek­ti­ven Durch­set­zung der ge­nann­ten Rech­te im We­ge der einst­wei­li­gen Verfügung über § 85 Abs. 2 ArbGG und § 935 ZPO gemäß § 938 Abs. 1 ZPO nach frei­em Er­mes­sen die zur Zweck­er­rei­chung er­for­der­li­chen An­ord­nun­gen zu tref­fen. In dem Rah­men kann nach § 938 Abs. 2 ZPO die einst­wei­li­ge Verfügung dar­in lie­gen, ei­ne Hand­lung zu ver­bie­ten, kon­kret al­so die (einst­wei­li­ge) Durchführung der Be­triebsände­rung.

Soll­te das Ar­beits­ge­richt auch zukünf­tig der seit nun­mehr fast sie­ben Jah­ren be­ste­hen­den ge­fes­tig­ten Recht­spre­chung – so­weit er­sicht­lich – als ein­zi­ges im Be­zirk des LAG Hamm im­mer noch nicht fol­gen können, ist es je­den­falls von der Ver­fah­rens­wei­se her nicht un­pro­ble­ma­tisch, dass zwar, wie in § 85 Abs. 2 Satz 2 ArbGG für das Be­schluss­ver­fah­ren zwin­gend vor­ge­ge­ben, im­mer in Kam­mer­be­set­zung ent­schie­den wird, dass Ar­beits­ge­richt aber da­von ab­sieht, par­al­lel zu den Bei­sit­zern auch die Be­tei­lig­ten un­ter Verkürzung von La­dungs­fris­ten zu ei­nem be­schleu­nigt an­be­raum­ten Anhörungs­ter­min, hier z.B. am 24.06.2010, zu la­den. Auch dann hätte nämlich noch aus­rei­chend Zeit zur Verfügung ge­stan­den, um das Ver­fah­ren – wie ge­sche­hen – recht­zei­tig vor dem Aus­spruch be­triebs­be­ding­ter Kündi­gun­gen beim Lan­des­ar­beits­ge­richt, das am 25.06.2010 mit­tags nach Ein­gang

 

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der so­for­ti­gen Be­schwer­de die Be­tei­lig­ten für den fol­gen­den Mon­tag zu ei­nem Anhörungs­ter­min ge­la­den hat, rechts­kräftig ab­zu­sch­ließen.

II.

Die Be­schwer­de­kam­mer folgt aber den Ausführun­gen un­ter II. 2. b) der Gründe des Ar­beits­ge­richts, wo­nach im hier maßgeb­li­chen Zeit­punkt der letz­ten un­ter­neh­me­ri­schen Ent­schei­dung nicht (mehr) fest­stell­bar ist, dass die Ar­beit­ge­be­rin ei­ne be­tei­li­gungs­pflich­ti­ge Be­triebsände­rung im Sin­ne des § 111 Satz 1, Satz 3 Nr. 1 Be­trVG plan­te.

1. Nach der zu­tref­fen­den Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (zu­letzt z.B. 31.05.2007 – 2 AZR 254/06 – AP Be­trVG 1972 § 111 Nr. 65; 28.03.2006 – 1 ABR 5/05 – AP Be­trVG 1972 § 112 a Nr. 12; zust. Fit­ting, a.a.O., § 111 Rn. 74 ff.) kann ei­ne Be­triebsände­rung, wie hier vor­ge­bracht, auch durch ei­nen bloßen Per­so­nal­ab­bau er­fol­gen. Dann muss sie ei­ne re­le­van­te Zahl von Ar­beit­neh­mern er­fas­sen, wofür wie­der­um die Zah­len des § 17 KSchG maßgeb­lich sind.
Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KSchG müssen da­nach hier von der Maßnah­me der Ar­beit­ge­be­rin bei ins­ge­samt 57 Beschäftig­ten mehr als fünf Ar­beit­neh­mer er­fasst sein.
Die­se Vor­aus­set­zung liegt nicht (mehr) vor. Die Ar­beit­ge­be­rin hat in der münd­li­chen Anhörung am 28.06.2010 an­schau­lich dar­ge­legt, dass sie von ih­rem ursprüng­li­chen Plan, sich ins­ge­samt von sechs Ar­beit­neh­mern zu tren­nen, in­ner­halb kur­zer Zeit wie­der Ab­stand ge­nom­men hat und jetzt „nur" noch fünf Ar­beit­neh­mern be­triebs­be­dingt kündi­gen will. Denn wenn sie in ih­ren – un­verändert ge­blie­be­nen – Aus­gangsüber­le­gun­gen u.a. von der Not­wen­dig­keit aus­ging, im Ar­beits­be­reich „Ver­la­dung/Pro­duk­ti­ons­ent­sor­gung" ei­nem Per­so­nalüber­hang von 4,6 Rech­nung tra­gen zu müssen, lag es in ih­rer un­ter­neh­me­ri­schen Frei­heit, in­so­weit auf vier ab- und nicht auf fünf Ar­beits­kräfte auf­zu­run­den. Dafür spricht auch, dass bei der Ent­las­sung von fünf Stap­ler­fah­rern ei­ne nach den ei­ge­nen Zah­len sich er­ge­ben­de Un­ter­be­set­zung im Um­fang von 0,4 ein­ge­tre­ten wäre.

 

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2. So­weit sich der Be­triebs­rat auf ei­ne da­nach nur ge­ge­be­ne ge­ringfügi­ge Un­ter­schrei­tung des maßgeb­li­chen Werts von sechs Ar­beit­neh­mern be­ruft, kann sein Be­geh­ren eben­falls kei­nen Er­folg ha­ben.
Al­ler­dings hat es das Bun­des­ar­beits­ge­richt in ei­nem Ur­teil vom 17.08.1990 (1 AZR 445/89 – AP Be­trVG 1972 § 111 Nr. 34; ihm fol­gend: LAG Ber­lin, 07.09.1995 – 10 TaBV 5/95 – AP Be­trVG 1972 § 111 Nr. 36) für möglich ge­hal­ten, dass ei­ne Be­triebsände­rung gemäß § 111 Satz 3 Nr. 1 Be­trVG auch ge­ge­ben sein kann, wenn die als Richt­schnur die­nen­den Zah­len des § 17 KSchG ge­ringfügig un­ter­schrit­ten wer­den. Aus Sicht der Kam­mer kann dem nicht ge­folgt wer­den.
So hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt selbst in späte­ren Ent­schei­dun­gen (u.a. 31.05.2007 – 2 AZR 254/06 – AP Be­trVG 1972 § 111 Nr. 65; 28.03.2006 – 1 ABR 5/05 – AP Be­trVG 1972 § 112 a Nr. 12) her­aus­ge­stri­chen, sei­ne Recht­spre­chung zur Be­triebsände­rung durch bloßen Per­so­nal­ab­bau ha­be der Ge­setz­ge­ber durch die Schaf­fung des § 112 a Be­trVG bestätigt. In § 112 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Be­trVG ist aber zah­lenmäßig fest ver­an­kert, dass min­des­tens sechs Ar­beit­neh­mer be­trof­fen sein müssen. Ei­ne Har­mo­ni­sie­rung ist in­so­weit al­so nur gewähr­leis­tet, wenn es in sol­chen Kon­stel­la­tio­nen bei der ge­nann­ten Zahl ver­bleibt.
Nur so kann auch der ge­bo­te­nen Rechts­si­cher­heit Rech­nung ge­tra­gen wer­den. Denn folgt ein Ar­beit­ge­ber der ak­tu­el­len Aus­sa­ge des BAG (a.a.O.), wo­nach bei ei­ner Be­triebsände­rung durch bloßen Per­so­nal­ab­bau „maßge­bend ... die Zah­len des § 17 KSchG" sind, dann kann die­ses Maß nicht im Ein­zel­fall wie­der re­du­ziert wer­den. Es lie­fe im Er­geb­nis dar­auf hin­aus, al­le Zah­len­wer­te des § 17 KSchG nach oben und un­ten an­hand ei­ner nicht de­fi­nier­ten Ge­ringfügig­keits­gren­ze zu re­la­ti­vie­ren.
Aus­nah­men sind al­len­falls dann denk­bar, wenn zu ei­nem Per­so­nal­ab­bau Ein­schränkun­gen auch bei den sächli­chen Be­triebs­mit­teln hin­zu­tre­ten würden (vgl. GK/Oet­ker, 9. Aufl., § 111 Rn. 90), wofür der Be­triebs­rat aber im kon­kre­ten Fall nichts vor­ge­tra­gen hat.

 

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Rechts­mit­tel­be­leh­rung:

Ge­gen die­sen Be­schluss ist ein Rechts­mit­tel nicht ge­ge­ben (§ 92 Abs. 1 Satz 3 ArbGG i.V.m. § 85 Abs. 2 ArbGG).

 

Dr. Müller 

Feld­kamp

Hüls­mann

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