HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

ArbG Mün­chen, Be­schluss vom 17.02.2011, 22 Ca 8260/10

   
Schlagworte: Diskriminierung, Schwerbehinderung, Sozialplan, Abfindung
   
Gericht: Arbeitsgericht München
Aktenzeichen: 22 Ca 8260/10
Typ: Beschluss
Entscheidungsdatum: 17.02.2011
   
Leitsätze:
Vorinstanzen:
   

22 Ca 8260110

Verkündet am: 17.02.2011

Merz
Ur­kunds­be­am­ter der Geschäfts­stel­le

 

Ar­beits­ge­richt München

In dem Rechts­streit

 

Dr. A
A-Straße, A-Stadt

- Kläger -

Pro­zess­be­vellmäch­tig­te/r:

Rechts­anwälte B. B-Straße, B-Stadt

ge­gen

Fir­ma D.
D-Straße, D-Stadt

- Be­klag­te -

Pro­zess­be­vollmäch­tig­tek:

Rechts­anwälte E. E-Straße, E-Stadt

erlässt das Ar­beits­ge­richt München durch den Vor­sit­zen­den der Kam­mer 22, den Rich­ter am Ar­beits­ge­richt Dr. Rei­pen und die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Hein­rich und Kon­rad auf­grund münd­li­cher Ver­hand­lung am 01.02.2011 fol­gen­den

Be­schluss:

- 2 -

I. Das Ver­fah­ren wird aus­ge­setzt.

II. Dem Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on wer­den im We­ge des Vor­ab­ent­schei­dungs­ver­fah­rens fol­gen­de Fra­gen vor­ge­legt:

Verstößt ei­ne in­ner­staat­li­che Re­ge­lung, die vor­sieht,
dass ei­ne un­ter­schied­li­che Be­hand­lung we­gen des Al­ters zulässig sein kann, wenn die Be­triebs­par­tei­en im Rah­men ei­nes be­trieb­li­chen Sys­tems der so­zia­len Si­cher­heit Beschäftig­te von den Leis­tun­gen des So­zi­al­plans aus­ge­schlos­sen ha­ben, die wirt­schaft­lich ab­ge­si­chert sind, weil sie, ge­ge­be­nen­falls nach Be­zug von Ar­beits­lo­sen­geld, ren­ten­be­rech­tigt sind,
ge­gen das Ver­bot der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung gemäß Art. 1 und Art. 16 der Richt­li­nie 2000/78/EG oder ist ei­ne sol­che Un­gleich­be­hand­lung gemäß Art. 6 Abs. 3 S. 2 Buchst. a der Richt­li­nie 2000178/EG ge­recht­fer­tigt?

2. Verstößt ei­ne in­ner­staat­li­che Re­ge­lung, die vor­sieht,
dass ei­ne un­ter­schied­li­che Be­hand­lung we­gen des Al­ters zulässig sein kann, wenn die Be­triebs­par­tei­en im Rah­men ei­nes be­trieb­li­chen Sys­tems der so­zia­len Si­cher­heit Beschäftig­te von den Leis­tun­gen des So­zi­al­plans aus­ge­schlos­sen ha­ben, die wirt­schaft­lich ab­ge­si­chert sind, weil sie, ge­ge­be­nen­falls nach Be­zug von Ar­beits­lo­sen­geld, ren­ten­be­rech­tigt sind,
ge­gen das Ver­bot der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen ei­ner Be­hin­de­rung gemäß Art. 1 und Art. 16 der Richt­li­nie 2000178/EG?

3. Verstößt ei­ne Re­ge­lung ei­nes be­trieb­li­chen Sys­tems der so­zia­len Si­cher­heit, die vor­sieht,
dass bei Mit­ar­bei­tern, die älter als 54 Jah­re sind und be­triebs­be­dingt gekündigt wer­den, ei­ne al­ter­na­ti­ve Be­rech­nung der Ab­fin­dung auf Grund­la­ge des frühes­tens mögli­chen Ren­ten­be­ginns vor­ge­nom­men wird und im Ver­gleich zur re­guläre­ren Be­rech­nungs­me­tho­de, wel­che ins­be­son­de­re an die Dau­er der Be­triebs­zu­gehörig­keit an­knüpft, der ge­rin­ge­re Ab­fin­dungs­be­trag, je­doch min­des­tens die Hälf­te der re­gulären Ab­fin­dungs­sum­me zu zah­len ist,
ge­gen das Ver­bot der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung gemäß Art. 1 und Art. 16 der Richt­li­nie

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2000/78/EG oder ist ei­ne sol­che Un­gleich­be­hand­lung gemäß Art. 6 Abs. 3 S. 2 Buchst. a der Richt­li­nie 2000/78 ge­recht­fer­tigt?

4. Verstößt ei­ne Re­ge­lung ei­nes be­trieb­li­chen Sys­tems der so­zia­len Si­cher­heit, die vor­sieht,
dass bei Mit­ar­bei­tern, die älter als 54 Jah­re sind und be­triebs­be­dingt gekündigt wer­den, ei­ne al­ter­na­ti­ve Be­rech­nung der Ab­fin­dung auf Grund­la­ge des frühes­tens mögli­chen Ren­ten­be­ginns vor­ge­nom­men wird und im Ver­gleich zur re­guläre­ren Be­rech­nungs­me­tho­de, wel­che ins­be­son­de­re an die Dau­er der Be­triebs­zu­gehörig­keit an­knüpft, der ge­rin­ge­re Ab­fin­dungs­be­trag, je­doch min­des­tens die Hälf­te der re­gulären Ab­fin­dungs­sum­me zu zah­len ist,
und bei der al­ter­na­ti­ve Be­rech­nungs­me­tho­de auf ei­ne Al­ters­ren­te we­gen ei­ner Be­hin­de­rung ab­stellt wird,
ge­gen das Ver­bot der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen ei­ner Be­hin­de­rung gemäß Art. 1 und Art. 16 der Richt­li­nie 2000/78/EG.

Gründe:

I.

Das Ver­fah­ren war gemäß § 148 ZPO bis zu ei­ner Ent­schei­dung durch den Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on (EuGH) aus­zu­set­zen. Als na­tio­na­les Ge­richt ist das Ar­beits­ge­richt München im Sin­ne von Art. 234 Abs. 2 EG vor­la­ge­be­rech­tigt. Der Be­schluss über die Vor­la­ge zum EuGH war in Hin­blick auf den ar­beits­ge­richt­li­chen Grund­satz der Ver­fah­rens­be­schleu­ni­gung, § 9 Abs. 1 ArbGG ge­bo­ten. Für die Ent­schei­dung des Rechts­strei­tes kommt es maßgeb­lich auf die Aus­le­gung von se­kundärem Uni­ons­recht an. Zur Wah­rung der Rechts­ein­heit in­ner­halb der Eu­ropäischen Uni­on ob­liegt die ab­sch­ließen­de In­ter­pre­ta­ti­on des Uni­ons­rech­tes dem EuGH. Das Ge­bot des ef­fek­ti­ven Rechts­schut­zes, das aus den ge­mein­sa­men Ver­fas­sungs­tra­di­tio­nen der Mit­glied­staa­ten re­sul­tiert, ge­bie­tet es, das vor­lie­gen­de Ver­fah­ren so­fort aus­zu­set­zen und dem EuGH vor­zu­le­gen und nicht erst die Be­fas­sung durch das letzt­in­stanz­li­che na­tio­na­le Ge­richt ab­zu­war­ten.

II. 1.

- 4 -

Die Gleich­be­hand­lungs-Rah­men­richt­li­nie 2000/78/EG (Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 2T No­vem­ber 2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf, ABI. Nr. L 303 S. 16) sieht u. a fol­gen­de Re­ge­lun­gen vor:

Ar­ti­kel 1 Zweck

Zweck die­ser Richt­li­nie ist die Schaf­fung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens zur Bekämp­fung der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen der Re­li­gi­on oder der Welt­an­schau­ung, ei­ner Be­hin­de­rung, des Al­ters oder der se­xu­el­len Aus­rich­tung in Beschäfti­gung und Be­ruf im Hin­blick auf die Ver­wirk­li­chung des Grund­sat­zes der Gleich­be­hand­lung in den Mit­glied­staa­ten.

Ar­ti­kel 6 Ge­recht­fer­tig­te Un­gleich­be­hand­lung we­gen des Al­ters

(1) Un­ge­ach­tet des Ar­ti­kels 2 Ab­satz 2 können die Mit­glied­staa­ten vor­se­hen, dass Un­gleich­be­hand­lun­gen we­gen des Al­ters kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung dar­stel­len, so­fern sie ob­jek­tiv und an­ge­mes­sen sind und im Rah­men des na­tio­na­len Rechts durch ein le­gi­ti­mes Ziel, wor­un­ter ins­be­son­de­re rechtmäßige Zie­le aus den Be­rei­chen Beschäfti­gungs­po­li­tik, Ar­beits­markt und be­ruf­li­che Bil­dung zu ver­ste­hen sind, ge­recht­fer­tigt sind und die Mit­tel zur Er­rei­chung die­ses Ziels an­ge­mes­sen und er­for­der­lich sind.
Der­ar­ti­ge Un­gleich­be­hand­lun­gen können ins­be­son­de­re Fol­gen­des ein­sch­ließen:

a) die Fest­le­gung be­son­de­rer Be­din­gun­gen für den Zu­gang zur Beschäfti­gung und zur be­ruf­li­chen Bil­dung so­wie be­son­de­rer Beschäfti­gungs- und Ar­beits­be­din­gun­gen, ein­sch­ließlich der Be­din­gun­gen für Ent­las­sung und Ent­loh­nung, um die be­ruf­li­che Ein­glie­de­rung von Ju­gend­li­chen, älte­ren Ar­beit­neh­mern und Per­so­nen mit Fürsor­ge­pflich­ten zu fördern oder ih­ren Schutz si­cher­zu­stel­len;

b) die Fest­le­gung von Min­dest­an­for­de­run­gen an das Al­ter, die Be­rufs­er­fah­rung oder das Dienst­al­ter für den Zu­gang zur Beschäfti­gung oder für be­stimm­te mit der Beschäfti­gung ver­bun­de­ne Vor­tei­le;

c) die Fest­set­zung ei­nes Höchstaf­ters für die Ein­stel­lung auf­grund der spe­zi­fi­schen Aus­bil­dungs­an­for­de­run­gen ei­nes be­stimm­ten Ar­beits­plat­zes oder auf­grund der Not­wen­dig­keit ei­ner an­ge­mes­se­nen Beschäfti­gungs­zeit vor dem Ein­tritt in den Ru­he­stand.

- 5 -

(2) Un­ge­ach­tet des Ar­ti­kels 2 Ab­satz 2 können die Mit­glied­staa­ten vor­se­hen, dass bei den be­trieb­li­chen Sys­te­men der so­zia­len Si­cher­heit die Fest­set­zung von Al­ters­gren­zen als Vor­aus­set­zung für die Mit­glied­schaft oder den Be­zug von Al­ters­ren­te oder von Leis­tun­gen bei In­va­li­dität ein­sch­ließlich der Fest­set­zung un­ter­schied­li­cher Al­ters­gren­zen im Rah­men die­ser Sys­te­me für be­stimm­te Beschäftig­te oder Grup­pen bzw. Ka­te­go­ri­en von Beschäftig­ten und die Ver­wen­dung im Rah­men die­ser Sys­te­me von Al­ters­kri­te­ri­en für ver­si­che­rungs­ma­the­ma­ti­sche Be­rech­nun­gen kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters dar-stellt, so­lan­ge dies nicht zu Dis­kri­mi­nie­run­gen we­gen des Ge­schlechts führt.

Ar­ti­kel 16 Ein­hal­tung

Die Mit­glied­staa­ten tref­fen die er­for­der­li­chen Maßnah­men, um si­cher­zu­stel­len, dass

a) die Rechts- und Ver­wal­tungs­vor­schrif­ten, die dem Gleich­be­hand­lungs­grund­satz zu­wi­der­lau­fen, auf­ge­ho­ben wer­den;

b) die mit dem Gleich­be­hand­lungs­grund­satz nicht zu ver­ein­ba­ren­den Be­stim­mun­gen in Ar­beits- und Ta­rif­verträgen, Be­triebs­ord­nun­gen und Sta­tu­ten der frei­en Be­ru­fe und der Ar­beit­ge­ber- und Ar­beit­neh­mer­or­ga­ni­sa­tio­nen für nich­tig erklärt wer­den oder erklärt wer­den können oder geändert wer­den.

2.

Das in­ner­staat­li­che All­ge­mei­ne Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG) vom 14. Au­gust 2006 (BGBl. I S. 1897) sieht fol­gen­de Re­ge­lung vor:

§ 10 Zulässi­ge un­ter­schied­li­che Be­hand­lung we­gen des Al­ters

Un­ge­ach­tet des § 8 ist ei­ne un­ter­schied­li­che Be­hand­lung we­gen des Al­ters auch zulässig, wenn sie ob­jek­tiv und an­ge­mes­sen und durch ein le­gi­ti­mes Ziel ge­recht­fer­tigt ist. Die Mit­tel zur Er­rei­chung die­ses Ziels müssen an­ge­mes­sen und er­for­der­lich sein. Der­ar­ti­ge un­ter­schied­li­che Be­hand­lun­gen können ins­be­son­de­re Fol­gen­des ein­sch­ließen: [..1

6. Dif­fe­ren­zie­run­gen von Leis­tun­gen in So­zi­alplänen im Sin­ne des Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­set­zes, wenn die Par­tei­en ei­ne nach Al­ter oder Be­triebs­zu­gehörig­keit ge­staf­fel­te Ab­fin­dungs­re­ge­lung ge­schaf­fen ha­ben, in der die we­sent­lich vom Al­ter abhängen­den Chan­cen auf dem Ar­beits­markt durch ei­ne verhält­nismäßig star­ke

- 6 -

Be­to­nung des Le­bens­al­ters er­kenn­bar berück­sich­tigt wor­den sind, oder Beschäftig­te von den Leis­tun­gen des So­zi­al­plans aus­ge­schlos­sen ha­ben, die wirt­schaft­lich ab­ge­si­chert sind, weil sie, ge­ge­be­nen­falls nach Be­zug von Ar­beits­lo­sen­geld, ren­ten­be­rech­tigt sind.

3.

Die Be­klag­te hat mit dem zuständi­gen Ge­samt­be­triebs­rat am 30.04.2004 ei­nen Vor­sorg­li­chen So­zi­al­plan ab­ge­schlos­sen. § 6 Punkt 1.1 bis Punkt 1.5 lau­ten:

1. Ab­fin­dun­gen bei Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses (außer „Frühver­ren­tung")

1.1. Mit­ar­bei­tern, de­nen trotz al­ler Bemühun­gen kein zu­mut­ba­rer Ar­beits­platz bei Bax­ter in Deutsch­land an­ge­bo­ten wer­den kann, bei de­nen auch ei­ne vor­zei­ti­ge Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses nach § 5 nicht in Fra­ge kommt und die das Un­ter­neh­men ver­las­sen (durch be­triebs­be­ding­te Kündi­gung oder ein­ver­nehm­li­che Be­en­di­gung), er­hal­ten ei­ne zu ver­steu­ern­de Brut­to­ab­fin­dung in EU­RO nach fol­gen­der For­mel:
Ab­fin­dung = Al­ters­fak­tor x Be­triebs­zu­gehörig­keit x Brut­to­mo­nats­ent­gelt (De­fi­ni­ti­on Brut­to­mo­nats­ge­halt sie­he im Fol­gen­den Punkt 1.6)

1.2 Al­ters­fak­to­ren­ta­bel­le

Le­bens- al­ter

Al­ters- fak­to­ren

Le­bens- al­ter

Al­ters- fak­to­ren

Le­bens- al­ter

Al­ters- fak­to­ren

Le­bens- al­ter

Al­ters- fak­to­ren

Le­bens- al­ter

Al­ters­fak­to­ren

18

0,35

28

0,60

38

1,05

48

1,30

58

1,70

19

0,35

29

0,60

39

1,05

49

1,35

59

1,50

20

0,35

30

0,70

40

1,10

50

1,40

60

1,30

21

0,35

31

0,70

41

1,10

51

1,45

61

1,10

22

0,40

32

0,80

42

1,15

52

1,50

62

0,90

23

0,40

33

0,80

43

1,15

53

1,55

63

0,60

24

0,40

34

0,90

44

1,20

54

1,60

64

0,30

25

0,40

35

0,90

45

1,20

55

1,65

26

0,50

36

1,00

46

1,25

56

1,70

27

0,50

37

1,00

47

1,25

57

1,70

 

- 7 -

1.3 Mit­ar­bei­ter, die bis zu 36 Mo­na­te vor ih­rem be­triebs­be­ding­ten Aus­schei­den ih­re Ar­beits­zeit re­du­ziert ha­ben, wer­den so ge­stellt, wie ih­re Ar­beits­zeit vor der Re­du­zie­rung war.

1 4. Mit­ar­bei­ter, die von ei­ner be­triebs­be­ding­ten Kündi­gung in­ner­halb ih­rer El­tern­zeit be­trof­fen sind, wer­den so in ih­rer Ar­beits­zeit und ih­rem Ein­kom­men be­han­delt, als ob sie nicht in El­tern­zeit ge­gan­gen wären.

1.5 Bei Mit­ar­bei­tern, die älter als 54 Jah­re sind und be­triebs­be­dingt gekündigt wer­den oder ein­ver­nehm­lich das Ar­beits­verhält­nis be­en­den, wird die sich gemäß § 6 Ab­satz 1, Punkt 1.1 er­rech­ne­te Ab­fin­dung fol­gen­der Be­rech­nung ge­genüber­ge­stellt:

Mo­na­te bis zum frühest mögli­chen Ren­ten­ein­tritt x 0,85 x Brut­to­mo­nats­ent­gelt

Soll­te die Sum­me der Ab­fin­dung, die sich gemäß § 6 Ab­satz 1, Punkt 1.1 er­rech­net, größer sein als die Sum­me, die sich aus der For­mel ,,Mo­na­te bis zum frühest mögli­chen Ren­ten­ein­tritt x 0,85 x Brut­to­mo­nats­ent­gelt" er­gibt, so kommt die ge­rin­ge­re Sum­me zur Aus­zah­lung. Die­se ge­rin­ge­re Sum­me darf je­doch die Hälf­te der Ab­fin­dung gemäß § 6 Ab­satz 1, Punkt 1.1 nicht un­ter­schrei­ten.

Ist das Er­geb­nis aus „Mo­na­te bis zum frühest mögli­chen Ren­ten­ein­tritt x 0,85 x Brut­to­mo­nats­ent­gelt" gleich Null, kommt die Hälf­te der er­rech­ne­ten Ab­fin­dungs-sum­me gemäß § 6 Ab­satz 1, Punkt 1.1 zur Aus­zah­lung.

Die Be­klag­te hat mit dem zuständi­gen Ge­samt­be­triebs­rat am 13.03.2008 ei­nen Ergänzen­den So­zi­al­plan ab­ge­schlos­sen. § 7 lau­tet:

§ 7 Ab­fin­dung. Mit­ar­bei­ter, die in den Gel­tungs­be­reich die­ses So­zi­al­plans fal­len, und de­ren Ar­beits­verhält­nis we­gen der Be­triebsände­rung en­det, er­hal­ten die fol­gen­den Leis­tun­gen:

7.1 Ab­fin­dung. Die Mit­ar­bei­ter er­hal­ten die ein­ma­li­ge Ab­fin­dung, die sich aus § 6 Zif­fer 1 des Vor­sorg­li­chen So­zi­al­plans er­gibt.

- 8 -

7.2 Klar­stel­lung. Zu § 6 Zif­fer 1.5. des Vor­sorg­li­chen So­zi­al­plans ei­ni­gen sich die Par­tei­en auf fol­gen­de Klar­stel­lung: Un­ter frühest mögli­chen Ren­ten­ein­tritt wird ver­stan­den der Zeit­punkt, zu dem der Mit­ar­bei­ter erst­mals ei­ne der ge­setz­li­chen Al­ters­ren­ten, auch ei­ne sol­che mit Ab­schlägen we­gen vor­zei­ti­ger In­an­spruch­nah­me, in An­spruch neh­men kann.

7.3 Ab­wei­chen­de Fällig­keit. Bax­ter kann bei schrift­li­chem Ein­verständ­nis des ab­fin­dungs­be­rech­tig­ten Mit­ar­bei­ters im Rah­men des recht­lich Zulässi­gen ab­wei­chend von § 8 des Vor­sorg­li­chen So­zi­al­plans späte­re ab­wei­chen­de Fällig­keits­ter­mi­ne für die ge­sam­te Ab­fin­dung be­stim­men.

Der Kläger ist am 25.07.1950 ge­bo­ren, ver­hei­ra­tet, hat zwei un­ter­halts­be­rech­tig­te Kin­der, ist öster­rei­chi­scher Staats­an­gehöri­ger und mit ei­nem Grad der Be­hin­de­rung von 50 als Schwer­be­hin­der­ter an­er­kannt. Der Kläger war seit dem 17.04.1979 bei der Be­klag­ten bzw. ih­ren Rechts­vorgänge­rin­nen in Deutsch­land beschäftigt, zu­letzt als Mar­ke­ting Ma­na­ger.

Die Be­klag­te kündig­te das Ar­beits­verhält­nis mit Schrei­ben vom 25.04.2008 und bot dem Kläger die Fortführung des Ar­beits­verhält­nis­ses am Stand­ort B-Stadt-D-Stadt an. Der Kläger nahm die­ses An­ge­bot an und kündig­te dann sei­ner­seits das Ar­beits­verhält­nis zum 31.12.2009, nach­dem die Par­tei­en ver­ein­bart hat­ten, dass die­se Ei­genkündi­gung sei­nen Ab­fin­dungs­an­spruch nicht schmälern wer­de.

Gemäß § 236a SGB VI kann der Kläger mit Voll­endung des 60. Le­bens­jahrs ab dem 01.08.2010 ge­genüber der Deut­schen Ren­ten­ver­si­che­rung ei­ne Al­ters­ren­te für schwer­be­hin­der­te Men­schen be­an­spru­chen.

Gemäß § 235 Abs. 1 SGB VI kann der Kläger mit Voll­endung des 65. Le­bens­jahrs ab dem 01.08.2015 ge­genüber der Deut­schen Ren­ten­ver­si­che­rung ei­ne Re­gel­al­ters­ren­te be­an­spru­chen.

Die Be­klag­te zahl­te dem Kläger ei­ne So­zi­al­plan­ab­fin­dung von 308.253,31 brut­to. Da­bei leg­te die Be­klag­te ei­ne Be­triebs­zu­gehörig­keit von 29,71 Jah­ren bis zum 31.12.2008 und ein Brut­to­mo­nats­ent­gelt von € 12.210,47 zu­grun­de. Da­nach er­gibt sich gemäß § 6 Punkt

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1.1 ei­ne Ab­fin­dung von 616.506,63 brut­to. Aus­ge­hend von ei­nem frühes­tens mögli­chen Ren­ten­ein­tritt zum 01.08.2010 we­gen der Schwer­be­hin­de­rung des Klägers er­rech­ne­te die Be­klag­te gemäß § 6 Punkt 1.5 ei­ne Ab­fin­dung von € 197.199,09 brut­to, so dass sie die Hälf­te der Ab­fin­dung gemäß § 6 Punkt 1.1 aus­zahl­te.

Der Kläger hat am Schrei­ben vom 30.06.2010 Kla­ge beim Ar­beits­ge­richt München er­ho­ben. Er be­an­tragt. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, ei­ne wei­te­re So­zi­al­plan­ab­fin­dung von € 271.988,88 brut­to zu zah­len. Der ein­ge­klag­te Be­trag ent­spricht der Dif­fe­renz der ge­zahl­ten Ab­fin­dung zu der Ab­fin­dungs­sum­me, die Kläger er­hal­ten hätte, wenn er zum Zeit­punkt der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses — bei glei­cher Be­trieb­zu­gehörig­keit — 54 Jah­re alt ge­we­sen wäre. Der Kläger meint, dass die Be­rech­nung der So­zi­al­plan­ab­fin­dung ihn we­gen sei­nes Al­ters und sei­ner Be­hin­de­rung be­nach­tei­li­ge.

IV.

Nach der ständi­gen Recht­spre­chung des BAG sind ver­min­der­te So­zi­al­plan­leis­tun­gen für ren­ten­na­he Jahrgänge zulässig. Es wur­den die fol­gen­den Grundsätze auf­ge­stellt.

Die den Be­triebs­par­tei­en in § 10 S. 3 Nr. 6 Alt. 2 AGG ein­geräum­te Möglich­keit, älte­re Ar­beit­neh­mer un­ter den dort ge­nann­ten Vor­aus­set­zun­gen von So­zi­al­plan­leis­tun­gen aus­zu­sch­ließen, verstößt nicht ge­gen das Ver­bot der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung im Recht der Eu­ropäischen Uni­on. Die na­tio­na­le Re­ge­lung ist i. S. von Art. 6 Abs. 1 S. 1 RL 2000/78/EG der Richt­li­nie 2000/78/EG durch ein im All­ge­mein­in­ter­es­se lie­gen­des so­zi­al­po­li­ti­sches Ziel des deut­schen Ge­setz­ge­bers ge­recht­fer­tigt. Die­ser woll­te es den Be­triebs­par­tei­en ent­spre­chend dem zu­kunfts­ge­rich­te­ten Entschädi­gungs­cha­rak­ter von So­zi­al­plan­leis­tun­gen ermögli­chen, die­se bei „ren­ten­na­hen' Ar­beit­neh­mern stärker an den tatsächlich ein­tre­ten­den wirt­schaft­li­chen Nach­tei­len zu ori­en­tie­ren, die ih­nen durch den be­vor­ste­hen­den Ar­beits­platz­ver­lust und ei­ne dar­auf zurück­ge­hen­de Ar­beits­lo­sig­keit dro­hen. Durch die­se Ge­stal­tungsmöglich­keit kann das An­wach­sen der Ab­fin­dungshöhe, das mit der Ver­wen­dung der Pa­ra­me­ter Be­triebs­zu­gehörig­keit und / oder Le­bens­al­ter bei der Be­mes­sung der Ab­fin­dung zwangsläufig ver­bun­den ist, bei ab­neh­men­der Schutz­bedürf­tig­keit im In­ter­es­se der Ver­tei­lungs­ge­rech­tig­keit be­grenzt wer­den (BAG 23. 3. 2010 - 1 AZR 832/08, NZA 2010, 774).

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§ 10 S. 3 Nr. 6 AGG er­fasst nach sei­nem Wort­laut nur den Aus­schluss von älte­ren Ar­beit­neh­mern, die ent­we­der un­mit­tel­bar nach dem Aus­schei­den oder im An­schluss an den Be­zug von Ar­beits­lo­sen­geld I durch den Be­zug ei­ner Al­ters­ren­te wirt­schaft­lich ab­ge­si­chert sind. Die Vor­schrift ist glei­cher­maßen an­wend­bar, wenn die be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer zwar nicht un­mit­tel­bar nach dem Be­zug von Ar­beits­lo­sen­geld I ren­ten­be­rech­tigt sind, die Ab­fin­dung aber aus­rei­chend be­mes­sen ist, um die wirt­schaft­li­chen Nach­tei­le aus­zu­glei­chen, die sie in der Zeit nach der Erfüllung ih­res Ar­beits­lo­sen­geld­an­spruchs bis zum frühestmögli­chen Be­zug ei­ner Al­ters­ren­te er­lei­den. (BAG 23. 3. 2010 - 1 AZR 832/08, NZA 2010, 774).

§ 10 S. 3 Nr. 6 AGG ermöglicht da­nach den Be­triebs­par­tei­en un­ter den dort be­stimm­ten Vor­aus­set­zun­gen ei­ne un­mit­tel­bar auf dem Al­ter be­ru­hen­de Un­gleich­be­hand­lung in ei­nem So­zi­al­plan. Die Vor­schrift be­stimmt aber nur das Le­gi­ti­me Ziel i. S. von Art. 6 Abs. 1 S. 1 der Richt­li­nie 2000/78/ EG und eröff­net den Be­triebs­par­tei­en ei­nen Ge­stal­tungs- und Be­ur­tei­lungs­spiel­raum. Des­sen Aus­ge­stal­tung un­ter­liegt noch ei­ner wei­te­ren Verhält­nismäßig­keitsprüfung nach § 10 S. 2 AGG. Die von den Be­triebs­par­tei­en gewähl­te So­zi­al­plan­ge­stal­tung muss ge­eig­net sein, das mit § 10 S. 3 Nr. 6 AGG ver­folg­te Ziel tatsächlich zu fördern und darf die In­ter­es­sen der be­nach­tei­lig­ten (Al­ters-)Grup­pe nicht un­verhält­nismäßig stark ver­nachlässi­gen. (BAG 23. 3. 2010 - 1 AZR 832/08, NZA 2010, 774).

Nach der Recht­spre­chung des BAG ha­ben So­zi­alpläne ei­ne zu­kunfts­be­zo­ge­ne Aus­gleichs- und Über­brückungs­funk­ti­on. Geld­leis­tun­gen in Form ei­ner Ab­fin­dung stel­len kein zusätz­li­ches Ent­gelt für die in der Ver­gan­gen­heit er­brach­ten Diens­te dar, son­dern sol­len die vor­aus­sicht­lich ent­ste­hen­den wirt­schaft­li­chen Fol­gen ei­nes durch Be­triebsände­rung ver­ur­sach­ten Ar­beits­platz­ver­lusts aus­glei­chen oder zu­min­dest ab­mil­dern. Die Be­triebs­par­tei­en können die­se Nach­tei­le auf Grund ih­res Be­ur­tei­lungs- und Ge­stal­tungs­spiel­raums in ty­pi­sier­ter und pau­scha­lier­ter Form aus­glei­chen. Da­zu können sie die übermäßige Begüns­ti­gung, die älte­re Beschäftig­te mit langjähri­ger Be­triebs­zu­gehörig­keit bei ei­ner am Le­bens­al­ter und an der Be­triebs­zu­gehörig­keit ori­en­tier­ten Ab­fin­dungs­be­rech­nung er­fah­ren, durch ei­ne Kürzung für ren­ten­na­he Jahrgänge zurückführen, um ei­ne aus Sicht der Be­triebs­par­tei­en ver­tei­lungs­ge­rech­te Ab­mil­de­rung der wirt­schaft­li­chen Fol­gen der Be­triebsände­rung zu ermögli­chen (BAG 23. 3. 2010 - 1 AZR 832/08, NZA 2010, 774).

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So­fern die Ver­ein­bar­keit des § 10 S. 3 Nr. 6 AGG mit Uni­ons­recht, ein wei­ter Be­ur­tei­lungs- und Ge­stal­tungs­spiel­raum der Be­triebs­par­tei­en bei der Aus­ge­stal­tung des So­zi­al­plans so­wie der frühes­tens mögli­che Ren­ten­ein­tritt zu­grun­de zu le­gen ist, so ist da­von aus­zu­ge­hen. dass der Vor­sorg­li­che So­zi­al­plan vom 30.04.2004 und der Ergänzen­de So­zi­al­plan vom 13.03.08 wirk­sam sind. Da­nach wäre die Kla­ge in An­wen­dung der Grundsätze des BAG ab­zu­wei­sen.

V.

Die vor­lie­gen­de Kam­mer hegt Zwei­fel, ob § 10 S. 3 Nr. 6 AGG, § 6 Punkt 1.5. des Vor-sorg­li­chen So­zi­al­plans vom 30.04.2004 so­wie § 7 Punkt 7.2 des Ergänzen­den So­zi­al­plans vom 13.03.2008 in Ein­klang mit dem Uni­ons­recht ste­hen.

Über den Wort­laut hin­aus fin­det § 10 S. 3 Nr. 6 AGG nicht nur auf den Aus­schluss von Beschäftig­ten von den Leis­tun­gen des So­zi­al­plans An­wen­dung, son­dern § 10 S. 3 Nr. 6 AGG lässt gemäß dem ob­jek­ti­ven Zweck und im Sin­ne ei­nes „ar­gur­nen­turn a maio­re ad mi­nus' auch Re­du­zie­run­gen der So­zi­al­plan­leis­tun­gen we­gen der be­vor­ste­hen­den Ren­ten­be­rech­ti­gung des Ar­beit­neh­mers zu. So­fern § 10 5. 3 Nr. 6 AGG nicht in Ein­klang mit dem Uni­ons­recht steht und da­her An­wen­dung fin­det, ist der Kla­ge statt­zu­ge­ben. Die Re­ge­lung § 6 Punkt 1.5 des Vor­sorg­li­chen So­zi­al­plans kann sich nicht auf ei­ne mit Art. 1 und 16 RL 2000/ 78/EG un­ver­ein­ba­re Norm stützen. Im vor­lie­gen­den Fall er­gibt sich die Ren­ten­be­rech­ti­gung zu­dem aus ei­ner Schwer­be­hin­de­rung des Ar­beit­neh­mers, so dass nicht nur ei­ne Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung son­dern auch ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung we­gen ei­ner Be­hin­de­rung in Be­tracht kommt. Die dis­kri­mi­nie­ren­de Be­gren­zung der So­zi­al­plan­ab­fin­dung wäre un­wirk­sam und die Ab­fin­dung nach oben an­zu­he­ben (vgl. Brors, Däublerl­Bertz­bach, 2. Auf­la­ge 2008, § 10 AGG Rn. 136).

So­fern § 6 Punkt 1.5. des Vor­sorg­li­chen So­zi­al­plans vom 30.04.2004 so­wie § 7 Punkt 7.2 des Ergänzen­den So­zi­al­plans vom 13.03.2008 nicht in Ein­klang mit dem Uni­ons­recht ste­hen und da­her kei­ne An­wen­dung fin­den, ist der Kla­ge statt­zu­ge­ben.

So­weit er­sicht­lich hat der EuGH zur Fra­ge der uni­ons­recht­li­chen Zulässig­keit, ren­ten­na­he Jahrgänge von Leis­tun­gen ei­nes So­zi­al­plans aus­zu­sch­ließen, noch kei­ne Stel­lung ge­nom­men. Auf­grund der er­heb­li­chen Be­deu­tung für die be­trieb­li­che Pra­xis er­scheint ei­ne Klärung die­ser Rechts­fra­ge an­ge­zeigt.

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VI.

Die Vor­la­ge­fra­ge 1) be­trifft die uni­ons­recht­li­che Zulässig­keit ei­ner in­ner­staat­li­chen Re­ge­lung, nach der ren­ten­na­he Jahrgänge von So­zi­al­plan­leis­tun­gen ganz oder zum Teil aus-ge­schlos­sen wer­den können.

Die ren­ten­na­hen Jahrgänge sind mit den übri­gen vorn So­zi­al­plan Be­trof­fe­nen ver­gleich­bar, da sie aus dem glei­chen Grund und un­ter den glei­chen Vor­aus­set­zun­gen aus dem Ar­beits­verhält­nis aus­schei­den. Ih­re Le­bens­si­tua­ti­on ist nicht so un­ter­schied­lich, dass kei­ne Ver­gleich­bar­keit be­steht (so aber Mohr. RdA 2010, 44).

Die Re­ge­lung des § 10 S. 3 Nr. 6 AGG ermöglicht dis­kri­mi­nie­ren­de So­zi­al­plan­re­ge­lun­gen zu Las­ten älte­rer Ar­beit­neh­mer, weil sie al­lein we­gen des Al­ters bei der Be­mes­sung der So­zi­al­plan­leis­tun­gen schlech­ter be­han­delt wer­den als jünge­re Ar­beit­neh­mer. Frag­lich ist, ob die­se Re­ge­lung nach Art. 6 RL 2000/78/EG der Richt­li­nie aus Gründen der Beschäfti­gungs­po­li­tik und des Ar­beits­mark­tes ge­recht­fer­tigt ist und ob sie zu­dem auch ein an­ge­mes­se­nes Mit­tel zur Er­rei­chung die­ses Zie­les dar­stellt. Ab­fin­dungs­for­meln, die ver­su­chen, die Leis­tun­gen an­hand der mit ho­her Wahr­schein­lich­keit zu er­war­ten­den zukünf­ti­gen tat-sächli­chen Nach­tei­le zu be­mes­sen, dis­kri­mi­nie­ren in drei­fa­cher Hin­sicht we­gen des Le­bens­al­ters. Ers­tens knüpfen sie un­mit­tel­bar an das Le­bens­al­ter an, zwei­tens an der Ren­ten­be­rech­ti­gung. Und drit­tens re­sul­tiert ei­ne un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung aus dem Um­stand, dass die Ab­fin­dun­gen der übri­gen Ar­beit­neh­mer deut­lich höher aus­fal­len (Tem­ming, RdA 2008, 205).

In der Ent­schei­dung vom 12.10.2010 (C-499/08) ist der EuGH von fol­gen­dem Über­le­gun­gen aus­ge­gan­gen: Gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/78 können Un­gleich­be­hand­lun­gen in Ab­wei­chung vom Grund­satz des Ver­bots der Dis­kri­mi­nie­rung aus Gründen des Al­ters durch Zie­le ge­recht­fer­tigt sein, die mit der Fest­le­gung be­son­de­rer Beschäfti­gungs-und Ar­beits­be­din­gun­gen ein­sch­ließlich der Be­din­gun­gen für Ent­las­sung und Ent­loh­nung in Zu­sam­men­hang ste­hen, um die be­ruf­li­che Ein­glie­de­rung von älte­ren Ar­beit­neh­mern zu fördern oder ih­ren Schutz si­cher­zu­stel­len. Wei­ter ist zu prüfen, ob die Mit­tel, die zur Ver­wirk­li­chung die­ser Zie­le ein­ge­setzt wer­den, die­ser Vor­schrift ent­spre­chend "an­ge­mes­sen und er­for­der­lich" sind. In­so­weit ist dar­auf hin­zu­wei­sen, dass die Mit­glied­staa­ten über ei­nen wei­ten Er­mes­sens­spiel­raum bei der Wahl der Maßnah­men zur Er­rei­chung ih­rer Zie­le im Be­reich der Ar­beits- und So­zi­al­po­li­tik verfügen. Die­ser Wer­tungs­spiel­raum darf je­doch

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nicht da­zu führen, dass der Grund­satz des Ver­bots der Dis­kri­mi­nie­rung aus Gründen des Al­ters aus­gehöhlt wird.

Des Wei­te­ren hat der EuGH im Grund­satz an­er­kannt, dass das Recht der älte­ren Ar­beit­neh­mer auf Be­rufstätig­keit ver­letzt sein kann, falls sie von Ent­las­sungs­ab­fin­dun­gen aus­ge­schlos­sen wer­den. In der Ent­schei­dung vom 12.10.2010 (C-499/08, NZA 2010, 1341) be­ur­teil­te der EuGH ei­ne na­tio­na­len Re­ge­lung als uni­ons­rechts­wid­rig, nach der Ar­beit­neh­mer, die ei­ne Al­ters­ren­te be­zie­hen können, die von ih­rem Ar­beit­ge­ber aus ei­nem Ren­ten­sys­tem ge­zahlt wird, dem sie vor Voll­endung ih­res 50. Le­bens­jahrs bei­ge­tre­ten sind, al­lein aus die­sem Grund ei­ne Ent­las­sungs­ab­fin­dung nicht be­zie­hen können, die da­zu be­stimmt ist. die be­ruf­li­che Wie­der­ein­glie­de­rung von Ar­beit­neh­mern mit ei­ner Be­triebs­zu­gehörig­keit von mehr als zwölf Jah­ren zu fördern. Die­se Maßnah­me er­schwe­re Ar­beit­neh­mern, die be­reits ei­ne Al­ters­ren­te be­zie­hen können, die wei­te­re Ausübung ih­res Rechts, zu ar­bei­ten, weil sie beim Über­gang in ein neu­es Beschäfti­gungs­verhält­nis - im Ge­gen­satz zu an­de­ren Ar­beit­neh­mern mit gleich lan­ger Be­triebs­zu­gehörig­keit - kei­ne Ent­las­sungs­ab­fin­dung er­hal­ten. Außer­dem ver­wehrt es die im Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen­de Maßnah­me ei­ner gan­zen durch das Kri­te­ri­um des Al­ters de­fi­nier­ten Ka­te­go­rie von Ar­beit­neh­mern, vorüber­ge­hend auf die Zah­lung ei­ner Al­ters­ren­te durch ih­ren Ar­beit­ge­ber zu­guns­ten der Gewährung der Ent­las­sungs­ab­fin­dung zu ver­zich­ten, die da­zu be­stimmt ist, ih­nen zu hel­fen. ei­ne neue Stel­le zu fin­den. Sie kann so­mit die­se Ar­beit­neh­mer zwin­gen, ei­ne nied­ri­ge­re Al­ters­ren­te an­zu­neh­men als die, die sie be­an­spru­chen könn­ten, wenn sie bis in ein höhe­res Al­ter be­rufstätig blie­ben, was für sie ei­nen auf lan­ge Sicht er­heb­li­chen Ein­kom­mens­ver­lust nach sich zöge.

Der Aus­schluss ren­ten­na­her Jahrgänge von So­zi­al­plan­leis­tun­gen bzw. die Ver­min­de­rung der Leis­tun­gen er­fol­gen im Hin­blick dar­auf, dass Ar­beit­neh­mer, die — und sei es nach ei­ner vorüber­ge­hen­den Ar­beits­lo­sig­keit — ty­pi­scher­wei­se ge­rin­ge­re wirt­schaft­li­che Nach­tei­le er­lei­den als jünge­re Ar­beit­neh­mer, de­nen ei­ne lang­fris­ti­ge, wirt­schaft­lich nicht ab­ge­si­cher­te Zeit der Ar­beits­lo­sig­keit droht (BAG 20.01.2009 — 1 AZR 740/07, NZA 2009, 495). Mit an­de­ren Wor­ten: Auf­grund der Ren­ten­be­rech­ti­gung ist die Ge­fahr ver­min­dert, ei­nen länge­ren Zeit­raum der Ar­beits­lo­sig­keit über­brücken zu müssen. Ein wei­te­res Ziel, wel­ches in § 10 S. 3 Nr. 6 AGG zum Aus­druck kommt, ist die Ver­mei­dung ei­ner Über­ver­sor­gung des gekündig­ten Ar­beit­neh­mers (Tem­ming, RdA 2008, 205).

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Es ist al­ler­dings frag­lich, ob dies als sach­li­cher Grund gemäß Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG aus­reicht. Primäres Ziel für die Schaf­fung ei­ner Richt­li­nie zur ein­heit­li­chen Bekämp­fung von Dis­kri­mi­nie­run­gen in der Eu­ropäischen Uni­on war es, si­cher­zu­stel­len, dass ein möglichst ho­her Pro­zent­satz der Per­so­nen im er­werbsfähi­gen Al­ter tatsächlich ei­ner Beschäfti­gung nach­geht (KOM [1999] S. 565 endgültig S. 3). Nach dem Ge­set­zes­wort­laut des in­ner­staat­li­chen § 10 S. 3 Nr. 6 AGG sind der Aus­schluss bzw. die Ver­min­de­rung der So­zi­al­plan­leis­tun­gen im Hin­blick auf je­de Art der Ren­ten­be­rech­ti­gung zulässig. In­so­fern be­steht für den älte­ren Art­neh­mer oft­mals die wirt­schaft­li­che Not­wen­dig­keit, ei­ne Frühver­ren­tung zu be­an­tra­gen und die da­mit ver­bun­de­nen Ein­bußen hin­zu­neh­men. So hat der Ge­setz­ge­ber ins­be­son­de­re die Möglich­keit vor­ge­se­hen, ei­ne vor­zei­ti­ge Al­ters­ren­te we­gen Er­werbs­lo­sig­keit gemäß § 237 SGB VI zu be­an­tra­gen. Auf­grund des Aus­schluss bzw. der Ver­min­de­rung der So­zi­al­plan­leis­tun­gen ste­hen da­her älte­re Ar­beit­neh­mer dem Ar­beits­markt in ge­rin­ge­rem Um­fang zur Verfügung, als oh­ne die­se Re­ge­lung der Fall wäre.

Hin­sicht­lich der An­ge­mes­sen­heit wird ar­gu­men­tiert, dass die So­zi­al­part­ner mit der Kürzung von So­zi­al­plan­ansprüchen für ren­ten­na­he Jahrgänge das Ziel ver­fol­gen, die be­grenz­ten Mit­tel ei­nes So­zi­al­plans so zu ver­tei­len, dass die­ser sei­ner Über­brückungs­funk­ti­on für al­le Ar­beit­neh­mer — nicht nur für die Älte­ren — erfüllen kann. Es sei so­mit nicht nur für den ein­zel­nen Ar­beit­neh­mer, son­dern auch volks­wirt­schaft­lich und ar­beits­markt­po­li­tisch nach­voll­zieh­bar, wenn jünge­re Ar­beit­neh­mer bei Be­triebsände­run­gen aus­rei­chen­de Über­brückungs­leis­tun­gen er­hiel­ten, um nicht aus fi­nan­zi­el­ler Be­dräng­nis ge­zwun­gen zu sein, „die erst­bes­te Ar­beit" an­zu­neh­men. Da­bei sei die ty­pi­sie­ren­de Einschätzung der Be­triebs­par­tei­en plau­si­bel. dass Ar­beit­neh­mern, die bei Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses An­spruch auf vor­ge­zo­ge­ne Al­ters­ren­te ha­ben, ge­rin­ge­re wirt­schaft­li­che Nach­tei­le als an­de­ren dro­hen, wes­halb ih­nen an­ge­sichts der zu­kunfts­ge­rich­te­ten Über­brückungs­funk­ti­on von So­zi­alplänen le­dig­lich ge­wis­se Aus­gleichs­beträge zu­ste­hen. So sei die Kürzung bzw. der Aus­schluss von Ab­fin­dun­gen ge­eig­net, das zulässi­ge Ziel der ver­tei­lungs­ge­rech­ten Über­brückung zwi­schen Jung und Alt zu er­rei­chen. Die Un­gleich­be­hand­lung der älte­ren Ar­beit­neh­mer sei auch er­for­der­lich, da an­ge­sichts der be­grenz­ten So­zi­al­plan­mit­tel kei­ne mil­de­re Maßnah­me er­sicht­lich ist, um die­je­ni­gen Beschäftig­ten, die nicht durch ei­nen Ren­ten­an­spruch ab­ge­si­chert sind, in glei­cher Wei­se adäquat ab­zu­si­chern (Mohr, RdA 2010, 44). Zu­dem wird vor­ge­bracht, dass das be­reit ge­stell­te, be­grenz­te Fi­nanz­vo­lu­men zur Mil­de­rung der Nach­tei­le möglichst ge­recht auf al­le Ar­beit­neh­mer ver­teilt wer­den

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soll­te. Ge­he es um die Mil­de­rung ge­genwärti­ger und zukünf­ti­ger Nach­tei­le, ha­ben die­je­ni­gen Ar­beit­neh­mer ei­nen größeren fi­nan­zi­el­len Über­brückungs­be­darf, die we­der ren­ten­be­rech­tigt sind noch zu den ren­ten­na­hen Jahrgängen gehören (Tem­ming, RdA 2008, 205).

Selbst wenn hin­sicht­lich der Dis­kri­mi­nie­rung der älte­rer Ar­beit­neh­mer bei den Leis­tun­gen des So­zi­al­plans auch die Kom­pen­sa­ti­on durch an­der­wei­ti­ge staat­li­che Leis­tun­gen an­zu­er­ken­nen ist (Brors, Däubler/Bertz­bach, 2. Auf­la­ge 2008, § 10 AGG Rn. 135), so ist wie­der­um zu berück­sich­ti­gen, dass die Frühver­ren­tung, wel­che bei der Be­rech­nung der So­zi­al­plan­leis­tun­gen zu Grun­de ge­legt wird, wie­der­um mit er­heb­li­chen fi­nan­zi­el­len Ein­bußen ver­bun­den ist (§ 77 SGB VI). Den vor­ge­zo­ge­nen Ren­ten­ein­tritt „be­zahlt' der so­zi­al­ver­si­cher­te Ar­beit­neh­mer mit ei­nem deut­lich ver­rin­ger­ten Ren­ten­ni­veau. Ge­gen die An­ge­mes­sen­heit spricht al­so der un­mit­tel­ba­re Ver­gleich zwi­schen Ar­beit­neh­mern un­ter­schied­li­chen Al­ters. Ein 57jähri­ger und 30 Jah­re im Un­ter­neh­men beschäftig­ter Ar­beit­neh­mer kann mit dem Hin­weis auf Beschäfti­gungs­po­li­tik oder Ar­beits­mark­chan­cen kein Verständ­nis dafür auf­brin­gen, dass er bei glei­cher Be­triebs­zu­gehörig­keit bei der So­zi­al­plan­be­rech­nung mit ei­ner nied­ri­ge­ren Ab­fin­dung rech­nen muss als ein 54jähri­ger Kol­le­ge (Leuch­ten, NZA 2002, 1254). Bei­de Ar­beit­neh­mer ha­ben bis zur Re­gel­al­ters­ren­te ei­nen er­heb­li­chen Zeit­raum zu über­brücken und sind so­wohl von ih­ren Er­werbs­chan­cen als auch in wirt­schaft­li­cher Hin­sicht ver­gleich­bar.

Frag­lich ist zu­dem die Er­for­der­lich­keit der durch die Ver­wen­dung un­ter­schied­li­cher Ab­fin­dungs­for­meln für ren­ten­na­he Jahrgänge und für die übri­gen Ar­beit­neh­mer be­wirk­ten Dis­kri­mi­nie­rung. Denn es gibt an­de­re, gleich ge­eig­ne­te und we­ni­ger ein­schnei­den­de Mit­tel, die­ses Ziel zu er­rei­chen, oh­ne dafür bspw. an das un­mit­tel­bar dis­kri­mi­nie­ren­de Dif­fe­ren­zie­rungs­kri­te­ri­um der Ren­tennähe bzw. Ren­ten­be­rech­ti­gung an­zu­knüpfen. Ein sol­ches Mit­tel ist bspw. ei­ne un­ter­schieds­los aus­ge­stal­te­te Höchst­be­trags­klau­sel.

Selbst wenn die un­mit­tel­bar dis­kri­mi­nie­ren­de Ver­wen­dung zwei­er Ab­fin­dungs­for­meln als er­for­der­lich an­ge­se­hen wer­den soll­te, ist die An­ge­mes­sen­heit frag­lich, weil ge­ra­de bei älte­ren Ar­beit­neh­mern mit lan­ger Be­triebs­zu­gehörig­keit die Ziel­er­rei­chung (Ver­tei­lungs­ge­rech­tig­keit we­gen be­grenz­ter Fi­nanz­mit­tel) außer Verhält­nis zum be­rech­ne­ten Wert ih­res Be­stands­schut­zes stünde. Denn ihr jah­re­lang er­ar­bei­te­ter Be­stands­schutz würde durch die Ver­wen­dung der für sie ein­schlägi­gen For­mel er­heb­li­chen ent­wer­tet. Die­se Ver­zer­rung

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der Ab­fin­dungs­funk­ti­on ist im Verhält­nis zum Ziel der Maßnah­me un­an­ge­mes­sen (Tem­ming, RdA 2008. 205).

Art. 6 Abs. 1 S. 2 Buchst. a RE 2000178/EG ver­mag die Be­nach­tei­li­gung nicht zu recht­fer­ti­gen, da es nach dem Wort­laut der Be­stim­mung um die be­ruf­li­che Ein­glie­de­rung von „Ju­gend­li­chen" geht und nicht um den Schutz der re­la­tiv le­bensjünge­ren vor den älte­ren Ar­beit­neh­mern (Schlach­ter, Er­fur­ter Kom­men­tar, 11. Auf­la­ge 2011, § 10 AGG Rn. 12).

VII.

Die Vor­la­ge­fra­ge 2) berührt die uni­ons­recht­li­che Zulässig­keit ei­ner in­ner­staat­li­chen Re­ge­lung, nach der ren­ten­na­he Jahrgänge, de­ren Ren­ten­be­rech­ti­gung auf ei­ner Be­hin­de­rung be­ruht, von So­zi­al­plan­leis­tun­gen aus­ge­schlos­sen wer­den können. Die Re­ge­lung des § 10 S. 3 Nr. 6 AGG lässt ei­nen Aus­schluss von So­zi­al­plan­leis­tun­gen bzw. die Ver­min­de­rung von So­zi­al­plan­leis­tun­gen auch dann zu, wenn die Ren­ten­be­rech­ti­gung gemäß § 236a SGB VI aus ei­ner Schwer­be­hin­de­rung folgt.

Nach der De­fi­ni­ti­on der EuGH er­fasst „Be­hin­de­rung" je­de Ein­schränkung, die ins­be­son­de­re auf phy­si­sche, geis­ti­ge oder psy­chi­sche Be­ein­träch­ti­gun­gen zurück­zuführen ist, ein Hin­der­nis für die Teil­ha­be des Be­tref­fen­den am Be­rufs­le­ben bil­det und wahr­schein­lich von lan­ger Dau­er ist (EuGH 11.7.2006 - C-13/05, NZA 2006, 839). Die Richt­li­nie 2000/78/EG soll Dis­kri­mi­nie­run­gen be­stimm­ter Art in Beschäfti­gung und Be­ruf bekämp­fen. in die­sem Zu­sam­men­hang ist der Be­griff „Be­hin­de­rung" so zu ver­ste­hen, dass er ei­ne Ein­schränkung er­fasst, die ins­be­son­de­re auf phy­si­sche, geis­ti­ge oder psy­chi­sche Be­ein­träch­ti­gun­gen zurück­zuführen ist und die ein Hin­der­nis für die Teil­ha­be des Be­tref­fen­den am Be­rufs­le­ben bil­det (EuGH 11.7.2006 - C-13/05, NZA 2006, 839).

In­so­fern wird ar­gu­men­tiert, es lie­ge kei­ne un­zulässi­ge Be­nach­tei­li­gung vor. Schwer­be­hin­der­te müss­ten in Fol­ge ih­rer so­zi­al­recht­li­chen Begüns­ti­gung, früher ei­ne Al­ters­ren­te be­an­spru­chen zu können, ar­beits­recht­li­che Nach­tei­le hin­neh­men, wenn Klau­seln in So­zi­alplänen ei­ne ent­spre­chen­de Kürzungsmöglich­keit für ren­ten­na­he Jahrgänge vor­se­hen. Mit Ar­beit­neh­mern, die kei­nen der­ar­ti­gen Ren­ten­an­spruch ha­ben, sei­en Schwer­be­hin­der­te nicht ver­gleich­bar (Mohr, RdA 2010, 44).

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Dies über­zeugt nicht. Viel­mehr er­gibt sich die Be­nach­tei­li­gung der Schwer­be­hin­der­ten dar­aus. dass ih­re Teil­ha­bemöglich­kei­ten am Be­rufs­le­ben auf­grund des § 10 S. 3 Nr. 6 AGG ver­min­dert wer­den. Schwer­be­hin­der­te Ar­beit­neh­mer sind — falls sie nicht zeit­nah ei­ne An­schluss­beschäfti­gung fin­den früher als gleich­alt­ri­ge Kol­le­gen oh­ne Schwer­be­hin­de­rung ge­zwun­gen, ei­ne Al­ters­ren­te zu be­an­tra­gen und aus dem Er­werbs­le­ben aus­zu­schei­den. Denn die höhe­ren, re­gulären So­zi­al­plan­leis­tun­gen ermögli­chen gleich­alt­ri­gen Kol­le­gen oh­ne Schwer­be­hin­de­rung, ei­ne länge­re Zeit oh­ne Er­werbs­ein­kom­men zu über­brücken und ak­tiv nach ei­ner neu­en Beschäfti­gung zu su­chen.
Fer­ner könn­te ei­ne un­ge­recht­fer­tig­te Be­nach­tei­li­gung schwer­be­hin­der­ter Ar­beit­neh­mer dar­auf be­ru­hen, dass sie ge­zwun­gen sind, hin­sicht­lich der Ren­tenhöhe er­heb­li­che Ein­bußen in Kauf zu neh­men.

VIII.

Die Vor­la­ge­fra­ge 3) stellt die uni­ons­recht­li­che Zulässig­keit der Ab­fin­dungs­re­ge­lung ei­nes So­zi­al­plans in Fra­ge, der für Ar­beit­neh­mer ab 54 Jah­ren in Abhängig­keit von dem frühes­tens mögli­chen Ren­ten­ein­tritt ge­rin­ge­re Zah­lun­gen vor­sieht.

Ei­ne Be­nach­tei­li­gung könn­te sich im Zu­sam­men­wir­ken von Ren­ten­sys­tem und So­zi­al­plan er­ge­ben. Das in­ner­staat­li­che Ren­ten­recht ermöglicht in be­stimm­ten Fällen ei­ne Frühver­ren­tung (bspw. we­gen Ar­beits­lo­sig­keit gemäß § 237 SGB VI), da­mit ver­min­dern sich die Ren­ten­zah­lun­gen um mit Ab­schläge (§ 77 SGB VI). Die Ab­fin­dungs­sum­me wird im Hin­blick auf den frühes­tens mögli­chen Ren­ten­ein­tritt des Ar­beit­neh­mers gekürzt gemäß § 7 Punkt 7.2 des Ergänzen­den So­zi­al­plans vom 13,03.2008. Im Ver­gleich zu der Be­rech­nung der Ab­fin­dung für Ar­beit­neh­mer un­ter 55 Jah­ren kann sich die Ab­fin­dungs­sum­me hal­bie­ren.

Kon­se­quenz des­sen ist. dass die Ausübung des Rechts, zu ar­bei­ten, er­schwert sein kann, weil ei­nem Ar­beit­neh­mer, der zur Frühver­ren­tung be­rech­tigt ist, we­ni­ger Mit­tel zur Verfügung ste­hen, um Zei­ten der Ar­beits­lo­sig­keit zu über­brücken. Zu­dem kann der Ar­beit­neh­mer aus wirt­schaft­li­chen Gründen ge­zwun­gen sein, früher ei­ne Al­ters­ren­te zu be­an­tra­gen und die da­mit ver­bun­de­nen Ab­schläge in Kauf zu neh­men.

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Die Vor­la­ge­fra­ge 4) stellt die uni­ons­recht­li­che Zulässig­keit der Ab­fin­dungs­re­ge­lung ei­nes So­zi­al­plans in Fra­ge, der für Ar­beit­neh­mer ab 54 Jah­ren in Abhängig­keit von dem frühes­tens mögli­chen Ren­ten­ein­tritt we­gen ei­ner Be­hin­de­rung ge­rin­ge­re Zah­lun­gen vor­sieht.

Im Aus­gangs­fall könn­te sich ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­ner Be­hin­de­rung im Zu­sam­men­wir­ken von Ren­ten­sys­tem und So­zi­al­plan er­ge­ben. Das in­ner­staat­li­che Ren­ten­recht ermöglicht es dem schwer­be­hin­der­ten Ar­beit­neh­mer, vor Er­rei­chen der Re­gel­al­ters­gren­ze ei­ne Ren­te zu be­an­tra­gen, da­mit ver­min­dern sich die Ren­ten­zah­lun­gen um mit Ab­schläge (§ 77 SGB VI). Die Ab­fin­dungs­sum­me wird gemäß § 7 Punkt 7.2 des Ergänzen­den So­zi­al­plans vom 13.03.2008 im Hin­blick auf den frühes­tens mögli­chen Ren­ten­ein­tritt des Ar­beit­neh­mers gekürzt. Im Ver­gleich zu der Ab­fin­dung für Ar­beit­neh­mer un­ter 55 Jah­ren kann sich die Ab­fin­dungs­sum­me hal­bie­ren.

Kon­se­quenz des­sen ist, dass die Ausübung des Rechts, zu ar­bei­ten, er­schwert sein kann, weil ei­nem Ar­beit­neh­mer, der zur Frühver­ren­tung be­rech­tigt ist, we­ni­ger Mit­tel zur Verfügung ste­hen, Zei­ten der Ar­beits­lo­sig­keit zu über­brücken. Auch im Ver­gleich zu Kol­le­gen oh­ne Schwer­be­hin­de­rung ist ein schwer­be­hin­der­ter Ar­beit­neh­mer im An­wen­dungs­be­reich des vor­lie­gen­den So­zi­al­plans er­heb­lich be­nach­tei­ligt, weil der nicht schwer­be­hin­der­te Ar­beit­neh­mer erst deut­lich später ei­ne Al­ters­ren­te be­an­spru­chen kann und aus die­sem Grun­de ei­ne er­heb­lich höhe­re So­zi­al­plan­ab­fin­dung gemäß § 6 des Vor­sorg­li­chen So­zi­al­plans erhält.

Rechts­mit­tel­be­leh­rung:

Ge­gen die­sen Be­schluss ist ein Rechts­mit­tel nicht ge­ge­ben.

B-Stadt, den 17.02.2011

 

Dr. Rei­ben
Rich­ter am Ar­beits­ge­richt

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