HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

BAG, Ur­teil vom 13.12.2012, 6 AZR 5/12

   
Schlagworte: Konsultationsverfahren, Massenentlassung
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 6 AZR 5/12
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 13.12.2012
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Hessisches Landesarbeitsgericht, 17 Sa 1666/10
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

6 AZR 5/12
17 Sa 1666/10
Hes­si­sches
Lan­des­ar­beits­ge­richt

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am
13. De­zem­ber 2012

UR­TEIL

Gaßmann, Ur­kunds­be­am­tin
der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläge­rin, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Sechs­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 13. De­zem­ber 2012 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Fi­scher­mei­er, die Rich­te­rin­nen am Bun­des­ar­beits­ge- 

 

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richt Gall­ner und Spel­ge so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Schäfer­kord und Koch für Recht er­kannt:

1. Auf die Re­vi­si­on der Kläge­rin wird das Ur­teil des Hes­si­schen Lan­des­ar­beits­ge­richts vom 31. Ok­to­ber 2011 - 17 Sa 1666/10 - auf­ge­ho­ben.

2. Auf die Be­ru­fung der Kläge­rin wird das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Frank­furt am Main vom 8. Sep­tem­ber 2010 - 2 Ca 862/10 - ab­geändert:
Es wird fest­ge­stellt, dass das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis durch die Kündi­gung vom 15. Ja­nu­ar 2010 nicht auf­gelöst wor­den ist.

3. Die Be­klag­te hat die Kos­ten des Rechts­streits zu tra­gen mit Aus­nah­me der durch die Säum­nis der Kläge­rin im Ter­min vom 20. Ju­ni 2011 ver­an­lass­ten Kos­ten, wel­che die Kläge­rin zu tra­gen hat.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten noch über ei­ne or­dent­li­che be­triebs­be­ding­te Be­en­di­gungskündi­gung.

Die Be­klag­te, ei­ne Ak­ti­en­ge­sell­schaft nach grie­chi­schem Recht mit Sitz in Athen, ist ei­ne ehe­ma­li­ge Flug­ge­sell­schaft, de­ren Haupt­an­teils­eig­ner der grie­chi­sche Staat ist. Sie un­ter­hielt in Deutsch­land ei­ne Nie­der­las­sung in F mit 36 Ar­beit­neh­mern. Da­ne­ben wa­ren wei­te­re 33 Ar­beit­neh­mer in den Sta­tio­nen M, S, B und D tätig. An al­len Stand­or­ten be­stand ein Be­triebs­rat, zu­dem war ein Ge­samt­be­triebs­rat ge­bil­det.

Zur Auf­recht­er­hal­tung des Flug­be­triebs gewähr­te der grie­chi­sche Staat der Be­klag­ten in der Ver­gan­gen­heit wie­der­holt Leis­tun­gen, was zur Ein­lei­tung meh­re­rer Ver­fah­ren we­gen uni­ons­rechts­wid­ri­ger Bei­hil­fen durch die Eu­ropäische Kom­mis­si­on führ­te. Im Jahr 2008 un­ter­rich­te­te Grie­chen­land die Eu­ropäische Kom­mis­si­on gemäß Art. 88 Abs. 3 EGV (jetzt: Art. 108 Abs. 3 AEUV) über

 

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Pläne, be­stimm­te Vermögens­wer­te ua. der Be­klag­ten an die P S.A. zu ver­kau­fen und im An­schluss die Be­klag­te zu li­qui­die­ren. Im Sep­tem­ber 2008 ent­schied dar­auf­hin die Kom­mis­si­on, dass die ge­mel­de­te Maßnah­me kei­ne staat­li­che Bei­hil­fe iSv. Art. 87 Abs. 1 EGV (jetzt: Art. 107 Abs. 1 AEUV) dar­stel­le.

Im An­schluss ver­ab­schie­de­te der grie­chi­sche Ge­setz­ge­ber mit Wir­kung zum 23. Ok­to­ber 2008 das Ge­setz 3710/2008, mit des­sen Ar­ti­kel 40 in das Ge­setz 3429/2005 Ar­ti­kel 14 A neu hin­zu­gefügt wur­de. Art. 14 A lau­tet in der be­glau­big­ten Über­set­zung aus­zugs­wei­se:

„Son­der­li­qui­da­ti­on öffent­li­cher Un­ter­neh­men

1. Öffent­li­che Un­ter­neh­men, die ver­mehrt:

a) schwe­ren wirt­schaft­li­chen Schwie­rig­kei­ten oder Pro­ble­men bei der Struk­tu­rie­rung ih­res Ei­gen­ka­pi­tals ge­genüber­ste­hen oder of­fen­sicht­lich nicht in der La­ge sind, die ih­nen ge­setz­ten Zah­lungs­fris­ten ein­zu­hal­ten, oder bei de­nen sich der Wert des Ei­gen­ka­pi­tals gemäß der zu­letzt veröffent­lich­ten Bi­lanz in ei­ner Wei­se ge­min­dert hat, dass der Ar­ti­kel 48 des ko­di­fi­zier­ten Ge­set­zes k.n. 2190/1920 An­wen­dung fin­det, und

b) in der Ver­gan­gen­heit be­reits staat­li­che Bei­hil­fen be­zo­gen ha­ben, wes­halb die Gewährung wei­te­rer Bei­hil­fen ei­nen Ver­s­toß ge­gen die Be­stim­mun­gen des Ge­mein­schafts­rechts be­deu­ten würde, können sich in Ab­wei­chung von den Be­stim­mun­gen des In­sol­venz­ge­setz­bu­ches ei­ner Son­der­li­qui­da­ti­on un­ter­zie­hen. In die­sem Fall wird ein Li­qui­da­tor be­stimmt. Li­qui­da­tor darf je­de natürli­che oder ju­ris­ti­sche Per­son sein, die von den die Li­qui­da­ti­on Be­an-tra­gen­den vor­ge­schla­gen wird; Letz­te­re rei­chen bei dem gemäß dem nach­ste­hen­den Ab­satz zuständi­gen Ge­richt die von der als Li­qui­da­tor vor­ge­schla­ge­nen Per­son ab­ge­ge­be­ne Erklärung darüber ein, dass sie die­sen Vor­schlag an­nimmt.

...

4. Die Son­der­li­qui­da­ti­on bil­det für das Un­ter­neh­men

kei­nen Grund, sich auf­zulösen, sie im­pli­ziert auch we­der den Be­triebs­still­stand noch die Auflösung von mit dem Un­ter­neh­men be­ste­hen­den Verträgen ver­schie­dens­ter Art noch stellt sie ei­nen Grund zur Auflösung die­ser Verträge dar. In je­dem Fal­le bil­det sie je­doch al­lein für den Li­qui­da­tor ei­nen Grund, mit dem Un­ter­neh­men be­ste­hen­de Verträge jed­we­der

 

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Art zu kündi­gen. Der Li­qui­da­tor führt die Geschäfte des Un­ter­neh­mens, er ver­wal­tet und ver­tritt es. Der Li­qui­da­tor darf den so­for­ti­gen Be­triebs­still­stand oder die allmähli­che Ein­schränkung oder Still­le­gung des Be­triebs des Un­ter­neh­mens so­wie das Wei­ter­be­ste­hen oder die Be­en­dung von mit dem Un­ter­neh­men be­ste­hen­den Verträgen ver­schie­dens­ter Art be­sch­ließen: Ins­be­son­de­re die mit dem Per­so­nal, das mit dem Un­ter­neh­men auf­grund ei­nes abhängi­gen oder un­abhängi­gen Beschäfti­gungs­verhält­nis­ses oder durch die Er­brin­gung von Leis­tun­gen der Rechts­be­ra­tung oder der ju­ris­ti­schen Ver­tre­tung ver­bun­den ist, be­ste­hen­den Ar­beits-, Ho­no­rar- oder Werk­verträge können nach der Be­kannt­ga­be des ent­spre­chen­den Be­schlus­ses des Efe­teio [Be­ru­fungs­ge­rich­tes] und nach der von dem Li­qui­da­tor er­fol­gen­den Einschätzung so­wie nach im In­ter­es­se der Li­qui­da­ti­on lie­gen­den Be­schlüssen des Li­qui­da­tors und je nach Not­wen­dig­keit al­le­samt oder teil­wei­se durch Auflösung gekündigt oder vorläufig außer Kraft ge­setzt wer­den, oh­ne dass sich hier­aus Straf­zah­lun­gen für das Un­ter­neh­men er­ge­ben. ...

...

20. Für die Dau­er von acht­zehn Mo­na­ten ab der Veröffent­li­chung des durch das Efe­teio [Be­ru­fungs­ge­richt] er­las­se­nen Be­schlus­ses über die Son­der­li­qui­da­ti­on des Un­ter­neh­mens wer­den al­le ge­gen das Un­ter-neh­men er­grif­fe­nen Maßnah­men der Zwangs­voll­stre­ckung so­wie Si­che­rungs­maßnah­men vorläufig außer Kraft ge­setzt.“

Im Zu­ge der Um­set­zung des der Eu­ropäischen Kom­mis­si­on vor­ge­stell­ten Pri­va­ti­sie­rungs­ver­fah­rens stell­te die Be­klag­te En­de Sep­tem­ber 2009 den Flug­be­trieb welt­weit ein. An­sch­ließend nahm die P S.A. den Flug­be­trieb in Grie­chen­land auf, oh­ne Zie­le von und nach Deutsch­land an­zu­steu­ern, und fir­mier­te An­fang Ok­to­ber 2009 zur Ol Air S.A. um.

Auf An­trag der Grie­chi­schen Re­pu­blik vom 24. Sep­tem­ber 2009 un­ter­stell­te das Be­ru­fungs­ge­richt Athen (Efe­teio) mit Be­schluss vom 2. Ok­to­ber 2009 die Be­klag­te der Son­der­li­qui­da­ti­on nach Art. 14 A des Ge­set­zes 3429/2005 und setz­te die E S.A., ei­ne Ak­ti­en­ge­sell­schaft grie­chi­schen Rechts mit Sitz in Athen, als Li­qui­da­to­rin ein. Be­reits am 27. Mai 2009 war in der Zei­tung der Re­gie­rung

 

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der Grie­chi­schen Re­pu­blik (Band Ak­ti­en­ge­sell­schaf­ten und Ge­sell­schaf­ten mit be­schränk­ter Haf­tung, Bl. Nr. 3847) ein Pro­to­koll des Ver­wal­tungs­rats der E S.A. veröffent­licht wor­den. Da­nach hat­te die­ser ent­schie­den, dem Di­rek­tor T und dem geschäftsführen­den Rats­mit­glied Ma, mit der Möglich­keit, dass je­der ge­trennt han­delt, die vol­le Ver­wal­tungs- und Ver­tre­tungs­macht der Ge­sell­schaft zu über­tra­gen, für al­le Fra­gen außer den­je­ni­gen, wel­che, nach dem Ge­setz, ei­ne kol­lek­ti­ve Hand­lung des Ver­wal­tungs­rats er­for­dern. Im Rah­men ih­rer Hand­lungs­macht soll­ten die­se Mit­glie­der des Ver­wal­tungs­rats das Recht ha­ben, un­ter Gewährung von dies­bezügli­chen no­ta­ri­el­len Voll­mach­ten oder Voll­machts­ur­kun­den die Ausführung kon­kre­ter Auf­träge zur Ver­tre­tung der Ge­sell­schaft vor Ver­wal­tungs- oder Ge­richts­behörden oder ge­genüber Drit­ten an An­ge­stell­te der Ge­sell­schaft oder an­de­re zu über­tra­gen.

Von Au­gust bis De­zem­ber 2009 fan­den in Deutsch­land zwi­schen der Be­klag­ten und dem Ge­samt­be­triebs­rat In­ter­es­sen­aus­gleichs­ver­hand­lun­gen vor der Ei­ni­gungs­stel­le statt. Die Ver­hand­lun­gen über ei­nen In­ter­es­sen­aus­gleich schei­ter­ten, der So­zi­al­plan vom 4. De­zem­ber 2009 er­ging als Spruch der Ei­ni­gungs­stel­le.

Die mit ei­nem Grad der Be­hin­de­rung von 50 schwer­be­hin­der­te Kläge­rin war seit Au­gust 1970 bei der Be­klag­ten bzw. de­ren Rechts­vorgänge­rin, der O A S.A., als Cust­o­m­er Re­la­ti­ons Su­per­in­ten­dent in F beschäftigt.

Mit Schrei­ben vom 17. De­zem­ber 2009 lei­te­te Rechts­an­walt G, der späte­re Pro­zess­be­vollmäch­tig­te der Be­klag­ten, die Anhörung des Be­triebs­rats der Nie­der­las­sung F zur be­ab­sich­tig­ten Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses der Kläge­rin ein. In die­sem Schrei­ben ist ua. aus­geführt:

Be­triebs­rats­anhörung im Sin­ne des § 102 Be­trVG
Mit­tei­lung im Sin­ne von § 17 Abs. 2 KSchG
Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses
Sehr ge­ehr­ter Herr ...,
...
Ich neh­me Be­zug ins­be­son­de­re auf die im Rah­men des
Ei­ni­gungs­stel­len­ver­fah­rens geführ­ten Gespräche und das
Ih­nen si­cher­lich zu­ge­lei­te­te Sit­zungs­pro­to­koll nebst

 

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So­zi­al­plan vom 04.12.09. Wie dar­aus er­sicht­lich ist, sind die In­ter­es­sen­aus­gleichs­gespräche lei­der ge­schei­tert; ein So­zi­al­plan ist im We­ge des Spruchs zu­stan­de ge­kom­men.

Zu den Hin­ter­gründen vor­lie­gen­der Anhörung tei­le ich mit, dass nach­dem der Flug­be­trieb des Un­ter­neh­mens En­de Sep­tem­ber 2009 ein­ge­stellt wur­de, die vollständi­ge Be­triebs­still­le­gung in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land be­schlos­sen und nun­mehr in die We­ge ge­lei­tet ist. Ich über­rei­che in An­la­ge das Schrei­ben mei­ner Par­tei vom 01.12.09 nebst amt­li­cher Über­set­zung. Die­ses Schrei­ben wur­de dem Ge­samt­be­triebs­rat am 04.12.09 be­reits über­ge­ben.

Wie dar­aus er­sicht­lich ist, wur­de das Un­ter­neh­men mit Be­schluss des Be­ru­fungs­ge­richts Athen vom 02.10.09 un­ter Son­der­li­qui­da­ti­on im Sin­ne von Art. 1 der EU-Ver­ord­nung-Nr.: 1346/2000 nebst Anhängen I und II ge-stellt, so­mit die­ses Ver­fah­ren ei­nem In­sol­venz­ver­fah­ren gleich­zu­stel­len ist.

Folg­lich gilt es, sämt­li­che der­zeit in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land be­ste­hen­den 69 Ar­beits­verhält­nis­se un­ter Ein­hal­tung der Kündi­gungs­frist von drei Mo­na­ten, gem. § 113 In­sO, zu kündi­gen. Die Bun­des­agen­tur für Ar­beit wur­de über die Vorgänge in Kennt­nis ge­setzt.

Vor­lie­gend ist mit­zu­tei­len, dass be­ab­sich­tigt ist fol­gen­des Ar­beits­verhält­nis mit der o.g. 3-mo­na­ti­gen Kündi­gungs­frist zum 31.03.2010 zu kündi­gen:
...“

Eben­falls am 17. De­zem­ber 2009 er­stat­te­te die Be­klag­te bei der Agen­tur für Ar­beit F ei­ne Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge zur Be­en­di­gung al­ler 36 Ar­beits­verhält­nis­se. Mit Schrei­ben vom 18. De­zem­ber 2009 bestätig­te die Agen­tur für Ar­beit den Ein­gang der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge „vom 15.12.09 der O S.A.“ und teil­te mit:

„Ih­re An­zei­ge gemäß § 17 KSchG ist am 17.12.09 (wirk-sam) ein­ge­gan­gen.

Auf Grund des Ur­teils des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs vom 27.01.2005 ist die Kündi­gungs­erklärung des Ar­beit­ge­bers das Er­eig­nis, das als Ent­las­sung gilt.

Ent­las­sun­gen (Kündi­gun­gen), die nach § 17 KSchG an­zu­zei­gen sind, wer­den vor Ab­lauf ei­nes Mo­nats nach Ein­gang der An­zei­ge bei der zuständi­gen Agen­tur für Ar­beit nur mit de­ren Zu­stim­mung wirk­sam; die Zu­stim-

 

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mung kann auch rück­wir­kend bis zum Tag der An­trag­stel­lung er­teilt wer­den (§ 18 Abs. 1 KSchG).

Im Ein­zel­fall kann die Agen­tur für Ar­beit be­stim­men, dass die Ent­las­sun­gen nicht vor Ab­lauf von längs­tens zwei Mo­na­ten nach Ein­gang der An­zei­ge wirk­sam wer­den (§ 18 Abs. 2 KSchG).

Im vor­lie­gen­den Fall be­ginnt die ein­mo­na­ti­ge Sperr­frist am 18.12.09 und en­det am 17.01.10.

Die 36 Kündi­gun­gen wer­den nach die­ser Frist wirk­sam.

Gründe, die ei­ne Sperr­frist­verlänge­rung auf bis zu zwei Mo­na­te recht­fer­ti­gen würden, sind nicht er­sicht­lich.

...

Der Vor­sit­zen­de des Be­triebs­ra­tes erhält ei­ne Durch­schrift die­ses Schrei­bens.
...“

Mit wei­te­rem Schrei­ben vom 18. De­zem­ber 2009 teil­te die Agen­tur für Ar­beit darüber hin­aus mit:

„...

der Eu­ropäische Ge­richts­hof hat mit Ur­teil vom 27.01.2005 be­schlos­sen, dass be­reits die Kündi­gungs­erklärung (Aus­spruch der Kündi­gung) des Ar­beit­ge­bers das Er­eig­nis ist, das als Ent­las­sung im Sin­ne des § 17 Kündi­gungs­schutz­ge­setz gilt. Des­halb muss ei­ne rechts­wirk­sa­me An­zei­ge bei der zuständi­gen Agen­tur für Ar­beit vor Aus­spruch der Kündi­gun­gen vor­lie­gen.

Ih­re An­zei­ge ist am 17.12.09 rechts­wirk­sam ein­ge­gan­gen. Ab die­sem Zeit­punkt dürfen Ih­rer­seits Kündi­gun­gen aus­ge­spro­chen wer­den.

Die Sperr­zeit vom 18.12.09 bis 17.01.10 re­gelt, dass kein Ar­beits­verhält­nis vor dem 18.01.10 en­den darf. Ih­rer An­zei­ge kann ich er­se­hen, dass die ers­ten Be­en­di­gun­gen ab 31.03.10 vor­ge­se­hen sind. Da die Sperr­zeit aber be­reits am 17.01.10 en­det, muss ei­ne Verkürzung die­ser nicht er­fol­gen. Ich se­he ih­ren An­trag hier­mit als ge­gen­stands­los an.“

We­gen feh­len­der Ori­gi­nal­voll­macht rügte der Be­triebs­rat mit Schrei­ben vom 22. De­zem­ber 2009 die ein­ge­lei­te­te Be­triebs­rats­anhörung nach § 174 BGB

 

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und teil­te mit, er ha­be die be­ab­sich­tig­te Kündi­gung nur hilfs­wei­se be­han­delt und wi­der­spre­che der Kündi­gung.

Nach Er­tei­lung der Zu­stim­mung zur or­dent­li­chen Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses der Kläge­rin durch Be­scheid des zuständi­gen Lan­des­wohl­fahrts­ver­bands H vom 14. Ja­nu­ar 2010 kündig­te Rechts­an­walt G „na­mens und in Voll­macht des Son­der­li­qui­da­tors“ das Ar­beits­verhält­nis der Kläge­rin mit Schrei­ben vom 15. Ja­nu­ar 2010 zum 30. April 2010. Im Be­treff die­ses Schrei­bens ist an­ge­ge­ben:

„O S.A. ./. ...
hier: Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses“.

Dem Kündi­gungs­schrei­ben war ei­ne von Herrn Ma für die E S.A. un­ter­zeich­ne­te, auf Rechts­an­walt G lau­ten­de Ori­gi­nal­voll­macht bei­gefügt. Eben­so kündig­te Rechts­an­walt G die Ar­beits­verhält­nis­se al­ler an­de­ren Ar­beit­neh­mer der Be­klag­ten in Deutsch­land.

Mit ih­rer frist­ge­recht ein­ge­gan­ge­nen Kla­ge wen­det sich die Kläge­rin ge­gen die Be­en­di­gung ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses. In der Kla­ge­schrift ist als Be­klag­te die „E S.A., ge­setz­lich ver­tre­ten durch den Geschäftsführer Herrn Ma ... als Son­der­li­qui­da­tor über das Vermögen der Fir­ma O S.A.“ an­ge­ge­ben. Der Kla­ge­schrift war ei­ne Ab­lich­tung des Kündi­gungs­schrei­bens bei­gefügt.

So­weit für die Re­vi­si­on von Be­deu­tung, hat die Kläge­rin erst­mals in der Be­ru­fungs­in­stanz gel­tend ge­macht, es lie­ge kei­ne ord­nungs­gemäße An­zei­ge iSd. § 17 KSchG vor. Der Agen­tur für Ar­beit sei­en die Anhörungs­schrei­ben an den Be­triebs­rat nicht über­mit­telt wor­den. Darüber hin­aus sei ihr ei­ne fal­sche Mit­ar­bei­ter­zahl mit­ge­teilt wor­den. Auch die in B beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer der Be­klag­ten hätten mit­ge­teilt wer­den müssen.

Die Kläge­rin hat zu­letzt - so­weit für die Re­vi­si­on noch von In­ter­es­se - be­an­tragt

fest­zu­stel­len, dass das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis nicht durch die Kündi­gung vom 15. Ja­nu­ar 2010 auf­gelöst wird.

 

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Die Be­klag­te hat ih­ren Kla­ge­ab­wei­sungs­an­trag ua. da­mit be­gründet, sie ha­be die ihr nach § 17 KSchG ob­lie­gen­den Pflich­ten erfüllt. Mit der Be­triebs­rats­anhörung sei der Be­triebs­rat auch nach § 17 Abs. 2 KSchG in­for­miert wor­den.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen, das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat im Ter­min vom 20. Ju­ni 2011 durch Versäum­nis­ur­teil die Be­ru­fung der Kläge­rin zurück­ge­wie­sen und die­ses nach dem frist­ge­rech­ten Ein­spruch der Kläge­rin auf­recht­er­hal­ten. Es hat ua. an­ge­nom­men, die Kündi­gung sei nicht gemäß § 17 KSchG iVm. § 134 BGB un­wirk­sam. Zwar sei das Ver­fah­ren im Rah­men der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge feh­ler­haft ge­we­sen. Die­se Feh­ler sei­en je­doch durch ei­nen be­stands­kräfti­gen Ver­wal­tungs­akt der Agen­tur für Ar­beit ge­heilt. Mit der zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt die Kläge­rin ihr Rechts­schutz­ziel in Be­zug auf die Fest­stel­lung der Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung wei­ter.

Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on ist be­gründet. Die Be­klag­te hat den ihr nach § 17 KSchG ob­lie­gen­den Pflich­ten in mehr­fa­cher Wei­se nicht genügt. Sie hat kein Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren nach § 17 Abs. 2 KSchG mit dem dafür zuständi­gen Ge­samt­be­triebs­rat durch­geführt. Zu­dem war der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge ent­ge­gen § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG kei­ne Stel­lung­nah­me des Ge­samt­be­triebs­rats bei­gefügt. Die Be­klag­te hat auch nicht glaub­haft ge­macht, dass die Vor­aus­set­zun­gen des § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG vor­ge­le­gen ha­ben, so dass die Beifügung der Stel­lung­nah­me ent­behr­lich ge­we­sen wäre. Die Mas­sen­ent­las­sungs-an­zei­ge war des­halb un­wirk­sam. Die­se Un­wirk­sam­keit ist, an­ders als das Lan­des­ar­beits­ge­richt an­ge­nom­men hat, durch die Schrei­ben der Agen­tur für Ar­beit vom 18. De­zem­ber 2009 nicht ge­heilt wor­den. Die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 15. Ja­nu­ar 2010 ist des­halb un­wirk­sam.

 

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A. Die deut­schen Ge­rich­te sind auf der Grund­la­ge der Ver­ord­nung (EG) Nr. 44/2001 des Ra­tes vom 22. De­zem­ber 2000 über die ge­richt­li­che Zuständig­keit und die An­er­ken­nung und Voll­stre­ckung von Ent­schei­dun­gen in Zi­vil-und Han­dels­sa­chen (Eu­GV­VO) für die Ent­schei­dung des Rechts­streits in­ter­na­tio­nal zuständig. Der für die An­wen­dung der Eu­GV­VO er­for­der­li­che Aus­lands­be­zug (vgl. da­zu EuGH 17. No­vem­ber 2011 - C-327/10 - [Lind­ner] Rn. 29, ZIP 2011, 2377) er­gibt sich dar­aus, dass die Be­klag­te ih­ren Sitz in ei­nem an­de­ren Mit­glied­staat hat (vgl. EuGH 1. März 2005 - C-281/02 - [Owu­su] Rn. 26, Slg. 2005, I-1383). Das vor­lie­gen­de Kündi­gungs­schutz­ver­fah­ren ist kein An­nex­ver­fah­ren iSd. Art. 3 Abs. 1 der Ver­ord­nung (EG) Nr. 1346/2000 des Ra­tes vom 29. Mai 2000 über In­sol­venz­ver­fah­ren (Eu­Ins­VO), bei dem auf­grund der Be­reichs­aus­nah­me in Art. 1 Abs. 2 Buchst. b Eu­GV­VO die in­ter­na­tio­na­le Zuständig­keit den Ge­rich­ten des Staats der Ver­fah­ren­seröff­nung, hier al­so den grie­chi­schen Ge­rich­ten, zu­ge­ord­net wäre. Da­bei kommt es nicht dar­auf an, ob das über das Vermögen der Be­klag­ten mit Be­schluss des Be­ru­fungs­ge­richts Athen vom 2. Ok­to­ber 2009 eröff­ne­te Son­der­li­qui­da­ti­ons­ver­fah­ren nach Art. 14 A des Ge­set­zes 3429/2005 idF des Art. 40 des Ge­set­zes 3710/2008 (künf­tig: Son­der­li­qui­da­ti­ons­ver­fah­ren) ein In­sol­venz­ver­fah­ren iSv. Art. 2 Buchst. a Eu­Ins­VO dar­stellt. Kündi­gungs­schutz­kla­gen ge­gen ei­ne wie hier nach deut­schem Recht erklärte Kündi­gung fehlt der spe­zi­fi­sche In­sol­venz­be­zug, um den für die An­nah­me ei­nes An­nex­ver­fah­rens er­for­der­li­chen en­gen Zu­sam­men­hang mit dem In­sol­venz­ver­fah­ren zu be­ja­hen. Dies gilt auch dann, wenn die kur­ze Kündi­gungs­frist des § 113 In­sO maßgeb­lich sein soll. Sol­che Kla­gen ha­ben ih­ren Rechts­grund nicht im In­sol­venz­recht, son­dern im Ar­beits­recht. Für sol­che Ver­fah­ren be­stimmt sich die in­ter­na­tio­na­le Zuständig­keit des­halb nach der Eu­GV­VO und nicht nach der Eu­Ins­VO (ausführ­lich BAG 20. Sep­tem­ber 2012 - 6 AZR 253/11 - Rn. 16 ff., ZIP 2012, 2312). Die ört­li­che Zuständig­keit er­gibt sich, wenn nicht gemäß Art. 19 Nr. 2 Buchst. a Eu­GV­VO aus dem Ge­richts­stand des gewöhn­li­chen Ar­beits­orts, so je­den­falls auf­grund der rüge­lo­sen Ein­las­sung der Be­klag­ten aus Art. 24 Eu­GV­VO.

B. Die Be­klag­te als Schuld­ne­rin ist, ver­tre­ten durch die E S.A. als Son­der­li­qui­da­to­rin, pas­siv­le­gi­ti­miert. Die Aus­wir­kun­gen der Be­stel­lung der E S.A. zur

 

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Li­qui­da­to­rin über das Vermögen der Be­klag­ten als Schuld­ne­rin so­wie ih­re Be­fug­nis­se und ih­re Rechts­stel­lung als Li­qui­da­to­rin be­ur­tei­len sich un­abhängig da­von, ob das Son­der­li­qui­da­ti­ons­ver­fah­ren ein In­sol­venz­ver­fah­ren iSv. Art. 2 Buchst. a Eu­Ins­VO dar­stellt, nach grie­chi­schem Recht. Ei­ner Vor­la­ge nach Art. 267 AEUV an den Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on zur Klärung die­ser Fra­ge be­darf es dar­um nicht.

I. Gemäß Art. 14 A Ziff. 4 Satz 1 des Ge­set­zes 3429/2005 hat die Son­der­li­qui­da­ti­on nicht die Auflösung des Schuld­ner­un­ter­neh­mens zur Fol­ge. Der Li­qui­da­tor wird nicht Rechts­nach­fol­ger des Un­ter­neh­mens. Viel­mehr wer­den gemäß Art. 14 A Ziff. 4 Satz 3 des Ge­set­zes 3429/2005 die Geschäfte die­ses Un­ter­neh­mens von dem Li­qui­da­tor, der das Un­ter­neh­men ver­tritt, le­dig­lich geführt. An­ders als im deut­schen Recht ver­bleibt da­mit die Ar­beit­ge­ber­stel­lung bei dem Schuld­ner­un­ter­neh­men.

II. Die­se nach dem grie­chi­schen Recht vor­lie­gen­de Rechts­stel­lung von Schuld­ner­un­ter­neh­men und Li­qui­da­tor ist vor­lie­gend maßgeb­lich.

1. Soll­te das Son­der­li­qui­da­ti­ons­ver­fah­ren nach Maßga­be der Art. 16 und Art. 17 Eu­Ins­VO an­zu­er­ken­nen sein, weil für Grie­chen­land das Son­der­li­qui­da­ti­ons­ver­fah­ren im An­hang A zur Eu­Ins­VO und der Son­der­li­qui­da­tor im An­hang C auf­geführt sind (in die­sem Sin­ne wohl Man­kow­ski Anm. NZI 2011, 876, 877), wäre gemäß Art. 4 Eu­Ins­VO iVm. Art. 18 Abs. 1 Eu­Ins­VO für die Be­fug­nis­se der Be­klag­ten als Schuld­ne­rin und der E S.A. als Li­qui­da­to­rin grie­chi­sches Recht maßgeb­lich (lex fo­ri con­cur­sus).

2. Wäre das Son­der­li­qui­da­ti­ons­ver­fah­ren vom clo­sed-list-sys­tem der Eu­Ins­VO nicht er­fasst und da­mit der An­wen­dungs­be­reich die­ser Ver­ord­nung nicht eröff­net, be­stimm­ten sich die Be­fug­nis­se von Schuld­ne­rin und Li­qui­da­to­rin gemäß § 335 In­sO eben­falls nach grie­chi­schem Recht.

a) In die­sem Fall käme ei­ne An­er­ken­nung die­ses Ver­fah­rens nach dem in den §§ 335 ff. In­sO nor­mier­ten deut­schen au­to­no­men In­ter­na­tio­na­len In­sol­venz­recht in Be­tracht (vgl. BGH 3. Fe­bru­ar 2011 - V ZB 54/10 - Rn. 11,

 

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BGHZ 188, 177; Ste­phan in HK-In­sO 6. Aufl. Vor §§ 335 ff. Rn. 18 ff.; Hamb­Komm/Un­dritz 4. Aufl. Vor­be­mer­kun­gen zu §§ 335 ff. In­sO Rn. 15; Man­kow­ski Anm. NZI 2011, 876, 877; ders. WM 2011, 1201, 1202). Die Eu­Ins­VO ver­drängt das au­to­no­me na­tio­na­le Recht außer­halb ih­res An­wen­dungs­be­reichs nicht. Wird ein na­tio­na­les In­sol­venz­ver­fah­ren von den Anhängen der Eu­Ins­VO nicht er­fasst, ver­bleibt ein Spiel­raum, den das na­tio­na­le In­ter­na­tio­na­le In­sol­venz­recht nut­zen kann (Man­kow­ski Anm. NZI 2011, 876, 877). Dies nimmt den De­fi­ni­tio­nen der Eu­Ins­VO als spe­zi­el­le­rer Re­ge­lung des eu­ropäischen In­ter­na­tio­na­len In­sol­venz­rechts und de­ren Anhängen nicht die prak­ti­sche Wirk­sam­keit (aA Crans­haw DZWIR 2012, 133, 134). Für die von ih­ren Anhängen nicht er­fass­ten Ver­fah­ren re­kla­miert die Eu­Ins­VO kei­ne Gel­tung und ent­fal­tet da­her kei­ne Re­ge­lungs­sper­re für das na­tio­na­le au­to­no­me In­ter­na­tio­na­le In­sol­venz-recht. In­so­weit gilt nichts an­de­res als für die Be­reichs­aus­nah­men des Art. 1 Abs. 2 Eu­Ins­VO (vgl. da­zu Münch­KommBGB/Kind­ler 5. Aufl. Bd. 11 Vor §§ 335 ff. In­sO Rn. 3).

b) Wäre das Son­der­li­qui­da­ti­ons­ver­fah­ren nach § 343 In­sO an­zu­er­ken­nen, so be­stimm­ten sich die Be­fug­nis­se von Schuld­ne­rin und Li­qui­da­to­rin gemäß § 335 In­sO eben­falls nach grie­chi­schem Recht als dem lex fo­ri con­cur­sus (vgl. LSZ/Smid In­ter­na­tio­na­les In­sol­venz­recht 2. Aufl. In­sO § 335 Rn. 8; Münch­Kom­mIn­sO/Rein­hart 2. Aufl. § 335 Rn. 65).

c) Soll­te das Son­der­li­qui­da­ti­ons­ver­fah­ren da­ge­gen nicht als In­sol­venz­ver­fah­ren iSd. §§ 335 ff. In­sO zu qua­li­fi­zie­ren sein, so dass ei­ne An­er­ken­nung nach § 343 In­sO aus­schie­de, wäre die ge­sell­schafts­recht­li­che Fra­ge, wie die Be­klag­te als Schuld­ne­rin (or­gan­schaft­lich) ver­tre­ten ist, gleich­wohl nach grie­chi­schem Recht zu be­ant­wor­ten. Das Ge­sell­schafts­sta­tut rich­tet sich nach dem Gründungs­sta­tut und da­mit für die in Grie­chen­land ge­gründe­te Be­klag­te nach grie­chi­schem Recht. Nach all­ge­mei­ner Auf­fas­sung, die sich auf die Ent­schei­dun­gen des Ge­richts­hofs der Eu­ropäischen Uni­on in den Sa­chen Cen­tros (9. März 1999 - C-212/97 - Slg. 1999, I-1459), Über­see­ring (5. No­vem­ber 2002 - C-208/00 - Slg. 2002, I-9919) und In­spi­re Art (30. Sep­tem­ber 2003 - C-167/01 - Slg. 2003, I-10155) stützt, rich­tet sich das Ge­sell­schafts­sta­tut von

 

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Ge­sell­schaf­ten, die in ei­nem Mit­glied­staat der Eu­ropäischen Uni­on ge­gründet wor­den sind, nicht nach ih­rem Ver­wal­tungs­sitz, son­dern nach ih­rem Gründungs­ort, weil nur so die eu­ro­pa­recht­lich verbürg­te Nie­der­las­sungs­frei­heit gewährt wer­den kann (vgl. BGH 21. Ju­li 2011 - IX ZR 185/10 - Rn. 22, BGHZ 190, 364).

C. Die ma­te­ri­ell-recht­li­che Wirk­sam­keit der Kündi­gung der Be­klag­ten be­stimmt sich nach deut­schem Ar­beits­recht. Auch in­so­weit kann da­hin­ste­hen, ob das Son­der­li­qui­da­ti­ons­ver­fah­ren der Eu­Ins­VO un­terfällt, so dass auch zur Klärung der sich in die­sem Zu­sam­men­hang stel­len­den Fra­gen kei­ne Vor­la­ge an den Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on er­for­der­lich ist.

I. Ist der An­wen­dungs­be­reich der Eu­Ins­VO eröff­net, ist gemäß Art. 10 Eu­Ins­VO für die Wir­kun­gen des In­sol­venz­ver­fah­rens auf ei­nen Ar­beits­ver­trag und auf das Ar­beits­verhält­nis aus­sch­ließlich das Recht des Mit­glied­staats maßgeb­lich, das auf den Ar­beits­ver­trag an­zu­wen­den ist (lex cau­sae). Wäre das Son­der­li­qui­da­ti­ons­ver­fah­ren nach § 343 In­sO an­zu­er­ken­nen, wäre gemäß § 337 In­sO eben­falls das Ar­beits­ver­trags­sta­tut maßgeb­lich. Die Be­stim­mung des § 337 In­sO ist Art. 10 Eu­Ins­VO nach­ge­bil­det (vgl. BT-Drucks. 15/16 S. 18). Das Recht des Staats, dem das Ar­beits­verhält­nis un­ter­liegt, soll auch die Wir­kun­gen der Eröff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens auf die­se Rechts­be­zie­hung be­stim­men (Braun/Ta­shiro In­sO 5. Aufl. § 337 Rn. 3). Läge über­haupt kein an­zu­er­ken­nen­des In­sol­venz­ver­fah­ren vor, wäre nach den Grundsätzen des In­ter­na­tio­na­len Pri­vat­rechts zu be­stim­men, wel­ches Recht An­wen­dung fände.

II. In al­len drei denk­ba­ren Kon­stel­la­tio­nen ist nach den vor­lie­gend noch maßgeb­li­chen Art. 27, 30 und 34 EGBGB zu er­mit­teln, wel­ches Recht An­wen­dung fin­det. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat un­ter Be­zug­nah­me auf die Fest­stel­lun­gen des Ar­beits­ge­richts an­ge­nom­men, dass nach die­sen Kol­li­si­ons­re­geln des In­ter­na­tio­na­len Pri­vat­rechts für das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en deut­sches Ar­beits­recht maßgeb­lich ist. Rechts­feh­ler sind in­so­weit nicht er­sicht­lich, und die Fest­stel­lung wird auch von kei­ner Par­tei an­ge­grif­fen.

 

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D. Die Kündi­gung der Be­klag­ten gilt nicht be­reits nach § 7 Halbs. 1 KSchG als rechts­wirk­sam. Die Kla­ge, die sich ge­gen die „E S.A. ... als Son­der­li­qui­da­tor über das Vermögen der Fir­ma O S.A.“ rich­te­te, hat die Drei­wo­chen­frist des § 4 Satz 1 KSchG ge­wahrt.

I. Ist ei­ne Par­tei­be­zeich­nung nicht ein­deu­tig, ist die Par­tei durch Aus­le­gung zu er­mit­teln. Selbst bei äußer­lich ein­deu­ti­ger, aber of­fen­kun­dig un­rich­ti­ger Be­zeich­nung ist grundsätz­lich die­je­ni­ge Per­son als Par­tei an­ge­spro­chen, die er­kenn­bar durch die Par­tei­be­zeich­nung be­trof­fen wer­den soll. Es kommt dar­auf an, wel­cher Sinn der von der kla­gen­den Par­tei in der Kla­ge­schrift gewähl­ten Par­tei­be­zeich­nung bei ob­jek­ti­ver Würdi­gung des Erklärungs­in­halts bei­zu­le­gen ist. Er­gibt sich aus den ge­sam­ten Umständen, wer als be­klag­te Par­tei ge­meint ist, kann das Ru­brum un­be­denk­lich „be­rich­tigt“ wer­den. Das gilt vor al­lem dann, wenn der Kla­ge­schrift das Kündi­gungs­schrei­ben bei­gefügt ist, aus dem sich er­gibt, von wem die Kündi­gung erklärt ist. Ent­schei­dend ist, dass die recht­li­che Iden­tität ge­wahrt bleibt. Bleibt die Par­tei nicht die­sel­be, han­delt es sich um ei­ne Par­teiände­rung. Ei­ne un­ge­naue oder er­kenn­bar fal­sche Par­tei­be­zeich­nung kann da­ge­gen je­der­zeit von Amts we­gen rich­tig­ge­stellt wer­den. Dies kann auch noch durch das Re­vi­si­ons­ge­richt ge­sche­hen (vgl. für die st. Rspr. zu­letzt BAG 18. Ok­to­ber 2012 - 6 AZR 41/11 - Rn. 18 f. mwN).

II. Nach die­sen Grundsätzen ist die un­rich­ti­ge Be­zeich­nung der Be­klag­ten in der Kla­ge­schrift da­hin aus­zu­le­gen, dass sich die Kla­ge von vorn­her­ein ge­gen die O S.A. un­ter Son­der­li­qui­da­ti­on, ver­tre­ten durch die Li­qui­da­to­rin E S.A., ge­rich­tet hat und mit ihr die Drei­wo­chen­frist des § 4 Satz 1 KSchG ge­wahrt wor­den ist. Für die Be­klag­te war er­kenn­bar, dass die Kündi­gungs­schutz­kla­ge ge­gen sie er­ho­ben wer­den soll­te. Dafür spricht ins­be­son­de­re das der Kla­ge­schrift bei­gefügte Kündi­gungs­schrei­ben. Dar­aus ist er­sicht­lich, dass die Kündi­gung un­ter dem Be­treff „O S.A. ./. ... hier: Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses“ er­folgt ist und der Un­ter­zeich­ner die E S.A. „als Son­der­li­qui­da­tor“ über das Vermögen der O S.A. ver­tritt. Da­mit konn­ten bei ob­jek­ti­ver Würdi­gung kei­ne be­rech­tig­ten Zwei­fel be­ste­hen, dass sich die Kla­ge von An­fang an ge­gen die Be­klag­te und nicht ge­gen die E S.A., die die Kündi­gung nur als Ver­tre­te­rin hat

 

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erklären las­sen, rich­ten soll­te. Der Se­nat hat des­halb die un­ge­naue Par­tei­be­zeich­nung rich­tig­ge­stellt.

E. Die Kla­ge ist nicht un­schlüssig, weil die Kläge­rin be­haup­tet, ihr Ar­beits­verhält­nis sei im We­ge ei­nes Be­triebsüber­gangs be­reits En­de Sep­tem­ber 2009, al­so vor Zu­gang der Kündi­gung vom 15. Ja­nu­ar 2010, auf die Ol S.A. über­ge­gan­gen. Sie hat die Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung nicht al­lein aus dem von ihr an­ge­nom­me­nen Be­triebsüber­gang auf die Ol S.A. her­ge­lei­tet, son­dern wei­te­re Un­wirk­sam­keits­gründe gel­tend ge­macht. Sie hat sich da­mit das Vor­brin­gen der Be­klag­ten, es lie­ge kein Be­triebsüber­gang vor, still­schwei­gend hilfs­wei­se zu ei­gen ge­macht und ih­re Kla­ge auch hier­auf gestützt. Da­mit ist die Kla­ge je­den­falls nach dem Hilfs­vor­brin­gen schlüssig (BAG 15. De­zem­ber 2011 - 8 AZR 692/10 - Rn. 20, EzA BGB 2002 § 613a Nr. 132).

F. Zum Zeit­punkt des Zu­gangs der Kündi­gung be­stand das zwi­schen der Kläge­rin und der Be­klag­ten be­gründe­te Ar­beits­verhält­nis noch. Nach den mit der Re­vi­si­on nicht an­ge­grif­fe­nen Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts ist das Ar­beits­verhält­nis nicht auf die Ol S.A. über­ge­gan­gen, weil das Ar­beits­verhält­nis der Kläge­rin kei­nem et­waig über­ge­gan­ge­nen Be­triebs­teil zu­zu­ord­nen ist.

G. Die Be­klag­te hat den ihr nach § 17 KSchG ob­lie­gen­den Pflich­ten in mehr­fa­cher Wei­se nicht genügt. Dies führt zur Un­wirk­sam­keit der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge und hat die Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung zur Fol­ge. Dar­um kann da­hin­ste­hen, ob die wei­te­ren von der Kläge­rin gel­tend ge­mach­ten Un­wirk­sam­keits­gründe vor­lie­gen.

I. Die am 17. De­zem­ber 2009 an­ge­zeig­te Maßnah­me war nach § 17 KSchG an­zei­ge­pflich­tig. Al­le in der Nie­der­las­sung F beschäftig­ten 36 Ar­beit­neh­mer soll­ten ent­las­sen wer­den. Da­mit war der Schwel­len­wert des § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG über­schrit­ten. Darüber be­steht zwi­schen den Par­tei­en kein Streit.

II. Die Be­klag­te hat das nach § 17 Abs. 2 KSchG er­for­der­li­che Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren nicht durch­geführt.

 

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1. Die Prüfung der Durchführung des Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­rens war dem Lan­des­ar­beits­ge­richt nicht ver­wehrt, ob­wohl die Kläge­rin nicht aus­drück­lich Feh­ler der Be­klag­ten bei der Durchführung des Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­rens gerügt, son­dern nur gel­tend ge­macht hat­te, der Agen­tur für Ar­beit sei­en „die Anhörungs­schrei­ben an den Be­triebs­rat“ nicht über­mit­telt wor­den und ihr sei ei­ne zu ge­rin­ge An­zahl der zu ent­las­sen­den Ar­beit­neh­mer mit­ge­teilt wor­den.

a) Der Ar­beit­neh­mer ist dar­le­gungs- und ge­ge­be­nen­falls be­weis­pflich­tig für die tatsächli­chen Vor­aus­set­zun­gen der An­zei­ge­pflicht nach § 17 KSchG. Steht die An­zei­ge­pflicht fest, trifft die Dar­le­gungs- und Be­weis­last für die ord­nungs­gemäße Durchführung des Ver­fah­rens nach § 17 KSchG den Ar­beit­ge­ber, weil die ord­nungs­gemäße Durchführung die­ses Ver­fah­rens Wirk­sam­keits­vor­aus­set­zung der Kündi­gung ist. Der Ar­beit­ge­ber hat al­so grundsätz­lich die Ein­hal­tung der Vor­aus­set­zun­gen des § 17 KSchG dar­zu­le­gen und zu be­wei­sen. Der Um­fang der je­weils er­for­der­li­chen Sub­stan­ti­ie­rung des Vor­trags er­gibt sich nach den all­ge­mei­nen Re­geln zur Ver­tei­lung der Erklärungs­last gemäß § 138 Abs. 2 ZPO aus dem Wech­sel­spiel von Vor­trag und Ge­gen­vor­trag, wo­bei die Ergänzung und Auf­glie­de­rung des Sach­vor­trags bei hin­rei­chen­dem Ge­gen­vor­trag im­mer zunächst Sa­che der dar­le­gungs- und be­weis­pflich­ti­gen Par­tei ist (BAG 21. März 2012 - 6 AZR 596/10 - Rn. 31, AP KSchG 1969 § 17 Nr. 39 = EzA KSchG § 17 Nr. 25; BGH 19. Mai 2011 - VII ZR 24/08 - NJW 2011, 3291). Hat der Ar­beit­ge­ber sub­stan­ti­iert dar­ge­legt, dass und mit wel­chem In­halt er das Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren nach § 17 Abs. 2 KSchG durch­geführt und Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge er­stat­tet hat, darf sich der Ar­beit­neh­mer dem­nach nicht dar­auf be­schränken, die ord­nungs­gemäße Durchführung des Mas­sen­ent­las­sungs­ver­fah­rens pau­schal zu be­strei­ten. Er muss sich viel­mehr vollständig über den vom Ar­beit­ge­ber vor­ge­tra­ge­nen Sach­ver­halt erklären und im Ein­zel­nen dar­le­gen, wel­che Feh­ler des Ver­fah­rens er rügen will. Er muss deut­lich ma­chen, wel­che An­ga­ben er für zu­tref­fend er­ach­tet und wel­che nicht (vgl. BAG 18. Ja­nu­ar 2012 - 6 AZR 407/10 - Rn. 31, AP KSchG 1969 § 6 Nr. 6 = EzA KSchG § 6 Nr. 4; vgl. für das Anhörungs­ver­fah­ren nach § 102 Be­trVG BAG 23. Ju­ni 2005 - 2 AZR 193/04 - zu II 1 b der Gründe, AP ZPO § 138 Nr. 11 =

 

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EzA Be­trVG 2001 § 102 Nr. 12; 16. März 2000 - 2 AZR 75/99 - zu II 2 der Gründe, AP Be­trVG 1972 § 102 Nr. 114 = EzA BGB § 626 nF Nr. 179).

b) Trägt je­doch der Ar­beit­ge­ber oh­ne Rüge des Ar­beit­neh­mers zu dem von ihm durch­geführ­ten Mas­sen­ent­las­sungs­ver­fah­ren vor und ist dar­aus ein­deu­tig er­sicht­lich, dass den An­for­de­run­gen des § 17 KSchG nicht genügt ist, hat das Ge­richt der­ar­ti­ge Un­wirk­sam­keits­gründe von Amts we­gen zu berück-sich­ti­gen. Glei­ches gilt, wenn sich, wie im vor­lie­gen­den Fall, sol­che Un­wirk­sam­keits­gründe aus vom Ar­beit­ge­ber in das Ver­fah­ren ein­geführ­ten Un­ter­la­gen ein­deu­tig er­ge­ben. Nach all­ge­mei­nen zi­vil­pro­zes­sua­len Re­geln ist ein Kla­ge­an­trag - un­ter Be­ach­tung des Streit­ge­gen­stands - un­ter al­len auf­grund des Sach­vor­trags der Par­tei­en in Be­tracht kom­men­den recht­li­chen Gründen zu prüfen. Wenn sich aus dem Sach­vor­trag der Par­tei­en er­gibt, dass die Kündi­gung un­ter ei­nem vom Streit­ge­gen­stand der Kündi­gungs­schutz­kla­ge er­fass­ten recht­li­chen Ge­sichts­punkt un­wirk­sam ist, muss sich der Ar­beit­neh­mer nicht aus­drück­lich dar­auf be­ru­fen, um im Rechts­streit un­ter die­sem recht­li­chen Ge­sichts­punkt zu ob­sie­gen. Le­dig­lich un­ter dem Ge­sichts­punkt der Wah­rung des recht­li­chen Gehörs des Geg­ners kann vor ei­ner ent­spre­chen­den Ent­schei­dung ein Hin­weis des Ge­richts nach § 139 ZPO auf sei­ne Rechts­auf­fas­sung ge­bo­ten sein (vgl. BAG 18. Ja­nu­ar 2012 - 6 AZR 407/10 - Rn. 26 mwN, AP KSchG 1969 § 6 Nr. 6 = EzA KSchG § 6 Nr. 4).

2. Nach die­sen Grundsätzen muss­te das Lan­des­ar­beits­ge­richt berück­sich­ti­gen, dass die Be­klag­te kein Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren mit dem zuständi­gen Gre­mi­um durch­geführt hat­te.

a) Die Be­klag­te hat­te mit ih­rer Kla­ge­er­wi­de­rung vor­ge­tra­gen, ei­ne Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge am 17. De­zem­ber 2008 er­stat­tet zu ha­ben. Zu­gleich hat­te sie die Be­triebs­rats­anhörung vom sel­ben Tag vor­ge­legt, aus der sich er­se­hen ließ, dass sie mit die­ser ih­re Pflich­ten nach § 17 Abs. 2 KSchG ge­genüber dem ört­li­chen Be­triebs­rat erfüllen woll­te, ob­wohl sich aus ih­rem wei­te­ren Vor­trag er­gab, dass sie zu­vor mit dem Ge­samt­be­triebs­rat In­ter­es­sen­aus­gleichs­ver­hand­lun­gen zur Still­le­gung al­ler deut­schen Be­triebsstätten geführt hat­te.

 

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b) Aus die­sem un­strei­ti­gen Tat­sa­chen­vor­trag der Be­klag­ten er­ga­ben sich ein­deu­ti­ge Verstöße ge­gen ih­re Pflicht, den Be­triebs­rat gemäß § 17 Abs. 2 KSchG zu kon­sul­tie­ren.

aa) Ent­ge­gen der im Re­vi­si­ons­ver­fah­ren von der Be­klag­ten ver­tre­te­nen Auf­fas­sung war das Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren nicht ent­behr­lich, weil der Be­trieb der Be­klag­ten still­ge­legt wor­den ist und al­le Ar­beit­neh­mer ent­las­sen wor­den sind. Die Be­klag­te macht gel­tend, in ei­ner sol­chen Si­tua­ti­on ha­be die Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tung kei­ne Möglich­keit, kon­struk­ti­ve Vor­schläge zu un­ter­brei­ten, um die Mas­sen­ent­las­sun­gen zu ver­mei­den oder auch nur zu be­schränken. Die Mil­de­rung der Fol­gen der Mas­sen­ent­las­sung er­fol­ge durch den be­schlos­se­nen So­zi­al­plan. Mit die­ser Ar­gu­men­ta­ti­on verkürzt die Be­klag­te den Zweck des Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­rens.

(1) Die Un­ter­rich­tung der Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tung soll es die­ser ermögli­chen, kon­struk­ti­ve Vor­schläge zur Ver­mei­dung oder Ein­schränkung der Mas­sen­ent­las­sun­gen zu un­ter­brei­ten (BAG 20. Sep­tem­ber 2012 - 6 AZR 155/11 - Rn. 60 mwN, ZIP 2012, 2412). Die Be­ra­tun­gen mit der Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tung müssen sich da­bei nicht auf die Ver­mei­dung oder Be­schränkung der Mas­sen­ent­las­sun­gen be­zie­hen. Sie können auch die Möglich­keit be­tref­fen, die Fol­gen sol­cher Ent­las­sun­gen durch so­zia­le Be­gleit­maßnah­men zu mil­dern. Da­bei kann es sich ins­be­son­de­re um Hil­fen für ei­ne an­der­wei­ti­ge Ver­wen­dung oder Um­schu­lun­gen der ent­las­se­nen Ar­beit­neh­mer han­deln (EuGH 3. März 2011 - C-235/10 ua. - [Cla­es] Rn. 56, NZA 2011, 337).

(2) Sol­che Be­ra­tun­gen, die vor al­lem auf die Zah­lung von Ab­fin­dun­gen oder die Ein­rich­tung ei­ner Trans­fer­ge­sell­schaft zie­len, sind zwar auch Ge­gen­stand der So­zi­al­plan­ver­hand­lun­gen, ins­be­son­de­re dann, wenn über ei­nen Trans­fer­so­zi­al­plan ver­han­delt wird, der von der Bun­des­agen­tur für Ar­beit gemäß § 110 SGB III (bis zum 31. März 2012 § 216a SGB III) gefördert wer­den soll. Un­abhängig da­von han­delt es sich da­bei um un­ter­schied­li­che Ver­fah­ren, die nicht vollständig de­ckungs­gleich sind. Auch bei ei­ner ge­plan­ten Be­triebs­still­le­gung muss des­halb bei Vor­lie­gen der je­wei­li­gen ge­setz­li­chen Vor­aus­set­zun­gen nicht nur das Ver­fah­ren nach den §§ 111 ff. Be­trVG, son­dern auch das

 

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nach § 17 Abs. 2 KSchG durch­geführt wer­den. Die ver­schie­de­nen Be­tei­li­gungs­ver­fah­ren können le­dig­lich, so­weit die Pflich­ten nach den un­ter­schied­li­chen Ver­fah­ren übe­rein­stim­men, mit­ein­an­der ver­bun­den und da­mit vom Ar­beit­ge­ber gleich­zei­tig erfüllt wer­den. Ei­ne sol­che Ver­bin­dung ver­letzt kei­ne uni­ons­recht­li­chen Vor­ga­ben (vgl. BAG 20. Sep­tem­ber 2012 - 6 AZR 155/11 - Rn. 47 ff., ZIP 2012, 2412). Das Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren ist nur dann ent­behr­lich, wenn kein Ar­beit­ge­ber mehr vor­han­den ist, der als An­sprech­part­ner für Ver­hand­lun­gen die­nen könn­te. Ein sol­cher Fall liegt bei der Still­le­gung ei­nes von ei­ner natürli­chen Per­son geführ­ten Be­triebs in­fol­ge des Tods des Ar­beit­ge­bers, der nach dem spa­ni­schen Recht die Be­en­di­gung der Ar­beits­verträge zur Fol­ge hat, vor (EuGH 10. De­zem­ber 2009 - C-323/08 - [Rod­gríguez Ma­yor] Rn. 44, Slg. 2009, I-11621), nicht aber bei ei­ner Be­triebs­still­le­gung wie der von der Be­klag­ten be­ab­sich­tig­ten.

bb) Die Mit­tei­lung im Be­treff des an den ört­li­chen Be­triebs­rat in F ge­rich­te­ten Schrei­bens vom 17. De­zem­ber 2009 im Ver­fah­ren nach § 102 Be­trVG, die­ses Anhörungs­schrei­ben sei auch die Mit­tei­lung iSv. § 17 Abs. 2 KSchG, genügte den an ein ord­nungs­gemäßes Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren zu stel­len­den An­for­de­run­gen nicht. Zwar hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt fest­ge­stellt, dass die Be­klag­te da­mit das Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren ein­lei­ten woll­te. Es hat aber zu­tref­fend an­ge­nom­men, dass da­mit den an ein ord­nungs­gemäßes Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren zu stel­len­den An­for­de­run­gen nicht genügt war.

(1) Zum ei­nen hätte das Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren mit dem Ge­samt­be­triebs­rat durch­geführt wer­den müssen. Für die­ses Ver­fah­ren war der Ge­samt­be­triebs­rat gemäß § 50 Abs. 1 Be­trVG ori­ginär zuständig, weil der ge­plan­te Per­so­nal­ab­bau auf der Grund­la­ge ei­nes un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Kon­zepts durch­geführt wer­den soll­te und meh­re­re Be­trie­be von der Be­triebsände­rung be­trof­fen wa­ren. Die Un­ter­rich­tung der Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tung soll es die­ser, wie aus­geführt, ermögli­chen, kon­struk­ti­ve Vor­schläge zur Ver­mei­dung oder Ein­schränkung der Mas­sen­ent­las­sun­gen zu un­ter­brei­ten. Sind meh­re­re Be­trie­be von ei­ner nach ei­nem ein­heit­li­chen Un­ter­neh­mens­kon­zept durch­geführ­ten Be­triebsände­rung be­trof­fen, kann nur durch ei­ne Durchführung des Kon­sul­ta-

 

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ti­ons­ver­fah­rens auf der Ebe­ne des Ge­samt­be­triebs­rats den be­triebsüberg­rei­fen­den Zu­sam­menhängen Rech­nung ge­tra­gen wer­den und ei­ne ge­ge­be­nen-falls be­triebsüberg­rei­fen­de Lösung zur Ver­mei­dung oder Ein­schränkung der ge­plan­ten Mas­sen­ent­las­sun­gen bzw. ei­ner so­zia­len Ab­mil­de­rung der Fol­gen ei­ner sol­chen Ent­las­sung ent­wi­ckelt wer­den (APS/Moll 4. Aufl. § 17 KSchG Rn. 74c mwN; Hützen ZIn­sO 2012, 1801, 1803). Er­for­der­li­che Kennt­nis­se des Ge­samt­be­triebs­rats über die be­trieb­li­chen und re­gio­na­len Verhält­nis­se sind da­durch gewähr­leis­tet, dass je­der ört­li­che Be­triebs­rat min­des­tens ein Mit­glied in den Ge­samt­be­triebs­rat ent­sen­det (vgl. BAG 7. Ju­li 2011 - 6 AZR 248/10 - Rn. 28, AP Be­trVG 1972 § 102 Nr. 165 = EzA Be­trVG 2001 § 26 Nr. 3).

Da­ge­gen war, wo­von die Be­klag­te zu­tref­fend aus­ge­gan­gen ist, un­ge­ach­tet des be­triebsüberg­rei­fen­den Cha­rak­ters der der Kündi­gung zu­grun­de lie­gen­den Un­ter­neh­mer­ent­schei­dung bei der Anhörung nach § 102 Be­trVG der ört­li­che Be­triebs­rat zu be­tei­li­gen. Ei­ne ori­ginäre Zuständig­keit des Ge­samt­be­triebs­rats ist bei per­so­nel­len Ein­zel­maßnah­men wie ei­ner Kündi­gung grundsätz­lich nicht be­gründet. Sie kommt le­dig­lich in Be­tracht, wenn ein Ar­beits­verhält­nis zu­gleich meh­re­ren Be­trie­ben des Un­ter­neh­mens zu­zu­ord­nen ist (BAG 18. Ok­to­ber 2012 - 6 AZR 41/11 - Rn. 31 mwN). Ein sol­cher Aus­nah­me­fall liegt nicht vor. Be­reits we­gen der aus­ein­an­der­fal­len­den Zuständig­kei­ten von Ge­samt­be­triebs­rat und ört­li­chem Be­triebs­rat war des­halb ei­ne Ver­bin­dung der Ver­fah­ren nach § 102 Be­trVG und § 17 Abs. 2 KSchG vor­lie­gend nicht möglich.

(2) Zu­dem wäre der Be­triebs­rat durch das Schrei­ben vom 17. De­zem­ber 2009 nicht recht­zei­tig iSv. § 17 Abs. 2 KSchG un­ter­rich­tet wor­den. Da­bei be­darf es im vor­lie­gen­den Fall kei­ner Ent­schei­dung darüber, ob die Kon­sul­ta­tio­nen zwi­schen Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat vor An­zei­ge der Mas­sen­ent­las­sun­gen ab­ge­schlos­sen sein müssen (vgl. da­zu BVerfG 25. Fe­bru­ar 2010 - 1 BvR 230/09 - Rn. 25 ff., AP GG Art. 101 Nr. 65 = EzA KSchG § 17 Nr. 21). Je­den­falls muss die Un­ter­rich­tung des Be­triebs­rats im Re­gel­fall min­des­tens zwei Wo­chen vor der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge er­fol­gen. Dies folgt aus § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG. Erklärt der Be­triebs­rat al­ler­dings das Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren vor Ab­lauf von zwei Wo­chen nach sei­ner Un­ter­rich­tung für ab­ge­sch­los-

 

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sen, steht der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge das Er­for­der­nis ei­ner recht­zei­ti­gen Un­ter­rich­tung nicht ent­ge­gen (ErfK/Kiel 13. Aufl. § 17 KSchG Rn. 32). An ei­ner sol­chen Erklärung der zuständi­gen Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tung fehlt es.

(a) Die Richt­li­nie 98/59/EG des Ra­tes vom 20. Ju­li 1998 zur An­glei­chung der Rechts­vor­schrif­ten der Mit­glied­staa­ten über Mas­sen­ent­las­sun­gen (MERL) stellt al­ler­dings der­ar­ti­ge An­for­de­run­gen an den Zeit­punkt der Un­ter­rich­tung nicht. Zwar ent­steht die Ver­pflich­tung zur Kon­sul­ta­ti­on, so­bald der Ar­beit­ge­ber erwägt, Mas­sen­ent­las­sun­gen vor­zu­neh­men, oder ei­nen Plan für sol­che Ent­las­sun­gen auf­stellt. Art. 2 Abs. 3 Satz 1 MERL for­dert aber le­dig­lich ei­ne recht­zei­ti­ge Un­ter­rich­tung „im Ver­lauf der Kon­sul­ta­tio­nen“. Die Auskünf­te müssen al­so nicht un­be­dingt schon zu Be­ginn der Kon­sul­ta­tio­nen er­teilt wer­den. Viel­mehr reicht es aus, dass die er­for­der­li­chen Auskünf­te im Ver­lauf des Ver­fah­rens er­teilt wer­den. Er­for­der­lich ist le­dig­lich, dass die ein­schlägi­gen In­for­ma­tio­nen bis zum Ab­schluss des Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­rens er­teilt wor­den sind (EuGH 10. Sep­tem­ber 2009 - C-44/08 - [Aka­van Eri­ty­isa­lo­jen Kes­kus­liit­to] Rn. 41, 52 f., Slg. 2009, I-8163). Die­ser Pro­zess kann ge­genüber dem Be­triebs­rat oder Ge­samt­be­triebs­rat noch un­mit­tel­bar vor Schluss der Kon­sul­ta­ti­on nach § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG schrift­lich do­ku­men­tiert wer­den (BAG 20. Sep­tem­ber 2012 - 6 AZR 155/11 - Rn. 53, ZIP 2012, 2412).

(b) § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG ver­langt, dass der Ar­beit­ge­ber dem Be­triebs­rat „recht­zei­tig die zweck­dien­li­chen Auskünf­te er­teilt“. Im Un­ter­schied zur MERL for­dern § 17 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 KSchG außer­dem, dass der Be­triebs­rat ei­ne Stel­lung­nah­me ab­gibt und die­se der An­zei­ge bei­gefügt wird bzw. - bei Feh­len ei­ner sol­chen Stel­lung­nah­me - der Ar­beit­ge­ber glaub­haft macht, dass er den Be­triebs­rat min­des­tens zwei Wo­chen vor der An­zei­ge ord­nungs­gemäß un­ter­rich­tet hat, und den Stand der Be­ra­tun­gen dar­legt. Will der Ar­beit­ge­ber nicht das Ri­si­ko ein­ge­hen, dass die Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge bei Er­stat­tung zum ge­plan­ten Zeit­punkt man­gels Stel­lung­nah­me des Be­triebs­rats un­wirk­sam ist und er die Mas­sen­ent­las­sung des­halb erst später als be­ab­sich­tigt wirk­sam an­zei­gen kann, muss er nach dem na­tio­na­len Recht das Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren des­halb grundsätz­lich min­des­tens zwei Wo­chen vor dem Zeit­punkt ein­lei-

 

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ten, zu dem er die Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge zu er­stat­ten be­ab­sich­tigt (ErfK/Kiel 13. Aufl. § 17 KSchG Rn. 32; v. Ho­y­nin­gen-Hue­ne/Linck KSchG 14. Aufl. § 17 Rn. 60; KR/Wei­gand 10. Aufl. § 17 KSchG Rn. 57; APS/Moll 4. Aufl. § 17 KSchG Rn. 71, 117; Fit­ting 26. Aufl. § 102 Rn. 134a). Lei­tet nämlich der Ar­beit­ge­ber das Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren we­ni­ger als zwei Wo­chen vor der be­ab­sich­tig­ten An­zei­ge ein und gibt der Be­triebs­rat kei­ne ab­sch­ließen­de Stel­lung­nah­me ab oder genügt die­se den ge­setz­li­chen An­for­de­run­gen nicht (vgl. da­zu BAG 28. Ju­ni 2012 - 6 AZR 780/10 - Rn. 53, ZIP 2012, 1822), ist dem Ar­beit­ge­ber die Er­stat­tung ei­ner wirk­sa­men Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge unmöglich, weil die Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne Er­set­zung der Stel­lung­nah­me nach § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG je­den­falls noch nicht vor­lie­gen. Nur dann, wenn der Be­triebs­rat bei ei­ner sol­chen kurz­fris­ti­gen Kon­sul­ta­ti­on ei­ne aus­rei­chen­de und ab­sch­ließen­de Stel­lung­nah­me ab­ge­ge­ben hat, kann der Ar­beit­ge­ber zum ge­plan­ten Zeit­punkt ei­ne wirk­sa­me Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge er­stat­ten. In die­sem Fall muss die Stel­lung­nah­me des Be­triebs­rats er­ken­nen las­sen, dass er sich für aus­rei­chend un­ter­rich­tet hält, kei­ne (wei­te­ren) Vor­schläge un­ter­brei­ten kann oder will und die Zwei­wo­chen­frist des § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG nicht ausschöpfen will (vgl. BAG 20. Sep­tem­ber 2012 - 6 AZR 155/11 - Rn. 60, ZIP 2012, 2412).

(c) Die Be­klag­te hat das Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren mit dem ört­li­chen Be­triebs­rat erst mit Schrei­ben vom 17. De­zem­ber 2009 ein­ge­lei­tet und be­reits am sel­ben Tag Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge er­stat­tet. Zu die­sem Zeit­punkt hat­te der Be­triebs­rat noch kei­ne Stel­lung­nah­me ab­ge­ge­ben. Die Un­ter­rich­tung wäre des­halb nicht recht­zei­tig er­folgt.

c) § 6 KSchG steht der Prüfung der Ein­hal­tung der Pflich­ten der Be­klag­ten aus § 17 KSchG nicht ent­ge­gen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat fest­ge­stellt, das Ar­beits­ge­richt ha­be sei­ne Hin­weis­pflicht nach § 6 Satz 2 KSchG ver­letzt. Es muss­te des­halb selbst prüfen, ob die Be­klag­te ih­ren Pflich­ten aus § 17 KSchG genügt hat­te (vgl. BAG 4. Mai 2011 - 7 AZR 252/10 - Rn. 27 ff., EzA KSchG § 6 Nr. 3 für die auf § 6 KSchG ver­wei­sen­de Be­stim­mung des § 17 Satz 2 Tz­B­fG).

 

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d) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt war nicht ver­pflich­tet, die Be­klag­te zur Wah­rung ih­res An­spruchs auf recht­li­ches Gehör dar­auf hin­zu­wei­sen, dass ihr ei­ge­ner Tat­sa­chen­vor­trag Ver­let­zun­gen der Kon­sul­ta­ti­ons­pflicht er­ken­nen ließ. Die Be­klag­te hat­te die § 17 KSchG be­tref­fen­den Rügen der Kläge­rin da­hin ver­stan­den, dass da­mit ei­ne Ver­let­zung der Kon­sul­ta­ti­ons­pflicht gerügt wer­den soll­te. Sie hat nämlich in der Be­ru­fungs­er­wi­de­rung in­halt­lich zur Wah­rung des Ver­fah­rens nach § 17 Abs. 2 KSchG vor­ge­tra­gen.

III. Die Be­klag­te ist außer­dem ih­rer Ver­pflich­tung gemäß § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG, der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge ei­ne Stel­lung­nah­me des Be­triebs­rats bei­zufügen, nicht nach­ge­kom­men. Auch dies er­gibt sich aus den un­strei­ti­gen, von der Be­klag­ten selbst vor­ge­tra­ge­nen Tat­sa­chen und ist da­her auch oh­ne aus­drück­li­che Rüge der Kläge­rin von Amts we­gen zu berück­sich­ti­gen.

Die Vor­aus­set­zun­gen des § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG la­gen nicht vor. Die Stel­lung­nah­me ist auch nicht nach § 125 Abs. 2 In­sO er­setzt wor­den, weil kein In­ter­es­sen­aus­gleich mit Na­mens­lis­te zu­stan­de ge­kom­men ist. Ent­ge­gen der von der Be­klag­ten im Re­vi­si­ons­ver­fah­ren ver­tre­te­nen An­sicht er­setzt ein Ei­ni­gungs­stel­len­ver­fah­ren, an dem der zuständi­ge Ge­samt­be­triebs­rat be­tei­ligt wor­den ist und das zu ei­nem Spruch der Ei­ni­gungs­stel­le über ei­nen So­zi­al­plan geführt hat, die nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG er­for­der­li­che Stel­lung­nah­me nicht. Die ge­setz­li­che Fik­ti­on des § 125 Abs. 2 In­sO gilt nur für den In­ter­es­sen­aus­gleich mit Na­mens­lis­te, nicht für den So­zi­al­plan durch Spruch der Ei­ni­gungs­stel­le.

IV. So­wohl die Miss­ach­tung der Pflicht, ein Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren durch­zuführen, als auch der Ver­s­toß ge­gen die Pflich­ten aus § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG führen zur Un­wirk­sam­keit der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge.

1. Die Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge ist be­reits des­halb un­wirk­sam, weil die Be­klag­te kein Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren mit dem dafür zuständi­gen Gre­mi­um durch­geführt hat.

 

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a) Je­den­falls dann, wenn wie im vor­lie­gen­den Fall das Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren über­haupt nicht durch­geführt wor­den ist, führt die Ver­let­zung der dem Ar­beit­ge­ber nach § 17 Abs. 2 KSchG ob­lie­gen­den Pflich­ten zu ei­ner Un­wirk­sam­keit der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge (ErfK/Kiel 13. Aufl. § 17 KSchG Rn. 24; v. Ho­y­nin­gen-Hue­ne/Linck KSchG 14. Aufl. § 17 Rn. 56; KR/Wei­gand 10. Aufl. § 17 KSchG Rn. 63; Ha­Ko/Pfeif­fer 4. Aufl. § 17 KSchG Rn. 54; Back­meis­ter in Back­meis­ter/Trit­tin/May­er KSchG 4. Aufl. § 17 Rn. 23; Schramm/Kuhn­ke NZA 2011, 1071, 1074; Rein­hard RdA 2007, 207, 213; Hin­richs Kündi­gungs­schutz und Ar­beit­neh­mer­be­tei­li­gung bei Mas­sen­ent­las­sun­gen S. 174; wohl auch Ba­der/Bram/Dörner/Suckow § 17 Rn. 82; un­klar Ni­k­las/Ko­eh­ler NZA 2010, 913, 918, die an­neh­men, je­den­falls sei ei­ne Miss­ach­tung nicht oh­ne Be­deu­tung; dif­fe­ren­zie­rend APS/Moll 4. Aufl. § 17 KSchG Rn. 76 ff.).

aa) Nach der Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs der Eu­ropäischen Uni­on be­steht das Haupt­ziel der MERL dar­in, Mas­sen­ent­las­sun­gen Kon­sul­ta­tio­nen mit Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tern und die Un­ter­rich­tung der zuständi­gen Behörde vor­an­ge­hen zu las­sen. Aus­ge­hend von die­sen Zie­len hat der Ge­richts­hof den Ar­beit­neh­mern ein kol­lek­tiv aus­ge­stal­te­tes Recht auf In­for­ma­ti­on und Kon­sul­ta­ti­on im Vor­feld ei­ner Mas­sen­ent­las­sung zu­ge­bil­ligt und zur Wah­rung die­ses Rechts ein zu­min­dest ein­ge­schränk­tes Kla­ge­recht der Ar­beit­neh­mer­ver­tre­ter ver­langt. Er hat da­mit der MERL und ins­be­son­de­re der in de­ren Art. 2 ge­re­gel­ten Kon­sul­ta­ti­ons­pflicht auch ei­ne in­di­vi­du­alschützen­de Kom­po­nen­te, die zu­guns­ten der Ar­beit­neh­mer als Ge­mein­schaft aus­ge­stal­tet ist, zu­er­kannt (vgl. BAG 28. Ju­ni 2012 - 6 AZR 780/10 - Rn. 82 mwN aus der Recht­spre­chung des EuGH, ZIP 2012, 1822). Art. 2 MERL ist das Kernstück die­ser Richt­li­nie (Wißmann RdA 1998, 221, 224).

bb) Die Vor­schrift des § 17 Abs. 2 KSchG, die Art. 2 MERL in das na­tio­na­le Recht um­setzt, enthält so­mit ein ei­genständi­ges, gleich­wer­tig ne­ben den in § 17 Abs. 3 KSchG ge­re­gel­ten Ver­pflich­tun­gen ge­genüber der Agen­tur für Ar­beit ste­hen­des For­mer­for­der­nis (Rein­hard RdA 2007, 207, 213). Dies schließt die An­nah­me aus, die Wirk­sam­keits­vor­aus­set­zun­gen der An­zei­ge sei­en in § 17 Abs. 3 KSchG ab­sch­ließend auf­gezählt (an­ders noch die in­so­weit über­hol­te

 

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Recht­spre­chung des BAG vor der Ent­schei­dung des EuGH vom 27. Ja­nu­ar 2005 - C-188/03 - [Junk] Slg. 2005, I-885, vgl. nur BAG 24. Ok­to­ber 1996 - 2 AZR 895/95 - zu B II 2 b der Gründe, BA­GE 84, 267, so­wie APS/Moll 4. Aufl. § 17 KSchG Rn. 76 ff., der § 17 Abs. 3 KSchG im­mer noch als ge­genüber § 17 Abs. 2 KSchG un­abhängi­ge und selbstständi­ge Wirk­sam­keits­vor­aus­set­zung an­sieht und des­halb an­nimmt, dass bei Beifügung ei­ner Stel­lung­nah­me oder Glaub­haft­ma­chung nach § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG die An­zei­ge auch dann wirk­sam sei, wenn in Wirk­lich­keit kei­ne ord­nungs­gemäße Un­ter­rich­tung er­folgt sei). Kommt der Ar­beit­ge­ber sei­nen Ver­pflich­tun­gen, die Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tung gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG zu un­ter­rich­ten und sich mit ihr iSd. § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG zu be­ra­ten, über­haupt nicht nach, führt viel­mehr auch die­ser Feh­ler zur Un­wirk­sam­keit der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge.

b) Aus der von der Be­klag­ten an­ge­zo­ge­nen Pas­sa­ge aus dem Ur­teil des Se­nats vom 18. Ja­nu­ar 2012 (- 6 AZR 407/10 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 6 Nr. 6 = EzA KSchG § 6 Nr. 4) folgt nichts an­de­res. Die Ausführun­gen des Se­nats be­zie­hen sich aus­sch­ließlich auf die feh­len­de Un­ter­rich­tung über die Be­rufs­grup­pen der zu ent­las­sen­den Ar­beit­neh­mer. Der Se­nat hat in­so­weit of­fen­ge­las­sen, ob ei­ne sol­che Ver­let­zung der Kon­sul­ta­ti­ons­pflicht nach­tei­li­ge Rechts­fol­gen für den Ar­beit­ge­ber ha­ben könne. Ei­ne par­ti­ell in ei­nem Ne­ben-punkt un­vollständi­ge In­for­ma­ti­on nach § 17 Abs. 2 KSchG ist je­doch mit dem vor­lie­gen­den Fall, in dem es an ei­nem Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren gänz­lich fehlt, nicht zu ver­glei­chen.

2. Die Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge ist auch des­halb un­wirk­sam, weil ihr ent­ge­gen § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG kei­ne Stel­lung­nah­me des Be­triebs­rats bei­gefügt war und auch die Vor­aus­set­zun­gen des § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG nicht erfüllt wa­ren. Die Beifügung der Stel­lung­nah­me bzw. die Glaub­haft­ma­chung der Vor­aus­set­zun­gen des § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG sind Wirk­sam­keits­vor­aus­set­zun­gen für die An­zei­ge (vgl. BAG 28. Ju­ni 2012 - 6 AZR 780/10 - Rn. 52, ZIP 2012, 1822). So­weit die Be­klag­te im Re­vi­si­ons­ver­fah­ren be­haup­tet, die Agen­tur für Ar­beit sei durch den Ver­s­toß ge­gen § 17 Abs. 3 KSchG nicht in ih­rer Prüfung be­ein­flusst wor­den, ob und wel­che ar­beits­markt­po­li­ti­schen Maß-

 

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nah­men sie ein­lei­ten könne und wol­le, legt sie nicht dar, wor­auf sie die­se Be­haup­tung stützt. Die Stel­lung­nah­me soll ge­genüber der Agen­tur für Ar­beit ua. be­le­gen, ob und wel­che Möglich­kei­ten nach Auf­fas­sung der zuständi­gen Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tung be­ste­hen, die an­ge­zeig­ten Kündi­gun­gen zu ver­mei­den oder de­ren Fol­gen zu mil­dern. Fer­ner soll ei­ne ungüns­ti­ge Stel­lung­nah­me des Be­triebs­rats der Agen­tur für Ar­beit nicht vor­ent­hal­ten wer­den (vgl. BAG 21. März 2012 - 6 AZR 596/10 - Rn. 22, EzA KSchG § 17 Nr. 25). Es bleibt da­mit Spe­ku­la­ti­on, ob und wel­che ar­beits­markt­po­li­ti­schen Maßnah­men die Agen­tur für Ar­beit bei ei­ner auf ein ord­nungs­gemäßes Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren fol­gen­den Stel­lung­nah­me des Ge­samt­be­triebs­rats ein­ge­lei­tet hätte. Je­den­falls darf ihr ei­ne sol­che Prüfung nicht durch das Un­ter­las­sen des Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­rens, das zu­gleich das Feh­len jeg­li­cher Stel­lung­nah­me zur Fol­ge hat, ab­ge­schnit­ten wer­den.

V. Die Feh­ler, die der Be­klag­ten bei der Er­stat­tung der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge un­ter­lau­fen sind, sind nicht da­durch ge­heilt wor­den, dass die Ar­beits­ver­wal­tung die­se Feh­ler nicht be­merkt, je­den­falls in den Schrei­ben vom 18. De­zem­ber 2009 nicht be­an­stan­det hat.

1. Un­abhängig da­von, dass die­se Schrei­ben man­gels ei­nes Re­ge­lungs­cha­rak­ters schon kei­ne Ver­wal­tungs­ak­te wa­ren (zu den Vor­aus­set­zun­gen ei­nes Ver­wal­tungs­akts BAG 28. Ju­ni 2012 - 6 AZR 780/10 - Rn. 65 ff., ZIP 2012, 1822), hin­der­te selbst ein be­stands­kräfti­ger Be­scheid der Ar­beits­ver­wal­tung nach § 18 Abs. 1, § 20 KSchG die Ar­beits­ge­richts­bar­keit nicht dar­an, die Un­wirk­sam­keit der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge fest­zu­stel­len.

a) Ob die Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge ord­nungs­gemäß er­stat­tet ist, ist le­dig­lich Vor­fra­ge für ei­nen Be­scheid der Ar­beits­ver­wal­tung nach § 18 Abs. 1, § 20 KSchG, gehört nicht zum Re­ge­lungs­in­halt ei­nes sol­chen Ver­wal­tungs­akts und wird des­halb von des­sen Be­stands­kraft nicht er­fasst (ausführ­lich BAG 20. Sep­tem­ber 2012 - 6 AZR 155/11 - Rn. 25 ff., ZIP 2012, 2412; 28. Ju­ni 2012 - 6 AZR 780/10 - Rn. 70 ff., ZIP 2012, 1822). Die Be­tei­li­gungs­pflich­ten des Aus­schus­ses nach § 20 Abs. 3 KSchG und sei­ne Ver­pflich­tung gemäß § 20 Abs. 4 KSchG, das In­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers, der zu ent­las­sen­den Ar­beit-

 

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neh­mer, das öffent­li­che In­ter­es­se und die La­ge des ge­sam­ten Ar­beits­mark­tes zu berück­sich­ti­gen, ändern dar­an nichts (aA wohl Fer­me DB 2012, 2162, 2165). Die­se Pflich­ten er­stre­cken sich nur auf die vom Aus­schuss zu ent­schei­den­den Fra­gen, al­so die Länge der Sperr­frist so­wie den Zeit­punkt ih­res Ab­laufs und die Ge­neh­mi­gung, Ent­las­sun­gen vor ih­rem Ab­lauf vor­zu­neh­men, nicht aber auf die in­halt­li­che Wirk­sam­keit der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge selbst.

b) Darüber hin­aus steht auch Art. 6 MERL der An­nah­me ei­ner Hei­lungs­wir­kung von Ver­wal­tungs­ak­ten der Ar­beits­ver­wal­tung ent­ge­gen. Ei­ne sol­che Aus­le­gung der §§ 17 ff. KSchG führ­te zur Un­ter­schrei­tung des von Art. 6 MERL ge­for­der­ten Schutz­ni­veaus und nähme den An­for­de­run­gen des § 17 KSchG ih­re prak­ti­sche Wirk­sam­keit (ausführ­lich BAG 20. Sep­tem­ber 2012 - 6 AZR 155/11 - Rn. 29, ZIP 2012, 2412; 28. Ju­ni 2012 - 6 AZR 780/10 - Rn. 76 ff., ZIP 2012, 1822). So­weit dem ent­ge­gen­ge­hal­ten wird, die MERL ent­fal­te kei­ne un­mit­tel­ba­re Dritt­wir­kung (Fer­me DB 2012, 2162, 2165 f.), miss­ver­steht die­se Ar­gu­men­ta­ti­on Art. 6 MERL. Nach die­ser Be­stim­mung sor­gen die Mit­glied­staa­ten dafür, dass den Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tern und/oder den Ar­beit­neh­mern ad­mi­nis­tra­ti­ve und/oder ge­richt­li­che Ver­fah­ren zur Durch­set­zung der Ver­pflich­tun­gen gemäß die­ser Richt­li­nie zur Verfügung ste­hen. Die Mit­glied­staa­ten sind da­nach ver­pflich­tet, Ver­fah­ren ein­zu­rich­ten, mit de­nen die Ein­hal­tung der von der MERL vor­ge­se­he­nen Ver­pflich­tun­gen gewähr­leis­tet wer­den kann. Die nähe­re Aus­ge­stal­tung die­ser teil­har­mo­ni­sier­ten Ver­fah­ren ist Sa­che der Mit­glied­staa­ten. Die Ver­fah­rens­aus­ge­stal­tung darf den Be­stim­mun­gen der Richt­li­nie je­doch nicht ih­re prak­ti­sche Wirk­sam­keit iSd. Ef­fek­ti­vitäts- und Äqui­va­lenz­prin­zips neh­men (BAG 20. Sep­tem­ber 2012 - 6 AZR 155/11 - Rn. 50, ZIP 2012, 2412 un­ter Be­zug auf EuGH 16. Ju­li 2009 - C-12/08 - [Mo­no Car Sty­ling] Rn. 33 ff., 38 ff. und 59 ff., Slg. 2009, I-6653). Die na­tio­na­len Ge­rich­te sind Teil des Mit­glied­staats und da­her ge­hal­ten, bei ih­rer Aus­le­gung na­tio­na­len Rechts, das wie § 17 KSchG Richt­li­ni­en der Eu­ropäischen Uni­on um­setzt, das Ge­bot der Ef­fek­ti­vität zu be­ach­ten (vgl. nur EuGH 4. Ju­li 2006 - C-212/04 - [Aden­eler] Rn. 122, Slg. 2006, I-6057). Mit der Fra­ge der mit­tel­ba­ren oder un­mit­tel­ba­ren Wir­kung von Richt­li­ni­en hat das nichts zu tun.

 

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2. Ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Be­klag­ten und von Tei­len des Schrift­tums (Fer­me DB 2012, 2162, 2165 f.) ist der Be­klag­ten kein Ver­trau­ens­schutz vor den Fol­gen der Recht­spre­chungsände­rung zur Hei­lungs­wir­kung von Be­schei­den der Ar­beits­ver­wal­tung durch die Ent­schei­dung des Se­nats vom 28. Ju­ni 2012 (- 6 AZR 780/10 - ZIP 2012, 1822) zu gewähren. Es kann da­her da­hin­ste­hen, ob die Gewährung von Ver­trau­ens­schutz durch die na­tio­na­len höchs­ten Ge­rich­te im Hin­blick auf die ge­bo­te­ne uni­ons­rechts­kon­for­me Aus­le­gung des § 17 KSchG, die ne­ben ver­wal­tungs­ver­fah­rens­recht­li­chen Ge­sichts­punk­ten des na­tio­na­len Rechts der An­nah­me ei­ner Hei­lungs­wir­kung von Be­schei­den der Ar­beits­ver­wal­tung ent­ge­gen­steht, über­haupt möglich wäre (vgl. da­zu Koch SR 2012, 159, 166 ff.; Wißmann FS Bau­er S. 1161, 1168).

a) Die Be­klag­te hat die ge­setz­li­chen Vor­ga­ben in § 17 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 bzw. Satz 3 KSchG ein­deu­tig miss­ach­tet. Dar­auf, dass die Ar­beits­ver­wal­tung selbst ei­ne der­art ein­deu­tig ge­setz­wid­ri­ge Hand­ha­bung der Vor­schrif­ten zur Mas­sen­ent­las­sung hin­neh­men und un­ge­ach­tet ih­rer Ver­pflich­tung, im We­ge der Amts­er­mitt­lung die Vollständig­keit der An­zei­ge zu er­mit­teln und bei Zwei­feln an der Erfüllung der for­mel­len Vor­aus­set­zun­gen beim Ar­beit­ge­ber rück­zu­fra­gen (BAG 21. März 2012 - 6 AZR 596/10 - Rn. 27, EzA KSchG § 17 Nr. 25), ins­be­son­de­re das Feh­len der Stel­lung­nah­me des Be­triebs­rats nicht be­an­stan­den würde, konn­te die Be­klag­te kein schutzwürdi­ges Ver­trau­en stützen.

b) Un­abhängig da­von kommt die Gewährung von Ver­trau­ens­schutz hin­sicht­lich der Aus­le­gung na­tio­na­len Rechts durch die na­tio­na­le höchst­rich­ter­li­che Recht­spre­chung un­ter dem Ge­sichts­punkt des Art. 20 Abs. 3 GG nicht in Be­tracht (zu den dies­bezügli­chen An­for­de­run­gen vgl. BVerfG 15. Ja­nu­ar 2009 - 2 BvR 2044/07 - Rn. 85, BVerfGE 122, 248; BAG 22. März 2007 - 6 AZR 499/05 - Rn. 15 ff., EzA KSchG § 17 Nr. 19). Der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts zu § 17 KSchG im All­ge­mei­nen und zur Hei­lungs­wir­kung von Ver­wal­tungs­ak­ten der Ar­beits­ver­wal­tung im Be­son­de­ren, die auf der An­nah­me ei­nes rein ar­beits­markt­po­li­ti­schen Zwecks des Ver­fah­rens der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge be­ruh­te, ist durch die Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs der

 

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Eu­ropäischen Uni­on seit sei­ner Ent­schei­dung vom 27. Ja­nu­ar 2005 (- C-188/03 - [Junk] Slg. 2005, I-885) die Grund­la­ge ent­zo­gen. Dies gilt auch für die letz­te Ent­schei­dung des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 28. Mai 2009 (- 8 AZR 273/08 - AP BGB § 613a Nr. 370 = EzA KSchG § 17 Nr. 20), wie der Se­nat be­reits ausführ­lich dar­ge­legt hat (BAG 28. Ju­ni 2012 - 6 AZR 780/10 - Rn. 82, ZIP 2012, 1822). Die Be­klag­te durf­te des­halb im De­zem­ber 2009, al­so in dem Zeit­punkt, in dem die Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge zu er­stat­ten war, nicht mehr auf die Fort­gel­tung der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung ver­trau­en. Auch wur­den ihr nicht nachträglich durch ei­ne Recht­spre­chungsände­rung Hand­lungs­pflich­ten auf­er­legt, die sie nun nicht mehr hätte erfüllen können. Viel­mehr war es ihr oh­ne Wei­te­res möglich, den ge­setz­li­chen An­for­de­run­gen des § 17 KSchG im Ein­klang mit der Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs der Eu­ropäischen Uni­on zu genügen. Auf die­se An­for­de­run­gen hätte sie sich des­halb ein­stel­len müssen. An­lass, ihr Ver­trau­ens­schutz in den Fort­be­stand der Recht­spre­chung zur Hei­lungs­wir­kung von Be­schei­den der Ar­beits­ver­wal­tung zu gewähren, be­stand da­her nicht.

VI. Die feh­len­de Durchführung des Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­rens nach § 17 Abs. 2 KSchG und das Feh­len ei­ner Stel­lung­nah­me des Be­triebs­rats iSv. § 17 Abs. 3 Satz 2 bzw. Satz 3 KSchG führ­ten nicht nur zur Un­wirk­sam­keit der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge. Die­se Feh­ler ha­ben auch die Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung zur Fol­ge (ausführ­lich BAG 22. No­vem­ber 2012 - 2 AZR 371/11 -).

H. Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 91 Abs. 1, § 344 ZPO. 

Fi­scher­mei­er 

Gall­ner 

Spel­ge

Schäfer­kord 

Rei­ner Koch

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