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LAG Düs­sel­dorf, Ur­teil vom 22.11.2011, 17 Sa 961/11

   
Schlagworte: Anhörung des Betriebsrats, Probezeit, Kündigung: Probezeit, Wartezeit
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Aktenzeichen: 17 Sa 961/11
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 22.11.2011
   
Leitsätze: Bei einer ordentlichen Kündigung in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses genießt zwar ein Arbeitgeber grundsätzlich Kündigungsfreiheit und ist im Prozess nicht - jedenfalls nicht primär - gehalten, seine Kündigung näher zu begründen, hierdurch wird aber eine kollektivrechtliche Pflicht zur Angabe der Kündigungsgründe gegenüber dem Betriebsrat nicht ausgeschlossen (BAG 06.11.2003 - 2 AZR 690/02 - AP TzBfG § 14 Nr. 7). Die bloße Angabe, dass kein Interesse an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses besteht, genügt nicht den Anforderungen des § 102 BetrVG. Das fehlende Interesse an der Weiterbeschäftigung kann verschiedene Ursachen haben. Es kann auf verhaltensbedingten, betriebsbedingten oder personenbedingten Gründen beruhen. Wenn der Betriebsrat in die Lage versetzt werden soll, ohne zusätzliche eigene Nachforschungen die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu prüfen und sich über eine Stellungnahme schlüssig zu werden, kann er seine Aufgabe nur wahrnehmen, wenn ihm der Lebenssachverhalt mitgeteilt wird, der der Kündigungsentscheidung zugrunde liegt.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Wuppertal, Urteil vom 12.5.2011, 6 Ca 166/11
Nachgehend Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12.09.2013, 6 AZR 121/12
   

Te­nor:

Auf die Be­ru­fung der Kläge­rin wird das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Wup­per­tal vom 12.05.2011 - 6 Ca 166/11 - teil­wei­se ab­geändert:

1. Es wird fest­ge­stellt, dass das zwi­schen der Kläge­rin und der Be­ru­fungs­be­klag­ten be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis durch die Kündi­gung der Be­ru­fungs­be­klag­ten vom 28.12.2010 nicht auf­gelöst wor­den ist.

2. Die Be­ru­fungs­be­klag­te wird ver­ur­teilt, die Kläge­rin über den 15.01.2011 hin­aus ent­spre­chend dem Ar­beits­ver­trag vom 23.06.2010 zu un­veränder­ten Be­din­gun­gen als Mit­ar­bei­te­rin für den Be­reich Lo­gis­tik und Haus­ser­vice ge­gen Zah­lung ei­ner Brut­to­mo­nats­vergütung von 1.850,00 €, be­zo­gen auf ei­ne 40 St­un­den­wo­che bis zur rechts­kräfti­gen Ent­schei­dung über den An­trag zu 1. wei­ter zu beschäfti­gen.

3. Die Kos­ten der ers­ten In­stanz tra­gen die Kläge­rin zu 52 % und die Be­ru­fungs­be­klag­te zu 48 %. Die Kos­ten der Be­ru­fung trägt die Be­ru­fungs­be­klag­te.

4. Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen.

TAT­BESTAND

Die Par­tei­en strei­ten noch in der Be­ru­fung über die Wirk­sam­keit ei­ner Kündi­gung in­ner­halb der Pro­be­zeit und die Wei­ter­beschäfti­gung der Kläge­rin für die Dau­er des Kündi­gungs­schutz­pro­zes­ses.

Die am 22.11.1969 ge­bo­re­ne Kläge­rin ist seit dem 01.07.2010 auf­grund Ar­beits­ver­trags vom 23.06.2010 bei der ehe­ma­li­gen Be­klag­ten zu 3) (im Fol­gen­den: Be­klag­te) als Mit­ar­bei­te­rin für den Be­reich Lo­gis­tik und Haus­ser­vice zu ei­ner Brut­to­mo­nats­vergütung von 1.850,00 € beschäftigt.
Zu­vor war die Kläge­rin bei der L. Ser­vice GmbH (ehe­ma­li­ge Be­klag­te zu 2) tätig, mit der sie mit Auf­he­bungs­ver­trag vom 25.06.2010 die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses zum 30.06.2010 ver­ein­bart hat­te. Die L. Ser­vice GmbH führ­te Dienst­leis­tun­gen für die Kli­nik­ver­bund St. B. und St. K. GmbH (ehe­ma­li­ge Be­klag­te zu 1) durch.

Mit Schrei­ben vom 14.12.2010 hörte die Be­klag­te den Be­triebs­rat zur be­ab­sich­tig­ten Kündi­gung der Kläge­rin an.

In dem Anhörungs­schrei­ben heißt es u.a.:

"Anhörung gem. § 102 Be­trVG:

...............................

Auf das Ar­beits­verhält­nis fin­det das Kündi­gungs­schutz­ge­setz noch kei­ne An­wen­dung, es wur­de zu­dem ei­ne sechs­mo­na­ti­ge Pro­be­zeit ver­ein­bart. Ei­ne Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses ist nicht in un­se­rem In­ter­es­se"

Mit Schrei­ben vom 22.12.2010 wi­der­sprach der Be­triebs­rat der Kündi­gung mit der Be­gründung, dass es für ihn nicht nach­voll­zieh­bar sei, ob es sich um ei­ne be­triebs­be­ding­te, per­so­nen­be­ding­te oder ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung han­delt und ob so­zia­le As­pek­te hin­rei­chend berück­sich­tigt wur­den.

Mit Schrei­ben vom 28.12.2010 kündig­te die Be­klag­te das Ar­beits­verhält­nis mit der Kläge­rin in­ner­halb der Pro­be­zeit zum 15.01.2011.

Mit der am 18.01.2011 beim Ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nen Kla­ge be­gehr­te die Kläge­rin die Fest­stel­lung des Be­ste­hens ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses mit dem Kli­nik­ver­bund St. B. und St. K. GmbH (ehe­ma­li­ge Be­klag­te zu 1), hilfs­wei­se die Fest­stel­lung des Be­ste­hens ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses mit der ehe­ma­li­gen Be­klag­ten zu 2) und mach­te die Fest­stell­lung der Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung vom 28.12.2010, die Wei­ter­beschäfti­gung und Rest­zah­lungs­ansprüche in Höhe von 494,71 € ge­genüber der Be­klag­ten gel­tend.

Die Kläge­rin hat, so­weit in der Be­ru­fung von Be­deu­tung, be­an­tragt,

1. Es wird fest­ge­stellt, dass das zwi­schen der Kläge­rin und der Be­klag­ten be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis durch die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 28.12.2010 nicht auf­gelöst wird.

2. Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, die Kläge­rin über den 15.01.2011 hin­aus ent­spre­chend dem Ar­beits­ver­trag vom 23.06.2010 zu un­veränder­ten Be­din­gun­gen als Mit­ar­bei­te­rin für den Be­reich Lo­gis­tik und Haus­ser­vice ge­gen Zah­lung ei­ner Brut­to­mo­nats­vergütung von 1.850,00 €, be­zo­gen auf ei­ne 40 St­un­den­wo­che bis zur rechts­kräfti­gen Ent­schei­dung über den An­trag zu 1. wei­ter zu beschäfti­gen.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Die Be­klag­te ist der Auf­fas­sung, dass die Kündi­gung kei­ner so­zia­len Recht­fer­ti­gung bedürfe. Die Kündi­gung sei nicht willkürlich. Die Kläge­rin ha­be nicht den Ein­druck ver­mit­telt, sich mit dem neu­en Ar­beit­ge­ber zu iden­ti­fi­zie­ren und es an Ein­satz­be­reit­schaft ver­mis­sen las­sen. Die Anhörung des Be­triebs­rats sei ord­nungs­gemäß. Der Ar­beit­ge­ber ha­be nur sei­ne sub­jek­ti­ve Wer­tung mit­zu­tei­len. Un­mit­tel­ba­res Mo­tiv für die Kündi­gungs­ent­schei­dung sei das feh­len­de In­ter­es­se ge­we­sen, das Ar­beits­verhält­nis über die War­te­zeit hin­aus fort­zu­set­zen.

Mit Tei­la­n­er­kennt­nis­ur­teil und Schlus­s­ur­teil je­weils vom 12.05.2011 wur­de die Be­klag­te zur Zah­lung der gel­tend ge­mach­ten Beträge ver­ur­teilt und im Übri­gen die Kla­ge ge­gen al­le ehe­ma­li­gen Be­klag­ten durch Schlus­s­ur­teil ab­ge­wie­sen.

Das Ar­beits­ge­richt hat in Be­zug auf den Kündi­gungs­schutz­an­trag im We­sent­li­chen aus­geführt, dass die Kündi­gung der Be­klag­ten nicht we­gen feh­ler­haf­ter Anhörung des Be­triebs­rats un­wirk­sam sei. Dem Be­triebs­rat sei­en nur die aus Sicht des Ar­beit­ge­bers sub­jek­tiv tra­gen­den Gründe mit­zu­tei­len. Die pau­scha­le Um­schrei­bung des Kündi­gungs­grun­des durch ein Wert­ur­teil genüge den An­for­de­run­gen, wenn der Ar­beit­ge­ber sei­ne Mo­ti­va­ti­on nicht durch Tat­sa­chen be­le­gen könne. Dies sei hier ge­ge­ben. Mit dem Hin­weis auf das feh­len­de In­ter­es­se an der Wei­ter­beschäfti­gung ha­be der Ar­beit­ge­ber deut­lich ge­macht, dass er je­des Ri­si­ko ver­mei­den wol­le, die Kläge­rin über die War­te­zeit hin­aus zu beschäfti­gen. Im Rah­men der Pro­be­zeitkündi­gung be­ste­he ei­ne Kon­kre­ti­sie­rungs­pflicht auch dann nicht, wenn der Ar­beit­ge­ber für die Würdi­gung ein Tat­sa­chen­ma­te­ri­al her­an­ge­zo­gen und die­ses gewürdigt ha­be. Die Kündi­gung ver­s­toße auch nicht ge­gen § 138 BGB. Es sei­en kei­ne Gründe er­sicht­lich, die ei­ne Sit­ten­wid­rig­keit be­gründen konn­ten. Auf­grund der Auflösung des Ar­beits­verhält­nis­ses durch die Kündi­gung be­ste­he auch kein Wei­ter­beschäfti­gungs­an­spruch.

Ge­gen das der Kläge­rin am 15.07.2011 zu­ge­stell­te Schlus­s­ur­teil des Ar­beits­ge­richts 21 hat die Kläge­rin, so­weit der Kündi­gungs­schutz­an­trag und Wei­ter­beschäfti­gungs­an­trag ge­gen die Be­klag­te ab­ge­wie­sen wur­de, mit dem am 19.07.2011 beim Lan­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nen Schrift­satz Be­ru­fung ein­ge­legt und die­se in dem Schrift­satz gleich­zei­tig be­gründet.

Die Kläge­rin ist der Auf­fas­sung, dass die Kündi­gung der Be­klag­ten we­gen nicht ord­nungs­gemäßer Be­tei­li­gung des Be­triebs­rats un­wirk­sam sei. Sinn und Zweck der Anhörung sei, dem Be­triebs­rat Ge­le­gen­heit zu ge­ben, sei­ne Über­le­gun­gen zur Kündi­gungs­ab­sicht der Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tung zur Kennt­nis zu brin­gen. Dar­aus fol­ge, dass der Ar­beit­ge­ber die Ver­pflich­tung ha­be, die Gründe für sei­ne Kündi­gungs­ab­sicht der­art mit­zu­tei­len, dass er dem Be­triebs­rat ei­ne nähe­re Um­schrei­bung des für die Kündi­gung maßgeb­li­chen Sach­ver­halts zu ge­ben ha­be. Der Be­triebs­rat müsse in der La­ge sein, sich oh­ne ei­ge­ne Nach­for­schun­gen ein Bild von den Kündi­gungs­gründen zu ma­chen. Die­se Grundsätze würden auch gel­ten, wenn der Ar­beit­neh­mer noch kei­nen Kündi­gungs­schutz ge­nieße. Die In­for­ma­ti­on an den Be­triebs­rat, dass die Be­klag­te an der Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses kein In­ter­es­se mehr ha­be, sei nicht aus­rei­chend. Der Be­triebs­rat könne sich kein Bild ma­chen, aus wel­chen Gründen sich die Be­klag­te zur Kündi­gung ent­schlos­sen ha­be.

Die Kläge­rin be­an­tragt,

1. un­ter Abände­rung des am 12.05.2011 verkünde­ten und am 15.07.2011 zu­ge­stell­ten Ur­teils des Ar­beits­ge­richts Wup­per­tal zum Az. 6 Ca 165/11 wird

a) fest­ge­stellt, dass das zwi­schen der Kläge­rin und der Be­klag­ten be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis durch die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 28.12.2010 nicht auf­gelöst wird,

b) die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, die Kläge­rin über den 15.01.2011 hin­aus ent­spre­chend dem Ar­beits­ver­trag vom 23.06.2010 zu un­veränder­ten Be­din­gun­gen als Mit­ar­bei­te­rin für den Be­reich Lo­gis­tik und Haus­ser­vice ge­gen Zah­lung ei­ner Brut­to­mo­nats­vergütung von 1.850,00 €, be­zo­gen auf ei­ne 40 St­un­den­wo­che bis zur rechts­kräfti­gen Ent­schei­dung über den An­trag zu 1. wei­ter zu beschäfti­gen.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Die Be­klag­te ist der Auf­fas­sung dass die Be­triebs­rats­anhörung nicht feh­ler­haft sei. Die Anhörungs­pflicht des Ar­beit­ge­bers sei sub­jek­tiv de­ter­mi­niert. Zu ei­ner An­ga­be von Da­ten und Sach­ver­hal­ten sei der Ar­beit­ge­ber im Rah­men der War­te­zeitkündi­gung nicht ver­pflich­tet. Wenn das Ge­setz in­ner­halb der Pro­be­zeit ein frei­es Kündi­gungs­recht zu­las­se, brau­che der Ar­beit­ge­ber den Be­triebs­rat auch nicht über die Hin­ter­gründe sei­ner frei­en Un­ter­neh­mer­ent­schei­dung bzw. sei­ner Kündi­gungs­ent­schei­dung in­for­mie­ren. Es genüge den An­for­de­run­gen, wenn er al­lei­ne das Er­geb­nis sei­ner Be­wer­tung an­ge­be, dass kein In­ter­es­se an der Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses be­ste­he.

We­gen des wei­te­ren Sach- und Streit­stan­des wird auf den Ak­ten­in­halt so­wie auf die von den Par­tei­en ein­ge­reich­ten Schriftsätze nebst An­la­gen so­wie die ge­richt­li­chen Pro­to­kol­le und den Tat­be­stand des erst­in­stanz­li­chen Ur­teils ergänzend Be­zug ge­nom­men.

ENT­SCHEI­DUN­GSGRÜNDE

A. Die Be­ru­fung ist zulässig. Sie ist an sich statt­haft (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach dem 32 Wert des Be­schwer­de­ge­gen­stan­des zulässig (§ 64 Abs. 2 Zif­fer b ArbGG) so­wie form- und frist­ge­recht ein­ge­legt und be­gründet wor­den (§§ 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

B. Die Be­ru­fung der Kläge­rin hat­te auch in der Sa­che Er­folg.

I. Die am 18.01.2011 frist­ge­recht gemäß § 4 KSchG er­ho­be­ne Kündi­gungs­schutz­kla­ge ist zulässig und be­gründet. Die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 28.12.2011 ist we­gen nicht ord­nungs­gemäßer Anhörung des Be­triebs­rats un­wirk­sam gemäß § 102 Abs. 1 S. 3 Be­trVG.

1. Die Be­klag­te hat zwar den Be­triebs­rat mit Schrei­ben vom 14.12.2011 zur Kündi­gung an­gehört und erst nach der Stel­lung­nah­me des Be­triebs­rats mit Schrei­ben vom 22.12.2010 die Kündi­gung aus­ge­spro­chen. Die in dem Schrei­ben ge­nann­ten Gründe für die Kündi­gung, dass "auf das Ar­beits­verhält­nis das Kündi­gungs­schutz­ge­setz noch kei­ne An­wen­dung fin­det, es zu­dem ei­ne sechs­mo­na­ti­ge Pro­be­zeit ver­ein­bart wur­de und ei­ne Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht im In­ter­es­se der Be­klag­ten ist", genügen aber nicht den An­for­de­run­gen des § 102 Abs. 1 S. 2 Be­trVG.

a) Nach der ständi­gen Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (vgl. u.a. BAG 18.12.1980 - 2 AZR 1006/78 - AP Be­trVG 1972 § 102 Nr. 22 und 29 31.05.1990 - 2 AZR 78/89 - RzK III 1a Nr. 45 m.w.N.) ist ei­ne Kündi­gung gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 Be­trVG nicht nur dann un­wirk­sam, wenn der Ar­beit­ge­ber gekündigt hat, oh­ne dass er über­haupt mit dem Be­triebs­rat in Ver­bin­dung ge­tre­ten ist, son­dern auch dann, wenn er sei­ne Mit­tei­lungs­pflicht nicht rich­tig erfüllt hat. Nach § 102 Abs. 1 Satz 2 Be­trVG hat der Ar­beit­ge­ber dem Be­triebs­rat die sei­ner An­sicht nach maßgeb­li­chen Kündi­gungs­gründe mit­zu­tei­len (BAG 23.10.2008 - 2 AZR 163/07 - AP KSchG 1969 § 1 Nr. 18 u Na­mens­lis­te; 15.11.1995 - 2 AZR 974/94 - AP Be­trVG 1972 § 102 Nr. 73). Die Ein­schal­tung des Be­triebs­ra­tes im Rah­men des Anhörungs­ver­fah­rens vor ei­ner Kündi­gung hat über die rei­ne Un­ter­rich­tung hin­aus den Sinn, ihm Ge­le­gen­heit zu ge­ben, sei­ne Über­le­gun­gen zu der Kündi­gungs­ab­sicht aus der Sicht der Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tung dem Ar­beit­ge­ber zur Kennt­nis zu brin­gen. Die Anhörung soll in ge­eig­ne­ten Fällen da­zu bei­tra­gen, dass es erst gar nicht zum Aus­spruch ei­ner Kündi­gung kommt (BAG 02.11.1983 - 7 AZR 65/82 - Be­trVG 1972 § 102 AP Nr. 29).

Aus dem Sinn und Zweck der Anhörung folgt für den Ar­beit­ge­ber die Ver­pflich­tung, die Gründe für sei­ne Kündi­gungs­ab­sicht der­art mit­zu­tei­len, dass er dem Be­triebs­rat ei­ne nähe­re Um­schrei­bung des für die Kündi­gung maßgeb­li­chen Sach­ver­halts gibt. Der Ar­beit­ge­ber hat ins­be­son­de­re die Tat­sa­chen an­zu­ge­ben, aus de­nen er sei­nen Kündi­gungs­ent­schluss her­lei­tet. Die­se Kenn­zeich­nung des Sach­ver­halts muss so ge­nau und so um­fas­send sein, dass der Be­triebs­rat oh­ne zusätz­li­che ei­ge­ne Nach­for­schun­gen in der La­ge ist, selbst die Stich­hal­tig­keit der Kündi­gungs­gründe zu prüfen und sich über sei­ne Stel­lung­nah­me schlüssig zu wer­den. Der Ar­beit­ge­ber genügt da­her der ihm ob­lie­gen­den Mit­tei­lungs­pflicht nicht, wenn er den Kündi­gungs­sach­ver­halt nur pau­schal, schlag­wort- oder stich­wort­ar­tig um­schreibt oder le­dig­lich ein Wert­ur­teil ab­gibt, oh­ne die für sei­ne Be­wer­tung maßgeb­li­chen Tat­sa­chen mit­zu­tei­len (BAG 11.05.1983 - 7 AZR 358/81 - ju­ris.de). Außer­dem führt ei­ne aus Sicht des Ar­beit­ge­bers be­wusst un­rich­ti­ge oder un­vollständi­ge und da­mit ir­reführen­de Dar­stel­lung zu ei­ner feh­ler­haf­ten Anhörung des Be­triebs­rats (BAG 06.10.2005 - 2 AZR 316/04 - AP Be­trVG 1972 § 102; 22.09.2004 - 2 AZR 31/94 - AP Be­trVG 1972 § 102 Nr. 68; 13.05.2004 - 2 AZR 329/03 - AP Be­trVG 1972 § 102 Nr. 140).

Al­ler­dings ist die Mit­tei­lungs­pflicht des Ar­beit­ge­bers sub­jek­tiv de­ter­mi­niert. An sie sind nicht die­sel­ben An­for­de­run­gen zu stel­len, wie an die Dar­le­gungs- und Be­weis­last des Ar­beit­ge­bers im Kündi­gungs­schutz­pro­zess. Es müssen dem Be­triebs­rat al­so nicht al­le ob­jek­tiv kündi­gungs­recht­lich er­heb­li­chen Tat­sa­chen, son­dern vom Ar­beit­ge­ber nur die von ihm für die Kündi­gung als aus­schlag­ge­bend an­ge­se­he­nen Umstände mit­ge­teilt wer­den (st. Rspr. d. BAG u.a. 06.07.2006 - 2 AZR 520/05 - AP KSchG 1969 § 1 Nr. 80; 24.06.2004 - 2 AZR 461/03 - AP BGB § 620 Kündi­gungs­erklärung Nr. 22; 06.11.2003 - 2 AZR 690/02 - BA­GE 108, 269, 280).

b) Die­se Grundätze gel­ten auch dann, wenn das Ar­beits­verhält­nis, wie im vor­lie­gen­den Fall, nicht dem Kündi­gungs­schutz­ge­setz un­ter­liegt (st. Rspr. d. BAG u.a. 22.04.2010 - 6 AZR 828/08 - EzA-SD 2010, Nr. 12, 3 - 6; 23.04.2009 - 6 AZR 516/08 - AP Be­trVG 1972 § 102 Nr. 161; BAG 06.11.2003 - 2 AZR 690/02 - AP Tz­B­fG § 14 Nr. 7; 03.12.1998 - 2 AZR 234/98 - AP Be­trVG 1972 § 102 Nr. 99). Wenn auch ein Ar­beit­ge­ber bei ei­ner or­dent­li­chen Kündi­gung in den ers­ten sechs Mo­na­ten des Ar­beits­verhält­nis­ses grundsätz­lich Kündi­gungs­frei­heit ge­nießt und im Pro­zess nicht - je­den­falls nicht primär - ge­hal­ten ist, sei­ne Kündi­gung näher zu be­gründen, wird hier­durch ei­ne kol­lek­tiv­recht­li­che Pflicht zur An­ga­be der Kündi­gungs­gründe ge­genüber dem Be­triebs­rat nicht aus­ge­schlos­sen. § 102 Be­trVG knüpft die Be­tei­li­gung des Be­triebs­rats nicht an das Be­ste­hen des all­ge­mei­nen Kündi­gungs­schut­zes nach dem Kündi­gungs­schutz­ge­setz. Der Be­triebs­rat soll auch in die­sen Fällen in die La­ge ver­setzt wer­den, auf den Ar­beit­ge­ber ein­zu­wir­ken, um ihn ggf. mit bes­se­ren Ar­gu­men­ten von sei­nem Kündi­gungs­ent­schluss ab­zu­brin­gen. Hierfür muss der Be­triebs­rat aber die Gründe ken­nen, die den Ar­beit­ge­ber zur Kündi­gung ver­an­las­sen (BAG 06.11.2003 a.a.O.).

Bei den An­for­de­run­gen ist je­doch dem Um­stand Rech­nung zu tra­gen, dass die War­te­zeit der bei­der­sei­ti­gen Über­prüfung der Ar­beits­ver­trags­par­tei­en dient. Der In­halt der Mit­tei­lungs­pflicht des Ar­beit­ge­bers rich­tet sich da­her nicht nach den ob­jek­ti­ven Merk­ma­len der Kündi­gungs­gründe des noch nicht an­wend­ba­ren § 1 KSchG, son­dern nach den Umständen, aus de­nen der Ar­beit­ge­ber sub­jek­tiv sei­nen Kündi­gungs­ent­schluss her­lei­tet. Es reicht des­halb bei ei­ner sol­chen Kündi­gung aus, wenn der Ar­beit­ge­ber, der kei­ne auf Tat­sa­chen gestütz­te und durch Tat­sa­chen kon­kre­ti­sier­ba­ren Kündi­gungs­gründe be­nen­nen kann, dem Be­triebs­rat nur sei­ne sub­jek­ti­ven Wer­tun­gen, die ihn zur Kündi­gung des Ar­beit­neh­mers ver­an­las­sen, mit­teilt (BAG 22.04.2010 - 6 AZR 828/08 - EzA-SD 2010 Nr. 12, 3 - 6; 23.04.2009 - 6 AZR 516/08 - AP Be­trVG 1972 § 102 Nr. 161). Kommt der Ar­beit­ge­ber die­sen An­for­de­run­gen an sei­ne Mit­tei­lungs­pflicht nicht oder nicht rich­tig nach und un­ter­lau­fen ihm in­so­weit bei der Durchführung der Anhörung Feh­ler, ist die Kündi­gung un­wirk­sam (BAG st. Rspr. seit 27.06.1985 - 2 AZR 412/84 - BA­GE 49, 136, 142).

c) Un­ter Berück­sich­ti­gung die­ser Grundsätze hat die Be­klag­te den Be­triebs­rat nicht ord­nungs­gemäß zur Kündi­gung an­gehört. Die An­ga­be, da kein In­ter­es­se an der Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses be­steht, gibt nur das Er­geb­nis ei­ner Be­wer­tung wie­der, nicht aber die Umstände, die zu der Be­wer­tung geführt ha­ben. Das feh­len­de In­ter­es­se an der Wei­ter­beschäfti­gung kann ver­schie­de­ne Ur­sa­chen ha­ben. Es kann auf ver­hal­tens­be­ding­ten, be­triebs­be­ding­ten oder per­so­nen­be­ding­ten Gründen be­ru­hen. Es ist aber auch der le­bens­frem­de Fall denk­bar, dass die Kündi­gung grund­los, oh­ne je­den äußeren An­lass, qua­si auf­grund ei­ner Spon­ta­n­ent­schei­dung er­folgt. Wenn der Be­triebs­rat in die La­ge ver­setzt wer­den soll, oh­ne zusätz­li­che ei­ge­ne Nach­for­schun­gen die Stich­hal­tig­keit der Kündi­gungs­gründe zu prüfen und sich über ei­ne Stel­lung­nah­me schlüssig zu wer­den (BAG 06.02.1997 - 2 AZR 265/96 - AP Be­trVG 1972 § 102 Nr. 85), kann er sei­ne Auf­ga­be nur wahr­neh­men, wenn ihm der Le­bens­sach­ver­halt mit­ge­teilt wird, der der Kündi­gungs­ent­schei­dung zu­grun­de liegt.

Dem kann die Be­klag­te nicht mit Er­folg ent­ge­gen­hal­ten, dass der Ar­beit­ge­ber auf­grund der frei­en Un­ter­neh­mer­ent­schei­dung zur Kündi­gung in den ers­ten sechs Mo­na­ten nicht ver­pflich­tet sei, Umstände, die even­tu­ell nur mit­tel­bar die Ent­schei­dung zur Kündi­gung be­ein­flusst hätten, mit­zu­tei­len. Wenn kein re­le­van­ter Sach­ver­halt zur Kündi­gung er­for­der­lich sei, könne auch die Vor­ent­hal­tung nicht re­le­van­ter Umstände nicht zur Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung führen.

Mit die­ser Ar­gu­men­ta­ti­on ver­kennt die Be­klag­te, dass von ihr nicht ver­langt wird, Umstände vor­zu­tra­gen, die für ih­re Ent­schei­dung nicht von Be­deu­tung wa­ren. Es kommt auch nicht dar­auf an, ob die Umstände, die den Ar­beit­ge­ber zur Kündi­gung be­wo­gen ha­ben, stich­hal­tig sind. Dies ist al­lein ei­ne Fra­ge der Wirk­sam­keit der Kündi­gung. Da in den ers­ten sechs Mo­na­ten des Ar­beits­verhält­nis­ses der Grund­satz der Kündi­gungs­frei­heit be­steht, kann sich nur in Aus­nah­mefällen (Sit­ten­wid­rig­keit gemäß § 138 BGB) ei­ne Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung er­ge­ben. Dies ändert aber nichts dar­an, dass dem Be­triebs­rat die Sach­ver­hal­te mit­zu­tei­len sind, die die Be­klag­te be­wo­gen ha­ben, die Kläge­rin nicht wei­ter zu beschäfti­gen.

d) Die­sen An­for­de­run­gen genügt das Anhörungs­schrei­ben nicht. Die Ent­schei­dung zur Kündi­gung er­folg­te nicht oh­ne ei­nen äußeren An­lass. Die Be­klag­te hat im Schrift­satz vom 15.02.2010 als Grund für die Ent­schei­dung die man­geln­de Ein­satz­be­reit­schaft, Auf­ga­ben­ein­tei­lung und Auf­ga­ben­er­le­di­gung, das Führungs­ver­hal­ten und die über­durch­schnitt­li­che An­zahl von Krank­heits­ta­gen an­ge­ge­ben. In der Be­ru­fung hat die Be­klag­te zwar aus­geführt, dass die an­geführ­ten Sach­ver­hal­te für sich ge­nom­men nicht den ei­gent­li­chen Kündi­gungs­grund dar­stel­len, son­dern viel­mehr Vorüber­le­gun­gen bei der Be­ur­tei­lung wa­ren, ob sich die Kläge­rin bewährt ha­be. Da­mit wa­ren sie aber für die Kündi­gungs­ent­schei­dung
mit von Be­deu­tung. Selbst wenn die meis­ten Gründe nicht durch Tat­sa­chen kon­kre­ti­siert wer­den können, son­dern die Einschätzung auf sub­jek­ti­ven Wer­tun­gen be­ruht und je­der Grund für sich al­lein nicht aus­schlag­ge­bend war, sind die ge­schil­der­ten Umstände der Le­bens­sach­ver­halt, der der Kündi­gungs­ent­schei­dung des Ar­beit­ge­bers zu­grun­de liegt und der dem Be­triebs­rat gemäß § 102 Abs.1 S. 2 Be­trVG mit­zu­tei­len ist. Dies ist aber nicht ge­sche­hen.

Nach al­le­dem ist die Kündi­gung un­wirk­sam.

II. Der Wei­ter­beschäfti­gungs­an­trag ist zulässig und be­gründet. Nach der Recht­spre­chung des Großen Se­nats des Bun­des­ar­beits­ge­richts, der sich die Kam­mer an­sch­ließt, be­steht ein sol­cher Wei­ter­beschäfti­gungs­an­spruch, wenn ein die Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung fest­stel­len­des In­st­anz­ur­teil er­geht und kei­ne be­son­de­ren Umstände vor­lie­gen, die ein über­wie­gen­des In­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers be­gründen, den Ar­beit­neh­mer nicht wei­ter zu beschäfti­gen. Die Un­ge­wiss­heit des Pro­zess­aus­gangs für sich al­lein kann ein über­wie­gen­des Ge­gen­in­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers nicht mehr be­gründen (BAG, Großer Se­nat, Be­schluss vom 27.02.1985, AZ. GS 1/84 - NZA 1985 S. 702 - EzA Nr. 9 zu § 611 BGB Beschäfti­gungs­pflicht). Die Be­klag­te hat nicht dar­ge­legt, dass ihr In­ter­es­se an ei­ner Nicht­beschäfti­gung der Kläge­rin de­ren Beschäfti­gungs­in­ter­es­se über­wiegt. In­so­fern war dem An­trag statt­zu­ge­ben.

Auf die Be­ru­fung der Kläge­rin war das erst­in­stanz­li­che Ur­teil folg­lich ab­zuändern.

III. Die Kos­ten­ent­schei­dung be­ruht auf § 64 Abs. 6 i.V.m § 92, Abs.1, 97 ZPO.

Die Kam­mer hat den ent­schei­dungs­er­heb­li­chen Rechts­fra­gen grundsätz­li­che Be­deu­tung bei­ge­mes­sen und da­her gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 ArbGG für die Be­klag­te die Re­vi­si­on an das Bun­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­sen.

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