HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

EuGH, Ur­teil vom 11.07.2006, C-13/05 - Chacón Na­vas

   
Schlagworte: Diskriminierungsverbote: Behinderung, Krankheit
   
Gericht: Europäischer Gerichtshof
Aktenzeichen: C-13/05
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 11.07.2006
   
Leitsätze:

1. Eine Person, der von ihrem Arbeitgeber ausschließlich wegen Krankheit gekündigt worden ist, wird nicht von dem durch die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen einer Behinderung geschaffenen allgemeinen Rahmen erfasst.

2. Das Verbot der Diskriminierung wegen einer Behinderung bei Entlassungen nach den Artikeln 2 Absatz 1 und 3 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie 2000/78 steht der Entlassung wegen einer Behinderung entgegen, die unter Berücksichtigung der Verpflichtung, angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderung zu treffen, nicht dadurch gerechtfertigt ist, dass die betreffende Person für die Erfüllung der wesentlichen Funktionen ihres Arbeitsplatzes nicht kompetent, fähig oder verfügbar ist.

3. Krankheit als solche kann nicht als ein weiterer Grund neben denen angesehen werden, derentwegen Personen zu diskriminieren nach der Richtlinie 2000/78 verboten ist.

Vorinstanzen:
   

UR­TEIL DES GERICH­TSHO­FES (Große Kam­mer)

11. Ju­li 2006*

Richt­li­nie 2000/78/EG - Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf - Be­griff der Be­hin­de­rung“

In der Rechts­sa­che C-13/05

be­tref­fend ein Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen nach Ar­ti­kel 234 EG, ein­ge­reicht vom Juz­ga­do de lo So­ci­al Nr. 33 Ma­drid (Spa­ni­en) mit Ent­schei­dung vom 7. Ja­nu­ar 2005, beim Ge­richts­hof ein­ge­gan­gen am 19. Ja­nu­ar 2005, in dem Ver­fah­ren

So­nia Chacön Na­vas

ge­gen

Eu­rest Colec­tivi­da­des SA

erlässt

DER GERICH­TSHOF (Große Kam­mer)

un­ter Mit­wir­kung des Präsi­den­ten V. Skou­ris, der Kam­mer­präsi­den­ten P. Jann, C. W. A. Tim­mer­m­ans, A. Ro­sas, K. Schie­mann und J. Ma­k­arc­zyk so­wie des Rich­ters J.-P. Puis­so­chet, der Rich­te­rin N. Col­ne­ric (Be­richt­er­stat­te­rin) und der Rich­ter K. Lena­erts, P. Küris, E. Juhäsz, E. Le­vits und A. Ö Cao­imh,

 

Ge­ne­ral­an­walt: L. A. Ge­el­ho­ed,

Kanz­ler: R. Grass,

auf­grund des schrift­li­chen Ver­fah­rens,

un­ter Berück­sich­ti­gung der Erklärun­gen

- der Eu­rest Colec­tivi­da­des SA, ver­tre­ten durch R. Sanz Gar­cia-Mu­ro, aboga­da,

- der spa­ni­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch E. Braque­hais Co­ne­sa als Be­vollmäch­tig­ten,

- der tsche­chi­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch T. Boeek als Be­vollmäch­tig­ten,

- der deut­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch M. Lum­ma und C. Schul­ze-Bahr als Be­vollmäch­tig­te,

- der nie­derländi­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch H. G. Se­vens­ter als Be­vollmäch­tig­te,

- der öster­rei­chi­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch C. Pe­sen­dor­fer als Be­vollmäch­tig­te,

- der Re­gie­rung des Ver­ei­nig­ten König­reichs, ver­tre­ten durch C. Whi­te als Be­vollmäch­tig­te im Bei­stand von T. Ward, Bar­ris­ter,

- der Kom­mis­si­on der Eu­ropäischen Ge­mein­schaf­ten, ver­tre­ten durch I. Mar­ti­nez del Pe­ral Ca­gi­gal und D. Mar­tin als Be­vollmäch­tig­te,

nach Anhörung der Schluss­anträge des Ge­ne­ral­an­walts in der Sit­zung vom 16. März 2006

fol­gen­des

 

Ur­teil

1

Das Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen be­trifft die Aus­le­gung der Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27. No­vem­ber 2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf (ABl. L 303, S. 16) in Be­zug auf die Dis­kri­mi­nie­rung we­gen ei­ner Be­hin­de­rung und, hilfs­wei­se, ein et­wai­ges Ver­bot der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen Krank­heit.

2 Das Er­su­chen er­geht in ei­nem Rechts­streit zwi­schen Frau Chacón Na­vas (im Fol­gen­den: Kläge­rin) und der Ge­sell­schaft Eu­rest Colec­tivi­da­des SA (im Fol­gen­den: Be­klag­te) we­gen Ent­las­sung während ei­ner krank­heits­be­ding­ten Ar­beits­un­ter­bre­chung.

Recht­li­cher Rah­men

Ge­mein­schafts­recht

3 Ar­ti­kel 136 Ab­satz 1 EG lau­tet:

„Die Ge­mein­schaft und die Mit­glied­staa­ten ver­fol­gen ein­ge­denk der so­zia­len Grund­rech­te, wie sie in der am 18. Ok­to­ber 1961 in Tu­rin un­ter­zeich­ne­ten Eu­ropäischen So­zi­al­char­ta und in der Ge­mein­schafts­char­ta der so­zia­len Grund­rech­te der Ar­beit­neh­mer von 1989 fest­ge­legt sind, fol­gen­de Zie­le: die Förde­rung der Beschäfti­gung, die Ver­bes­se­rung der Le­bens- und Ar­beits­be­din­gun­gen, um da­durch auf dem We­ge des Fort­schritts ih­re An­glei­chung zu ermögli­chen, ei­nen an­ge­mes­se­nen so­zia­len Schutz, den so­zia­len Dia­log, die Ent­wick­lung des Ar­beits­kräfte­po­ten­zi­als im Hin­blick auf ein dau­er­haft ho­hes Beschäfti­gungs­ni­veau und die Bekämp­fung von Aus­gren­zun­gen.“

4 Ar­ti­kel 137 Absätze 1 und 2 EG ver­leiht der Ge­mein­schaft Zuständig­kei­ten zur Un­terstützung und Ergänzung der Tätig­keit der Mit­glied­staa­ten zur Ver­wirk­li­chung der Zie­le des Ar­ti­kels 136 EG, u. a. auf den Ge­bie­ten der be­ruf­li­chen Ein­glie­de­rung der aus dem Ar­beits­markt aus­ge­grenz­ten Per­so­nen und der Bekämp­fung so­zia­ler Aus­gren­zung.
5 Die Richt­li­nie 2000/78 wur­de auf der Grund­la­ge von Ar­ti­kel 13 EG in sei­ner Fas­sung vor dem Ver­trag von Niz­za er­las­sen, der vor­sieht:

„Un­be­scha­det der sons­ti­gen Be­stim­mun­gen die­ses Ver­trags kann der Rat im Rah­men der durch den Ver­trag auf die Ge­mein­schaft über­tra­ge­nen Zuständig­kei­ten auf Vor­schlag der Kom­mis­si­on und nach Anhörung des Eu­ropäischen Par­la­ments ein­stim­mig ge­eig­ne­te Vor­keh­run­gen tref­fen, um Dis­kri­mi­nie­run­gen aus Gründen des Ge­schlechts, der Ras­se, der eth­ni­schen Her­kunft, der Re­li­gi­on oder der Welt­an­schau­ung, ei­ner Be­hin­de­rung, des Al­ters oder der se­xu­el­len Aus­rich­tung zu bekämp­fen.“

6 Ar­ti­kel 1 der Richt­li­nie 2000/78 be­stimmt:

„Zweck die­ser Richt­li­nie ist die Schaf­fung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens zur Bekämp­fung der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen der Re­li­gi­on oder der Welt­an­schau­ung, ei­ner Be­hin­de­rung, des Al­ters oder der se­xu­el­len Aus­rich­tung in Beschäfti­gung und Be­ruf im Hin­blick auf die Ver­wirk­li­chung des Grund­sat­zes der Gleich­be­hand­lung in den Mit­glied­staa­ten.“

7 In den Be­gründungs­erwägun­gen die­ser Richt­li­nie heißt es:

„(11) Dis­kri­mi­nie­run­gen we­gen der Re­li­gi­on oder der Welt­an­schau­ung, ei­ner Be­hin­de­rung, des Al­ters oder der se­xu­el­len Aus­rich­tung können die Ver­wirk­li­chung der im EG-Ver­trag fest­ge­leg­ten Zie­le un­ter­mi­nie­ren, ins­be­son­de­re die Er­rei­chung ei­nes ho­hen Beschäfti­gungs­ni­veaus und ei­nes ho­hen Maßes an so­zia­lem Schutz, die He­bung des Le­bens­stan­dards und der Le­bens­qua­lität, den wirt­schaft­li­chen und so­zia­len Zu­sam­men­halt, die So­li­da­rität so­wie die Freizügig­keit.

(12) Da­her soll­te je­de un­mit­tel­ba­re oder mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung we­gen der Re­li­gi­on oder der Welt­an­schau­ung, ei­ner Be­hin­de­rung, des Al­ters oder der se­xu­el­len Aus­rich­tung in den von der Richt­li­nie ab­ge­deck­ten Be­rei­chen ge­mein­schafts­weit un­ter­sagt wer­den. …

(16) Maßnah­men, die dar­auf ab­stel­len, den Bedürf­nis­sen von Men­schen mit Be­hin­de­rung am Ar­beits­platz Rech­nung zu tra­gen, spie­len ei­ne wich­ti­ge Rol­le bei der Bekämp­fung von Dis­kri­mi­nie­run­gen we­gen ei­ner Be­hin­de­rung.

(17) Mit die­ser Richt­li­nie wird un­be­scha­det der Ver­pflich­tung, für Men­schen mit Be­hin­de­rung an­ge­mes­se­ne Vor­keh­run­gen zu tref­fen, nicht die Ein­stel­lung, der be­ruf­li­che Auf­stieg, die Wei­ter­beschäfti­gung oder die Teil­nah­me an Aus- und Wei­ter­bil­dungs­maßnah­men ei­ner Per­son vor­ge­schrie­ben, wenn die­se Per­son für die Erfüllung der we­sent­li­chen Funk­tio­nen des Ar­beits­plat­zes oder zur Ab­sol­vie­rung ei­ner be­stimm­ten Aus­bil­dung nicht kom­pe­tent, fähig oder verfügbar ist.

(27) Der Rat hat in sei­ner Emp­feh­lung 86/379/EWG vom 24. Ju­li 1986 zur Beschäfti­gung von Be­hin­der­ten in der Ge­mein­schaft [ABl. L 225, S. 43] ei­nen Ori­en­tie­rungs­rah­men fest­ge­legt, der Bei­spie­le für po­si­ti­ve Ak­tio­nen für die Beschäfti­gung und Be­rufs­bil­dung von Men­schen mit Be­hin­de­rung anführt; in sei­ner Ent­schließung vom 17. Ju­ni 1999 be­tref­fend glei­che Beschäfti­gungs­chan­cen für be­hin­der­te Men­schen hat er be­kräftigt, dass es wich­tig ist, ins­be­son­de­re der Ein­stel­lung, der Auf­recht­er­hal­tung des Beschäfti­gungs­verhält­nis­ses so­wie der be­ruf­li­chen Bil­dung und dem le­bens­be­glei­ten­den Ler­nen von Men­schen mit Be­hin­de­rung be­son­de­re Auf­merk­sam­keit zu wid­men.“

8 Ar­ti­kel 2 Absätze 1 und 2 der Richt­li­nie 2000/78 sieht vor:

„(1) Im Sin­ne die­ser Richt­li­nie be­deu­tet ‚Gleich­be­hand­lungs­grund­satz‘, dass es kei­ne un­mit­tel­ba­re oder mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung we­gen ei­nes der in Ar­ti­kel 1 ge­nann­ten Gründe ge­ben darf.

(2) Im Sin­ne des Ab­sat­zes 1

a) liegt ei­ne un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung vor, wenn ei­ne Per­son we­gen ei­nes der in Ar­ti­kel 1 ge­nann­ten Gründe in ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on ei­ne we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung erfährt, als ei­ne an­de­re Per­son erfährt, er­fah­ren hat oder er­fah­ren würde;

b) liegt ei­ne mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung vor, wenn dem An­schein nach neu­tra­le Vor­schrif­ten, Kri­te­ri­en oder Ver­fah­ren Per­so­nen mit ei­ner be­stimm­ten Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung, ei­ner be­stimm­ten Be­hin­de­rung, ei­nes be­stimm­ten Al­ters oder mit ei­ner be­stimm­ten se­xu­el­len Aus­rich­tung ge­genüber an­de­ren Per­so­nen in be­son­de­rer Wei­se be­nach­tei­li­gen können, es sei denn:

i) die­se Vor­schrif­ten, Kri­te­ri­en oder Ver­fah­ren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sach­lich ge­recht­fer­tigt, und die Mit­tel sind zur Er­rei­chung die­ses Ziels an­ge­mes­sen und er­for­der­lich, oder

ii) der Ar­beit­ge­ber oder je­de Per­son oder Or­ga­ni­sa­ti­on, auf die die­se Richt­li­nie An­wen­dung fin­det, ist im Fal­le von Per­so­nen mit ei­ner be­stimm­ten Be­hin­de­rung auf­grund des ein­zel­staat­li­chen Rechts ver­pflich­tet, ge­eig­ne­te Maßnah­men ent­spre­chend den in Ar­ti­kel 5 ent­hal­te­nen Grundsätzen vor­zu­se­hen, um die sich durch die­se Vor­schrift, die­ses Kri­te­ri­um oder die­ses Ver­fah­ren er­ge­ben­den Nach­tei­le zu be­sei­ti­gen.“

9 Ar­ti­kel 3 die­ser Richt­li­nie lau­tet:

„(1) Im Rah­men der auf die Ge­mein­schaft über­tra­ge­nen Zuständig­kei­ten gilt die­se Richt­li­nie für al­le Per­so­nen in öffent­li­chen und pri­va­ten Be­rei­chen, ein­sch­ließlich öffent­li­cher Stel­len, in Be­zug auf

c) die Beschäfti­gungs- und Ar­beits­be­din­gun­gen, ein­sch­ließlich der Ent­las­sungs­be­din­gun­gen und des Ar­beits­ent­gelts;

…“

10 Ar­ti­kel 5 die­ser Richt­li­nie be­stimmt:

„Um die An­wen­dung des Gleich­be­hand­lungs­grund­sat­zes auf Men­schen mit Be­hin­de­rung zu gewähr­leis­ten, sind an­ge­mes­se­ne Vor­keh­run­gen zu tref­fen. Das be­deu­tet, dass der Ar­beit­ge­ber die ge­eig­ne­ten und im kon­kre­ten Fall er­for­der­li­chen Maßnah­men er­greift, um den Men­schen mit Be­hin­de­rung den Zu­gang zur Beschäfti­gung, die Ausübung ei­nes Be­ru­fes, den be­ruf­li­chen Auf­stieg und die Teil­nah­me an Aus- und Wei­ter­bil­dungs­maßnah­men zu ermögli­chen, es sei denn, die­se Maßnah­men würden den Ar­beit­ge­ber un­verhält­nismäßig be­las­ten. Die­se Be­las­tung ist nicht un­verhält­nismäßig, wenn sie durch gel­ten­de Maßnah­men im Rah­men der Be­hin­der­ten­po­li­tik des Mit­glied­staa­tes aus­rei­chend kom­pen­siert wird.“

11 Num­mer 26 der auf der Ta­gung des Eu­ropäischen Ra­tes vom 9. De­zem­ber 1989 in Straßburg an­ge­nom­me­nen Ge­mein­schafts­char­ta der so­zia­len Grund­rech­te der Ar­beit­neh­mer, auf die Ar­ti­kel 136 Ab­satz 1 EG ver­weist, lau­tet:

„Al­le Be­hin­der­ten müssen un­abhängig von der Ur­sa­che und Art ih­rer Be­hin­de­rung kon­kre­te ergänzen­de Maßnah­men, die ih­re be­ruf­li­che und so­zia­le Ein­glie­de­rung fördern, in An­spruch neh­men können.

Die­se Maßnah­men zur Ver­bes­se­rung der Le­bens­be­din­gun­gen müssen sich je nach den Fähig­kei­ten der Be­tref­fen­den auf be­ruf­li­che Bil­dung, Er­go­no­mie, Zugäng­lich­keit, Mo­bi­lität, Ver­kehrs­mit­tel und Woh­nung er­stre­cken.“

Na­tio­na­les Recht

12 Ar­ti­kel 14 der spa­ni­schen Ver­fas­sung lau­tet:

„Al­le Spa­nier sind vor dem Ge­setz gleich, und nie­mand darf we­gen sei­ner Ab­stam­mung, sei­ner Ras­se, sei­nes Ge­schlechts, sei­ner Re­li­gi­on, sei­ner An­schau­un­gen oder sons­ti­ger persönli­cher oder so­zia­ler Umstände oder Verhält­nis­se be­nach­tei­ligt oder be­vor­zugt wer­den.“

13 Das Re­al De­cre­to Le­gis­la­tivo Nr. 1/1995 vom 24. März 1995 zur Ge­neh­mi­gung der Neu­fas­sung des Ge­set­zes über das Es­ta­tu­to de los Tra­ba­ja­do­res (BOE Nr. 75 vom 29. März 1995, S. 9654, im Fol­gen­den: Ar­beit­neh­mer­sta­tut) un­ter­schei­det zwi­schen rechts­wid­ri­ger und nich­ti­ger Kündi­gung.
14 Ar­ti­kel 55 Absätze 5 und 6 des Ar­beit­neh­mer­sta­tuts be­stimmt:

„(5) Die Kündi­gung ist nich­tig, wenn ihr Mo­tiv ei­ner der in der Ver­fas­sung oder im Ge­setz ver­bo­te­nen Dis­kri­mi­nie­rungs­gründe ist oder wenn sie un­ter Ver­s­toß ge­gen die Grund­rech­te und Grund­frei­hei­ten des Ar­beit­neh­mers er­folgt.

(6) Ei­ne nich­ti­ge Kündi­gung be­wirkt die so­for­ti­ge Wie­der­her­stel­lung des Beschäfti­gungs­verhält­nis­ses mit dem Ar­beit­neh­mer und die Zah­lung des nicht er­hal­te­nen Ar­beits­ent­gelts.“

15 Nach Ar­ti­kel 56 Absätze 1 und 2 des Ar­beit­neh­mer­sta­tuts ver­liert der Ar­beit­neh­mer im Fall der Rechts­wid­rig­keit der Kündi­gung sei­nen Ar­beits­platz und ihm wird ei­ne Entschädi­gung ge­zahlt, es sei denn, der Ar­beit­ge­ber ent­schei­det sich für die Wie­der­ein­stel­lung.
16 In Be­zug auf das Ver­bot der Dis­kri­mi­nie­rung in den Ar­beits­be­zie­hun­gen be­stimmt Ar­ti­kel 17 des Ar­beit­neh­mer­sta­tuts in der Fas­sung des Ge­set­zes 62/2003 vom 30. De­zem­ber 2003 zur Einführung steu­er­li­cher, ver­wal­tungs­recht­li­cher und so­zia­ler Maßnah­men (BOE Nr. 313 vom 31. De­zem­ber 2003, S. 46874), mit dem die Richt­li­nie 2000/78 in spa­ni­sches Recht um­ge­setzt wer­den soll:

„(1) Als null und nich­tig gel­ten Ver­ord­nungs­vor­schrif­ten, Klau­seln von Ta­rif­verträgen, Ein­zel­ar­beits­verträge und ein­sei­ti­ge Ent­schei­dun­gen des Ar­beit­ge­bers, die zu ei­ner un­mit­tel­ba­ren oder mit­tel­ba­ren Be­nach­tei­li­gung auf­grund des Al­ters oder ei­ner Be­hin­de­rung führen oder in Be­zug auf die Beschäfti­gung, ins­be­son­de­re das Ar­beits­ent­gelt, die Ar­beits­zeit und an­de­re Ar­beits­be­din­gun­gen auf­grund des Ge­schlechts, der Her­kunft ein­sch­ließlich der Ras­se und der eth­ni­schen Her­kunft, des Fa­mi­li­en­stands, der so­zia­len Zu­gehörig­keit, der Re­li­gi­on oder der Welt­an­schau­ung, auf­grund po­li­ti­scher Ide­en, der se­xu­el­len Aus­rich­tung, der Zu­gehörig­keit oder Nicht­zu­gehörig­keit zu ei­ner Ge­werk­schaft oder des Bei­tritts oder Nicht­bei­tritts zu ge­werk­schaft­li­chen Ver­ein­ba­run­gen, Ver­wandt­schaft mit an­de­ren Ar­beit­neh­mern im Be­trieb und der Spra­che im spa­ni­schen Staat begüns­ti­gen oder be­nach­tei­li­gen.

…“

Aus­gangs­ver­fah­ren und Vor­la­ge­fra­gen

17 Die Kläge­rin ar­bei­te­te für die Be­klag­te, ei­nen auf Ver­pfle­gungs­diens­te spe­zia­li­sier­ten Be­trieb. Sie war seit dem 14. Ok­to­ber 2003 krank­ge­schrie­ben, und nach In­for­ma­tio­nen der für ih­re Be­hand­lung zuständi­gen Stel­len des öffent­li­chen Ge­sund­heits­diens­tes war mit ei­ner Wie­der­auf­nah­me ih­rer Be­rufstätig­keit kurz­fris­tig nicht zu rech­nen. Das vor­le­gen­de Ge­richt macht kei­ner­lei An­ga­ben zu der Krank­heit, an der die Kläge­rin lei­det.
18 Am 28. Mai 2004 teil­te die Be­klag­te der Kläge­rin oh­ne An­ga­be von Gründen ih­re Kündi­gung mit, er­kann­te gleich­zei­tig aber die Rechts­wid­rig­keit der Kündi­gung an und bot ihr ei­ne Entschädi­gung an.
19 Am 29. Ju­ni 2004 er­hob Frau Chacón Na­vas ei­ne Kla­ge ge­gen Eu­rest und trug vor, dass ih­re Kündi­gung nich­tig sei, da sie we­gen ih­rer acht­mo­na­ti­gen Ar­beits­un­ter­bre­chung un­gleich be­han­delt und dis­kri­mi­niert wor­den sei. Sie be­an­trag­te, die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, sie wie­der auf ih­rem Ar­beits­platz ein­zu­stel­len.
20 Das vor­le­gen­de Ge­richt führt aus, man­gels an­der­wei­ti­gen Vor­trags oder Nach­wei­ses in den Ak­ten sei auf­grund der Um­kehr der Be­weis­last da­von aus­zu­ge­hen, dass der Kläge­rin al­lein aus dem Grund gekündigt wor­den sei, dass sie krank­ge­schrie­ben war.
21 Das vor­le­gen­de Ge­richt weist dar­auf hin, dass es in der spa­ni­schen Recht­spre­chung Präze­denzfälle ge­be, wo­nach die­se Art der Kündi­gung als rechts­wid­rig, nicht aber als nich­tig qua­li­fi­ziert wer­de, da Krank­heit im spa­ni­schen Recht nicht aus­drück­lich zu den Gründen zähle, aus de­nen ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung in den Be­zie­hun­gen zwi­schen Pri­vat­per­so­nen ver­bo­ten sei.
22 Zwi­schen Krank­heit und Be­hin­de­rung be­ste­he je­doch ein ursäch­li­cher Zu­sam­men­hang. Für die De­fi­ni­ti­on des Be­grif­fes „Be­hin­de­rung“ sei die In­ter­na­tio­nal Clas­si­fi­ca­ti­on of Func­tio­n­ing, Disa­bi­li­ty and Health (ICF) (In­ter­na­tio­na­le Klas­si­fi­ka­ti­on der Funk­ti­onsfähig­keit, Be­hin­de­rung und Ge­sund­heit) der Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on her­an­zu­zie­hen. Da­nach sei „Be­hin­de­rung“ ein Ober­be­griff, der Schädi­gun­gen, Be­ein­träch­ti­gun­gen der Ak­ti­vität und Be­ein­träch­ti­gun­gen der Teil­ha­be um­fas­se. Krank­heit könne Schädi­gun­gen ver­ur­sa­chen, die ei­ne Be­hin­de­rung des Ein­zel­nen dar­stell­ten.
23 Da Krank­heit häufig zu ei­ner ir­re­ver­si­blen Be­hin­de­rung führen könne, müss­ten die Ar­beit­neh­mer recht­zei­tig auf der Grund­la­ge des Ver­bo­tes der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen ei­ner Be­hin­de­rung geschützt wer­den. Die ge­gen­tei­li­ge Auf­fas­sung könn­te den vom Ge­setz­ge­ber an­ge­streb­ten Schutz zu­nich­te ma­chen, da so die An­wen­dung un­kon­trol­lier­ter dis­kri­mi­nie­ren­der Maßnah­men ermöglicht würde.
24 Für den Fall, dass Be­hin­de­rung und Krank­heit als zwei un­ter­schied­li­che Be­grif­fe an­ge­se­hen würden und die Ge­mein­schafts­re­ge­lung auf den letzt­ge­nann­ten Be­griff nicht un­mit­tel­bar an­wend­bar sei, schlägt das vor­le­gen­de Ge­richt vor, fest­zu­stel­len, dass Krank­heit ein nicht spe­zi­ell ge­nann­tes Iden­titäts­merk­mal sei, das den Gründen hin­zu­zufügen sei, de­rent­we­gen Per­so­nen zu dis­kri­mi­nie­ren nach der Richt­li­nie 2000/78 ver­bo­ten sei. Die­se Fest­stel­lung er­ge­be sich aus ei­ner Aus­le­gung der Ar­ti­kel 13 EG, 136 EG und 137 EG in Ver­bin­dung mit Ar­ti­kel II‑21 des Ent­wurfs des Ver­tra­ges über ei­ne Ver­fas­sung für Eu­ro­pa.
25 Un­ter die­sen Umständen hat das Juz­ga­do de lo So­ci­al Nr. 33 Ma­drid das Ver­fah­ren aus­ge­setzt und dem Ge­richts­hof fol­gen­de Fra­gen zur Vor­ab­ent­schei­dung vor­ge­legt:

1. Be­zieht die Richt­li­nie 2000/78 in­so­fern, als sie in ih­rem Ar­ti­kel 1 ei­nen all­ge­mei­nen Rah­men zur Bekämp­fung der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen ei­ner Be­hin­de­rung schafft, ei­ne Ar­beit­neh­me­rin in ih­ren Schutz­be­reich ein, der von ih­rem Be­trieb aus­sch­ließlich we­gen Krank­heit gekündigt wor­den ist?

2. Hilfs­wei­se und für den Fall, dass Krank­heits­zustände nicht in den Be­reich des Schut­zes fal­len, den die Richt­li­nie 2000/78 ge­gen die Dis­kri­mi­nie­rung aus Gründen der Be­hin­de­rung gewährt, und die ers­te Fra­ge ver­neint wird:

Kann die Krank­heit als ein wei­te­res Iden­titäts­merk­mal ne­ben de­nen an­ge­se­hen wer­den, die als Grund ei­ner Dis­kri­mi­nie­rung an­zu­neh­men die Richt­li­nie 2000/78 ver­bie­tet?

Zur Zulässig­keit des Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chens

26 Die Kom­mis­si­on hegt Zwei­fel an der Zulässig­keit der vor­ge­leg­ten Fra­gen, weil es der Wie­der­ga­be des Sach­ver­halts im Vor­la­ge­be­schluss an Klar­heit man­ge­le.
27 Hier­zu ist fest­zu­stel­len, dass der Ge­richts­hof über aus­rei­chen­de In­for­ma­tio­nen verfügt, um ei­ne sach­dien­li­che Ant­wort auf die Vor­la­ge­fra­gen ge­ben zu können, auch wenn kei­ne An­ga­ben zur Art und et­wai­gen Ent­wick­lung der Krank­heit der Kläge­rin vor­lie­gen.
28 Der Vor­la­ge­ent­schei­dung ist nämlich zu ent­neh­men, dass der Kläge­rin, die krank­ge­schrie­ben und nicht in der La­ge war, kurz­fris­tig ih­re Be­rufstätig­keit wie­der auf­zu­neh­men, nach An­sicht des vor­le­gen­den Ge­richts al­lein des­halb gekündigt wor­den war, weil sie krank­ge­schrie­ben war. Aus die­ser Ent­schei­dung geht auch her­vor, dass das vor­le­gen­de Ge­richt ei­nen ursächli­chen Zu­sam­men­hang zwi­schen Krank­heit und Be­hin­de­rung an­nimmt und meint, dass ein Ar­beit­neh­mer in der La­ge der Kläge­rin auf der Grund­la­ge des Ver­bo­tes der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen ei­ner Be­hin­de­rung geschützt wer­den müsse.
29

Die in ers­ter Li­nie ge­stell­te Fra­ge be­trifft ins­be­son­de­re die Aus­le­gung des Be­grif­fes „Be­hin­de­rung“ im Sin­ne der Richt­li­nie 2000/78. Die Aus­le­gung die­ses Be­grif­fes durch den Ge­richts­hof soll dem vor­le­gen­den Ge­richt die Prüfung ermögli­chen, ob die Kläge­rin zum Zeit­punkt ih­rer Kündi­gung auf­grund ih­rer Krank­heit be­hin­dert im Sin­ne der Richt­li­nie war und des­we­gen un­ter den Schutz des Ar­ti­kels 3 Ab­satz 1 Buch­sta­be c die­ser Richt­li­nie fiel.

30 Die hilfs­wei­se ge­stell­te Fra­ge be­zieht sich auf Krank­heit als „Iden­titäts­merk­mal“ und be­trifft da­her Krank­hei­ten al­ler Art.
31 Nach An­sicht der Be­klag­ten ist das Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen un­zulässig, weil die spa­ni­schen Ge­rich­te, ins­be­son­de­re das Tri­bu­nal Su­pre­mo, in der Ver­gan­gen­heit un­ter Berück­sich­ti­gung der Ge­mein­schafts­re­ge­lung be­reits ent­schie­den hätten, dass die Kündi­gung ei­nes krank­ge­schrie­be­nen Ar­beit­neh­mers als sol­che kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung dar­stel­le. Der Um­stand, dass ein na­tio­na­les Ge­richt ei­ne Ge­mein­schafts­re­ge­lung be­reits aus­ge­legt hat, kann je­doch nicht zur Un­zulässig­keit ei­nes Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chens führen.
32 Was das Ar­gu­ment der Be­klag­ten an­geht, es sei da­von aus­zu­ge­hen, dass sie der Kläge­rin un­abhängig von der krank­heits­be­ding­ten Ar­beits­un­ter­bre­chung gekündigt ha­be, weil ih­re Diens­te zu die­sem Zeit­punkt nicht mehr benötigt wor­den sei­en, so ist dar­an zu er­in­nern, dass in ei­nem Ver­fah­ren nach Ar­ti­kel 234 EG, der auf ei­ner kla­ren Auf­ga­ben­tren­nung zwi­schen den na­tio­na­len Ge­rich­ten und dem Ge­richts­hof be­ruht, die Be­ur­tei­lung des Sach­ver­halts in die Zuständig­keit des vor­le­gen­den Ge­richts fällt. Eben­so hat nur das na­tio­na­le Ge­richt, das mit dem Rechts­streit be­fasst ist und in des­sen die zu er­las­sen­de ge­richt­li­che Ent­schei­dung fällt, Ver­ant­wor­tungs­be­rei­che im Hin­blick auf die Be­son­der­hei­ten der Rechts­sa­che so­wohl die Er­for­der­lich­keit ei­ner Vor­ab­ent­schei­dung für den Er­lass sei­nes Ur­teils als auch die Er­heb­lich­keit der dem Ge­richts­hof vor­zu­le­gen­den Fra­gen zu be­ur­tei­len. Da­her ist der Ge­richts­hof grundsätz­lich ge­hal­ten, über ihm vor­ge­leg­te Fra­gen zu be­fin­den, wenn die­se die Aus­le­gung des Ge­mein­schafts­rechts be­tref­fen (vgl. ins­be­son­de­re Ur­tei­le vom 25. Fe­bru­ar 2003 in der Rechts­sa­che C‑326/00, IKA, Slg. 2003, I‑1703, Rand­nr. 27, und vom 12. April 2005 in der Rechts­sa­che C‑145/03, Kel­ler, Slg. 2005, I‑2529, Rand­nr. 33).
33 Der Ge­richts­hof hat je­doch auch dar­auf hin­ge­wie­sen, dass es ihm in Aus­nah­mefällen ob­liegt, zur Prüfung sei­ner ei­ge­nen Zuständig­keit die Umstände zu un­ter­su­chen, un­ter de­nen er von dem in­ner­staat­li­chen Ge­richt an­ge­ru­fen wird (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­teil vom 16. De­zem­ber 1981 in der Rechts­sa­che 244/80, Fo­glia, Slg. 1981, 3045, Rand­nr. 21). Er kann die Ent­schei­dung über die Vor­la­ge­fra­ge ei­nes na­tio­na­len Ge­richts nur ab­leh­nen, wenn die er­be­te­ne Aus­le­gung des Ge­mein­schafts­rechts of­fen­sicht­lich in kei­nem Zu­sam­men­hang mit der Rea­lität oder dem Ge­gen­stand des Aus­gangs­rechts­streits steht, wenn das Pro­blem hy­po­the­ti­scher Na­tur ist oder wenn er nicht über die tatsächli­chen oder recht­li­chen An­ga­ben verfügt, die für ei­ne sach­dien­li­che Be­ant­wor­tung der ihm vor­ge­leg­ten Fra­gen er­for­der­lich sind (vgl. u. a. Ur­tei­le vom 13. März 2001 in der Rechts­sa­che C‑379/98, Preus­sen­Elek­tra, Slg. 2001, I‑2099, Rand­nr. 39, und vom 19. Fe­bru­ar 2002 in der Rechts­sa­che C‑35/99, Ar­dui­no, Slg. 2002, I‑1529, Rand­nr. 25).
34 Da im vor­lie­gen­den Fall kei­ne die­ser Be­din­gun­gen erfüllt ist, ist das Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen zulässig.

Zu den Vor­la­ge­fra­gen

Zur ers­ten Fra­ge

35 Mit sei­ner ers­ten Fra­ge möch­te das vor­le­gen­de Ge­richt wis­sen, ob der durch die Richt­li­nie 2000/78 zur Bekämp­fung der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen ei­ner Be­hin­de­rung ge­schaf­fe­ne all­ge­mei­ne Rah­men den Schutz ei­ner Per­son gewähr­leis­tet, der von ih­rem Ar­beit­ge­ber aus­sch­ließlich we­gen Krank­heit gekündigt wor­den ist.
36 Die Richt­li­nie 2000/78 gilt nach ih­rem Ar­ti­kel 3 Ab­satz 1 Buch­sta­be c im Rah­men der auf die Ge­mein­schaft über­tra­ge­nen Zuständig­kei­ten für al­le Per­so­nen u. a. in Be­zug auf die Ent­las­sungs­be­din­gun­gen.
37 In die­sen Gren­zen gilt der durch die Richt­li­nie 2000/78 zur Bekämp­fung der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen ei­ner Be­hin­de­rung ge­schaf­fe­ne all­ge­mei­ne Rah­men da­her für Kündi­gun­gen.
38 Zur Be­ant­wor­tung der Vor­la­ge­fra­ge ist ers­tens der Be­griff „Be­hin­de­rung“ im Sin­ne der Richt­li­nie 2000/78 aus­zu­le­gen und zwei­tens zu prüfen, in­wie­weit Men­schen mit Be­hin­de­rung durch die Richt­li­nie ge­gen Kündi­gun­gen geschützt sind.

Zum Be­griff „Be­hin­de­rung“

39 Der Be­griff „Be­hin­de­rung“ ist in der Richt­li­nie 2000/78 selbst nicht de­fi­niert. Für die Be­stim­mung die­ses Be­grif­fes ver­weist die Richt­li­nie auch nicht auf das Recht der Mit­glied­staa­ten.
40 Aus den Er­for­der­nis­sen der ein­heit­li­chen An­wen­dung des Ge­mein­schafts­rechts wie auch des Gleich­heits­grund­sat­zes er­gibt sich je­doch, dass den Be­grif­fen ei­ner Vor­schrift des Ge­mein­schafts­rechts, die für die Be­stim­mung ih­res Sin­nes und ih­rer Trag­wei­te nicht aus­drück­lich auf das Recht der Mit­glied­staa­ten ver­weist, nor­ma­ler­wei­se in der ge­sam­ten Ge­mein­schaft ei­ne au­to­no­me und ein­heit­li­che Aus­le­gung zu ge­ben ist, die un­ter Berück­sich­ti­gung des Zu­sam­men­hangs der Vor­schrift und des mit der be­tref­fen­den Re­ge­lung ver­folg­ten Zie­les zu er­mit­teln ist (vgl. u. a. Ur­tei­le vom 18. Ja­nu­ar 1984 in der Rechts­sa­che 327/82, Ekro, Slg. 1984, 107, Rand­nr. 11, und vom 9. März 2006 in der Rechts­sa­che C-323/03, Kom­mis­si­on/Spa­ni­en, Slg. 2006, I-0000, Rand­nr. 32).
41 Wie aus Ar­ti­kel 1 der Richt­li­nie 2000/78 her­vor­geht, ist de­ren Zweck die Schaf­fung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens zur Bekämp­fung von Dis­kri­mi­nie­run­gen in Beschäfti­gung und Be­ruf aus ei­nem der in die­sem Ar­ti­kel ge­nann­ten Gründe, zu de­nen die Be­hin­de­rung zählt.
42 Un­ter Berück­sich­ti­gung die­ses Zie­les ist der Be­griff „Be­hin­de­rung“ im Sin­ne der Richt­li­nie 2000/78 gemäß der in Rand­num­mer 40 die­ses Ur­teils wie­der­ge­ge­be­nen Re­gel au­to­nom und ein­heit­lich aus­zu­le­gen.
43 Die Richt­li­nie 2000/78 soll Dis­kri­mi­nie­run­gen be­stimm­ter Art in Beschäfti­gung und Be­ruf bekämp­fen. In die­sem Zu­sam­men­hang ist der Be­griff „Be­hin­de­rung“ so zu ver­ste­hen, dass er ei­ne Ein­schränkung er­fasst, die ins­be­son­de­re auf phy­si­sche, geis­ti­ge oder psy­chi­sche Be­ein­träch­ti­gun­gen zurück­zuführen ist und die ein Hin­der­nis für die Teil­ha­be des Be­tref­fen­den am Be­rufs­le­ben bil­det.
44 Mit der Ver­wen­dung des Be­grif­fes „Be­hin­de­rung“ in Ar­ti­kel 1 die­ser Richt­li­nie hat der Ge­setz­ge­ber je­doch be­wusst ein Wort gewählt, das sich von dem der „Krank­heit“ un­ter­schei­det. Da­her las­sen sich die bei­den Be­grif­fe nicht schlicht und ein­fach ein­an­der gleich­set­zen.
45 In der sech­zehn­ten Be­gründungs­erwägung der Richt­li­nie 2000/78 heißt es: „Maßnah­men, die dar­auf ab­stel­len, den Bedürf­nis­sen von Men­schen mit Be­hin­de­rung am Ar­beits­platz Rech­nung zu tra­gen, spie­len ei­ne wich­ti­ge Rol­le bei der Bekämp­fung von Dis­kri­mi­nie­run­gen we­gen ei­ner Be­hin­de­rung.“ Die Be­deu­tung, die der Ge­mein­schafts­ge­setz­ge­ber Maßnah­men zur Ein­rich­tung des Ar­beits­plat­zes nach Maßga­be der Be­hin­de­rung bei­ge­mes­sen hat, zeigt, dass er an Fälle ge­dacht hat, in de­nen die Teil­ha­be am Be­rufs­le­ben über ei­nen lan­gen Zeit­raum ein­ge­schränkt ist. Da­mit die Ein­schränkung un­ter den Be­griff „Be­hin­de­rung“ fällt, muss da­her wahr­schein­lich sein, dass sie von lan­ger Dau­er ist.
46 Die Richt­li­nie 2000/78 enthält kei­nen Hin­weis dar­auf, dass Ar­beit­neh­mer auf­grund des Ver­bo­tes der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen ei­ner Be­hin­de­rung in den Schutz­be­reich der Richt­li­nie fal­len, so­bald sich ir­gend­ei­ne Krank­heit ma­ni­fes­tiert.
47 Aus den vor­ste­hen­den Erwägun­gen er­gibt sich, dass ei­ne Per­son, der von ih­rem Ar­beit­ge­ber aus­sch­ließlich we­gen Krank­heit gekündigt wor­den ist, nicht von dem durch die Richt­li­nie 2000/78 zur Bekämp­fung der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen ei­ner Be­hin­de­rung ge­schaf­fe­nen all­ge­mei­nen Rah­men er­fasst wird.

Zum Schutz von Men­schen mit Be­hin­de­rung auf dem Ge­biet der Kündi­gung

48 Ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­ner Be­hin­de­rung greift nur dann in den Schutz­be­reich der Richt­li­nie 2000/78 ein, wenn sie ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung im Sin­ne des Ar­ti­kels 2 Ab­satz 1 der Richt­li­nie dar­stellt.
49 Nach der sieb­zehn­ten Be­gründungs­erwägung der Richt­li­nie 2000/78 wird un­be­scha­det der Ver­pflich­tung, für Men­schen mit Be­hin­de­rung an­ge­mes­se­ne Vor­keh­run­gen zu tref­fen, nicht die Ein­stel­lung, der be­ruf­li­che Auf­stieg oder die Wei­ter­beschäfti­gung ei­ner Per­son vor­ge­schrie­ben, wenn die­se Per­son für die Erfüllung der we­sent­li­chen Funk­tio­nen des Ar­beits­plat­zes nicht kom­pe­tent, fähig oder verfügbar ist.
50 Nach Ar­ti­kel 5 der Richt­li­nie 2000/78 sind an­ge­mes­se­ne Vor­keh­run­gen zu tref­fen, um die An­wen­dung des Gleich­be­hand­lungs­grund­sat­zes auf Men­schen mit Be­hin­de­rung zu gewähr­leis­ten. Nach die­ser Be­stim­mung be­deu­tet das, dass der Ar­beit­ge­ber die ge­eig­ne­ten und im kon­kre­ten Fall er­for­der­li­chen Maßnah­men er­greift, um den Men­schen mit Be­hin­de­rung den Zu­gang zur Beschäfti­gung, die Ausübung ei­nes Be­ru­fes und den be­ruf­li­chen Auf­stieg zu ermögli­chen, es sei denn, die­se Maßnah­men würden den Ar­beit­ge­ber un­verhält­nismäßig be­las­ten.
51 Das Ver­bot der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen ei­ner Be­hin­de­rung bei Ent­las­sun­gen nach den Ar­ti­keln 2 Ab­satz 1 und 3 Ab­satz 1 Buch­sta­be c der Richt­li­nie 2000/78 steht der Ent­las­sung we­gen ei­ner Be­hin­de­rung ent­ge­gen, die un­ter Berück­sich­ti­gung der Ver­pflich­tung, an­ge­mes­se­ne Vor­keh­run­gen für Men­schen mit Be­hin­de­rung zu tref­fen, nicht da­durch ge­recht­fer­tigt ist, dass die be­tref­fen­de Per­son für die Erfüllung der we­sent­li­chen Funk­tio­nen ih­res Ar­beits­plat­zes nicht kom­pe­tent, fähig oder verfügbar ist.
52 Nach al­le­dem ist auf die ers­te Vor­la­ge­fra­ge zu ant­wor­ten, dass

- ei­ne Per­son, der von ih­rem Ar­beit­ge­ber aus­sch­ließlich we­gen Krank­heit gekündigt wor­den ist, nicht von dem durch die Richt­li­nie 2000/78 zur Bekämp­fung der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen ei­ner Be­hin­de­rung ge­schaf­fe­nen all­ge­mei­nen Rah­men er­fasst wird;

- das Ver­bot der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen ei­ner Be­hin­de­rung bei Ent­las­sun­gen nach den Ar­ti­keln 2 Ab­satz 1 und 3 Ab­satz 1 Buch­sta­be c der Richt­li­nie 2000/78 der Ent­las­sung we­gen ei­ner Be­hin­de­rung ent­ge­gen­steht, die un­ter Berück­sich­ti­gung der Ver­pflich­tung, an­ge­mes­se­ne Vor­keh­run­gen für Men­schen mit Be­hin­de­rung zu tref­fen, nicht da­durch ge­recht­fer­tigt ist, dass die be­tref­fen­de Per­son für die Erfüllung der we­sent­li­chen Funk­tio­nen ih­res Ar­beits­plat­zes nicht kom­pe­tent, fähig oder verfügbar ist.

Zur zwei­ten Fra­ge

53 Mit sei­ner zwei­ten Fra­ge möch­te das vor­le­gen­de Ge­richt wis­sen, ob Krank­heit als ein wei­te­rer Grund ne­ben de­nen an­ge­se­hen wer­den kann, de­rent­we­gen Per­so­nen zu dis­kri­mi­nie­ren nach der Richt­li­nie 2000/78 ver­bo­ten ist.
54 Hier­zu ist fest­zu­stel­len, dass der EG-Ver­trag kei­ne Be­stim­mung enthält, die die Dis­kri­mi­nie­rung we­gen ei­ner Krank­heit als sol­cher ver­bie­tet.
55 Ar­ti­kel 13 EG und Ar­ti­kel 137 EG in Ver­bin­dung mit Ar­ti­kel 136 EG ent­hal­ten le­dig­lich ei­ne Re­ge­lung der Zuständig­kei­ten der Ge­mein­schaft. Im Übri­gen be­trifft Ar­ti­kel 13 EG über die Dis­kri­mi­nie­rung we­gen ei­ner Be­hin­de­rung hin­aus nicht auch die­je­ni­ge we­gen ei­ner Krank­heit als sol­cher und kann da­her kei­ne Rechts­grund­la­ge für Maßnah­men des Ra­tes zur Bekämp­fung ei­ner sol­chen Dis­kri­mi­nie­rung sein.
56 Zwar gehört zu den Grund­rech­ten als in­te­gra­ler Be­stand­teil der all­ge­mei­nen Grundsätze des Ge­mein­schafts­rechts u. a. das all­ge­mei­ne Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bot. Die­ses ist für die Mit­glied­staa­ten so­mit ver­bind­lich, wenn die im Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen­de in­ner­staat­li­che Si­tua­ti­on in den An­wen­dungs­be­reich des Ge­mein­schafts­rechts fällt (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­tei­le vom 12. De­zem­ber 2002 in der Rechts­sa­che C-442/00, Ro­dríguez Ca­bal­le­ro, Slg. 2002, I-11915, Rand­nrn. 30 und 32, so­wie vom 12. Ju­ni 2003 in der Rechts­sa­che C-112/00, Schmid­ber­ger, Slg. 2003, I-5659, Rand­nr. 75 und die an­geführ­te Recht­spre­chung). Dar­aus er­gibt sich je­doch nicht, dass der Gel­tungs­be­reich der Richt­li­nie 2000/78 in ent­spre­chen­der An­wen­dung über die Dis­kri­mi­nie­run­gen we­gen der in Ar­ti­kel 1 die­ser Richt­li­nie ab­sch­ließend auf­gezähl­ten Gründe hin­aus aus­ge­dehnt wer­den darf.
57 Folg­lich ist auf die zwei­te Fra­ge zu ant­wor­ten, dass Krank­heit als sol­che nicht als ein wei­te­rer Grund ne­ben de­nen an­ge­se­hen wer­den kann, de­rent­we­gen Per­so­nen zu dis­kri­mi­nie­ren nach der Richt­li­nie 2000/78 ver­bo­ten ist.

Kos­ten

58 Für die Par­tei­en des Aus­gangs­ver­fah­rens ist das Ver­fah­ren ein Zwi­schen­streit in dem bei dem vor­le­gen­den Ge­richt anhängi­gen Rechts­streit; die Kos­ten­ent­schei­dung ist da­her Sa­che die­ses Ge­richts. Die Aus­la­gen an­de­rer Be­tei­lig­ter für die Ab­ga­be von Erklärun­gen vor dem Ge­richts­hof sind nicht er­stat­tungsfähig.

Aus die­sen Gründen hat der Ge­richts­hof (Große Kam­mer) für Recht er­kannt:

1. Ei­ne Per­son, der von ih­rem Ar­beit­ge­ber aus­sch­ließlich we­gen Krank­heit gekündigt wor­den ist, wird nicht von dem durch die Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27. No­vem­ber 2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf zur Bekämp­fung der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen ei­ner Be­hin­de­rung ge­schaf­fe­nen all­ge­mei­nen Rah­men er­fasst.

2. Das Ver­bot der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen ei­ner Be­hin­de­rung bei Ent­las­sun­gen nach den Ar­ti­keln 2 Ab­satz 1 und 3 Ab­satz 1 Buch­sta­be c der Richt­li­nie 2000/78 steht der Ent­las­sung we­gen ei­ner Be­hin­de­rung ent­ge­gen, die un­ter Berück­sich­ti­gung der Ver­pflich­tung, an­ge­mes­se­ne Vor­keh­run­gen für Men­schen mit Be­hin­de­rung zu tref­fen, nicht da­durch ge­recht­fer­tigt ist, dass die be­tref­fen­de Per­son für die Erfüllung der we­sent­li­chen Funk­tio­nen ih­res Ar­beits­plat­zes nicht kom­pe­tent, fähig oder verfügbar ist.

3. Krank­heit als sol­che kann nicht als ein wei­te­rer Grund ne­ben de­nen an­ge­se­hen wer­den, de­rent­we­gen Per­so­nen zu dis­kri­mi­nie­ren nach der Richt­li­nie 2000/78 ver­bo­ten ist.

Un­ter­schrif­ten

* Ver­fah­rens­spra­che: Spa­nisch.

Quel­le: Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on (EuGH), http://cu­ria.eu­ro­pa.eu

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