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BAG, Ur­teil vom 21.04.2009, 9 AZR 391/08

   
Schlagworte: Elternzeit
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 9 AZR 391/08
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 21.04.2009
   
Leitsätze:

1. Lehnt der Arbeitgeber die vorzeitige Beendigung der Elternzeit gemäß § 16 Abs. 3 Satz 2 BErzGG nicht form- oder fristgerecht oder nicht aus dringenden betrieblichen Gründen ab, wird die Elternzeit aufgrund der Gestaltungserklärung des Arbeitnehmers beendet. Eine Zustimmung des Arbeitgebers zur vorzeitigen Beendigung ist nicht erforderlich. Eine den Anforderungen des § 16 Abs. 3 Satz 2 BErzGG nicht entsprechende Ablehnung des Arbeitgebers ist unbeachtlich.

2. Der Arbeitnehmer kann die ursprünglich festgelegte, aber wegen der vorzeitigen Beendigung nicht verbrauchte Restelternzeit gemäß § 15 Abs. 2 Satz 4 1. Halbs. BErzGG (nunmehr § 15 Abs. 2 Satz 4 1. Halbs. BEEG) mit einem Anteil von bis zu zwölf Monaten mit Zustimmung des Arbeitgebers auf die Zeit nach Vollendung des dritten bis zur Vollendung des achten Lebensjahres des Kindes übertragen. Der Arbeitgeber hat seine Entscheidung über die Zustimmung zur Übertragung nach billigem Ermessen zu treffen, § 315 Abs. 3 BGB.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht München, Urteil vom 4.10.2007, 6 Ca 1279/07
Landesarbeitsgericht München, Urteil vom 25.03.2008, 7 Sa 1115/07
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

9 AZR 391/08
7 Sa 1115/07
Lan­des­ar­beits­ge­richt

München

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

21. April 2009

UR­TEIL

Brüne,

Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Be­klag­te, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Kläge­rin, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Neun­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 21. April 2009 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Düwell, die Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt Rei­ne­cke, den
 


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Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Krasshöfer so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Fal­tyn und Bros­sardt für Recht er­kannt:


Auf die Re­vi­si­on der Be­klag­ten wird das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts München vom 25. März 2008 - 7 Sa 1115/07 - mit fol­gen­der Maßga­be auf­ge­ho­ben:


Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, der Über­tra­gung der El­tern­zeit für das Kind K auf den Zeit­raum 23. Ju­li 2009 bis 10. Mai 2010 zu­zu­stim­men.

Im Übri­gen wird die Re­vi­si­on zurück­ge­wie­sen.


Die Be­klag­te hat die Kos­ten des Rechts­streits zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten darüber, ob die Be­klag­te ver­pflich­tet ist, der Über­tra­gung rest­li­cher El­tern­zeit für die Toch­ter der Kläge­rin auf die Zeit nach En­de der El­tern­zeit des später ge­bo­re­nen Soh­nes zu­zu­stim­men.


Die Kläge­rin ist seit 1999 bei der Be­klag­ten als Rei­se­ver­kehrs­kauf­frau beschäftigt. Am 4. Ju­li 2004 wur­de ih­re Toch­ter ge­bo­ren. Die Kläge­rin nahm für die­ses Kind vom 3. Sep­tem­ber 2004 bis 3. Ju­li 2007 El­tern­zeit in An­spruch. Am 23. Ju­li 2006 ent­band sie ein wei­te­res Kind, ei­nen Sohn. Mit Schrei­ben vom 3. Au­gust 2006 über­sand­te die Kläge­rin der Be­klag­ten die Ge­burts­ur­kun­de ih­res Soh­nes. Wei­ter heißt es in dem Schrei­ben:


„Wie te­le­fo­nisch be­spro­chen, möch­te ich die vol­len drei Jah­re El­tern­zeit für mei­nen Sohn so­wie die ver­blei­ben­de El­tern­zeit für mei­ne Toch­ter K vor­ab oder da­nach in An­spruch neh­men.“


Mit wei­te­rem Schrei­ben vom 16. Au­gust 2006, der Be­klag­ten am 18. Au­gust 2006 zu­ge­gan­gen, über­sand­te die Kläge­rin der Be­klag­ten für ih­ren
 


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Sohn ei­nen von der Be­klag­ten vor­for­mu­lier­ten „An­trag auf El­tern­zeit gem. §§ 15, 16 des BErzGG“. Dort „be­an­trag­te“ sie El­tern­zeit für die Zeit vom 19. Sep­tem­ber 2006 bis 22. Ju­li 2009. In dem Schrei­ben heißt es wei­ter:


„Wie be­reits te­le­fo­nisch be­spro­chen, möch­te ich die ver­blei­ben­de El­tern­zeit für mei­ne Toch­ter K (geb. 04.07.04) an die in der An­la­ge be­an­trag­te El­tern­zeit dranhängen.“

Un­ter dem Da­tum 21. Sep­tem­ber 2006 schrieb die Be­klag­te der Kläge­rin:


„...

Mit un­se­rem Schrei­ben vom 15. Ju­li 2004 bestätig­ten wir Ih­nen El­tern­zeit für das ers­te Kind bis zum 3. Ju­li 2007.

Wie Sie uns durch Vor­la­ge der Ge­burts­ur­kun­de mit­teil­ten, wur­de am 23. Ju­li 2006 Ihr zwei­tes Kind ge­bo­ren. Für die­ses Kind ha­ben Sie wie­der drei Jah­re El­tern­zeit, bis 22. Ju­li 2009, be­an­tragt. Zu die­sem Zeit­punkt en­det dann die El­tern­zeit ins­ge­samt (für das ers­te und zwei­te Kind).


Es be­steht lei­der kei­ne Möglich­keit, die rest­li­chen 12 Mo­na­te der El­tern­zeit für das ers­te Kind an das En­de der El­tern­zeit für das zwei­te Kind an­zuhängen.


...“

Mit Schrei­ben vom 11. Ok­to­ber 2006 for­der­te die Kläge­rin die „vol­len sechs Jah­re El­tern­zeit“ für ih­re bei­den Kin­der.

Die Kläge­rin hat be­an­tragt, 


die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, ih­re Zu­stim­mung zur Über­tra­gung der El­tern­zeit für das Kind K der Kläge­rin auf den Zeit­raum vom 23. Ju­li 2009 bis zum 4. Ju­li 2010 zu erklären.


Die Be­klag­te hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen. Sie hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, § 16 Abs. 3 Satz 1 BErzGG ver­lan­ge in je­dem Fall ei­ne Zu­stim­mung des Ar­beit­ge­bers für die vor­zei­ti­ge Be­en­di­gung der El­tern­zeit. Das gel­te auch für die vor­zei­ti­ge Be­en­di­gung we­gen der Ge­burt ei­nes wei­te­ren Kin­des gemäß § 16 Abs. 3 Satz 2 BErzGG. Die Ar­beit­neh­me­rin müsse des­halb nach frucht­lo­sem Ab­lauf der vierwöchi­gen Frist des § 16 Abs. 3 Satz 2 BErzGG
 


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Kla­ge auf Zu­stim­mung er­he­ben. Zu­dem be­wir­ke die vor­zei­ti­ge Be­en­di­gung nicht, dass die da­durch tatsächlich nicht ge­nutz­te El­tern­zeit als Re­s­t­el­tern­zeit für ei­ne Über­tra­gung zur Verfügung ste­he. Die El­tern­zeit erlösche. Im Übri­gen sei ei­ne Über­tra­gung der El­tern­zeit grundsätz­lich nicht zu­mut­bar. Nach all­ge­mei­ner Le­bens­er­fah­rung nähmen die Kennt­nis­se und Fer­tig­kei­ten ei­nes Mit­ar­bei­ters pro­por­tio­nal zur Dau­er der El­tern­zeit ab. Käme es zu ei­ner Verlänge­rung der El­tern­zeit, so würden an­ge­sichts der sich ste­tig ändern­den Ar­beits­welt die Schwie­rig­kei­ten, die Ar­beit nach En­de der El­tern­zeit wie­der auf­zu­neh­men, verschärft. Darüber hin­aus müsse für den Über­tra­gungs­zeit­raum er­neut ei­ne ge­eig­ne­te Ver­tre­tung ge­schult wer­den. Das erhöhe die Pla­nungs­un­si­cher­heit.


Das Ar­beits­ge­richt hat der Kla­ge statt­ge­ge­ben. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat der Kla­ge für den Zeit­raum vom 23. Ju­li 2009 bis 20. Ju­ni 2010 un­ter Kla­ge­ab­wei­sung im Übri­gen statt­ge­ge­ben. Mit ih­rer Re­vi­si­on ver­folgt die Be­klag­te ih­ren Kla­ge­ab­wei­sungs­an­trag wei­ter.

Ent­schei­dungs­gründe

A. Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ist nur zu ei­nem ge­rin­gen Teil be­gründet. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Be­klag­te zu Recht ver­ur­teilt, der Über­tra­gung der El­tern­zeit für die Toch­ter der Kläge­rin zu­zu­stim­men. Die El­tern­zeit ist je­doch nicht, wie das Lan­des­ar­beits­ge­richt an­ge­nom­men hat, auf den Zeit­raum vom 23. Ju­li 2009 bis 20. Ju­ni 2010, son­dern auf die Zeit vom 23. Ju­li 2009 bis 10. Mai 2010 zu über­tra­gen. Die Dau­er der El­tern­zeit bis zum 10. Mai 2010 er­gibt sich aus § 15 Abs. 2 Satz 4 iVm. § 16 Abs. 3 Satz 2 BErzGG iVm. § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB.


I. Für bis zum 1. Ja­nu­ar 2007 ge­bo­re­ne Kin­der gilt die Über­g­angs­vor­schrift § 27 BEEG. Bei­de Kin­der der Kläge­rin sind vor dem Stich­tag 1. Ja­nu­ar 2007 ge­bo­ren. Für das Rechts­verhält­nis der Par­tei­en ist da­nach die Über­g­angs­vor­schrift des § 27 Abs. 2 Satz 1 BEEG ein­schlägig. Nach des­sen Wort-



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laut wäre auf das Ar­beits­verhält­nis der Kläge­rin als Mut­ter der Kin­der der Zwei­te Ab­schnitt des BEEG an­zu­wen­den. Dem­ent­spre­chend ist nach Art. 3 Abs. 2 des Einführungs­ge­set­zes vom 5. De­zem­ber 2006 der Zwei­te Ab­schnitt des BErzGG am 31. De­zem­ber 2006 außer Kraft ge­tre­ten. Da­mit ist je­doch kei­ne Re­ge­lung ge­trof­fen wor­den, nach der auf die zum In­kraft­tre­ten am 1. Ja­nu­ar 2007 ab­ge­schlos­se­nen Sach­ver­hal­te mit Rück­wir­kung neu­es Recht an­ge­wandt wer­den soll. Nur so­weit nach dem 31. De­zem­ber 2006 Tat­sa­chen ent­ste­hen, die für die im Zwei­ten Ab­schnitt ge­trof­fe­nen Be­stim­mun­gen maßgeb­lich sind, soll neu­es Recht An­wen­dung fin­den. Für die hier zu be­ur­tei­len­den Fra­gen der vor­zei­ti­gen Be­en­di­gung der El­tern­zeit und de­ren Über­tra­gung, die mit Schrei­ben vom 3. Au­gust 2006 und vom 16. Au­gust 2006 gel­tend ge­macht wur­den, ist noch das al­te Recht in Form der §§ 15, 16 BErzGG an­zu­wen­den. Im Übri­gen be­steht für den Streit­fall kein in­halt­li­cher Un­ter­schied hin­sicht­lich der An­wen­dung von §§ 15, 16 BErzGG oder §§ 15, 16 BEEG.


II. Die ursprüng­lich bis zum 3. Ju­li 2007 für die erst­ge­bo­re­ne Toch­ter in An­spruch ge­nom­me­ne El­tern­zeit ist mit Ab­lauf von vier Wo­chen nach Zu­gang des Schrei­bens der Kläge­rin vom 16. Au­gust 2006 vor­zei­tig be­en­det wor­den. Ei­ne Zu­stim­mung der Be­klag­ten war hier­zu gemäß § 16 Abs. 3 Satz 2 BErzGG nicht not­wen­dig. Die in­so­weit nicht ver­brauch­te Re­s­t­el­tern­zeit ist über­trag­bar. Die Kläge­rin durf­te sie an die bis zum 22. Ju­li 2009 in An­spruch ge­nom­me­ne El­tern­zeit für ih­ren Sohn „anhängen“.


1. Nach § 15 Abs. 2 Satz 4 BErzGG ist ein An­teil der El­tern­zeit von bis zu zwölf Mo­na­ten mit Zu­stim­mung des Ar­beit­ge­bers auf die Zeit bis zur Voll­endung des ach­ten Le­bens­jah­res über­trag­bar. Das setzt vor­aus, dass die Ar­beit­neh­me­rin für die­ses Kind noch freie El­tern­zeit zur Verfügung hat. Die­se war bei der Kläge­rin für ih­re Toch­ter zunächst nicht ge­ge­ben. Sie hat­te El­tern­zeit bis zur Voll­endung des drit­ten Le­bens­jah­res die­ses Kin­des gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 BErzGG ver­langt. Da­mit war ei­ne grundsätz­lich ver­bind­li­che und un­wi­der­ruf­li­che Fest­le­gung er­folgt (vgl. Se­nat 5. Ju­ni 2007 - 9 AZR 82/07 - Rn. 36, BA­GE 123, 30; vgl. BT-Drucks. 10/3792 S. 19). Die gewünsch­te Über­tra­gung von El­tern­zeit setzt des­halb vor­aus, dass die für die Toch­ter ver­bind­lich ge-


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nom­me­ne El­tern­zeit vor­zei­tig be­en­det wur­de. Nur dann steht der Kläge­rin der von der ursprüng­li­chen Fest­le­gung frei ge­wor­de­ne Zeit­raum als über­trag­bar zur Verfügung.


2. Die Kläge­rin hat ih­re ers­te, für die Toch­ter in An­spruch ge­nom­me­ne El­tern­zeit vor­zei­tig be­en­det. Die Vor­aus­set­zun­gen ei­ner vor­zei­ti­gen Be­en­di­gung aus be­son­de­rem Grund la­gen am 23. Ju­li 2006 mit der Ge­burt ih­res Soh­nes vor. Denn gemäß § 16 Abs. 3 Satz 2 BErzGG kann die Ar­beit­neh­me­rin die fest­ge­leg­te El­tern­zeit we­gen des Son­der­falls der Ge­burt ei­nes wei­te­ren Kin­des vor­zei­tig oh­ne Zu­stim­mung des Ar­beit­ge­bers be­en­den.


a) Die not­wen­di­ge Be­en­di­gungs­erklärung ging der Be­klag­ten am 18. Au­gust 2006 zu. Die­se Erklärung war auch hin­rei­chend be­stimmt. Die El­tern­zeit soll­te zum recht­lich frühes­ten Be­ginn der El­tern­zeit für den nach­ge­bo­re­nen Sohn vor­zei­tig en­den.


aa) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat an­ge­nom­men, aus dem Schrei­ben der Kläge­rin vom 3. Au­gust 2006 wer­de hin­rei­chend deut­lich, dass sie nicht nur die Über­tra­gung der rest­li­chen El­tern­zeit, son­dern auch die vor­zei­ti­ge Be­en­di­gung der El­tern­zeit ih­rer erst­ge­bo­re­nen Toch­ter be­an­tragt ha­be. Die Kläge­rin ha­be er­kenn­bar aus der Über­schnei­dung der bei­den El­tern­zei­ten kei­ne Verkürzung der Ge­samt­el­tern­zeit für bei­de Kin­der hin­neh­men, son­dern die bei­den El­tern­zei­ten möglichst voll aus­nut­zen wol­len. Das ha­be sie im Schrei­ben vom 16. Au­gust 2006 ver­deut­licht, in­dem sie ge­be­ten ha­be, die Re­s­t­el­tern­zeit für ih­re Toch­ter an die für ih­ren Sohn „be­an­trag­te“ El­tern­zeit an­zuhängen. Die­ses sei als Wil­lens­erklärung, ge­rich­tet auf die vor­zei­ti­ge Be­en­di­gung der ers­ten El­tern­zeit zu ver­ste­hen.


bb) Die­se ein­zel­fall­be­zo­ge­ne Aus­le­gung hält der re­vi­si­ons­recht­li­chen Über­prüfung stand.


(1) Im Streit ist die Aus­le­gung ei­ner nicht­ty­pi­schen Wil­lens­erklärung. Die Aus­le­gung sol­cher Erklärun­gen durch das Lan­des­ar­beits­ge­richt ist re­vi­si­ons­recht­lich nur dar­auf zu über­prüfen, ob die Aus­le­gungs­re­geln (§§ 133, 157 BGB)

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ver­letzt wur­den, ge­gen Denk­ge­set­ze oder all­ge­mei­ne Er­fah­rungssätze ver­s­toßen wur­de oder Umstände, die für die Aus­le­gung von Be­deu­tung sein könn­ten, außer Be­tracht ge­las­sen wor­den sind (Se­nat 19. April 2005 - 9 AZR 233/04 - zu II 2 b der Gründe, BA­GE 114, 206).

(2) Die Aus­le­gung des Lan­des­ar­beits­ge­richts ist nicht feh­ler­haft. Sie folgt schon aus dem un­zwei­fel­haf­ten Wort­laut des Schrei­bens vom 16. Au­gust 2006. Dar­in stell­te die Kläge­rin klar, die ver­blei­ben­de El­tern­zeit für ih­re Toch­ter an die für ih­ren Sohn „be­an­trag­te“ El­tern­zeit „dranhängen“ zu wol­len. Das setzt für den Erklärungs­empfänger hin­rei­chend deut­lich ei­ne vor­zei­ti­ge Be­en­di­gung der El­tern­zeit für ih­re Toch­ter mit Be­ginn der gleich­zei­tig in An­spruch ge­nom­me­nen El­tern­zeit für ih­ren Sohn vor­aus. Die Be­klag­te hat­te die Erklärun­gen der Kläge­rin auch in die­sem Sin­ne ver­stan­den. Das zeigt ihr Schrei­ben vom 21. Sep­tem­ber 2006. Sie weist dort dar­auf hin, es be­ste­he lei­der kei­ne Möglich­keit, die rest­li­chen zwölf Mo­na­te der El­tern­zeit für das ers­te Kind an das En­de der El­tern­zeit für das zwei­te Kind an­zuhängen.

b) Ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Re­vi­si­on benötig­te die Kläge­rin nicht der Zu­stim­mung der Be­klag­ten zur vor­zei­ti­gen Be­en­di­gung der El­tern­zeit. § 16 Abs. 3 Satz 2 BErzGG be­gründet ein ein­sei­ti­ges Ge­stal­tungs­recht der Ar­beit­neh­me­rin.

aa) § 16 Abs. 3 Satz 1 BErzGG re­gelt den Fall, dass kei­ne be­son­ders schwer­wie­gen­den Gründe vor­lie­gen. Dann ist ei­ne vor­zei­ti­ge Be­en­di­gung der El­tern­zeit nur möglich, wenn der Ar­beit­ge­ber ei­nem ent­spre­chen­den An­trag der Ar­beit­neh­me­rin zu­stimmt. Auf die­se Zu­stim­mung hat die Ar­beit­neh­me­rin grundsätz­lich kei­nen Rechts­an­spruch (Buch­ner/Be­cker Mut­ter­schutz­ge­setz und Bun­des­el­tern­geld- und El­tern­teil­zeit­ge­setz 8. Aufl. § 16 BEEG Rn. 21). Denn die be­rech­tig­ten In­ter­es­sen des Ar­beit­ge­bers, ins­be­son­de­re sei­ne für die El­tern­zeit ge­trof­fe­nen Dis­po­si­tio­nen ste­hen ei­ner vor­zei­ti­gen Be­en­di­gung der El­tern­zeit oh­ne sei­ne Zu­stim­mung grundsätz­lich ent­ge­gen (BT-Drucks. 14/3553 S. 23).
 


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bb) Dem­ge­genüber hat die Ar­beit­neh­me­rin nach § 16 Abs. 3 Satz 2 BErzGG außer im Fall ei­ner exis­ten­zi­el­len Härte auch bei der Ge­burt ei­nes wei­te­ren Kin­des das Recht, durch ein­sei­ti­ge Erklärung ih­re El­tern­zeit vor­zei­tig zu be­en­den, wenn der Ar­beit­ge­ber dies nicht schrift­lich in­ner­halb von vier Wo­chen we­gen be­rech­tig­ter drin­gen­der be­trieb­li­cher Gründe ab­lehnt.

(1) Ein Teil des Schrift­tums nimmt an, die Ar­beit­neh­me­rin müsse das Ein­verständ­nis des Ar­beit­ge­bers ein­kla­gen, wenn der Ar­beit­ge­ber (un­be­rech­tigt) ab­leh­ne (ErfK/Dörner 9. Aufl. § 16 BEEG Rn. 9). Das trifft nicht zu. In den in § 16 Abs. 3 Satz 2 BErzGG ge­nann­ten be­son­de­ren Fällen hat die Ar­beit­neh­me­rin viel­mehr das Recht zur ein­sei­ti­gen Be­en­di­gung der El­tern­zeit oh­ne Zu­stim­mung des Ar­beit­ge­bers (vgl. Se­nat 19. April 2005 - 9 AZR 233/04 - zu II 3 b cc der Gründe, BA­GE 114, 206; eben­so für den Fall, dass der Ar­beit­ge­ber nicht form- oder frist­ge­recht ab­lehnt, Sow­ka FS 50 Jah­re BAG S. 229, 233).


(2) Das folgt schon aus dem Wort­laut der Vor­schrift. Während § 16 Abs. 3 Satz 1 BErzGG im All­ge­mei­nen die Zu­stim­mung des Ar­beit­ge­bers zur Vor­aus­set­zung der Be­en­di­gung macht, re­gelt § 16 Abs. 3 Satz 2 BErzGG zwei be­son­de­re Gründe für die vor­zei­ti­ge Be­en­di­gung: 1. die in die El­tern­zeit fal­len­de Ge­burt ei­nes wei­te­ren Kin­des und 2. Härtefälle. § 16 Abs. 3 Satz 2 ist dem­nach ge­genüber § 16 Abs. 3 Satz 1 die spe­zi­el­le­re Re­ge­lung. Nach ihr hat die Ar­beit­neh­me­rin das Recht, die El­tern­zeit durch ei­ge­ne Erklärung vor­zei­tig zu be­en­den. Der Ar­beit­ge­ber hat le­dig­lich ein form- und frist­ge­bun­de­nes Ab­leh­nungs­recht.


(3) Die­se Aus­le­gung wird auch durch die Ent­ste­hungs­ge­schich­te der Norm bestätigt. Nach § 16 Abs. 3 BErzGG aF (in der Fas­sung vom 31. Ja­nu­ar 1994) war die vor­zei­ti­ge Be­en­di­gung der El­tern­zeit im­mer nur mit Zu­stim­mung des Ar­beit­ge­bers möglich, § 16 Abs. 3 Satz 1 BErzGG aF. Mit der Einfügung des neu­en Sat­zes 2 in § 16 Abs. 3 BErzGG soll­te die Rechts­la­ge, dass „bis­her die vor­zei­ti­ge Be­en­di­gung des Er­zie­hungs­ur­laubs grundsätz­lich nur mit Zu­stim­mung des Ar­beit­ge­bers möglich“ ist, geändert wer­den. Mit dem Einfügen des jet­zi­gen Sat­zes 2 in § 16 Abs. 3 BErzGG/BEEG woll­ten die Ent­wurfs­ver-


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fas­ser aus­drück­lich für die dort ge­nann­ten Son­derfälle das Recht der El­tern auf vor­zei­ti­ge Be­en­di­gung des Er­zie­hungs­ur­laubs be­gründen. Dem Ar­beit­ge­ber soll­te nur ein Ab­leh­nungs­recht zu­ste­hen (BT-Drucks. 14/3118 S. 2 und S. 22). Das schließt ei­ne Bin­dung an die Zu­stim­mung des Ar­beit­ge­bers aus.


(4) Ein Zu­stim­mungs­er­for­der­nis entspräche auch nicht der Sys­te­ma­tik des § 16 Abs. 3 Satz 2 BErzGG. Der Ar­beit­ge­ber, der nicht nach § 16 Abs. 3 Satz 2 BErzGG form- und frist­ge­recht ab­lehnt, ver­liert sein Ab­leh­nungs­recht. Er kann sich nach Frist­ab­lauf nicht mehr dar­auf be­ru­fen, dass drin­gen­de be­trieb­li­che Gründe der vor­zei­ti­gen Be­en­di­gung ent­ge­gen­ste­hen. Die Re­vi­si­on meint zu Un­recht, § 16 Abs. 3 Satz 2 BErzGG sei le­dig­lich ei­ne Ord­nungs­vor­schrift oh­ne Rechts­fol­gen. Die Vor­schrift be­stimmt viel­mehr un­zwei­fel­haft, dass der Ar­beit­ge­ber „nur“ form- und frist­ge­recht und „nur“ aus drin­gen­den be­trieb­li­chen Gründen ab­leh­nen kann. Ei­ne Ab­leh­nung, die die­se Vor­aus­set­zun­gen nicht erfüllt, be­wirkt des­halb kei­ne Rechts­fol­gen und hat da­mit als un­be­acht­lich zu gel­ten.


c) Die mit Schrei­ben der Be­klag­ten vom 21. Sep­tem­ber 2006 erklärte Ab­leh­nung der vor­zei­ti­gen Be­en­di­gung er­folg­te we­der frist­ge­recht noch enthält sie die An­ga­be von drin­gen­den be­trieb­li­chen Gründen. Sie ist des­halb nicht ge­eig­net, den Ein­tritt der vor­zei­ti­gen Be­en­di­gung zu ver­hin­dern.


aa) Der Ar­beit­ge­ber darf gemäß § 16 Abs. 3 Satz 2 BErzGG nur in­ner­halb ei­ner Frist von vier Wo­chen die vor­zei­ti­ge Be­en­di­gung der El­tern­zeit aus drin­gen­den be­trieb­li­chen Gründen schrift­lich ab­leh­nen. Um dem Ar­beit­ge­ber die Nut­zung der Frist zu ermögli­chen, muss kon­se­quen­ter­wei­se die vor­zei­ti­ge Be­en­di­gung der El­tern­zeit eben­falls vier Wo­chen vor dem be­ab­sich­tig­ten Be­en­di­gungs­ter­min an­gekündigt wer­den (zu­tref­fend Buch­ner/Be­cker Mut­ter­schutz­ge­setz und Bun­des­el­tern­geld- und El­tern­zeit­ge­setz § 16 BEEG Rn. 24).

bb) Die Be­klag­te bestätig­te der Kläge­rin mit Schrei­ben vom 21. Sep­tem­ber 2006 die Be­en­di­gung der dreijähri­gen El­tern­zeit für bei­de Kin­der zum 22. Ju­li 2009. Da­mit lehnt sie ei­ne Über­tra­gung der nicht ver­brauch­ten El­tern­zeit für die
 


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erst­ge­bo­re­ne Toch­ter der Kläge­rin auf die Zeit nach En­de der El­tern­zeit für ih­ren Sohn kon­klu­dent ab.

cc) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat im Er­geb­nis zu­tref­fend an­ge­nom­men, dass die­se Ab­leh­nung nicht in­ner­halb der Frist des § 16 Abs. 3 Satz 2 BErzGG er­folg­te.


(1) Die Be­klag­te wahr­te die vierwöchi­ge Ab­leh­nungs­frist des § 16 Abs. 3 Satz 2 BErzGG nicht.

(a) Al­ler­dings be­gann die Frist ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Lan­des­ar­beits­ge­richts nicht be­reits mit Zu­gang des Schrei­bens der Kläge­rin vom 3. Au­gust 2006, son­dern erst mit Zu­gang des Schrei­bens vom 16. Au­gust 2006. Die Kläge­rin be­an­trag­te ge­genüber der Be­klag­ten mit Schrei­ben vom 3. Au­gust 2006 le­dig­lich, die El­tern­zeit für ih­re Toch­ter vor oder nach der El­tern­zeit für ih­ren Sohn in An­spruch zu neh­men. Da­mit brach­te sie nicht mit hin­rei­chen­der Deut­lich­keit zum Aus­druck, sie wol­le die El­tern­zeit für ih­re Toch­ter mit Be­ginn der El­tern­zeit für ih­ren Sohn be­en­den. Wird die El­tern­zeit für den Sohn in An­spruch ge­nom­men, so führt dies nicht zur Be­en­di­gung der El­tern­zeit für die Toch­ter. Die El­tern­zeit für ih­ren Sohn be­ginnt dann mit Voll­endung des drit­ten Le­bens­jah­res der Toch­ter. Die Erklärung der Par­tei­en in der münd­li­chen Be­ru­fungs­ver­hand­lung vom 11. März 2008, wo­nach sie die Auf­fas­sung des Ge­richts, dass die Kläge­rin mit Schrei­ben vom 3. Au­gust 2006 mit hin­rei­chen­der Deut­lich­keit die Be­en­di­gung der El­tern­zeit für das ers­te Kind mit so­for­ti­ger Wir­kung be­an­tragt ha­be, nicht be­an­stan­den würden, bin­det das Re­vi­si­ons­ge­richt nicht. Die Par­tei­en ha­ben kei­ne für die Aus­le­gung maßgeb­li­chen Tat­sa­chen un­strei­tig ge­stellt. Die Aus­le­gung ist nach all­ge­mei­nen Grundsätzen vor­zu­neh­men.


Erst mit Schrei­ben vom 16. Au­gust 2006 stell­te die Kläge­rin klar, dass sie die El­tern­zeit für ih­re Toch­ter an die El­tern­zeit für ih­ren Sohn anhängen wol­le. In der An­la­ge zu die­sem Schrei­ben nahm sie für ih­ren Sohn El­tern­zeit für die Zeit vom 19. Sep­tem­ber 2006 bis 22. Ju­li 2009 in An­spruch.


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(b) Die Ab­leh­nung der Be­klag­ten er­folg­te selbst dann nicht frist­ge­recht, wenn zu ih­ren Guns­ten un­ter­stellt wird, dass ihr Ab­leh­nungs­schrei­ben vom 21. Sep­tem­ber 2006 der Kläge­rin be­reits am 22. Sep­tem­ber zu­ge­gan­gen ist.

Die vierwöchi­ge Ab­leh­nungs­frist des § 16 Abs. 3 Satz 2 BErzGG wäre nur ge­wahrt, wenn das Be­en­di­gungs­ver­lan­gen vom 16. Au­gust 2006 der Be­klag­ten erst am 25. Au­gust 2006 zu­ge­gan­gen wäre. Tatsächlich war es ihr aber be­reits am 18. Au­gust 2006 zu­ge­gan­gen.

(c) Nach Ab­lauf der Frist des § 16 Abs. 3 Satz 2 BErzGG kann der Ar­beit­ge­ber die vor­zei­ti­ge Be­en­di­gung der El­tern­zeit nicht wirk­sam ab­leh­nen. Es han­delt sich nämlich um ei­ne Aus­schluss­frist, die der Rechts­si­cher­heit dient. Die Ar­beit­neh­me­rin soll nach Frist­ab­lauf da­von aus­ge­hen dürfen, dass ihr Ver­lan­gen die vor­zei­ti­ge Be­en­di­gung der El­tern­zeit her­bei­geführt hat (im Er­geb­nis so auch HK-MuSchG/BEEG/Rancke § 16 BEEG Rn. 18). So­weit die Kläge­rin mit Schrei­ben vom 11. Ok­to­ber 2006 der Be­klag­ten die Wahl ließ, wel­che El­tern­zeit über­tra­gen wer­den soll, ist dies recht­lich oh­ne Be­lang. Die El­tern­zeit für ih­re Toch­ter war zu die­sem Zeit­punkt be­reits auf­grund ih­res Ver­lan­gens mit Schrei­ben vom 16. Au­gust 2006 vor­zei­tig be­en­det.


(2) Das Ab­leh­nungs­schrei­ben ent­hielt auch kei­ne drin­gen­den be­trieb­li­chen Gründe. Es heißt dort le­dig­lich, es be­ste­he lei­der kei­ne Möglich­keit, die rest­li­chen zwölf Mo­na­te der El­tern­zeit für das ers­te Kind an das En­de der El­tern­zeit für das zwei­te Kind an­zuhängen. Die Ab­leh­nung ist des­halb auch we­gen feh­len­der schrift­li­cher An­ga­be der Gründe un­be­acht­lich.

3. Der durch die vor­zei­ti­ge Be­en­di­gung un­ver­brauch­te Teil der El­tern­zeit der Toch­ter stand für das von der Kläge­rin gewünsch­te „Anhängen“ zur Verfügung. Er war ent­ge­gen der Re­vi­si­on nicht er­lo­schen.

a) Die vor­zei­ti­ge Be­en­di­gung der El­tern­zeit führt re­gelmäßig da­zu, dass das Ru­hen der ar­beits­ver­trag­li­chen Haupt­leis­tungs­pflich­ten be­sei­tigt wird. Die Ar­beit­neh­me­rin muss grundsätz­lich an ih­ren Ar­beits­platz zurück­keh­ren (vgl. Zmarz­lik/Zip­pe­rer/Vie­then Mut­ter­schutz­ge­setz, Mut­ter­schafts­leis­tun­gen, Bun­des­er­zie­hungs­geld­ge­setz 8. Aufl. § 16 BErzGG Rn. 13). Da­mit geht der noch
 


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nicht ver­brauch­te An­teil der El­tern­zeit nicht un­ter. Ei­ne sol­che Rechts­fol­ge enthält § 16 Abs. 3 BErzGG nicht. Das Recht zur vor­zei­ti­gen Be­en­di­gung soll le­dig­lich die Bin­dungs­wir­kung der be­reits fest­ge­leg­ten El­tern­zeit für be­son­de­re Fälle auf­he­ben.


b) Die in­fol­ge der vor­zei­ti­gen Be­en­di­gung er­neut verfügba­re Re­s­t­el­tern­zeit war nach Maßga­be des § 15 Abs. 2 Satz 4 1. Halbs. BErzGG über­trag­bar. Da­nach ist ein An­teil der El­tern­zeit von zwölf Mo­na­ten mit Zu­stim­mung des Ar­beit­ge­bers auf die Zeit nach Voll­endung des drit­ten bis zur Voll­endung des ach­ten Le­bens­jah­res des Kin­des über­trag­bar. Im Zu­ge der par­la­men­ta­ri­schen Be­ra­tun­gen hat­te man dar­an ge­dacht, ei­nem be­son­de­ren Be­treu­ungs­bedürf­nis im Zu­sam­men­hang mit der Ein­schu­lung des Kin­des Rech­nung zu tra­gen (BT-Drucks. 14/3118 S. 20). Das ist je­doch nur ein Bei­spiel. Eben­so sinn­voll ist die Über­tra­gung bei meh­re­ren Ge­bur­ten in­ner­halb des Drei­jah­res­zeit­raums. Die Ar­beit­neh­me­rin hat dann die Möglich­keit, bis zu zwölf Mo­na­te der ers­ten El­tern­zeit an die zwei­te El­tern­zeit an­zuhängen, um die Be­las­tung, die mit der höhe­ren Kin­der­zahl wächst, ab­zu­mil­dern. Die rest­li­che El­tern­zeit von höchs­tens zwölf Mo­na­ten kann al­ler­dings nur mit Zu­stim­mung des Ar­beit­ge­bers auf ei­ne Zeit nach Voll­endung des drit­ten Le­bens­jah­res des Kin­des über­tra­gen wer­den.

c) Mit den Re­ge­lun­gen in § 15 Abs. 2 Satz 3 und 4 BErzGG woll­te der Ge­setz­ge­ber si­cher­stel­len, dass die Über­tra­gungsmöglich­keit auch bei ei­ner kur­zen Ge­bur­ten­fol­ge oder bei Mehr­lings­ge­bur­ten möglich ist, da­mit der vol­le An­spruch auf El­tern­zeit für je­des Kind be­steht (BT-Drucks. 15/1502 S. 36). An­sons­ten würde sich die Ge­samt­el­tern­zeit von drei Jah­ren für bei­de Kin­der um die Zeit der Über­schnei­dung verkürzen. Denn durch die Ge­burt ei­nes zwei­ten Kin­des wird die lau­fen­de El­tern­zeit nicht au­to­ma­tisch un­ter­bro­chen (vgl. Win­ter­feld DB 2004, 930). Die El­tern­zeit für das zwei­te Kind kann des­halb erst mit En­de der El­tern­zeit für das ers­te Kind be­gin­nen und über die Voll­endung des drit­ten Le­bens­jah­res des zwei­ten Kin­des hin­aus über­tra­gen wer­den. Da­mit wird er­reicht, dass von der Zeit, in der sich die ers­ten drei Le­bens­jah­re der Kin­der über­schnei­den, ein An­teil gemäß § 15 Abs. 2 Satz 4 BErzGG über­tra­gen wird (BT-Drucks. 15/1502 S. 36).

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d) Die vor­zei­ti­ge Be­en­di­gung der ers­ten El­tern­zeit kann des­halb auch da­zu die­nen, mit der wie­der verfügba­ren Re­s­t­el­tern­zeit die El­tern­zeit für das zwei­te Kind zu verlängern. Das ent­spricht der Ab­sicht des par­la­men­ta­ri­schen Ge­setz­ge­bers (vgl. BT-Drucks. 14/3553 S. 23). Da­nach soll § 16 Abs. 3 Satz 2 BErzGG mit Rück­sicht auf die geänder­te Le­bens­si­tua­ti­on der El­tern die Bin­dungs­wir­kung der in An­spruch ge­nom­me­nen El­tern­zeit lo­ckern. Die Ar­beit­neh­me­rin kann die­sen An­teil er­neut un­ter den Vor­aus­set­zun­gen der §§ 15 und 16 BErzGG in An­spruch neh­men und des­halb auch gemäß § 15 Abs. 2 Satz 4 BErzGG über­tra­gen las­sen.


III. Die Be­klag­te war ent­ge­gen der Re­vi­si­on ge­hal­ten, der Über­tra­gung der Re­s­t­el­tern­zeit für ih­re Toch­ter auf den Zeit­raum nach En­de der El­tern­zeit für ih­ren Sohn zu­zu­stim­men.


1. Die Kläge­rin be­an­trag­te am 16. Au­gust 2006 die Über­tra­gung der El­tern­zeit für ihr erst­ge­bo­re­nes Kind („... möch­te ich die ver­blei­ben­de El­tern­zeit für mei­ne Toch­ter K ... an die in der An­la­ge be­an­trag­te El­tern­zeit dranhängen“).


2. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat zu Recht an­ge­nom­men, die Ver­wei­ge­rung der Zu­stim­mung zur Über­tra­gung der El­tern­zeit durch die Be­klag­te sei un­bil­lig ge­we­sen. Sie sei ver­pflich­tet, der Über­tra­gung zu­zu­stim­men.


a) Nach § 15 Abs. 2 Satz 4 BErzGG ist die Über­tra­gung der El­tern­zeit von bis zu zwölf Mo­na­ten nur mit Zu­stim­mung des Ar­beit­ge­bers möglich. Das Ge­setz schweigt darüber, un­ter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen der Ar­beit­ge­ber die Zu­stim­mung ver­wei­gern darf oder er­tei­len muss. An­ders als in § 15 Abs. 4 Satz 4 BErzGG und in § 15 Abs. 7 Satz 1 Nr. 4 BErzGG sieht § 15 Abs. 2 Satz 4 BErzGG nicht vor, dass die Er­tei­lung der Zu­stim­mung nur aus drin­gen­den be­trieb­li­chen Gründen ab­ge­lehnt wer­den darf. Hier­aus folgt nicht, dass die Ent­schei­dung über die Zu­stim­mung im frei­en Be­lie­ben des Ar­beit­ge­bers steht (Lin­de­mann/Si­mon NJW 2001, 258, 259). Aus­ge­hend vom Ge­set­zes­zweck setzt die Ab­leh­nung ei­ne In­ter­es­sen­abwägung gemäß § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB vor­aus. Die fle­xi­bi­li­sier­te El­tern­zeit soll nach dem Wil­len des Ge­setz­ge­bers zur bes­se­ren Ver­ein­bar­keit von Fa­mi­lie und Be­ruf bei­tra­gen und
 


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die be­ruf­li­che Mo­ti­va­ti­on jun­ger El­tern erhöhen. Al­ler­dings ist ge­se­hen wor­den, dass die Über­tra­gung auf ei­nen späte­ren Zeit­raum nach der Voll­endung des drit­ten Le­bens­jah­res des Kin­des mit be­trieb­li­chen In­ter­es­sen kol­li­die­ren kann (BT-Drucks. 14/3553 S. 21). Der Ge­setz­ge­ber hat des­halb durch das Zu­stim­mungs­er­for­der­nis si­cher­stel­len wol­len, dass die bei­der­sei­ti­gen In­ter­es­sen an­ge­mes­sen berück­sich­tigt wer­den. Das schließt ein un­ge­bun­de­nes, frei­es Er­mes­sen aus. Der Ar­beit­ge­ber hat viel­mehr bei sei­ner Ent­schei­dung auch das In­ter­es­se der El­tern an der Be­treu­ung ih­rer Klein­kin­der zu berück­sich­ti­gen.


b) Die Wei­ge­rung der Be­klag­ten, der Über­tra­gung zu­zu­stim­men, ent­sprach nicht bil­li­gem Er­mes­sen.


aa) Die Gren­zen bil­li­gen Er­mes­sens sind ge­wahrt, wenn der Ar­beit­ge­ber bei sei­ner Ent­schei­dung die we­sent­li­chen Umstände des Ein­zel­falls ab­ge­wo­gen und die bei­der­sei­ti­gen In­ter­es­sen an­ge­mes­sen berück­sich­tigt hat. Ob die Ent­schei­dung des Ar­beit­ge­bers bil­li­gem Er­mes­sen ent­spricht, un­ter­liegt der ge­richt­li­chen Kon­trol­le nach § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB. Hierfür gilt ein ob­jek­ti­ver Maßstab. Der Ar­beit­ge­ber hat al­le Umstände zu berück­sich­ti­gen, die zu dem Zeit­punkt vor­lie­gen, zu dem er die Er­mes­sens­ent­schei­dung zu tref­fen hat. So­weit die Ent­schei­dung er­mes­sens­feh­ler­haft ist, tritt ent­spre­chend § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB an ih­re Stel­le das Ur­teil des Ge­richts (Se­nat 14. Ok­to­ber 2008 - 9 AZR 511/07 - Rn. 18, AP TVG § 1 Al­ters­teil­zeit Nr. 41 = EzA TVG § 4 Al­ters­teil­zeit Nr. 29). Ob ei­ne Be­stim­mung nach bil­li­gem Er­mes­sen er­folgt ist, kann durch das Re­vi­si­ons­ge­richt un­be­schränkt nach­ge­prüft wer­den (BAG 10. Mai 1995 - 10 AZR 794/94 - zu II 2 d dd der Gründe, ZTR 1995, 517).


bb) Die Be­klag­te be­ruft sich dar­auf, mit zu­neh­men­der Dau­er der El­tern­zeit würden die Kennt­nis­se und Fähig­kei­ten ei­nes Mit­ar­bei­ters pro­por­tio­nal zur Dau­er der El­tern­zeit ab­neh­men. Darüber hin­aus müsse ei­ne ge­eig­ne­te Ver­tre­tung ge­fun­den wer­den. Auch müsse sich die Be­klag­te „mit der hier­aus re­sul­tie­ren­den Pla­nungs­un­si­cher­heit“ ab­fin­den.


Die­se abs­trak­ten Erwägun­gen müssen ge­genüber dem In­ter­es­se der Kläge­rin, im In­ter­es­se der Be­treu­ung ih­rer bei­den Klein­kin­der die El­tern­zeit für



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die Dau­er des Zeit­raums der Über­schnei­dung iSd. § 15 Abs. 2 Satz 4 BErzGG nicht ver­fal­len zu las­sen, zurück­tre­ten.

Die Be­klag­te konn­te nicht vor­tra­gen, wel­che kon­kre­ten ne­ga­ti­ven be­trieb­li­chen Aus­wir­kun­gen die Über­tra­gung der El­tern­zeit der Kläge­rin vor­aus-sicht­lich ha­ben wird. Sie macht nur pau­schal gel­tend, zwei ins­ge­samt sechs Jah­re dau­ern­de El­tern­zei­ten führ­ten ge­ne­rell zu be­trieb­li­chen Schwie­rig­kei­ten. Da­mit wen­det sie sich im Er­geb­nis ge­gen die ge­setz­li­che Re­ge­lung, wo­nach der An­spruch auf El­tern­zeit für je­des Kind bis zur Voll­endung des drit­ten Le­bens­jah­res be­steht, § 15 Abs. 2 Satz 1 BErzGG. Der Ge­setz­ge­ber geht dem­ge­genüber da­von aus, dass ei­ne An­ein­an­der­rei­hung von El­tern­zei­ten bei nach­ein­an­der fol­gen­den Ge­bur­ten hin­zu­neh­men ist. Ob im vor­lie­gen­den Ein­zel­fall über­haupt durch den in­fol­ge der Über­tra­gung ein­tre­ten­den Gleich­lauf mit ei­ner für die In­an­spruch­nah­me der El­tern­zeit op­ti­mal statt­fin­den­den Ge­bur­ten­fol­ge ei­ne Be­ein­träch­ti­gung der be­trieb­li­chen In­ter­es­sen ein­tritt, ist völlig un­ge­wiss. Prin­zi­pi­el­le Be­den­ken sind nicht aus­rei­chend.

IV. Nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB ist die Zu­stim­mung zur Über­tra­gung der El­tern­zeit für die Zeit vom 23. Ju­li 2009 bis 10. Mai 2010 zu er­tei­len. Die Un­ter­schrei­tung der ver­lang­ten Dau­er ist kein Ali­ud, son­dern nur ein Mi­nus.

1. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat an­ge­nom­men, die Dau­er des zu über­tra­gen­den Re­s­t­el­tern­zeit­an­teils er­rech­ne sich aus dem Zeit­raum vom 5. Au­gust 2006 bis 3. Ju­li 2007. Des­halb müsse die Be­klag­te die Zu­stim­mung zur Über­tra­gung des An­teils auf den Zeit­raum vom 23. Ju­li 2009 bis 20. Ju­ni 2010 erklären.


2. Das hält ei­ner re­vi­si­ons­recht­li­chen Prüfung nicht stand. 


a) Zu­tref­fend ist nur der Be­ginn des Über­tra­gungs­zeit­raums. Da er sich nach dem An­trag der Kläge­rin an das En­de der El­tern­zeit für den zweit-ge­bo­re­nen Sohn am 22. Ju­li 2009 an­sch­ließen soll, be­ginnt die zu über­tra­gen­de El­tern­zeit für die Toch­ter am 23. Ju­li 2009.
 


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b) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat al­ler­dings die Dau­er und da­mit das En­de der zu über­tra­gen­den El­tern­zeit falsch be­rech­net. Da die Kläge­rin erst mit Schrei­ben vom 16. Au­gust 2006 die vor­zei­ti­ge Be­en­di­gung der El­tern­zeit für ih­re Toch­ter und die Über­tra­gung der da­durch ent­ste­hen­den Re­s­t­el­tern­zeit ge­genüber der Be­klag­ten be­an­trag­te, er­rech­net sich die Dau­er der da­durch nicht ver­brauch­ten El­tern­zeit aus dem Zeit­raum be­gin­nend vier Wo­chen nach Zu­gang die­ses Schrei­bens bei der Be­klag­ten am 18. Au­gust 2006 bis zur Voll­endung des drit­ten Le­bens­jah­res der Toch­ter am 4. Ju­li 2007. Die vier Wo­chen verzögern den Be­ginn des Über­tra­gungs­zeit­raums, da­mit dem Ar­beit­ge­ber die Über­le­gungs­zeit gemäß § 16 Abs. 3 Satz 2 BErzGG ein­geräumt bleibt. Die über­tra­ge­ne El­tern­zeit für die Toch­ter en­det des­halb am 10. Mai 2010.


B. Die Kos­ten­ent­schei­dung be­ruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. 

 

Düwell 

Ver­merk: Ri am BAG Rei­ne­cke ist in­fol­ge des Er­rei­chens der Al­ters­gren­ze aus dem Rich­ter­dienst aus­ge­schie­den. Düwell

Krasshöfer

Fal­tyn 

Bros­sardt

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