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BAG, Ur­teil vom 15.11.2001, 2 AZR 605/00

   
Schlagworte: Fristlose Kündigung, Kündigung: Fristlos
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 2 AZR 605/00
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 15.11.2001
   
Leitsätze:

Der mehrfache Verstoß eines Angestellten im öffentlichen Dienst gegen das Verbot, ohne Zustimmung des Arbeitgebers Belohnungen oder Geschenke in Bezug auf seine dienstliche Tätigkeit anzunehmen (§ 10 BAT), ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darzustellen.


Einem tariflich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer kann fristlos nur gekündigt werden, wenn dem Arbeitgeber seine Weiterbeschäftigung nicht einmal bis zum Ablauf der "fiktiven Frist" zur ordentlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Köln, Urteil vom 4.11.1999 - 8 Ca 184/99
Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 7.7.2000 - 11 Sa 396/00
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

2 AZR 605/00
11 Sa 396/00
Lan­des­ar­beits­ge­richt

Köln

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am
15. No­vem­ber 2001

UR­TEIL

An­ded, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläger, Be­ru­fungskläger und Re­vi­si­onskläger,

pp.

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Zwei­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf Grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 15. No­vem­ber 2001 durch den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Bröhl als Vor­sit­zen­den, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Ey­lert und Be­p­ler, die eh­ren-amt­li­chen Rich­ter Dr. Bartz und Lenz für Recht er­kannt:


1. Auf die Re­vi­si­on des Klägers wird das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Köln vom 7. Ju­li 2000 - 11 Sa 396/00 - auf­ge­ho­ben.
 


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2. Die Sa­che wird zur an­der­wei­ten Ver­hand­lung und Ent­schei­dung, auch über die Kos­ten der Re­vi­si­on, an das Lan­des­ar­beits­ge­richt zurück­ver­wie­sen.


Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über die Wirk­sam­keit ei­ner außer­or­dent­li­chen, frist­lo­sen Ar­beit­ge­berkündi­gung ge­genüber ei­nem ta­rif­lich or­dent­lich unkünd­ba­ren An­ge­stell­ten.

Der 1941 ge­bo­re­ne Kläger ist seit 1968 bei der be­klag­ten Stadt beschäftigt. Zu­letzt er­hielt er als tech­ni­scher An­ge­stell­ter/bau­lei­ten­der Ar­chi­tekt nach Vergütungs-grup­pe III des auf das Ar­beits­verhält­nis an­wend­ba­ren Bun­des-An­ge­stell­ten­ta­rif­ver­tra­ges (BAT) ei­ne Mo­nats­vergütung von ca. 7.000,00 DM.

Von 1990 bis 1995 war der Kläger als Bau­lei­ter im Be­reich der Bau­un­ter­hal­tungs­ab­tei­lung des Hoch­bau­amts der Be­klag­ten ein­ge­setzt Ihm ob­lag die Durchführung von Bau­un­ter­hal­tungs­ar­bei­ten in ver­schie­de­nen Bau­ten, ua. der Kölner Phil­har­mo­nie. Sei­ne Auf­ga­ben um­faßten die Mas­sen- und Kos­te­nermitt­lung, das Er­stel­len von Leis­tungs­ver­zeich­nis­sen, das Prüfen und Aus­wer­ten von An­ge­bo­ten, die Ver­ga­be­vor­schläge, die ört­li­che Bau­lei­tung und Ab­nah­me von Fir­men­leis­tun­gen so­wie die Rech­nungs­prüfung. Lie­fe­ran­tin der Sch­ließan­la­ge, der Schlösser und Be­schläge im Gebäude der Phil­har­mo­nie war die Fir­ma H . Die­se wur­de vom Kläger im Rah­men sei­ner Zuständig­keit auch mit den in­so­weit an­fal­len­den War­tungs- und Re­pa­ra­tur­ar­bei­ten be­traut. Un­strei­tig hat der Kläger von 1986 bis 1994 von der Fir­ma H Geld­ge­schen­ke an­ge­nom­men, nämlich et­wa 10 x 100,00 DM in bar, die nach Dar­stel­lung des Klägers für die Kaf­fee­kas­se be­stimmt wa­ren und in zwei Fällen ver­steckt in Weih­nachtspräsen­ten über­ge­ben wur­den.

Nach der seit Ju­ni 1978 gülti­gen All­ge­mei­nen Dienst- und Geschäfts­an­wei­sung der Be­klag­ten (AGA) war das For­dern, Ver­spre­chen­las­sen oder An­neh­men von Be­loh­nun­gen, von Ge­schen­ken oder sons­ti­gen Vergüns­ti­gun­gen ir­gend­wel­cher Art in Be­zug auf das Dienst­verhält­nis un­ter­sagt. Dies galt un­abhängig von der Straf­bar­keit der Hand­lung. Aus­ge­nom­men wa­ren nur ge­ring­wer­ti­ge Auf­merk­sam­kei­ten. In der „Dienst­an­wei­sung zum Um­gang mit Zu­wen­dun­gen an Mit­ar­bei­ter und Mit­ar­bei­te­rin­nen
 


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im De­zer­nat IX" vom 4. Au­gust 1997 ist die Ober­gren­ze für ge­ring­wer­ti­ge Auf­merk­sam­kei­ten auf 25,00 DM fest­ge­setzt und ge­re­gelt wor­den, die An­nah­me von Bar­geld sei stets ver­bo­ten.

Im Ok­to­ber 1995 wech­sel­te der Kläger in den Be­reich der Gebäude­pla­nung, wo er wei­ter­hin mit Bau­lei­tungs­auf­ga­ben im Rah­men städti­scher Hoch­bau­pro­jek­te be­faßt war. Im Zu­sam­men­hang staats­an­walt­schaft­li­cher Er­mitt­lun­gen ge­gen Mit­ar­bei­ter des Hoch­bau­am­tes der Be­klag­ten kam es am 1. De­zem­ber 1998 auch ge­gen den Kläger zu ei­nem rich­ter­li­chen Durch­su­chungs­be­schluß we­gen Kor­rup­ti­ons­ver­dachts. Dies ver­an­laßte die Be­klag­te, fünf be­schul­dig­te Mit­ar­bei­ter, dar­un­ter den Kläger, am 9. De­zem­ber 1998 an­zuhören. Der Kläger gab die An­nah­me der Geld­ge­schen­ke und meh­re­re Es­sens­ein­la­dun­gen durch die Fir­ma H zu. Er mach­te le­dig­lich gel­tend, mit der An­nah­me der Gel­der sei­en kei­ne Rech­nungs­ma­ni­pu­la­tio­nen und kei­ne Be­vor­zu­gung der Fir­ma H ver­bun­den ge­we­sen. Der von der Be­klag­ten zu ih­rer Kündi­gungs­ab­sicht an­gehörte Per­so­nal­rat ver­wei­ger­te mit Schrei­ben vom 17. De­zem­ber 1998 sei­ne Zu­stim­mung zur Kündi­gung des Klägers. Dar­auf­hin kündig­te die Be­klag­te dem Kläger mit Schrei­ben vom 18. De­zem­ber 1998 frist­los.

Der Kläger hält die Kündi­gung für un­wirk­sam. Er hat gel­tend ge­macht, es sei sei­ner­zeit in der Dienst­stel­le üblich ge­we­sen, Geld­beträge in die­ser Größen­ord­nung an­zu­neh­men. Dies sei auch dem Amts­lei­ter be­kannt ge­we­sen. Er ha­be des­halb von ei­ner Bil­li­gung durch die Be­klag­te aus­ge­hen dürfen. Er ha­be kei­ne Auf­träge pflicht­wid­rig ver­ge­ben. Der Be­klag­ten sei durch sein Ver­hal­ten kein Scha­den ent­stan­den. Seit sei­nem Wech­sel in die Gebäude­pla­nung im Ok­to­ber 1995 ha­be er mit der Fir­ma H kei­nen Kon­takt mehr. Je­den­falls hätte der Kündi­gung ei­ne Ab­mah­nung vor­aus­ge­hen müssen.

Der Kläger hat be­an­tragt

fest­zu­stel­len, daß das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis durch die Kündi­gungs­erklärung der Be­klag­ten vom 18. De­zem­ber 1998 nicht be­en­det wird.

Die Be­klag­te hat zur Stützung ih­res Kla­ge­ab­wei­sungs­an­trags auf §§ 8, 10 BAT so­wie die AGA hin­ge­wie­sen.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Die Be­ru­fung des Klägers blieb er­folg­los. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt der Kläger sei­nen Kla­ge­an­trag wei­ter.

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Ent­schei­dungs­gründe


Die Re­vi­si­on ist be­gründet. Der Rechts­streit ist an das Lan­des­ar­beits­ge­richt zurück­zu­ver­wei­sen, da­mit ei­ne feh­ler­freie In­ter­es­sen­abwägung nach­ge­holt wer­den kann (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

I. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat - kurz zu­sam­men­ge­faßt - an­ge­nom­men, die mehr­fa­che An­nah­me von Geld­ge­schen­ken durch den Kläger sei an sich ge­eig­net, ei­nen wich­ti­gen Grund für ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung ab­zu­ge­ben. Ei­ne Ab­mah­nung sei nicht er­for­der­lich ge­we­sen. Auch die In­ter­es­sen­abwägung fal­le ge­gen den Kläger aus. Die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses mit dem zur Zeit der Kündi­gung 57-jähri­gen Kläger bis zur Er­rei­chung sei­ner Al­ters­gren­ze sei der Be­klag­ten un­zu­mut­bar ge­we­sen. Die ta­rif­li­che Unkünd­bar­keit des Klägers wir­ke sich hier ge­gen ihn aus.

II. Dem folgt der Se­nat zwar in wei­ten Tei­len der Be­gründung. Ob die frist­lo­se Kündi­gung der Be­klag­ten das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en be­en­det hat, steht aber erst fest, wenn das Lan­des­ar­beits­ge­richt die ihm ob­lie­gen­de ab­sch­ließen­de In­ter­es­sen­abwägung un­ter Berück­sich­ti­gung der neue­ren Se­nats­recht­spre­chung zum ta­rif­li­chen Aus­schluß der or­dent­li­chen Kündi­gung nach­ge­holt hat.

1. Die Prüfung, ob ein be­stimm­ter Sach­ver­halt die Vor­aus­set­zun­gen ei­nes wich­ti­gen Grun­des erfüllt, ist vor­ran­gig Sa­che des Tat­sa­chen­ge­richts. Es han­delt sich um die An­wen­dung ei­nes un­be­stimm­ten Rechts­be­griffs. Die­se kann vom Re­vi­si­ons­ge­richt nur dar­auf­hin über­prüft wer­den, ob das an­ge­foch­te­ne Ur­teil den Rechts­be­griff selbst ver­kannt hat, ob es bei der Un­ter­ord­nung des Sach­ver­halts un­ter die Rechts­norm des § 626 BGB Denk­ge­set­ze oder all­ge­mei­ne Er­fah­rungssätze ver­letzt hat und ob es al­le vernünf­ti­ger­wei­se in Be­tracht kom­men­den Umstände, die für oder ge­gen ei­ne außer-or­dent­li­che Kündi­gung spre­chen, be­ach­tet hat (st. Rspr., vgl. ua. BAG 4. Ju­ni 1997 - 2 AZR 526/96 - BA­GE 86, 95, 97 f. und 13. April 2000 - 2 AZR 259/99 - BA­GE 94, 228). Auch die­sem ein­ge­schränk­ten Prüfungs­maßstab hält das an­ge­foch­te­ne Ur­teil nicht in al­len Tei­len der Be­gründung stand.

2. Zu­tref­fend ist das Lan­des­ar­beits­ge­richt da­von aus­ge­gan­gen, daß ein mehr­fa­cher Ver­s­toß ei­nes An­ge­stell­ten im öffent­li­chen Dienst ge­gen das Ver­bot des § 10 BAT, oh­ne Zu­stim­mung des Ar­beit­ge­bers Be­loh­nun­gen oder Ge­schen­ke in be­zug auf sei­ne dienst­li­che Tätig­keit an­zu­neh­men, an sich ge­eig­net ist, ei­nen wich­ti­gen Grund
 


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zur außer­or­dent­li­chen Kündi­gung iSv. § 626 Abs. 1 BGB, § 54 Abs. 1 BAT dar­zu­stel­len. Schon nach § 8 Abs. 1 BAT hat sich der An­ge­stell­te so zu ver­hal­ten, wie es von An­gehöri­gen des öffent­li­chen Diens­tes er­war­tet wird. Von ei­nem bau­lei­ten­den Ar­chi­tek­ten in ei­nem städti­schen Hoch­bau­amt, der über die Ver­ga­be von Auf­trägen an Fremd­fir­men in er­heb­li­cher Höhe zu ent­schei­den hat, er­war­ten der Dienst­herr und die Öffent­lich­keit, daß auch der böse An­schein ver­mie­den wird, ein Be­ste­chungs­ver­such könn­te er­folg­reich sein. Wenn des­halb § 10 Abs. 1 BAT klar­stellt, daß der An­ge­stell­te des öffent­li­chen Diens­tes - je­den­falls oh­ne Zu­stim­mung des Ar­beit­ge­bers - in be­zug auf sei­ne dienst­li­che Tätig­keit kei­ner­lei Be­loh­nun­gen oder Ge­schen­ke an­neh­men darf, so han­delt es sich hier­bei um ei­ne we­sent­li­che Dienst­pflicht, die die sau­be­re und un­be­stech­li­che Diens­terfüllung gewähr­leis­ten soll. Die Bürger sol­len nicht ver­an­laßt wer­den, zusätz­li­che Leis­tun­gen für Diens­te auf­zu­brin­gen, auf die sie ei­nen Rechts­an­spruch ha­ben. Außer­dem sol­len Bürger, die sol­che zusätz­li­chen Leis­tun­gen nicht auf­brin­gen können oder wol­len, kei­nen Grund zu der Befürch­tung ha­ben, be­nach­tei­ligt zu wer­den. Bei­de Re­ge­lungs­zie­le las­sen sich nur er­rei­chen, wenn Be­loh­nun­gen und Ge­schen­ke je­der Art un­ter­blei­ben, so­weit es sich nicht nur um ge­ring­wer­ti­ge Auf­merk­sam­kei­ten han­delt (BAG 17. April 1984 - 3 AZR 97/82 - BA­GE 45, 325 ). Dem Lan­des­ar­beits­ge­richt ist dar­in zu fol­gen, daß es nicht dar­auf an­kommt, ob Be­loh­nun­gen oder Ge­schen­ke iSv. § 10 BAT ei­ne Amts­pflicht­ver­let­zung be­wir­ken oder ent­gel­ten sol­len. Die Kon­kur­renz­fir­ma, die da­von erfährt, daß der­je­ni­ge ei­nen Auf­trag der Stadt er­hal­ten hat, der dem städti­schen An­ge­stell­ten zu­vor Geld­ge­schen­ke zu­ge­wen­det hat, wird es kaum über­zeu­gen, wenn der be­tref­fen­de An­ge­stell­te nachträglich gel­tend macht, die Aus­wah­l­ent­schei­dung zwi­schen den ver­schie­de­nen An­bie­tern sei nach sach­li­chen Ge­sichts­punk­ten rich­tig ge­trof­fen wor­den. Oh­ne ein en­er­gi­sches Ein­schrei­ten der Behörde wird die Öffent­lich­keit beim Be­kannt­wer­den sol­cher Ver­let­zun­gen des § 10 BAT leicht ge­neigt sein an­zu­neh­men, öffent­li­che Auf­träge sei­en am ehes­ten zu ak­qui­rie­ren, nach­dem der An­ge­stell­te, der über die Ver­ga­be zu ent­schei­den hat, durch ent­spre­chen­de Geld­ge­schen­ke zum wohl­wol­len­den Ge­brauch sei­nes Er­mes­sens ver­an­laßt wor­den sei.

3. Mit dem Lan­des­ar­beits­ge­richt sind die Ver­feh­lun­gen des Klägers als schwer­wie­gend an­zu­se­hen. Geld­ge­schen­ke, erst recht in ei­ner Größen­ord­nung von 100,00 DM pro Fall, können auch bei großzügigs­ter Aus­le­gung nicht mehr als bloße Auf­merk­sam­kei­ten eher sym­bo­li­scher Na­tur (zB. Ka­len­der zur Weih­nachts­zeit etc.) ge­wer­tet wer­den, die der öffent­li­che Ar­beit­ge­ber re­gelmäßig to­le­rie­ren wird. Auch der Kläger hat dies of­fen­bar so ge­se­hen, wenn er bei sei­ner Anhörung an­ge­ge­ben hat, die

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Geld­ge­schen­ke ha­be er erst „nach anfäng­li­cher Ab­leh­nung" an­ge­nom­men. Ge­gen den Kläger spricht ent­schei­dend, daß es sich nicht nur um ei­nen ein­ma­li­gen Vor­fall ge­han­delt hat, son­dern er sein pflicht­wid­ri­ges Ver­hal­ten über Jah­re fort­ge­setzt hat, bis er schließlich in ei­ne an­de­re Ab­tei­lung ver­setzt wor­den ist. Was der Kläger mit dem pflicht­wid­rig er­wor­be­nen Geld ge­macht hat, ist nicht ent­schei­dend, da die Pflicht­wid­rig­keit schon in dem Er­werb des Gel­des liegt. Es kommt des­halb nicht dar­auf an, ob der Kläger das Geld für sich ver­wandt oder ei­ner „Kaf­fee­kas­se" zu­geführt hat (vgl. BAG 10. Fe­bru­ar 1999 - 2 ABR 31/98 - BA­GE 91, 30). So­weit der Kläger schließlich in den Vor­in­stan­zen gel­tend ge­macht hat, die Be­klag­te ha­be durch wi­dersprüchli­che Re­ge­lun­gen ei­ne un­kla­re Rechts­la­ge ge­schaf­fen, ist dies nicht nach­voll­zieh­bar. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt weist zu­tref­fend dar­auf hin, daß die Dienst­an­wei­sung vom 4. Au­gust 1997 den Kläger nicht ver­un­si­chert ha­ben kann, weil sie erst nach dem letz­ten Geld­ge­schenk in Kraft ge­tre­ten ist. Zur Zeit der Pflicht­ver­let­zun­gen des Klägers galt die AGA, die mit der kla­ren Re­ge­lung des § 10 Abs. 1 BAT übe­rein­stimmt, wo­nach Geld­ge­schen­ke, erst Recht in der frag­li­chen Größen­ord­nung, in be­zug auf die dienst­li­che Tätig­keit nur mit Zu­stim­mung der be­klag­ten Stadt an­ge­nom­men wer­den durf­ten.

4. Die Re­vi­si­on rügt auch zu Un­recht, die Be­klag­te ha­be ge­gen den Verhält­nismäßig­keits­grund­satz ver­s­toßen, in­dem sie an­ge­sichts der Pflicht­ver­let­zun­gen des Klägers oh­ne Ab­mah­nung so­fort zum äußers­ten Mit­tel der außer­or­dent­li­chen Kündi­gung ge­grif­fen ha­be. Die Prüfung, ob nach dem Grund­satz der Verhält­nismäßig­keit vor Aus­spruch der Kündi­gung ei­ne Ab­mah­nung er­for­der­lich ist, ist weit­ge­hend Auf­ga­be der Tat­sa­chen­in­stan­zen und un­ter­liegt nur ei­ner ein­ge­schränk­ten re­vi­si­ons­recht­li­chen Prüfung. Die­sem ein­ge­schränk­ten Prüfungs­maßstab hält das an­ge­foch­te­ne Ur­teil je­den­falls stand. Zwar ist auch bei Störun­gen im Ver­trau­ens­be­reich das Ab­mah­nungs­er­for­der­nis stets zu prüfen. Ei­ne Ab­mah­nung ist vor Aus­spruch der Kündi­gung er­for­der­lich, wenn es um ein steu­er­ba­res Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers geht und ei­ne Wie­der­her­stel­lung des Ver­trau­ens er­war­tet wer­den kann. bei ei­ner Kündi­gung aus ver­hal­tens­be­ding­ten Gründen ist ei­ne Ab­mah­nung dann ent­behr­lich, wenn es um schwe­re Pflicht­ver­let­zun­gen geht, de­ren Rechts­wid­rig­keit dem Ar­beit­neh­mer oh­ne wei­te­res er­kenn­bar ist und bei de­nen ei­ne Hin­nah­me des Ver­hal­tens durch den Ar­beit­ge­ber of­fen­sicht­lich aus­ge­schlos­sen ist (BAG 10. Fe­bru­ar 1999 - 2 ABR 31/98 - BA­GE 91, 30 mwN). Es ist re­vi­si­ons­recht­lich nicht zu be­an­stan­den, daß das Lan­des­ar­beits­ge­richt im Fall des Klägers ei­ne Ab­mah­nung für ent­behr­lich ge­hal­ten hat. Es hat in die­sem Zu­sam­men­hang zu­tref­fend auf die Schwe­re des Pflicht­ver­s­toßes des Klägers und dar­auf ab­ge­stellt, daß dem Kläger die Rechts­wid­rig­keit sei­nes Han­delns nach sei­nen Erklä-
 


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run­gen bei der Anhörung durch die Be­klag­te be­kannt war. Auch ei­ne Wie­der­her­stel­lung des Ver­trau­ens in sei­ne Red­lich­keit sei nicht zu er­war­ten, da sich die An­nah­me der Ge­schen­ke in der Ver­gan­gen­heit im Ver­bor­ge­nen voll­zo­gen ha­be und für künf­ti­ge Wie­der­ho­lungsfälle mit ei­ner heim­li­chen Vor­ge­hens­wei­se ge­rech­net wer­den müsse.

Die in die­sem Zu­sam­men­hang von der Re­vi­si­on er­ho­be­ne Rüge, das Lan­des­ar­beits­ge­richt hätte dem Sach­vor­trag des Klägers nach­ge­hen müssen, na­he­zu al­le in der Dienst­stel­le beschäftig­ten Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter hätten sol­che Ge­schen­ke und Geld­beträge er­hal­ten, geht fehl. Das ent­spre­chen­de, von der Be­klag­ten be­strit­te­ne Vor­brin­gen des Klägers ist vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu Recht als der­art un­sub­stan­ti­iert an­ge­se­hen wor­den, daß die Ver­neh­mung von Zeu­gen, die ent­spre­chen­de Vorgänge oh­ne­hin ih­rer Stel­lung nach nur vom Hören­sa­gen ken­nen können, ei­nen un­zulässi­gen Aus­for­schungs­be­weis dar­ge­stellt hätte. Der ein­zi­ge kon­kre­te­re Sach­vor­trag des Klägers, ei­nem an­de­ren An­ge­stell­ten des Bau­am­tes sei we­gen gleich­ar­ti­ger Pflicht­ver­let­zun­gen gekündigt wor­den, ent­las­tet den Kläger ge­ra­de nicht.

5. Bei der In­ter­es­sen­abwägung hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt im An­satz zu­tref­fend al­le für und ge­gen die Kündi­gung spre­chen­den Umstände ge­gen­ein­an­der ab­ge­wo­gen und da­bei ins­be­son­de­re ge­genüber dem ho­hen so­zia­len Be­sitz­stand des Klägers auf die Be­deu­tung der von § 10 BAT geschütz­ten Rechtsgüter, die Schwe­re der wie­der­hol­ten und über lan­ge Zeit fort­ge­setz­ten Verstöße, die Ver­ant­wor­tung der Be­klag­ten für ei­ne in­tak­te Ver­wal­tung so­wie die Pu­bli­zität der Vorfälle und die da­mit ein-her­ge­hen­de Ruf­gefähr­dung der Be­klag­ten ab­ge­stellt. Es fehlt je­doch, wie der Kläger schon ge­genüber dem erst­in­stanz­li­chen Ur­teil gerügt hat, die Prüfung, ob als mil­de­res Mit­tel ge­genüber ei­ner außer­or­dent­li­chen frist­lo­sen Kündi­gung ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung mit Aus­lauf­frist in Be­tracht kam. Die­se Prüfung war ins­be­son­de­re des­halb er­for­der­lich, weil das Lan­des­ar­beits­ge­richt bei der von ihm vor­ge­nom­me­nen In­ter­es­sen­abwägung aus­drück­lich auf ei­nen von ei­ner an­de­ren Kam­mer ent­schie­de­nen Par­al­lel­fall ei­nes or­dent­lich künd­ba­ren Ar­beit­neh­mers hin­ge­wie­sen hat. Des­sen Fest­stel­lungs­kla­ge ge­gen ei­ne frist­lo­se Kündi­gung war er­folg­reich. Im vor­lie­gen­den Fall hin­ge-gen hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt aus­drück­lich dar­auf ab­ge­stellt, we­gen der ta­rif­li­chen Unkünd­bar­keit des Klägers un­ter­schei­de sich der vor­lie­gen­de Fall von dem Aus­gangs­sach­ver­halt der Par­al­lel­ent­schei­dung. Beim Kläger wir­ke sich des­sen ta­rif­li­cher Schutz ge­gen or­dent­li­che Kündi­gun­gen zu sei­nen Un­guns­ten aus.

a) Es trifft zwar zu, daß sich der be­son­de­re ta­rif­li­che Schutz ge­gen or­dent­li­che Kündi­gun­gen im Ein­zel­fall bei der Prüfung, ob ein wich­ti­ger Grund zur außer­or­dent­li-
 


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chen Kündi­gung vor­liegt, auch zu Las­ten des be­tref­fen­den Ar­beit­neh­mers aus­wir­ken kann. Liegt et­wa ein be­triebs­be­ding­ter Kündi­gungs­grund (zB Be­triebs­stil­le­gung) vor, der bei ei­nem or­dent­lich künd­ba­ren Ar­beit­neh­mer nur ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung recht­fer­ti­gen würde, so kann ge­ra­de die lan­ge Bin­dungs­dau­er durch die ta­rif­li­cheUnkünd­bar­keit" da­zu führen, daß die Wei­ter­beschäfti­gung des be­tref­fen­den Ar­beit­neh­mers (ge­ge­be­nen­falls bis zum Pen­si­ons­al­ter) dem Ar­beit­ge­ber un­zu­mut­bar und ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung nach § 626 Abs. 1 BGB des­halb ge­recht­fer­tigt ist. Nichts an­de­res gilt bei ei­ner ver­hal­tens­be­ding­ten Kündi­gung, wenn ei­nem ver­gleich­ba­ren Ar­beit­neh­mer oh­ne ge­stei­ger­ten Kündi­gungs­schutz bei ver­gleich­ba­rem Kündi­gungs­sach-ver­halt zwar nicht nach § 626 BGB außer­or­dent­lich, je­doch frist­ge­recht gekündigt wer-den könn­te. Die lan­ge Bin­dungs­dau­er auf­grund der ta­rif­li­chenUnkünd­bar­keit" kann dann da­zu führen, daß ein wich­ti­ger Grund zur außer­or­dent­li­chen Kündi­gung des be­tref­fen­den Ar­beit­neh­mers nach § 626 Abs. 1 BGB an­zu­neh­men ist (BAG 13. April 2000 - 2 AZR 259/99 - BA­GE 94, 228).

b) Kann sich da­nach bei der Prüfung der Fra­ge, ob ein wich­ti­ger Grund zur außer­or­dent­li­chen Kündi­gung vor­liegt, die ta­rif­li­che Unkünd­bar­keit auch zu Las­ten des Ar­beit­neh­mers aus­wir­ken, so ist je­doch auf der Rechts­fol­gen­sei­te zur Ver­mei­dung ei­nes Wer­tungs­wi­der­spruchs dem ta­rif­lich be­son­ders geschütz­ten Ar­beit­neh­mer, wenn bei un­ter­stell­ter Künd­bar­keit nur ei­ne frist­ge­rech­te Kündi­gung zulässig wäre, ei­ne der fik­ti­ven or­dent­li­chen Kündi­gungs­frist ent­spre­chen­de Aus­lauf­frist ein­zuräum­en (Se­nat 11. März 1999 - 2 AZR 427/98 - AP BGB § 626 Nr. 150 = EzA BGB § 626 nF Nr. 177). Ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung oh­ne Gewährung ei­ner der­ar­ti­gen Aus­lauf­frist ist nur dann ge­recht­fer­tigt, wenn es dem Ar­beit­ge­ber nicht ein­mal zu­mut­bar ist, den ta­rif­lich unkünd­ba­ren Ar­beit­neh­mer auch nur bis zum Ab­lauf der „fik­ti­ven" Frist zur or­dent­li­chen Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses wei­ter­zu­beschäfti­gen. Da Prüfungs­maßstab hier der­je­ni­ge bei ver­gleich­ba­ren or­dent­lich künd­ba­ren Ar­beit­neh­mern ist, ist es nicht ge­recht­fer­tigt, für die Be­ja­hung der Zulässig­keit ei­ner frist­lo­sen oder vor Ab­lauf der fik­ti­ven or­dent­li­chen Kündi­gungs­frist wirk­sam wer­den­den Kündi­gung noch­mals zu Las­ten des Ar­beit­neh­mers sei­ne ta­rif­li­che Unkünd­bar­keit zu berück­sich­ti­gen (BAG 13. April 2000 aaO; vgl. 18. Ok­to­ber 2000 - 2 AZR 627/99 - AP BGB § 626 Nr. 9 = EzA BGB § 626 Krank­heit Nr. 3, auch zur Veröffent­li­chung in der Amt­li­chen Samm­lung vor­ge­se­hen).

c) Dem hält das Lan­des­ar­beits­ge­richt zu Un­recht ent­ge­gen, die auf dem ta­rif­li­chen Aus­schluß der or­dent­li­chen Kündi­gung be­ru­hen­de länge­re Ver­weil­dau­er im Be-

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trieb sei qua­li­ta­tiv kein an­de­res Phäno­men als ei­ne lan­ge ta­rif­li­che Kündi­gungs­frist, die sich im Rah­men der In­ter­es­sen­abwägung auch zu Las­ten ei­nes Ar­beit­neh­mers aus­wir­ken könne. § 626 BGB, hier gleich­lau­tend § 54 Abs. 1 BAT, stellt aus­drück­lich auf den „Ab­lauf der Kündi­gungs­frist" bzw. die „ver­ein­bar­te Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses", al­so im Re­gel­fall über­schau­ba­re Zeiträume ab. Wen­det man die­se Vor­schrif­ten auf Fälle an, in de­nen die or­dent­li­che Kündi­gung ta­rif­lich aus­ge­schlos­sen ist, al­so we­der ei­ne ta­rif­li­che Kündi­gungs­frist gilt, noch die Par­tei­en ei­nen fes­ten Ter­min für die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ver­ein­bart ha­ben, und stellt un­ein­ge­schränkt auf den Prüfungs­maßstab ab, ob dem Ar­beit­ge­ber die Wei­ter­beschäfti­gung des be­tref­fen-den Ar­beit­neh­mers ggf. über vie­le Jah­re hin­weg bis zu sei­ner Pen­sio­nie­rung zu­mut­bar ist, so würde al­lein die ta­rif­li­che Ar­beit­neh­mer­schutz­be­stim­mung zu ei­ner evi­den­ten Be­nach­tei­li­gung des be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mers führen. Ihm könn­te dann auf Grund sei­nes be­son­de­ren ta­rif­li­chen Schut­zes leich­ter als ver­gleich­ba­ren Ar­beit­neh­mern oh­ne die­sen Schutz gekündigt wer­den. Die­ser Wer­tungs­wi­der­spruch wird durch die Prüfung ver­mie­den, ob als mil­de­res Mit­tel ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung mit Aus­lauf­frist in Be­tracht kommt.

6. Die un­ter­las­se­ne Prüfung der Möglich­keit ei­ner außer­or­dent­li­chen Kündi­gung mit Aus­lauf­frist führt zur Zurück­ver­wei­sung (§ 565 Abs. 1 ZPO). Es spricht zwar nach den Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts vie­les dafür, daß die Pflicht­ver­let­zun­gen des Klägers so schwer wie­gen, daß auch ei­nem ver­gleich­ba­ren, mit der Höchst­frist des § 53 Abs. 2 BAT or­dent­lich künd­ba­ren An­ge­stell­ten auf­grund der­ar­ti­ger Pflicht­ver­let­zun­gen frist­los gekündigt wer­den müßte. Die ent­spre­chen­de Prüfung ob­liegt je­doch der Tat­sa­chen­in­stanz, der da­bei ein Be­ur­tei­lungs­spiel­raum zu­kommt, in den der Se­nat nicht ein­grei­fen möch­te. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt wird zu be­ach­ten ha­ben, daß nach der Se­nats­recht­spre­chung die Um­deu­tung in ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung mit not­wen­di­ger Aus­lauf­frist vor­aus­setzt, daß ein Mit­be­stim­mungs­ver­fah­ren nach den für
 


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or­dent­li­che Kündi­gun­gen gel­ten­den Vor­schrif­ten durch­geführt wor­den ist (BAG 5. Fe­bru­ar 1998 - 2 AZR 227/97 - BA­GE 88, 10, 22), was hier of­fen­bar nicht ge­sche­hen ist.


Bröhl 

Ey­lert 

Be­p­ler

Lenz 

Bartz

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