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LAG Köln, Ur­teil vom 08.09.2015, 12 Sa 682/15

   
Schlagworte: Außerordentliche Kündigung, Krankheitsbedingte Kündigung, Unkündbarkeit
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Aktenzeichen: 12 Sa 682/15
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 08.09.2015
   
Leitsätze:

1. Auch vom Arbeitnehmer nicht zu vertretende Umstände in seiner Person können geeignet sein, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Ein wichtiger Grund kann vorliegen, wenn der Arbeitnehmer auf Grund von Umständen, die in seiner Sphäre liegen, zu der nach dem Vertrag vorausgesetzten Arbeitsleistung auf unabsehbare Dauer nicht mehr in der Lage ist.

2. Gegen eine Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses kann die relativ kurze Dauer der Arbeitsunfähigkeit zwischen dem Beginn der Erkrankung und dem Aussprich der Kündigung sowie die geringe Höhe der in dieser Zeit geleisteten Entgeltfortzahlung sprechen.

3. In der Interessenabwägung sind vom Arbeitnehmer angebotene Maßnahmen - die nach § 84 Abs. 2 SGB IX zu beachten gewesen wären - zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zu beachten.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Köln, 1 Ca 3079/14
   

Te­nor:

1. Die Be­ru­fung der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Köln vom 15. De­zem­ber 2014 - 1 Ca 3079/14 - wird zurück­ge­wie­sen.
2. Die Be­klag­te hat die Kos­ten der Be­ru­fung zu tra­gen.
3. Die Re­vi­si­on wird nicht zu­ge­las­sen

 

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über die Wirk­sam­keit ei­ner außer­or­dent­li­chen Kündi­gung we­gen Er­kran­kung der ta­rif­lich unkünd­ba­ren Kläge­rin.

Die Kläge­rin - Jahr­gang 1959 - ist seit 1996 bei der Be­klag­ten als Brief­zu­stel­le­rin mit ei­nem Mo­nats­brut­to­lohn von 3.200,00 Eu­ro beschäftigt. Die Be­klag­te ist ein bun­des­weit täti­ges Dienst­lei­tungs­un­ter­neh­men mit dem Schwer­punkt Zu­stel­lung von Pa­ket- und Brief­sen­dun­gen. Die Kläge­rin war in der Ver­gan­gen­heit auch als Ver­teil­kraft, im Fahr­dienst und zu­letzt in der Zu­stel­lung tätig. Auf das Ar­beits­verhält­nis fin­det der Man­tel­ta­rif­ver­trag für die Ar­beit­neh­mer der D P AG (MTV) An­wen­dung. Er enthält in § 34 MTV ei­nen be­son­de­ren Kündi­gungs­schutz für älte­re Ar­beit­neh­mer, die nach der Voll­endung des 50. Le­bens­jah­res ei­ne Post­dienst­zeit von 15 Jah­ren voll­endet ha­ben. Sie können nach § 34 Abs. 2 MTV nur aus wich­ti­gem Grund gekündigt wer­den.

Am 20. Au­gust 2012 er­krank­te die Kläge­rin mit der Fol­ge der Ar­beits­unfähig­keit. Am 9. Ok­to­ber 2012 wur­de sie am lin­ken Zeh ope­riert. In ei­nem Per­so­nal­gespräch im No­vem­ber 2012 teil­te sie mit, wei­te­re ope­ra­ti­ve Ein­grif­fe sei­en er­for­der­lich. Ein sol­cher Ein­griff er­folg­te im Ja­nu­ar 2013.

Bei be­triebsärzt­li­chen Un­ter­su­chun­gen im März und Ju­ni 2013 wur­de fest­ge­stellt, dass die Kläge­rin nicht aus­rei­chend be­last­bar sei. In ei­nem Per­so­nal­gespräch am 26. Au­gust 2013 konn­te die Kläge­rin kei­ne An­ga­be über die Wie­der­her­stel­lung ih­res Ge­sund­heits­zu­stands ma­chen.

Bei ei­ner wei­te­ren be­triebsärzt­li­chen Un­ter­su­chung am 27. No­vem­ber 2013 stell­te der Be­triebs­arzt fest, dass ge­gen den Ein­satz der Kläge­rin in der Brief­zu­stel­lung oder ähn­li­che Tätig­kei­ten im Kern­be­reich des ein­fa­chen Diens­tes dau­ern­de ge­sund­heit­li­che Be­den­ken bestünden.

Die Kläge­rin stimm­te am 4. Ja­nu­ar 2014 der Durchführung des be­trieb­li­chen Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ments zu. In dem Ein­glie­de­rungs­gespräch am 10. Ja­nu­ar 2014 schil­der­te sie ih­ren Ge­sund­heits­zu­stand. Un­ter Be­zug­nah­me auf das Er­geb­nis der be­triebsärzt­li­chen Un­ter­su­chung teil­te ihr der Ab­tei­lungs­lei­ter Per­so­nal mit, dass kei­ne al­ter­na­ti­ven lei­dens­ge­rech­ten Beschäfti­gungsmöglich­kei­ten bestünden. Dann wur­de ei­ne ein­ver­nehm­li­che Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses be­spro­chen.

Am 14. Fe­bru­ar 2014 - nach dem En­de des Krank­geld­be­zugs­zeit­raums - leg­te die Kläge­rin ei­ne Erklärung ih­res be­han­deln­den Arz­tes vor, der Maßnah­men zur Wie­der­ein­glie­de­rung in das Er­werbs­le­ben vor­schlug. Täglich könne sie fünf St­un­den mit leich­ter Tätig­keit ar­bei­ten.

Un­ter dem 14. März 2014 hörte die Be­klag­te ih­ren Be­triebs­rat zur außer­or­dent­li­chen Kündi­gung der Kläge­rin mit so­zia­ler Aus­lauf­frist an. Dar­in schil­der­te sie die Krank­heits­ge­schich­te und die be­triebsärzt­li­chen Un­ter­su­chun­gen. Im Schrei­ben vom 19. März 2014 teil­te der Be­triebs­rat mit, dass er der außer­or­dent­li­chen Kündi­gung nicht zu­stim­me. Da­bei be­zog er sich auf die Be­reit­schaft der Kläge­rin, ei­nen Ar­beits­ver­such im Rah­men ei­ner Wie­der­ein­glie­de­rung zu un­ter­neh­men. Am 27. März 2014 sprach die Be­klag­te die außer­or­dent­li­che Kündi­gung mit so­zia­ler Aus­lauf­frist aus.

Mit der recht­zei­tig er­ho­be­nen Kla­ge wen­det sich die Kläge­rin ge­gen die Kündi­gung. Sie hat be­haup­tet, in dem Gespräch am 10. Ja­nu­ar 2014 sei­en kei­ne mögli­chen Ak­ti­vitäten zu ei­ner Ver­bes­se­rung des Ge­sund­heits­zu­stands erörtert wor­den. Sie ha­be mehr­fach dar­auf hin­ge­wie­sen dass sie ggf. ih­re al­te Tätig­keit nicht mehr in vol­lem Um­fang wie­der auf­neh­men könne, aber be­reit sei, die der Be­klag­ten zur Verfügung ste­hen­den an­de­ren Ar­beits­be­rei­che - auch in Voll­zeit - ab­zu­de­cken. In ei­nem Schrei­ben vom 12. Fe­bru­ar 2014 ha­be sie der Be­klag­ten mit­ge­teilt, ab dem 18. Fe­bru­ar 2014 wie­der in der La­ge zu sein, ih­ren ar­beits­ver­trag­li­chen Ver­pflich­tun­gen nach­zu­kom­men.

Die Kläge­rin hat be­an­tragt 

fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en durch die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 27. März 2014 nicht auf­gelöst wor­den ist.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt, 

die Kla­ge ab­zu­wei­sen. 

Die Be­klag­te hat be­haup­tet, lei­dens­ge­rech­te Beschäfti­gungsmöglich­kei­ten der Kläge­rin auf an­de­ren Ar­beitsplätzen im Nie­der­las­sungs­be­reich ge­prüft zu ha­ben. Ei­ne Tätig­keit in der Brief­sor­tie­rung schei­de aus, da auch hier Behälter mit ei­nem Ge­wicht von bis zu 25 kg zu he­ben und zu tra­gen sei­en. Die Lauf­leis­tung be­tra­ge über vier km. Auch bei den be­nach­bar­ten Nie­der­las­sun­gen in D , B und Du ha­be kein lei­dens­ge­rech­ter Ar­beits­platz ge­fun­den wer­den können. In dem Gespräch am 10. Ja­nu­ar 2014 sei­en der Ge­sund­heits­zu­stand der Kläge­rin und mögli­che Ak­ti­vitäten zu sei­ner Ver­bes­se­rung be­spro­chen wor­den. Der Kläge­rin sei eröff­net wor­den, dass Ein­satzmöglich­kei­ten für sie nicht bestünden. Das Ar­beits­verhält­nis stel­le sich für die Be­klag­te als sinn­ent­leert dar, da sie da­von aus­ge­hen müsse, ihr Wei­sungs­recht nicht mehr ausüben zu können. Sie ha­be kei­ne Tätig­kei­ten im Be­reich des Fahr­diens­tes oder der Ver­tei­lung zu­wei­sen können. Die­se Tätig­keit ha­be ei­ne Grup­pe un­ter der Ent­gelt­grup­pe der Kläge­rin ge­le­gen. Ei­ne Tätig­keit im Ser­vice- und Adress­ma­nage­ment (SAM) sei zwar annähernd lei­dens­ge­recht, al­le dort vor­han­de­nen Ar­beits­stel­len sei­en je­doch durch schwer­be­hin­der­te oder min­des­tens gleich stark ein­ge­schränk­te, gleich­ge­stell­te Mit­ar­bei­ter be­setzt. Die Wie­der­ein­glie­de­rung ha­be sie nicht durchführen müssen, da die vor­ge­schla­ge­nen leich­ten Tätig­kei­ten nicht zur Verfügung ge­stan­den hätten.

Das Ar­beits­ge­richt hat der Kla­ge durch Ur­teil, das am 15. De­zem­ber 2014 verkündet wor­den ist, statt­ge­ge­ben. Im Ur­teil ist das Vor­brin­gen der Par­tei­en nicht wie­der­ge­ge­ben. Das Ar­beits­ge­richt hat die außer­or­dent­li­che Kündi­gung für un­wirk­sam an­ge­se­hen. Die Be­klag­te ha­be sich nicht aus­rei­chend um Wei­ter­beschäfti­gungsmöglich­kei­ten bemüht. Im Übri­gen wird auf das Ur­teil Be­zug ge­nom­men.

Das Ur­teil ist der Be­klag­ten am 20. Ja­nu­ar 2015 zu­ge­stellt wor­den. Hier­ge­gen rich­tet sich die Be­ru­fung der Be­klag­ten. Die Be­ru­fungs­schrift der Be­klag­ten ist am 4. Fe­bru­ar 2015, die Be­ru­fungs­be­gründung nach Verlänge­rung der Be­gründungs­frist am 20. April 2015 beim Lan­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­gen.

Die Be­klag­te macht gel­tend, die Kläge­rin sei in der Zu­stel­lung nicht mehr ein­setz­bar, da häufig bis zu zehn kg ge­ho­ben und ge­tra­gen wer­den müss­ten. Für ei­ne Tätig­keit im Fahr­dienst sei die Kläge­rin nicht ge­eig­net. Die Fahr­ten zur Kas­ten­ent­lee­rung sei­en fremd­ver­ge­ben; es bestünden kei­ne frei­en Ar­beitsplätze. Die Kläge­rin verfüge auch nicht über die rich­ti­ge Führer­schein­klas­se, um dort ein­ge­setzt zu wer­den. Man benöti­ge ei­nen LKW-Führer­schein der Klas­se CE. Im Fahr­dienst sei kei­ne Stel­le frei. Auf­grund der Ar­beits­unfähig­keit der Kläge­rin sei­en seit dem 20. Au­gust 2012 bis zum Ab­lauf der Aus­lauf­frist Ent­gelt­fort­zah­lungs­kos­ten iHv. 7.693,42 Eu­ro ent­stan­den. Die dau­er­haf­te Ar­beits­unfähig­keit führe zu Störun­gen im Be­triebs­ab­lauf. Die Ein­stel­lung ei­ner Er­satz­kraft sei nicht möglich, da es sich bei dem Ar­beits­platz der Kläge­rin um ei­ne Plan­stel­le han­de­le. Die ei­gent­lich von der Kläge­rin zu bewälti­gen­de Ar­beit müsse auf die übri­gen Mit­ar­bei­ter auf­ge­teilt wer­den, ins­ge­samt 806 Haus­hal­te. Auch bei der Ur­laubs­pla­nung kom­me es zu Schwie­rig­kei­ten, ins­be­son­de­re während der Schul­fe­ri­en.

Die Be­klag­te be­an­tragt, 

das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Köln vom 15. De­zem­ber 2014 - 1 Ca 3079/14 20 - ab­zuändern und die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Die Kläge­rin be­an­tragt, 

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen. 

Die Kläge­rin trägt vor, sie sei in der La­ge, ei­ne an­de­re als die ver­trag­lich ge­schul­de­te Tätig­keit aus­zuüben. Be­reits im Au­gust 2013 ha­be sie dar­auf hin­ge­wie­sen, im Fahr­dienst für ge­werb­li­che Kun­den ein­setz­bar zu sein. Sie sei über­dies in der La­ge, an­de­re lei­dens­ge­rech­te Tätig­kei­ten bei der Be­klag­ten aus­zuüben. Sie könne auch als Post­fach­sor­tie­re­rin ein­ge­setzt wer­den. Es sei nicht nach­voll­zieh­bar, aus wel­chen Gründen die Ein­stel­lung ei­ner Er­satz­kraft nicht möglich sei.

Im Übri­gen wird auf die zwi­schen den Par­tei­en ge­wech­sel­ten Schriftsätze wie auch auf das Sit­zungs­pro­to­koll Be­zug ge­nom­men.

Ent­schei­dungs­gründe

Die Be­ru­fung ist zulässig, aber un­be­gründet. 

A. Die statt­haf­te Be­ru­fung ist zulässig. Sie ist frist- und form­ge­recht ein­ge­legt und be­gründet, § 66 Abs. 1 Satz 1, 2, § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG iVm. § 519, § 520 Abs. 1, Abs. 3 ZPO.

Sie ist ins­be­son­de­re statt­haft. Es han­delt sich vor­lie­gend nicht um ein mgl. der Be­ru­fung ent­zo­ge­nes Ur­teil oh­ne Gründe, auch wenn das Ur­teil den Vor­trag der Par­tei­en nicht wie­der­gibt. Denn auch ein Nich­tur­teil könn­te im We­ge der Be­ru­fung we­gen des An­scheins ei­nes Ur­teils an­ge­grif­fen wer­den. Selbst das verkünde­te, nicht mit Gründen zu­ge­stell­te Ur­teil un­ter­liegt der Be­ru­fung. Ei­ne Zurück­ver­wei­sung schei­det da­her aus, § 68 ArbGG (vgl. BAG 1. Ok­to­ber 2003 - 1 ABN 62/01 - BA­GE 108, 55; 24. April 1996 - 5 AZN970/95 - ).

B. Die Be­ru­fung der Be­klag­ten ist nicht be­gründet. Das Ar­beits­ge­richt hat der Kla­ge zu Recht statt­ge­ge­ben. Die Kündi­gungs­schutz­kla­ge ist be­gründet.

I. Die Kläge­rin ist or­dent­lich unkünd­bar, § 34 Abs. 2 MTV. Sie ist älter als 50 Jah­re und länger als 15 Jah­re beschäftigt. Das Ar­beits­verhält­nis konn­te da­her nur nach § 34 Abs. 2 MTV iVm. § 626 Abs. 1 BGB gekündigt wer­den. Ob darüber hin­aus aus § 36 Abs. 1 MTV ein Ver­bot der außer­or­dent­li­chen Kündi­gung we­gen an­hal­ten­der Krank­heit folgt, war nicht zu prüfen, da sich die Kläge­rin nicht iSd. § 6 Satz 1 KSchG auf die­sen Un­wirk­sam­keits­grund - nach­dem sie ent­spre­chend von der Kam­mer be­lehrt wor­den war - be­ru­fen hat (vgl. hier­zu BAG 8. No­vem­ber 2007 - 2 AZR 314/06 - Rn. 11, BA­GE 124, 367).

II. Die außer­or­dent­li­che Kündi­gung der Be­klag­ten erfüllt nicht die An­for­de­run­gen des § 626 Abs.1 BGB, auf den § 34 Abs. 2 MTV ver­weist.

1. Auch vom Ar­beit­neh­mer nicht zu ver­tre­ten­de Umstände in sei­ner Per­son können ge­eig­net sein, ei­ne außer­or­dent­li­che frist­lo­se Kündi­gung zu recht­fer­ti­gen. Ein wich­ti­ger Grund kann vor­lie­gen, wenn der Ar­beit­neh­mer auf Grund von Umständen, die in sei­ner Sphäre lie­gen, zu der nach dem Ver­trag vor­aus­ge­setz­ten Ar­beits­leis­tung auf un­ab­seh­ba­re Dau­er nicht mehr in der La­ge ist. Dar­in liegt re­gelmäßig ei­ne schwe­re und dau­er­haf­te Störung des ver­trag­li­chen Aus­tausch­verhält­nis­ses, der der Ar­beit­ge­ber, wenn kei­ne an­de­ren Beschäfti­gungsmöglich­kei­ten be­ste­hen, mit ei­ner außer­or­dent­li­chen Kündi­gung be­geg­nen kann. Liegt ei­ne dau­er­haf­te Leis­tungs­unfähig­keit vor, kann dies den Ar­beit­ge­ber bei ta­rif­li­chem Aus­schluss der or­dent­li­chen Künd­bar­keit des Ar­beit­neh­mers je­den­falls zum Aus­spruch ei­ner außer­or­dent­li­chen Kündi­gung mit ei­ner der or­dent­li­chen Kündi­gung ent­spre­chen­den Aus­lauf­frist be­rech­ti­gen (BAG 26. No­vem­ber 2009 - 2 AZR 272/08 - Rn. 24, BA­GE 132, 299).

2. Nach der ständi­gen Recht­spre­chung kann bei ei­nem Aus­schluss der or­dent­li­chen Kündi­gung auf Grund ta­rif­ver­trag­li­cher Vor­schrif­ten im Aus­nah­me­fall auch ei­ne krank­heits­be­ding­te außer­or­dent­li­che Kündi­gung in Be­tracht kom­men. Krank­heit ist da­nach zwar nicht als wich­ti­ger Grund iSd. § 626 BGB un­ge­eig­net. An ei­ne Kündi­gung we­gen Er­kran­kung ei­nes Ar­beit­neh­mers ist al­ler­dings schon bei ei­ner or­dent­li­chen Kündi­gung ein stren­ger Maßstab an­zu­le­gen, so dass nur in eng be­grenz­ten Aus­nah­mefällen die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses mit dem kran­ken Ar­beit­neh­mer für den Ar­beit­ge­ber iSd. § 626 Abs. 1 BGB un­zu­mut­bar sein kann (BAG 12. Ja­nu­ar 2006 - 2 AZR 242/05 - Rn. 25).

3. Bei ei­ner krank­heits­be­ding­ten Kündi­gung fal­len die be­trieb­li­chen Be­las­tun­gen durch Ent­gelt­fort­zah­lungs­kos­ten bei der Prüfung, ob ein wich­ti­ger Grund vor­liegt, ein sinn­ent­leer­tes Ar­beits­verhält­nis zu be­en­den, ent­schei­dend ins Ge­wicht. Da­bei kann es durch­aus die Un­zu­mut­bar­keit der Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses verstärken, wenn der Ar­beit­ge­ber bis zur Pen­sio­nie­rung des Ar­beit­neh­mers kei­ne nen­nens­wer­te Ar­beits­leis­tung mehr zu er­war­ten hat, aber trotz­dem den übli­chen Sechs-Wo­chen-Zeit­raum für die Ent­gelt­fort­zah­lung er­heb­lich über­stei­gen­de Zah­lun­gen zu er­brin­gen hat. Kann mit ei­ner Ein­satzfähig­keit auf Dau­er nicht mehr ge­rech­net wer­den, so kann ei­ne un­be­grenz­te Ver­pflich­tung zur Ent­gelt­fort­zah­lung ge­eig­net sein, das In­ter­es­se an ei­ner Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ent­schei­dend zu verstärken. Die­ses In­ter­es­se ist nach § 626 Abs. 1 BGB ge­gen das In­ter­es­se des Ar­beit­neh­mers an der Wei­ter­zah­lung sei­nes Ge­halts, das un­ter die­sen Vor­aus­set­zun­gen le­dig­lich noch Ren­ten­cha­rak­ter hat, ab­zuwägen (BAG 12. Ja­nu­ar 2006 - 2 AZR 242/05 - Rn. 29).

4. Auch ei­ne krank­heits­be­ding­te Leis­tungs­min­de­rung ist zwar nicht ge­ne­rell un­ge­eig­net, ei­nen wich­ti­gen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB dar­zu­stel­len (vgl. BAG 28. Ok­to­ber 2010 - 2 AZR 688/09 - Rn. 32; 26. No­vem­ber 2009 - 2 AZR 272/08 - Rn. 24, BA­GE 132, 299). Grundsätz­lich ist es dem Ar­beit­ge­ber aber zu­zu­mu­ten, die gel­ten­de Kündi­gungs­frist ein­zu­hal­ten. Ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung kommt da­her nur in eng be­grenz­ten Fällen in Be­tracht, et­wa bei ei­nem Aus­schluss der or­dent­li­chen Kündi­gung auf­grund ta­rif­ver­trag­li­cher oder ein­zel­ver­trag­li­cher Ver­ein­ba­run­gen (BAG 20. De­zem­ber 2012 - 2 AZR 32/11 - Rn. 14; 18. Ok­to­ber 2000 - 2 AZR 627/99 - zu II 3 der Gründe, BA­GE 96, 65). Schon an ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung we­gen krank­heits­be­ding­ter Ein­schränkun­gen des Ar­beit­neh­mers ist ein stren­ger Maßstab an­zu­le­gen. Die An­for­de­run­gen an die Wirk­sam­keit ei­ner auf Krank­heit gestütz­ten außer­or­dent­li­chen Kündi­gung ge­hen darüber noch hin­aus (BAG 23. Ja­nu­ar 2014 - 2 AZR 582/13 - Rn. 26 ff.; 18. Ja­nu­ar 2001 - 2 AZR 616/99 - zu II 4 b der Gründe). Es be­darf ei­nes gra­vie­ren­den Miss­verhält­nis­ses zwi­schen Leis­tung und Ge­gen­leis­tung. Schon ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung we­gen ei­ner Leis­tungs­min­de­rung setzt vor­aus, dass die ver­blie­be­ne Ar­beits­leis­tung die be­rech­tig­te Gleich­wer­tig­keits­er­war­tung des Ar­beit­ge­bers in ei­nem Maße un­ter­schrei­tet, dass ihm ein Fest­hal­ten an dem (un­veränder­ten) Ar­beits­ver­trag un­zu­mut­bar ist (BAG 11. De­zem­ber 2003 - 2 AZR 667/02 - zu B III 2 d der Gründe, BA­GE 109, 87). Für die außer­or­dent­li­che Kündi­gung gilt dies in noch höhe­rem Maße (BAG 20. März 2014 - 2 AZR 825/12 - Rn. 20).

5. Die pro­gnos­ti­zier­ten Fehl­zei­ten und die sich aus ih­nen er­ge­ben­de Be­ein­träch­ti­gung der be­trieb­li­chen In­ter­es­sen müssen deut­lich über das Maß hin­aus­ge­hen, wel­ches ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung so­zi­al zu recht­fer­ti­gen vermöch­te. Es be­darf ei­nes gra­vie­ren­den Miss­verhält­nis­ses zwi­schen Leis­tung und Ge­gen­leis­tung. Auch können Häufig­keit und Dau­er der krank­heits­be­ding­ten Fehl­zei­ten im Ein­zel­fall da­zu führen, dass ein Ein­satz des Ar­beit­neh­mers nicht mehr sinn­voll und verläss­lich ge­plant wer­den kann und die­ser da­mit zur Förde­rung des Be­triebs­zwecks fak­tisch nicht mehr beiträgt (BAG 23. Ja­nu­ar 2014 - 2 AZR 582/13 - Rn. 28, BA­GE 147, 162).

6. Es ist im Rah­men der außer­or­dent­li­chen Kündi­gung mit Aus­lauf­frist grundsätz­lich Sa­che des Ar­beit­ge­bers, von vorn­her­ein dar­zu­le­gen, dass er al­les Zu­mut­ba­re un­ter­nom­men hat, um den Ar­beit­neh­mer im Ar­beits­pro­zess zu hal­ten. Er muss dies nicht erst dann tun, wenn der Ar­beit­neh­mer ge­eig­ne­te Beschäfti­gungsmöglich­kei­ten auf­ge­zeigt hat (BAG 20. März 2014 - 2 AZR 288/13 - Rn. 41).

7. An die­sen Maßstäben ge­mes­sen schei­det hier ein wich­ti­ger Grund für die außer­or­dent­li­che Kündi­gung der Be­klag­ten aus. Es liegt nach Abwägung al­ler In­ter­es­sen für die Kam­mer kein eng be­grenz­ter Aus­nah­me­fall vor, in dem die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses iSd. § 626 Abs. 1 BGB für die Be­klag­te un­zu­mut­bar ist.

a) Es er­ge­ben sich aus dem Vor­trag der Be­klag­ten kei­ne aus­rei­chen­den An­halts­punk­te für ein sinn­ent­leer­tes Ar­beits­verhält­nis. Es ist kein gra­vie­ren­des Miss­verhält­nis zwi­schen Leis­tung und Ge­gen­leis­tung aus­zu­ma­chen. Die ver­blie­be­ne Ar­beits­leis­tung der Kläge­rin un­ter­schrei­tet die be­rech­tig­te Gleich­wer­tig­keits­er­war­tung der Be­klag­ten nicht in ei­nem Maße, dass ihr ein Fest­hal­ten an dem (un­veränder­ten) Ar­beits­ver­trag un­zu­mut­bar ist. Es mag sein, dass die Kläge­rin nicht mehr in vol­lem Um­fang als Brief­zu­stel­le­rin tätig wer­den und ein­ge­setzt wer­den kann und hier­durch Be­triebs­ab­laufstörun­gen ein­tre­ten. Es steht aber nicht zu er­war­ten, dass die Kläge­rin bis zum Er­rei­chen des ge­setz­li­chen Re­gel­ren­ten­al­ters in ca. neun Jah­ren kei­ne nen­nens­wer­ten Ar­beits­leis­tun­gen mehr für die Be­klag­te er­brin­gen kann.

b) Ge­gen ei­ne Un­zu­mut­bar­keit der Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses spricht aus Sicht der Kam­mer be­son­ders die re­la­tiv kur­ze Dau­er der
Ar­beits­unfähig­keit zwi­schen dem Be­ginn der Er­kran­kung im Au­gust 2012 und dem Aus­sprich der Kündi­gung im März 2014 so­wie die ge­rin­ge Höhe der in die­ser Zeit ge­leis­te­ten Ent­gelt­fort­zah­lung: Die Be­klag­te leis­te­te et­was mehr als zwei Mo­nats­gehälter Ent­gelt­fort­zah­lung. Die Be­klag­te trägt auch nicht vor, dass sich die­ser Be­trag in der nächs­ten Zeit oh­ne si­gni­fi­kan­te Ar­beits­leis­tung der Kläge­rin erhöhen würde. Zu­dem hat die Kläge­rin mit der Vor­la­ge des Wie­der­ein­glie­de­rungs­plans ih­re fort­be­ste­hen­de Ar­beits­unfähig­keit zum Aus­druck ge­bracht.

c) Die Be­klag­te legt wei­ter­hin nicht dar, sämt­li­che zu­mut­ba­ren Bemühun­gen un­ter­nom­men zu ha­ben, um die Kläge­rin wei­ter zu beschäfti­gen. Die Be­klag­te selbst hat mögli­che lei­dens­ge­rech­te Tätig­kei­ten für die Kläge­rin im Be­reich SAM auf­ge­zeigt, die aber we­gen Be­set­zung der Stel­len nicht be­ste­hen sol­len. Al­ler­dings hat die Be­klag­te nicht dar­ge­legt, dass die­se Stel­len auch dau­er­haft und auf Jah­re nicht zur Verfügung ste­hen. Im Rah­men der außer­or­dent­li­chen Kündi­gung wäre die Be­klag­te al­ler­dings ver­pflich­tet ge­we­sen, und sei es mit dem Ziel ei­ner Wei­ter­beschäfti­gung zu schlech­te­ren Ar­beits­be­din­gun­gen, Tätig­kei­ten an­zu­bie­ten, so­bald sie freiwürden. Die der­zei­ti­ge Be­set­zung der Stel­len reicht hierfür nicht aus. Das gilt auch für mögli­che Fah­rertätig­kei­ten. Es ist nicht er­sicht­lich, dass ein Ein­satz der Kläge­rin auf Dau­er unmöglich ist, et­wa durch das Er­wer­ben des er­for­der­li­chen Führer­scheins.

d) Sch­ließlich muss­te die Be­klag­te, um dem Ge­dan­ken der Un­zu­mut­bar­keit zu genügen, Ver­su­che - die nach § 84 Abs. 2 SGB IX zu be­ach­ten ge­we­sen wären - zur Wie­der­her­stel­lung der Ar­beitsfähig­keit nut­zen, ins­be­son­de­re ei­ne mögli­che Wie­der­ein­glie­de­rung. Die Be­klag­te hätte in­so­weit dar­le­gen müssen, dass auch die von der Kläge­rin an­ge­bo­te­ne Wie­der­ein­glie­de­rung nicht zur Wie­der­her­stel­lung ei­ner sinn­vol­len Ar­beitstätig­keit geführt hätte (vgl. BAG 20. No­vem­ber 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 38). Mit dem Ein­satz der Kläge­rin in ei­nem an­de­ren Be­reich hätte zu­dem ih­re bis­he­ri­ge Stel­le er­neut be­setzt wer­den können. Bis zu ei­ner Klärung hätte die Be­klag­te zur Ver­tre­tung be­fris­te­te Ar­beits­verhält­nis­se ver­ein­ba­ren können.

e) Un­ter Abwägung all die­ser Umstände ist der Be­klag­ten die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht un­zu­mut­bar.

C. Die Kos­ten­ent­schei­dung be­ruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Kos­ten ei­nes oh­ne Er­folg ein­ge­leg­ten Rechts­mit­tels fal­len der Par­tei zur Last, die es ein­ge­legt hat.

D. Die Ent­schei­dung über die Nicht­zu­las­sung der Re­vi­si­on folgt aus § 72 Abs. 2 ArbGG. Die ent­schei­dungs­er­heb­li­che Rechts­fra­ge hat kei­ne grundsätz­li­che Be­deu­tung.

E. Auf die Möglich­keit der Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de wird hin­ge­wie­sen, § 72a Abs. 1 ArbGG.

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