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LAG Ham­burg, Ur­teil vom 31.05.2012, 1 Sa 55/11

   
Schlagworte: Betriebsstilllegung, Kündigung: Betriebsbedingt
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Hamburg
Aktenzeichen: 1 Sa 55/11
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 31.05.2012
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 12.10.2011, 20 Ca 116/11
Nachgehend Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.11.2013, 2 AZR 495/12
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt Ham­burg

Ur­teil

Im Na­men des Vol­kes

Geschäfts­zei­chen:
1 Sa 55/11
(20 Ca 116/11 ArbG Ham­burg)
Verkündet am: 31. Mai 2012

In dem Rechts­streit

J.
An­ge­stell­te
als Ur­kunds­be­am­tin
der Geschäfts­stel­le

 

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er­kennt das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ham­burg, Ers­te Kam­mer, auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 29. März 2012 durch den Präsi­den­ten des Lan­des­ar­beits­ge­richts Dr. Nau­se als Vor­sit­zen­den die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin

für Recht:

Die Be­ru­fung der Be­klag­ten und die An­schluss­be­ru­fung des Klägers ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ham­burg vom 12. Ok­to­ber 2011 (20 Ca 116/11) wer­den zurück­ge­wie­sen.

Der Kläger trägt ein Zehn­tel der Kos­ten des Ver­fah­rens, die Be­klag­te zu 1 neun Zehn­tel.

Die Re­vi­si­on wird für die Be­klag­te zu 1 zu­ge­las­sen.

 

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TAT­BESTAND

Der Kläger ver­langt mit der Kla­ge die Fest­stel­lung des Fort­be­stands des Ar­beits­verhält­nis­ses und der Un­wirk­sam­keit ei­ner Kündi­gung.

Der am XX.XX 1951 ge­bo­re­ne Kläger war auf­grund ei­nes Ar­beits­ver­tra­ges vom 1. Ok­to­ber 1970 (An­la­ge 1 a zur Klag­schrift, Bl. 7 d.A.) seit dem­sel­ben Ta­ge bei der Be­triebs­kran­ken­kas­se der FHH als Ver­wal­tungs­an­ge­stell­ter beschäftigt. Nach dem Wehr­dienst des Klägers wur­de das Ver­trags­verhält­nis auf Grund­la­ge ei­nes Ver­tra­ges vom 1. Ja­nu­ar 1973 (An­la­ge 1 b zur Klag­schrift, Bl. 8 d.A.) fort­ge­setzt. Mit Wir­kung zum 1. Au­gust 1978 wur­de der Kläger in das Be­am­ten­verhält­nis auf Pro­be be­ru­fen. Er wur­de zum 31. Ju­li 1987 zum Re­gie­rungs­amt­mann er­nannt. Mit ei­nem Ver­trag vom 21. Ju­ni 1995 zwi­schen dem Kläger, der FHH und der Be­triebs­kran­ken­kas­se der FHH (An­la­ge 4 zur Klag­schrift, Bl. 11 ff d.A.) wech­sel­te der Kläger un­ter Be­ur­lau­bung aus dem Be­am­ten­verhält­nis in die Be­triebs­kran­ken­kas­se. Zwi­schen dem Kläger und der Be­triebs­kran­ken­kas­se wur­de zu­letzt un­ter dem Da­tum des 7. De­zem­ber 1998 ein Ver­trag (An­la­ge 5 zur Klag­schrift, Bl. 14 f d.A.) ge­schlos­sen. Die Be­triebs­kran­ken­kas­se der FHH und die Be­triebs­kran­ken­kas­se B. schlos­sen sich im Jah­re 2004 zur Be­klag­ten zu 2 zu­sam­men. Die­se beschäftig­te zum 1. März 2011 ca. 400 Ar­beit­neh­me­rin­nen und Ar­beit­neh­mer. Der in der Ham­bur­ger Geschäfts­stel­le täti­ge Kläger er­hielt zu­letzt ein mo­nat­li­ches Brut­to­ge­halt in Höhe von € 5.929,07. Das Bun­des­ver­si­che­rungs­amt schloss die Be­klag­te zu 2 mit Be­scheid vom 4. Mai 2011 zum 30. Ju­ni 2011. Die Be­klag­te zu 2 teil­te dem Kläger mit Schrei­ben vom 9. Mai 2011, dem Kläger zu­ge­gan­gen am 11. Mai 2011, mit, dass sein Ar­beits­verhält­nis auf­grund der Sch­ließung zum 30. Ju­ni 2011 en­de. Fer­ner wur­de er mit ei­nem wei­te­ren Schrei­ben vom 9. Mai 2011 auf ein ver­trag­li­ches Rück­kehr­recht zur FHH un­ter­rich­tet. Mit Schrei­ben vom 6. Mai 2011 wur­de der Kläger dar­auf hin­ge­wie­sen, dass er ei­ne an­de­re Beschäfti­gung bei dem B. Lan­des­ver­band B.-W. oder ei­ner an­de­ren Be­triebs­kran­ken­kas­se mit Ab­ord­nungs­op­ti­on an ei­ne Ab­wick­lungs­ge­sell­schaft an­ge­bo­ten be­kom­me. Die­ses An­ge­bot er­folg­te mit Schrei­ben des Lan­des­ver­ban­des der Be­triebs­kran­ken­kas­sen B.-W. vom 13. Mai 2011. We­gen der Ein­zel­hei­ten die­ser Schrei­ben wird auf die An­la­gen 6 bis 9 zur Klag­schrift (Bl. 16 ff d.A.) ver­wie­sen. Der Kläger lehn­te das An­ge­bot, das ei­ne Tätig­keit in P. zu ei­nem Ent­gelt von € 3.340 bis 3.504 zum Ge­gen­stand hat­te, ab. Mit Schrei­ben vom 19. Mai 2011 (An­la­ge 10

 

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zum Schrift­satz des Klägers vom 27. Mai 2011, Bl. 32 d.A.) erklärte die Be­klag­te zu 2 ge­genüber dem ta­rif­ver­trag­lich unkünd­ba­ren Kläger vor­sorg­lich ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung mit so­zia­ler Aus­lauf­frist zum 30. Ju­ni 2011 so­wie höchst vor­sorg­lich zum nächst mögli­chen Ter­min.

Die Be­klag­te zu 2 nahm in der Ver­gan­gen­heit fi­nan­zi­el­le Hil­fen des B.-Sys­tems in Höhe von knapp € 228 Mil­lio­nen in An­spruch und wies bis zur Einführung des Ge­sund­heits­fonds den höchs­ten al­ler Bei­tragssätze aus. Die ge­setz­lich vor­ge­schrie­be­ne Ent­schul­dung konn­te sie zum En­de des Jah­res 2008 nur mit­tels ei­nes Zu­schus­ses des B.-Bun­des­ver­ban­des er­rei­chen. Die Aus­wer­tung der Da­ten für das vier­te Quar­tal 2009 er­gab ei­nen Über­schuss der Aus­ga­ben von € 24,7 Mil­lio­nen und ei­nen Über­schuss der Pas­si­va von € 15 Mil­lio­nen. Der dar­auf­hin er­ho­be­ne Zu­satz­bei­trag war nicht auskömmlich und führ­te zu zahl­rei­chen Mit­glie­der­ver­lus­ten. Für 2009 und 2010 wur­de im April 2010 je­weils ein De­fi­zit von et­wa € 20 Mil­lio­nen pro­gnos­ti­ziert. Nach Vor­la­ge der Jah­res­rech­nung 2009 stand ei­ne bi­lan­zi­el­le Über­schul­dung der Be­klag­ten zu 2 fest. Im Rah­men ei­nes Sa­nie­rungs­kon­zepts wur­den bis zu € 41,2 Mil­lio­nen als „Fi­nanz­sprit­ze“ in Aus­sicht ge­stellt wor­den. An­fang April 2011 wur­de fest­ge­stellt, dass sich die Vers­schul­dung der Be­klag­ten zu 2 auf et­wa € 70,3 Mil­lio­nen erhöht hat­te. Nach Einschätzung des GKV-Spit­zen­ver­ban­des war selbst un­ter Berück­sich­ti­gung rea­li­sier­ba­rer Ein­spa­run­gen durch Sa­nie­rungs­maßnah­men mit ei­nem An­stieg der Ver­schul­dung der Be­klag­ten zu 2 zum En­de des Jah­res 2011 auf mehr als € 98 Mil­lio­nen zu rech­nen. Der Vor­stand der Be­klag­ten zu 2 zeig­te im Fe­bru­ar 2010 ei­ne Über­schul­dung der Be­klag­ten zu 2 an. Außer­dem zeig­te der Vor­stand der Be­klag­ten zu 2 im April 2010 dem BVA die bi­lan­zi­el­le Über­schul­dung an. Der B.-Bun­des­ver­band und der B.-Lan­des­ver­band B.-W. gin­gen von ei­ner Über­schul­dung der Be­klag­ten zu 2 aus. Im Ju­li 2010 teil­te die Be­klag­te zu 2 dem Bun­des­ver­si­che­rungs­amt (BVA) mit, dass an ei­nem Sa­nie­rungs­kon­zept ge­ar­bei­tet würde, auf­grund des­sen die Be­klag­te zu 2 bis En­de 2012 ent­schul­det sein würde. Das Sa­nie­rungs­kon­zept ba­sier­te auf ei­ner Ab­sen­kung von Aus­ga­ben im Ver­wal­tungs- und Leis­tungs­sek­tor durch Re­du­zie­rung des Per­so­nals, Strei­chung des Weih­nachts­gel­des, Kündi­gung ex­ter­ner Dienst­leis­tungs­verträge Fall­ver­mei­dung und Aus­bau von Pro­jek­ten zur Pa­ti­en­ten­be­ra­tung so­wie der Erhöhung des Zu­satz­bei­tra­ges so­wie fi­nan­zi­el­ler Hil­fen aus dem B.-Sys­tem. Am 7. April 2011 zeig­te der Vor­stand der Be­klag­ten zu 2 Zah­lungs­unfähig­keit und Über­schul­dung an. Mit Be­scheid vom 4. Mai 2011 schloss das BVA die Be­klag­te zu 2 zum 30. Ju­ni 2011 un­ter An­ord­nung der so­for­ti­gen Voll­zie­hung. We­gen der Ein­zel­hei­ten des

 

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Be­scheids wird auf die An­la­ge B 1 zum Schrift­satz der Be­klag­ten zu 2 vom 18. Au­gust 2011 (Bl. 77 ff d.A.) ver­wie­sen.

Mit Schrei­ben vom 20. April 2011 (An­la­ge B 2 zum Schrift­satz der Be­klag­ten zu 2 vom 18. Au­gust 2011, Bl.88 d.A.) teil­te die Be­klag­te zu 2 dem Haupt­per­so­nal­rat mit, dass sie im Fal­le ei­ner Sch­ließung der Kas­se be­ab­sich­ti­ge, al­le Ar­beits­verhält­nis­se zu kündi­gen und sie der Auf­fas­sung sei, dass ei­ne So­zi­al­aus­wahl ent­fal­le. Fer­ner teil­te der Vor­stand der Be­klag­ten zu 2 dem Haupt­per­so­nal­rat am 29. April 2011 mit, dass durch die Sch­ließung sämt­li­che Ar­beits­verhält­nis­se von Ge­set­zes we­gen be­en­det würden und sie vor­sorg­lich außer­dem Kündi­gun­gen aus­spre­chen wol­le. Nach Er­halt des Be­scheids des BVA in­for­mier­te der Vor­stand den Haupt­per­so­nal­rat hierüber. Sch­ließlich un­ter­rich­te­te der Vor­stand den Haupt­per­so­nal­rat mit ei­nem Schrei­ben vom 4. Mai 2011 (An­la­ge B 3 zum Schrift­satz der Be­klag­ten zu 2 vom 18. Au­gust 2011, Bl. 90 ff d.A.) über ih­re Ab­sicht, die Ar­beits­verhält­nis­se der be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­me­rin­nen und Ar­beit­neh­mer zu kündi­gen, und fügte Lis­ten mit Na­men und den So­zi­al­da­ten die­ser Beschäftig­ten bei. Bei ei­nem Tref­fen un­ter Be­tei­li­gung des Vor­stands der Be­klag­ten zu 2, des Haupt­per­so­nal­rats und des Vor­sit­zen­den des ört­li­chen Per­so­nal­rats in S. wur­de die Auf­fas­sung der Be­klag­ten zu 2, die Ar­beits­verhält­nis­se der Beschäftig­ten en­de­ten zum Sch­ließungs­zeit­punkt und sei­en außer­dem vor­sorg­lich zu kündi­gen, dis­ku­tiert. Der Per­so­nal­rat nahm mit ei­nem Schrei­ben vom 17. Mai 2011 (An­la­ge B 4 zum Schrift­satz der Be­klag­ten zu 2 vom 18. Au­gust 2011, Bl. 95 f d.A.) Stel­lung. Die Stel­lung­nah­me wur­de den Kündi­gun­gen in Ko­pie bei­gefügt. Die Be­klag­te zu 2 in­for­mier­te den Haupt­per­so­nal­rat mit Schrei­ben vom 20. Mai 2011 (An­la­ge B 5 zum Schrift­satz der Be­klag­ten zu 2 vom 18. Au­gust 2011, Bl. 97 f d.A.) darüber, dass sie an ih­rer Auf­fas­sung und Pla­nung fest­hal­te.

Der bei der Be­klag­ten zu 2 ge­bil­de­te Haupt­per­so­nal­rat teil­te der Be­klag­ten zu 2 mit ei­nem Schrei­ben vom 17. Mai 2011 (An­la­ge B 4 zum Schrift­satz der Be­klag­ten zu 2 vom 18. Au­gust 2011, Bl. 95 f d.A.) mit, dass er be­ab­sich­tig­ten Kündi­gun­gen wi­der­spre­che.

Die rest­li­chen Geschäfte der Be­klag­ten zu 2 wer­den in der als Be­klag­ten zu 1 in An­spruch ge­nom­me­nen Ab­wick­lungs­ein­heit er­le­digt, in der Ar­beit­neh­me­rin­nen und Ar­beit­neh­mer der Be­klag­ten zu 2 beschäftigt wer­den. Der Kläger nahm ein An­ge­bot auf bis zum 30. Ju­ni 2012 be­fris­te­te Beschäfti­gung bei der Be­klag­ten zu 1 an. Fer­ner mach­te er sein Rück­kehr­recht zur FHH gel­tend.

 

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Der Kläger hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, dass das Ar­beits­verhält­nis nicht von Ge­set­zes we­gen be­en­det wer­den könne und die ord­nungs­gemäße Be­tei­li­gung des Per­so­nal­rats vor Aus­spruch der Kündi­gung mit Nicht­wis­sen be­strit­ten.

Der Kläger hat be­an­tragt,

1) fest­zu­stel­len, dass das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis nicht mit Ab­lauf des 30. Ju­ni 2011 en­det;

2) fest­zu­stel­len, dass das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis nicht durch die dem Kläger mit Schrei­ben der Be­klag­ten vom 19. Mai 2011 zum 30. Ju­ni 2011 aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung be­en­det wird;

3) fest­zu­stel­len, dass das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis auch nicht durch die dem Kläger mit Schrei­ben der Be­klag­ten vom 19. Mai 2011 zum nächst mögli­chen Ter­min bzw. zum 31. De­zem­ber 2011 höchst vor­sorg­lich aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung be­en­det wird.

Die Be­klag­te zu 1 hat be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Die Be­klag­te zu 1 hat vor­ge­tra­gen, dass das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en nach §§ 153, 155 Abs. 4 Satz 9, 164 Abs. 4 SGB V zum 30. Ju­ni 2011 auf­gelöst wor­den sei. Zu­min­dest sei es durch die Kündi­gun­gen zu ei­ner Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ge­kom­men. Ei­ne So­zi­al­aus­wahl sei nicht durch­zuführen ge­we­sen, weil sämt­li­che Ar­beits­verhält­nis­se der Be­klag­ten zu 2 be­trof­fen ge­we­sen sei­en. Mit der Sch­ließung der Be­klag­ten zu 2 ha­be die­se ih­re Rechts­persönlich­keit ver­lo­ren und sei zur Ab­wick­lungs­ein­heit ge­wor­den. In­so­weit wer­de der Fort­be­stand der bis­he­ri­gen Kas­se nur ge­setz­lich fin­giert. Dar­aus fol­ge, dass die Ab­wick­lungs­ein­heit nicht in glei­cher Wei­se Rechts­persönlich­keit be­sit­ze wie das bis zur Sch­ließung be­ste­hen­de Rechts­sub­jekt. Hier­aus fol­ge un­ter an­de­rem auch die Be­en­di­gung sämt­li­cher Ar­beits­verhält­nis­se zum Zeit­punkt der Sch­ließung. Ir­gend­wel­che Un­ter­brin­gungsmöglich­kei­ten sei­en oh­ne Be­deu­tung. Je­den­falls be­ste­he zum Zeit­punkt der Sch­ließung ein be­triebs­be­ding­ter Kündi­gungs­grund, weil die Kas­se ih­re Exis­tenz ein­sch­ließlich der Be­triebs- und Pro­duk­ti­ons­ge­mein­schaft ver­lie­re. Da­mit ent­fal­le

 

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auch das Er­for­der­nis ei­ner So­zi­al­aus­wahl. Der Per­so­nal­rat sei an der Sch­ließung und den Kündi­gun­gen ord­nungs­gemäß be­tei­ligt wor­den. Bei der Auflösung ei­ner Dienst­stel­le auf­grund ge­setz­li­cher Re­ge­lun­gen be­ste­he kein Mit­wir­kungs­recht der Per­so­nal­ver­tre­tung, weil es kei­nen Ent­schei­dungs­spiel­raum der Dienst­stel­len­lei­tung gäbe. Gleich­wohl ha­be die Be­klag­te zu 2 den Per­so­nal­rat stets über die Ent­wick­lun­gen um­fang­reich in­for­miert, die an­ge­dach­te Vor­ge­hens­wei­se ausführ­lich be­spro­chen und dis­ku­tiert und den Per­so­nal­rat über Ent­schei­dun­gen in Kennt­nis ge­setzt. Gemäß den Ab­wick­lungs­pla­nun­gen ha­be für die Beschäfti­gung des Klägers bei der Ab­wick­lungs­ein­heit ein be­fris­te­ter Be­darf bis zum 30. Ju­ni 2012 be­stan­den.

Das Ar­beits­ge­richt Ham­burg hat durch Ur­teil vom 12. Ok­to­ber 2011 der Kla­ge statt­ge­ge­ben. We­gen der Ein­zel­hei­ten des Ur­teils wird auf Bl. 113 bis 139 d.A. ver­wie­sen. Ge­gen die­ses Ur­teil, das der Be­klag­ten zu 1 am 31. Ok­to­ber 2011 zu­ge­stellt wur­de, hat sie mit Schrift­satz vom 17. No­vem­ber 2011, beim Lan­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­gen am 21. No­vem­ber 2011, Be­ru­fung ein­ge­legt. Mit Schrift­satz vom 12. De­zem­ber 2011, beim Lan­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­gen am 14. De­zem­ber 2011, hat die Be­klag­te ei­ne Verlänge­rung der Be­ru­fungs­be­gründungs­frist be­an­tragt. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Frist bis zum 29. Fe­bru­ar 2012 verlängert. Mit Schrift­satz vom 16. Fe­bru­ar 2012, beim Lan­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­gen am 20. Fe­bru­ar 2012, hat die Be­klag­te zu 1 die Be­ru­fung be­gründet.

Die Be­klag­ten hal­ten das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts aus Rechts­gründen für falsch. Die Ar­beits­verhält­nis­se al­ler Beschäftig­ten würden mit der Sch­ließung durch das Ge­setz be­en­det. Das gel­te auch für sol­che Beschäftig­ten, die in der Ab­wick­lungs­ein­heit wei­ter ein­ge­setzt würden. Es ver­s­toße nicht ge­gen die Ver­fas­sung, auch bei sol­chen Ar­beit­neh­me­rin­nen und Ar­beit­neh­mern ei­ne Be­en­di­gung an­zu­neh­men.

Die Be­klag­ten be­an­tra­gen,

das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ham­burg vom 12. Ok­to­ber 2011, Ak­ten­zei­chen 20 Ca 116/11, ab­zuändern und die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Der Kläger be­an­tragt,

 

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die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

und stellt kla­ger­wei­ternd ge­gen die Be­klag­te zu 2 die Anträge,

1) fest­zu­stel­len, dass das zwi­schen dem Kläger und der Be­klag­ten zu 2 be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis nicht mit Ab­lauf des 30. Ju­ni 2011 en­det;

2) fest­zu­stel­len, dass das zwi­schen dem Kläger und der Be­klag­ten zu 2 be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis nicht durch die dem Kläger mit Schrei­ben der Be­klag­ten zu 2 vom 19. Mai 2011 zum 30. Ju­ni 2011 aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung be­en­det wird;

3) fest­zu­stel­len, dass das zwi­schen dem Kläger und der Be­klag­ten zu 2 be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis nicht durch die dem Kläger mit Schrei­ben der Be­klag­ten zu 2 vom 19. Mai 2011 we­der zum 30. Ju­ni 2011 noch zu ei­nem späte­ren Ter­min be­en­det wor­den ist oder be­en­det wer­den wird.

Der Kläger hält die Ent­schei­dung des Ar­beits­ge­richts für zu­tref­fend.

Die Be­klag­ten hal­ten die Er­wei­te­rung der Kla­ge für un­zulässig, weil der Kläger da­mit sei­ner An­sicht nach ei­ne Rechts­persönlich­keit un­ter zwei Na­men ver­kla­ge.

ENT­SCHEI­DUN­GSGRÜNDE

Die Be­ru­fung ist zulässig, aber un­be­gründet, eben­so die in der Kla­ger­wei­te­rung des Klägers lie­gen­de An­schluss­be­ru­fung.

I. Zur Be­ru­fung der Be­klag­ten

1. Die Be­ru­fung ist zulässig.

 

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Gemäß § 64 Abs. 1 und 2 Buch­sta­be b und c ArbGG ist sie statt­haft. Sie ist im Sin­ne der §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO form- und frist­gemäß ein­ge­legt und be­gründet wor­den.

2. Die Be­ru­fung ist un­be­gründet, weil die Kla­ge zulässig und be­gründet ist.

a) Die Kla­ge ist zulässig.

Für den Klag­an­trag zu 1 sind die Vor­aus­set­zun­gen des § 256 Abs. 1 ZPO erfüllt. Zwi­schen den Par­tei­en ist ein Rechts­verhält­nis strei­tig. Un­ter ei­nem Rechts­verhält­nis ist die recht­li­che Be­zie­hung ei­ner Per­son zu ei­ner an­de­ren Per­son oder Sa­che zu ver­ste­hen. Ge­gen­stand der Fest­stel­lungs­kla­ge können da­bei auch ein­zel­ne Rech­te, Pflich­ten oder Fol­gen ei­nes Rechts­verhält­nis­ses sein (Zöller-Gre­ger, § 256, Rd­nr. 3). Rechts­verhält­nis in die­sem Sin­ne ist das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en. Vor­lie­gend geht es dar­um, ob die­ses Ar­beits­verhält­nis kraft Ge­set­zes zum 30. Ju­ni 2011 be­en­det wor­den ist. Da­mit strei­ten die Par­tei­en un­mit­tel­bar um den Be­stand ei­nes Rechts­verhält­nis­ses. Das nach § 256 Abs. 1 ZPO er­for­der­li­che Fest­stel­lungs­in­ter­es­se ist ge­ge­ben. Nur durch ei­ne Fest­stel­lungs­kla­ge kann mit Rechts­kraft für al­le Rech­te und Pflich­ten aus dem Ar­beits­verhält­nis des­sen Fort­be­stand geklärt wer­den kann.

Die Klag­anträge zu 2 und 3 sind eben­falls zulässig.

Die Vor­aus­set­zun­gen des § 256 Abs. 1 ZPO sind erfüllt, weil die Par­tei­en darüber strei­ten, ob das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen ih­nen durch die Kündi­gung der Be­klag­ten zu 2 vom 19. Mai 2011 be­en­det wor­den ist. Da­mit strei­ten die Par­tei­en un­mit­tel­bar um den Be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses nach Ab­lauf der in der Kündi­gung ge­nann­ten oder nächst mögli­chen Frist. Das nach § 256 Abs. 1 ZPO er­for­der­li­che Fest­stel­lungs­in­ter­es­se ist ge­ge­ben. Es er­gibt sich be­reits aus §§ 4, 7 KSchG, nach de­nen ei­ne schrift­lich erklärte Kündi­gung als von An­fang an wirk­sam gilt, wenn da­ge­gen nicht frist­ge­recht ei­ne Fest­stel­lungs­kla­ge er­ho­ben wird. Auch un­abhängig da­von ist ein Fest­stel­lungs­in­ter­es­se für ei­ne Kündi­gungs­schutz­kla­ge re­gelmäßig ge­ge­ben, weil nur durch ei­ne sol­che Kla­ge mit Rechts­kraft für al­le Rech­te und Pflich­ten aus dem Ar­beits­verhält­nis des­sen Fort­be­stand geklärt wer­den kann (Ger­mel­mann-Mat­thes-Prütting, ArbGG, § 46, Rd­nr. 86). Da­nach ist vor­lie­gend ein Fest­stel­lungs­in­ter­es­se an­zu­neh­men. Die Kündi­gun­gen sind gemäß § 126 BGB schrift­lich ver­fasst und

 

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un­ter­schrie­ben in der nach § 623 BGB er­for­der­li­chen verkörper­ten Form dem Kläger zu­ge­gan­gen und da­mit schrift­lich er­folgt. Außer­dem ist nicht er­sicht­lich, aus wel­chen Gründen aus­nahms­wei­se das Fest­stel­lungs­in­ter­es­se für ei­ne Kündi­gungs­schutz­kla­ge nicht ge­ge­ben sein soll­te. Fer­ner sind die Klag­anträge auch dann zulässig, wenn es sich da­bei nicht um Fest­stel­lungs­anträge nach § 256 Abs. 1 ZPO han­deln soll­te. Nach Auf­fas­sung des Bun­des­ar­beits­ge­richts soll es ei­ne Fest­stel­lungs­kla­ge ei­ge­ner Art nach § 4 KSchG ge­ben (BAG, Ur­teil vom 12. Mai 2005, 2 AZR 426/04, Ju­ris). Es kann da­hin­ge­stellt blei­ben, ob die­se Auf­fas­sung zu­tref­fend ist. Selbst wenn die­ses der Fall sein soll­te, wären die Klag­anträge zu 1 und 2 vor­lie­gend zulässig, weil, wie be­reits aus­geführt, die Vor­aus­set­zun­gen für Kla­gen nach § 4 KSchG ge­ge­ben sind.

Ge­gen die Zulässig­keit der Kündi­gungs­schutz­kla­gen spräche nicht, wenn das Ar­beits­verhält­nis nach § 164 Abs. 4 SGB V von Ge­set­zes we­gen zum 30. Ju­ni 2011 auf­gelöst wor­den wäre. Ob die­ses ge­sche­hen ist, ist ei­ne Fra­ge der Be­gründet­heit der Kündi­gungs­schutz­kla­ge, nicht ih­rer Zulässig­keit. Wird ein Ar­beits­verhält­nis ge­ra­de nicht durch ei­ne Kündi­gung, son­dern aus ei­nem an­de­ren Rechts­grund zu ei­nem be­stimm­ten Da­tum auf­gelöst, führt die­ses zur Un­be­gründet­heit der Kündi­gungs­schutz­kla­ge. In der Zulässig­keit ei­ner Kla­ge kann die­se Fra­ge nicht geklärt wer­den, weil dann ei­ne ma­te­ri­ell­recht­li­che Klärung der Fra­ge, ob und ggf. wel­che Wir­kung ei­ne aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung hat, nicht möglich wäre. Dar­an be­steht aber ein er­kenn­ba­res In­ter­es­se von Ar­beits­ver­trags­par­tei­en. Der Streit dar­um, ob ein Ar­beits­verhält­nis von Ge­set­zes we­gen zu ei­nem Ter­min be­en­det wor­den ist, zu dem auch ei­ne Kündi­gung erklärt wur­de, kann dem­gemäß nicht bei Prüfung der Zulässig­keit der Kla­ge geklärt wer­den.

b) Die Kla­ge ist be­gründet.

aa) Die­ses folgt für den Klag­an­trag zu 1 dar­aus, dass das Ar­beits­verhält­nis nicht aus außer­halb der Kündi­gung vom 19. Mai 2011 lie­gen­den Gründen zum 30. Ju­ni 2011 aus­gelöst wor­den ist.

Zu ei­ner Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ist es nicht be­reits des­halb ge­kom­men, weil mit der Sch­ließung der Kas­se de­ren Rechts­persönlich­keit ent­fal­len ist. Es kann da­hin­ge­stellt blei­ben, ob die Sch­ließung ei­ner Körper­schaft öffent­li­chen Rechts re­gelmäßig die Rechts­fol­ge hat, dass al­le Rechts­verhält­nis­se die­ser Körper­schaft mit so­for­ti­ger Wir­kung be­en­det wer­den.

 

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Vor­lie­gend steht die­ser Rechts­fol­ge § 155 Abs. 1 Satz 2 SGB V ent­ge­gen, nach der die Be­triebs­kran­ken­kas­se als fort­be­ste­hend gilt, so­weit es der Zweck der Ab­wick­lung er­for­dert. Das zeigt, dass es kein so­for­ti­ges En­de al­ler Rechts­verhält­nis­se (mit) der Kas­se ge­ben soll, son­dern dass die­se in ei­nem ge­ord­ne­ten Ver­fah­ren ab­ge­wi­ckelt wer­den sol­len. Es gibt kei­nen Drit­ten, der an­stel­le der Kas­se de­ren her­ren­lo­ses Vermögen ein­sch­ließlich ih­rer Rechts­verhält­nis­se be­treu­en und ver­wer­ten soll, son­dern die Kas­se selbst „gilt“ in­so­weit als fort­be­ste­hend. Folg­lich gilt sie die­ses auch hin­sicht­lich ih­rer Rechts­po­si­tio­nen und Rechts­verhält­nis­se, die ei­ner Ab­wick­lung bedürfen. Die­ser Re­ge­lungs­ge­halt des § 155 Abs. 1 Satz 2 SGB V zeigt, dass die Sch­ließung selbst nicht zu ei­nem Weg­fall der Rechts­po­si­tio­nen und Rechts­verhält­nis­se der Kas­se führen soll, son­dern der Weg­fall aus ei­nem an­de­ren Grund ein­tre­ten muss. An­de­ren­falls bedürf­te es kei­ner Ab­wick­lung, für die die Kas­se als fort­be­ste­hend gilt. Zu­tref­fend geht auch die Be­klag­te da­von aus, dass die Ab­wick­lungs­ein­heit zu­min­dest ei­ne durch den Li­qui­da­ti­ons­zweck „ge­de­ckel­te“ Teil­rechtsfähig­keit be­sitzt. Die­se um­fasst die Ab­wick­lung even­tu­ell noch be­ste­hen­de Rechts- und da­mit auch Ar­beits­verhält­nis­se.

Das Ar­beits­verhält­nis ist fer­ner nicht nach § 164 Abs. 4 SGB V zum 30. Ju­ni be­en­det wor­den. Vor­aus­set­zung für ei­ne Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses nach die­ser Vor­schrift ist ne­ben der Sch­ließung der Kas­se, dass der be­trof­fe­ne Beschäftig­te nicht nach § 164 Abs. 3 Satz 3 SGB V un­ter­ge­bracht wird. Die­se Vor­aus­set­zung ist hier nicht erfüllt. Zwar ist die Kläge­rin nicht nach § 164 Abs. 3 SGB V un­ter­ge­bracht wor­den. Das reicht aber nicht aus, um den Be­en­di­gungs­tat­be­stand zu erfüllen. Viel­mehr ist es dafür er­for­der­lich, dass dem Beschäftig­ten zu­vor ein im Sin­ne des § 164 Abs. 3 Satz 3 zu­mut­ba­res An­ge­bot ge­macht wor­den ist. Ein sol­ches An­ge­bot ist dem Kläger nicht ge­macht wor­den. Im Ein­zel­nen gilt Fol­gen­des:

Zu ei­ner Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses nach § 164 Abs. 4 SGB V kommt es nur dann, wenn dem Beschäftig­ten ein zu­mut­ba­res An­ge­bot ge­macht wor­den ist. Die­ses gilt je­den­falls für An­ge­stell­te, die or­dent­lich unkünd­bar sind. Da der Kläger zu die­sem Per­so­nen­kreis gehört, kann es da­hin­ge­stellt blei­ben, ob die Ar­beits­verhält­nis­se or­dent­lich künd­ba­rer An­ge­stell­te auch oh­ne zu­mut­ba­res An­ge­bot be­en­det wer­den, weil § 155 Abs. 4 Satz 9 SGB an­ord­net, dass für künd­ba­re An­ge­stell­te § 164 Abs. 3 Satz 3 SGB V nicht gilt. Zwar wird die Auf­fas­sung ver­tre­ten, dass die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses auch bei or­dent­lich unkünd­ba­ren Beschäftig­ten un­abhängig da­von ein­tritt, aus wel­chem Grun­de es nicht zu ei­ner Un­ter­brin­gung nach § 164 Abs. 3 Satz 3 SGB V kommt, al­so auch dann, wenn kein

 

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zu­mut­ba­res An­ge­bot ge­macht wor­den ist (Boh­len-Schöning, KrV, 3/2011, 85; Thom­ma, KrV 2012, 29; Grau/Sit­tard, KrV 2012, 10). Als Grund für die­ses Verständ­nis wird der Wort­laut des § 164 Abs. 4 SGB V und der Zweck der Re­ge­lung an­geführt. Die­ser Zweck wird in ei­nem Schutz des Kas­sen­sys­tems ge­se­hen, das ins­ge­samt die Kos­ten ei­ner zah­lungs­unfähi­gen Kas­se zu tra­gen hätte. So könn­te es zu ei­nem Do­mi­no-Ef­fekt kom­men, bei dem sich die Zah­lungs­unfähig­keit ei­ner Kas­se mit der Fol­ge auf an­de­re Kas­sen aus­wir­ken könn­te, dass auch die­se zah­lungs­unfähig wer­den. Die­ser Auf­fas­sung wird ent­ge­gen­ge­setzt, dass bei ei­ner ver­fas­sungs­ori­en­tier­ten An­wen­dung der Re­ge­lun­gen da­von aus­zu­ge­hen sei, dass die Rechts­fol­ge des § 164 Abs. 4 SGB V ein­tre­ten könne, wenn or­dent­lich unkünd­ba­ren An­ge­stell­ten zu­vor ein im Sin­ne des § 164 Abs. 3 Satz 3 SGB V zu­mut­ba­res An­ge­bot ge­macht wor­den sei. Die au­to­ma­ti­sche Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses im Fal­le ei­ner Sch­ließung sei ei­ne schwe­re Be­las­tung der Beschäftig­ten, die in ihr Grund­recht nach Art. 12 GG ein­grei­fe und des­halb an ein vor­he­ri­ges zu­mut­ba­res Ar­beits­platz­an­ge­bot ge­kop­pelt sein müsse (ArbG Ber­lin, 33 Ca 7824/11).

Ei­ne Aus­le­gung des § 164 Abs. 4 SGB V er­gibt, dass es bei or­dent­lich unkünd­ba­ren Beschäftig­ten nur dann zu ei­ner Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses nach § 164 Abs. 4 SGB V kom­men kann, wenn ih­nen zu­vor ein zu­mut­ba­res An­ge­bot nach § 164 Abs. 3 Satz 3 SGB V ge­macht wor­den ist. Die­ses folgt schon aus dem Wort­laut der Re­ge­lung, aber auch aus ih­rem sys­te­ma­ti­schen Zu­sam­men­hang und ih­rem Sinn und Zweck. Der Wort­laut ver­langt, dass die Beschäftig­ten „nicht nach Ab­satz 3“ un­ter­ge­bracht wer­den. Die Un­ter­brin­gung nach Ab­satz 3 ge­schieht da­durch, dass von ei­nem Lan­des­ver­band der Be­triebs­kran­ken­kas­sen oder ei­ner an­de­ren Be­triebs­kran­ken­kas­se ei­ne Stel­lung an­ge­bo­ten wird, die un­ter Berück­sich­ti­gung der Fähig­kei­ten und bis­he­ri­gen Dienst­stel­lung zu­zu­mu­ten ist. Es geht da­mit in Ab­satz 4 nicht um ir­gend­ei­ne an­der­wei­ti­ge Un­ter­brin­gung, son­dern ge­ra­de um ei­ne sol­che, die für die Beschäftig­ten zu­mut­bar ist. Der Hin­weis auf ei­ne Un­ter­brin­gung nach Ab­satz 3 im Wort­laut des aus­zu­le­gen­den § 164 Abs. 4 SGB V deu­tet dar­auf hin, dass Vor­aus­set­zung der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses bei Sch­ließung ein zu­mut­ba­res an­der­wei­ti­ges An­ge­bot ist. Hierfür spricht außer­dem die Sys­te­ma­tik der Re­ge­lung, die in ers­ter Li­nie in Ab­satz 3 auf ein zu­mut­ba­res An­ge­bot ab­stellt und erst in zwei­ter Li­nie im nach­ge­stell­ten Ab­satz 4 und nur un­ter der Vor­aus­set­zung, dass ei­ne Un­ter­brin­gung nach Abs. 3 nicht er­folgt ist, ei­ne Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses an­ord­net. Ge­ra­de für Be­triebs­kran­ken­kas­sen wer­den die­se Abhängig­kei­ten zwi­schen den Re­ge­lun­gen in den Absätzen 3 und 4 noch da­durch be­tont, dass § 155 Abs. 4 Satz 9 AGB V be­stimmt, dass für or­dent­lich künd­ba­re Beschäftig­te

 

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§ 164 Abs. 3 Satz 3 nicht gel­ten soll. Für die­se Beschäftig­ten wird der Zu­sam­men­hang zwi­schen § 164 Abs. 3 Satz 3 und Abs. 4 SGB V aus­drück­lich auf­gelöst. Das be­deu­tet zu­gleich, dass er im Übri­gen an­er­kannt wird. Ein sol­cher sys­te­ma­ti­scher Zu­sam­men­hang wäre un­verständ­lich, wenn al­le Ar­beits­verhält­nis­se un­abhängig da­von auf­gelöst würden, ob über­haupt ein An­ge­bot ge­macht wor­den und ob die­ses zu­mut­bar ge­we­sen wäre. Erklärbar ist der Zu­sam­men­hang viel­mehr nur, wenn ei­ne Be­en­di­gung nur für sol­che unkünd­ba­ren Beschäftig­ten ein­tre­ten soll, die zu­min­dest kein zu­mut­ba­res An­ge­bot er­hal­ten ha­ben. Hierfür spricht auch Sinn und Zweck der Re­ge­lung. Durch § 164 Abs. 4 SGB V wird in schwer­wie­gen­der Wei­se in die so­zia­le und wirt­schaft­li­che Stel­lung der be­trof­fe­nen Beschäftig­ten ein­ge­grif­fen. Die Exis­tenz­grund­la­ge wird ent­zo­gen, oh­ne dass die Möglich­keit ei­ner Kündi­gungs­schutz­kla­ge nach dem Kündi­gungs­schutz­ge­setz be­steht, mit­tels de­rer der Weg­fall der Beschäfti­gungsmöglich­keit, das Feh­len zu­mut­ba­rer an­de­rer Ar­beitsplätze und ei­ne zu­tref­fen­de So­zi­al­aus­wahl ge­prüft wer­den könn­ten. Da­mit liegt ei­ne ekla­tan­te Un­gleich­be­hand­lung ge­genüber den übri­gen pri­vat­wirt­schaft­lich Beschäftig­ten vor, die selbst im In­sol­venz­fall höchs­tens ei­ne Verkürzung ih­rer Kündi­gungs­frist, nicht aber den Weg­fall des Kündi­gungs­schut­zes nach dem Kündi­gungs­schutz­ge­setz hin­zu­neh­men ha­ben. Er­sicht­lich soll die­se stren­ge Rechts­fol­ge des § 164 Abs. 4 SGB V da­durch ab­ge­mil­dert wer­den, dass die Beschäftig­ten an­der­wei­tig zu zu­mut­ba­ren Be­din­gun­gen un­ter­ge­bracht wer­den. Gleich­sam als Er­satz für den Kündi­gungs­schutz wird ein an­der­wei­ti­ger Ar­beits­platz ge­stellt, der die wirt­schaft­li­che und so­zia­le Exis­tenz si­chern soll. Die­ser Zweck er­for­dert, dass es wirk­lich zu ei­nem an­de­ren An­ge­bot kommt, das auch zu­mut­bar ist. Er lie­fe ins Lee­re, wenn es al­lein dar­auf ankäme, dass es – aus wel­chen Gründen auch im­mer – nicht zu ei­ner Un­ter­brin­gung nach § 163 Abs. 3 SGB V ge­kom­men wäre. Die­ser Aus­le­gung des § 164 Abs. 4 SGB V steht nicht der da­mit of­fen­sicht­lich ver­folg­te Zweck der Pri­vi­le­gie­rung des Kas­sen­we­sens ent­ge­gen. Die­se Pri­vi­le­gie­rung bleibt er­hal­ten, wenn nur die Ver­pflich­tun­gen des § 164 Abs. 3 Satz 3 SGB V ein­ge­hal­ten wer­den. Es han­delt sich bei die­ser Re­ge­lung nur um ei­ne Be­din­gung die­ser Pri­vi­le­gie­rung, die zum Schut­ze der Beschäftig­ten für er­for­der­lich ge­hal­ten wur­de. Auch kann nicht ein­ge­wandt wer­den, dass die Sch­ließung nach § 164 Abs. 4 SGBV zu ei­ner Be­en­di­gung al­ler Ar­beits­verhält­nis­se führen sol­le, so dass es nicht bis zur Sch­ließung zu ei­nem An­ge­bot nach § 164 Abs. 3 Satz 3 SGB V kom­men müsse, son­dern die­ses auch noch nach der Sch­ließung ge­macht wer­den könne. Die Auf­fas­sung, dass durch die Sch­ließung un­be­scha­det ei­nes An­ge­bots al­le Ar­beits­verträge be­en­det wer­den sol­len, ist schon des­halb nicht über­zeu­gend, weil § 164 Abs. 4 SGB V aus­drück­lich dar­an an­knüpft, dass kein zu­mut­ba­res An­ge­bot nach Abs. 3 ge­macht wor­den ist. Die The­se der Be­en­di­gung al­ler

 

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Ar­beits­verhält­nis­se mit der Sch­ließung ist – wie aus­geführt – nicht mit dem Wort­laut, der Sys­te­ma­tik und dem Sinn und Zweck der Re­ge­lung in Übe­rein­stim­mung zu brin­gen.

Es kann da­hin­ge­stellt blei­ben, ob für or­dent­lich künd­ba­re Beschäftig­te die Rechts­fol­ge des § 164 Abs. 4 SGB V auch dann ein­tritt, wenn ih­nen kein zu­mut­ba­res An­ge­bot ge­macht wor­den ist, und wel­che Fol­ge die­ses für die Ver­fas­sungs­gemäßheit der Re­ge­lung hätte. Je­den­falls für den Per­so­nen­kreis der or­dent­lich unkünd­ba­ren Beschäftig­ten, zu dem der Kläger gehört, ist für die Be­en­di­gungs­wir­kung ein zu­mut­ba­res An­ge­bot un­erläss­lich.

Ein sol­ches zu­mut­ba­res An­ge­bot im Sin­ne des § 164 Abs. 3 Satz 3 SGB V ist dem Kläger nicht ge­macht wor­den. Ihm wur­de kei­ne Stel­le an­ge­bo­ten, die ihm un­ter Berück­sich­ti­gung sei­ner Fähig­kei­ten und bis­he­ri­gen Dienst­stel­lung zu­zu­mu­ten ist. Je­den­falls bei der Prüfung, ob das An­ge­bot nach der bis­he­ri­gen Dienst­stel­lung zu­mut­bar ist, ist das bis­he­ri­ge Ent­gelt als „abwägungs­re­le­vant“ (Grau/Sit­tard, KrV 2012, 7) zu berück­sich­ti­gen. Da das Ent­gelt auf der an­ge­bo­te­nen Stel­le um min­des­tens ca. € 2.400 ge­rin­ger ist als das bis­he­ri­ge Ent­gelt des Klägers, ist ei­ne Zu­mut­bar­keit nach der bis­he­ri­gen Dienst­stel­lung je­den­falls zwei­fel­haft. Dass im Übri­gen die Stel­le die Zu­mut­bar­keits­kri­te­ri­en des § 164 Abs. 3 Satz 3 SGB V erfüllt, ist nicht er­sicht­lich. Die­ses geht zu­las­ten der Be­klag­ten, die sich auf die Be­en­di­gung nach § 164 Abs. 4 SGB V be­ruft. Vor­aus­set­zung ei­ner sol­chen Be­en­di­gung ist nach den vor­ste­hen­den Ausführun­gen ein zu­mut­ba­res An­ge­bot, das dem­gemäß von der Par­tei dar­zu­le­gen ist, die die Be­en­di­gung zu ih­ren Guns­ten an­nimmt, hier al­so der Be­klag­ten. Der Wort­laut des § 164 Abs. 4 SGB V, nach dem es bei der Sch­ließung zu ei­ner Be­en­di­gung der Ver­trags­verhält­nis­se der Beschäftig­ten kommt, die nicht nach Ab­satz 3 un­ter­ge­bracht wer­den, lässt er­ken­nen, dass das Feh­len der Vor­aus­set­zun­gen nach Ab­satz 3 Be­din­gung für den Ein­tritt der Rechts­fol­ge nach Abs. 4 ist. Ob über den Wort­laut des § 164 Abs. 3 Satz 3 SGB V hin­aus auch das An­ge­bot ei­ner Tätig­keit bei der Ab­wick­lungs­ein­heit als zu­mut­bar zu berück­sich­ti­gen ist, braucht nicht ent­schie­den zu wer­den, weil nicht er­sicht­lich ist, dass die­se Tätig­keit die Zu­mut­bar­keits­er­for­der­nis­se erfüllt. Die­ses geht aus den oben ge­nann­ten Gründen zu­las­ten der Be­klag­ten, die die­se Tat­sa­chen in das Ver­fah­ren hätte ein­brin­gen müssen.

bb) Die Klag­anträge zu 2 und 3 sind be­gründet, weil das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en durch die Kündi­gung vom 19. Mai 2011 nicht auf­gelöst wor­den ist.

 

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Die Kündi­gung vom 19. Mai 2011 ist un­wirk­sam. Die Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne Kündi­gung aus wich­ti­gem Grund ge­genüber dem or­dent­lich unkünd­ba­ren Kläger sind nicht ge­ge­ben.

Die Kündi­gung gilt nicht nach § 7 KSchG als von An­fang an rechts­wirk­sam, weil die ge­gen die Kündi­gung vom 19. Mai ge­rich­te­te Kla­ge in­ner­halb der Frist des § 4 KSchG, nämlich am 30. Mai 2011, beim Ar­beits­ge­richt ein­ging und der Be­klag­ten zu 2 in­ner­halb der Frist von drei Wo­chen am 6. Ju­ni 2011 zu­ge­stellt wur­de.

Die Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne außer­or­dent­li­che be­triebs­be­ding­te Kündi­gung sind nicht ge­ge­ben. Zwar kommt ei­ne sol­che Kündi­gung ge­genüber Ar­beit­neh­me­rin­nen und Ar­beit­neh­mern in Be­tracht, bei de­nen die or­dent­li­che Kündi­gung ta­rif­lich aus­ge­schlos­sen ist (KR-Fi­scher­mei­er, § 626 BGB, Rn 155 und 417). Vor­aus­set­zung ist aber, dass zu­min­dest die drin­gen­den be­trieb­li­chen Er­for­der­nis­se für die Kündi­gung ge­ge­ben sind, die die­se nach § 1 KSchG so­zi­al recht­fer­ti­gen könn­ten. Dar­an fehlt es vor­lie­gend. Es kann schon nicht da­von aus­ge­gan­gen wer­den, dass der Ar­beits­platz des Klägers durch die Sch­ließung der Kas­se ent­fal­len ist. Bei der Ab­wick­lungs­ein­heit han­delt es sich kraft ge­setz­li­cher Re­ge­lung um die­sel­be Rechts­persönlich­keit wie die Be­triebs­kran­ken­kas­se vor Sch­ließung. Es kann da­hin­ge­stellt blei­ben, ob die Sch­ließung ei­ner Be­triebs­kran­ken­kas­se als Ge­gen­akt zu ih­rer Er­rich­tung mit so­for­ti­ger Wir­kung zum Fort­fall ih­rer Rechts­persönlich­keit führen könn­te. Nach § 155 Abs. 1 Satz 2 SGB V gilt die Be­triebs­kran­ken­kas­se als fort­be­ste­hend, so­weit es der Zweck der Ab­wick­lung er­for­dert. Die­se ge­setz­li­che Re­ge­lung macht deut­lich, dass die Ab­wick­lungs­ein­heit zur Be­triebs­kran­ken­kas­se kein Ali­ud ist, son­dern die Be­triebs­kran­ken­kas­se in der Ab­wick­lungs­ein­heit für die Zwe­cke der Ab­wick­lung als fort­be­ste­hend gilt. Zu den Zwe­cken der Ab­wick­lung gehört auch der Um­gang mit Ar­beits­verhält­nis­sen, die zur Be­triebs­kran­ken­kas­se be­stan­den und de­ren Be­en­di­gung um­strit­ten ist. Da­bei han­delt es sich um Rechts­verhält­nis­se, de­ren Be­stand in der Ab­wick­lung der Be­triebs­kran­ken­kas­se geklärt wer­den muss. Der Zweck der Ab­wick­lung er­for­dert die Be­rei­ni­gung in­so­weit be­ste­hen­der Un­klar­hei­ten. Auch nach der Sch­ließung der Be­triebs­kran­ken­kas­se gilt sie nach § 154 Abs. 1 Satz 2 SGB V in der Ab­wick­lungs­ein­heit als fort­be­ste­hend. Das be­deu­tet, dass das Ge­setz kei­ne neue oder wei­te­re Körper­schaft fin­giert, die zu Zwe­cken der Ab­wick­lung ne­ben die Be­triebs­kran­ken­kas­se tritt, son­dern viel­mehr an­ord­net, dass die Be­triebs­kran­ken­kas­se selbst trotz der Sch­ließung als fort­be­ste­hend gilt. Die „Ab­wick­lungs­ein­heit“ ist die fin­gier­te Be­triebs­kran­ken­kas­se nach dem Sch­ließungs­zeit­punkt. Folg­lich gibt es nicht zwei Rechts­persönlich­kei­ten, son­dern vor und nach der Sch­ließung nur

 

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ei­ne ein­zi­ge. Die Rechts­persönlich­keit der Be­triebs­kran­ken­kas­se lebt nach ih­rer Sch­ließung fik­tiv in der „Ab­wick­lungs­ein­heit“ wei­ter. Bei der Ab­wick­lungs­ein­heit be­steht der Be­trieb der Be­triebs­kran­ken­kas­se fort, wenn auch ggf. in klei­ne­rem Rah­men. Dass der Ar­beits­platz des Klägers in die­sem ggf. klei­ne­rem Be­trieb nicht mehr be­steht, ist nicht er­sicht­lich. Fer­ner ist nicht er­sicht­lich, dass es in dem klei­ne­ren Be­trieb kei­ne Möglich­keit gibt, den Kläger auf ei­nem an­de­ren frei­en zu­mut­ba­ren Ar­beits­platz zu beschäfti­gen. Sch­ließlich ist da­von aus­zu­ge­hen, dass die so­zia­le Aus­wahl feh­ler­haft ist. Die Be­klag­ten selbst ge­ben an, dass ei­ne so­zia­le Aus­wahl nicht vor­ge­nom­men wor­den ist. Ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Be­klag­ten wäre aber ei­ne so­zia­le Aus­wahl vor­zu­neh­men ge­we­sen, weil in der Ab­wick­lungs­ein­heit Ar­beitsplätze fort­be­ste­hen. Er­ge­ben sich aus dem Vor­trag ei­ner Ar­beit­ge­be­rin Feh­ler im Ver­fah­ren der so­zia­len Aus­wahl, be­steht ei­ne von der Ar­beit­ge­be­rin aus­zuräum­en­de tatsächli­che Ver­mu­tung dafür, dass auch das Aus­wahl­er­geb­nis feh­ler­haft ist (KR-Grie­be­ling, § 1 KSchG, Rn 687). Da die Be­klag­te zu 2 vor­lie­gend ei­ne so­zia­le Aus­wahl feh­ler­haft un­ter­las­sen und die dar­aus fol­gen­de tatsächli­che Ver­mu­tung nicht aus­geräumt hat, ist die Kündi­gung auch we­gen fal­scher So­zi­al­aus­wahl un­wirk­sam.

Der Fest­stel­lung der Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung steht nicht ent­ge­gen, dass der Kläger ein An­ge­bot auf be­fris­te­te Beschäfti­gung in der Ab­wick­lungs­ein­heit an­ge­nom­men hat. Zwar han­delt es sich bei der Ab­wick­lungs­ein­heit um die­sel­be Rechts­persönlich­keit wie die B.. Außer­dem kann der Ab­schluss ei­nes be­fris­te­ten Ar­beits­verhält­nis­ses ein un­be­fris­te­tes Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den­sel­ben Par­tei­en auf­ge­ho­ben wer­den (BAG, Ur­teil vom 4. Ju­ni 2003, 7 AZR 523/02). Gleich­wohl kann nicht an­ge­nom­men wer­den, dass das neue be­fris­te­te Ar­beits­verhält­nis zwi­schen dem Kläger und der Ab­wick­lungs­ein­heit das bis­he­ri­ge Ar­beits­verhält­nis mit der Fol­ge ablösen soll­te, dass nur noch das neue be­fris­te­te Ar­beits­verhält­nis be­steht. Die­ses neue Ar­beits­verhält­nis wur­de von bei­den Par­tei­en vor dem Hin­ter­grund der von der Ab­wick­lungs­ein­heit zu Un­recht ver­tre­te­nen Auf­fas­sung ab­ge­schlos­sen, dass sie ei­ne an­de­re Rechts­persönlich­keit als die B. sei. Da­mit schied aus ih­rer Sicht von vorn­her­ein aus, dass durch den neu­en Ar­beits­ver­trag ein mit der B. be­ste­hen­des Ar­beits­verhält­nis ab­gelöst wer­den könn­te. Es ist nichts dafür er­sicht­lich, dass der Kläger ei­nen ent­ge­gen­ste­hen­den Wil­len hat­te und ei­ne Ablösung des mit der B. be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis­ses an­streb­te. Da bei­de Sei­ten nicht da­von aus­ge­gan­gen sind, dass das be­fris­te­te Ar­beits­verhält­nis ein un­be­fris­te­tes Ar­beits­verhält­nis mit der B. ablösen soll­te, ist es trotz glei­cher Rechts­persönlich­keit der Ver­trags­part­ner nicht zu ei­ner Auf­he­bung des be­fris­te­ten Ver­tra­ges ge­kom­men.

 

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II. Zur An­schluss­be­ru­fung des Klägers

1) Da ei­ne Klagände­rung in der Be­ru­fungs­in­stanz ein zulässi­ges Rechts­mit­tel vor­aus­setzt (Baum­bach-Hart­mann, ZPO, § 533, Rn 4), ist da­von aus­zu­ge­hen, dass der Kläger mit der Kla­ger­wei­te­rung auf die Be­klag­te zu 2 in der Be­ru­fungs­in­stanz zu­gleich das dafür er­for­der­li­che Rechts­mit­tel der An­schluss­be­ru­fung ein­le­gen woll­te. Bei der Aus­le­gung von Anträgen ist da­von aus­zu­ge­hen, dass die­se Er­folg ha­ben und da­mit al­le An­for­de­run­gen erfüllen sol­len, die für ei­nen sol­chen Er­folg ge­ge­ben sein müssen.

2) Die An­schluss­be­ru­fung ist zulässig. Sie ist den Vor­aus­set­zun­gen des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO ent­spre­chend in­ner­halb der Frist zur Be­ru­fungs­er­wi­de­rung bei Ge­richt ein­ge­reicht wor­den.

Be­den­ken ge­gen die Zulässig­keit der Be­ru­fung be­ste­hen nicht des­halb, weil der Kläger dem Be­ru­fungs­ge­richt in der Be­ru­fungs­er­wi­de­rung erklärt, dass die Auf­fas­sung des Ar­beits­ge­richts, dass die B. nicht mehr exis­tie­re, nach­voll­zieh­bar sei, zur Ver­mei­dung recht­li­cher Nach­tei­le aber die Be­klag­te zu 2 in An­spruch ge­nom­men wer­den müsse. Die Kläge­rin überlässt da­mit nicht dem Lan­des­ar­beits­ge­richt, das Rechts­schutz­ziel ih­rer Be­ru­fung zu be­stim­men, son­dern zeigt mit der Wei­ter­ver­fol­gung ih­res erst­in­stanz­li­chen Be­geh­rens, dass sie in ers­ter Li­nie ge­genüber der Be­klag­ten zu 1 ob­sie­gen will. Die Gel­tend­ma­chung der Anträge er­folgt ge­genüber der Be­klag­ten zu 2 nur zur Ver­mei­dung von Nach­tei­len und da­mit zweit­ran­gig. Da­mit steht das Rechts­schutz­be­geh­ren des Klägers hin­rei­chend fest.

Im Übri­gen be­ste­hen kei­ne Be­den­ken ge­gen die Zulässig­keit der Be­ru­fung.

2) Die An­schluss­be­ru­fung ist un­be­gründet, weil die Kla­ge ge­gen die Be­klag­te zu 2 un­zulässig ist. Bei zu­tref­fen­der recht­li­cher Würdi­gung han­delt es sich bei bei­den Be­klag­ten um die­sel­be Rechts­persönlich­keit un­ter ver­schie­de­nen Be­zeich­nun­gen. Da die­sel­be Per­son nicht zu­gleich zwei­mal un­ter ver­schie­de­nen Na­men ver­klagt wer­den kann, ist ei­ne Kla­ge un­zulässig, wenn die­ses ge­schieht.

Bei bei­den Be­klag­ten han­delt es sich kraft ge­setz­li­cher An­ord­nung um die­sel­be

 

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Be­triebs­kran­ken­kas­se als Ge­gen­akt zu ih­rer Er­rich­tung mit so­for­ti­ger Wir­kung zum Fort­fall ih­rer Rechts­persönlich­keit führen könn­te. Nach § 155 Abs. 1 Satz 2 SGB V gilt die Be­triebs­kran­ken­kas­se als fort­be­ste­hend, so­weit es der Zweck der Ab­wick­lung er­for­dert. Die­se ge­setz­li­che Re­ge­lung macht deut­lich, dass die Ab­wick­lungs­ein­heit zur Be­triebs­kran­ken­kas­se kein Ali­ud ist, son­dern die Be­triebs­kran­ken­kas­se in der Ab­wick­lungs­ein­heit für die Zwe­cke der Ab­wick­lung als fort­be­ste­hend gilt. Zu den Zwe­cken der Ab­wick­lung gehört auch der Um­gang mit Ar­beits­verhält­nis­sen, die zur Be­triebs­kran­ken­kas­se be­stan­den und de­ren Be­en­di­gung um­strit­ten ist. Da­bei han­delt es sich um Rechts­verhält­nis­se, de­ren Be­stand in der Ab­wick­lung der Be­triebs­kran­ken­kas­se geklärt wer­den muss. Der Zweck der Ab­wick­lung er­for­dert die Be­rei­ni­gung in­so­weit be­ste­hen­der Un­klar­hei­ten. Auch nach der Sch­ließung der Be­triebs­kran­ken­kas­se gilt sie nach § 154 Abs. 1 Satz 2 SGB V in der Ab­wick­lungs­ein­heit als fort­be­ste­hend. Das be­deu­tet, dass das Ge­setz kei­ne neue oder wei­te­re Körper­schaft fin­giert, die zu Zwe­cken der Ab­wick­lung ne­ben die Be­triebs­kran­ken­kas­se tritt, son­dern viel­mehr an­ord­net, dass die Be­triebs­kran­ken­kas­se selbst trotz der Sch­ließung als fort­be­ste­hend gilt. Die „Ab­wick­lungs­ein­heit“ ist die fin­gier­te Be­triebs­kran­ken­kas­se nach dem Sch­ließungs­zeit­punkt. Folg­lich gibt es nicht zwei Rechts­persönlich­kei­ten, son­dern vor und nach der Sch­ließung nur ei­ne ein­zi­ge. Die Rechts­persönlich­keit der Be­triebs­kran­ken­kas­se lebt nach ih­rer Sch­ließung fik­tiv in der „Ab­wick­lungs­ein­heit“ wei­ter.

Da ei­ne Kla­ge nicht ge­gen zwei Be­klag­te er­ho­ben wer­den kann, bei de­nen es sich um ei­ne ein­zi­ge Per­son han­delt, ist ei­ne sol­che Kla­ge un­zulässig. Zwar ist nicht aus­ge­schlos­sen, dass ei­ne sol­che Kla­ge da­hin­ge­hend aus­ge­legt wer­den kann, dass ei­gent­lich trotz der dop­pel­ten Be­nen­nung nur ei­ne be­klag­te Par­tei ge­meint sein soll. Ei­ne der­ar­ti­ge Aus­le­gung kann aber nur dann in Fra­ge kom­men, wenn die dop­pel­te Be­nen­nung nicht be­wusst mit dem Ziel er­folgt, zwei Rechts­per­so­nen zu ver­kla­gen, um Rechts­nach­tei­le für den Fall zu ver­mei­den, dass es sich nicht nur um ei­ne Rechts­per­son han­delt. So liegt der Fall vor­lie­gend. In der Be­ru­fungs­er­wi­de­rung wird deut­lich ge­macht, dass es dem Kläger zur Wah­rung sei­ner Rech­te dar­auf an­kommt, bei­de Be­klag­te auf­zuführen. Die­ser Wil­le des Klägers kann nicht mit der Fol­ge un­be­ach­tet blei­ben, dass von vorn­her­ein nur ei­ne Par­tei als Kla­ge­geg­ne­rin an­ge­nom­men wird. Der Kläger be­stimmt, ge­gen wen sich ei­ne Kla­ge rich­ten soll. Sein aus­drück­lich ge­nann­ter Wil­le kann nicht durch Aus­le­gung in sein Ge­gen­teil ver­kehrt wer­den.

Es kann da­hin­ge­stellt blei­ben, ob die Un­zulässig­keit ei­ner Kla­ge ge­gen ei­ne Per­son als zwei

 

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kla­gen­de Par­tei kein Rang­verhält­nis un­ter den von ihr be­nann­ten Be­klag­ten auf­ge­stellt hat. Vor­lie­gend ist vom Kläger ein sol­ches Rang­verhält­nis nämlich be­nannt wor­den, weil er an­ge­ge­ben hat, dass er ent­ge­gen ei­ge­ner Rechts­mei­nung die Kla­ge nur zur Ver­mei­dung recht­li­cher Nach­tei­le ge­gen die Be­klag­te zu 2 er­wei­tert. Da­mit bringt er un­miss­verständ­lich zum Aus­druck, dass die Kla­ge ge­gen die Be­klag­te zu 1 für ihn Vor­rang hat.

Da die Kla­ger­wei­te­rung schon un­zulässig ist, weil es sich bei den Be­klag­ten um ei­ne Per­son han­delt, kann es da­hin­ge­stellt blei­ben, ob die Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne Kla­ger­wei­te­rung um ei­ne wei­te­re Par­tei in der Be­ru­fungs­in­stanz ge­ge­ben sind.

III. Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus §§ 91, 92 ZPO.

Die Re­vi­si­on ist nach § 72 Abs. 2 Zif­fer 1 ArbGG zu­zu­las­sen.

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