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BAG, Be­schluss vom 18.04.2012, 4 AZR 168/10 (A)

   
Schlagworte: Mindestlohn, Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG)
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 4 AZR 168/10 (A)
Typ: Beschluss
Entscheidungsdatum: 18.04.2012
   
Leitsätze:

1. Eine vom Arbeitgeber aufgrund eines von ihm angewandten Haustarifvertrages erbrachte „Einmalzahlung“, die die Funktion der Überbrückung bis zum späteren Inkrafttreten einer linearen tabellenwirksamen Lohnerhöhung hat, ist aufgrund ihres Zwecks grundsätzlich auf den Mindestlohnanspruch eines Arbeitnehmers aus einem allgemeinverbindlichen Verbandstarifvertrag anzurechnen.

2. Eine vom Arbeitgeber aufgrund des von ihm angewandten Haustarifvertrages erbrachte „vermögenswirksame Leistung“ iSd. Fünften VermBG ist nicht auf den tariflichen Mindestlohnanspruch des Arbeitnehmers anzurechnen, da ihr Zweck der langfristigen Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand nicht funktional gleichwertig mit dem Zweck des Mindestlohns ist.

3. Dem EuGH wird die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob diese Auslegung mit der Auslegung des Begriffs „Mindestlohnsätze“ in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c) der Richtlinie 96/71/EG vereinbar ist.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 17.2.2009 - 19 Ca 279/08
Landesarbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 6.1.2010 - 5 Sa 33/09
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

4 AZR 168/10 (A)
5 Sa 33/09
Lan­des­ar­beits­ge­richt
Ham­burg


Verkündet am

18. April 2012

BESCHLUSS

Frei­tag, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläger, Be­ru­fungskläger und Re­vi­si­onskläger,

pp.

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Vier­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 18. April 2012 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richts Prof. Be­p­ler, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Creutz­feldt und Dr. Tre­ber so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Ste­ding und Rupp­recht be­schlos­sen:
 

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I. Dem Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on wer­den gemäß Art. 267 des Ver­tra­ges über die Ar­beits­wei­se der Eu­ropäischen Uni­on (AEUV) fol­gen­de Fra­gen vor­ge­legt:

1. Ist der Be­griff „Min­dest­lohnsätze“ in Art. 3 Abs. 1 Un­terabs. 1 Buchst. c) der Richt­li­nie 96/71/EG da­hin aus­zu­le­gen, dass er die Ge­gen­leis­tung des Ar­beit­ge­bers für die­je­ni­ge Ar­beits­leis­tung des Ar­beit­neh­mers be­zeich­net, die nach der in Art. 3 Abs. 1 Ein­gangs­satz der Richt­li­nie ge­nann­ten Rechts- oder Ver­wal­tungs­vor­schrift oder dem all­ge­mein­ver­bind­li­chen Ta­rif­ver­trag al­lein und vollständig mit dem ta­rif­li­chen Min­dest­lohn ab­ge­gol­ten wer­den soll („Nor­mal­leis­tung“), und des­halb nur Ar­beit­ge­ber­leis­tun­gen auf die Ver­pflich­tung zur Zah­lung des Min­dest­lohn­sat­zes an­ge­rech­net wer­den können, die die­se Nor­mal­leis­tung ent­gel­ten und spätes­tens zu dem Fällig­keits­ter­min für den je­wei­li­gen Lohn­zah­lungs­zeit­raum dem Ar­beit­neh­mer zur Verfügung ste­hen müssen?

2. Ist der Be­griff „Min­dest­lohnsätze“ in Art. 3 Abs. 1 Un­terabs. 1 Buchst. c) der Richt­li­nie 96/71/EG da­hin aus­zu­le­gen, dass er na­tio­na­len Be­stim­mun­gen oder Ge­pflo­gen­hei­ten ent­ge­gen­steht, nach de­nen Lei­tun­gen ei­nes Ar­beit­ge­bers nicht als Be­stand­teil des Min­dest­lohns an­zu­se­hen und da­mit nicht auf die Erfüllung des Min­dest­lohn­an­spruchs an­zu­rech­nen sind, wenn der Ar­beit­ge­ber die­se Leis­tun­gen auf­grund ei­ner ta­rif­ver­trag­li­chen Ver­pflich­tung er­bringt,


- die nach dem Wil­len der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en und des na­tio­na­len Ge­setz­ge­bers da­zu be­stimmt sind, der Bil­dung von Vermögen in Ar­beit­neh­mer­hand zu die­nen,


und zu die­sem Zweck

- die mo­nat­li­chen Leis­tun­gen vom Ar­beit­ge­ber für den Ar­beit­neh­mer lang­fris­tig an­ge­legt wer­den, zum Bei­spiel als Spar­bei­trag, als Bei­trag zum Bau oder Er­werb ei­nes Wohn­gebäudes oder als Bei-trag zu ei­ner Ka­pi­tal­le­bens­ver­si­che­rung, und

- mit staat­li­chen Zuschüssen und Steu­er­vergüns­ti­gun­gen gefördert wer­den, und

- der Ar­beit­neh­mer erst nach ei­ner mehrjähri­gen Frist über die­se Beiträge verfügen kann, und
 


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- die Höhe der Beiträge als mo­nat­li­cher Fest­be­trag al­lein von der ver­ein­bar­ten Ar­beits­zeit, nicht je-doch von der Ar­beits­vergütung abhängt („vermögens­wirk­sa­me Leis­tun­gen“)?

II. Das Ver­fah­ren wird aus­ge­setzt.

Gründe

A. Ge­gen­stand des Aus­gangs­ver­fah­rens


Das Aus­gangs­ver­fah­ren be­trifft ua. die Fra­ge, wel­che Leis­tun­gen ei­nes Ar­beit­ge­bers an ei­nen Ar­beit­neh­mer für die Erfüllung von des­sen An­spruch auf den Min­dest­lohn nach ei­nem all­ge­mein­ver­bind­li­chen Ta­rif­ver­trag an­zu­rech­nen sind, wenn die­ser im Fal­le der Ent­sen­dung ei­nes Ar­beit­neh­mers durch ei­nen ausländi­schen Ar­beit­ge­ber, der sei­nen Sitz in ei­nem Mit­glied­staat der EU hat, auch auf die­ses Ar­beits­verhält­nis an­zu­wen­den wäre. In die­sem Zu­sam­men­hang stellt sich ins­be­son­de­re die Fra­ge nach der uni­ons­recht­li­chen Aus­le­gung des Be­griffs „Min­dest­lohnsätze“ in Art. 3 Abs. 1 Un­terabs. 1 Buchst. c) der Richt­li­nie 96/71/EG.


B. Recht­li­cher Rah­men


1. Uni­ons­recht


Nach der acht­zehn­ten Be­gründungs­erwägung der Richt­li­nie 96/71/EG vom 16. De­zem­ber 1996 (Ent­sen­de-Richt­li­nie - Richt­li­nie 96/71/EG) soll­te der Grund­satz ein­ge­hal­ten wer­den, dass außer­halb der Ge­mein­schaft ansässi­ge Un­ter­neh­men nicht bes­ser ge­stellt wer­den dürfen als Un­ter­neh­men, die im Ho­heits­ge­biet ei­nes Mit­glied­staats ansässig sind.


In Art. 3 Abs. 1 der Richt­li­nie 96/71/EG heißt es: 


„Die Mit­glied­staa­ten sor­gen dafür, daß un­abhängig von


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dem auf das je­wei­li­ge Ar­beits­verhält­nis an­wend­ba­ren Recht die in Ar­ti­kel 1 Ab­satz 1 ge­nann­ten Un­ter­neh­men den in ihr Ho­heits­ge­biet ent­sand­ten Ar­beit­neh­mern bezüglich der nach­ste­hen­den As­pek­te die Ar­beits- und Beschäfti­gungs­be­din­gun­gen ga­ran­tie­ren, die in dem Mit­glied­staat, in des­sen Ho­heits­ge­biet die Ar­beits­leis­tung er­bracht wird, ...


- durch für all­ge­mein ver­bind­lich erklärte Ta­rif­verträge oder Schiedssprüche im Sin­ne des Ab­sat­zes 8, ...

fest­ge­legt sind:

...


c) Min­dest­lohnsätze ein­sch­ließlich der Über­stun­densätze; dies gilt nicht für die zusätz­li­chen be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gungs­sys­te­me;
...


Zum Zweck die­ser Richt­li­nie wird der in Un­ter­ab­satz 1 Buch­sta­be c) ge­nann­te Be­griff der Min­dest­lohnsätze durch die Rechts­vor­schrif­ten und/oder Prak­ti­ken des Mit­glied­staats be­stimmt, in des­sen Ho­heits­ge­biet der Ar­beit­neh­mer ent­sandt wird.“

2. Na­tio­na­les Recht


In der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land war in dem im vor­lie­gen­den Fall strei­ti­gen Zeit­raum vom 1. Ju­li 2007 bis zum 30. Ju­ni 2008 das Ge­setz über zwin­gen­de Ar­beits­be­din­gun­gen bei grenzüber­schrei­ten­den Dienst­leis­tun­gen - Ar­beit­neh­mer-Ent­sen­de­ge­setz - (in der Fas­sung vom 25. April 2007 und am 1. Ju­li 2007 in Kraft ge­tre­ten - AEntG 2007) die Rechts­grund­la­ge für die Er­stre­ckung all­ge­mei­ner Ar­beits­be­din­gun­gen auf Ar­beits­verhält­nis­se zwi­schen ei­nem Ar­beit­ge­ber mit Sitz in ei­nem an­de­ren Mit­glied­staat und sei­nen in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land beschäftig­ten Ar­beit­neh­mern. Das AEntG 2007 war dar­auf ge­rich­tet, die Ent­sen­de-Richt­li­nie und die nach­fol­gen­den Ände­run­gen des Uni­ons­rechts (zB die Dienst­leis­tungs-Richt­li­nie - Richt­li­nie 2006/123/EG vom 12. De­zem­ber 2006) in na­tio­na­les Recht um­zu­set­zen.

Nach der Kon­zep­ti­on des na­tio­na­len Ge­setz­ge­bers gab es zwei ver- 



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schie­de­ne We­ge, ta­rif­recht­li­che Re­ge­lun­gen, die auf­grund ei­ner All­ge­mein­ver­bind­li­cherklärung nach dem Ta­rif­ver­trags­ge­setz (TVG) für al­le in­ner­deut­schen Ar­beits­verhält­nis­se zwin­gend gel­ten, auch für ausländi­sche Ar­beit­ge­ber für Ent­sen­de­tat­bestände ver­bind­lich zu ma­chen:

- Zum ei­nen wur­den in den im AEntG 2007 auf­ge­nom­me­nen Bran­chen (Bau­haupt­ge­wer­be, Bau­ne­ben­ge­wer­be, Gebäuderei­ni­ger­hand­werk) be­reits be­ste­hen­de und nach dem TVG all­ge­mein­ver­bind­li­che Ta­rif­verträge mit ih­ren Vor­schrif­ten über Min­des­tent­geltsätze, Über­stun­densätze und Ur­laubs­re­ge­lun­gen mit dem AEntG 2007 auf ausländi­sche Ar­beits­verhält­nis­se er­streckt (§ 1 Abs. 1 AEntG 2007). Die­se Er­stre­ckung setz­te je­doch ei­nen be­reits nach dem TVG für all­ge­mein­ver­bind­lich erklärten Ta­rif­ver­trag vor­aus.

- Zum an­de­ren be­stand auch die Möglich­keit zum Er­lass ei­ner Rechts­ver­ord­nung durch das Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Ar­beit und So­zia­les, mit der die ent­spre­chen­den Re­ge­lungs­be­rei­che ei­nes Ta­rif­ver­tra­ges, der nicht be­reits nach dem TVG all­ge­mein-ver­bind­lich war und da­mit auch nicht für al­le in­ner-staat­li­chen Ar­beits­verhält­nis­se ei­ne all­ge­mei­ne zwin­gen­de Wir­kung hat­te, auf An­trag ei­ner Ta­rif­ver­trags­par­tei für al­le, al­so so­wohl für in­ner­staat­li­che als auch für ausländi­sche Ar­beits­verhält­nis­se in Ent­sen­defällen als staat­li­ches Recht mit zwin­gen­der Wir­kung aus­ge­stat­tet wer­den konn­ten (§ 1 Abs. 3a AEntG 2007).


C. Sach­ver­halt des Aus­gangs­ver­fah­rens


1. Der Kläger ist seit dem 1. Ja­nu­ar 2004 als Hal­len­rei­ni­ger bei der Be­klag­ten beschäftigt. Die Be­klag­te ist ein Teil des Kon­zerns der Deut­schen Bahn AG (DB-Kon­zern) und er­bringt Dienst­leis­tun­gen in de­ren Be­reich.

a) Die Un­ter­neh­men des DB-Kon­zerns ha­ben mit der Ge­werk­schaft der Ei­sen­bah­ner Deutsch­lands (Trans­net) und der Ge­werk­schaft Deut­scher Bun­des­bahn­be­am­ter und Anwärter (GDBA) zahl­rei­che Ta­rif­verträge ver­ein­bart. Die­se wer­den von der Be­klag­ten auf die Ar­beits­verhält­nis­se der bei ihr beschäf-
 


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tig­ten Ar­beit­neh­mer an­ge­wandt, un­abhängig da­von, ob die­se selbst Mit­glied ei­ner ta­rif­sch­ließen­den Ge­werk­schaft sind. Zu die­sen Ta­rif­verträgen gehört ua. der Ent­gelt­rah­men­ta­rif­ver­trag für die Ar­beit­neh­mer ver­schie­de­ner Ge­sell­schaf­ten des Geschäfts­felds Ser­vices im UB Dienst­leis­tun­gen (ERTV DB Ser­vices) vom 16. De­zem­ber 2003. Die­ser sieht Rah­men­re­ge­lun­gen für die Ent­gelt­zah­lungs­ver­pflich­tun­gen die­ser Ge­sell­schaf­ten vor. In § 4 ERTV DB Ser­vices ist die Ver­pflich­tung zur Zah­lung ei­ner „vermögens­wirk­sa­men Leis­tung“ vor­ge­se­hen, die für ei­nen voll­zeit­beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer mo­nat­lich 13,29 Eu­ro beträgt. Für teil­zeit­beschäftig­te Ar­beit­neh­mer be­steht ein An­spruch in an­tei­li­ger Höhe ent­spre­chend ih­rer Ar­beits­zeit. Im Zu­sam­men­hang mit dem Fünf­ten Vermögens­bil­dungs­ge­setz vom 4. März 1994 (Fünf­tes VermBG) ist ge­re­gelt, dass es sich da­bei um Geld­leis­tun­gen han­delt, die der Ar­beit­ge­ber für den Ar­beit­neh­mer an­legt. Die in § 2 Fünf­tes VermBG ge­re­gel­ten An­la­ge­for­men sind zum Bei­spiel ein Spar­ver­trag über Wert­pa­pie­re oder an­de­re Vermögens­be­tei­li­gun­gen, Auf­wen­dun­gen ei­nes Ar­beit­neh­mers zum Bau, zum Er­werb, zum Aus­bau oder zur Er­wei­te­rung ei­nes im In­land be­le­ge­nen Wohn­gebäudes oder ei­ner ent­spre­chen­den Ei­gen­tums­woh­nung so­wie Leis­tun­gen ei­nes Ar­beit­neh­mers auf­grund ei­nes Spar- oder Ka­pi­tal­le­bens­ver­si­che­rungs­ver­tra­ges, je­weils nach Maßga­be wei­te­rer ge­setz­li­cher Be­stim­mun­gen. Da­bei kann der Ar­beit­neh­mer erst nach ei­ner - je nach An­la­ge­form un­ter­schied­lich aus­ge­stal­te­ten - mehrjähri­gen Sperr­frist über die Leis­tun­gen verfügen. Die vermögens­wirk­sa­men Leis­tun­gen wer­den in be­stimm­ten An­la­ge­for­men staat­li­cher­seits mit ei­ner sog. Ar­beit­neh­mer-Spar­zu­la­ge in Höhe von 20 Pro­zent gefördert, wenn be­stimm­te Ein­kom­mens­gren­zen nicht über­schrit­ten wer­den. Für An­la­gen zum Woh­nungs­bau wer­den neun Pro­zent Zu­schuss ge­leis­tet. Nach dem ERTV DB Ser­vices ist ein Wahl­recht zwi­schen der vermögens­wirk­sa­men An­la­ge und ei­ner Bar­aus­zah­lung aus­ge­schlos­sen. Der An­spruch auf die vermögens­wirk­sa­me Leis­tung ist nicht über­trag­bar.


Auf das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en wird fer­ner der Ent­gelt­ta­rif­ver­trag für die Ar­beit­neh­mer und Aus­zu­bil­den­den der DB Ser­vices Nord GmbH (ETV DB Ser­vices Nord) vom 16. De­zem­ber 2004 an­ge­wandt, in dem ins­be­son­de­re
 


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die „Lohn­ta­bel­len für ge­werb­li­che Ar­beit­neh­mer des Be­reichs Gebäude- und Ver­kehrs­diens­te“ auf­geführt sind, in de­nen die ta­rif­lich ver­ein­bar­ten St­un­den-löhne fest­ge­hal­ten sind. Die­ser Ta­rif­ver­trag war ursprüng­lich zum 30. Ju­ni 2007 gekündigt wor­den. Im Rah­men von Ta­rif­ver­hand­lun­gen ei­nig­ten sich die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en dann auf ei­ne Wie­der­in­kraft­set­zung des Ent­gelt­ta­rif­ver­tra­ges DB Ser­vices Nord mit fol­gen­den Ände­run­gen: Die Ta­bel­lenlöhne mit Stand vom 30. Ju­ni 2007 soll­ten bis zum 31. März 2008 un­verändert fort­gel­ten und sich mit Wir­kung ab 1. April 2008 um 4,5 Pro­zent erhöhen. Für den Zeit­raum vom 1. Ju­li 2007 bis zum 31. März 2008 soll­ten zwei Zah­lun­gen an die Ar­beit­neh­mer er­fol­gen, die als „Erhöhung der Er­geb­nis­be­tei­li­gung“ in Höhe von 600,00 Eu­ro mit der Ent­gelt­zah­lung für Au­gust 2007 und als „Kon­junk­tur­be­ding­te Son­der­zah­lung“ in Höhe von 150,00 Eu­ro mit der Ent­gelt­zah­lung für Ja­nu­ar 2008 ge­leis­tet wur­den. Den Ar­beit­neh­mern wur­de un­ter Ein­be­zie­hung der ver­ein­bar­ten Erhöhung der Ta­bel­len­ent­gel­te für den Ge­samt­zeit­raum vom 1. Ju­li 2007 bis zum 30. Ju­ni 2009 ein Brut­to­ent­gelt­zu­wachs von ins­ge­samt 1.500,00 Eu­ro ga­ran­tiert.


Der im Ent­gelt­ta­rif­ver­trag DB Ser­vices Nord für die Lohn­grup­pe A 3 - die für den Kläger maßge­bend ist - im Streit­zeit­raum vom 1. Ju­li 2007 bis zum 30. Ju­ni 2008 aus­drück­lich fest­ge­leg­te St­un­den­lohn be­trug bis zum 31. März 2008 7,56 Eu­ro und seit dem 1. April 2008 7,90 Eu­ro brut­to.

b) Das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en un­terfällt zu­gleich dem Gel­tungs­be­reich der Ta­rif­verträge der Gebäuderei­ni­ger­bran­che. Die nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG an sich nur für Mit­glie­der der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en zwin­gend und un­mit­tel­bar gel­ten­den Ta­rif­verträge sind - so­weit hier von Be­deu­tung - im Streit­zeit­raum nach § 5 TVG für all­ge­mein­ver­bind­lich erklärt wor­den und da­mit auf Ar­beits­verhält­nis­se von Nicht­mit­glie­dern der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en er­streckt wor­den, so­weit die­se dem Gel­tungs­be­reich des Ta­rif­ver­tra­ges un­ter­lie­gen. Da­bei wa­ren der Rah­men­ta­rif­ver­trag für die ge­werb­li­chen Beschäftig­ten in der Gebäuderei­ni­gung (RTV Gebäuderei­ni­gung) vom 4. Ok­to­ber 2003 und der Lohn­ta­rif­ver­trag für die ge­werb­lich Beschäftig­ten in der Gebäuderei­ni­gung
 


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(LohnTV Gebäuderei­ni­gung 2004) vom 4. Ok­to­ber 2003 be­reits mit Wir­kung vom 1. April 2004 nach § 5 Abs. 1 TVG für all­ge­mein­ver­bind­lich erklärt wor­den. Durch ei­ne zum 1. Ju­li 2007 wirk­sa­me Ge­set­zesände­rung wur­de die Gebäuderei­ni­ger­bran­che in das AEntG auf­ge­nom­men, so dass die bis­lang für In­lands­ar­beits­verhält­nis­se die­ser Bran­che be­reits be­ste­hen­de All­ge­mein­ver­bind­lich­keit auf die Ar­beits­verhält­nis­se in Ent­sen­defällen er­streckt wur­de. § 2 LohnTV Gebäuderei­ni­gung 2004 sah für ei­ne Tätig­keit, wie sie vom Kläger ver­rich­tet wur­de, im Streit­zeit­raum ei­nen „St­un­den­satz“ von 7,87 Eu­ro vor. Die­ser Ta­rif­ver­trag trat mit Ab­lauf des 29. Fe­bru­ar 2008 außer Kraft. Ei­ne Fol­ge­re­ge­lung mit Wir­kung ab dem 1. März 2008 wur­de durch die Ver­ord­nung des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für Ar­beit und So­zia­les über zwin­gen­de Ar­beits­be­din­gun­gen im Gebäuderei­ni­ger­hand­werk vom 27. Fe­bru­ar 2008 (BAnz. Nr. 34 vom 29. Fe­bru­ar 2008 S. 762) her­bei­geführt. Da­nach soll­ten ua. die St­un­den­lohn­re­ge­lun­gen des Ta­rif­ver­tra­ges zur Re­ge­lung der Min­destlöhne für ge­werb­li­che Ar­beit­neh­mer in der Gebäuderei­ni­gung im Ge­biet der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land (TV Min­dest­lohn Gebäuderei­ni­gung) vom 9. Ok­to­ber 2007 auf al­le nicht an ihn ge­bun­de­nen Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer An­wen­dung fin­den. Der in die­sem TV Min­dest­lohn Gebäuderei­ni­gung vor­ge­se­he­ne „Min­dest­lohn“ (St­un­den­lohn) der der Tätig­keit des Klägers ent­spre­chen­den Lohn­grup­pe war mit 8,15 Eu­ro fest­ge­setzt.

2. Der Kläger hat im Aus­gangs­rechts­streit für den Zeit­raum vom 1. Ju­li 2007 bis zum 30. Ju­ni 2008 im We­sent­li­chen gel­tend ge­macht, dass die Be-klag­te sein Ent­gelt nicht nach dem St­un­den­lohn des LohnTV DB Ser­vices (7,56 bzw. 7,90 Eu­ro), son­dern nach dem St­un­den­lohn der Ta­rif­verträge der Gebäuderei­ni­ger­bran­che (7,87 bzw. 8,15 Eu­ro) hätte be­rech­nen und zah­len müssen. Die von der Be­klag­ten im Streit­zeit­raum er­brach­ten wei­te­ren Leis­tun­gen, ins­be­son­de­re die vermögens­wirk­sa­men Leis­tun­gen und die Ein­mal­zah­lun­gen, sei­en auf die Ver­pflich­tung zur Zah­lung des St­un­den­loh­nes aus den Gebäuderei­ni­ger­ta­rif­verträgen nicht an­zu­rech­nen.

Der Kläger hat sinn­gemäß be­an­tragt, 



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1. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an ihn 734,12 Eu­ro brut­to nebst Zin­sen zu zah­len,


2. fest­zu­stel­len, dass die Be­klag­te ver­pflich­tet ist, das Ar­beits­verhält­nis auf der Ba­sis ei­nes Min­des­tent­gelts von 8,15 Eu­ro brut­to pro St­un­de ab­zu­rech­nen.

Die Be­klag­te hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, dass die von ihr er­brach­ten wei­te­ren Leis­tun­gen auf die von ihr nicht be­strit­te­ne Ver­pflich­tung zur Ent­gelt­zah­lung nach dem St­un­den­satz der Gebäuderei­ni­ger­ta­rif­verträge an­zu­rech­nen sei­en. Da­nach ha­be sie im Er­geb­nis be­reits mehr ge­leis­tet als die­se Ta­rif­verträge von ihr ver­lang­ten.


D. Ent­schei­dungs­er­heb­lich­keit und Erläute­rung der Vor­la­ge­fra­gen


1. Zur Zulässig­keit der Vor­la­ge

a) Der Rechts­streit be­trifft ei­nen rein in­ner­staat­li­chen Sach­ver­halt und ist grundsätz­lich un­ter Be­ach­tung na­tio­na­ler Re­ge­lun­gen zu ent­schei­den. Gemäß Art. 267 AEUV ent­schei­det der Ge­richts­hof im We­ge der Vor­ab­ent­schei­dung über die Aus­le­gung des EU-Ver­tra­ges und der hier­zu er­gan­ge­nen Richt­li­ni­en. Die­se sind vor­lie­gend nicht un­mit­tel­bar berührt. Bei ei­ner dem vor­lie­gen­den Sach­ver­halt ent­spre­chen­den Kon­stel­la­ti­on un­ter Be­tei­li­gung ei­nes ent­sen­den­den ausländi­schen Ar­beit­ge­bers wäre je­doch die Aus­le­gung des Min­dest­lohn-satz-Be­griffs aus der Ent­sen­de-Richt­li­nie un­mit­tel­bar strei­tent­schei­dend. In ei­nem sol­chen Fall wäre dann die Aus­le­gungs­ho­heit des Ge­richts­hofs nach Art. 267 AEUV ge­ge­ben. Dem steht nach der Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs auch nicht Art. 3 Abs. 1 Un­terabs. 2 der Richt­li­nie 96/71/EG ent­ge­gen, wo­nach der Be­griff der Min­dest­lohnsätze durch die Rechts­vor­schrif­ten und/oder Prak­ti­ken des Mit­glied­staats be­stimmt wird, in des­sen Ho­heits­ge­biet der Ar­beit­neh­mer ent­sandt wird. Wie sich aus der Ent­schei­dung des Ge­richts­hofs im Ver­trags­ver­let­zungs­ver­fah­ren Kom­mis­si­on ge­gen Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land (EuGH 14. April 2005 - C-341/02 - Rn. 25 bis 27, Slg. 2005, I-2733) er­gibt, stellt sich bei dem Streit über die Me­tho­de für den Ver­gleich zwi­schen dem auf­grund
 


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der deut­schen Be­stim­mun­gen ge­schul­de­ten Min­dest­lohn­satz und dem Lohn, den ausländi­sche Ar­beit­ge­ber ih­ren nach Deutsch­land ent­sand­ten Ar­beit­neh­mern tatsächlich zah­len, die nach der Richt­li­nie 96/71/EG zu be­ant­wor­ten­de Fra­ge, wel­che Vergütungs­be­stand­tei­le ein Mit­glied­staat als Be­stand­tei­le des Min­dest­lohns berück­sich­ti­gen muss, wenn er prüft, ob die­ser ord­nungs­gemäß erfüllt wor­den ist.

b) In der Rechts­sa­che „Leur-Blo­em“ (EuGH 17. Ju­li 1997 - C-28/95 - Rn. 34, Slg. 1997, I-4161) hat der Ge­richts­hof ent­schie­den, dass ein Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen zur Aus­le­gung ei­ner na­tio­na­len Vor­schrift zwar nicht zwin­gend, aber zulässig ist, wenn die aus­zu­le­gen­de na­tio­na­le Vor­schrift auch bei rein in­ner­staat­li­chen Sach­ver­hal­ten nach dem Wil­len des na­tio­na­len Ge­setz­ge­bers mit sol­chen Sach­ver­hal­ten gleich­zu­be­han­deln ist, die un­ter ei­ne Richt­li­nie fal­len, und des­halb die in­ner­staat­li­che Rechts­vor­schrift an das Ge­mein­schafts­recht an­ge­passt hat. In der Rechts­sa­che „Zwi­j­nen­burg“ (EuGH 20. Mai 2010 - C-352/08 - Rn. 33, Slg. 2010, I-4303) hat der Ge­richts­hof die­se Recht­spre­chung bestätigt und aus­geführt, dass in sol­chen Fällen ein „kla­res In­ter­es­se“ der Uni­on dar­an be­steht, dass die aus dem Uni­ons­recht in das na­tio­na­le Recht über­nom­me­nen Be­stim­mun­gen oder Be­grif­fe un­abhängig da­von, ob sie im in­ner­staat­li­chen oder im grenzüber­schrei­ten­den Fall zur An­wen­dung kom­men, ein­heit­lich aus­ge­legt wer­den, um künf­ti­ge Aus­le­gungs-un­ter­schie­de zu ver­hin­dern. Da­bei bleibt es dem na­tio­na­len Ge­richt vor­be­hal­ten, die Trag­wei­te der Ver­wei­sung der na­tio­na­len Vor­schrift auf das Uni­ons­recht zu be­ur­tei­len.


c) Ein sol­cher Fall liegt hier vor. Bei der Ent­schei­dung im Streit­fall kommt es nach An­sicht des Se­nats auf die Aus­le­gung des Be­griffs „Min­des­tent­gelt­satz“ in § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AEntG 2007 an. Aus dem - un­ter an­de­rem in den Ge­set­zes­ma­te­ria­li­en er­kenn­ba­ren - Wil­len des deut­schen Ge­setz­ge­bers er­gibt sich, dass ei­ne ein­heit­li­che Aus­le­gung für In­lands­sach­ver­hal­te und für uni­ons­recht­lich be­deut­sa­me Sach­ver­hal­te, ins­be­son­de­re bei grenzüber­schrei­ten­der Ar­beit­neh­mer­ent­sen­dung, er­fol­gen soll. Da die­se Be­ur­tei­lung nach der
 


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Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs dem na­tio­na­len Ge­richt vor­be­hal­ten ist, be­darf es da­zu im Rah­men des Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chens kei­ner wei­te­ren Erläute­run­gen.


d) Der Zulässig­keit der Vor­la­ge steht nicht ent­ge­gen, dass das AEntG 2007 durch ei­ne Neu­fas­sung vom 20. April 2009 (AEntG 2009) um­struk­tu­riert und in vie­len Be­rei­chen neu ge­re­gelt wur­de. Die im Streit­fall aus­zu­le­gen­den Be­grif­fe sind nach wie vor Ge­setz. So be­stimmt jetzt § 5 Nr. 1 AEntG 2009, dass un­ter an­de­rem die Min­des­tent­geltsätze Ge­gen­stand ei­nes auf ausländi­sche Ar­beits­verhält­nis­se in Ent­sen­defällen er­streck­ten all­ge­mein­ver­bind­li­chen Ta­rif­ver­tra­ges oder ei­ner ent­spre­chen­den Rechts­ver­ord­nung (§§ 3, 7 AEntG 2009) sein können.

2. Zu den Vor­la­ge­fra­gen all­ge­mein

Von maßge­ben­der Be­deu­tung für die Ent­schei­dung des Rechts­streits ist die Be­ant­wor­tung der Fra­ge, in­wie­weit Leis­tun­gen der Be­klag­ten nach den Ta­rif­verträgen des DB-Kon­zerns, die nicht un­mit­tel­bar den St­un­den­lohn­satz be­tref­fen, aber trotz­dem im Rah­men des Ar­beits­verhält­nis­ses an den Kläger ge­zahlt wur­den, als Leis­tun­gen zur Erfüllung des Min­dest­lohn­an­spruchs aus dem LohnTV Gebäuderei­ni­gung 2004 (Zeit­raum vom 1. Ju­li 2007 bis zum 29. Fe­bru­ar 2008) und aus dem TV Min­dest­lohn Gebäuderei­ni­gung (Zeit­raum vom 1. März bis zum 30. Ju­ni 2008) an­zu­rech­nen sind.

a) Für die An­re­chen­bar­keit von Ar­beit­ge­ber­leis­tun­gen auf (ta­rif­ver­trag­li­che) Ver­pflich­tun­gen ist nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts die „funk­tio­na­le Gleich­wer­tig­keit“ der Leis­tun­gen er­for­der­lich (so zB BAG 30. März 2004 - 1 AZR 85/03 - AP Be­trVG 1972 § 112 Nr. 170 = EzA Be­trVG 2001 § 112 Nr. 10; 27. Ja­nu­ar 2004 - 1 AZR 148/03 - BA­GE 109, 244: „funk­tio­nal äqui­va­lent“). Da­nach ist ei­ne Leis­tung auf ei­ne Ver­pflich­tung des Ar­beit­ge­bers dann an­zu­rech­nen, wenn sie nach ih­rer Zweck­be­stim­mung als Ge­gen­leis­tung für ei­ne be­stimm­te Leis­tung des Ar­beit­neh­mers oder den Teil ei­ner sol­chen die­nen soll, die ih­rer­seits Ge­gen­stand der (ta­rif­ver­trag­li­chen) Ver­pflich­tung

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ist. Zur Be­ur­tei­lung der „funk­tio­na­len Gleich­wer­tig­keit“ ist es er­for­der­lich, die „Funk­ti­on“ zu be­stim­men, die die rea­le Leis­tung des Ar­beit­ge­bers hat, um so­dann fest­zu­stel­len, ob sie sich auf die­je­ni­ge vom Ar­beit­neh­mer ge­leis­te­te oder zu leis­ten­de Ar­beit be­zieht, die nach dem all­ge­mein­ver­bind­li­chen Ta­rif­ver­trag mit dem Min­dest­lohn ab­ge­gol­ten sein soll.

Für die­se Be­stim­mung der Funk­ti­on der rea­len Leis­tung ist je­den­falls dann der sub­jek­ti­ve Wil­le des Ar­beit­ge­bers nicht ent­schei­dend, wenn die Leis­tung nach ei­ner an an­de­rer Stel­le als dem all­ge­mein­ver­bind­li­chen Ta­rif­ver­trag ge­trof­fe­nen Re­ge­lung er­folgt und sich ih­re Funk­ti­on aus die­ser Re­ge­lung er­gibt. So­weit die vom Ar­beit­ge­ber da­nach an­ge­wand­te Re­ge­lung bei­spiels­wei­se Leis­tun­gen als be­son­ders schwie­rig an­sieht und hierfür ei­nen in den Lohn­ab­rech­nun­gen ge­son­dert aus­ge­wie­se­nen „Zu­schlag“ an den Ar­beit­neh­mer zahlt, ist die­ser „Zu­schlag“ gleich­wohl auf die Ver­pflich­tung zur Zah­lung des Grun­dent­gel­tes an­zu­rech­nen, wenn der all­ge­mein­ver­bind­li­che Ta­rif­ver­trag die­se Tätig­keit ge­ra­de nicht als be­son­ders schwie­rig oder gar zu­schlags­pflich­tig an­sieht, son­dern sie als im Rah­men der mit dem Grun­dent­gelt ab­zu­gel­ten­den „Nor­maltätig­keit“ be­wer­tet.

Be­stimmt da­ge­gen der all­ge­mein­ver­bind­li­che Ta­rif­ver­trag für be­son­de­re schwie­ri­ge Ar­beits­be­din­gun­gen des Ar­beit­neh­mers be­son­de­re Zu­la­gen oder Zu­schläge, et­wa für Nacht­ar­beit oder - spe­zi­ell im Gebäuderei­ni­ger­be­reich - Ar­bei­ten in Räum­en mit Tem­pe­ra­tu­ren über 40 Grad Cel­si­us oder un­ter 6 Grad Cel­si­us, so sind die vom Ar­beit­ge­ber spe­zi­ell hierfür er­brach­ten Leis­tun­gen nicht auf den An­spruch auf ein Grun­dent­gelt des Ar­beit­neh­mers an­zu­rech­nen. Die „nor­ma­le“ Gebäuderei­ni­gertätig­keit ist mit sol­chen Zu­la­gen oder Zu­schlägen nicht ab­ge­gol­ten. Hier­aus hat der er­ken­nen­de Se­nat den Schluss ge­zo­gen, dass um­ge­kehrt al­le Leis­tun­gen des Ar­beit­ge­bers an­zu­rech­nen sind, die sich kon­kret auf die „nor­ma­le“, vom all­ge­mein­ver­bind­li­chen Ta­rif­ver­trag als mit dem Grun­dent­gelt ent­lohn­te Tätig­keit be­zie­hen.


b) Der Ge­richts­hof hat - so­weit er­sicht­lich - zur Fra­ge der An­re­chen­bar­keit von Leis­tun­gen des Ar­beit­ge­bers auf den in Art. 3 Abs. 1 Un­terabs. 1 Buchst. c)



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der Richt­li­nie 96/71/EG ge­nann­ten „Min­dest­lohn­satz“ bis­her le­dig­lich im Ver­trags­ver­let­zungs­ver­fah­ren Kom­mis­si­on ge­gen die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land (EuGH 14. April 2005 - C-341/02 - Slg. 2005, I-2733) Ausführun­gen ge­macht. Da­bei ging es je­doch nicht um die Fra­ge, ob kon­kre­te Leis­tun­gen ei­nes be­stimm­ten Ar­beit­ge­bers auf den Min­dest­lohn­an­spruch des (ent­sand­ten) Ar­beit­neh­mers an­zu­rech­nen sind, son­dern ob die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land da­durch ge­gen ih­re Ver­pflich­tung aus Art. 3 der Richt­li­nie 96/71/EG ver­s­toßen hat, dass sie in ei­nem Merk­blatt für ausländi­sche Ar­beit­ge­ber die­se da­hin­ge­hend in­for­miert hat, dass von die­sen ge­zahl­te Zu­la­gen oder Zu­schläge, die nicht das Verhält­nis zwi­schen der Leis­tung des Ar­beit­neh­mers und der von ihm er­hal­te­nen Ge­gen­leis­tung verändern, nicht als Be­stand­tei­le des Min­dest­lohns an­er­kannt wer­den könn­ten. Der Ge­richts­hof hat die­se Fra­ge letzt­lich be­jaht. In der Dar­le­gung der Ver­fah­rens­ge­schich­te hat der Ge­richts­hof da­bei ua. aus­geführt, dass die Par­tei­en des sei­ner­zei­ti­gen Ver­fah­rens sich darüber ei­nig sei­en, dass Pau­schal­beträge, die nicht auf St­un­den­ba­sis er­rech­net würden, nicht als Be­stand­tei­le des Min­dest­lohns berück­sich­tigt wer­den dürf­ten; ab­zu­stel­len sei auf den Brut­to­lohn (EuGH 14. April 2005 - C-341/02 - Rn. 29, aaO). Die­se übe­rein­stim­men­de Auf­fas­sung der Par­tei­en hat sich der Ge­richts­hof da­mals nicht aus­drück­lich zu ei­gen ge­macht.


Der er­ken­nen­de Se­nat da­ge­gen hat bei der Aus­le­gung des Be­griffs „Min­dest­lohn“ in den deut­schen Ta­rif­verträgen die Zah­lung von Pau­schal­sum­men an­rech­nend berück­sich­tigt, wenn die­se als Lohn­be­stand­teil und da­mit als kon­kre­te Ge­gen­leis­tung des Ar­beit­ge­bers für die­je­ni­ge Ar­beits­leis­tung des Ar­beit­neh­mers an­zu­se­hen sind, die mit dem „Min­dest­lohn“ ab­ge­gol­ten wer­den soll. Dies setzt nach Auf­fas­sung des Se­nats nicht zwin­gend vor­aus, dass sie je­weils stun­den­be­zo­gen er­rech­net wer­den. Zum Brut­to­lohn können auch nicht stun­den­be­zo­gen er­rech­ne­te Pau­schal­beträge, wie et­wa Mo­nats­ent­gel­te, gehören, so­weit sie nicht als Zah­lun­gen für be­son­de­re, über die „Nor­mal­leis­tung“ hin­aus­ge­hen­de Be­las­tun­gen oder für den Er­satz von Auf­wen­dun­gen ge­leis­tet oder aus­drück­lich an­de­ren Zwe­cken ge­wid­met sind.
 


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In der ge­nann­ten Ent­schei­dung hat der Ge­richts­hof fer­ner den übe­rein­stim­men­den Stand­punkt der Par­tei­en re­fe­riert, wo­nach auch ein 13. und ein 14. Mo­nats­ge­halt als Be­stand­tei­le des Min­dest­lohns an­er­kannt würden, so­fern sie während der Ent­sen­dung des Ar­beit­neh­mers re­gelmäßig, an­tei­lig, tatsächlich und un­wi­der­ruf­lich ge­zahlt und ihm zum vor­ge­se­he­nen Fällig­keits­da­tum zur Verfügung ge­stellt würden (EuGH 14. April 2005 - C-341/02 - Rn. 31, Slg. 2005, I-2733). Hier­zu hat der Ge­richts­hof im Hin­blick auf die Aus­le­gung des Be­griffs des „Min­dest­lohn­sat­zes“ in Art. 3 Abs. 1 Un­terabs. 1 Buchst. c) der Richt­li­nie 96/71/EG erklärt, dass die­se Auf­fas­sung ge­eig­net ist, „ver­schie­de­ne Un­stim­mig­kei­ten“ zwi­schen der strei­ti­gen na­tio­na­len Re­ge­lung und der Richt­li­nie 96/71/EG zu be­sei­ti­gen (EuGH 14. April 2005 - C-341/02 - Rn. 32, aaO).

Im Hin­blick auf die vor­lie­gen­de Aus­le­gungs­fra­ge ist der da­ma­li­gen Ent­schei­dung des Ge­richts­hofs je­den­falls zu ent­neh­men, dass Zah­lun­gen oder Zu­schläge, die nicht das Verhält­nis zwi­schen der Leis­tung des Ar­beit­neh­mers und der von ihm er­hal­te­nen Ge­gen­leis­tung verändern, als Be­stand­tei­le des Min­dest­lohns an­zu­er­ken­nen sind (EuGH 14. April 2005 - C-341/02 - Rn. 43, Slg. 2005, I-2733).

An­de­rer­seits hat der Ge­richts­hof in wei­te­ren Ent­schei­dun­gen, die zu an­de­ren Uni­ons­vor­schrif­ten er­gan­gen sind, teil­wei­se präzi­se be­stim­men müssen, wel­che Vergütungs­be­stand­tei­le zu ei­nem Ent­gelt­an­spruch oh­ne ent­spre­chen­de Tätig­keit - et­wa im Fall von Mut­ter­schutz­zei­ten oder Ur­laubs­ent­gelt - zu zählen sind. Oh­ne dass die je­wei­li­gen Rechts­grund­la­gen un­mit­tel­bar ver­gleich­bar mit der Ent­sen­de-Richt­li­nie wären, lässt sich doch er­ken­nen, dass zum Bei­spiel der aus Art. 11 Nr. 1 der Richt­li­nie 92/85/EWG er­wach­sen­de An­spruch auf Fort­zah­lung des Ent­gelts während ei­nes schwan­ger­schafts- oder mut­ter­schafts­be­ding­ten Beschäfti­gungs­ver­bo­tes in je­dem Fall das mo­nat­li­che Grund­ge­halt so­wie die­je­ni­gen Be­stand­tei­le des Ent­gel­tes oder der Zu­la­gen um­fas­sen muss, die an die be­ruf­li­che Stel­lung der Ar­beit­neh­me­rin an­knüpfen, wie et­wa ei­ne lei­ten­de Po­si­ti­on, die Dau­er der Be­triebs­zu­gehörig­keit oder die be­ruf­li­che Qua­li­fi­ka­ti­on, nicht da­ge­gen die Ent­gelt­be­stand­tei­le oder Zu­la­gen, die da­von abhängen, dass die be­trof­fe­ne Ar­beit­neh­me­rin be­stimm­te Tätig­kei­ten un­ter
 


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be­son­de­ren Umständen ausübt, und mit de­nen im We­sent­li­chen die mit der Ausübung der Tätig­kei­ten ver­bun­de­nen Nach­tei­le aus­ge­gli­chen wer­den sol­len (EuGH 1. Ju­li 2010 - C-194/08 - [Gas­s­mayr] Rn. 65, 72, AP EWG-Richt­li­nie Nr. 92/85 Nr. 11; 1. Ju­li 2010 - C-471/08 - [Par­viai­nen] Rn. 60, 61, AP EWG-Richt­li­nie Nr. 92/85 Nr. 12). Hin­sicht­lich des während ei­nes Ur­laubs nach Art. 7 der Richt­li­nie 2003/88/EG und der Ver­ein­ba­rung in der An­la­ge zur Richt­li­nie 2000/79/EG fort­zu­zah­len­den Ent­gelts hat der Ge­richts­hof ne­ben dem Grund­ge­halt die­je­ni­gen Ent­gelt­be­stand­tei­le als maßge­bend an­ge­se­hen, die un­trenn­bar mit der Erfüllung der dem Ar­beit­neh­mer nach sei­nem Ar­beits­ver­trag ob­lie­gen­den Auf­ga­ben ver­bun­den sind und durch ei­nen in die Be­rech­nung sei­nes Ge­sam­tent­gelts ein­ge­hen­den Geld­be­trag ab­ge­gol­ten wer­den, so­wie die­je­ni­gen Be­stand­tei­le, die an sei­ne persönli­che und be­ruf­li­che Stel­lung an­knüpfen; nicht zwin­gend ist da­ge­gen die Fort­zah­lung der als Auf­wen­dungs­er­satz er­brach­ten Leis­tun­gen für zusätz­li­che Aus­ga­ben ei­nes sich während der Ar­beit nicht am Stütz­punkt auf­hal­ten­den Pi­lo­ten (EuGH 15. Sep­tem­ber 2011 - C-155/10 - [Wil­liams] Rn. 24, 25, AP Richt­li­nie 2003/88/EG Nr. 5). Nach den Ausführun­gen des Ge­richts­hofs kommt es in­so­weit auf den in­ne­ren Zu­sam­men­hang zwi­schen den ver­schie­de­nen Be­stand­tei­len des Ge­sam­tent­gelts des Ar­beit­neh­mers und der Erfüllung der ihm nach sei­nem Ar­beits­ver­trag ob­lie­gen­den Auf­ga­ben an (EuGH 15. Sep­tem­ber 2011 - C-155/10 - Rn. 26, aaO).


3. Zur ers­ten Vor­la­ge­fra­ge

Im zu Grun­de lie­gen­den Streit­fall ist ein An­spruch des Klägers je­den­falls teil­wei­se ge­ge­ben, wenn die von der Be­klag­ten im Au­gust 2007 und im Ja­nu­ar 2008 ge­leis­te­ten „Ein­mal­zah­lun­gen“ nicht auf den An­spruch auf Gewährung des Min­des­tent­gelts an­zu­rech­nen sind. Für die Ent­schei­dung über die­se Fra­ge kommt es dar­auf an, wie die­se Ein­mal­zah­lun­gen im Hin­blick auf die Ge­gen­leis­tung des Ar­beit­neh­mers zu be­wer­ten sind.

a) Nach den Ge­pflo­gen­hei­ten im deut­schen Ta­rif­ver­trags­recht und in der deut­schen Ta­rif­pra­xis wer­den Lohn­ta­rif­verträge, die bis zu ei­nem be­stimm­ten Zeit­punkt in Kraft sind, häufig erst nach ih­rem Ab­lauf neu ver­han­delt und in
 


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Form ei­nes Nach­fol­ge-Ta­rif­ver­tra­ges ver­ein­bart. Da­bei wird nicht sel­ten ei­ne pro­zen­tua­le Loh­nerhöhung („ta­bel­len­wirk­sam“, das heißt, in die ta­rif­lich ver­bind­li­che Lohn­ta­bel­le ein­ge­ar­bei­tet und die­se da­mit auch für die wei­te­re Zu­kunft verändert) ab ei­nem nach Ab­lauf des vor­he­ri­gen Ta­rif­ver­tra­ges lie­gen­den Zeit­punkt ver­ein­bart. Für den da­vor lie­gen­den Zeit­raum seit Außer­kraft­tre­ten des Vorgänger-Lohn­ta­rif­ver­tra­ges wird in sol­chen Fällen häufig ei­ne pau­scha­le ein­heit­lich-li­nea­re und nicht „ta­bel­len­wirk­sa­me“ Zah­lung in ei­ner ganz be­stimm­ten ab­so­lu­ten Höhe ver­ein­bart. Die­se Zwei­tei­lung der Loh­nerhöhungs­ver­ein­ba­rung kann da­bei auch dem Zweck ei­nes so­zia­len Aus­gleichs die­nen, da die pau­scha­len Zah­lun­gen nicht an das Verhält­nis zum bis­he­ri­gen Lohn an­knüpfen, wie die pro­zen­tua­le Erhöhung für die Zu­kunft, son­dern für al­le Lohn­grup­pen in glei­cher Höhe ge­zahlt wer­den und da­mit den nied­ri­ge­ren Lohn­grup­pen in über­pro­por­tio­na­ler Wei­se zu Gu­te kom­men. Auch der­ar­ti­ge Ein­mal­zah­lun­gen sind nach Auf­fas­sung des er­ken­nen­den Se­nats als Ent­gelt­be­stand­tei­le an­zu­se­hen, so­weit die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en da­mit ei­ne Loh­nerhöhung im Aus­tausch­verhält­nis von Ar­beit und Ent­gelt vor­neh­men woll­ten.


Für den Streit­fall geht der Se­nat da­von aus, dass es sich bei den ta­rif­lich vor­ge­se­he­nen und von der Be­klag­ten ge­leis­te­ten Ein­mal­zah­lun­gen um der­ar­ti­ge Pau­schal­beträge han­delt, die als ein­heit­li­che li­nea­re Loh­nerhöhungs­beträge für ei­nen be­stimm­ten Zeit­raum und da­mit un­mit­tel­bar als Ge­gen­leis­tung für die vom Ar­beit­neh­mer zu er­brin­gen­de Ar­beits­leis­tung an­zu­se­hen sind. Dies er­gibt sich aus ei­ner Aus­le­gung der hier­zu von den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en ver­ein­bar­ten Re­ge­lun­gen. Die Ein­mal­zah­lun­gen sind da­nach an­tei­lig auf die Mo­na­te des mit ih­nen ab­ge­deck­ten Zeit­raums zu ver­tei­len, da mit ih­nen er­sicht­lich die Fort­zah­lung der bis­he­ri­gen nied­ri­ge­ren Ta­bel­lenlöhne für den Zeit­raum bis zum In­kraft­tre­ten der pro­zen­tua­len Erhöhung über­brückt und kom­pen­siert wer­den soll. Da­bei ist es nach An­sicht des Se­nats unschädlich, dass die ers­te Zah­lung erst am En­de des zwei­ten Mo­nats (Au­gust 2007) des be­tref­fen­den Zeit­raums (1. Ju­li bis zum 31. De­zem­ber 2007) und nicht be­reits mit der Mo­nats­vergütung für den ers­ten Mo­nat (Ju­li 2007) des Zeit­raums er­folg­te. Die Zu­ord­nung der Zah­lung zu dem ge­sam­ten Zeit­raum ist er­kenn­bar. Der Ar­beit-


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neh­mer kann zeit­nah zum ers­ten Be­zugs­zeit­raum­mo­nat über den Ge­samt­be­trag verfügen.


b) Ob dies uni­ons­recht­lich eben­so zu ver­ste­hen ist, ist Ge­gen­stand der ers­ten Vor­la­ge­fra­ge.


aa) Dies ist des­halb nicht selbst­verständ­lich, weil der Ge­richts­hof in der Ent­schei­dung vom 14. April 2005 (- C-341/02 - Slg. 2005, I-2733) in er­kenn­bar zu­stim­men­der Wei­se die Ei­ni­gung der strei­ten­den Par­tei­en (Kom­mis­si­on und Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land) zi­tiert hat, wo­nach ein 13. und ein 14. Mo­nats­ge­halt als Be­stand­tei­le des Min­dest­lohns an­er­kannt würden, so­fern sie - in ei­nem dort all­ge­mein be­han­del­ten Ent­sen­de­fall - während der Ent­sen­dung des Ar­beit­neh­mers nach Deutsch­land re­gelmäßig, an­tei­lig, tatsächlich und un­wi­der­ruf­lich ge­zahlt und ihm zum vor­ge­se­he­nen Fällig­keits­da­tum zur Verfügung ge­stellt würden (- C-341/02 - Rn. 31, aaO). So­fern der Ge­richts­hof ei­ne - an­tei­li­ge - Zah­lung zum je­wei­li­gen Fällig­keits­ter­min des Min­dest­lohn­an­spruchs als An­rech­nungs­vor­aus­set­zung an­sieht, ist dies im Streit­fall zwei­fel­haft, weil die für den Zeit­raum vom 1. Ju­li 2007 bis zum 31. De­zem­ber 2007 ge­leis­te­te Pau­schal­zah­lung erst mit der Mo­nats­vergütung für Au­gust 2007, al­so zum En­de die­ses Mo­nats fällig und ge­zahlt wur­de. Es be­darf fer­ner der Ent­schei­dung, ob die Zah­lung selbst an­tei­lig er­fol­gen muss oder ob sie - hier je­den­falls für die Mo­na­te Sep­tem­ber bis De­zem­ber 2007 - auch im Vor­hin­ein in vol­ler Höhe ge­zahlt, aber je­weils mo­nat­lich an­tei­lig auf den in die­sem Mo­nat je­weils ent­stan­de­nen Min­dest­lohn­an­spruch an­ge­rech­net wer­den kann, wie es der er­ken­nen­de Se­nat aus der Per­spek­ti­ve der na­tio­na­len Recht­spre­chung als zu­tref­fend an­sieht.


bb) Auf der an­de­ren Sei­te hat der Ge­richts­hof in der ge­nann­ten Ent­schei­dung an an­de­rer Stel­le die übe­rein­stim­men­de Auf­fas­sung der Par­tei­en zi­tiert, wo­nach „Pau­schal­beträge, die nicht auf St­un­den­ba­sis be­rech­net wer­den, nicht als Be­stand­tei­le des Min­dest­lohns berück­sich­tigt wer­den dürfen. Ab­zu­stel­len ist auf den Brut­to­lohn“ (EuGH 14. April 2005 - C-341/02 - Rn. 29, Slg. 2005, I-2733). Auch hier liegt ei­ne aus­drück­li­che ei­ge­ne Stel­lung­nah­me des Ge­richts-



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hofs nicht vor. Nach Auf­fas­sung des er­ken­nen­den Se­nats können Leis­tun­gen, die nicht auf St­un­den­ba­sis be­rech­net wer­den, son­dern als mo­nat­lich zu zah­len­des Ent­gelt, im Sin­ne ei­ner Ge­gen­leis­tung für die „Nor­maltätig­keit“ des Ar­beit­neh­mers je­den­falls nach na­tio­na­lem Recht auf den An­spruch des Ar­beit­neh­mers auf den Min­dest­lohn an­ge­rech­net wer­den. Dies gilt nach Mei­nung des Se­nats auch um­ge­kehrt: Ist der Min­dest­lohn im all­ge­mein­ver­bind­li­chen Ta­rif­ver­trag als Mo­nats­lohn aus­ge­wie­sen, müssen auch sol­che Leis­tun­gen des Ar­beit­ge­bers an­ge­rech­net wer­den, die die­ser auf der Grund­la­ge ei­ner St­un­den­lohn­ab­re­de an den Ar­beit­neh­mer zahlt.

4. Zur zwei­ten Vor­la­ge­fra­ge


Im zu Grun­de lie­gen­den Streit­fall ist ein An­spruch des Klägers je­den-falls dann teil­wei­se ge­ge­ben, wenn die von der Be­klag­ten ge­zahl­ten vermögens­wirk­sa­men Leis­tun­gen von mo­nat­lich 13,29 Eu­ro nicht auf das Min­des­tent­gelt an­zu­rech­nen sind.

a) Dies ent­spricht der Auf­fas­sung des er­ken­nen­den Se­nats un­ter Zu­grun­de­le­gung der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts zur An­rech­nung von „funk­tio­nal gleich­wer­ti­gen“ Leis­tun­gen. Die vermögens­wirk­sa­men Leis­tun­gen die­nen da­nach we­sent­lich an­de­ren Zwe­cken als der un­mit­tel­ba­ren Ge­gen­leis­tung für die vom Ar­beit­neh­mer ver­rich­te­te Ar­beit. Sie sind so­wohl nach der Kon­zep­ti­on des na­tio­na­len Ge­setz­ge­bers als auch nach dem Wil­len der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en zur lang­fris­ti­gen Vermögens­bil­dung in Ar­beit­neh­mer­hand vor­ge­se­hen und ver­fol­gen ge­ra­de im Hin­blick auf die staat­li­che Förde­rung kon­kre­te so­zi­al­po­li­ti­sche Zwe­cke. Sie sind trotz re­gelmäßiger mo­nat­li­cher Zah­lung nicht da­zu be­stimmt, dem Be­strei­ten des Le­bens­un­ter­hal­tes des Ar­beit­neh­mers un­mit­tel­bar zu die­nen. Sie ste­hen ihm grundsätz­lich nicht zur frei­en Verfügung, son­dern sind zwin­gend lang­fris­tig an­zu­le­gen. Da­bei gel­ten je nach An­la­ge­art un­ter­schied­li­che Sperr­fris­ten, et­wa sie­ben Jah­re bei Spar­verträgen über Wert­pa­pie­re oder an­de­re Vermögens­be­tei­li­gun­gen (§ 4 Abs. 2, § 8 Abs. 2 Fünf­tes VermBG) und sechs Jah­re beim Wert­pa­pier-Kauf­ver­trag (§ 5 Abs. 2 Fünf­tes VermBG) und beim Be­tei­li­gungs­ver­trag oder dem Be­tei­li­gungs-



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kauf­ver­trag mit dem Ar­beit­ge­ber (§ 6 Abs. 3, § 7 Abs. 3 Fünf­tes VermBG). Im Übri­gen wer­den sie nach der ent­spre­chen­den Re­ge­lung in den DB-Ta­rif­verträgen nicht be­reits mit Be­ginn des Ar­beits­verhält­nis­ses, son­dern erst nach Ab­lauf ei­ner Pro­be­zeit von sechs Mo­na­ten an den Ar­beit­neh­mer ge­zahlt. Die vermögens­wirk­sa­men Leis­tun­gen sind da­nach un­ter na­tio­nal­recht­li­chen Ge­sichts­punk­ten nicht „funk­tio­nal gleich­wer­tig“ mit dem vom Ar­beit­ge­ber zu ent­rich­ten­den Min­dest­lohn.


b) Ob dies uni­ons­recht­lich eben­so zu se­hen ist, ist Ge­gen­stand der zwei­ten Vor­la­ge­fra­ge. Auch in­so­weit ist auf die Ent­schei­dung des Ge­richts­hofs vom 14. April 2005 (- C-341/02 - Slg. 2005, I-2733) zu ver­wei­sen. Nicht er­sicht­lich ist dar­aus, ob auch aus der Sicht des Ge­richts­hofs ein Kri­te­ri­um wie das der „funk­tio­na­len Äqui­va­lenz“ der rea­len Leis­tung für den ge­schul­de­ten Min­dest­lohn maßge­bend ist. Al­ler­dings hat der Ge­richts­hof in die­ser Ent­schei­dung aus­geführt, dass Zu­la­gen oder Zu­schläge, die nicht das Verhält­nis zwi­schen der Leis­tung des Ar­beit­neh­mers und der von ihm er­hal­te­nen Ge­gen­leis­tung verändern, als Be­stand­tei­le des Min­dest­lohns an­zu­er­ken­nen sind (EuGH 14. April 2005 - C-341/02 - Rn. 43, aaO). Dies lässt es aus Sicht des er­ken­nen­den Se­nats je­den­falls nicht als aus­ge­schlos­sen er­schei­nen, dass aus der Sicht des Ge­richts­hofs ei­ne Zah­lung des Ar­beit­ge­bers zu­min­dest grundsätz­lich be­reits dann als auf den Min­dest­lohn­an­spruch im Sin­ne von Art. 3 Abs. 1 Un­terabs. 1 Buchst. c) der Richt­li­nie 96/71/EG an­zu­rech­nen an­ge­se­hen wer­den kann, wenn sie nicht für ei­ne ge­son­der­te Leis­tung des Ar­beit­neh­mers, zum Bei­spiel die Ar­beit un­ter be­son­ders er­schwer­ten Be­din­gun­gen, er­bracht wird. Die vom Ar­beit­ge­ber weit­ge­hend un­abhängig von der Ar­beits­leis­tung und der hierfür ver­ein­bar­ten Vergütung und - auch in der Höhe - ein­heit­lich für al­le Ar­beit­neh­mer er­brach­ten vermögens­wirk­sa­men Leis­tun­gen verändern das Verhält­nis zwi­schen der Leis­tung des Ar­beit­neh­mers und der Ge­gen­leis­tung des Ar­beit­ge­bers in dem oben zi­tier­ten Sin­ne nicht.


Da­nach er­scheint es dem er­ken­nen­den Se­nat auch nicht zwin­gend an­zu­neh­men, dass aus Sicht des Ge­richts­hofs für die Aus­le­gung des Be­griffs des
 


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Min­dest­lohn­sat­zes im Sin­ne von Art. 3 Abs. 1 Un­terabs. 1 Buchst. c) der Richt­li­nie 96/71/EG und für die An­re­chen­bar­keit von Leis­tun­gen die Zweck­be­stim­mung der je­weils er­brach­ten Leis­tung - et­wa im Sin­ne ei­ner „funk­tio­na­len Gleich­wer­tig­keit“ - ein­zu­be­zie­hen ist. Wäre die­se Fra­ge zu be­ja­hen, wären wohl auch aus uni­ons­recht­li­cher Sicht vermögens­wirk­sa­me Leis­tun­gen nicht an­zu­rech­nen.


Der Ge­richts­hof hat sich mit die­ser Fra­ge - so­weit er­kenn­bar - noch nicht aus­drück­lich be­fasst. Le­dig­lich in ei­nem wei­te­ren Ver­trags­ver­let­zungs­ver­fah­ren Kom­mis­si­on ge­gen Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land (EuGH 18. Ju­li 2007 - C-490/04 - Slg. 2007, I-6095), in dem es um ei­ne mögli­che Dop­pel­be­las­tung von ausländi­schen Ar­beit­ge­bern bei der Be­rech­nung des Min­dest­lohns ging, wur­de die­se Fra­ge berührt. Dort hat­te die deut­sche Re­gie­rung sich un­ter an­de­rem auf das vom Bun­des­ar­beits­ge­richt in ständi­ger Recht­spre­chung an­ge­wand­te „Güns­tig­keits­prin­zip“ be­ru­fen, wo­nach bei ei­ner Kol­li­si­on von Ver­trags­recht und Ta­rif­recht von der dem Ar­beit­neh­mer güns­ti­ge­ren Re­ge­lung aus­zu­ge­hen ist. Da­bei sind die in ei­nem in­ne­ren Zu­sam­men­hang ste­hen­den Teil­kom­ple­xe der ta­rif­li­chen und ar­beits­ver­trag­li­chen Re­ge­lun­gen zu ver­glei­chen. Beim Ver­gleich von un­ter­schied­li­chen Re­ge­lun­gen kommt es dar­auf an, ob die­se funk­tio­nal gleich­wer­tig sind, das heißt, mit der glei­chen Ge­gen­leis­tung ver­bun­den sind. Der Ge­richts­hof hat die Kla­ge ge­gen die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land in die­sem Punk­te ab­ge­wie­sen, oh­ne dass es auf die­se Fra­ge ent­schei­dungs­er­heb­lich an­kam. Er hat in sei­ner Ent­schei­dung je­doch dar­an er­in­nert, dass die Be­deu­tung der na­tio­na­len Rechts­vor­schrif­ten un­ter Berück­sich­ti­gung der Aus­le­gung durch die na­tio­na­len Ge­rich­te zu be­ur­tei­len sei. Es ge­be in­so­weit kei­ne Ar­gu­men­te dafür, die be­le­gen könn­ten, dass der in die­sem Ver­fah­ren strei­ti­ge § 1 Abs. 3 AEntG in der Pra­xis nicht ge­mein­schafts­kon­form aus­ge­legt wer­de (EuGH 18. Ju­li 2007 - C-490/04 - Rn. 49, 50, aaO). Dies spricht aus der Sicht des er­ken­nen­den Se­nats dafür, dass in­so­weit die Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts zur „funk­tio­na­len Gleich­wer­tig­keit“ und zum „Güns­tig­keits­prin­zip“ vom Ge­richts­hof zur Kennt­nis ge­nom­men und nicht be­an­stan­det wor­den ist.
 


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Frag­lich ist zu­dem, ob und ge­ge­be­nen­falls in wel­cher Wei­se die vom Ge­richts­hof im frühe­ren Ver­trags­ver­let­zungs­ver­fah­ren - oh­ne ei­ge­ne aus­drück­li­che Zu­stim­mung - zi­tier­te (EuGH 14. April 2005 - C-341/02 - Rn. 29, Slg. 2005, I-2733) ge­mein­sa­me Auf­fas­sung der Kom­mis­si­on und der deut­schen Re­gie­rung, nach der Pau­schal­beträge, die nicht auf St­un­den­ba­sis be­rech­net wer­den, nicht als Be­stand­tei­le des Min­dest­lohns berück­sich­tigt wer­den dürfen, für die An­re­chen­bar­keit der vermögens­wirk­sa­men Leis­tun­gen her­an­zu­zie­hen ist, und da­mit für die Be­ant­wor­tung der zwei­ten Vor­la­ge­fra­ge uni­ons­recht­lich von Be­deu­tung sein kann. Dass der er­ken­nen­de Se­nat bei den vermögens­wirk­sa­men Leis­tun­gen - un­abhängig von der Be­rech­nungs­wei­se - vor­ran­gig auf den Zweck der Leis­tung Ge­wicht legt und sie des­halb nicht als min­dest­lohn­wirk­sam an­sieht, ist oben dar­ge­legt wor­den.


Der Vor­sit­zen­de Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Prof. Be­p­ler ist in den Ru­he­stand ge­tre­ten und da-her an der Un­ter­schrifts­leis­tung ge­hin­dert.

Creutz­feldt 

Tre­ber 

Creutz­feldt

Ste­ding 

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