HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

BAG, Be­schluss vom 22.03.2016, 1 ABR 14/14

   
Schlagworte: BEM, Betriebliches Eingliederungsmanagement, Mitbestimmung
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 1 ABR 14/14
Typ: Beschluss
Entscheidungsdatum: 22.03.2016
   
Leitsätze:

1. Durch einen Spruch der Einigungsstelle kann das Verfahren nach § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX über die Klärung von Möglichkeiten, eine bestehende Arbeitsunfähigkeit zu überwinden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen und eine möglichst dauerhafte Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses zu fördern, nicht auf ein Gremium übertragen werden, das aus Mitgliedern besteht, die Arbeitgeber und Betriebsrat jeweils benennen.

2. Die Beteiligung des Betriebsrats an dem Klärungsprozess nach § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX setzt das Einverständnis des betroffenen Arbeitnehmers voraus. Dieser ist im Rahmen der Unterrichtung nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX darauf hinzuweisen, dass von der Beteiligung des Betriebsrats abgesehen werden kann.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Hamburg, Beschluss vom 10.04.2013, 20 BV 15/12
Landesarbeitsgericht Hamburg, Beschluss vom 20.02.2014, 1 TaBV 4/13
   

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am 22. März 2016

BESCHLUSS

In dem Be­schluss­ver­fah­ren mit den Be­tei­lig­ten

1.

An­trag­stel­le­rin und Be­schwer­deführe­rin,

2.

Rechts­be­schwer­deführer,

hat der Ers­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der Anhörung vom 22. März 2016 durch die Präsi­den­tin des Bun­des­ar­beits­ge­richts Schmidt, die Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt K. Schmidt, den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Tre­ber so­wie den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Prof. Dr. Dr. h. c. Hromad­ka und die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin We­ge für Recht er­kannt:

 

- 2 -

Die Rechts­be­schwer­de des Be­triebs­rats ge­gen den Be­schluss des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ham­burg vom 20. Fe­bru­ar 2014 - 1 TaBV 4/13 - wird zurück­ge­wie­sen.

Von Rechts we­gen!

Gründe

A. Die Be­tei­lig­ten strei­ten über die Wirk­sam­keit ei­nes Ei­ni­gungs­stel­len­spruchs zum be­trieb­li­chen Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ment.

Im Be­trieb der an­trag­stel­len­den Ar­beit­ge­be­rin ist der am Ver­fah­ren be­tei­lig­te Be­triebs­rat ge­bil­det. Nach er­folg­lo­sen Ver­hand­lun­gen der Be­tei­lig­ten über Re­ge­lun­gen zum be­trieb­li­chen Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ment (bEM) ei­nig­ten sie sich auf die Durchführung ei­nes Ei­ni­gungs­stel­len­ver­fah­rens mit dem Ge­gen­stand „Re­ge­lung be­trieb­li­ches Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ment“. Durch Spruch der Ei­ni­gungs­stel­le vom 25. Sep­tem­ber 2012 kam es zu ei­ner „Be­triebs­ver­ein­ba­rung zum Be­trieb­li­chen Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ment“ (BV bEM). Die­se lau­tet ua. wie folgt:

„§ 2 Grundsätze

2.1. In­for­ma­ti­on der Ar­beit­neh­mer

Al­le Ar­beit­neh­mer er­hal­ten nach In­kraft­tre­ten der Be­triebs­ver­ein­ba­rung erst­mals ei­ne von den Be­triebs­par­tei­en ge­mein­sam er­stell­te schrift­li­che In­for­ma­ti­on zum BEM aus­gehändigt (vergl. An­la­ge 1). Da­nach er­hal­ten al­le neu­ein­ge­stell­ten Ar­beit­neh­mer die­se In­for­ma­ti­on mit Überg­a­be des Ar­beits­ver­tra­ges.

...

 

-3-

§ 3 In­te­gra­ti­ons­team

3.1. Be­set­zung

Als Gre­mi­um für die Durchführung des BEM wird ein In­te­gra­ti­ons­team ge­bil­det. Das In­te­gra­ti­ons­team setzt sich aus je­weils ei­nem Ver­tre­ter des Ar­beit­ge­bers so­wie des Be­triebs­ra­tes zu­sam­men. Ist ein schwer­be­hin­der­ter Mensch oder ein ih­nen Gleich­ge­stell­ter vom BEM be­trof­fen, ist die Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung hin­zu­zu­zie­hen. Je­de Be­triebs­par­tei be­stellt min­des­tens zwei Stell­ver­tre­ter, die im Ver­hin­de­rungs­fall der Mit­glie­der die Auf­ga­ben wahr­neh­men.

Die Be­set­zung des In­te­gra­ti­ons­teams wird im Be­trieb durch Aus­hang be­kannt­ge­ge­ben.

3.2. Auf­ga­ben

Das In­te­gra­ti­ons­team setzt sich an­lass­be­zo­gen zu­sam­men und hat fol­gen­de Auf­ga­ben:

- das Erst­gespräch und even­tu­ell al­le wei­te­ren Gespräche mit dem von BEM be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer zu führen,
- Erörte­rung der vor­lie­gen­den ge­sund­heit­li­chen Ein­schränkun­gen und de­ren Aus­wir­kun­gen auf den Ar­beits­platz und die Tätig­kei­ten,
- Ein­be­zie­hung al­ler In­for­ma­tio­nen aus Be­ge­hun­gen und
Un­ter­su­chun­gen der Ar­beitsplätze,
- Ein­be­zie­hung der Gefähr­dungs­be­ur­tei­lung,
- Ein­be­zie­hung al­ler wei­te­ren In­for­ma­tio­nen und Un­ter-la­gen, die Auf­schluss über die Ar­beits­be­din­gun­gen ge­ben,
- Be­ra­tung über Maßnah­men des BEM,
- Un­ter­brei­tung von Vor­schlägen für Maßnah­men des BEM,
- bei Durchführung von Maßnah­men, Über­prüfung der Wirk­sam­keit und Qua­lität der Maßnah­men,
- In­ner­be­trieb­li­che Be­glei­tung der Ar­beit­neh­mer bei der
stu­fen­wei­sen Wie­der­ein­glie­de­rung,
- Er­stel­lung ei­ner Do­ku­men­ta­ti­on über das BEM-Ver­fah­ren.

 

- 4 -

3.3. Jähr­li­cher Tätig­keits­be­richt

Das In­te­gra­ti­ons­team er­stellt jähr­lich (zum En­de des Geschäfts­jahrs) ei­nen Tätig­keits­be­richt, der min­des­tens fol­gen­de Punk­te enthält: An­zahl der durch­geführ­ten BEM-Ver­fah­ren, An­zahl der er­grif­fe­nen Maßnah­men, Dar­stel­lung der er­grif­fe­nen Maßnah­men, Dar­stel­lung der vor­ge­schla­ge­nen und ab­ge­lehn­ten Maßnah­men, Wirk­sam­keit der Maßnah­men, all­ge­mei­ne Er­kennt­nis­se für die Präven­ti­on, Schluss­fol­ge­run­gen für die wei­te­re Ar­beit des In­te­gra­ti­ons­teams. Der Tätig­keit­be­richt enthält kei­ne An­ga­ben zu den be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mern. Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat er­hal­ten ei­ne Ab­schrift des Tätig­keits­be­richts.

3.4. Vor­schlags­recht

Das In­te­gra­ti­ons­team un­ter­brei­tet dem Ar­beit­ge­ber Vor­schläge für Maßnah­men des BEM. ...
Über die Maßnah­men des BEM ent­schei­det der Ar­beit­ge­ber, es sei denn, dass von Ver­tre­tern des In­te­gra­ti­ons­teams ar­beits­platz­be­zo­ge­ne Maßnah­men im Rah­men des be­trieb­li­chen Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ments vor­ge­schla­gen wer­den. In die­sem Fall ist die Zu­stim­mung des Be­triebs­rats er­for­der­lich. Zunächst ha­ben die Be­triebs­par­tei­en ei­ne Ei­ni­gung über die ar­beits­platz­be­zo­ge­nen Maßnah­men zu er­rei­chen. Kommt in­so­weit kei­ne Ei­ni­gung zu Stan­de, gilt §§ 87 Abs. 2, 76 Be­trVG.

§ 4 Erst­gespräch zur Ein­lei­tung des BEM

4.1.

Gleich­zei­tig mit der Mel­dung gemäß Zif­fer 2.2. an das ln­te­gra­ti­ons­team ver­sen­det der Ar­beit­ge­ber ei­nen ein­heit­li­chen Form­brief (vgl. An­la­ge 2) an den be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer in­klu­si­ve der schrift­li­chen In­for­ma­ti­on gemäß Zif­fer 2.1. und ei­ner fran­kier­ten Rück­ant­wort (vgl. An­la­ge 2), um dem Ar­beit­neh­mer Ge­le­gen­heit zu ge­ben, in ei­nem Gespräch mit dem In­te­gra­ti­ons­team ab­zuklären, ob ein BEM bezüglich sei­ner Per­son ein­ge­lei­tet wer­den soll.“

Der vom Vor­sit­zen­den un­ter­zeich­ne­te Ei­ni­gungs­stel­len­spruch wur­de der Ar­beit­ge­be­rin am 5. Ok­to­ber 2012 zu­ge­lei­tet.

 

- 5 -

Mit ih­rer am 19. Ok­to­ber 2012 beim Ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nen An­trags­schrift wen­det sie sich ge­gen des­sen Wirk­sam­keit. Dem Be­triebs­rat ste­he beim bEM kein Initia­tiv­recht zu. Un­abhängig da­von sei mit dem In­te­gra­ti­ons­team ein ge­setz­lich nicht vor­ge­se­he­nes Gre­mi­um ge­schaf­fen wor­den. Wei­te­re Re­ge­lun­gen sei­en durch ein Mit­be­stim­mungs­recht des Be­triebs­rats nicht ge­deckt.

Die Ar­beit­ge­be­rin hat be­an­tragt

fest­zu­stel­len, dass der Ei­ni­gungs­stel­len­spruch „Re­ge­lung be­trieb­li­ches Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ment“ für das Dis­tri­bu­ti­on-Cen­ter der Ar­beit­ge­be­rin in H vom 25. Sep­tem­ber 2012 un­wirk­sam ist.

Der Be­triebs­rat hat die Ab­wei­sung des An­trags be­an­tragt.

Das Ar­beits­ge­richt hat den An­trag ab­ge­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat ihm auf die Be­schwer­de der Ar­beit­ge­be­rin statt­ge­ge­ben. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Rechts­be­schwer­de be­gehrt der Be­triebs­rat die Wie­der­her­stel­lung der erst­in­stanz­li­chen Ent­schei­dung.

B. Die zulässi­ge Rechts­be­schwer­de des Be­triebs­rats ist un­be­gründet. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat der Be­schwer­de der Ar­beit­ge­be­rin zu Recht statt­ge­ge­ben. Der Spruch der Ei­ni­gungs­stel­le vom 25. Sep­tem­ber 2012 ist un­wirk­sam. Er enthält über­wie­gend Re­ge­lun­gen, die nicht dem Mit­be­stim­mungs­recht des Be­triebs­rats un­ter­fal­len.

I. Nach der Recht­spre­chung des Se­nats ist bei der Aus­ge­stal­tung des bEM durch ei­nen Spruch der Ei­ni­gungs­stel­le für je­de ein­zel­ne Re­ge­lung zu prüfen, ob ein Mit­be­stim­mungs­recht be­steht. Ein sol­ches kann sich bei all­ge­mei­nen Ver­fah­rens­fra­gen aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 Be­trVG, in Be­zug auf die Nut­zung und Ver­ar­bei­tung von Ge­sund­heits­da­ten aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 Be­trVG und hin­sicht­lich der Aus­ge­stal­tung des Ge­sund­heits­schut­zes aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 Be­trVG er­ge­ben, da § 84 Abs. 2 SGB IX ei­ne Rah­men­vor­schrift iSd. Be­stim­mung ist (BAG 13. März 2012 - 1 ABR 78/10 - Rn. 11 mwN, BA­GE 141, 42).

 

- 6 -

II. Die Rah­men­vor­schrift des § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX zum be­trieb­li­chen Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ment be­zieht sich auf das Ver­fah­ren über die „Klärung von Möglich­kei­ten“, ei­ne be­ste­hen­de Ar­beits­unfähig­keit zu über­win­den, er­neu­ter Ar­beits­unfähig­keit vor­zu­beu­gen und ei­ne möglichst dau­er­haf­te Fort­set­zung des Beschäfti­gungs­verhält­nis­ses zu fördern (BAG 7. Fe­bru­ar 2012 - 1 ABR 46/10 - Rn. 21, BA­GE 140, 350).

1. Die­ser Klärungs­pro­zess ist in § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX nicht als ein for­ma­li­sier­tes Ver­fah­ren be­schrie­ben, son­dern lässt den Be­tei­lig­ten Spiel­raum. Es geht um die Eta­blie­rung ei­nes un­ver­stell­ten, ver­laufs- und er­geb­nis­of­fe­nen Such­pro­zes­ses (ausf. BAG 10. De­zem­ber 2009 - 2 AZR 198/09 - Rn. 16 ff. mwN). Da­bei kann der Ar­beit­ge­ber den Klärungs­pro­zess nicht oh­ne Wah­rung der sich aus der ge­setz­li­chen Re­ge­lung er­ge­ben­den An­for­de­run­gen durchführen (BAG 7. Fe­bru­ar 2012 - 1 ABR 46/10 - Rn. 19, BA­GE 140, 350). Er muss ua. den Be­triebs­rat, das Ein­verständ­nis des Ar­beit­neh­mers vor­aus­ge­setzt (BVerwG 23. Ju­ni 2010 - 6 P 8/09 - Rn. 55 ff., BVerw­GE 137, 148), hin­zu­zie­hen. Führt der Klärungs­pro­zess zwi­schen Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat zu kei­ner übe­rein­stim­men­den Be­ur­tei­lung der „Möglich­kei­ten“, ver­bleibt es bei ei­nem Dis­sens (Düwell in Dau/Düwell/Jous­sen So­zi­al­ge­setz­buch IX 4. Aufl. § 84 Rn. 68). Ei­ne sich an­sch­ließen­de Um­set­zung von kon­kre­ten Maßnah­men wird von der Rah­men­vor­schrift des § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX nicht mehr er­fasst (Kos­sens in Kos­sens/von der Hei­de/Maaß SGB IX 4. Auf. § 84 Rn. 40).

2. Dem Be­triebs­rat steht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 Be­trVG ein Initia­tiv­recht für ei­ne Aus­ge­stal­tung des Klärungs­pro­zes­ses nach § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX durch ge­ne­rel­le Ver­fah­rens­re­ge­lun­gen zu. So­weit der Zwei­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts in sei­ner Ent­schei­dung vom 10. De­zem­ber 2009 aus­geführt hat, es be­ste­he nach § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX kei­ne Ver­pflich­tung zur Auf­stel­lung ei­ner Ver­fah­rens­ord­nung (- 2 AZR 198/09 - Rn. 18), folgt dar­aus ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Ar­beit­ge­be­rin nicht, dass ei­ne sol­che un­ter­sagt ist, wie § 83 Abs. 2a Nr. 5 SGB IX zeigt, oder ein Initia­tiv­recht des Be­triebs­rats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 Be­trVG von vor­ne­her­ein aus­ge­schlos­sen sein soll.

 

- 7 -

III. Nach die­sen Maßstäben sind we­sent­li­che Re­ge­lun­gen der von der Ei­ni­gungs­stel­le be­schlos­se­nen BV bEM un­wirk­sam, weil sie nicht von Mit­be­stim­mungs­rech­ten des Be­triebs­rats nach § 87 Abs. 1 Be­trVG ge­deckt sind. Das führt zur Un­wirk­sam­keit der ge­sam­ten BV bEM.

1. Un­wirk­sam ist § 2.1. BV bEM. Dem Be­triebs­rat steht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 7 Be­trVG kein Mit­be­stim­mungs­recht zu, den Ar­beit­ge­ber zu ver­pflich­ten, sämt­li­che be­triebs­an­gehöri­gen Ar­beit­neh­mer über das bEM zu in­for­mie­ren.

a) Ein Mit­be­stim­mungs­recht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 Be­trVG ist be­reits nach dem An­wen­dungs­be­reich der Rah­men­vor­schrift des § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX auf die­je­ni­gen Beschäftig­ten be­grenzt, die in­ner­halb ei­nes Jah­res länger als sechs Wo­chen un­un­ter­bro­chen oder wie­der­holt ar­beits­unfähig sind.

b) Der Be­triebs­rat kann sich auch nicht auf ein Mit­be­stim­mungs­recht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 Be­trVG stützen, das das be­trieb­li­che Zu­sam­men­le­ben und Zu­sam­men­wir­ken der Ar­beit­neh­mer er­fasst (BAG 22. Ju­li 2008 - 1 ABR 40/07 - Rn. 59 mwN, BA­GE 127, 146). Die vor­ge­se­he­ne In­for­ma­ti­on sämt­li­cher Beschäftig­ten über Ab­lauf und In­halt des bEM re­gelt we­der das Ver­hal­ten der Ar­beit­neh­mer im Be­trieb noch soll sie die­ses steu­ern, ko­or­di­nie­ren oder be­ein­flus­sen.

2. Wei­ter­hin ist die Bil­dung ei­nes In­te­gra­ti­ons­teams nach § 3.1. BV bEM nicht von ei­nem Mit­be­stim­mungs­recht ge­deckt. Es han­delt sich nicht, wie der Be­triebs­rat meint, um ei­ne bloße Ver­fah­rens­aus­ge­stal­tung. Viel­mehr wer­den da­mit nach § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX vor­ge­se­he­ne Zuständig­kei­ten der Be­triebs­par­tei­en ab­wei­chend ge­re­gelt. Das kann nur durch ei­ne frei­wil­li­ge Übe­r­ein­kunft von Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat nach § 28 Abs. 2 Be­trVG er­fol­gen, nicht aber durch Spruch der Ei­ni­gungs­stel­le.

a) Nach § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX er­folgt die „Klärung von Möglich­kei­ten“ durch den Ar­beit­ge­ber ua. mit dem Be­triebs­rat. Hierfür ist ein Ein­ver­neh­men bei­der Be­triebs­par­tei­en er­for­der­lich. Die Wil­lens­bil­dung auf Sei­ten des Be­triebs-

 

- 8 -

rats fin­det grundsätz­lich in die­sem als Gre­mi­um statt. Im Rah­men der ge­fass­ten Be­schlüsse wird der Be­triebs­rat durch den Vor­sit­zen­den ver­tre­ten (§ 26 Abs. 2 Satz 1 Be­trVG).

b) Dem­ge­genüber wird durch § 3.1. BV bEM „die Durchführung des BEM“ ei­nem In­te­gra­ti­ons­team über­tra­gen. Die­ses soll mit den an­de­ren Be­tei­lig­ten die „Klärung von Möglich­kei­ten“ ab­sch­ließend durchführen. Das zei­gen ne­ben § 3.1. BV bEM die in den ers­ten sechs Spie­gel­stri­chen des § 3.2. BV bEM be­schrie­be­nen Auf­ga­ben des In­te­gra­ti­ons­teams so­wie ins­be­son­de­re § 3.2. Spie­gel­strich Nr. 7 und § 3.4. Abs. 1 BV bEM. Die Un­ter­brei­tung von Vor­schlägen an den Ar­beit­ge­ber er­for­dert ei­nen er­folg­reich ab­ge­schlos­se­nen Klärungs­pro­zess. § 3 BV bEM ver­la­gert die­ses Ver­fah­ren ab­wei­chend von § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX auf ein an­de­res Gre­mi­um.

c) Zwar können nach § 28 Abs. 2 Be­trVG Auf­ga­ben zur selbstständi­gen Ent­schei­dung auf Mit­glie­der des Be­triebs­rats über­tra­gen wer­den, die Mit­glie­der ei­nes von Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat ge­bil­de­ten Aus­schus­ses sind (BAG 17. März 2005 - 2 AZR 275/04 - zu B I der Gründe). Es han­delt sich hier­bei um ei­ne ei­genständi­ge Ein­rich­tung im Rah­men der Be­triebs­ver­fas­sung und nicht um ein Hilfs­or­gan des Be­triebs­rats (BAG 20. Ok­to­ber 1993 - 7 ABR 26/93 - zu B III 1 d der Gründe, BA­GE 75, 1). Die Bil­dung ei­nes ge­mein­sa­men Aus­schus­ses mit Ent­schei­dungs­be­fug­nis kann aber nicht durch Spruch der Ei­ni­gungs­stel­le er­fol­gen, son­dern be­darf ei­ner frei­wil­li­gen Übe­r­ein­kunft zwi­schen Be­triebs­rat und Ar­beit­ge­ber (vgl. Raab GK-Be­trVG 10. Aufl. § 28 Rn. 39, 40). Fehlt es dar­an, kann ein ge­mein­sa­mer Aus­schuss nicht ge­bil­det wer­den.

d) Darüber hin­aus verstößt die Be­set­zungs­re­ge­lung des § 3.1. Satz 2 BV bEM auch ge­gen § 28 Abs. 2 Be­trVG, weil das vom Be­triebs­rat be­nann­te Mit­glied ihm nicht an­gehören muss.

3. In­fol­ge der un­wirk­sa­men Be­stim­mun­gen über das In­te­gra­ti­ons­team ist der Spruch der Ei­ni­gungs­stel­le wei­ter­hin un­wirk­sam, als die­ses „über Fälle ... in­for­miert [wird], bei de­nen ein BEM aus­gelöst wird“ (§ 2.2. Satz 2 BV bEM),

 

- 9 -

ihm Auf­ga­ben nach § 3.2. BV bEM zu­ge­wie­sen wer­den, es nach § 3.3. BV bEM ei­nen Tätig­keits­be­richt zu er­stel­len hat und nach § 4.1. BV bEM das Erst­gespräch führt.

4. Eben­so sind ein­zel­ne Be­stim­mun­gen der BV bEM auch des­halb un­wirk­sam, weil sie nicht den Klärungs­pro­zess iSd. § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX re­geln, son­dern die nach­fol­gen­de Um­set­zung von Maßnah­men be­tref­fen.

a) Die Auf­ga­ben­stel­lung nach § 3.2. Spie­gel­strich Nr. 8 BV bEM, die Wirk­sam­keit und Qua­lität durch­geführ­ter Maßnah­men zu über­prüfen, über­schrei­tet eben­so wie die nach § 3.2. Spie­gel­strich Nr. 9 BV bEM vor­ge­se­he­ne in­ner­be­trieb­li­che Be­glei­tung der Ar­beit­neh­mer bei der stu­fen­wei­sen Wie­der­ein­glie­de­rung das Mit­be­stim­mungs­recht des Be­triebs­rats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 Be­trVG. Die­se Auf­ga­ben sind nicht mehr Teil des Klärungs­pro­zes­ses. Die vom Be­triebs­rat an­geführ­ten Be­tei­li­gungs­rech­te nach § 84 Abs. 2 Satz 6 und 7 SGB IX be­zie­hen sich auf die dem Ar­beit­ge­ber ob­lie­gen­den Pflich­ten in­ner­halb des Klärungs­pro­zes­ses iSd. § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX, eröff­nen aber kein Mit­be­stim­mungs­recht für die Um­set­zung oder Über­prüfung von Maßnah­men un­ter sei­ner Be­tei­li­gung.

b) Die Er­stel­lung ei­ner Do­ku­men­ta­ti­on über das bEM-Ver­fah­ren nach § 3.2. Spie­gel­strich Nr. 10 BV bEM ist eben­falls nicht auf den Klärungs­pro­zess be­schränkt und des­halb teil­wei­se un­wirk­sam. Zwar kann die Er­stel­lung ei­ner Do­ku­men­ta­ti­on grundsätz­lich zu den aus­ge­stal­tungsfähi­gen Ver­fah­rens­fra­gen iSd. § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX gehören. Vor­lie­gend be­zieht sich die Do­ku­men­ta­ti­on aber auch auf die in den Spie­gel­stri­chen Nr. 8 und Nr. 9 des § 3.2. BV bEM ge­re­gel­ten Auf­ga­ben, die nicht mehr vom Mit­be­stim­mungs­recht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 Be­trVG er­fasst wer­den (s. oben II 4 a).

c) Aus den vor­ste­hen­den Gründen hat auch § 3.3. BV bEM über die Er­stel­lung ei­nes jähr­li­chen Tätig­keits­be­richts teil­wei­se kei­nen Be­stand, so­weit des­sen In­halt sich auf die An­zahl, die Dar­stel­lung und die Wirk­sam­keit der er-

 

- 10 -

grif­fe­nen Maßnah­men, die ab­ge­lehn­ten Maßnah­men und sich dar­aus er­ge­ben­de Er­kennt­nis­se für die Präven­ti­on so­wie die wei­te­re Ar­beit er­streckt.

d) Darüber hin­aus ist § 3.4. Abs. 2 BV bEM un­wirk­sam, der für vor­ge­schla­ge­ne ar­beits­platz­be­zo­ge­ne Maßnah­men die Zu­stim­mung des Be­triebs­rats und für den Fall, dass ei­ne Ei­ni­gung nicht zu­stan­de kommt, de­ren Er­set­zung durch Spruch ei­ner Ei­ni­gungs­stel­le be­stimmt. Der Ei­ni­gungs­stel­le fehlt die Kom­pe­tenz, für be­trieb­li­che Maßnah­men des Ar­beit­ge­bers, die nicht be­reits nach den Be­stim­mun­gen des Be­trVG der zwin­gen­den Mit­be­stim­mung un­ter­lie­gen, wei­ter­ge­hen­de Mit­be­stim­mungs­rech­te des Be­triebs­rats zu be­gründen.

5. Sch­ließlich sind Be­stim­mun­gen der BV bEM, die die Durchführung des Klärungs­pro­zes­ses re­geln, nicht wirk­sam.

a) Das be­trifft zunächst § 3.2. BV bEM Spie­gel­strich Nr. 1 und Nr. 2 BV bEM. Dem Be­triebs­rat steht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 Be­trVG kein Mit­be­stim­mungs­recht des In­halts zu, bei ei­nem Erst­gespräch mit dem be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer und bei der Erörte­rung sei­ner ge­sund­heit­li­chen Ein­schränkun­gen so­wie de­ren Aus­wir­kun­gen durch ei­nen von ihm be­nann­ten Ver­tre­ter an­we­send zu sein. Nach § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX er­for­dert der Klärungs­pro­zess ei­ne Un­ter­rich­tung des Be­triebs­rats durch den Ar­beit­ge­ber so­wie - ggfl. un­ter Hin­zu­zie­hung der in § 84 Abs. 2 Satz 2 SGB IX ge­nann­ten Per­so­nen - ei­ne Be­ra­tung der Be­triebs­par­tei­en mit dem Ziel der Verständi­gung über die be­ste­hen­den „Möglich­kei­ten“ für ein be­trieb­li­ches Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ment. Da­von ist ein An­we­sen­heits­recht des Be­triebs­rats oder ei­nes von ihm be­nann­ten Ver­tre­ters bei den Gesprächen des Ar­beit­ge­bers mit dem be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer nicht um­fasst (Wullen­kord Ar­beits­recht­li­che Kern­fra­gen des Be­trieb­li­chen Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ments in der be­trieb­li­chen Pra­xis S. 120 f. mwN; wohl auch Düwell FS Kütt­ner S. 139, 152). An­ders als für die in § 84 Abs. 2 Satz 2 und Satz 4 SGB IX ge­nann­ten Per­so­nen und Stel­len sieht § 84 Abs. 2 SGB IX nicht vor, dass der Ar­beit­neh­mer am Klärungs­pro­zess zwi­schen Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat zu be­tei­li­gen ist.

 

- 11 -

b) Sch­ließlich genügt der in § 4.4. BV bEM vor­ge­schrie­be­ne Form­brief (An­la­ge 2 zu BV bEM) nicht den Er­for­der­nis­sen des § 84 Abs. 2 Satz 1 und Satz 3 SGB IX. Zu dem Er­su­chen des Ar­beit­ge­bers um Zu­stim­mung des be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mers zur Durchführung des bEM gehört - ne­ben dem Hin-weis auf die Zie­le des bEM so­wie auf Art und Um­fang der hierfür er­ho­be­nen und ver­wen­de­ten Da­ten (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 23 mwN) - die In­for­ma­ti­on, die Zu­stim­mung zu ei­nem bEM könne auch un­ter der Maßga­be er­teilt wer­den, ein Ein­verständ­nis zur Be­tei­li­gung des Be­triebs­rats wer­de nicht er­teilt (s. oben II 1 mwN). An ei­nem sol­chen Hin­weis fehlt es.

6. Die Un­wirk­sam­keit der ge­nann­ten Be­stim­mun­gen der BV bEM führt nach dem der Vor­schrift des § 139 BGB zu­grun­de lie­gen­den Rechts­ge­dan­ken (BAG 9. Ju­li 2013 - 1 ABR 19/12 - Rn. 39 mwN, BA­GE 145, 330) zur Un­wirk­sam­keit des ge­sam­ten Ei­ni­gungs­stel­len­spruchs. Der ver­blei­ben­de Teil der BV bEM stellt er­sicht­lich kei­ne sinn­vol­le und in sich ge­schlos­se­ne Ver­fah­rens­re­ge­lung für den Klärungs­pro­zess nach § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX mehr dar.

Schmidt

K. Schmidt

Tre­ber

Hromad­ka

D. We­ge

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 


zur Übersicht 1 ABR 14/14