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LAG Nie­der­sach­sen, Ur­teil vom 29.06.2015, 8 Sa 1534/14

   
Schlagworte: Massenentlassung, Betriebsrat
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Aktenzeichen: 8 Sa 1534/14
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 29.06.2015
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Lingen, Urteil vom 23.10.2014, 3 Ca 18/14
Nachfolgend Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 09.06.2016, 6 AZR 405/15
   

IM NA­MEN DES VOL­KES

UR­TEIL

8 Sa 1534/14

3 Ca 18/14 ArbG Lin­gen

In dem Rechts­streit

Kläge­rin und Be­ru­fungskläge­rin,

Proz.-Bev.:

ge­gen

Be­klag­ter und Be­ru­fungs­be­klag­ter,

Proz.-Bev.:

hat die 8. Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts Nie­der­sach­sen auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 8. Ju­ni 2015 durch die Vor­sit­zen­de Rich­te­rin am Lan­des­ar­beits­ge­richt Stöcke-Muhlack,
den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Herrn Rie­ger,
die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin Frau Co­or­des

für Recht er­kannt:

1) Die Be­ru­fung der Kläge­rin ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Lin­gen vom 23.10.2014 - 3 Ca 18/14 - wird kos­ten­pflich­tig zurück­ge­wie­sen.

2) Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen.

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten um die Wirk­sam­keit ei­ner In­sol­venz­ver­wal­terkündi­gung des In­sol­venz-ver­wal­ters im Rah­men ei­ner Mas­sen­ent­las­sung.

Die Kläge­rin war bei der In­sol­venz­schuld­ne­rin seit dem 1. Ju­li 1992 als Pro­duk­ti­ons­mit­ar­bei­te­rin beschäftigt. Ihr Brut­to-Mo­nats­ein­kom­men be­trug zu­letzt 2.700,00 €. In dem Be-trieb wur­den mehr als 10 Ar­beit­neh­mer re­gelmäßig beschäftigt. Es be­stand ein Be­triebs­rat. Das zuständi­ge Amts­ge­richt eröff­ne­te über das Vermögen der In­sol­venz­schuld­ne­rin das In­sol­venz­ver­fah­ren und be­stell­te den Be­klag­ten am 1. De­zem­ber 2013 zum In­sol­venz­ver­wal­ter. Die­ser traf die Ent­schei­dung, den Be­trieb still­zu­le­gen, und in­for­mier­te hierüber den Be­triebs­rat. Am 4., am 12. und am 19. De­zem­ber 2013 fan­den Ver­hand­lun­gen über ei­nen In­ter­es­sen-aus­gleich statt. Am 19. De­zem­ber 2013 wur­de der In­ter­es­sen­aus­gleich fer­tig­ge­stellt und ver­sandt, auch an den Ver­tre­ter des Be­triebs­ra­tes. Die­ser bestätig­te am 20. De­zem­ber, dass der In­ter­es­sen­aus­gleich so ab­ge­schlos­sen wer­den könne. Am 23. De­zem­ber 2013 fand ein wei­te­rer Ter­min mit dem Be­triebs­rat statt, in dem der In­ter­es­sen­aus­gleich un­ter­zeich­net wur­de. Er hat aus­zugs­wei­se fol­gen­den Wort­laut:

„Präam­bel


Ei­ne Auf­recht­er­hal­tung der Pro­duk­ti­on ist an­ge­sichts der Umsätze und der not­wen­di­gen Umsätze von le­dig­lich 1.300.000 € han­delnd und ei­ner mo­nat­li­chen Voll­kos­ten­be­las­tung von 2.000.000 € nicht möglich. Vor die­sem Hin­ter­grund hat der In­sol­venz­ver­wal­ter mit Zu­stim­mung des vorläufi­gen Gläubi­ger­aus­schus­ses am 01.12.2013 die Be­triebs­stil­le­gung des Un­ter­neh­mensträgers A. im Gan­zen be­schlos­sen.

§ 1 Gel­tungs­be­reich

(1) Die­ser In­ter­es­sen­aus­gleich gilt für al­le Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter (zukünf­tig aus Gründen der Les­bar­keit zu­sam­men Mit­ar­bei­ter) des Be­trie­bes, so­weit sie von Maßnah­men nach §§ 2,3 die­ses In­ter­es­sen­aus­gleichs be­trof­fen sind und dem Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz un­ter­lie­gen. Lei­ten­de An­ge­stell­te gem. § 5 Abs. 2 Be­trVG sind aus­drück­lich vom Gel­tungs­be­reich die­ses In­ter­es­sen­aus­gleichs aus­ge­nom­men.

(2) Die In­sol­venz­schuld­ne­rin, die A., die B. GmbH, die C. GmbH & Co. KG so­wie die D. GmbH und E. GmbH ha­ben ei­nen ge­mein­schaft­li­chen Be­trieb im Sin­ne des Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­set­zes ge­bil­det. Die­ses ha­ben die Fir­men und die Ge­sell­schaf­ten u.a. auch im Ta­rif­ver-trag vom 21.01.2013 und 14.02.2013 ver­ein­bart.

§ 2 Un­ter­neh­me­ri­sche Maßnah­men

(1) Ge­gen­stand des In­ter­es­sen­aus­glei­ches ist die Still­le­gungs­ent­schei­dung des In­sol­venz­ver­wal­ters am 01.12.2013, den Be­trieb des Un­ter­neh­mensträgers A. am Stand­ort in F. zu schließen.

(2) Durch die Be­triebs­still­le­gung ent­fal­len al­le Ar­beitsplätze in sämt­li­chen Be­triebs­tei­len spätes­tens zum 28.02.2014. 0b un­ter­neh­mensüberg­rei­fen­de Ar­beitsplätze bei den Un­ter­neh­men C., D. und B. GmbH ent­fal­len, ist nicht Ge­gen­stand die­ses In­ter­es­sen­aus­gleichs. Die Aus­lauf­pro­duk­ti­on- und Ab­wick­lungs­ar­bei­ten, die bis spätes­tens zum 28 Fe­bru­ar 2014 ab­ge­schlos­sen sein wer­den, wer­den mit Aus­lauf der Pro­duk­ti­on von zur­zeit 90 Mit­ar­bei­tern und 20 Aus­zu­bil­den­den durch­geführt. Sämt­li­che übri­gen Mit­ar­bei­ter von ins­ge­samt 257 der A. sind vom In­sol­venz­ver­wal­ter be­reits frei­ge­stellt wor­den. Die Ab­wick­lungs­ar­bei­ten er­fol­gen in der Aus­lauf­pro­duk­ti­on, den Be­rei­chen Buch­hal­tung, Per­so­nal und Ver­kauf.

(3) Dem­ent­spre­chend wird der In­sol­venz­ver­wal­ter sämt­li­chen Mit­ar­bei­tern des Be­trie­bes der A. be­triebs­be­dingt kündi­gen.

§ 3 Durchführung des Per­so­nal­ab­baus

(1) Der In­sol­venz­ver­wal­ter wird sämt­li­che bei der A. beschäftig­ten Mit­ar­bei­ter durch be­triebs­be­ding­te Kündi­gun­gen ent­las­sen. Die Ent­las­sun­gen wer­den un­ter Ein­hal­tung der je­weils gel­ten­den Kündi­gungs­fris­ten i. V. m. § 113 In­sO durch­geführt. So­mit gilt ei­ne Höchstkündi­gungs­frist von drei Mo­na­ten zum Mo­nats­en­de, so­fern sich nicht aus den Ein­zel­verträgen oder dem Ta­rif­ver­trag ei­ne kürze­re Kündi­gungs­frist er­gibt.

(2) Die Par­tei­en die­ses In­ter­es­sen­aus­gleichs sind sich darüber ei­nig, dass die Kündi­gun­gen erst ab der 52. Ka­len­der­wo­che 2013, ab dem 27.12.2013 zu­ge­stellt wer­den sol­len.

(3) Al­le Mit­ar­bei­ter, für die ei­ne Beschäfti­gungsmöglich­keit nicht mehr be­steht, können bis zum recht­li­chen En­de ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses un­ter An­rech­nung be­ste­hen­der Rest­ur­laubs- und sons­ti­ger Frei­zeit­aus­gleichs­ansprüche frei­ge­stellt wer­den. Ein An­spruch auf Frei­stel­lung be­steht nicht.

§ 4 Kündi­gung der Ar­beits­verhält­nis­se

4. 1. Na­mens­lis­te gem.§ § 1 Abs. 5 KSchG, 125 In­sO, 111 Be­trVG
Die zu kündi­gen­den Mit­ar­bei­ter der A. wer­den in der die­sem In­ter­es­sen­aus­gleich als An­la­ge 1 bei­gefügten Na­mens­lis­te, die voll­in­halt­lich Be­stand­teil des In­ter­es­sen­aus­gleichs ist, na­ment­lich be­nannt. Die So­zi­al­da­ten sämt­li­cher Mit­ar­bei­ter so­wie Kündi­gungs­fris­ten sind in der Na­mens­lis­te ent­hal­ten. Der Be­triebs­rat bestätigt die Vollständig­keit der Na­mens­lis­te. Soll­te wi­der Er­war­ten ein Mit­ar­bei­ter des Be­triebs A. nicht auf der Na­mens­lis­te ver­merkt sein, so be­steht Ei­nig­keit, dass auch sol­che Mit­ar­bei­ter der A. vom In­ter­es­sen­aus­gleich er­fasst sind und auch sol­chen Mit­ar­bei­tern mit Wir­kung zu dem im § 2 des In­ter­es­sen­aus­gleichs ge­nann­ten Da­tum gekündigt wer­den kann.

Die Be­triebs­par­tei­en ge­hen auch da­von aus, dass für Mit­ar­bei­ter, die sich be­reits in der Frei­stel­lungs­pha­se der Al­ters­teil­zeit be­fin­den, ei­ne or­dent­li­che be­triebs­be­ding­te Kündi­gung we­gen Be­triebs­sch­ließung aus Rechts­gründen nicht mehr möglich ist (Ver­glei­che: BAG, Ur­teil vom 05.12.2002, Az: 2 AZR 571/01). Es be­fin­den sich der­zeit vier Mit­ar­bei­ter in der Frei­stel­lungs­pha­se in der Al­ters­teil­zeit. Die­se sind so­mit von der Kündi­gung nicht be­trof­fen.

Im Zu­ge der Be­triebsände­rung wer­den die be­trof­fe­nen Ar­beits­verhält­nis­se nach Ab­schluss des In­ter­es­sen­aus­gleichs zum in §§ 2,3 vor­her ge­nann­ten Zeit­punkt un­verzüglich un­ter Be­ach­tung der je­weils ein­zu­hal­ten­den Kündi­gungs­fris­ten aus drin­gen­den be­trieb­li­chen Gründen gekündigt. So­weit für den Aus­spruch der Kündi­gung Zu­stim­mung von Behörden ein­ge­holt wer­den muss (z. B. nach SGB IX, BEEG, MuSchG) wer­den die­se vor Aus­spruch der Kündi­gung vom In­sol­venz­ver­wal­ter ein­ge­holt.

4.2 So­zi­al­aus­wahl
Da es sich um ei­ne ein­heit­li­che Sch­ließung des Be­trie­bes der A. zu ei­nem be­stimm­ten Zeit­punkt han­delt und al­le Mit­ar­bei­ter des Be­triebs ein­heit­lich be­trof­fen sind, ist ei­ne So­zi­al­aus­wahl nicht er­for­der­lich.

§ 5 So­zi­al­plan

Zum Aus­gleich bzw. zur Mil­de­rung der wirt­schaft­li­chen Nach­tei­le, die den Mit­ar­bei­tern durch Be­triebs­still­le­gung ent­ste­hen, wird ein So­zi­al­plan ab­ge­schlos­sen. Die­ser So­zi­al­plan ist in der Da­tie­rungshöhe nicht ab­sch­ließend. Dies er­gibt sich aus den Ver­ein­ba­run­gen aus dem Ta­rif­ver­trag vom 21.01.2013 zwi­schen der B. GmbH, der A.; der C. GmbH & Co. KG; der D. GmbH und der G. Be­zirk H. Be­zirks­lei­tung I. so­wie dem An­er­ken­nungs­ta­rif­ver­trag mit der E. GmbH vom 14.02.2013 (An­er­ken­nungs­ta­rif­ver­trag).

Der Be­triebs­rat wird da­her mit den ge­nann­ten wei­te­ren Un­ter­neh­men, mit Aus­nah­me der A., ei­nen wei­te­ren, ergänzen­den In­ter­es­sens­aus­gleich und So­zi­al­plan bezüglich der wei­te­ren Be­triebs­tei­le, der Er­rich­tung ei­ner Trans­fer­ge­sell­schaft oder der Erhöhun­gen der Ab­fin­dun­gen die­ses So­zi­al­plans im Rah­men ei­nes wei­te­ren So­zi­al­plans ver­ein­ba­ren.

Der hier ge­schlos­se­ne In­ter­es­sens­aus­gleich und der da­mit im Zu­sam­men­hang ste­hen­de zwi-schen den Par­tei­en ln­sol­venz­ver­wal­ter und Be­triebs­rat ab­zu­sch­ließen­de So­zi­al­plan sind aus­sch­ließlich zwi­schen dem In­sol­venz­ver­wal­ter und dem Be­triebs­rat ab­sch­ließend, nicht je­doch ge­genüber den an­de­ren in Ab­satz 1 ge­nann­ten Un­ter­neh­men mit Aus­nah­me der A..
….

§ 8 Anhörung des Be­triebs­ra­tes gem. § 102 Be­trVG

Im Hin­blick auf die be­triebs­be­ding­ten Kündi­gun­gen der Mit­ar­bei­ter be­steht Ei­nig­keit zwi­schen den Par­tei­en darüber, dass der Be­triebs­rat im Rah­men der In­ter­es­sen­aus­gleichs­ver­hand­lun­gen gem. § 102 Be­trVG un­ter­rich­tet und be­tei­ligt wor­den ist. Ihm sind ins­be­son­de­re die Na­men der be­trof­fe­nen Mit­ar­bei­ter, die Ge­burts­da­ten, die Dau­er der Be­triebs­zu­gehörig­keit, die Tätig­keit, die Fa­mi­li­enstände, die Un­ter­halts­pflich­ten, die Schwer­be­hin­de­rung, ei­ne Gleich­stel­lung, be­son­de­rer Kündi­gungs­schutz so­wie die je­wei­li­gen Kündi­gungs­fris­ten und -ter­mi­ne mit­ge­teilt wor­den. Fer­ner wur­den dem Be­triebs­rat sämt­li­che Mit­ar­bei­ter ge­nannt, die laut Ta­rif­ver­trag, Ar­beits­ver­trag or­dent­lich unkünd­bar sind oder an­der­wei­tig Son­derkündi­gungs­schutz ge­nießen.

Der Be­triebs­rat nimmt die Be­triebs­sch­ließung und den da­mit ein­her­ge­hen­den Per­so­nal­ab­bau mit Be­dau­ern zur Kennt­nis. Nach Erörte­rung und Anhörung folg­te ei­ne Sit­zung des be­schlussfähi­gen Be­triebs­ra­tes. Die Be­schlüsse er­folg­ten in Ab­we­sen­heit der Ar­beit­ge­ber­sei­te. Der Be­triebs­rat bestätigt, im Rah­men der Erörte­rung und zur Er­stel­lung der Na­mens­lis­te, An­la­ge 1 zu die­sem In­ter­es­sen­aus­gleich, zu al­len Kündi­gun­gen ord­nungs­gemäß an­gehört wor­den zu sein. Er erklärt, dass da­mit das Ver­fah­ren gem. § 102 Be­trVG ab­ge­schlos­sen ist.
….

§ 10 Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren nach § 17 Kündi­gungs­schutz­ge­setz

Der Be­triebs­rat wur­de im Rah­men der Ver­hand­lun­gen zu die­sem In­ter­es­sen­aus­gleich am 04.12.2013 recht­zei­tig und vollständig nach § 17 Abs. 2 Kündi­gungs­schutz­ge­setz un­ter­rich­tet. So­dann ha­ben In­sol­venz­ver­wal­ter und Be­triebs­rat am 12.12.2013 noch­mals die Möglich­keit be­ra­ten, Ent­las­sun­gen zu ver­mei­den oder ein­zu­schränken und ih­re Fol­gen zu min­dern. Die Be­triebs­par­tei­en sind sich ei­nig, dass den in der An­la­ge 1 zu die­sem In­ter­es­sen­aus­gleich auf­geführ­ten Mit­ar­bei­tern be­triebs­be­dingt zu kündi­gen ist. Dies ist kein Präju­diz für die in § 9 die­ses In­ter­es­sen­aus­gleichs fest­ge­hal­te­ne un­ter­schied­li­che Rechts­auf­fas­sung zur Kündi­gung von Be­triebs­rats­mit­glie­dern.

Der Be­triebs­rat bestätigt die Be­en­di­gung des Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­rens und er­teilt sei­ne Zu­stim­mung zu den gemäß § 17 ff. Kündi­gungs­schutz­ge­setz ab­zu­ge­ben Der In­sol­venz­ver­wal­ter wird der zuständi­gen Agen­tur für Ar­beit sei­ne An­zei­ge gemäß § 17 Kündi­gungs­schutz­ge­setz i. V. m. § 125 Abs. 2 ln­sO die­sem In­ter­es­sen­aus­gleich vor­le­gen.“

Mit Schrei­ben vom 17. Ja­nu­ar 2014 er­teil­te die Agen­tur für Ar­beit die Zu­stim­mung zu den in der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge an­ge­zeig­ten 257 Ent­las­sun­gen. Der Be­klag­te kündig­te das Ar­beits­verhält­nis mit Schrei­ben vom 27. De­zem­ber 2013 zum 31. März 2014. Mit ih­rer Kla­ge wehrt sich die Kläge­rin ge­gen die Kündi­gung. So­weit für das Be­ru­fungs­ver­fah­ren von Be­lang, hat sie die Auf­fas­sung ver­tre­ten, der Be­triebs­rat sei nicht ord­nungs­gemäß im Sin­ne des § 17 Abs. 2 KSchG kon­sul­tiert wor­den.

Das Ar­beits­ge­richt hat Be­weis er­ho­ben über die Be­haup­tung des Be­klag­ten, die Na­mens­lis­te sei vor der Un­ter­zeich­nung körper­lich fest mit dem In­ter­es­sen­aus­gleich ver­bun­den ge­we­sen. Hier­zu hat es den Zeu­gen J. und ge­gen­be­weis­lich die Zeu­gen K. und L. ver­nom­men. Wei­ter hat es den Zeu­gen J. zu der Be­haup­tung des Be­klag­ten ver­nom­men, der Aus­spruch der Kün-di­gung sei zeit­lich erst nach Er­stat­tung der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge bei der Agen­tur für Ar­beit er­folgt.

Hin­sicht­lich des Vor­brin­gens der Par­tei­en im ers­ten Rechts­zug ein­sch­ließlich der dor­ti­gen Sach­anträge so­wie der tatsächli­chen und recht­li­chen Würdi­gung, die je­nes Vor­brin­gen dort er­fah­ren hat, wird im Übri­gen auf Tat­be­stand und Ent­schei­dungs­gründe des an­ge­foch­te­nen Ur­teils Be­zug ge­nom­men (Bl. 65 - 74 d. A.).

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Es hat aus­geführt, die Kündi­gung sei nicht so­zi­al­wid­rig im Sin­ne von § 1 Abs. 2 und Abs. 3 KSchG. Sie sei durch drin­gen­de be­trieb­li­che Er­for­der­nis­se im Sin­ne von § 1 Abs. 2 Satz 1 Va­ri­an­te 3 KSchG be­dingt, die ei­ner Wei­ter­beschäfti­gung der Kläge­rin ent­ge­genstünden. Die Ver­mu­tung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 In­sO sei nicht wi­der­legt. Die Anhörung des Be­triebs­rats nach § 102 Be­trVG sei nicht zu be­an­stan­den, die Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge nach § 17 KSchG feh­ler­frei. Der Be­klag­te ha­be nicht sei­ne Pflich­ten aus § 17 Abs. 2 KSchG ver­letzt. Auch das Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren sei ord­nungs­gemäß durch­geführt wor­den.

Ge­gen die­ses ihr am 10. No­vem­ber 2014 zu­ge­stell­te Ur­teil hat die Kläge­rin am 26. No­vem­ber 2014 Be­ru­fung ein­ge­legt und die­se in­ner­halb der verlänger­ten Frist am 22. Ja­nu­ar 2015 be­gründet.

Die Be­ru­fung führt im We­sent­li­chen aus: Der Be­klag­te ha­be ge­gen sei­ne aus § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG re­sul­tie­ren­den Pflich­ten ver­s­toßen. Das Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren sei nicht ord­nungs­gemäß durch­geführt wor­den. Zu ei­ner schrift­li­chen Un­ter­rich­tung im Sin­ne von § 17 Abs. 2 KSchG sei es nicht ge­kom­men. Auch wenn der Be­triebs­rat die Be­en­di­gung des Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­rens durch § 10 des von den Be­triebs­par­tei­en un­ter­zeich­ne­ten In­te­res-sen­aus­gleichs bestätigt ha­be und ein et­wai­ger Schrift­form­ver­s­toß durch das Zu­lei­ten ei­nes nicht un­ter­zeich­ne­ten Tex­tes in Form ei­nes In­ter­es­sen­aus­gleichs ge­heilt wer­den könne, sei die Erfüllung der Un­ter­rich­tungs­ver­pflich­tung vor­lie­gend nicht fest­zu­stel­len. Denn tatsächlich sei es we­der durch den Be­klag­ten zu ei­ner ein­sei­ti­gen schrift­li­chen Un­ter­rich­tung des Be­triebs­ra­tes noch zu ei­ner schrift­li­chen Ab­fas­sung sämt­li­cher vom Ge­setz­ge­ber ver­lang­ten An­ga­ben ge­kom­men. Nicht ein­mal die münd­li­che Un­ter­rich­tung des Be­triebs­rats in al­len nach § 17 KSchG vor­ge­se­he­nen Punk­ten sei vor­ge­tra­gen. So las­se sich dem In­ter­es­sen­aus­gleich nicht ent­neh­men, wel­che Be­rufs­grup­pen von der Maßnah­me er­fasst sei­en. Über Be­rech­nungs­kri­te­ri­en et­wai­ger Ab­fin­dun­gen fänden sich kei­ne An­ga­ben. Eben­so we­nig ver­hal­te sich der In­ter­es­sen­aus­gleich zu den vor­ge­se­he­nen Kri­te­ri­en für die Aus­wahl der zu ent­las­se­nen Ar­beit­neh­mer. In ihm sei­en nicht ein­mal die An­zahl der zu kündi­gen­den Ar­beit­neh­mer und der Zeit­raum, in dem die Ent­las­sun­gen vor­ge­nom­men wer­den sol­len, zu fin­den.

Nicht ge­folgt wer­de der Auf­fas­sung des Ar­beits­ge­richts, ei­ne feh­ler­haf­te Un­ter­rich­tung in Fällen wie dem vor­lie­gen­den sei recht­lich be­deu­tungs­los. Bei ei­ner Mas­sen­ent­las­sung sol­le dem Be­triebs­rat durch die zu er­tei­len­den In­for­ma­tio­nen die Möglich­keit ge­ge­ben wer­den, „kon­struk­ti­ve Vor­schläge“ zu un­ter­brei­ten. Hierfür sei ei­ne um­fas­sen­de Un­ter­rich­tung er­for­der­lich. Wäre näher auf die Be­rufs­grup­pen ein­ge­gan­gen wor­den, hätte sich viel­leicht ei­ne an­de­re Pro­blemlösung als die Mas­sen­ent­las­sung fin­den las­sen. We­der dem Ar­beit­ge­ber noch dem Ar­beits­ge­richt kom­me das Recht zu, zu ent­schei­den, wel­che In­for­ma­tio­nen er­for­der­lich sei­en. Der Ge­setz­ge­ber ha­be in § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG ei­nen un­miss­verständ­li­chen Wort­laut gewählt und aus­geführt, dass der Ar­beit­ge­ber den Be­triebs­rat ins­be­son­de­re über die so­dann im Ein­zel­nen ge­nann­ten Punk­te 1. bis 6. zu un­ter­rich­ten ha­be.

Die Kläge­rin be­an­tragt,

auf die Be­ru­fung der Kläge­rin das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Lin­gen vom 23.10.2014, AZ: 3 Ca 1534/14, ab­zuändern und fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en durch die Kündi­gung vom 27.12.2013 nicht auf­gelöst wor­den ist.

Der Be­klag­te be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Er ver­tei­digt das an­ge­grif­fe­ne Ur­teil nach Maßga­be sei­ner Be­ru­fungs­er­wi­de­rung vom 26. Fe­bru­ar 2015 und sei­nes Schrift­sat­zes vom 15. April 2015, auf die Be­zug ge­nom­men wird (Bl. 93 - 97 d. A.; 108 - 113 d. A.).

We­gen des wei­te­ren Vor­brin­gens der Par­tei­en zur Sach- und Rechts­la­ge wird auf die ge­wech­sel­ten Schriftsätze Be­zug ge­nom­men, die Ge­gen­stand der münd­li­chen Ver­hand­lung wa­ren.

Ent­schei­dungs­gründe

I.

Die Be­ru­fung der Kläge­rin ist gem. §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statt­haft; auch ist sie von der Kläge­rin frist- und form­ge­recht ein­ge­legt und be­gründet wor­den (§ 66 ArbGG, §§ 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO). Da­mit ist sie ins­ge­samt zulässig.

II.

Die Be­ru­fung der Kläge­rin ist je­doch un­be­gründet. Das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis hat auf­grund frist­gemäßer, be­triebs­be­ding­ter Kündi­gung des Be­klag­ten vom 27. De­zem­ber 2013 zum 31. März 2014 ge­en­det. Die Kündi­gung ist so­zi­al ge­recht­fer­tigt. Auch ist sie nicht un­wirk­sam nach den Vor­schrif­ten des § 102 Be­trVG oder nach § 17 KSchG.

1.

Im Er­geb­nis und in der Be­gründung zu­tref­fend hat das Ar­beits­ge­richt die Kla­ge da­her ab­ge-wie­sen. Das Be­ru­fungs­ge­richt macht sich je­ne Gründe nach ei­ge­ner Prüfung aus­drück­lich zu Ei­gen und nimmt zur Ver­mei­dung von Wie­der­ho­lun­gen auf sie Be­zug (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Die Fest­stel­lun­gen des Ar­beits­ge­richts zur so­zia­len Recht­fer­ti­gung, zur ord­nungs­gemäßen Anhörung des Be­triebs­ra­tes gemäß § 102 Be­trVG, zu den tat­be­stand­li­chen Vor­aus­set­zun­gen des § 125 Abs. 1 Satz 1 In­sO und zur ord­nungs­gemäßen Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge nach § 17 Abs. 3 KSchG greift die Be­ru­fung auch nicht mehr an. Sie hält al­lein die Durchführung des Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­rens für feh­ler­haft und die Mängel für nicht heil­bar.

2.

Die Kündi­gung ist aber auch un­ter dem Ge­sichts­punkt ei­ner feh­ler­haf­ten Be­tei­li­gung des Be­triebs­rats gemäß § 17 Abs. 2 KSchG nicht un­wirk­sam. Der Feh­ler ist ge­ringfügig und wirkt sich nicht aus. Bei der Ent­las­sung al­ler Ar­beit­neh­mer hat die feh­len­de schrift­li­che Mit­tei­lung ih­rer Be­rufs­grup­pen kei­ne Fol­gen für die Prüfung des Be­triebs­ra­tes. Ei­ne schrift­li­che Un­ter­rich­tung des Be­triebs­ra­tes im Übri­gen ist er­folgt.

a)

Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG hat der Ar­beit­ge­ber, wenn er be­ab­sich­tigt, ei­ne Mas­sen­ent-las­sung vor­zu­neh­men, dem Be­triebs­rat recht­zei­tig die zweck­dien­li­chen Auskünf­te zu er­tei­len und ihn schrift­lich ins­be­son­de­re zu un­ter­rich­ten über die Gründe für die ge­plan­ten Ent­las­sun­gen, die Zahl und die Be­rufs­grup­pen der zu ent­las­sen­den Ar­beit­neh­mer, die Zahl und die Be­rufs­grup­pen der in der Re­gel beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer, den Zeit­raum, in dem die Ent­las­sun­gen vor­ge­nom­men wer­den sol­len, die vor­ge­se­he­nen Kri­te­ri­en für die Aus­wahl der zu ent­las­sen­den Ar­beit­neh­mer und die für die Be­rech­nung et­wai­ger Ab­fin­dun­gen vor­ge­se­he­nen Kri­te­ri­en. Die feh­ler­haf­te Kon­sul­ta­ti­on des Be­triebs­ra­tes führt zur Rechts­un­wirk­sam­keit der Kündi­gung (vgl. BAG 21. März 2013 - 2 AZR 637/12 - ju­ris, Rn. 20).

Das Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren ist auch nicht ent­behr­lich, wenn der ge­sam­te Be­trieb still­ge­legt und al­le Ar­beit­neh­mer ent­las­sen wer­den (BAG 13. De­zem­ber 2012 - 6 AZR 772/11 - ju­ris Rn. 39; 41). Das wäre nur der Fall, wenn kein Ar­beit­ge­ber mehr vor­han­den ist, der als An­sprech-part­ner für Ver­hand­lun­gen die­nen könn­te (vgl. BAG 13. De­zem­ber 2012 - 6 AZR 772/11 - ju­ris Rn. 39; 41). Die Un­ter­rich­tung der Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tung soll es die­ser ermögli­chen, kon-struk­ti­ve Vor­schläge zur Ver­mei­dung oder Ein­schränkung der Mas­sen­ent­las­sung zu un­ter­brei­ten (BAG 13. De­zem­ber 2012 - 6 AZR 772/11 - ju­ris Rn. 42; 20. Sep­tem­ber 2012 - 6 AZR 155/11 - Rn. 60 mwN, ZIP 2012, 2412). Die Be­ra­tun­gen mit der Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tung müs-sen sich da­bei nicht auf die Ver­mei­dung oder Be­schränkung der Mas­sen­ent­las­sung be­zie­hen. Sie können auch die Möglich­keit be­tref­fen, die Fol­gen sol­cher Ent­las­sun­gen durch so­zia­le Be­gleit­maßnah­men zu mil­dern. Da­bei kann es sich ins­be­son­de­re um Hil­fen für ei­ne an­der­wei­ti­ge Ver­wen­dung oder Um­schu­lun­gen der ent­las­se­nen Ar­beit­neh­mer han­deln (EuGH 3. März 2011 - C-235/10 ua. - [Cla­es] Rn. 56, NZA 2011, 337).

Be­ab­sich­tigt der Ar­beit­ge­ber dem­nach, an­zei­ge­pflich­ti­ge Ent­las­sun­gen im Sin­ne von § 17 Abs. 1 KSchG vor­zu­neh­men, hat er den Be­triebs­rat nach nähe­rer Maßga­be über die be­ab­sich­tig­te Mas­sen­ent­las­sung zu un­ter­rich­ten und mit ihm über Möglich­kei­ten zu be­ra­ten, die­se zu ver­mei­den oder ein­zu­schränken. § 17 Abs. 2 KSchG enthält ei­ne ei­genständi­ge Ver-pflich­tung des Ar­beit­ge­bers, die gleich­wer­tig ne­ben den in § 17 Abs. 3 KSchG ge­re­gel­ten Ver­pflich­tun­gen ge­genüber der Agen­tur für Ar­beit steht (BAG 13. De­zem­ber 2012 - 6 AZR 772/11 - ju­ris Rn. 51). Die ver­schie­de­nen Be­tei­li­gungs­ver­fah­ren können le­dig­lich, so­weit die Pflich­ten nach den un­ter­schied­li­chen Ver­fah­ren übe­rein­stim­men, mit­ein­an­der ver­bun­den und da­mit vom Ar­beit­ge­ber gleich­zei­tig erfüllt wer­den. Ei­ne sol­che Ver­bin­dung ver­letzt kei­ne uni­ons­recht­li­chen Vor­ga­ben (vgl. BAG 20. Sep­tem­ber 2012 - 6 AZR 155/11 - ju­ris Rn. 47 ff.).

b)

Bei An­wen­dung die­ser Grundsätze hat der Be­klag­te das Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren in vie­len, nicht aber in al­len Tei­len vollständig durch­geführt.

aa)

Der Be­klag­te hat dem Be­triebs­rat auf der Grund­la­ge sei­nes Re­struk­tu­rie­rungs­plans während der In­ter­es­sen­aus­gleichs­ver­hand­lun­gen zunächst al­le „zweck­dien­li­chen Auskünf­te‘“ er­teilt. Da­mit ist das Be­ra­tungs­er­for­der­nis des § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG erfüllt. Auch ist der Be­triebs­rat mit den In­hal­ten des In­ter­es­sen­aus­gleichs vor Aus­spruch der Kündi­gung schrift­lich im Sin­ne von § 17 Abs. 2 KSchG un­ter­rich­tet wor­den. Hier­zu hat der Zeu­ge J. be­kun­det, mit Eröff­nung des Ver­fah­rens am 1. De­zem­ber 2013 und der Ände­rung in ein Re­ge­lin­sol­venz­ver­fah­ren ha­be es am 4., am 12. und am 19. De­zem­ber 2013 je­weils ab 14.00 Uhr Ver­hand­lungs­ter­mi­ne mit dem Be­triebs­rat ge­ge­ben. Am 19. De­zem­ber 2013 sei dann der In­ter­es­sen­aus­gleich fi­na­li­siert und dem Ver­tre­ter des Be­triebs­ra­tes aus­gehändigt wor­den. Die­ser ha­be am nächs­ten Tag bestätigt, dass der In­ter­es­sen­aus­gleich in der so ver­schrift­lich­ten Form ab-ge­schlos­sen wer­den könne. Einwände ge­gen die Rich­tig­keit die­ser Aus­sa­ge er­hebt die Be­ru-fung nicht. Der In­ter­es­sen­aus­gleich lag dem Be­triebs­rat da­mit in schrift­li­cher Form vor.

bb)

Unschädlich ist, dass sich das Ver­hand­lungs­an­ge­bot in ers­ter Li­nie auf den In­ter­es­sen­aus­gleich be­zog. Nach ständi­ger Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts ist es zulässig, das In­ter­es­sen­aus­gleichs­ver­fah­ren mit der Erfüllung der Un­ter­rich­tungs­pflicht nach § 17 Abs. 2
Satz 1 KSchG zu ver­bin­den (BAG vom 20. Sep­tem­ber 2012 - 6 AZR 155/11 - ju­ris Rn. 45). Auch wenn sich die Ver­hand­lun­gen über den In­ter­es­sen­aus­gleich nach § 112 Abs. 1 Satz 1 Be­trVG und die Be­ra­tung nach § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG for­mal un­ter­schei­den, sind sie in der Pra­xis in­halt­lich de­ckungs­gleich. Hier ei­ne Un­ter­schei­dung zu tref­fen, wäre ein über­trie­be­ner For­ma­lis­mus (Lan­des­ar­beits­ge­richt Nie­der­sach­sen vom 26.02.2015 - 5 Sa 1318/14 - zur Veröffent­li­chung vor­ge­se­hen).

cc)

Dem Schrift­for­mer­for­der­nis wird genügt. Der Be­triebs­rat hat­te den Ent­wurf des In­ter­es­sen-aus­gleichs in schrift­li­cher Form am 19. De­zem­ber 2013 zur Be­ra­tung und bestätig­te be­reits am nächs­ten Tag, er könne in der so ver­schrift­lich­ten Form ab­ge­schlos­sen wer­den. Der Ent­wurf ent­hielt eben­so wie der an­sch­ließend un­ter­zeich­ne­te In­ter­es­sen­aus­gleich in § 10 die For­mu­lie­rung: „Der Be­triebs­rat wur­de im Rah­men der Ver­hand­lun­gen zu die­sem In­ter­es­sen­aus­gleich am 04.12.2013 recht­zei­tig und vollständig nach § 17 Abs. 2 Kündi­gungs­schutz­ge­setz un­ter­rich­tet. So­dann ha­ben In­sol­venz­ver­wal­ter und Be­triebs­rat am 12.12.2013 noch­mals die Möglich­keit be­ra­ten, Ent­las­sun­gen zu ver­mei­den oder ein­zu­schränken und ih­re Fol­gen zu min­dern. Die Be­triebs­par­tei­en sind sich ei­nig, dass den in der An­la­ge 1 zu die­sem In­te­res-sen­aus­gleich auf­geführ­ten Mit­ar­bei­tern be­triebs­be­dingt zu kündi­gen ist. Dies ist kein Präju­diz für die in § 9 die­ses In­ter­es­sen­aus­gleichs fest­ge­hal­te­ne un­ter­schied­li­che Rechts­auf­fas­sung zur Kündi­gung von Be­triebs­rats­mit­glie­dern.“

Je­den­falls vor dem Hin­ter­grund ei­nes sol­chen als Ent­wurf über­sand­ten In­ter­es­sen­aus­gleichs muss­te der Be­triebs­rat das An­ge­bot zur Ver­hand­lung über ei­nen In­ter­es­sen­aus­gleich als An-ge­bot zur Ver­hand­lung im Sin­ne von § 17 Abs. 2 KSchG ver­ste­hen. Durch die ab­sch­ließen­de Stel­lung­nah­me des Be­triebs­rats in § 10 des In­ter­es­sen­aus­gleichs wäre darüber hin­aus ein Schrift­form­ver­s­toß ge­heilt. Der Be­triebs­rat hat mit sei­ner ab­sch­ließen­den Stel­lung­nah­me die Be­en­di­gung des Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­rens bestätigt und deut­lich ge­macht, dass er sich für aus-rei­chend un­ter­rich­tet hielt und die Zwei-Wo­chen-Frist des § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG nicht ausschöpfen wol­le.

dd)

Der In­ter­es­sen­aus­gleich enthält In­for­ma­tio­nen zu den Gründen für die ge­plan­ten Ent­las­sun­gen. Er weist aus, es wer­de al­len Ar­beit­neh­mern gekündigt, und gibt da­mit die Zahl der zu ent­las­sen­den Ar­beit­neh­mer an; er enthält ei­ne Na­mens­lis­te mit den Na­men und Da­ten al­ler bei dem Be­klag­ten beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer. Der In­ter­es­sen­aus­gleich weist eben­falls den Zeit­raum, in dem die Ent­las­sun­gen vor­ge­nom­men wer­den sol­len (§ 3 Abs. 2), und die Kri­te­ri­en für die Aus­wahl der zu ent­las­sen­den Ar­beit­neh­mer (§ 4, 4.2) aus. § 5 enthält Re­ge­lun­gen zum So­zi­al­plan. Da in­so­weit noch kei­ne wei­te­ren An­ga­ben ge­macht wer­den konn­ten, genügt der Ver­weis auf den ab­zu­sch­ließen­den So­zi­al­plan (BAG 30. März 2004 - 1 AZR 7/03 - ju­ris Rn. 34). Al­lein die Be­rufs­grup­pen der in der Re­gel beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer fin­den sich in dem In­ter­es­sen­aus­gleich nicht. Auch die Na­mens­lis­te enthält hier­zu kei­ne An­ga­ben. Dass dem Be­triebs­rat auf an­de­re Wei­se In­for­ma­tio­nen da­zu ge­ge­ben wur­den, be­haup­tet der Be­klag­te nicht.

c)

Dem Er­for­der­nis des § 17 Abs. 2 KSchG ist den­noch Genüge ge­tan. Führt der Ar­beit­ge­ber ein Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren durch und un­ter­rich­tet den Be­triebs­rat hier­bei nicht über die Be­rufs-grup­pen der zu ent­las­sen­den Ar­beit­neh­mer, hat dies bei der Ent­las­sung al­ler Ar­beit­neh­mer kei­ne Fol­gen für die nach § 17 Abs. 2 KSchG er­for­der­li­che Prüfung durch den Be­triebs­rat und führt aus­nahms­wei­se nicht zur Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung (vgl. Schaub/Linck, Ar­beits-rechts­hand­buch, 15. Aufl. 2013, § 17 Rn. 14).

aa)

Weit­ge­hend un­geklärt ist die Fra­ge, wel­che Rechts­fol­gen ein Ver­s­toß ge­gen die Vor­schrif­ten für das Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren auf die Wirk­sam­keit der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge und die nach­fol­gen­den Kündi­gun­gen hat, wenn die in § 17 Abs. 2 KSchG ver­lang­ten An­ga­ben im schrift­li­chen (nicht not­wen­dig un­ter­schrie­be­nen) Text nicht vollständig do­ku­men­tiert wor­den sind, weil et­wa - wie vor­lie­gend - An­ga­ben zu den Be­rufs­grup­pen der in der Re­gel beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer feh­len (vgl. ErfK/Kiel 15. Aufl. 2015, § 17 KSchG Rn. 24, 26a, 29; 36).

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hat bis­her of­fen­ge­las­sen, ob und in­wie­weit die feh­len­de Un­ter­rich-tung des Be­triebs­ra­tes über die Be­rufs­grup­pen der zu ent­las­sen­den Ar­beit­neh­mer im Rah­men der Kon­sul­ta­ti­ons­pflicht nach­tei­li­ge Rechts­fol­gen für den Ar­beit­ge­ber ha­ben kann (BAG 18. Ja­nu­ar 2012 - 6 AZR 407/10 - ju­ris Rn. 36; 13. De­zem­ber 2012 - 6 AZR 772/11 - ju­ris Rn. 52). An­er­kannt ist, dass Feh­ler in der Un­ter­rich­tung nicht im­mer zur Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung führen müssen: Durch ei­ne ab­sch­ließen­de Stel­lung­nah­me des Be­triebs­rats können ggf. Form­feh­ler ge­heilt wer­den (LAG Hamm vom 15.12.2010 - 6 Sa 1344/10 - ju­ris Rn. 12; KR/Wei­gand, 10. Aufl. 2013, § 17 KSchG Rn. 65 mit wei­te­ren Nach­wei­sen; KDZ/Dei­nert § 17 KSchG Rn. 40). Glei­ches gilt, wenn die Ar­beits­agen­tur durch be­stands­kräf-ti­gen Be­scheid die Mas­sen­ent­las­sung nicht be­an­stan­det bzw. die Frist des § 18 Abs. 1 KSchG verkürzt (BAG 28. Mai 2009 - 8 AZR 273/08 - ju­ris Rn. 56 f.). Ei­ne bloß ver­späte­te Un­ter­rich­tung führt nur zu ei­ner verzöger­ten Um­set­zung (Schramm/Kuhn­ke, NZA 2011, 1071, 1071).

Die wohl herr­schen­de Li­te­ra­tur­mei­nung hält im Übri­gen dafür, dass Fälle teil­wei­se feh­ler­haf­ter Un­ter­rich­tung nicht zur Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung führen, wenn dies kei­ne Fol­gen für die nach § 17 Abs. 2 KSchG er­for­der­li­che Prüfung durch den Be­triebs­rat hat (vgl. ErfK/Kiel,
15. Aufl. 2015, § 17 KSchG Rn. 24, 36; Schaub/Linck ArbR-Hdb, 15. Aufl. 2013, § 142 Rn. 19; v. Ho­y­nin­gen-Hue­ne/Linck, KSchG 14. Aufl. § 17 Rn. 60, 65; KR/Wei­gand, 10. Aufl. 2013, § 17 KSchG Rn. 63; Thüsing/Laux/Lembke/Ober­win­ter, 3. Aufl. 2014, § 17 Rn. 101 bis 106; Schramm/Kuhn­ke NZA 2011, 1071, 1074; Hin­richs Kündi­gungs­schutz und Ar­beit­neh­mer­be­tei-li­gung bei Mas­sen­ent­las­sun­gen Sei­te 174; wohl auch Ba­der/Bram/Dörner/Suckow § 17 Rn. 82; un­klar Ni­k­las/Ko­eh­ler NZA 2010, 913, 918, die an­neh­men, je­den­falls sei ei­ne Miss­ach­tung nicht oh­ne Be­deu­tung; dif­fe­ren­zie­rend APS/Moll 4. Aufl. § 17 KSchG Rn. 76 ff.).

bb)

Nach die­sem rich­ti­gen Verständ­nis kann die un­ge­naue oder feh­ler­haf­te Un­ter­rich­tung je­den­falls dann nicht zur Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung führen, wenn sich der Feh­ler nicht un­mit­tel­bar auf den gekündig­ten Ar­beit­neh­mer be­zieht. Das gilt ins­be­son­de­re für die An­ga­ben zu den re­gelmäßig beschäftig­ten Ar­beit­neh­mern bzw. den Be­rufs­grup­pen, wenn die Ent­las­sung al­ler Ar­beit­neh­mer ge­plant ist.

Un­ter­rich­tet der Ar­beit­ge­ber den Be­triebs­rat al­so nicht über die Be­rufs­grup­pen der zu ent­las-se­nen Ar­beit­neh­mer, hat dies bei der Ent­las­sung al­ler Ar­beit­neh­mer kei­ne Fol­gen für die Prüfung durch den Be­triebs­rat. Der Feh­ler kann sich nicht zu Las­ten der be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer aus­wir­ken; er bleibt fol­gen­los; denn der Be­triebs­rat wird durch die feh­ler­haf­ten An­ga­ben nicht in sei­ner Prüfung be­ein­flusst.

cc)

Ei­ne sol­che Fall­kon­stel­la­ti­on ist vor­lie­gend ge­ge­ben. Der Be­klag­te hat den ge­sam­ten Be­trieb still­ge­legt. Er hat al­len Ar­beit­neh­mern gekündigt. Die Kennt­nis der Be­rufs­grup­pen kann sich auf die Prüfung des Be­triebs­ra­tes zu der Fra­ge, wel­chen Ar­beit­neh­mern zu kündi­gen ist, nicht aus­wir­ken. Ei­ne Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung ist da­mit nicht ge­ge­ben.

III.

Die Kos­ten­ent­schei­dung er­folgt aus § 97 ZPO in Ver­bin­dung mit § 64 Abs. 6 ArbGG.

IV.

Die Re­vi­si­on war we­gen grundsätz­li­cher Be­deu­tung ei­ner Rechts­fra­ge, die für den Aus­gang des Rechts­streits er­heb­lich ist, zu­zu­las­sen.

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