HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

LAG Hamm, Ur­teil vom 15.07.2011, 10 Sa 1781/10

   
Schlagworte: Verdachtskündigung, Kündigung: Personenbedingt, Kündigung: Verdachtskündigung
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Aktenzeichen: 10 Sa 1781/10
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 15.07.2011
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Bielefeld - 1 Ca 2998/09
   

Verkündet am 15.07.2011:

10 Sa 1781/10

1 Ca 2998/09
ArbG Bie­le­feld 

Neu­ge­bau­er
Re­gie­rungs­beschäftig­te

als Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

Lan­des­ar­beits­ge­richt Hamm


Im Na­men des Vol­kes

Ur­teil

In Sa­chen


hat die 10. Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts Hamm
auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 15.07.2011
durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Lan­des­ar­beits­ge­richt Schier­baum
so­wie die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin Kohl­stadt und den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Dud­zik


- Be­rich­tigt durch Be­schluss vom 05.09.2011 und 12.12.11 s. An­la­ge -

für Recht er­kannt:


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Auf die Be­ru­fung der Kläge­rin wird das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Bie­le­feld vom 29.06.2010 – 1 Ca 2998/09 – teil­wei­se ab­geändert.

Es wird fest­ge­stellt, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en durch die frist­lo­se Kündi­gung der Be­klag­ten vom 11.09.2009 nicht be­en­det wor­den ist.

Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, an die Kläge­rin 9.531,82 € brut­to nebst 5 % Punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz der Eu­ropäischen Zen­tral­bank aus 840,02 € seit dem 01.10.2009, aus wei­te­ren 1.406,92 € seit dem 01.11.2009, aus wei­te­ren 1.657,20 € seit dem 01.12.2009, aus wei­te­ren 1.406,92 € seit dem 01.01.2010, aus wei­te­ren 1.406,92 € seit dem 01.02.2010, aus wei­te­ren 1.406,92 seit dem 01.03.2010 und aus wei­te­ren 1.406,92 € seit dem 01.04.2010 abzüglich von der Agen­tur für Ar­beit am 02.10.2009 ge­zahl­ter 463,02 € net­to und abzüglich wei­te­rer von der Agen­tur für Ar­beit am 30.10.2009, am 30.11.2009, am 30.12.2009, am 29.01.2010, am 26.02.2010 und am 31.03.2010 je­weils ge­zahl­ter 731,10 € net­to zu zah­len.

Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, an die Kläge­rin ei­nen Wa­ren­gut­schein über 275,00 € aus­zu­stel­len und der Kläge­rin die­sen Wa­ren­gut­schein aus­zuhändi­gen.

Im Übri­gen wird die Kla­ge ab­ge­wie­sen.

Von den Kos­ten des Rechts­streits hat die Kläge­rin 1/2, die Be­klag­te 1/2 zu tra­gen.

Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen.

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten um die Wirk­sam­keit ei­ner von der Be­klag­ten aus­ge­spro­che­nen außer­or­dent­li­chen und or­dent­li­chen Kündi­gung. Darüber hin­aus be­gehrt die Kläge­rin Wei­ter­beschäfti­gung bei der Be­klag­ten, die Zah­lung rückständi­ger Ar­beits­ent­gel­te, die Aushändi­gung ei­nes Wa­ren­gut­schei­nes und die Er­tei­lung ei­nes Zeug­nis­ses.

Die am 28.07.1967 ge­bo­re­ne Kläge­rin ist le­dig und ei­nem Kind un­ter­halts­ver­pflich­tet.


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dem 01.10.1991 bei der Be­klag­ten bzw. de­ren Rechts­vorgänge­rin, die mehr als 100 Ar­beit­neh­mer aus­sch­ließlich der Aus­zu­bil­den­den beschäftigt, als Kas­sie­re­rin im Ein­kaufs­markt der Be­klag­ten in G1 tätig. Der Ein­kaufs­markt der Be­klag­ten be­steht aus ei­nem Wa­ren­haus, ei­nem Ge­tränke­markt, ei­nem Tech­nik­markt und ei­ner Tank­stel­le. Seit et­wa 2005 war die Kläge­rin als Kas­sie­re­rin im Ge­tränke­markt, in dem sich drei Kas­sen be­fin­den, zu­letzt mit ei­ner mo­nat­li­chen St­un­den­zahl von 108,25 und ei­nem Brut­to­ent­gelt von 1.406,92 € ein­ge­setzt. An ei­ner der drei Kas­sen im Ge­tränke­markt be­fin­det sich die Kas­se für die Leer­gut­an­nah­me. Ins­ge­samt sind im Ge­tränke­markt et­wa zehn Kas­sie­rer/in­nen tätig.

In der Nie­der­las­sung G1 ist ein Be­triebs­rat gewählt, der aus sie­ben Per­so­nen be­steht.

Im Ein­kaufs­markt in G1 ist ei­ne ständi­ge Vi­deo­ka­me­ra ein­ge­rich­tet, die den Geschäfts­be­trieb über die ge­sam­ten Kas­sen­be­rei­che so­wie über den Ein- und Aus­gangs­be­reich über­wacht. Die­se Über­wa­chung dient da­zu, recht­zei­tig Kas­sen­staus er­ken­nen zu können. Mit­tels die­ser Vi­deo­ka­me­ra können De­tails an den ein­zel­nen Kas­sen nicht er­kannt wer­den. Die Ein­rich­tung die­ser ständi­gen Vi­deo­ka­me­ra ist al­len Mit­ar­bei­tern be­kannt.

Im Be­trieb der Be­klag­ten exis­tie­ren Kas­sen­an­wei­sun­gen, die den Kas­sie­rern/Kas­sie­re­rin­nen aus­gehändigt wer­den. Hier­nach ist es u.a. un­ter­sagt, Bar­geld in der Dienst­klei­dung oder im Schub­fach des Kas­sen­ti­sches auf­zu­be­wah­ren. Die Her­aus­ga­be zusätz­li­chen Wech­sel­gel­des hat durch die Markt­lei­tung zu er­fol­gen. Den Kas­sie­rern/Kas­sie­re­rin­nen ist es un­ter­sagt, Geld aus der Kas­se zu ent­neh­men oder es sich leih­wei­se selbst oder an­de­ren zur Verfügung zu stel­len. In den Schubfächern der Kas­sen darf nach Geschäfts­schluss kein Geld auf­be­wahrt wer­den. Wech­sel­geld ist der Markt­lei­tung zu über­ge­ben. Geld­wech­sel­geschäfte mit dem Kun­den oder an­de­ren Kas­sen­kräften sind un­ter­sagt. In Zif­fer 33 der Kas­sen­an­wei­sun­gen (Bl. 33 ff., 282 ff., 286 ff. d.A.) ist aus­drück­lich fest­ge­hal­ten, dass Geld­beträge, die vom Kun­den lie­gen­ge­las­sen wur­den, so­fort der Markt­lei­tung aus­gehändigt wer­den müssen, da­mit es im Büro/Tre­sor de­po­niert wer­den kann. Auf die wei­te­ren Be­stim­mun­gen der Kas­sen­an­wei­sun­gen (Bl. 33 ff., 282 ff., 286 ff. d.A.) wird Be­zug ge­nom­men.

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Am 24.01.2008 nahm die Kläge­rin an ei­ner Kas­sen­schu­lung teil, was sie durch ih­re Un­ter­schrift bestätig­te (Bl. 281 d.A.).
Am 10.07.2009 bestätig­te die Kläge­rin durch ih­re Un­ter­schrift, die Kas­sier­an­wei­sung er­hal­ten und zur Kennt­nis ge­nom­men zu ha­ben (Bl. 292 d.A.).

Im ers­ten Halb­jahr 2009 wa­ren im Ge­tränke­markt der Be­klag­ten in G1 Leer­gut­dif­fe­ren­zen in Höhe von 7.081,63 € auf­ge­tre­ten. Die­se Leer­gut­dif­fe­ren­zen können da­durch ent­ste­hen, dass ent­we­der im Leer­gut­la­ger der Wa­ren­aus­gang nicht kor­rekt er­fasst wor­den ist, oder da­durch, dass an der Leer­gut­kas­se ein Leer­gut­bon ge­druckt und die auf dem Leer­gut­bon ge­druck­te Sum­me der Kas­se ent­nom­men wird. Der Kas­sen­be­stand er­weist sich in die­sem Fall als zu­tref­fend, es fehlt aber an ei­ner Verände­rung im Leer­gut­be­stand.
Nach­dem die Be­klag­te die Möglich­keit aus­ge­schlos­sen hat­te, dass die Leer­gut­dif­fe­ren­zen im La­ger ent­stan­den wa­ren, weil we­der die Lie­fe­ran­ten bei den von ih­nen durch­geführ­ten Kon­trol­len noch die Be­klag­te bei der Kon­trol­le ih­res La­ger­be­stan­des Dif­fe­ren­zen fest­ge­stellt hat­ten, hat­te die Be­klag­te die Ver­mu­tung, dass die Leer­gut­dif­fe­ren­zen im Kas­sen­be­reich ver­ur­sacht wor­den sei­en.
Auf die Leer­gut­ab­rech­nun­gen der Be­klag­ten aus Ju­ni 2009 (Bl. 94 d.A.) und aus De­zem­ber 2009 (Bl. 95 d.A.) wird Be­zug ge­nom­men.
Die Be­klag­te ver­ein­bar­te dar­auf­hin mit dem Be­triebs­rats­vor­sit­zen­den T1 am 07.07.2009 we­gen der fest­ge­stell­ten Leer­gut­dif­fe­ren­zen den Ein­satz ei­ner Vi­deo­auf­zeich­nung im Ge­tränke­markt über ei­nen Zeit­raum von vier Wo­chen. Hierüber wur­de am 07.07.2009 ei­ne Gesprächs­no­tiz ver­fasst (Bl. 96 d.A.), die vom Geschäfts­lei­ter der Be­klag­ten so­wie vom Be­triebs­rats­vor­sit­zen­den der Be­klag­ten un­ter­zeich­net ist.
Ein for­mel­ler Be­schluss des ge­sam­ten Be­triebs­rats wur­de nicht her­bei­geführt. Die Vi­deoüber­wa­chung wur­de al­lein mit dem Be­triebs­rats­vor­sit­zen­den ab­ge­spro­chen, weil ein Be­triebs­rats­mit­glied der Ver­ant­wort­li­che für den Ge­tränke­markt war.

Dar­auf­hin wur­de in der Zeit vom 13.07.2009 bis zum 03.08.2009 der ge­sam­te Kas­sen­be­reich im Ge­tränke­markt vi­deoüber­wacht. Mit der Durchführung und Aus­wer­tung der Vi­deo­auf­nah­men be­auf­trag­te die Be­klag­te die Fir­ma Se­cu­ri­ty ser­vice R1.M1, V1. Die Vi­deoüber­wa­chung be­traf ins­be­son­de­re al­le Mit­ar­bei­ter im Kas­sen­be­reich, u.a. auch die Kläge­rin.

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Am 11.07.2009 hat­te die Kläge­rin un­strei­tig Wech­sel­geld in Höhe von 300,00 € für den Ge­tränke­markt mit nach Hau­se ge­nom­men, statt die­se Sum­me im Kas­senbüro ab­zu­ge­ben. Aus die­sem Grun­de er­hielt sie am 14.08.2009 ei­ne Ab­mah­nung (Bl. 24 d.A.).

Nach­dem am 03.08.2009 die Vi­deo­ka­me­ras wie­der ab­ge­baut wor­den wa­ren, wur­den die ge­sam­ten Vi­deo­auf­nah­men durch die Fir­ma R1. M1 aus­ge­wer­tet. Hier­zu wur­de ein Zu­sam­men­schnitt und ei­ne Do­ku­men­ta­ti­on des auf­ge­zeich­ne­ten Vi­deo­ma­te­ri­als er­stellt. Nach Durchführung ei­ner Nach­kon­trol­le war die Aus­wer­tung der Vi­deo­auf­nah­men am 03.09.2009 ab­ge­schlos­sen.

Die Aus­wer­tung der Vi­deo­auf­zeich­nun­gen er­gab, dass in ei­nem Plas­tik­behälter un­ter der ei­gent­li­chen Kas­se ne­ben dem Wech­sel­geld­tre­sor Geld auf­be­wahrt wur­de, aus dem die Kläge­rin am 16.07.2009 ge­gen 8.45 Uhr, am 22.07.2009 um 16.13 Uhr und am 23.07.2009 um 18.34 Uhr Geld ent­nahm und es in ih­re Ho­sen­ta­sche steck­te. Zum Zeit­punkt der Kon­trol­le durch die Geschäfts­lei­tung und die Re­vi­si­on am 03.09.2009 be­fan­den sich in die­sem Plas­tik­behälter, der sog. Klüngel­geld­kas­se, 12,35 €.
Ob der Be­klag­ten und den be­trof­fe­nen Mit­ar­bei­tern die Exis­tenz die­ser Klüngel­geld­kas­se be­kannt war und in ihr Geldstücke ge­sam­melt wur­den, die für Ein­kaufs­wa­gen zum Zwe­cke des tägli­chen Trans­ports der drei schwe­ren Kas­sen­einsätze zum Kas­senbüro und zurück benötigt wur­den, ist zwi­schen den Par­tei­en strei­tig.

Am 04.09.2009 wur­de die Kläge­rin durch Mit­ar­bei­ter der Be­klag­ten in Ge­gen­wart des stell­ver­tre­ten­den Be­triebs­rats­vor­sit­zen­den P1 zu der Exis­tenz der Klüngel­geld­kas­se und der Ent­nah­me von Gel­dern hier­aus an­gehört. Die Ein­zel­hei­ten des Gesprächs vom 04.09.2009 sind zwi­schen den Par­tei­en strei­tig. Ins­be­son­de­re strei­ten die Par­tei­en dar­um, ob die Kläge­rin zunächst die Exis­tenz der Klüngel­geld­kas­se be­strit­ten und ve­he­ment be­haup­tet hat, nie­mals Geld aus die­ser Klüngel­geld­kas­se ent­nom­men zu ha­ben.

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Im Au­gust 2009 hat­te die Be­klag­te ei­ne „Ab­lauf­be­schrei­bung Kas­senbüro" (Bl. 92 f. d.A.) her­aus­ge­ge­ben. In Zif­fer 6 die­ser „Ab­lauf­be­schrei­bung Kas­senbüro" war fol­gen­des fest­ge­legt:

„6. Die Kas­sier­dif­fe­ren­zen sind täglich dem Geschäfts­lei­ter vor­zu­le­gen. Fund­geld wird ein­mal mo­nat­lich in die 99-er Kas­se ein­ge­zahlt. „Klüngel­geld" wird ein­mal pro Wo­che auf WGR 700 ge­bucht, es wird ein Ord­ner an­ge­legt, in dem die be­tref­fen­den Kas­sen­bon´s ab­ge­hef­tet wer­den."

Die­se Ab­lauf­be­schrei­bung Kas­senbüro hat­ten meh­re­re Mit­ar­bei­ter durch ih­re Un­ter­schrift zur Kennt­nis ge­nom­men. Der Kläge­rin wur­de die­se Ab­lauf­be­schrei­bung nicht vor­ge­legt, weil sie sich vom 27.07.2009 bis zum 15.08.2009 in Er­ho­lungs­ur­laub be­fun­den hat­te.

Mit Schrei­ben vom 08.09.2009 (Bl. 26 ff. d.A.) wur­de der Be­triebs­rat zu ei­ner be­ab­sich­tig­ten außer­or­dent­li­chen, hilfs­wei­se frist­ge­rech­ten Kündi­gung der Kläge­rin an­gehört. Auf das Anhörungs­schrei­ben vom 08.09.2009 (Bl. 26 ff. d.A.) wird Be­zug ge­nom­men.

Am 10.09.2009 teil­te der Be­triebs­rat mit, dass er die be­ab­sich­tig­te Kündi­gung zur Kennt­nis ge­nom­men ha­be (Bl. 27 d.A.).

Mit Schrei­ben vom 11.09.2009 (Bl. 15 d.A.) kündig­te die Be­klag­te dar­auf­hin das mit der Kläge­rin be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis frist­los mit so­for­ti­ger Wir­kung, hilfs­wei­se frist­ge­recht zum 31.03.2010.

Hier­ge­gen er­hob die Kläge­rin am 22.09.2009 die vor­lie­gen­de Kündi­gungs­schutz­kla­ge zum Ar­beits­ge­richt, mit der sie die Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung vom 11.09.2009 so­wie ih­re Wei­ter­beschäfti­gung bei der Be­klag­ten gel­tend macht. Fer­ner ver­langt sie die Zah­lung ih­res Ar­beits­ent­gelts für die Mo­na­te Sep­tem­ber 2009 bis ein­sch­ließlich Mai 2010 ein­sch­ließlich des Weih­nachts­gel­des für 2009 und des Ur­laubs­gel­des für 2010 abzüglich des von der Kläge­rin seit dem 12.09.2009 be­zo­ge­nen Ar­beits­lo­sen­gel­des in Höhe von täglich 24,37 € (Bl. 61 d.A.). Wei­ter macht sie die Aushändi­gung ei­nes Wa­ren­gut­schei­nes in Höhe von 275,00 €

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so­wie die Er­tei­lung ei­nes Zwi­schen­zeug­nis­ses, hilfs­wei­se ei­nes End­zeug­nis­ses gel­tend.

Die Kläge­rin hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, die außer­or­dent­li­che Kündi­gung vom 11.09.2009 sei un­wirk­sam. Ein Grund zur frist­lo­sen Kündi­gung sei nicht vor­han­den. Auch die aus­ge­spro­che­ne or­dent­li­che Kündi­gung sei so­zi­al nicht ge­recht­fer­tigt.

Sie hat be­haup­tet, die Klüngel­geld­kas­se ha­be seit Jah­ren im Ge­tränke­markt exis­tiert. Ei­ne der­ar­ti­ge Klüngel­geld­kas­se ha­be es auch im Le­bens­mit­tel­markt und im Tech­ni­ker­markt ge­ge­ben. In die­se Klüngel­geld­kas­se sei von al­len Kas­sie­re­rin­nen des Ge­tränke­mark­tes Wech­sel­geld ge­ge­ben wor­den, das die Kun­den nicht hätten mit­neh­men wol­len. Die­ses Geld sei da­zu ver­wandt wor­den, das von den Kas­sie­re­rin­nen ver­aus­lag­te Pfand­geld für die Be­nut­zung der Ein­kaufs­wa­gen zu er­stat­ten. Die­se Geld hätten die Kas­sie­re­rin­nen ver­aus­la­gen müssen, um mit ei­nem 20-Cent-Stück ei­nen Ein­kaufs­wa­gen aus­zulösen, mit dem die Einsätze für die drei Kas­sen im Ge­tränke­markt vom Kas­senbüro zum Ge­tränke­markt und zurück hätten trans­por­tiert wer­den müssen. Die ers­te Mit­ar­bei­te­rin, die mor­gens im Ge­tränke­markt um 7.30 Uhr ein­ge­teilt sei, ha­be die Auf­ga­be ge­habt, drei Kas­sen­einsätze und das Wech­sel­geld vom Kas­senbüro im Wa­ren­haus zu dem Ge­tränke­markt zu trans­por­tie­ren. Da die Kas­sen­einsätze verhält­nismäßig schwer ge­we­sen sei­en, ha­be man sich dafür ei­nes Ein­kaufs­wa­gens be­dient. Die Be­schaf­fung ei­nes Ein­kaufs­wa­gens sei aber nicht im­mer ein­fach ge­we­sen. Den Mit­ar­bei­te­rin­nen im Ge­tränke­markt sei we­der mor­gens noch abends ein ent­spre­chen­der Chip für den Ein­kaufs­wa­gen oder klei­ne­re Me­tall­ha­ken, wie sie der Ord­nungs­dienst ge­habt ha­be, mit de­nen man ei­nen Ein­kaufs­wa­gen oh­ne Chip von der Ket­te ablösen könne, zur Verfügung ge­stellt wor­den. Die Rückführung der Kas­sen­einsätze ein­sch­ließlich des Wech­sel­gel­des in das Kas­senbüro im Wa­ren­haus hätte abends bis zum Geschäfts­schluss um 22.00 Uhr be­werk­stel­ligt wer­den müssen. Um sich je­weils ei­nen Ein­kaufs­wa­gen zu be­schaf­fen, ha­be man Geldstücke aus der sog. Klüngel­geld­kas­se ent­nom­men und die­se später wie­der in die Klüngel­geld­kas­se zurück­geführt.
In der Klüngel­geld­kas­se ha­be sich Wech­sel­geld be­fun­den, das die Kun­den nicht hätten mit­neh­men wol­len. Zu­dem sei aus die­ser Kas­se her­aus ge­le­gent­lich am
 


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Abend Klein­geld ge­gen Geld im Kas­sen­ein­satz ge­tauscht wor­den, um kei­ne neue Wech­sel­gel­d­rol­le öff­nen zu müssen.
Der Kläge­rin könne in­so­weit ein Ver­s­toß ge­gen die Kas­sie­rer­an­wei­sung nicht vor­ge­wor­fen wer­den. Sie ha­be al­len­falls Geld ge­tauscht, nicht aber selbst ein­ge­steckt.

Die Kläge­rin hat fer­ner be­strit­ten, dass es zu Leer­gut­dif­fe­ren­zen in Höhe von 7.091,00 € ge­kom­men sei.

Sie hat darüber hin­aus die Auf­fas­sung ver­tre­ten, dass die Vi­deoüber­wa­chung un­zulässig ge­we­sen sei, weil die Mit­be­stim­mungs­rech­te des Be­triebs­ra­tes nicht ein­ge­hal­ten wor­den sei­en. In­so­weit be­ste­he ein Ver­wer­tungs­ver­bot.

Sch­ließlich sei auch die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht ein­ge­hal­ten. Die Aus­wer­tung der Vi­deo­auf­zeich­nun­gen ha­be zu lan­ge ge­dau­ert. Die Vi­deo­ka­me­ras sei­en be­reits am 03.08.2009 de­mon­tiert wor­den.

Sch­ließlich sei auch der Be­triebs­rat zu der Kündi­gung nicht ord­nungs­gemäß an­gehört wor­den.

Die Kläge­rin hat be­an­tragt,

1. fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en durch die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 11.09.2009 nicht be­en­det wor­den ist;

2. fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en auch nicht durch an­de­re Be­en­di­gungs­tat­bestände be­en­det wor­den ist;

3. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, die Kläge­rin bis zur rechts­kräfti­gen Ent­schei­dung zu un­veränder­ten Be­din­gun­gen wei­ter zu beschäfti­gen;

4. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an die Kläge­rin 9.531,82 € brut­to nebst 5 % Punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz der Eu­ropäischen Zen­tral­bank aus 840,02 € seit dem 01.10.2009, aus wei­te­ren 1.406,92 € seit dem 01.11.2009, aus wei­te­ren 1.657,20 € seit dem 01.12.2009, aus wei­te­ren 1.406,92 € seit dem 01.01.2010, aus wei­te­ren 1.406,92 € seit dem 01.02.2010, aus wei­te­ren 1.406,92 € seit dem 01.03.2010 und aus wei­te­ren 1.406,92 € seit dem 01.04.2010 abzüglich von der Agen­tur für Ar­beit am 02.10.2009 ge­zahl­ter 463,02 € net­to und abzüglich wei­te­rer von der Agen­tur für Ar­beit am 30.10.2009, am 30.11.2009, am

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30.12.2009, am 29.01.2010, am 26.02.2010 und am 31.03.2010 je­weils ge­zahl­ter 731,10 € net­to zu be­zah­len;

5. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, zu­guns­ten der Kläge­rin ei­nen Wa­ren­gut­schein über 275,00 € aus­zu­stel­len und der Kläge­rin die­sen Wa­ren­gut­schein aus­zuhändi­gen;

6. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, ein qua­li­fi­zier­tes Zwi­schen­zeug­nis aus­zu­stel­len; hilfs­wei­se zu 6), die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, ein qua­li­fi­zier­tes End­zeug­nis aus­zu­stel­len;

7. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an die Kläge­rin wei­te­re 3.974,46 € brut­to nebst 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz der Eu­ropäischen Zen­tral­bank aus 1.406,92 € brut­to seit dem 01.05.2010 und aus wei­te­ren 2.567,54 € brut­to seit dem 01.06.2010 abzüglich von der Agen­tur für Ar­beit am 30.04.2010 und am 31.05.2010 je­weils ge­zahl­ter 731,10 € zu be­zah­len.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Sie hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, die außer­or­dent­li­che Kündi­gung vom 11.09.2009 sei zu Recht aus­ge­spro­chen wor­den.

Die Aus­wer­tung der Vi­deoüber­wa­chung ha­be nämlich er­ge­ben, dass im Kas­sen­be­reich im Ge­tränke­markt ei­ne sog. schwar­ze Kas­se in ei­nem Plas­tik­behälter un­ter der ei­gent­li­chen Kas­se ne­ben dem Wech­sel­geld­tre­sor geführt wor­den sei. Aus die­ser Kas­se ha­be die Kläge­rin sich am 16.07.2009 um 8.45 Uhr, 22.07.2009 um 16.13 Uhr und am 24.07.2009 um 7.51 Uhr be­dient und Geldstücke aus die­ser Klüngel­geld­kas­se in ih­re ei­ge­ne Ho­sen­ta­sche ge­steckt, nach­dem sie sich zu­vor ver­si­chert ha­be, dass ihr nie­mand zu­se­he. Dies er­ge­be sich aus den Vi­deo­auf­zeich­nun­gen.
Die Vi­deoüber­wa­chung sei auch zulässig ge­we­sen, nach­dem im Ge­tränke­markt im ers­ten Halb­jahr 2009 Leer­gut­dif­fe­ren­zen in Höhe von 7.091,63 € (Bl. 94 ff. d.A.) ent­stan­den sei­en. Die­se Leer­gut­dif­fe­ren­zen müss­ten auf das Er­zeu­gen von Leer­gut­bons zurück­zuführen sein. Da­bei würden Leer­gut­bons ge­druckt, ob­wohl kein Leer­gut ein­ge­tauscht wor­den sei. Die Vi­deoüber­wa­chung sei auch nicht oh­ne

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Mit­be­stim­mung des Be­triebs­rats durch­geführt wor­den. Sie sei nämlich mit dem Be­triebs­rats­vor­sit­zen­den am 07.07.2009 (Bl. 96 d.A.) für vier Wo­chen ver­ein­bart wor­den.

Am 04.09.2009 sei die Kläge­rin mit dem Sach­ver­halt kon­fron­tiert wor­den. Da­bei sei sie zunächst zum all­ge­mei­nen Ab­lauf an der Kas­se be­fragt wor­den. Zum The­ma Trink­gel­der ha­be sie erklärt, nie­mals Trink­gel­der an­ge­nom­men zu ha­ben, da sie dies nicht dürfe. Auf die Fra­ge, wo sich übe­r­all im Kas­sen­be­reich Geld be­fin­de, ha­be die Kläge­rin ge­ant­wor­tet, dies be­fin­de sich in der Kas­se so­wie im Tre­sor. Ei­ne Plas­tik­do­se, die sog. Klüngel­geld­kas­se, ha­be da­bei kei­ne Erwähnung ge­fun­den. Im Lau­fe des Gesprächs ha­be die Kläge­rin auf Nach­fra­gen zu­ge­ge­ben, dass sich auch in der Plas­tik­do­se Bar­geld be­fin­de. Die Kläge­rin ha­be aber trotz wei­te­rer in­ten­si­ver Be­fra­gung ve­he­ment be­haup­tet, nie­mals Geld aus der Plas­tik­do­se ent­nom­men zu ha­ben. Erst nach­dem die Kläge­rin mit den Vi­deo­auf­nah­men kon­fron­tiert wor­den sei, ha­be sie zunächst kei­ne plau­si­ble Erklärung für ihr Ver­hal­ten an­ge­ge­ben und erst nach ei­ni­ger Zeit erklärt, sie ha­be 20-Cent-Stücke für Ein­kaufs­wa­gen benötigt, das Geld wäre aber wie­der in die Plas­tik­box zurück­geführt wor­den.
Je­doch sei im ge­sam­ten Zeit­raum der Vi­deoüber­wa­chung nicht fest­ge­stellt wor­den, dass die Kläge­rin Geld in die Plas­tik­do­se zurück­geführt ha­be.

So­weit die Kläge­rin sich nun­mehr da­hin ein­las­se, dass 20-Cent-Stücke für die Be­schaf­fung ei­nes Ein­kaufs­wa­gens benötigt wor­den sei­en, han­de­le es sich um ei­ne bloße Schutz­be­haup­tung. Die Ein­kaufs­wa­gen zum Trans­port der Kas­sen­einsätze sei­en den Mit­ar­bei­te­rin­nen im­mer oh­ne Ent­gelt be­reit­ge­stellt wor­den. Den Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern sei auch be­kannt, dass klei­ne Me­tall­ha­ken zum Öff­nen des Pfand­sys­tems seit der Umrüstung im Jah­re 2006 in der Te­le­fon­zen­tra­le und am Kun­den­ser­vice zu be­kom­men sei­en. Die Nut­zung von Geld aus der Klüngel­geld­kas­se bzw. von pri­va­tem Geld zur Be­schaf­fung ei­nes Ein­kaufs­wa­gens sei nicht er­for­der­lich ge­we­sen. Zu den je­wei­li­gen Zeit­punk­ten der Gel­d­ent­nah­men aus der Klüngel­geld­kas­se sei die Be­schaf­fung ei­nes Ein­kaufs­wa­gens nicht er­for­der­lich ge­we­sen. Selbst wenn dem so wäre, hätte die Klüngel­geld­kas­se of­fen und für je­der­mann sicht­bar ge­nutzt wer­den können. Die Vi­deo­auf­nah­men ergäben das Ge­gen­teil.

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Min­des­tens lie­ge ein schwe­rer Ver­s­toß ge­gen die von der Be­klag­ten her­aus­ge­ge­be­nen Kas­sie­rer­an­wei­sun­gen vor. Dort sei ge­re­gelt, dass kein ei­ge­nes Geld ver­wen­det wer­den und dass es kei­ne Tausch­geschäfte ge­ben dürfe.
Es ge­be auch im ge­sam­ten Ein­kaufs­markt der Be­klag­ten kei­ne sog. Klüngel­geld­kas­se. So­weit die Kläge­rin be­haup­te, dass in die­se Klüngel­geld­kas­se Wech­sel­geld hin­ein­ge­legt wor­den sei, das die Kun­den par­tout nicht hätten neh­men wol­len, räume sie mit die­sem Vor­trag oh­ne­hin ei­nen Ver­s­toß ge­gen die Zif­fer 33 der Kas­sier­an­wei­sun­gen ein. Lie­gen­ge­las­se­ne Gel­der sei­en der Markt­lei­tung zu über­ge­ben. Kei­nes­falls dürf­ten der­ar­ti­ge Gel­der ge­son­dert in ei­nem Pött­chen oder in ei­ner Klüngel­geld­kas­se ge­sam­melt wer­den.

Die Kläge­rin könne sich auch nicht dar­auf be­ru­fen, die 14-Ta­ges-Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei nicht ein­ge­hal­ten. Die Aus­wer­tung der Vi­deoüber­wa­chung sei erst am 03.09.2009 ab­ge­schlos­sen und der Re­vi­si­on vor­ge­legt wor­den. Die Exis­tenz der Klüngel­geld­kas­se sei erst am 03.09.2009 auf­grund der Vi­deo­auf­nah­men ent­deckt wor­den.

Sch­ließlich müsse berück­sich­tigt wer­den, dass die Kläge­rin am 14.08.2009 oh­ne­hin be­reits ei­ne Ab­mah­nung er­hal­ten ha­be, weil sie ei­ne Bar­sum­me von 300,00 €, die sie im Kas­senbüro hätte ab­ge­ben müssen, in die Ho­sen­ta­sche ge­steckt und mit nach Hau­se ge­nom­men ha­be.

Auch sei der Be­triebs­rat am 08.09.2009 ord­nungs­gemäß zu der be­ab­sich­tig­ten Kündi­gung der Kläge­rin an­gehört wor­den.

Das Ar­beits­ge­richt hat Be­weis er­ho­ben durch In­au­gen­schein­nah­me der von der Be­klag­ten ein­ge­reich­ten DVD so­wie durch Ver­neh­mung der Zeu­gin­nen N1 und M2. Auf das Er­geb­nis der Be­weis­auf­nah­me, so wie es in der Sit­zungs­nie­der­schrift des Ar­beits­ge­richts vom 29.06.2010 (Bl. 134 ff. d.A.) nie­der­ge­legt ist, wird Be­zug ge­nom­men.

Durch Ur­teil vom 29.06.2010 hat das Ar­beits­ge­richt so­dann die Be­klag­te ver­ur­teilt, der Kläge­rin ein qua­li­fi­zier­tes End­zeug­nis zu er­tei­len, die Kla­ge im Übri­gen je­doch ab­ge­wie­sen. Zur Be­gründung hat es aus­geführt, die außer­or­dent­li­che Kündi­gung der

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Kläge­rin sei we­gen Un­ter­schla­gung wirk­sam. Die Kläge­rin ha­be ge­gen die Kas­sier­an­wei­sun­gen ver­s­toßen, darüber hin­aus sei auf­grund der Vi­deo­auf­zeich­nun­gen nach­ge­wie­sen, dass die Kläge­rin sich Gel­der aus der Klüngel­geld­kas­se ein­ge­steckt ha­be. Die Vi­deo­auf­zeich­nun­gen sei­en ver­wert­bar ge­we­sen. Ein Ver­s­toß ge­gen das Mit­be­stim­mungs­recht des Be­triebs­ra­tes lie­ge nicht vor. Die Ein­las­sun­gen der Kläge­rin, die Führung der Klüngel­geld­kas­se sei seit lan­gem be­kannt und die Ent­nah­me von Geldstücken aus der Klüngel­geld­kas­se sei zur Be­schaf­fung von Ein­kaufs­wa­gen er­for­der­lich ge­we­sen, sei­en nicht be­wie­sen wor­den. In­so­weit han­de­le es sich um rei­ne Schutz­be­haup­tun­gen der Kläge­rin.

Ge­gen das der Kläge­rin am 21.09.2010 zu­ge­stell­te Ur­teil, auf des­sen Gründe ergänzend Be­zug ge­nom­men wird, hat die Kläge­rin am 15.10.2010 Be­ru­fung zum Lan­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­legt und die­se nach Verlänge­rung der Be­ru­fungs­be­gründungs­frist bis zum 23.12.2010 mit dem am 23.12.2010 beim Lan­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nen Schrift­satz be­gründet.

Un­ter Wie­der­ho­lung und Ver­tie­fung ih­res erst­in­stanz­li­chen Sach­vor­trags ist die Kläge­rin wei­ter der Auf­fas­sung, die aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung vom 11.09.2009 sei un­wirk­sam. Das Ar­beits­ge­richt ha­be den vor­lie­gen­den Sach­ver­halt un­zu­tref­fend gewürdigt. Auf ei­nen Ver­s­toß ge­gen die Kas­sie­rer­an­wei­sun­gen aus Au­gust 2009 ha­be das Ar­beits­ge­richt die außer­or­dent­li­che Kündi­gung nicht stützen dürfen. Im Ju­li 2009 ha­be die Kläge­rin die­se Kas­sie­rer­an­wei­sun­gen noch gar nicht ge­kannt.

Die Kläge­rin be­haup­tet er­neut, die Klüngel­geld­kas­se ha­be sich schon vor Auf­nah­me der Tätig­keit der Kläge­rin im Ge­tränke­markt dort be­fun­den. Dies sei al­len Mit­ar­bei­te­rin­nen im Ge­tränke­markt und der Be­klag­ten be­kannt ge­we­sen.
Bei den Geldstücken, die sich in der Klüngel­geld­kas­se be­fun­den ha­ben, ha­be es sich nur Geldstücke ge­han­delt, die die Kun­den nicht mehr hätten ha­ben wol­len. Da­bei ha­be es sich um Cent­beträge ge­han­delt. Die­ses „Klüngel­geld" ha­be nicht im Ei­gen­tum der Be­klag­ten ge­stan­den. Es sei wohl von den Kun­den an die je­wei­li­ge Kas­sie­re­rin ver­schenkt wor­den. Da die Kas­sie­re­rin­nen sich je­doch im Kla­ren darüber ge­we­sen sei­en, dass sie das Geld nicht hätten an­neh­men dürfen, sei es dafür ver­wandt wor­den, um im In­ter­es­se der Be­klag­ten klei­ne­re Aus­ga­ben zu täti­gen.

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Die Kläge­rin ha­be mit die­sem Geld – eben­so wie ih­re Kol­le­gin­nen – Aus­la­gen kom­pen­siert, die sie für die Be­klag­te getätigt ha­be. Zu kei­nem Zeit­punkt ha­be sie in Zu­eig­nungs­ab­sicht ge­han­delt, sich frem­des Ei­gen­tum an­zu­eig­nen. Sie und ih­re Kol­le­gin­nen sei­en da­von aus­ge­gan­gen, dass das Geld her­ren­los ge­we­sen sei. Ei­ne Un­ter­schla­gung könne ihr, der Kläge­rin, nicht vor­ge­wor­fen wer­den. Das erst­in­stanz­li­che Ur­teil er­we­cke den Ein­druck, die Kläge­rin ha­be in die Kas­se ge­grif­fen. Dies sei un­zu­tref­fend.
Be­reits erst­in­stanz­lich sei ausführ­lich vor­ge­tra­gen wor­den, dass die Kläge­rin eben­so wie ih­re Kol­le­gin­nen sich der Pra­xis be­dient hätten, 20-Cent-Stücke aus der Klüngel­geld­kas­se zu ent­neh­men, so­weit sie die­se zwecks Be­schaf­fung ei­nes Ein­kaufs­wa­gens zu­vor aus ei­ge­nen Mit­teln ver­aus­lagt hätten, um mit Hil­fe ei­nes Ein­kaufs­wa­gens die drei Kas­sen­einsätze mor­gens vom Le­bens­mit­tel­markt zum Ge­tränke­markt oder abends vom Ge­tränke­markt zum Le­bens­mit­tel­markt zurück­zu­befördern.

Die Kläge­rin ist wei­ter der Auf­fas­sung, dass die Vi­deo­auf­zeich­nun­gen vom Ar­beits­ge­richt nicht hätten ver­wer­tet wer­den dürfen. In die­sem Zu­sam­men­hang be­strei­tet sie wei­ter, dass Leer­gut­dif­fe­ren­zen in ei­ner Ge­samthöhe von 7.091,00 € fest­ge­stellt wor­den sei­en. Hier­mit setz­te sich das erst­in­stanz­li­che Ur­teil nicht aus­ein­an­der. Ins­ge­samt sei die Vi­deoüber­wa­chung un­zulässig ge­we­sen, weil der Be­triebs­rat hier­zu nicht ord­nungs­gemäß an­gehört wor­den sei. Die Mit­be­stim­mungs­rech­te des Be­triebs­ra­tes sei­en nicht ein­ge­hal­ten wor­den. Das Ge­gen­teil er­ge­be sich auch nicht aus dem Schrei­ben vom 07.07.2009. Es sei auch nicht dar­ge­legt wor­den, aus wel­chen Gründen ei­ne heim­li­che Vi­deoüber­wa­chung er­for­der­lich ge­we­sen sei. Dies führe ins­ge­samt zu ei­nem Ver­wer­tungs­ver­bot. Es müsse auch be­strit­ten wer­den, dass die Vi­deo­auf­zeich­nun­gen voll­umfäng­lich und rich­tig aus­ge­wer­tet wor­den sei­en. Die von der Be­klag­ten vor­ge­leg­te DVD ent­hal­te le­dig­lich ein­zel­ne Se­quen­zen. Die Kläge­rin ha­be auch ver­schie­dent­lich Geld in die Klüngel­geld­kas­se zurück­ge­legt. Dies müsse auf den wei­te­ren Auf­nah­men zu se­hen sei, die von der Be­klag­ten nicht vor­ge­legt wor­den sei­en.

Im Übri­gen ver­s­toße die heim­li­che Vi­deoüber­wa­chung auch ge­gen § 6 b BDSG.
 


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Die Kläge­rin ist fer­ner der Auf­fas­sung, auch die vom Ar­beits­ge­richt durch­geführ­te In­ter­es­sen­abwägung sei un­zu­rei­chend. Die­se ha­be nicht zu­las­ten der Kläge­rin aus­fal­len dürfen. Der Sach­ver­halt hätte al­len­falls zu ei­ner Ab­mah­nung für die Kläge­rin führen dürfen. Auch die Zeu­gin­nen S1 und G2 hätten am 08.09.2009 ei­ne Ab­mah­nung er­hal­ten (Bl. 293, 294 d. A.).

Das Ar­beits­ge­richt ha­be schließlich auch nicht die Rüge der nicht ord­nungs­gemäßen Anhörung des Be­triebs­rats über­prüft.

Die Kläge­rin be­an­tragt,

das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Bie­le­feld vom 29.06.2010 – 1 Ca 2998/09 – ab­zuändern und

1. fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en durch die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 11.09.2009 nicht be­en­det wor­den ist;

2. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, die Kläge­rin bis zur rechts­kräfti­gen Ent­schei­dung zu un­veränder­ten Be­din­gun­gen wei­ter zu beschäfti­gen;

3. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an die Kläge­rin 9.531,82 € brut­to nebst 5 % Punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz der Eu­ropäischen Zen­tral­bank aus 840,02 € seit dem 01.10.2009, aus wei­te­ren 1.406,92 € seit dem 01.11.2009, aus wei­te­ren 1.657,20 € seit dem 01.12.2009, aus wei­te­ren 1.406,92 € seit dem 01.01.2010, aus wei­te­ren 1.406,92 € seit dem 01.02.2010, aus wei­te­ren 1.406,92 € seit dem 01.03.2010 und aus wei­te­ren 1.406,92 € seit dem 01.04.2010 abzüglich von der Agen­tur für Ar­beit am 02.10.2009 ge­zahl­ter 463,02 € net­to und abzüglich wei­te­rer von der Agen­tur für Ar­beit am 30.10.2009, am 30.11.2009, am 30.12.2009, am 29.01.2010, am 26.02.2010 und am 31.03.2010 je­weils ge­zahl­ter 731,10 € net­to zu be­zah­len;

4. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, zu­guns­ten der Kläge­rin ei­nen Wa­ren­gut­schein über 275,00 € aus­zu­stel­len und der Kläge­rin die­sen Wa­ren­gut­schein aus­zuhändi­gen;

5. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, ein qua­li­fi­zier­tes Zwi­schen­zeug­nis aus­zu­stel­len; hilfs­wei­se die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, ein qua­li­fi­zier­tes End­zeug­nis aus­zu­stel­len;

6. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an die Kläge­rin wei­te­re 3.974,46 € brut­to nebst 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz der Eu­ropäischen Zen­tral­bank aus 1.406,92 € brut­to seit dem 01.05.2010 und aus wei­te­ren 2.567,54 € brut­to seit dem 01.06.2010 abzüglich von der

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Agen­tur für Ar­beit am 30.04.2010 und am 31.05.2010 je­weils ge­zahl­ter 731,10 € zu be­zah­len.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Sie ver­tei­digt das an­ge­foch­te­ne Ur­teil und ist wei­ter der Auf­fas­sung, die außer­or­dent­li­che Kündi­gung vom 11.09.2009 sei wirk­sam. Die Vi­deo­auf­zeich­nun­gen hätten bestätigt, dass die Kläge­rin – eben­so wie ein wei­te­rer Mit­ar­bei­ter, der eben­falls gekündigt wor­den sei – sich aus der Klüngel­geld­kas­se be­dient ha­be. An­de­ren Mit­ar­bei­te­rin­nen, die le­dig­lich ei­ne Ab­mah­nung er­hal­ten hätten, ha­be dies nicht nach­ge­wie­sen wer­den können.

Die Kläge­rin ha­be im Übri­gen Gel­der aus der Klüngel­geld­kas­se zu Zeit­punk­ten ent­nom­men, als über­haupt kein Be­darf für die Be­schaf­fung ei­nes Ein­kaufs­wa­gens ge­we­sen sei. Zu­dem er­ge­be sich aus den Vi­deo­auf­zeich­nun­gen, dass die Kläge­rin die Ent­nah­me von Gel­dern aus der Klüngel­geld­kas­se ver­heim­licht ha­be, sie ha­be sich stets, be­vor sie die Gel­der in ih­re ei­ge­ne Ho­sen­ta­sche ge­steckt ha­be, ver­si­chert, dass sie da­bei nicht be­ob­ach­tet wer­de.
We­gen der Ein­zel­hei­ten der sich aus den Vi­deo­auf­zeich­nun­gen er­ge­ben­den Pflicht­wid­rig­kei­ten der Kläge­rin hin­sicht­lich des 16.07.2009, des 22.07.2009 und 23.07.2009 wird auf den In­halt des Be­ru­fungs­er­wi­de­rungs­schrift­sat­zes vom 18.02.2011 (Bl. 243 f. d.A.) Be­zug ge­nom­men.
Zif­fer 33 der Kas­sen­an­wei­sun­gen aus den Jah­ren 2008 und 2009 könne auch nicht da­hin aus­ge­legt wer­den, dass nur größere Sum­men von Geld­beträgen der Markt­lei­tung aus­zu­lie­fern sei­en.

Die Pflicht­wid­rig­kei­ten der Kläge­rin ha­be die Be­klag­te le­dig­lich zufällig ent­deckt, als die Vi­deo­auf­zeich­nun­gen, die auf­grund der sei­ner­zeit ent­stan­de­nen Leer­gut­dif­fe­ren­zen ver­an­lasst wor­den sei­en, aus­ge­wer­tet wor­den sei­en.
Ein Ver­wer­tungs­ver­bot hin­sicht­lich die­ser Vi­deo­auf­zeich­nun­gen be­ste­he nicht. Die Vi­deoüber­wa­chung sei mit dem Be­triebs­rat ver­ein­bart wor­den. Die In­nen­re­vi­si­on ha­be nach Fest­stel­lung der Leer­gut­dif­fe­ren­zen zu­vor kei­ne Fehl­bestände im Kas­sen­be­reich und auch kei­ne Fehl­bestände an Leer­gut im La­ger fest­ge­stellt. Ei­ne

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of­fe­ne Vi­deoüber­wa­chung oder ein Ein­satz von Testkäufern hätte kei­nen Sinn ge­macht. Es ha­be der Ver­dacht be­stan­den, dass die Mit­ar­bei­ter an der Kas­se im Ge­tränke­markt die Leer­gut­dif­fe­ren­zen durch das Dru­cken von Leer­gut­bons oh­ne ent­spre­chen­de Verände­run­gen im Leer­gut­be­stand ver­ur­sacht hätten.
Im Übri­gen führe ei­ne et­wai­ge Ver­let­zung von Mit­be­stim­mungs­rech­ten beim Ein­satz von Vi­deoüber­wa­chungs­an­la­gen nicht zu ei­nem Be­weis­ver­wer­tungs­ver­bot.

Die Anhörung des Be­triebs­ra­tes sei nicht zu be­an­stan­den. Der Be­triebs­rats­vor­sit­zen­de ha­be die Vi­deo­auf­nah­men ge­kannt und sei bei der Anhörung der Kläge­rin an­we­send ge­we­sen. Bei der Anhörung ha­be die Kläge­rin den Sach­ver­halt nur scheib­chen­wei­se ein­geräumt, nach­dem sich die Be­weis­la­ge zu ih­ren Las­ten ver­dich­tet ha­be.

Die Be­ru­fungs­kam­mer hat eben­falls die von der Be­klag­ten zum Zwe­cke der Be­weis­auf­nah­me ein­ge­reich­te DVD in Au­gen­schein ge­nom­men. Auf die Sit­zungs­nie­der­schrift der Be­ru­fungs­kam­mer vom 15.07.2011 wird eben­so wie auf den wei­te­ren In­halt der von den Par­tei­en ge­wech­sel­ten Schriftsätze Be­zug ge­nom­men.

Ent­schei­dungs­gründe

Die zulässi­ge Be­ru­fung der Kläge­rin ist nur teil­wei­se be­gründet.

Die außer­or­dent­li­che Kündi­gung der Be­klag­ten vom 11.09.2009 ist rechts­un­wirk­sam, während die hilfs­wei­se erklärte or­dent­li­che Kündi­gung das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en zum 31.03.2010 be­en­det hat.

I. Die Un­wirk­sam­keit der außer­or­dent­li­chen Kündi­gung vom 11.09.2009 er­gibt sich nicht aus § 626 Abs. 1 BGB.
 


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1. Zwar recht­fer­ti­gen so­wohl die Beschäfti­gungs­zeit der Kläge­rin im Be­trieb der Be­klag­ten als auch die Größe des Be­trie­bes der Be­klag­ten die An­wen­dung des Kündi­gungs­schutz­ge­set­zes, §§ 1 Abs. 1, 13 Abs. 1, 23 Abs. 1 KSchG. Die Kündi­gungs­schutz­kla­ge ist auch recht­zei­tig er­ho­ben wor­den, §§ 4, 13 Abs. 1 KSchG.

2. Ent­ge­gen der Rechts­auf­fas­sung der Be­klag­ten liegt aber ein wich­ti­ger Grund im Sin­ne des § 626 Abs. 1 BGB nicht vor. Es lie­gen kei­ne Tat­sa­chen vor, auf­grund de­rer der Be­klag­ten un­ter Berück­sich­ti­gung al­ler Umstände des Ein­zel­fal­les und un­ter Abwägung der In­ter­es­sen bei­der Ver­trags­tei­le die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses bis zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist nicht mehr zu­ge­mu­tet wer­den kann, § 626 Abs. 1 BGB.

a) In der Recht­spre­chung der Ar­beits­ge­rich­te ist an­er­kannt, dass straf­ba­re Hand­lun­gen zu Las­ten des Ar­beit­ge­bers eben­so wie gro­be Ver­trau­ens­verstöße grundsätz­lich ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung nach § 626 BGB recht­fer­ti­gen können (BAG 26.11.1964 – 2 AZR 211/63 – AP BGB § 626 Nr. 53; BAG 10.02.1999 – 2 ABR 31/98 – AP KSchG 1969 § 15 Nr. 42; BAG 12.08.1999 – 2 AZR 923/98 – AP BGB § 626 Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr. 28; BAG 16.12.2004 – 2 ABR 7/04 – AP BGB § 626 Nr. 191; BAG 27.04.2006 – 2 AZR 415/05 – AP BGB § 626 Nr. 203; BAG 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227; KR/Fi­scher­mei­er, 9. Aufl., § 626 BGB Rn. 445; ErfK/Müller-Glöge, 11. Aufl., § 626 BGB Rn. 133; APS/Dörner, 3. Aufl., § 626 BGB Rn. 275 ff. m.w.N.). Vom Ar­beit­neh­mer ge­genüber dem Ar­beit­ge­ber be­gan­ge­ne Straf­ta­ten, ins­be­son­de­re Diebstähle, Un­ter­schla­gun­gen oder sons­ti­ge Vermögens­de­lik­te zum Nach­teil des Ar­beit­ge­bers oder der Be­leg­schaft recht­fer­ti­gen re­gelmäßig ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung oh­ne vor­he­ri­ge Ab­mah­nung. Al­ler­dings be­darf es stets ei­ner um­fas­sen­den, auf den Ein­zel­fall be­zo­ge­nen Prüfung und In­ter­es­sen­abwägung da­hin­ge­hend, ob dem Kündi­gen­den die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses trotz der ein­ge­tre­te­nen Ver­trau­ensstörung – zu­min­dest bis zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist – zu­mut­bar ist oder nicht. Bei der vor­zu­neh­men­den In­ter­es­sen­abwägung kann es er­schwe­rend ins Ge­wicht fal­len, wenn es bei dem Vermögens­de­likt um dem Ar­beit­neh­mer an­ver­trau­te Ge­genstände oder Gel­der geht (BAG 12.08.1999 – 2 AZR 923/98 – AP BGB § 626 Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr. 28; KR/Fi­scher­mai­er, a.a.O., § 626 BGB Rn. 445). Ob und in­wie­weit sich der Ar­beit­neh­mer mit sei­nem Ver­hal­ten straf­bar ge­macht hat, ist für
 


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die Be­ur­tei­lung ei­nes wich­ti­gen Grun­des im Sin­ne des § 626 BGB eben­so we­nig ent­schei­dend wie der Aus­gang ei­nes staats­an­walt­schaft­li­chen Er­mitt­lungs­ver­fah­rens (BAG 29.01.1997 – 2 AZR 292/96 – AP BGB § 626 Nr. 131; BAG 21.04.2005 – 2 AZR 255/04 – AP SGB IX § 91 Nr. 4; BAG 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227, Rn. 30). Ent­schei­dend ist der Ver­s­toß ge­gen die ver­trag­li­che Haupt- oder Ne­ben­pflich­ten und der mit ihm ver­bun­de­ne Ver­trau­ens­bruch (BAG 02.03.2006 – 2 AZR 53/05 – AP BGB § 626 Krank­heit Nr. 14; BAG 19.04.2007 – 2 AZR 78/06 – AP BGB § 611 Di­rek­ti­ons­recht Nr. 77; BAG 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227 m.w.N.).

Nach der ständi­gen Recht­spre­chung der Ar­beits­ge­richts kann darüber hin­aus nicht nur ei­ne er­wie­se­ne Ver­trags­ver­let­zung, son­dern auch der schwer­wie­gen­de Ver­dacht ei­ner straf­ba­ren oder sons­ti­gen Ver­feh­lung ei­nen wich­ti­gen Grund zur außer­or­dent­li­chen Kündi­gung ge­genüber ei­nem verdäch­ti­gen Ar­beit­neh­mer dar­stel­len.
Ei­ne Ver­dachtskündi­gung liegt dann vor, wenn und so­weit der Ar­beit­ge­ber ei­ne Kündi­gung da­mit be­gründet, dass ge­ra­de der Ver­dacht ei­nes straf­ba­ren bzw. ver­trags­wid­ri­gen Ver­hal­tens das für die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses er­for­der­li­che Ver­trau­en zerstört ha­be. Der Ver­dacht der straf­ba­ren Hand­lung stellt ge­genüber dem Vor­wurf, der Ar­beit­neh­mer ha­be die Tat be­gan­gen, ei­nen ei­genständi­gen Kündi­gungs­grund dar, der in dem Tat­vor­wurf nicht ent­hal­ten ist. Bei der Tatkündi­gung ist für den Kündi­gungs­ent­schluss maßge­bend, dass der Ar­beit­neh­mer nach der Über­zeu­gung des Ar­beit­ge­bers die straf­ba­re Hand­lung bzw. Pflicht­ver­let­zung tatsächlich be­gan­gen hat und dem Ar­beit­ge­ber aus die­sem Grund die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses un­zu­mut­bar ist. § 626 Abs. 1 BGB lässt ei­ne Ver­dachtskündi­gung aber auch dann zu, wenn star­ke Ver­dachts­mo­men­te auf ob­jek­ti­ve Tat­sa­chen gründen, wenn die Ver­dachts­mo­men­te ge­eig­net sind, das für die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses er­for­der­li­che Ver­trau­en zu zerstören und wenn der Ar­beit­ge­ber al­le zu­mut­ba­ren An­stren­gun­gen zur Aufklärung des Sach­ver­halts un­ter­nom­men, ins­be­son­de­re dem Ar­beit­neh­mer Ge­le­gen­heit zur Stel­lung­nah­me ge­ge­ben hat (BAG 14.09.1994 – 2 AZR 194/94 – AP BGB § 626 Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr. 24; BAG 05.04.2001 – 2 AZR 217/00 – AP BGB § 626 Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr. 34; BAG 06.11.2003 – 2 AZR 631/02 – AP BGB § 626 Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr. 39; BAG 13.03.2008 – 2 AZR 961/06 –
 


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AP BGB § 626 Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr. 43; BAG 10.02.2005 – 2 AZR 189/04 – AP KSchG 1969 § 1 Nr. 79; BAG 12.05.2010 – 2 AZR 587/08 – AP KSchG 1969 § 15 Nr. 67; ErfK/Müller-Glöge, a.a.O., § 626 BGB Rn. 208 ff.;
KR/Fi­scher­mei­er, a.a.O., § 626 BGB Rn. 210 ff.; APS/Dörner, a.a.O., § 626 BGB Rn. 345 f. m.w.N.).

b) Zu­guns­ten der Be­klag­ten geht auch die Be­ru­fungs­kam­mer da­von aus, dass die Kläge­rin, in­dem sie aus der im Ge­tränke­markt geführ­ten Klüngel­geld­kas­se Geld­beträge ent­nom­men und in ih­re Ho­sen­ta­sche ge­steckt hat, ei­ne nicht un­er­heb­li­che Pflicht­ver­let­zung be­gan­gen hat. Es be­steht auch der drin­gen­de Tat­ver­dacht, dass die Kläge­rin sich die­se Geld­beträge heim­lich zur ei­ge­nen Ver­wen­dung ein­ge­steckt hat.

aa) Aus den von der Be­klag­ten über­reich­ten Vi­deo­auf­zeich­nun­gen er­gibt sich nach Auf­fas­sung der Be­schwer­de­kam­mer, dass die Kläge­rin min­des­tens am 16.07.2009 um 8.46 Uhr so­wie am 22.07.2009 um 16.14 Uhr Geld aus der so­ge­nann­ten Klüngel­geld­kas­se ent­nom­men und sich heim­lich in ih­re ei­ge­ne Ho­sen­ta­sche ge­steckt hat.

Dass die Kläge­rin ver­schie­dent­lich Gel­der aus der im Ge­tränke­markt geführ­ten Klüngel­geld­kas­se ent­nom­men hat, ist zwi­schen den Par­tei­en un­strei­tig. Dies hat die Kläge­rin selbst ein­geräumt. Le­dig­lich die Ver­wen­dung die­ser aus der Klüngel­geld­kas­se ent­nom­me­nen Gel­der ist zwi­schen den Par­tei­en strei­tig.
Al­lein die Führung die­ser Klüngel­geld­kas­se stellt ei­nen schwe­ren Pflich­ten­ver­s­toß der Kläge­rin ge­gen die von der Be­klag­ten her­aus­ge­ge­be­nen Kas­sie­rer­an­wei­sun­gen dar. Nach Zif­fer 33 der Kas­sie­rer­an­wei­sun­gen aus dem Jah­re 2008 und aus dem Jah­re 2009 müssen Geld­beträge, die vom Kun­den lie­gen­ge­las­sen wur­den, so­fort der Markt­lei­tung aus­gehändigt wer­den, da­mit es im Büro/Tre­sor de­po­niert wer­den kann. Zif­fer 33 die­ser Kas­sie­rer­an­wei­sun­gen dif­fe­ren­ziert nicht, wie die Kläge­rin meint, zwi­schen „größeren" und „klei­ne­ren" Geld­beträgen. Die Kläge­rin kann auch nicht dar­auf ver­wei­sen, dass Geld­beträge, die vom Kun­den lie­gen­ge­las­sen wor­den sind, nicht im Ei­gen­tum der Be­klag­ten ste­hen, son­dern von den Kun­den der je­wei­li­gen Kas­sie­re­rin ge­schenkt wor­den sind. Bei die­sen Gel­dern han­delt es sich auch nicht um her­ren­lo­se Ge­genstände. Nach dem ei­ge­nen Vor­brin­gen der Kläge­rin wa­ren die

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Kas­sie­rer/in­nen so­gar ver­pflich­tet, Trink­gel­der ab­zu­lie­fern. Die Zuführung von Gel­dern, die von Kun­den lie­gen­ge­las­sen wor­den sind, in die von den Kas­sie­rern geführ­te Klüngel­geld­kas­se stellt dem­nach ei­ne schwe­re Pflicht­ver­let­zung sei­tens der Kläge­rin dar.

Aus den von der Be­klag­ten über­reich­ten Vi­deo­auf­zeich­nun­gen die die Be­ru­fungs­kam­mer in Au­gen­schein ge­nom­men hat, ist er­sicht­lich, dass die Kläge­rin min­des­tens am 16.07.2009 um 8.46 Uhr und am 22.07.2009 um 16.14 Uhr Geldstücke, die sie zu­vor aus der Klüngel­geld­kas­se ent­nom­men hat, sich heim­lich in ih­re Ho­sen­ta­sche ge­steckt hat. Hier­aus er­gibt sich ein drin­gen­der Ver­dacht ge­gen die Kläge­rin, dass sie die­se Gel­der ei­ner ei­ge­nen Ver­wen­dung zuführen woll­te. Dies hat die In­au­gen­schein­nah­me der von der Be­klag­ten zur Verfügung ge­stell­ten DVD für die ge­nann­ten Ta­ge, er­ge­ben. Auffällig ist nämlich, dass die Kläge­rin sich ge­ra­de, be­vor sie die Geldstücke in ih­re Ho­sen­ta­sche ge­steckt hat, nach bei­den Sei­ten ver­si­chernd um­schaut. Hier­aus kann nur ent­nom­men wer­den, dass sie die Geldstücke heim­lich ein­ste­cken woll­te. Die Kläge­rin woll­te si­cher sein, dass sie hier­bei von Nie­man­dem be­merkt wird. So­weit die Kläge­rin im Ter­min vor der Be­ru­fungs­kam­mer vom 15.07.2011 hier­zu erläuternd aus­geführt hat, sie ha­be sich um­schau­en müssen, ob nicht Kun­den er­schei­nen, ver­moch­te die Be­ru­fungs­kam­mer ihr hier­in nicht zu fol­gen. Aus den übri­gen Vi­deo­auf­zeich­nun­gen er­gibt sich nämlich nicht, dass die Kläge­rin sich auch bei an­de­ren Ge­le­gen­hei­ten ständig in die­ser Wei­se nach Kun­den um­ge­schaut hat.

Die Kläge­rin kann auch nicht ein­wen­den, sie ha­be die Geldstücke, die sie aus der Klüngel­geld­kas­se ent­nom­men und in ih­re ei­ge­ne Ho­sen­ta­sche ge­steckt hat, zur Be­schaf­fung ei­nes Ein­kaufs­wa­gens zum Zwe­cke des Trans­por­tes der Kas­sen­einsätze und des Wech­sel­gel­des benötigt. Zwar kann ihr nicht wi­der­legt wer­den, dass sie mögli­cher­wei­se am 16.07.2009 ei­nen Ein­kaufs­wa­gen zu dem be­sag­ten Zwe­cke benötigt und hier­bei ein Geldstück aus ih­rem ei­ge­nen Be­sitz ver­aus­lagt hat­te, das sie sich an­sch­ließend aus der Klüngel­geld­kas­se zurück­ge­nom­men hat. Wäre die­ser Vor­gang alltäglich und hätte der Kläge­rin das aus der Klüngel­geld­kas­se ent­nom­me­ne Geldstück rechtmäßig zu­ge­stan­den, wäre ein heim­li­ches Um­schau­en, be­vor sie das Geldstück in ih­re Ho­sen­ta­sche steckt, nicht nötig ge­we­sen. Für den Vor­fall vom 22.07.2009 um 16.14 Uhr kommt hin­zu, dass die
 


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Kläge­rin je­den­falls zu die­sem Zeit­punkt über­haupt kei­nen Be­darf für ei­nen Ein­kaufs­wa­gen hat­te. Die Ein­las­sung der Kläge­rin im Ter­min vor der Be­ru­fungs­kam­mer vom 15.07.2011, sie ha­be das Geldstück aus der Klüngel­geld­kas­se be­reits im Hin­blick auf den be­vor­ste­hen­den Fei­er­abend ent­nom­men, stellt nach Auf­fas­sung der Be­ru­fungs­kam­mer ei­ne rei­ne Schutz­be­haup­tung dar. Geschäfts­schluss im Ge­tränke­markt ist um 22.00 Uhr. Frühes­tens ab 20.00 Uhr wer­den die Kas­sen ab­ge­rech­net und die Kas­sen­einsätze und das Wech­sel­geld zum Kas­senbüro im Wa­ren­haus trans­por­tiert. Am 22.07.2009 be­stand um 16.14 Uhr über­haupt kei­ne Ver­an­las­sung, be­reits zu die­sem Zeit­punkt Geld aus der Klüngel­geld­kas­se zu ent­neh­men und sich – noch da­zu heim­lich – in die ei­ge­ne Ho­sen­ta­sche zu ste­cken, um frühes­tens vier St­un­den später ei­nen Ein­kaufs­wa­gen be­schaf­fen zu können.

Nach al­le­dem be­stand auch für die Be­ru­fungs­kam­mer min­des­tens der drin­gen­de Tat­ver­dacht, dass die Kläge­rin sich mehr­fach an der Klüngel­geld­kas­se be­dient hat und ein­zel­ne Geldstücke in ih­re ei­ge­ne Ho­sen­ta­sche zur ei­ge­nen Ver­wen­dung ein­ge­steckt hat.
Die­ser Ver­dacht wird da­durch erhärtet, dass sich aus den Vi­deo­auf­zeich­nun­gen auch er­gibt, dass die Kläge­rin am 23.07.2009 um 18.34 Uhr meh­re­re Geldstücke aus der Klüngel­gedkas­se holt und mit Geld aus der Scan­ner­kas­se tauscht. Auch bei die­sem Vor­gang han­del­te es sich um ei­nen schwer­wie­gen­den Ver­s­toß ge­gen die Kas­sen­an­wei­sun­gen.
Ver­dachts­verstärkend kommt hin­zu, dass bei Auf­de­ckung am 03.09.2009 sich in der Klüngel­geld­kas­se ein Be­trag von 12,35 € be­fun­den hat. Das Vor­han­den­sein ei­nes der­art ho­hen Be­tra­ges kann nicht da­mit erklärt wer­den, dass mor­gens und abends ein 20-Cent-Stück zur Be­schaf­fung ei­nes Ein­kaufs­wa­gens benötigt wur­de.

Be­stan­den nach al­le­dem drin­gen­de Ver­dachts­mo­men­te da­hin, dass die Kläge­rin sich Gel­der aus der Klüngel­geld­kas­se an­ge­eig­net hat, war ei­ne Ein­ver­nah­me der von der Kläge­rin be­nann­ten Zeu­gin­nen zu ih­rer Be­haup­tung, die Exis­tenz der Klüngel­geld­kas­se sei seit lan­gem be­kannt ge­we­sen, sie ha­be die ent­nom­me­nen Geldstücke zur Be­schaf­fung ei­nes Ein­kaufs­wa­gens benötigt, um die Kas­sen­einsätze trans­por­tie­ren zu können, ent­behr­lich.

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bb) Ent­ge­gen der Rechts­auf­fas­sung der Kläge­rin war auch die Be­ru­fungs­kam­mer be­rech­tigt, die heim­lich ge­mach­ten Vi­deo­auf­zeich­nun­gen in Au­gen­schein zu neh­men. Es be­stand kein Ver­wer­tungs­ver­bot.

(1) Nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG 27.03.2003 – 2 AZR 51/02 – AP Be­trVG 1972 § 87 Über­wa­chung Nr. 36; BAG 13.12.2007 – 2 AZR 537/06 – AP BGB § 626 Nr. 210; BAG 16.12.2010 – 2 AZR 485/08 – NZA 2011, 571) führt der Um­stand, dass ei­ne Par­tei die Kennt­nis der von ihr be­haup­te­ten Tat­sa­chen auf rechts­wid­ri­ge Wei­se er­langt hat, nicht not­wen­dig zu ei­nem Ver­bot von de­ren pro­zes­sua­ler Ver­wer­tung. Falls die be­tref­fen­den Tat­sa­chen der Ge­gen­sei­te nicht be­strit­ten wer­den, al­so un­strei­tig ge­wor­den sind, be­steht ein sol­ches Ver­bot nur, wenn der Schutz­zweck der bei der In­for­ma­ti­ons­ge­win­nung ver­letz­ten Norm ei­ner ge­richt­li­chen Ver­wer­tung der In­for­ma­ti­on zwecks Ver­mei­dung ei­nes Ein­griffs in höher­ran­gi­ge Rechts­po­si­tio­nen die­ser Par­tei zwin­gend ent­ge­gen­steht.

Rich­tig ist zwar, dass die Durchführung ei­ner heim­li­chen Vi­deoüber­wa­chung dem Mit­be­stim­mungs­recht des Be­triebs­ra­tes nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 Be­trVG un­ter­liegt (BAG 27.03.2003 – 2 AZR 51/02 – AP Be­trVG 1972 § 87 Über­wa­chung Nr. 36 m.w.N.). Im vor­lie­gen­den Fall liegt ein ord­nungs­gemäßer Be­schluss des vollständig ver­sam­mel­ten Be­triebs­ra­tes zur Durchführung der strei­ti­gen Vi­deoüber­wa­chung für den Zeit­raum ab 13.07.2009 nicht vor. Die bloße Zu­stim­mung des Be­triebs­rats­vor­sit­zen­den vom 07.07.2009 kann ei­nen ord­nungs­gemäß ge­fass­ten Be­triebs­rats­be­schluss nicht er­set­zen. Al­lein aus dem bloßen Ver­s­toß ge­gen Mit­be­stim­mungs­rech­te folgt je­doch kein Ver­wer­tungs­ver­bot (BAG 27.03.2003 – a.a.O.; BAG 13.12.2007 – a.a.O.; BAG 16.12.2010 – a.a.O.).

Im Ar­beits­ge­richts­pro­zess gilt wie im Zi­vil­pro­zess die Dis­po­si­ti­ons­ma­xi­me und der Ver­hand­lungs- oder Bei­brin­gungs­grund­satz. We­der das Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz noch die ZPO ken­nen ein aus­drück­li­ches pro­zes­sua­les Ver­wen­dungs- bzw. Be­weis­ver­wer­tungs­ver­bot et­wa für mit­be­stim­mungs­wid­rig er­lang­te In­for­ma­tio­nen oder Be­weis­mit­tel. Ein pro­zes­sua­les Ver­wer­tungs­ver­bot kann al­len­falls dann in Be­tracht kom­men, wenn in ver­fas­sungs­recht­lich geschütz­ter Grund­po­si­tio­nen ei­ner den Pro­zess­par­tei­en ein­ge­grif­fen wird. Al­lein aus dem Um­stand, dass ei­ne

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In­for­ma­ti­on oder ein Be­weis­mit­tel in un­zulässi­ger Wei­se er­langt wur­de, er­gibt sich des­halb noch nicht zwin­gend de­ren Nicht­ver­wert­bar­keit.

(2) Ent­ge­gen der Rechts­auf­fas­sung der Kläge­rin liegt in der Durchführung der Vi­deo­auf­zeich­nun­gen vom 13.03.2009 bis zum 03.08.2009 kein rechts­wid­ri­ger Ein­griff in das Persönlich­keits­recht der Kläge­rin.
Das Persönlich­keits­recht des Ar­beit­neh­mers im Ar­beits­verhält­nis wird nicht schran­ken­los gewährt. Ein­grif­fe in das Persönlich­keits­recht des Ar­beit­neh­mers können durch die Wahr­neh­mung über­wie­gend schutzwürdi­ger In­ter­es­sen des Ar­beit­ge­bers ge­recht­fer­tigt sein. Bei ei­ner Kol­li­si­on des all­ge­mei­nen Persönlich­keits­rechts mit den In­ter­es­sen des Ar­beit­ge­bers ist so­mit durch ei­ne Güter­abwägung im Ein­zel­fall zu er­mit­teln, ob das Persönlich­keits­recht den Vor­rang ver­dient (BAG 27.03.2003 – 2 AZR 51/02 – AP Be­trVG 1972 § 87 Über­wa­chung Nr. 36; BAG 13.12.2007 – 2 AZR 537/06 – AP BGB § 626 Nr. 210).
Ein Ein­griff in das durch Art. 2 Abs. 1 GG geschütz­te all­ge­mei­ne Persönlich­keits­recht des Ar­beit­neh­mers führt dann nicht zu ei­nem Be­weis­ver­wer­tungs­ver­bot, wenn der kon­kre­te Ver­dacht ei­ner straf­ba­ren Hand­lung oder ei­ner an­de­ren schwe­ren Ver­feh­lung zu Las­ten des Ar­beit­ge­bers be­steht, we­ni­ger ein­schnei­den­de Mit­tel zur Aufklärung des Ver­dachts aus­geschöpft sind, die ver­deck­te Vi­deoüber­wa­chung prak­tisch das ein­zig ver­blei­ben­de Mit­tel dar­stellt und ins­ge­samt nicht un­verhält­nismäßig ist (BAG 27.03.2003 – AP Be­trVG 1972 § 87 Über­wa­chung Nr. 36; LAG Köln, 18.11.2010 – 6 Sa 817/10 – NZA-RR 2011, 241; Grimm/Schie­fer, RdA 2009, 329, 332; Lunk, NZA 2009, 547, 460; Dzi­da/Grau NZA 2010, 1201).

Un­ter Berück­sich­ti­gung die­ser Grundsätze konn­te von ei­nem Be­weis­ver­wer­tungs­ver­bot im vor­lie­gen­den Fall nicht aus­ge­gan­gen wer­den. Im vor­lie­gen­den Fall be­stand an­ge­sichts der von der Be­klag­ten fest­ge­stell­ten Leer­gut­dif­fe­ren­zen in Höhe von 7.091,-- € im ers­ten Halb­jahr 2009 der Ver­dacht der Un­ter­schla­gung ge­gen die im Kas­sen­be­reich des Ge­tränke­mark­tes täti­gen Ar­beit­neh­mer, zu de­nen auch die Kläge­rin gehörte.

(a) Dass der Ver­dacht bei Be­ginn der ver­deck­ten Über­wa­chung nicht al­lein die Kläge­rin be­traf, mach­te die Über­wa­chung nicht un­verhält­nismäßig. An­ge­sichts der von der Be­klag­ten für das ers­te Halb­jahr 2009 fest­ge­stell­ten Leer­gut­dif­fe­ren­zen von

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7.091,00 € hat­te die Be­klag­te nach Durchführung von Kon­trol­len im Leer­gut­la­ger die Beschäftig­ten im Kas­sie­rer­be­reich im Ge­tränke­markt in Ver­dacht, die Leer­gut­dif­fe­ren­zen durch das Aus­dru­cken von fik­ti­ven Leer­gut­bons oh­ne ent­spre­chen­de Verände­run­gen im Leer­gut­be­stand ver­ur­sacht zu ha­ben. Es ging nicht dar­um, ei­ne nur all­ge­mein be­ste­hen­de Mut­maßung, es könn­ten Straf­ta­ten be­gan­gen wer­den, zu über­prüfen. Die Über­wa­chung dien­te viel­mehr da­zu, den be­reits räum­lich und funk­tio­nal kon­kre­ti­sier­ten Ver­dacht auf ei­ne Per­son ein­zu­gren­zen. Sie bot zu­gleich die ein­zi­ge Möglich­keit, die übri­gen Ar­beit­neh­mer aus dem en­gen Kreis der Verdäch­ti­gen aus­zu­sch­ließen.
So­weit die Kläge­rin in die­sem Zu­sam­men­hang das Ent­ste­hen der Leer­gut­dif­fe­ren­zen im ers­ten Halb­jahr 2009 be­strit­ten hat, ist die­ses Be­strei­ten un­sub­stan­ti­iert. Die Be­klag­te hat die be­haup­te­ten Leer­gut­dif­fe­ren­zen aus dem ers­ten Halb­jahr 2009 so­wohl dem Grun­de nach wie auch der Höhe nach durch Leer­gut­ab­rech­nun­gen (Bl. 94, 95 d.A.) dar­ge­stellt.

(b) Der Be­klag­ten war auch ei­ne Ab­hil­fe die­ser Leer­gut­dif­fe­ren­zen auf an­de­re Art und Wei­se nicht möglich. Sie hat­te zu­vor das Leer­gut­la­ger auf Dif­fe­ren­zen über­prüft. In­so­weit hat­ten Kon­trol­len durch den je­wei­li­gen Lie­fe­ran­ten statt­ge­fun­den, et­wai­ge Dif­fe­ren­zen wa­ren hier­bei nicht auf­ge­tre­ten. Aus die­sem Grund be­stand aus­sch­ließlich die Möglich­keit, dass die Leer­gut­dif­fe­ren­zen im Kas­sen­be­reich des Ge­tränke­markts ver­ur­sacht wor­den sind. Das Er­stel­len von fik­ti­ven Leer­gut­bons et­wa durch Mit­ar­bei­ter im Kas­sen­be­reich war le­dig­lich durch ei­ne heim­li­che Vi­deoüber­wa­chung möglich. Der Ver­dacht ge­gen die Kläge­rin und ih­re Mit­ar­bei­ter im Kas­sen­be­reich konn­te durch ei­ne of­fe­ne Vi­deoüber­wa­chung we­der bestätigt noch wi­der­legt wer­den. Er be­traf ei­ne heim­li­che Tat. Der Ver­dacht ging da­hin, dass die Kläge­rin oder ei­ner ih­rer Mit­ar­bei­ter Leer­gut­bons er­stell­te, oh­ne das ent­spre­chen­de Leer­gut an­ge­nom­men zu ha­ben, so­dann den bo­nier­ten Geld­be­trag der Kas­se ent­nahm und an sich brach­te. Der­art auf Heim­lich­keit an­ge­leg­tes Ver­hal­ten kann sei­ner Na­tur nach nicht durch ei­ne of­fen an­gekündig­te Be­ob­ach­tung ent­deckt wer­den. Das Glei­che gilt auch für die Möglich­keit des Ein­sat­zes ei­nes Testkäufers. Auch die­se Möglich­keit schied aus. Bei die­ser Sach­la­ge ist dem Ei­gen­tum des Ar­beit­ge­bers nach Art. 14 Abs. 1 GG und der un­ter­neh­me­ri­schen Betäti­gungs­frei­heit nach Art. 12 Abs. 1 GG ge­genüber dem all­ge­mei­nen Persönlich­keits­recht des Ar­beit­neh­mers der Vor­rang ein­zuräum­en.

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(c) Der mit der ver­deck­ten Vi­deoüber­wa­chung ver­bun­de­ne Ein­griff in das all­ge­mei­ne Persönlich­keits­recht der Kläge­rin war auch ins­ge­samt nicht un­an­ge­mes­sen. Die Über­wa­chung er­folg­te nicht wahl­los. Sie dien­te nicht der all­ge­mei­nen Ver­hal­tens­kon­trol­le, son­dern al­lein der Aufklärung ei­nes be­stimm­ten Ver­dachts. Sie be­traf al­lein den räum­li­chen Be­reich, auf den sich die­ser Ver­dacht be­zog, nämlich den Kas­sie­rer­be­reich im Ge­tränke­markt. Die Maßnah­me war auch zeit­lich be­grenzt. Hin­zu kommt, dass die Über­wa­chung in ei­nem Um­feld er­folg­te, in dem die Kläge­rin nicht da­mit rech­nen konn­te, ständig un­be­ob­ach­tet zu sein. Die Über­wa­chung be­traf we­der in die In­tim­sphäre noch die Pri­vat­sphäre der Kläge­rin, son­dern den Raum, in­ner­halb des­sen sie dem ar­beits­ver­trag­li­chen Wei­sungs­recht der Be­klag­ten un­ter­lag. Die Über­wa­chung war außer­dem ge­eig­net, die­je­ni­gen Per­so­nen von dem Ver­dacht zu ent­las­ten, die sich nichts hat­ten zu­schul­den kom­men las­sen.

(3) Ent­ge­gen der Rechts­auf­fas­sung ver­stieß die ver­deck­te Vi­deoüber­wa­chung vom 13.07.2009 bis zum 03.08.2009 auch nicht ge­gen die Vor­schrif­ten der Vor­schrif­ten der §§ 6 b Abs. 1, 32 BDSG.
Zunächst ist fest­zu­stel­len, dass die Vi­deoüber­wa­chung sich auf öffent­lich zugäng­li­che Räume im Sin­ne des § 6 b Abs. 1 BDSG be­zog. Zu den öffent­lich zugäng­li­chen Räum­en zählen auch Ver­kaufsräume und Räum­lich­kei­ten mit Pu­bli­kums­ver­kehr, wie dies et­wa bei Su­permärk­ten oder Kaufhäusern der Fall ist (Grimm/Schie­fer, RdA 2009, 329, 331; Go­la/Schome­rus, BDSG, 10. Aufl., § 6 b Rn. 8; Viet­mey­er/By­ers, DB 2010, 1462 m.w.N.).

Zwar ver­langt § 6 b Abs. 2 BDSG, dass der Um­stand der Be­ob­ach­tung durch ge­eig­ne­te Maßnah­men er­kenn­bar zu ma­chen ist. Hier­aus wird zum Teil auch ge­fol­gert, dass ei­ne heim­li­che Vi­deoüber­wa­chung oh­ne Kennt­lich­ma­chung un­zulässig ist (ArbG Frank­furt 25.01.2006 – 7 Ca 3342/05 –; Bay­reu­ther NZA 2005, 1038, 1040 m.w.N.). Die ganz herr­schen­de Mei­nung in der ar­beits­ge­richt­li­chen Recht­spre­chung und der ar­beits­recht­li­chen Li­te­ra­tur (LAG Köln 18.11.2010 – 6 Sa 817/10 – NZA-RR 2011, 241; Grimm/Schie­fer, RdA 2009, 329, 334 f.; Viet­mey­er/By­ers, DB 2010, 1462; Dzi­da/Grau, NZA 2010, 1201; Ot­to, Anm. zu BAG AP Be­trVG 1972 § 87 Über­wa­chung Nr. 36; Lunk, NZA 2009, 460), der auch der er­ken­nen­den Be­ru­fungs­kam­mer bei­tritt, ist aber ei­ne ver­fas­sungs­kon­for­me,

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ein­schränken­de Aus­le­gung des § 6 b Abs. 2 BDSG ge­bo­ten. Hier­nach ist die Ver­wer­tung heim­li­cher Vi­deo­auf­nah­men von öffent­lich zugäng­li­chen Räum­en im Kündi­gungs­schutz­pro­zess in ver­fas­sungs­kon­for­mer Ein­schränkung des § 6 b Abs. 2 BDSG zulässig, wenn sich der Ar­beit­ge­ber in ei­ner not­wehrähn­li­chen La­ge be­fin­det und die heim­li­che Vi­deoüber­wa­chung nicht un­verhält­nismäßig ist. In­so­weit gel­ten die­sel­ben Grundsätze, die das Bun­des­ar­beits­ge­richt be­reits in der Ent­schei­dung vom 27.03.2003 ( - 2 AZR 51/02 – AP Be­trVG 1972 § 87 Über­wa­chung Nr. 36) auf­ge­stellt hat (vgl. in­so­weit: Grimm/Schie­fer, RdA 2009, 329, 335; vgl. auch: ArbG Ber­lin 18.02.2010 – 38 Ca 12879/09 – ZIP 2010, 1191; ArbG Düssel­dorf 03.05.2011 – 11 Ca 7326/10 Rn. 59).
Dass die Be­klag­te sich in ei­ner not­wehrähn­li­chen La­ge be­fun­den hat und die heim­li­che Vi­deoüber­wa­chung im vor­lie­gen­den Fall nicht un­verhält­nismäßig ge­we­sen ist, ist be­reits oben un­ter I 2. b) bb) aus­geführt wor­den.

c) Die Kläge­rin ist auch vor Aus­spruch der außer­or­dent­li­chen Kündi­gung vom 11.09.2009 zu der Führung der Klüngel­geld­kas­se und dem ge­gen sie be­ste­hen­den Ver­dacht, sich heim­lich Geldstücke aus die­ser Klüngel­geld­kas­se ein­ge­steckt zu ha­ben, ord­nungs­gemäß an­gehört wor­den. Am 04.09.2009 ist sie in Ge­gen­wart des stell­ver­tre­ten­den Be­triebs­rats­vor­sit­zen­den von der Be­klag­ten mit den ge­gen sie er­ho­be­nen Vorwürfen kon­fron­tiert wor­den. Erst auf­grund nach­hal­ti­ger Vor­hal­tun­gen durch die Be­klag­te hat die Kläge­rin zu­ge­ge­ben, sich ver­schie­dent­lich Geldstücke aus der Klüngel­geld­kas­se ein­ge­steckt zu ha­ben.

3. Selbst wenn da­nach ei­ne er­heb­li­che, die Schwel­le zum wich­ti­gen Grund über­schrei­ten­de Pflicht­ver­let­zung der Kläge­rin an­ge­nom­men wer­den muss, ist die frist­lo­se Kündi­gung bei Be­ach­tung al­ler Umstände des vor­lie­gen­den Fal­les und nach Abwägung der wi­der­strei­ten­den In­ter­es­sen gleich­wohl nicht ge­recht­fer­tigt. Als Re­ak­ti­on der Be­klag­ten auf das Fehl­ver­hal­ten der Kläge­rin hätte ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung aus­ge­reicht. Bei der Abwägung der In­ter­es­sen der Be­klag­ten an der so­for­ti­gen Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ge­gen das In­ter­es­se der Kläge­rin an de­ren Fort­be­stand er­gibt sich, dass der Be­klag­ten die Wei­ter­beschäfti­gung der Kläge­rin trotz Vor­lie­gens ei­ner er­heb­li­chen Pflicht­ver­let­zung je­den­falls bis zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist zu­mut­bar war.
 


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a) Bei der Prüfung, ob dem Ar­beit­ge­ber ei­ne Wei­ter­beschäfti­gung ei­nes Ar­beit­neh­mers trotz Vor­lie­gens ei­ner er­heb­li­chen Pflicht­ver­let­zung je­den­falls bis zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist zu­mut­bar ist, ist in ei­ner Ge­samtwürdi­gung das In­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers an der so­for­ti­gen Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ge­gen das In­ter­es­se des Ar­beit­neh­mers an des­sen Fort­be­stand ab­zuwägen. Es hat ei­ne Be­wer­tung des Ein­zel­fal­les un­ter Be­ach­tung des Verhält­nismäßig­keits­grund­sat­zes zu er­fol­gen. Die Umstände, an­hand de­rer zu be­ur­tei­len ist, ob dem Ar­beit­ge­ber die Wei­ter­beschäfti­gung zu­mut­bar ist oder nicht, las­sen sich nicht ab­sch­ließend fest­le­gen. Zu berück­sich­ti­gen sind aber re­gelmäßig das Ge­wicht und die Aus­wir­kun­gen ei­ner Ver­trags­ver­let­zung - et­wa im Hin­blick auf das Maß ei­nes durch sie be­wirk­ten Ver­trau­ens­ver­lus­tes und ih­re wirt­schaft­li­chen Fol­gen -, der Grad des Ver­schul­dens des Ar­beit­neh­mers, ei­ne mögli­che Wie­der­ho­lungs­ge­fahr so­wie die Dau­er des Ar­beits­verhält­nis­ses und de­ren störungs­frei­er Ver­lauf. Ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung kommt nur in Be­tracht, wenn es kei­nen an­ge­mes­se­nen Weg gibt, das Ar­beits­verhält­nis fort­zu­set­zen, und dem Ar­beit­ge­ber sämt­li­che mil­de­ren Re­ak­ti­onsmöglich­kei­ten un­zu­mut­bar sind. Als mil­de­re Re­ak­tio­nen kom­men ins­be­son­de­re Ab­mah­nung und or­dent­li­che Kündi­gung in Be­tracht. Sie sind dann al­ter­na­ti­ve Ge­stal­tungs­mit­tel, wenn schon sie ge­eig­net sind, den mit der außer­or­dent­li­chen Kündi­gung ver­folg­ten Zweck – die Ver­mei­dung des Ri­si­kos künf­ti­ger Störun­gen – zu er­rei­chen (zu­letzt: BAG 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227 m.z.w.N.).
Die­se Grundsätze gel­ten un­ein­ge­schränkt auch bei Störun­gen im Ver­trau­ens­be­reich durch Straf­ta­ten ge­gen Vermögen oder Ei­gen­tum des Ar­beit­ge­bers. Auch in die­sem Be­reich gibt es kei­ne ab­so­lu­ten Kündi­gungs­gründe (BAG 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 1210, 1227).

b) Die hier­nach er­for­der­li­che In­ter­es­sen­abwägung führt da­zu, dass der Be­klag­ten je­den­falls ei­ne Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses mit der Kläge­rin bis zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist am 31.03.2010 zu­mut­bar war.

Bei der vor­zu­neh­men­den In­ter­es­sen­abwägung fällt zu Guns­ten der Kläge­rin ins Ge­wicht, dass sie rund 18 Jah­re lang durch ei­ne be­an­stan­dungs­freie Tätig­keit als Verkäufe­r­in und Kas­sie­re­rin Loya­lität zur Be­klag­ten ge­zeigt hat. Hin­zu kommt, dass die Kläge­rin ei­nem Kind un­ter­halts­ver­pflich­tet und al­lein­er­zie­hend ist.


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Wie die Be­klag­te im Ter­min vor der Be­ru­fungs­kam­mer auch un­strei­tig zu­ge­stan­den hat, kommt die Kläge­rin nicht als Ver­ur­sa­che­rin der Leer­gut­dif­fe­ren­zen in Be­tracht. Zwar sind durch die durch­geführ­te Vi­deoüber­wa­chung die Ur­sa­chen der Leer­gut­dif­fe­ren­zen, die An­lass für die ver­deck­te Über­wa­chung wa­ren, nicht fest­ge­stellt wor­den. Wei­te­re Leer­gut­dif­fe­ren­zen sind aber seit Durchführung die­ser Vi­deoüber­wa­chung nicht mehr auf­ge­tre­ten. Das nur zufällig anläss­lich die­ser Vi­deoüber­wa­chung fest­ge­stell­te Fehl­ver­hal­ten der Kläge­rin – die Exis­tenz der Klüngel­geld­kas­se und die Ent­nah­me von Geldstücken hier­aus – ha­ben le­dig­lich ei­nen re­la­tiv ge­rin­gen wirt­schaft­li­chen Scha­den bei der Be­klag­ten ver­ur­sacht. Dies lässt die frist­lo­se Kündi­gung als in der Sank­ti­ons­sca­la übermäßige Re­ak­ti­on er­schei­nen.
Zwar ist durch den Ver­dacht, die Kläge­rin ha­be Vermögens­de­lik­te be­gan­gen, ein ir­re­pa­ra­bler Ver­trau­ens­ver­lust ent­stan­den, der ei­ne Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses für die Be­klag­te letzt­lich un­zu­mut­bar macht. Es kann auch nicht über­se­hen wer­den, dass die Kläge­rin ge­gen die sei­ner­zeit vor­lie­gen­den Kas­sie­rer­an­wei­sun­gen ver­s­toßen hat, die ihr zu­letzt am 10.07.2009 – we­ni­ge Ta­ge vor den durch die Vi­deoüber­wa­chung fest­ge­stell­ten Un­re­gelmäßig­kei­ten – vor­ge­legt wor­den sind. Den­noch war der Be­klag­ten die Ein­hal­tung der Kündi­gungs­frist zu­zu­mu­ten. Die vorüber­ge­hen­de Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses bis zu dem ab­seh­ba­ren En­de am 31.03.2010 war der Be­klag­ten zu­mut­bar. Auch wenn das Ver­hal­ten der Kläge­rin ge­eig­net war, das Ver­trau­en der Be­klag­ten in die zu­verlässi­ge Erfüllung der ihr über­tra­ge­nen Auf­ga­ben als Kas­sie­re­rin zu erschüttern, muss berück­sich­tigt wer­den, dass sich die Klüngel­geld­kas­se seit Jah­ren an der Kas­se im Ge­tränke­markt be­fun­den hat. Fer­ner kann die Be­klag­te der Kläge­rin nur die Ent­nah­me ei­ni­ger klei­ne­rer Geldstücke aus die­ser Klüngel­geld­kas­se nach­wei­sen. Ein größerer Scha­den ist der Be­klag­ten durch die Klüngel­geld­kas­se nicht ent­stan­den. Ins­ge­samt stellt sich da­nach das Fehl­ver­hal­ten der Kläge­rin bei Abwägung al­ler Umstände als nicht so schwer­wie­gend dar, dass als Re­ak­ti­on nur die frist­lo­se Kündi­gung als ul­ti­ma ra­tio übrig blieb.

II. Die Kündi­gung der Be­klag­ten ist aber als or­dent­li­che Kündi­gung wirk­sam.

1. Sie ist nach § 1 Abs. 2 KSchG so­zi­al ge­recht­fer­tigt. Aus dem Vor­ste­hen­den folgt,


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aus­ge­spro­chen hat, als mil­de­res und im Streit­fall an­ge­mes­se­nes Mit­tel das Ar­beits­verhält­nis zum 31.03.2010 be­en­det hat. Die­se Kündi­gung ist nicht so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt im Sin­ne des § 1 Abs. 1 KSchG, weil sie durch Gründe, die im Ver­hal­ten der Kläge­rin lie­gen, be­dingt ist, § 1 Abs. 2 KSchG.
Das Ver­trau­en der Be­klag­ten in die Zu­verlässig­keit der Kläge­rin ist durch die er­wie­se­nen Ver­dachts­mo­men­te, wo­nach die Kläge­rin sich heim­lich Geldstücke aus der geführ­ten Klüngel­geld­kas­se ein­ge­steckt hat, ob­jek­tiv der­art erschüttert, dass des­sen Wie­der­her­stel­lung und dann künf­tig wie­der ein störungs­frei­es Mit­ein­an­der der Par­tei­en nicht mehr zu er­war­ten ist. Bei der In­ter­es­sen­abwägung nach § 1 Abs. 1 KSchG ist dem In­ter­es­se der Be­klag­ten an der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ge­genüber dem Be­stands­schutz­in­ter­es­se der Kläge­rin auch un­ter Berück­sich­ti­gung ih­res Le­bens­al­ters und der lan­gen Be­triebs­zu­gehörig­keit der Vor­zug ein­zuräum­en. Die Kläge­rin hat da­durch, dass sie aus der un­be­rech­tig­ter­wei­se geführ­ten Klüngel­geld­kas­se Gel­der ent­nom­men hat, un­ge­ach­tet ih­res ge­rin­gen Werts der ent­wen­de­ten Geldstücke die Ba­sis für ei­ne wei­te­re ver­trau­ens­vol­le Zu­sam­men­ar­beit zerstört.
Hin­zu kommt, dass der Kläge­rin am 14.08.2009 be­reits ei­ne Ab­mah­nung we­gen ei­nes Fehl­ver­hal­tens am 11.07.2009 er­teilt wor­den ist. Un­strei­tig hat­te die Kläge­rin an die­sem Tag Wech­sel­geld in Höhe von 300,00 € mit nach Hau­se ge­nom­men. Auch hier­zu war sie nicht be­rech­tigt, selbst wenn ih­rem Vor­brin­gen ge­folgt wird, sie ha­be es le­dig­lich ver­ges­sen, das Wech­sel­geld ab­zu­ge­ben.

2. Die or­dent­li­che Kündi­gung vom 11.09.2009 zum 31.03.2010 ist auch nicht nach § 102 Be­trVG un­wirk­sam. Der Be­triebs­rat ist von der Be­klag­ten ord­nungs­gemäß so­wohl zu der be­ab­sich­tig­ten frist­lo­sen Kündi­gung so­wie auch zu der hilfs­wei­se aus­zu­spre­chen­den frist­ge­rech­ten Kündi­gung zum 31.03.2010 ord­nungs­gemäß an­gehört wor­den. Mit dem ausführ­li­chen Schrei­ben vom 08.09.2009 hat die Be­klag­te dem Be­triebs­rat un­ter Mit­tei­lung al­ler Ein­zel­tat­sa­chen, die die außer­or­dent­li­che Kündi­gung recht­fer­ti­gen soll­ten, an­gehört. Der Be­triebs­rat ist ausführ­lich über die So­zi­al­da­ten der Kläge­rin so­wie über die Kündi­gungs­gründe un­ter­rich­tet wor­den. Aus dem Anhörungs­schrei­ben vom 08.09.2009 er­gibt sich darüber hin­aus, dass die Be­klag­te die Kündi­gung auch we­gen des Ver­dachts ei­ner straf­ba­ren Ver­feh­lung aus­zu­spre­chen be­ab­sich­tig­te. Das Anhörungs­schrei­ben enthält schließlich auch die Ein­las­sun­gen der Kläge­rin, die sie bei ih­rer Anhörung am 04.09.2009 ge­macht hat.
 


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III. Dem Wei­ter­beschäfti­gungs­be­geh­ren der Kläge­rin konn­te nicht statt­ge­ge­ben wer­den. Auf­grund der Wirk­sam­keit der or­dent­li­chen Kündi­gung vom 11.09.2009 zum 31.03.2010 en­de­te das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en am 31.03.2010. Der gel­tend ge­mach­te Wei­ter­beschäfti­gungs­an­spruch der Kläge­rin ist un­be­gründet.

IV. Den Zah­lungs­ansprüchen der Kläge­rin konn­te nur teil­wei­se statt­ge­ge­ben wer­den. Die Kläge­rin hat le­dig­lich An­spruch auf Zah­lung ih­res Ar­beits­ent­gelts für den Zeit­raum vom 12.09.2009 bis zum 31.03.2010 in un­strei­ti­ger Höhe von 9.531,82 € brut­to. So­weit die Kläge­rin darüber hin­aus Ent­gelt­ansprüche ab April 2010 gel­tend macht, ist die Kla­ge un­be­gründet.

Der zu­ge­spro­che­ne Ent­gelt­an­spruch der Kläge­rin er­gibt sich aus den §§ 615, 611 BGB. Zwi­schen den Par­tei­en be­stand in der Zeit vom 11.09.2009 bis zum 31.03.2010 auf­grund der Un­wirk­sam­keit der außer­or­dent­li­chen Kündi­gung vom 11.09.2010 ein erfüll­ba­res Ar­beits­verhält­nis. Zwar hat die Kläge­rin ab 12.09.2009 kei­ne Ar­beits­leis­tung mehr für die Be­klag­te er­bracht. Es fehlt aber an ei­ner Mit­wir­kungs­hand­lung der Be­klag­ten nach § 293 BGB. Die Be­klag­te hat es nämlich un­ter­las­sen, der Kläge­rin für den Zeit­raum ab 12.09.2009 ei­ne zu­mut­ba­re Ar­beit zu­zu­wei­sen. Sie hat viel­mehr aus­drück­lich die Ar­beits­leis­tung der Kläge­rin ab­ge­lehnt, § 295 Satz 1 BGB.

Der An­nah­me­ver­zug der Be­klag­ten ist auch nicht nach § 297 BGB we­gen feh­len­den Leis­tungs­vermögens oder feh­len­der Leis­tungs­be­reit­schaft der Kläge­rin aus­ge­schlos­sen.

Das im An­spruchs­zeit­raum be­zo­ge­ne Ar­beits­lo­sen­geld hat sich die Kläge­rin nach § 615 Satz 2 BGB an­rech­nen las­sen.

Der zu­ge­spro­che­ne Zins­an­spruch er­gibt sich aus § 288 BGB.

V. Die Kläge­rin hat auch ei­nen An­spruch auf Aus­stel­lung und Aushändi­gung ei­nes Wa­ren­gut­schei­nes über 275,-- €. Die­ser An­spruch er­gibt sich aus § 611 i.V.m. den zwi­schen den Par­tei­en ge­trof­fe­nen Ver­ein­ba­run­gen. Die Erfüllung die­ses un­strei­ti­gen

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An­spruchs ist der Kläge­rin be­reits im Lau­fe des erst­in­stanz­li­chen Ver­fah­rens zu­ge­stan­den wor­den. Im Ter­min vor der Be­ru­fungs­kam­mer hat die Be­klag­te aus­drück­lich erklärt, dass die­ser An­spruch noch nicht erfüllt sei.

VI. Der von der Kläge­rin gel­tend ge­mach­te An­spruch auf Er­tei­lung ei­nes Zwi­schen­zeug­nis­ses ist un­be­gründet. In­so­weit war die Be­ru­fung der Kläge­rin zurück­zu­wei­sen. Auf­grund der Tat­sa­che, dass das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en mit Ab­lauf des 31.03.2010 sein En­de ge­fun­den hat, steht der Kläge­rin kein Zwi­schen­zeug­nis mehr zu.
So­weit die Kläge­rin hilfs­wei­se die Er­tei­lung ei­nes End­zeug­nis­ses ver­langt hat, ist die­ser An­spruch be­reits durch das Ar­beits­ge­richt aus­ge­ur­teilt wor­den.

VII. Die Kos­ten­ent­schei­dung er­gibt sich aus den §§ 91, 92 ZPO. Die Be­ru­fungs­kam­mer hat die Kos­ten des Rechts­streits im Verhält­nis des Un­ter­lie­gens bzw. Ob­sie­gens der Par­tei­en ge­quo­telt.

Der Streit­wert hat sich in der Be­ru­fungs­in­stanz nicht geändert, § 63 GKG.

We­gen der grundsätz­li­chen Be­deu­tung der Rechts­sa­che hat die Be­ru­fungs­kam­mer die Re­vi­si­on zum Bun­des­ar­beits­ge­richt nach § 72 Abs. 2 ArbGG zu­ge­las­sen.

RECH­TSMIT­TEL­BE­LEH­RUNG

Ge­gen die­ses Ur­teil kann von bei­den Par­tei­en


RE­VISION

ein­ge­legt wer­de.
 


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Die Re­vi­si­on muss in­ner­halb ei­ner Not­frist* von ei­nem Mo­nat schrift­lich beim


Bun­des­ar­beits­ge­richt
Hu­go-Preuß-Platz 1
99084 Er­furt
Fax: 0361 2636 2000

ein­ge­legt wer­den.

Die Not­frist be­ginnt mit der Zu­stel­lung des in vollständi­ger Form ab­ge­fass­ten Ur­teils, spätes­tens mit Ab­lauf von fünf Mo­na­ten nach der Verkündung.

Die Re­vi­si­ons­schrift muss von ei­nem Be­vollmäch­tig­ten un­ter­zeich­net sein. Als Be­vollmäch­tig­te sind nur zu­ge­las­sen:

1. Rechts­anwälte,
2. Ge­werk­schaf­ten und Ver­ei­ni­gun­gen von Ar­beit­ge­bern so­wie Zu­sam­men­schlüsse sol­cher Verbände für ih­re Mit­glie­der oder für an­de­re Verbände oder Zu­sam­men­schlüsse mit ver­gleich­ba­rer Aus­rich­tung und de­ren Mit­glie­der,
3. Ju­ris­ti­sche Per­so­nen, de­ren An­tei­le sämt­lich im wirt­schaft­li­chen Ei­gen­tum ei­ner der in Num­mer 2 be­zeich­ne­ten Or­ga­ni­sa­tio­nen ste­hen, wenn die ju­ris­ti­sche Per­son aus­sch­ließlich die Rechts­be­ra­tung und Pro­zess­ver­tre­tung die­ser Or­ga­ni­sa­ti­on und ih­rer Mit­glie­der oder an­de­rer Verbände oder Zu­sam­men­schlüsse mit ver­gleich­ba­rer Aus­rich­tung und de­ren Mit­glie­der ent­spre­chend de­ren Sat­zung durchführt und wenn die Or­ga­ni­sa­ti­on für die Tätig­keit der Be­vollmäch­tig­ten haf­tet.

In den Fällen der Zif­fern 2 und 3 müssen die Per­so­nen, die die Re­vi­si­ons­schrift un­ter­zeich­nen, die Befähi­gung zum Rich­ter­amt ha­ben.

Ei­ne Par­tei, die als Be­vollmäch­tig­ter zu­ge­las­sen ist, kann sich selbst ver­tre­ten.

* ei­ne Not­frist ist un­abänder­lich und kann nicht verlängert wer­den.

Schier­baum 

Kohl­stadt 

Dud­zik

33


/Fou./Bg./N.

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