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BAG, Ur­teil vom 16.10.2012, 9 AZR 183/11

   
Schlagworte: Verzicht, Reisekosten, Aufwendungsersatz, Lehrer
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 9 AZR 183/11
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 16.10.2012
   
Leitsätze:

1. Ein Land verstößt als Arbeitgeber gegenüber seinen angestellten Lehrkräften gegen § 242 BGB, wenn es Schulfahrten grundsätzlich nur unter der Voraussetzung genehmigt, dass die teilnehmenden Lehrkräfte formularmäßig auf die Erstattung ihrer Reisekosten verzichten.

2. Diese generelle Bindung der Genehmigung von Schulfahrten an den „Verzicht“ auf die Erstattung von Reisekosten stellt die angestellten Lehrkräfte unzulässig vor die Wahl, ihr Interesse an einer Reisekostenerstattung zurückzustellen oder dafür verantwortlich zu sein, dass Schulfahrten, die Bestandteil der Bildungs- und Erziehungsarbeit sind, nicht stattfinden.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Münster, Urteil vom 9.9.2010 - 1 Ca 334/10
Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 3.2.2011 - 11 Sa 1852/10
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


9 AZR 183/11
11 Sa 1852/10
Lan­des­ar­beits­ge­richt

Hamm

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

16. Ok­to­ber 2012

UR­TEIL

Brüne, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

be­klag­tes, be­ru­fungs­be­klag­tes und re­vi­si­ons­kla­gen­des Land,

pp.

Kläge­rin, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Neun­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der Be­ra­tung vom 16. Ok­to­ber 2012 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Brühler, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Krasshöfer und Klo­se so­wie den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Fal­tyn und die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin Mer­te für Recht er­kannt:
 


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1. Die Re­vi­si­on des be­klag­ten Lan­des ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Hamm vom 3. Fe­bru­ar 2011 - 11 Sa 1852/10 - wird zurück­ge­wie­sen.


2. Das be­klag­te Land hat die Kos­ten der Re­vi­si­on zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über ei­nen An­spruch der Kläge­rin auf Rei­se­kos­ten­vergütung anläss­lich ih­rer Teil­nah­me an ei­ner Klas­sen­fahrt im Sep­tem­ber 2008.


Die Kläge­rin ist bei dem be­klag­ten Land als Leh­re­rin an ei­ner Ge­samt­schu­le beschäftigt. Die Par­tei­en sind auf­grund bei­der­sei­ti­ger Ver­bands­zu­gehörig­keit an die Ta­rif­verträge im öffent­li­chen Dienst, ins­be­son­de­re den Ta­rif­ver­trag für den öffent­li­chen Dienst der Länder (TV-L), ge­bun­den. Nach § 23 Abs. 4 TV-L fin­den für die Er­stat­tung von Rei­se­kos­ten die für die Be­am­tin­nen und Be­am­ten des Ar­beit­ge­bers je­weils gel­ten­den Be­stim­mun­gen ent­spre­chen­de An­wen­dung.


Gemäß § 3 des Ge­set­zes über die Rei­se­kos­ten­vergütung der Be­am­tin­nen, Be­am­ten, Rich­te­rin­nen und Rich­ter vom 16. De­zem­ber 1998 (GV NRW S. 738; Lan­des­rei­se­kos­ten­ge­setz, im Fol­gen­den: LRKG NRW) in der bis zum 31. De­zem­ber 2009 gel­ten­den Fas­sung vom 16. No­vem­ber 2004 (GV NRW S. 684) be­steht un­ter den dort be­schrie­be­nen Vor­aus­set­zun­gen ein An­spruch auf Rei­se­kos­ten­vergütung. § 3 Abs. 6 LRKG NRW lau­tet:

„Die Rei­se­kos­ten­vergütung ist in­ner­halb ei­ner Aus­schluss­frist von sechs Mo­na­ten schrift­lich zu be­an­tra­gen. Die Frist be­ginnt mit dem Ta­ge nach Be­en­di­gung der Dienst­rei­se oder des Dienst­gan­ges, in den Fällen des § 9 Abs. 2 mit Ab­lauf des Ta­ges, an dem die Dienst­rei­se oder der Dienst­gang be­en­det wor­den wäre. Dienst­rei­sen­de können vor An­tritt ei­ner Dienst­rei­se oder ei­nes Dienst­gan­ges schrift­lich erklären, dass sie kei­nen An­trag nach Satz 1
 


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stel­len; die Erklärung ist un­wi­der­ruf­lich.“
 

In den All­ge­mei­nen Ver­wal­tungs­vor­schrif­ten zum Lan­des­rei­se­kos­ten­ge­setz (RdErl. des Fi­nanz­mi­nis­te­ri­ums vom 22. De­zem­ber 1998 in der Fas­sung des RdErl. vom 15. De­zem­ber 2004, MBl. NRW 2005 S. 36; im Fol­gen­den: VVzL­RKG) heißt es un­ter Nr. 6.3 zu § 3 LRKG NRW:

„Der Ver­zicht auf Rei­se­kos­ten ist frei­wil­lig. Den Dienst­rei­sen­den dürfen kei­ne Nach­tei­le ent­ste­hen, wenn sie von der Möglich­keit des Ver­zichts kei­nen Ge­brauch ma­chen.“

In den Richt­li­ni­en für Schul­wan­de­run­gen und Schul­fahr­ten (RdErl. des Mi­nis­te­ri­ums für Schu­le und Wei­ter­bil­dung vom 19. März 1997 in der Fas­sung des RdErl. vom 20. Ju­li 2004, BASS 2008/2009 14 - 12 Nr. 2; Wan­der­richt­li­ni­en, im Fol­gen­den: WRL) heißt es ua.:

„1. All­ge­mei­nes

Schul­wan­de­run­gen und Schul­fahr­ten, Schul­land­heim­auf­ent­hal­te, Stu­di­en­fahr­ten und in­ter­na­tio­na­le Be­geg­nun­gen - im Fol­gen­den Schul­wan­de­run­gen und Schul­fahr­ten - sind Be­stand­tei­le der Bil­dungs- und Er­zie­hungs­ar­beit der Schu­len. ...


2. Pla­nung und Vor­be­rei­tung

2.1 Die Schu­len ent­schei­den über die Durchführung von Schul­wan­de­run­gen und Schul­fahr­ten in ei­ge­ner Ver­ant­wor­tung.

...

2.5 Den Schüle­rin­nen und Schülern und de­ren Er­zie­hungs­be­rech­tig­ten ist durch ei­ne frühzei­ti­ge Pla­nung Ge­le­gen­heit zu ge­ben, die vor­aus­sicht­lich ent­ste­hen­den Kos­ten an­zu­spa­ren.

...

3. Ge­neh­mi­gung


3.1 Die Ge­neh­mi­gung der Schuld­wan­de­run­gen und Schul­fahr­ten als Schul­ver­an­stal­tung er­teilt die Schul­lei­te­rin oder der Schul­lei­ter auf­grund ei­nes recht­zei­tig vor Be­ginn zu stel­len­den An­trags. Es ist da­bei ins­be­son­de­re zu prüfen, ob die Ver­an­stal­tung dem Bil­dungs- und Er­zie­hungs­auf­trag der Schu­le ge­recht wird, ob der von der Schul­kon­fe­renz vor­ge-


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ge­be­ne Rah­men be­ach­tet wird und ob die Fi­nan­zie­rung ge­si­chert ist.

3.2 Die Schul­lei­te­rin oder der Schul­lei­ter ge­neh­migt für die teil­neh­men­den Leh­re­rin­nen und Leh­rer die Dienst­rei­se oder den Dienst­gang im Auf­trag der Schul­auf­sichts­behörde. ...

3.3 So­weit nicht gewähr­leis­tet ist, dass Rei­se­kos­ten­mit­tel in aus­rei­chen­der Höhe zur Verfügung ste­hen, darf die Dienst­rei­se nur ge­neh­migt wer­den, wenn die teil­neh­men­den Leh­re­rin­nen und Leh­rer und die wei­te­ren Be­gleit­per­so­nen zu­vor schrift­lich auf die Zah­lung der Rei­se­kos­ten­vergütung ver­zich­ten.

3.4 Für den An­trag auf Ge­neh­mi­gung als Schul­ver­an­stal­tung und die Dienst­rei­se­ge­neh­mi­gung bzw. die Be­auf­tra­gung wei­te­rer Be­gleit­per­so­nen ist das als An­la­ge bei­gefügte Form­blatt zu be­nut­zen.

4. Teil­nah­me­pflich­ten

4.1 Die Teil­nah­me an Schul­wan­de­run­gen und Schul­fahr­ten gehört zu den dienst­li­chen Auf­ga­ben der Leh­re-rin­nen und Leh­rer. Die Lei­tung ob­liegt in der Re­gel der Klas­sen­leh­re­rin oder dem Klas­sen­leh­rer bzw. der Kurs­lei­te­rin oder dem Kurs­lei­ter, so­weit nicht we­gen des be­son­de­ren Cha­rak­ters der Ver­an­stal­tung die Lei­tung ei­ner an­de­ren Leh­re­rin oder ei­nem an­de­ren Leh­rer über­tra­gen wird. ...

4.2 Schul­wan­de­run­gen und Schul­fahr­ten sind Schul­ver­an­stal­tun­gen. ...

...“

Die Kläge­rin war in dem Schul­jahr 2008/2009 Klas­sen­leh­re­rin. Mit Schrei­ben vom 31. Au­gust 2007 be­an­trag­te sie für ih­re Klas­se auf dem Vor­druck „An­trag auf Ge­neh­mi­gung von Schul­wan­de­run­gen und Schul­fahr­ten“ ei­ne Stu­di­en­fahrt nach Ber­lin. Das For­mu­lar lau­tet aus­zugs­wei­se wie folgt:


„A. An­trag auf Ge­neh­mi­gung als Schul­ver­an­stal­tung

...

B. An­trag auf Dienst­rei­se­ge­neh­mi­gung bzw. Be­auf­tra­gung

...

3. Die gem. Nr. 9.1 WRL zu zah­len­de(n) Rei­se­kos­ten­vergütung(en) ist/sind durch die für un­se­re Schu­le
 


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vor­ge­se­he­nen Haus­halts­mit­tel nicht mehr ge­deckt; da die Ver­an­stal­tung trotz­dem durch­geführt wer­den soll, ver­zich­te(n) ich/wir gem. Nr. 8.6 WRL auf die Zah­lung der Rei­se­kos­ten­vergütung.“


Die Kläge­rin un­ter­zeich­ne­te bei­de Anträge. Der Schul­lei­ter ge­neh­mig­te die Klas­sen­fahrt am 1. Sep­tem­ber 2007. We­gen feh­len­der Haus­halts­mit­tel wäre die­se oh­ne die Ver­zichts­erklärung durch die Kläge­rin nicht ge­neh­migt wor­den.

In der Zeit vom 22. bis zum 26. Sep­tem­ber 2008 be­treu­te die Kläge­rin die Klas­sen­fahrt. Für Bus­trans­port, Über­nach­tung, Ver­pfle­gung und den Be­such ei­nes Mu­si­cals zahl­te sie ins­ge­samt 234,50 Eu­ro. Hier­von er­stat­te­te die Schu­le 28,45 Eu­ro. Der Rest­be­trag iHv. 206,05 Eu­ro ist Ge­gen­stand der Kla­ge. Mit Schrei­ben vom 20. Ja­nu­ar 2009 und 5. Au­gust 2009 be­an­trag­te die Kläge­rin außer­ge­richt­lich die Zah­lung von Rei­se­kos­ten­vergütung. Das be­klag­te Land lehn­te dies mit Schrei­ben vom 27. Au­gust 2009 ab.

Die Kläge­rin hat die An­sicht ver­tre­ten, ihr ste­he trotz der Ver­zichts­erklärung ein An­spruch auf Rei­se­kos­ten­vergütung zu. Ein Ver­zicht sei nicht zulässig. Die Ver­wei­sung in § 23 Abs. 4 TV-L ver­bie­te die Her­an­zie­hung sol­cher Be­stim­mun­gen, de­ren An­wen­dung auf nicht Be­am­te sinn­wid­rig wäre. Der von ihr erklärte Ver­zicht sei nicht frei­wil­lig ge­we­sen, da er im Vor­druck des An­trags auf Ge­neh­mi­gung der Schul­fahrt zwin­gend vor­ge­se­hen ge­we­sen sei. Das Be­ru­fen des be­klag­ten Lan­des auf den Ver­zicht stel­le ei­ne un­zulässi­ge Rechts­ausübung dar.

Die Kläge­rin hat zu­letzt be­an­tragt, 


das be­klag­te Land zu ver­ur­tei­len, an sie 206,05 Eu­ro Rei­se­kos­ten­er­stat­tung nebst Zin­sen iHv. fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 1. Ok­to­ber 2010 zu zah­len.

Das be­klag­te Land hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen. Es hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, bei der Re­ge­lung in § 23 Abs. 4 TV-L han­de­le es sich um ei­ne dy­na­mi­sche Ver­wei­sung, die recht­lich nicht zu be­an­stan­den sei. Die Kläge­rin ha­be frei­wil­lig ver­zich­tet. Der Wi­der­ruf der Ver­zichts­erklärung sei nicht zulässig.
 


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Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat ihr statt­ge­ge­ben. Das be­klag­te Land ver­folgt mit der Re­vi­si­on die Wie­der­her­stel­lung des kla­ge­ab­wei­sen­den erst­in­stanz­li­chen Ur­teils.

Ent­schei­dungs­gründe

A. Die zulässi­ge Re­vi­si­on des be­klag­ten Lan­des ist nicht be­gründet. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat der Kla­ge zu Recht statt­ge­ge­ben. Der Kläge­rin steht ein An­spruch auf Er­stat­tung der streit­ge­genständ­li­chen Rei­se­kos­ten zu.

I. Der An­spruch folgt aus § 23 Abs. 4 TV-L iVm. § 1 Abs. 2, § 2 Abs. 1 Satz 1, § 3 Abs. 2 Satz 1, §§ 5, 7, 8 und 9 LRKG NRW.

1. Der TV-L fin­det auf das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG kraft Ta­rif­ge­bun­den­heit An­wen­dung.

2. Nach § 23 Abs. 4 TV-L fin­den für die Er­stat­tung von Rei­se­kos­ten die Be­stim­mun­gen, die für die Be­am­tin­nen und Be­am­ten des Ar­beit­ge­bers je­weils gel­ten, ent­spre­chen­de An­wen­dung. Sol­che Blan­kett­ver­wei­sun­gen auf be­am­ten­recht­li­che Be­stim­mun­gen (Ge­set­ze, Ver­ord­nun­gen, Er­las­se) in ei­ner Ta­rif­norm sind nach ständi­ger Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts zulässig (vgl. BAG 11. Sep­tem­ber 2003 - 6 AZR 323/02 - zu I 1 der Gründe mwN, BA­GE 107, 272). Ar­beit­neh­mern soll in­so­weit die­sel­be Rechts­stel­lung ein­geräumt wer­den wie den Be­am­ten (BAG 21. No­vem­ber 1996 - 6 AZR 222/96 - zu II 1 der Gründe, AP BAT SR 2d § 2 Nr. 1). Die in Be­zug ge­nom­me­nen Rei­se­kos­ten­vor­schrif­ten gel­ten auf­grund der Ver­wei­sung als ta­rif­li­che Rechts­nor­men (vgl. BAG 11. Sep­tem­ber 2003 - 6 AZR 323/02 - zu I 3 der Gründe, aaO), dh. zwi­schen bei­der­seits Ta­rif­ge­bun­de­nen nach § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG un­mit­tel­bar und zwin­gend. Da­mit fin­den die Re­ge­lun­gen des LRKG NRW ein­sch­ließlich der hier­zu er­gan­ge­nen Durchführungs­ver­ord­nun­gen und Er­las­se auf das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG An­wen­dung.
 


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3. Die da­nach gel­ten­den Vor­aus­set­zun­gen sind für den streit­ge­genständ­li­chen Er­stat­tungs­an­spruch erfüllt.

a) Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 LRKG NRW hat der Be­rech­tig­te An­spruch auf Rei­se­kos­ten­vergütung zur Ab­gel­tung der dienst­lich ver­an­lass­ten Mehr­auf­wen­dun­gen für ge­neh­mig­te Dienst­rei­sen (§ 1 Abs. 2 Satz 1, § 2 Abs. 1 Satz 1 LRKG NRW). Da­zu zählen un­ter an­de­rem Fahrt- und Über­nach­tungs­kos­ten (§ 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und 4, §§ 5, 8 LRKG NRW) so­wie Ne­ben­kos­ten (§ 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5, § 9 LRKG NRW), zB im Zu­sam­men­hang mit dem Be­such kos­ten­pflich­ti­ger Ein­rich­tun­gen, und ein Ta­ge­geld für Ver­pfle­gungs­mehr­auf­wen­dun­gen (§ 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3, § 7 LRKG NRW).


b) Die Klas­sen­fahrt vom 22. bis zum 26. Sep­tem­ber 2008 wur­de am 1. Sep­tem­ber 2007 als mehrtägi­ge Dienst­rei­se ge­neh­migt. Zwi­schen den Par­tei­en be­steht auch kein Streit darüber, dass die Auf­wen­dun­gen der Kläge­rin in ei­ner Ge­samthöhe von 234,50 Eu­ro not­wen­dig wa­ren (vgl. § 3 Abs. 3 LRKG NRW). We­gen der teil­wei­sen Er­stat­tung iHv. 28,45 Eu­ro ver­bleibt die streit­ge­genständ­li­che Dif­fe­renz iHv. 206,05 Eu­ro.

c) Die Kläge­rin wahr­te auch die Aus­schluss­fris­ten von sechs Mo­na­ten nach § 3 Abs. 6 LRKG NRW und § 37 Abs. 1 Satz 1 TV-L. Sie ver­lang­te ge­genüber dem be­klag­ten Land mit Schrei­ben vom 20. Ja­nu­ar 2009 die Er­stat­tung die­ser Rei­se­kos­ten. Es kann des­halb da­hin­ste­hen, ob die Aus­schluss­frist des § 37 Abs. 1 Satz 1 TV-L für die Gel­tend­ma­chung von Rei­se­kos­ten über­haupt ne­ben § 3 Abs. 6 LRKG NRW An­wen­dung fin­det.

II. Un­ent­schie­den blei­ben kann auch, ob der „Ver­zicht“ der Kläge­rin sie dar­an hin­der­te, ei­nen wirk­sa­men An­trag auf Rei­se­kos­ten­er­stat­tung zu stel­len. Je­den­falls ist es dem be­klag­ten Land gemäß § 242 BGB ver­wehrt, sich auf ei­nen sol­chen Ver­zicht zu be­ru­fen.

1. Nach § 3 Abs. 6 Satz 3 LRKG NRW können Dienst­rei­sen­de vor An­tritt ei­ner Dienst­rei­se un­wi­der­ruf­lich schrift­lich erklären, dass sie kei­nen An­trag auf Rei­se­kos­ten­vergütung stel­len. Gemäß Nr. 3.4 WRL ist für den An­trag auf Ge­neh­mi­gung als Schul­ver­an­stal­tung und die Dienst­rei­se­ge­neh­mi­gung das
 


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die­sen Richt­li­ni­en als An­la­ge bei­gefügte Form­blatt zu be­nut­zen. Dort kann die Be­gleit­per­son erklären, dass die Ver­an­stal­tung, ob­wohl die zu zah­len­de Rei­se­kos­ten­vergütung durch ent­spre­chen­de Haus­halts­mit­tel nicht ge­deckt sei, trotz­dem durch­geführt wer­den sol­le, weil an­spruchs­be­rech­tig­te Be­gleit­per­so­nen auf die Zah­lung der Rei­se­kos­ten­vergütung ver­zich­te­ten, so­weit Mit­tel nicht zur Verfügung stünden. Ei­nen sol­chen „Ver­zicht“ erklärte die Kläge­rin hin­sicht­lich der streit­ge­genständ­li­chen Rei­se­kos­ten un­ter Ab­schn. B Nr. 3 in ei­nem von der Schu­le vor­ge­leg­ten For­mu­lar.


2. Zwin­gen­des Ta­rif­recht steht der Wirk­sam­keit ei­nes sol­chen „Ver­zichts“ nicht ent­ge­gen. Gemäß § 4 Abs. 3 TVG dürfen ta­rif­li­che Ansprüche auch dis­po­si­tiv ge­stal­tet wer­den.


3. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat in re­vi­si­ons­recht­lich nicht zu be­an­stan­den­der Wei­se an­ge­nom­men, dem be­klag­ten Land sei es we­gen un­red­li­chen Er­werbs der ei­ge­nen Rechts­stel­lung ver­wehrt, der Kläge­rin ih­re Ver­zichts­erklärung ent­ge­gen­zu­hal­ten. Dies stel­le nach § 242 BGB ei­ne un­zulässi­ge Rechts­ausübung dar.


a) Die Würdi­gung der Tat­sa­chen­ge­rich­te, ob bei ei­ner be­stimm­ten Sach­la­ge ei­ne un­zulässi­ge Rechts­ausübung vor­liegt, ist in der Re­vi­si­ons­in­stanz als An­wen­dung ei­nes un­be­stimm­ten Rechts­be­griffs nur ein­ge­schränkt dar­auf über­prüfbar, ob das an­ge­foch­te­ne Ur­teil den Rechts­be­griff selbst ver­kannt hat, ob es bei der Un­ter­ord­nung des Sach­ver­halts un­ter die maßgeb­li­che Rechts­norm Denk­ge­set­ze oder all­ge­mei­ne Er­fah­rungssätze ver­letzt hat, ob es al­le we­sent­li­chen Umstände berück­sich­tigt hat und ob es in sich wi­der­spruchs­frei ist (vgl. BAG 9. De­zem­ber 2009 -10 AZR 850/08 - Rn. 34, AP TVG § 1 Ta­rif­verträge: Bau Nr. 318). Die Ausführun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts hal­ten die­sem ein­ge­schränk­ten Prüfungs­maßstab stand.

b) Treu­wid­ri­ges Ver­hal­ten ei­nes Ver­trags­part­ners kann da­zu führen, dass ihm die Ausübung ei­nes ihm zu­ste­hen­den Rechts zu ver­sa­gen ist, wenn er sich die­ses Recht ge­ra­de durch treu­wid­ri­ges Ver­hal­ten ver­schafft hat (BGH 28. Ok­to­ber 2009 - IV ZR 140/08 - Rn. 21 mwN, NJW 2010, 289). Ob ein



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Rechts­miss­brauch ge­ge­ben ist, muss an­hand der Umstände des Ein­zel­falls be­ant­wor­tet wer­den (BAG 18. Au­gust 2009 - 9 AZR 517/08 - Rn. 37, AP Tz­B­fG § 8 Nr. 28 = EzA Tz­B­fG § 8 Nr. 24). Für ei­ne un­zulässi­ge Rechts­ausübung müssen Umstände vor­lie­gen, die ei­ne Rechts­ausübung im Ein­zel­fall als grob un­bil­li­ge, mit der Ge­rech­tig­keit nicht mehr zu ver­ein­ba­ren­de Be­nach­tei­li­gung er­schei­nen las­sen, sie al­so zu ei­nem schlecht­hin un­zu­mut­ba­ren Er­geb­nis führt (BAG 7. No­vem­ber 1995 - 9 AZR 541/94 - zu 4 b der Gründe mwN). Die Rechts­ausübung muss als sol­che zu miss­bil­li­gen sein, weil sie der Ver­fol­gung ei­nes rück­sichts­lo­sen Ei­gen­nut­zes zum Nach­teil des Ver­trags­part­ners dient. Al­ler­dings ist es noch kein Miss­brauch, wenn ein Be­rech­tig­ter die ihm er­kenn­ba­ren In­ter­es­sen des an­de­ren un­berück­sich­tigt lässt (BAG 13. Ju­ni 2006 - 9 AZR 423/05 - Rn. 15, BA­GE 118, 262). Der­je­ni­ge, der den Rechts­miss­brauch ein­wen­det, ist für die zu­grun­de lie­gen­den Tat­sa­chen dar­le­gungs- und be­weis­be­las­tet (BAG 18. Au­gust 2009 - 9 AZR 517/08 - aaO).


c) Die­se Vor­aus­set­zun­gen ei­ner un­zulässi­gen Rechts­ausübung sind nach den Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts bezüglich des Be­ru­fens auf die Ver­zichts­erklärung erfüllt. Das be­klag­te Land ver­letzt da­mit sei­ne Fürsor­ge­pflicht ge­genüber den bei ihm an­ge­stell­ten Lehr­kräften. Die Re­vi­si­on hat in­so­weit kei­ne re­vi­si­blen Rechts­feh­ler des Lan­des­ar­beits­ge­richts auf­ge­zeigt. Das Be­ru­fungs­ge­richt hat we­der den Rechts­be­griff selbst ver­kannt, noch ist die Sub­sum­ti­on oh­ne Berück­sich­ti­gung der maßge­ben­den Umstände er­folgt.

aa) Mit der sich aus den WRL er­ge­ben­den Pra­xis des be­klag­ten Lan­des, die an der Klas­sen­fahrt teil­neh­men­den Leh­rer darüber ent­schei­den zu las­sen, ob sie auf die Er­stat­tung ih­rer Rei­se­kos­ten ver­zich­ten, da­mit die Schul­ver­an­stal­tung statt­fin­den kann, führt es die Leh­rer in ei­nen un­zu­mut­ba­ren In­ter­es­sen­wi­der­streit. Nach Nr. 3.3 WRL darf die Dienst­rei­se, so­weit nicht gewähr­leis­tet ist, dass Rei­se­kos­ten­mit­tel in aus­rei­chen­der Höhe zur Verfügung ste­hen, nur ge­neh­migt wer­den, wenn ua. die teil­neh­men­den Leh­re­rin­nen und Leh­rer zu­vor schrift­lich auf die Zah­lung der Rei­se­kos­ten­vergütung ver­zich­ten. Das be­klag­te Land verstößt mit die­ser Kop­pe­lung treu­wid­rig ge­gen sei­ne ge­genüber den Lehr­kräften be­ste­hen­de Fürsor­ge­pflicht.


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(1) Schul­wan­de­run­gen und Schul­fahr­ten sind Be­stand­tei­le der Bil­dungs- und Er­zie­hungs­ar­beit der Schu­len (Nr. 1 WRL). Es han­delt sich um Schul­ver­an­stal­tun­gen (Nr. 4.2 Satz 1 WRL). Des­halb sind Schüle­rin­nen und Schüler nach § 43 Abs. 1 SchulG NRW zur Teil­nah­me ver­pflich­tet. Für die Leh­re­rin­nen und Leh­rer gehört die Teil­nah­me gemäß Nr. 4.1 WRL zu ih­ren dienst­li­chen Auf­ga­ben. Sie ist Ge­gen­stand ih­rer Dienst­pflicht (vgl. BAG 26. April 1985 - 7 AZR 432/82 - zu II 2 der Gründe, BA­GE 48, 327). Zu­dem muss den Leh­rern im In­ter­es­se ei­ner gu­ten und ab­wechs­lungs­rei­chen Un­ter­richts­ge­stal­tung, zur Förde­rung des Ge­mein­schafts­gefühls und des so­zia­len Ver­hal­tens der Schüler dar­an ge­le­gen sein, Schüler- und Klas­sen­fahr­ten re­gelmäßig durch­zuführen. Die­se stel­len die Fortführung des Un­ter­richts in an­de­rer Form dar und die­nen der Ver­wirk­li­chung der staat­li­chen Bil­dungs­zie­le (vgl. Baye­ri­scher VGH 2. Au­gust 2007 - 14 B 04.3576 - zu 2 c aa der Gründe, ZBR 2008, 270). Das bil­dungs­ver­ant­wort­li­che Land und die Schu­le ha­ben des­halb grundsätz­lich die zur Erfüllung die­ser Bil­dungs­zie­le not­wen­di­gen Mit­tel selbst zur Verfügung zu stel­len (§ 92 SchulG NRW).


(2) Mit der Über­tra­gung der Ver­ant­wor­tung auf die Leh­rer, ei­nen Teil die­ser Mit­tel selbst zu tra­gen oder die Ver­wirk­li­chung der dem Land gemäß Art. 8 Abs. 1 der Ver­fas­sung für das Land Nord­rhein-West­fa­len ob­lie­gen­den Bil­dungs­auf­ga­be zu be­ein­träch­ti­gen, bringt das be­klag­te Land die bei ihm an­ge­stell­ten Leh­rer in ei­nen un­zu­mut­ba­ren Ge­wis­sens­kon­flikt. Ih­nen wird die staat­li­che Ver­ant­wor­tung für die Ge­stal­tung ei­nes gu­ten und ab­wechs­lungs­rei­chen Un­ter­richts aus rein fis­ka­li­schen Gründen auf­gebürdet (vgl. Baye­ri­scher VGH 2. Au­gust 2007 - 14 B 04.3576 - zu 2 c aa der Gründe, ZBR 2008, 270).


bb) Auch ist die Ent­schei­dung ei­ner Lehr­kraft, nicht auf die Er­stat­tung der Rei­se­kos­ten zu ver­zich­ten und da­mit die Ge­neh­mi­gung der Klas­sen­fahrt zu ver­hin­dern, ge­eig­net, ihr Verhält­nis zu den be­trof­fe­nen El­tern und Schülern und da­mit auch die pädago­gi­sche Tätig­keit zu be­ein­träch­ti­gen. So ist den Schüle­rin­nen und Schülern und de­ren Er­zie­hungs­be­rech­tig­ten nach Nr. 2.5 WRL durch ei­ne frühzei­ti­ge Pla­nung Ge­le­gen­heit zu ge­ben, die vor­aus­sicht­lich ent­ste­hen­den Kos­ten der Schul­wan­de­rung oder Schul­fahrt an­zu­spa­ren. Es ist
 


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na­he­lie­gend, dass die­ser Per­so­nen­kreis, der die ent­ste­hen­den Kos­ten schon ganz oder teil­wei­se an­ge­spart hat, kaum Verständ­nis dafür ha­ben wird, dass die Klas­sen­fahrt nicht statt­fin­det, weil die Lehr­kraft nicht be­reit ist, auf die Er­stat­tung ih­rer Rei­se­kos­ten zu ver­zich­ten.

cc) Zu­dem be­steht für die Lehr­kraft, die sich wei­gert, ei­ne Ver­zichts­erklärung ab­zu­ge­ben, die Ge­fahr ei­nes An­se­hens­ver­lusts bei der Schul­lei­tung. Da­mit las­sen sich auch wei­te­re nach­tei­li­ge Aus­wir­kun­gen auf die dienst­li­che Be­ur­tei­lung der Lehr­kraft nicht mit Si­cher­heit aus­sch­ließen. Dies hat das be­klag­te Land auch er­kannt und des­halb in Nr. 6.3 VVzL­RKG zu § 3 LRKG NRW be­stimmt, dass dem Dienst­rei­sen­den, der auf die Er­stat­tung sei­ner Rei­se­kos­ten nicht ver­zich­tet, kei­ne Nach­tei­le ent­ste­hen dürfen. Dies schützt mögli­cher­wei­se vor un­mit­tel­ba­ren Nach­tei­len. Mit­tel­ba­re nach­tei­li­ge Aus­wir­kun­gen las­sen sich da­mit al­ler­dings kaum ver­mei­den. Je­den­falls ist es verständ­lich, wenn sich ei­ne Lehr­kraft we­gen der Ge­fahr sol­cher nach­tei­li­gen Aus­wir­kun­gen ge­zwun­gen sieht, ge­ne­rell die ver­lang­ten Ver­zichts­erklärun­gen ab­zu­ge­ben.

4. Der An­nah­me ei­ner un­zulässi­gen Rechts­ausübung steht nicht ent­ge­gen, dass ta­rif­lich gemäß § 23 Abs. 4 TV-L iVm. § 3 Abs. 6 Satz 3 LRKG NRW, Nr. 3.3 WRL ein sol­cher Ver­zicht ge­ne­rell zulässig ist.


Ta­rif­li­che Blan­kett­ver­wei­sun­gen auf Be­am­ten­recht sol­len gewähr­leis­ten, dass der An­ge­stell­te ge­genüber dem ver­gleich­ba­ren Be­am­ten gleich­ge­stellt wird (BAG 11. Ju­li 2012 - 10 AZR 203/11 - Rn. 16, NZA-RR 2012, 582; 11. Sep­tem­ber 2003 - 6 AZR 323/02 - zu II 2 b cc der Gründe, BA­GE 107, 272). Sie sind kei­ne un­zulässi­ge De­le­ga­ti­on der ta­rif­li­chen Rechts­set­zungs­be­fug­nis, da die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en da­von aus­ge­hen können, dass die be­am­ten­recht­li­chen Re­ge­lun­gen sach­ge­recht sind. Denn der Staat ist ge­genüber sei­nen Be­am­ten zur Fürsor­ge ver­pflich­tet (BAG 16. Mai 2002 - 8 AZR 426/01 - zu B II 2 b der Gründe, Ez­BAT BAT §§ 22, 23 M. Leh­rer Nr. 103). Stellt die nor­ma­tiv ge­ne­rell zu­ge­las­se­ne Pra­xis ge­genüber Be­am­ten aber ei­ne un­zulässi­ge Rechts­ausübung dar, muss dies für die auf der­sel­ben nor­ma­ti­ven Rechts­grund­la­ge ba­sie­ren­de glei­che Pra­xis ge­genüber An­ge­stell­ten eben­so gel­ten.



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B. Das be­klag­te Land hat die Kos­ten sei­ner er­folg­lo­sen Re­vi­si­on gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tra­gen.

Brühler 

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Mer­te 

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