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ARBEITSRECHT AKTUELL // 07/14

Bun­des­ar­beits­ge­richt hilft Teil­zeit­kräf­ten bei Ar­beits­zeit­ver­län­ge­rung

Der Wunsch des Ar­beit­ge­bers nach ei­nem ta­rif­lich nicht ge­bun­de­nen Ver­trag ist kein be­trieb­li­cher Ab­leh­nungs­grund im Sin­ne von § 9 Tz­B­fG: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 08.05.2007, 9 AZR 874/06
Wanduhr Teil­zeit­kräf­te kön­nen Auf­sto­ckung ih­rer Ar­beits­zeit ver­lan­gen, falls es Voll­zeit­ar­beits­plät­ze gibt

28.05.2007. Wenn der Ar­beit­ge­ber ei­nen frei­en Voll­zeit­ar­beits­platz zu be­set­zen hat, d.h. wenn er je­man­den sucht, dann muss er ge­mäß ge­mäß § 9 Teil­zeit- und Be­fris­tungs­ge­setz (Tz­B­fG) die Ar­beits­zeit ei­ner Teil­zeit­kraft auf de­ren Wunsch hin auf­sto­cken, es sein denn, dass drin­gen­de "be­trieb­li­che" Grün­de oder die Ar­beits­zeit­wün­sche an­de­rer Teil­zeit­ar­beit­neh­mer die­sem Wunsch nach ei­ner Ver­län­ge­rung der Ar­beits­zeit ent­ge­gen­ste­hen.

Teil­zeit­ar­beit­neh­mer ha­ben da­her ei­nen ge­setz­li­chen An­spruch auf Ver­län­ge­rung ih­rer Ar­beits­zeit, dem ge­gen­über sich der Ar­beit­ge­ber auf "be­trieb­li­che" Ab­leh­nungs­grün­de be­ru­fen kann.

Vom Ge­setz nicht ein­deu­tig be­ant­wor­tet ist die Fra­ge, ob auch der Wunsch des Ar­beit­ge­bers nach Schaf­fung ei­ner ta­rif­lich un­ge­bun­de­nen Voll­zeit­stel­le ein sol­cher Ab­leh­nungs­grund ist, wenn ei­ne Teil­zeit­kraft mit ta­rif­lich ge­bun­de­nem Ver­trag um Auf­sto­ckung ih­rer Ar­beits­zeit bit­tet.

Die­se Fra­ge hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) in ei­nem ei­nem ak­tu­el­len Ur­teil ge­klärt: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 08.05.2007, 9 AZR 874/06.

Sind recht­li­che Ge­stal­tungswünsche wie der Wunsch nach ei­nem ta­rif­lich nicht ge­bun­de­nen Ver­trag be­trieb­li­che Ab­leh­nungs­gründe im Sin­ne von § 9 Tz­B­fG?

§ 9 Tz­B­fG ver­schafft dem in Teil­zeit beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer, der ger­ne länger ar­bei­ten möch­te, ei­nen An­spruch dar­auf, dass er bei der Be­set­zung ei­nes ent­spre­chen­den frei­en Ar­beits­plat­zes bei glei­cher Eig­nung be­vor­zugt berück­sich­tigt wird. Die­se Vor­schrift lau­tet:

"Der Ar­beit­ge­ber hat ei­nen teil­zeit­beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer, der ihm den Wunsch nach ei­ner Verlänge­rung sei­ner ver­trag­lich ver­ein­bar­ten Ar­beits­zeit an­ge­zeigt hat, bei der Be­set­zung ei­nes ent­spre­chen­den frei­en Ar­beits­plat­zes bei glei­cher Eig­nung be­vor­zugt zu berück­sich­ti­gen, es sei denn, dass drin­gen­de be­trieb­li­che Gründe oder Ar­beits­zeitwünsche an­de­rer teil­zeit­beschäftig­ter Ar­beit­neh­mer ent­ge­gen­ste­hen."

Wie § 9 Tz­B­fG deut­lich macht, setzt der An­spruch auf Ver­tragsände­rung vor­aus,

  • dass es ei­nen frei­en Ar­beits­platz gibt, d.h. ei­ne Stel­le, für die der Ar­beit­ge­ber ei­nen Ar­beit­neh­mer sucht,
  • dass der Ar­beit­neh­mer für die­se Stel­le ge­eig­net ist, und zwar min­des­tens zu so gut wie et­wai­ge an­de­re Be­wer­ber,
  • und dass we­der "drin­gen­de be­trieb­li­che Gründe" noch die "Ar­beits­zeitwünsche an­de­rer teil­zeit­beschäftig­ter Ar­beit­neh­mer" nach ei­ner Auf­sto­ckung ih­rer Ar­beits­zeit dem Verlänge­rungs­wunsch des Teil­zeit­ar­beit­neh­mers ent­ge­gen­ste­hen.

Frag­lich ist, ob sich der Ar­beit­ge­ber auf drin­gen­de "be­trieb­li­che" Gründe be­ru­fen kann, wenn er bei der Be­set­zung ei­nes frei­en Voll­zeit­ar­beits­plat­zes gleich­zei­tig die Ver­trags­be­din­gun­gen an­ders ge­stal­ten möch­te als das sonst im Be­trieb üblich ist, al­so bei­spiels­wei­se oh­ne Be­zug­nah­me auf Ta­rif­verträge bzw. „ta­rif­frei“. Der An­spruch des teil­zeit­beschäftig­ten Ar­beit­neh­mers auf ei­ne Ver­tragsände­rung al­lein in be­zug auf die Ar­beits­zeit stößt sich dann mit dem ar­beits­ver­trag­li­chen Ge­stal­tungswünschen des Ar­beit­ge­bers.

Aber sind die­se recht­li­chen Ge­stal­tungswünsche "drin­gen­de be­trieb­li­che Gründe" im Sin­ne von § 9 Tz­B­fG?

Der Fall des BAG: Halb­tags­kraft mit Ta­rifar­beits­ver­trag möch­te voll­zei­tig ar­bei­ten, der Ar­beit­ge­ber möch­te aber ei­nen ta­ri­fun­ge­bun­de­nen Voll­zeit­ar­beits­ver­trag ver­ein­ba­ren

Der kla­gen­de Ar­beit­neh­mer war bei dem be­klag­ten Ar­beit­ge­ber seit lan­gem als Dis­po­nent mit ei­ner Ar­beits­zeit von zu­letzt wöchent­lich 20 St­un­den beschäftigt. Im Ar­beits­ver­trag war ge­re­gelt, dass die Ta­rif­verträge des Kraft­fahr­zeug­ge­wer­bes Bay­ern An­wen­dung fin­den. Nach dem ein­schlägi­gen Man­tel­ta­rif­ver­trag beträgt die re­gelmäßige wöchent­li­che Ar­beits­zeit ei­nes Ar­beit­neh­mers in Voll­zeit 36 St­un­den und kann mit sei­ner Zu­stim­mung auf 40 St­un­den in der Wo­che verlängert wer­den.

Im Jah­re 2005 schrieb der Ar­beit­ge­ber vier neue Stel­len für die Tätig­keit ei­nes Dis­po­nen­ten aus. Nach der Stel­len­aus­schrei­bung han­del­te es sich um Voll­zeit­stel­len, die oh­ne Ta­rif­an­wen­dung vergütet wer­den soll­ten. Der Kläger ver­lang­te dar­auf­hin vom Ar­beit­ge­ber die Zu­stim­mung zur Verlänge­rung sei­ner re­gelmäßigen ver­trag­li­chen Ar­beits­zeit auf 36 St­un­den, hilfs­wei­se auf 40 St­un­den in der Wo­che. Dies lehn­te der Ar­beit­ge­ber ab. Zur Be­gründung führ­te er an, dass es sich bei den Ar­beitsplätzen nicht um Ar­beitsplätze hand­le, die nach § 9 Tz­B­fG be­setzt wer­den können, da die neu­en Ar­beits­verträge für die­se Ar­beitsplätze „ta­rif­frei“, d.h. oh­ne Ta­rif­an­wen­dung ge­schlos­sen wer­den soll­ten.

Der dar­auf­hin vom Ar­beit­neh­mer er­ho­be­nen Kla­ge gab das Ar­beits­ge­richt statt, während das Lan­des­ar­beits­ge­richt Düssel­dorf sie ab­wies. Hier­ge­gen leg­te der Kläger Re­vi­si­on beim Bun­des­ar­beits­ge­richt ein.

BAG: Der Wunsch des Ar­beit­ge­bers nach ei­nem ta­rif­lich nicht ge­bun­de­nen Ver­trag ist kein be­trieb­li­cher Ab­leh­nungs­grund im Sin­ne von § 9 Tz­B­fG

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt ent­schied zu­guns­ten des Ar­beit­neh­mers, d.h. es hob das Be­ru­fungs­ur­teil auf und ver­wies die Sa­che zur er­neu­ten Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das Lan­des­ar­beits­ge­richt Düssel­dorf zurück.

Zur Be­gründung heißt es, der Kläger ha­be ei­nen An­spruch auf Verlänge­rung sei­ner Ar­beits­zeit­gemäß § 9 Tz­B­fG . Da­bei ver­weist das BAG auf den Wort­laut von § 9 Tz­B­fG, in dem le­dig­lich von ei­nem „ent­spre­chen­den frei­en Ar­beits­platz“ die Re­de ist. Das ist, so das BAG, ein be­trieb­lich de­fi­nier­ter Ar­beits­be­darf und nicht ein recht­lich de­fi­nier­ter Ar­beits­ver­trag.

Da­her muss­te der Ar­beit­ge­ber hier im Streit­fall gemäß § 9 Tz­B­fG den Wunsch sei­nes teil­zeit­beschäftig­ten Ar­beit­neh­mers be­vor­zugt berück­sich­ti­gen, und zwar un­abhängig von dem ar­beits­ver­trag­li­chen Ge­stal­tungs­wunsch, den Voll­zeit­ver­trag oh­ne Ta­rif­an­wen­dung aus­ge­stal­ten wol­len.

Da noch auf­zuklären war, ob die zu be­set­zen­de Dis­po­nen­ten­stel­le ei­nen Beschäfti­gungs­um­fang von 36 oder 40 St­un­den in der Wo­che ha­ben soll­te, konn­te das Bun­des­ar­beits­ge­richt die Sa­che nicht selbst ent­schei­den und muss­te sie da­her an das Lan­des­ar­beits­ge­richt Düssel­dorf zur wei­te­ren Ver­hand­lung zurück­ver­wei­sen.

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Letzte Überarbeitung: 6. Februar 2017

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