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ARBEITSRECHT AKTUELL // 10/088

Mit Tex­ter­stel­lung be­fass­te An­zei­gen­re­dak­teu­re sind Ten­denz­trä­ger

Kein Mit­be­stim­mungs­recht des Be­triebs­rats bei be­trieb­li­cher Bil­dung: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Be­schluss vom 20.04.2010, 1 ABR 78/08
Unterrichtsraum mit Kursleiter hinter Lehrerpult und einer Kursteilnehmerin, beide stehend Be­triebs­rat: Mit­be­stim­mung bei Fort­bil­dungs­ver­an­stal­tung
07.05.2010. Ei­gent­lich darf der Be­triebs­rat in Be­trie­ben mit­be­stim­men, wenn der Ar­beit­ge­ber be­trieb­li­che Fort­bil­dun­gen durch­führt. Das gilt je­doch nicht, wenn die Ar­beit­neh­mer, die die Fort­bil­dung er­hal­ten sol­len, Ten­denz­trä­ger in ei­nem Ten­denz­be­trieb sind, al­so ei­nem Be­trieb der un­mit­tel­bar und über­wie­gend Zwe­cken der Mei­nungs­äu­ße­rung oder Be­richt­er­stat­tung dient (§ 118 Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz).

An­zei­gen­re­dak­teu­re in Zei­tungs­ver­la­gen schei­nen zu­nächst eher we­nig mit der Ver­wirk­li­chung der Mei­nungs­äu­ße­rung und Be­richt­er­stat­tung zu tun zu ha­ben und des­halb kei­ne Ten­denz­trä­ger zu sein. Die vor­lie­gen­de Ent­schei­dung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG) stellt je­doch klar, dass auch An­zei­gen­re­dak­teu­re ei­nes Zei­tungs­ver­lags un­ter be­stimm­ten Vor­aus­set­zun­gen­Ten­denz­trä­ger sein kön­nen: BAG, Be­schluss vom 20.04.2010, 1 ABR 78/08.

Ein­schränkung der Mit­be­stim­mung des Be­triebs­rats bei Ten­denz­be­trie­ben

Das Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz (Be­trVG) re­gelt un­ter an­de­rem die Mit­be­stim­mungs­rech­te des Be­triebs­rats in wirt­schaft­li­chen, per­so­nel­len und so­zia­len An­ge­le­gen­hei­ten. Al­ler­dings fin­det sich in § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Be­trVG ei­ne Ein­schränkung für so ge­nann­te Ten­denz­be­trie­be, d.h. Be­trie­be, die un­mit­tel­bar und über­wie­gend Zwe­cken der Be­richt­er­stat­tung oder Mei­nungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Grund­ge­setz -GG-) die­nen.

Dort ist die Mit­be­stim­mung des Be­triebs­rats zwar nicht vollständig aus­ge­schlos­sen, sie fin­det aber kei­ne An­wen­dung, so­weit die Ei­gen­art des Un­ter­neh­mens oder des Be­triebs dem ent­ge­gen­steht. Des­halb ist es je­weils ei­ne Fra­ge des Ein­zel­falls, ob der Be­triebs­rat in ei­ner be­stimm­ten An­ge­le­gen­heit ein Mit­be­stim­mungs­recht hat oder nicht.

Ty­pi­sche Ten­denz­be­trie­be sind z.B. Zei­tungs­ver­la­ge, da ihr Zweck in der Be­richt­er­stat­tung und Mei­nungsäußerung liegt. Al­ler­dings be­deu­tet dies nicht, dass auch al­le Beschäftig­ten dort „Ten­denzträger“ sind. Die Mit­be­stim­mung in per­so­nel­len An­ge­le­gen­hei­ten in Be­zug auf Beschäftig­te, de­ren Tätig­keit mit der Mei­nungsäußerung und Be­richt­er­stat­tung gar nicht zu­sam­menhängt, ist des­halb nicht ein­ge­schränkt.

Da­bei kommt es nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG) dar­auf an, dass die Ten­denz­ver­wirk­li­chung für die Tätig­keit des Beschäftig­ten „prägend“ ist.

Es ist des­we­gen re­la­tiv ein­deu­tig, dass Zei­tungs­re­dak­teu­re Ten­denzträger sind; das gilt auch für Sport­re­dak­teu­re (BAG, Be­schluss vom 09.12.1975, 1 ABR 37/74) und Lo­kal­re­dak­teu­re (BAG, Be­schluss vom 07.11.1975, 1 ABR 37/74). Da­ge­gen ist dies bei An­zei­gen­re­dak­teu­ren pro­ble­ma­ti­scher. Da sich An­zei­gen­re­dak­teu­re nicht mit dem „in­halt­li­chen“ Teil der Zei­tung son­dern mit der „Wer­bung“ von Kun­den be­fas­sen, scheint es zunächst fern lie­gend, sie als Ten­denzträger an­zu­se­hen.

Mit dem Pro­blem, ob An­zei­gen­re­dak­teu­re ei­ner Zei­tung Ten­denzträger im Sin­ne von § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 sind, be­fasst sich die vor­lie­gen­de Ent­schei­dung des BAG (Be­schluss vom 20.04.2010, 1 ABR 78/08).

Der Fall des BAG: Pho­to­shop-Fort­bil­dung für An­zei­gen­re­dak­teu­re ei­ner Zei­tung. Be­triebs­rat ist da­ge­gen.

Ein Zei­tungs­ver­lag be­ab­sich­tig­te, vier An­zei­gen­re­dak­teu­re zu ei­ner be­trieb­li­chen Fort­bil­dung mit dem The­ma „Ado­be Pho­to­shop CS2 – Fir­men­se­mi­nar“ zu schi­cken. Dies teil­te er dem im Be­trieb be­ste­hen­den Be­triebs­rat im März 2007 mit und ver­lang­te gemäß § 98 Be­trVG zunächst die Zu­stim­mung des Be­triebs­rats hier­zu.

Der Be­triebs­rat ver­wei­ger­te die Zu­stim­mung, da er die Auf­fas­sung ver­trat, Bild­be­ar­bei­tungs­kennt­nis­se sei­en für die An­zei­gen­re­dak­teu­re nicht er­for­der­lich. Die Zu­si­che­rung des Ar­beit­ge­bers, die Tätig­keit der im Be­reich Bild­be­ar­bei­tung Beschäftig­ten wer­de hier­durch nicht gefähr­det, führ­te zu kei­ner Ei­ni­gung.

Später mein­te der Ar­beit­ge­ber, dass der Be­triebs­rat so­wie­so kein Mit­be­stim­mungs­recht ha­be, da die An­zei­gen­re­dak­teu­re Ten­denzträger sei­en. Der Be­triebs­rat ging des­we­gen vor das Ar­beits­ge­richt Köln und be­an­trag­te, dem Ar­beit­ge­ber die Durchführung in­ner­be­trieb­li­cher Bil­dungs­maßnah­men für An­zei­gen­re­dak­teu­re oh­ne die Zu­stim­mung des Be­triebs­rats oder ei­nen Spruch der Ei­ni­gungs­stel­le zu un­ter­sa­gen.

Vor dem Ar­beits­ge­richt Köln un­ter­lag der Ar­beit­ge­ber. Denn nach Auf­fas­sung des Ge­richts wa­ren die An­zei­gen­re­dak­teu­re kei­ne Ten­denzträger, weil sie nur die Be­lan­ge der An­zei­gen­kun­den un­terstützen und nicht die Ten­denz des Zei­tungs­ver­la­ges ver­wirk­li­chen würden (Be­schluss vom 17.10.2007, 7 BV 122/07).

Das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Köln gab dem Ar­beit­ge­ber da­ge­gen Recht. Da die An­zei­gen­re­dak­teu­re hauptsächlich Tex­te und Bil­der für Son­der­veröffent­li­chun­gen zu spe­zi­el­len in Be­zug zu den An­zei­gen ste­hen­den The­men auswähl­ten, schrie­ben oder schrei­ben ließen, sei­en sie auch an der Ver­wirk­li­chung der Ten­denz des Be­trie­bes be­tei­ligt (Be­schluss vom 24.06.2008, 9 TaBV 74/07).

Ge­gen die­se Ent­schei­dung leg­te der Be­triebs­rat Rechts­be­schwer­de zum BAG ein.

Bun­des­ar­beits­ge­richt: Kein Mit­be­stim­mungs­recht des Be­triebs­rats. An­zei­gen­re­dak­teu­re sind Ten­denzträger

Vor dem BAG un­ter­lag der Be­triebs­rat eben­falls.

An­zei­gen­re­dak­teu­re sind nämlich nach Auf­fas­sung des BAG Ten­denzträger, wenn zu ih­rer Tätig­keit wie im vor­lie­gen­den Fall das Ver­fas­sen ei­ge­ner Tex­te und das Auswählen und Re­di­gie­ren an­de­rer Tex­te gehört. Denn sie ha­ben da­mit auf die Tex­te un­mit­tel­bar Ein­fluss.

Die vom Ar­beit­ge­ber an­vi­sier­te in­ner­be­trieb­li­che Bil­dungs­maßnah­me soll­te da­bei nach Auf­fas­sung des BAG Kennt­nis­se ver­mit­teln, die der Ten­denz­ver­wirk­li­chung der Zei­tung die­nen soll­ten, so das BAG wei­ter. Dem­ent­spre­chend stand dem Be­triebs­rat nach An­sicht des BAG ein Mit­be­stim­mungs­recht dies­bezüglich nicht zu.

Fa­zit: Die Ent­schei­dung des BAG (und die des LAG Köln) darf nicht zu der An­nah­me ver­lei­ten, dass An­zei­gen­re­dak­teu­re ge­ne­rell als Ten­denzträger an­zu­se­hen sind. Maßgeb­lich für das LAG Köln war je­den­falls, dass die An­zei­gen­re­dak­teu­re im hier ent­schie­de­nen Fall hauptsächlich sel­ber Tex­te ver­fass­ten und re­di­gier­ten.

An­zei­gen­re­dak­teu­re, die über­wie­gend die An­zei­gen nach den Wünschen der Kun­den er­stel­len, al­so an der Ent­schei­dung über den In­halt nicht mit­wir­ken, dürf­ten des­we­gen nach der Ar­gu­men­ta­ti­on des LAG Köln kei­ne Ten­denzträger sein. Ob das BAG die­se Auf­fas­sung teilt, wird sich erst nach Veröffent­li­chung der Ent­schei­dungs­gründe des BAG-Ur­teils sa­gen las­sen.

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Letzte Überarbeitung: 13. Juli 2016

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