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ARBEITSRECHT AKTUELL // 09/205

Aus­schluss­frist im AGG könn­te un­zu­läs­sig sein

Aus­schluss­frist im AGG: eu­ro­pa­rechts­kon­form?: Lan­des­ar­beits­ge­richt Ham­burg, Be­schluss vom 03.06.2009, 5 Sa 3/09
Drei Äpfel Wur­de die eu­ro­päi­sche Richt­li­nie in Deutsch­land rich­tig um­ge­setzt?
06.11.2009. Im Fal­le ei­ner Dis­kri­mi­nie­rung oder auch wenn ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung bspw. we­gen des Al­ters oder der eth­ni­schen Her­kunft nur ver­mu­tet wird, müs­sen Be­trof­fe­ne ih­re An­sprü­che in­ner­halb ei­ner zwei­mo­na­ti­gen Aus­schluss­frist gel­tend ma­chen.

Die Län­ge die­ser Frist wird je­doch viel­fach als zu kurz kri­ti­siert. Es ist wei­ter­hin un­klar, ob die Richt­li­nie 2000/78/EG durch das All­ge­mei­ne Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG) in aus­rei­chen­dem Ma­ße um­ge­setzt wur­de. Ei­ner­seits bil­den Fäl­le der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung der­zeit den Schwer­punkt der ju­ris­ti­schen Dis­kus­si­on, an­de­rer­seits be­steht die Kri­tik, das AGG ent­hiel­te nicht aus­rei­chend schwe­re Sank­tio­nen.

Nun­mehr hat­te das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Ham­burg die Mög­lich­keit, in die­sem Streit Po­si­ti­on zu be­zie­hen, LAG Ham­burg, Be­schluss vom 03.06.2009, 5 Sa 3/09.

Kei­ne Ab­leh­nung ei­nes Be­wer­bers auf­grund sei­nes Al­ters

Beschäftig­te sind im Er­werbs­le­ben durch das am 18.08.2006 in Kraft ge­tre­te­ne AGG vor Dis­kri­mi­nie­run­gen geschützt. Zu den nach dem Ge­setz ver­bo­te­nen Fällen ei­ner Dis­kri­mi­nie­rung gehört auch die Be­nach­tei­li­gung we­gen des Al­ters, wie z.B. die Ab­leh­nung ei­nes Stel­len­be­wer­bers we­gen sei­nes an­geb­lich zu jun­gen oder zu ho­hen Al­ters.

Gemäß § 11 AGG in Ver­bin­dung mit § 7 AGG müssen Stel­len­aus­schrei­bun­gen dis­kri­mi­nie­rungs­frei und da­her u.a. al­ter­s­neu­tral aus­ge­schrie­ben wer­den, d.h. so, dass sich ein fach­lich ge­eig­ne­ter Be­wer­ber un­ge­ach­tet sei­nes Al­ters an­ge­spro­chen fühlen kann.

Verstößt der Ar­beit­ge­ber bei Aus­schrei­bun­gen ge­gen die­se Pflicht und be­wirbt sich ei­ne „zu jun­ge“ oder „zu al­te“ Per­son ernst­haft, aber oh­ne Er­folg auf die dis­kri­mi­nie­rend aus­ge­schrie­be­ne Stel­le, be­steht gemäß § 22 AGG ei­ne ge­setz­li­che Ver­mu­tung dafür, dass ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters ge­ge­ben ist. Dann hat der Ar­beit­ge­ber zu be­wei­sen, dass die Ab­leh­nung des Be­wer­bers nicht auf­grund sei­nes Al­ters er­folg­te. Ge­lingt ihm die­ser Nach­weis nicht, steht dem Be­wer­ber ei­ne Gel­dentschädi­gung zu, die meist auf drei Mo­nats­gehälter be­grenzt ist (§ 15 Abs.2 Satz 2 AGG).

Der Entschädi­gungs­an­spruch des dis­kri­mi­nier­ten Be­wer­bers setzt nach § 15 Abs.4 AGG vor­aus, dass er sei­nen An­spruch bin­nen zwei Mo­na­ten nach der Ab­leh­nung schrift­lich ge­genüber dem Ar­beit­ge­ber gel­tend macht. Die­se Aus­schluss­frist ist viel­fach kri­ti­siert wor­den. Be­an­stan­det wird, dass die Be­trof­fe­nen häufig erst lan­ge Zeit nach dem Be­wer­bungs­ver­fah­ren von der Dis­kri­mi­nie­rung er­fah­ren und da­her die Zwei­mo­nats­frist des AGG zu kurz sei: Bei sons­ti­gen Dis­kri­mi­nie­run­gen be­ginnt sie mit der Kennt­nis des Be­trof­fe­nen von der Dis­kri­mi­nie­rung, d.h. später. Bemängelt wird auch, dass die­se Verkürzung des Rechts­schut­zes mit der hin­ter dem AGG ste­hen­den Richt­li­nie 2000/78/EG un­ver­ein­bar sei.

Der Fall: 41jähri­ge als Te­le­fo­nis­tin ab­ge­lehnt

Die be­klag­te Ar­beit­ge­be­rin an­non­cier­te in ei­ner Zei­tung ei­ne Stel­le als Call­cen­ter-Agent mit fol­gen­dem In­halt:

„Wir su­chen für un­ser jun­ges Team in der Ci­ty mo­ti­vier­te Mit­ar­bei­ter/in­nen. Du te­le­fo­nierst gern? Dann bist du ge­nau rich­tig bei uns. Wir ge­ben Dir die Möglich­keit so­gar da­mit Geld zu ver­die­nen. Du bist zwi­schen 18 – 35 Jah­re alt…“

Die 41jähri­ge Kläge­rin be­warb sich Mit­te No­vem­ber 2007 auf die Stel­l­an­zei­ge. Am 21.11.2007 er­hielt sie ih­re Be­wer­bungs­un­ter­la­gen mit ei­nem Ver­merk zurück, dass al­le Plätze be­legt sei­en. Statt der Kläge­rin wur­den zwei Frau­en des Jahr­gangs 1985 und 1987 ein­ge­stellt.

Die Kläge­rin ver­trat die An­sicht, dass sie die Stel­le we­gen Ih­res Al­ters nicht be­kom­men ha­be und for­der­te ei­ne Entschädi­gung in Höhe von drei Mo­nats­gehältern.

Oh­ne die Be­klag­te zunächst außer­ge­richt­lich zur Zah­lung auf­zu­for­dern, reich­te die Kläge­rin am 29.01.2008 Kla­ge ein, d. h. zehn Wo­chen nach der Stel­len­ab­sa­ge.

Die Ar­beit­ge­be­rin ver­tei­dig­te sich da­mit, dass zum Zeit­punkt des Be­wer­bungs­ein­gangs die Stel­le be­reits be­setzt ge­we­sen sei. Darüber hin­aus rügte sie die Nicht­ein­hal­tung der Aus­schluss­frist des § 15 Abs.4 AGG.

Das Ar­beits­ge­richt Ham­burg schloss sich der Rechts­an­sicht der Ar­beit­ge­be­rin an (Ur­teil vom 10.12.2008, 28 Ca 178/08). Die Fra­ge, ob tatsächlich ei­ne Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung ge­ge­ben war, muss­te sei­ner An­sicht nach nicht ent­schie­den wer­den, da der An­spruch der Kläge­rin be­reits auf­grund der Nicht­ein­hal­tung der Zwei­mo­nats­frist des § 15 Abs.4 AGG aus­ge­schlos­sen sei. Hier­ge­gen leg­te die mit ih­rer Kla­ge ab­ge­wie­se­ne Be­wer­be­rin Be­ru­fung zum LAG Ham­burg ein.

An­spruch auf Entschädi­gungs­zah­lung: Aus­schlußfrist be­ach­ten

Das LAG führ­te zunächst aus, dass die Be­klag­te zwar grundsätz­lich zur Zah­lung ei­nes Scha­dens­er­satz- und Entschädi­gungs­an­spruchs ver­pflich­tet sei, denn auf­grund der in der Stel­len­aus­schrei­bung ent­hal­te­nen Al­ters­be­gren­zung auf 35 Jah­ren sei ei­ne un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters an­zu­neh­men, die die Be­klag­ten nicht ent­kräften konn­te. Der An­spruch der Kläge­rin schei­te­re je­doch an der Frist des § 15 Abs.4 AGG, da die­se ih­ren An­spruch nicht in­ner­halb von zwei Mo­na­ten ge­genüber der Be­klag­ten gel­tend ge­macht ha­be.

Al­ler­dings zwei­felt das LAG an der Ver­ein­bar­keit der Aus­schluss­frist des AGG mit dem hin­ter dem AGG ste­hen­den eu­ropäischen Recht, so dass es den Rechts­streit aus­setz­te und dem EUGH im We­ge des Vor­ab­ent­schei­dungs­ver­fah­rens meh­re­re Fra­gen vor­leg­te, die es im We­sent­li­chen wie folgt erläutert:

Zunächst hält das Ge­richt die Aus­schluss­frist des § 15 Abs.4 AGG im Ver­gleich zu an­de­ren na­tio­na­len Fris­ten­re­ge­lun­gen für be­denk­lich. Denn im all­ge­mei­nen un­ter­liegt die Gel­tend­ma­chung von Entschädi­gungs- oder Scha­dens­er­satz­ansprüchen we­gen ei­nes vor­ver­trag­li­chen Ver­hal­tens des Ar­beit­ge­bers, so das Ge­richt, in Deutsch­land gar kei­ner Aus­schluss­frist, so dass sol­che Ansprüche in­ner­halb der all­ge­mei­nen Verjährungs­frist von drei Jah­ren gel­tend ge­macht wer­den können. Auch Scha­dens­er­satz­ansprüche we­gen Dis­kri­mi­nie­run­gen auf­grund an­de­rer Vor­schrif­ten des deut­schen Rechts, z.B. auf der Grund­la­ge von § 823 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB), un­ter­lie­gen nur der all­ge­mei­nen Verjährungs­frist von drei Jah­ren.

Außer­dem meint das LAG Ham­burg, dass nach eu­ropäischem Recht ein ef­fek­ti­ver Rechts­schutz zu gewähr­leis­ten sei. Dar­aus lei­tet das Ge­richt ab, dass kur­ze Aus­schluss­fris­ten wie die hier strei­ti­ge, die er­heb­lich kürzer als die all­ge­mei­nen Verjährungs­fris­ten sind, durch zwin­gen­de Gründe der Rechts­si­cher­heit ge­recht­fer­tigt sein müssen. Ei­ne sol­che Recht­fer­ti­gung sieht das LAG Ham­burg hier aber nicht als ge­ge­ben an.

Zwar sei es für den Ar­beit­ge­ber er­heb­lich, ob er Be­wer­bungs­un­ter­la­gen nur zwei Mo­na­te oder viel­mehr drei Jah­re auf­be­wah­ren müsse. Ein sol­cher Ver­wal­tungs­auf­wand sei aber nicht so un­verhält­nismäßig hoch, dass dis­kri­mi­nier­ten Be­wer­bern ei­ne nur zwei­mo­na­ti­ge Frist zu­zu­mu­ten sei. In die­sem Zu­sam­men­hang ver­wies das LAG auch auf die Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG), wo­nach ar­beits­ver­trag­li­che Aus­schluss­klau­seln, die zur Gel­tend­ma­chung von Ansprüche ei­ne kürze­re Frist als drei Mo­na­te vor­se­hen, ei­ne un­an­ge­mes­se­ne Be­nach­tei­li­gung des Ar­beit­neh­mers ent­hal­ten und da­her un­zulässig sind.

Sch­ließlich weist das LAG dar­auf hin, dass die Aus­schluss­frist des § 15 Abs. 4 AGG er­heb­lich kürzer als die in der Vorgänger­re­ge­lung (§ 611a Abs.4 BGB al­ter Fas­sung) ent­hal­te­ne Frist ist. Denn nach die­ser Re­ge­lung konn­ten, falls kei­ne kürze­ren ver­trag­li­chen oder ta­rif­li­chen Aus­schluss­fris­ten be­stan­den, Ansprüche we­gen ge­schlechts­be­ding­ter Dis­kri­mi­nie­rung in­ner­halb von sechs Mo­na­ten gel­tend ge­macht wer­den. So ge­se­hen ver­schlech­tert § 15 Abs.4 AGG die Rechts­po­si­ti­on der Be­trof­fe­nen und ste­he da­her im Wi­der­spruch zum Ver­schlech­te­rungs­ver­bot des Art. 8 der Richt­li­nie 2000/78/EG.

Fa­zit: Ob die Richt­li­nie 2000/78/EG durch das AGG aus­rei­chen­dem Maße um­ge­setzt wur­de, bleibt wei­ter­hin um­strit­ten. Zum ei­nen bil­den Fälle der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung der­zeit den Schwer­punkt der ju­ris­ti­schen Dis­kus­si­on, zum an­de­ren die Fra­ge, ob das AGG aus­rei­chend schwe­re bzw. ab­schre­cken­de Sank­tio­nen enthält. Die hier strei­ti­ge Aus­schluss­frist schwächt je­den­falls die Sank­tio­nen ab.

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Letzte Überarbeitung: 14. September 2016

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