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ARBEITSRECHT AKTUELL // 10/148

In Teil­zeit Ar­beit­neh­mer, in Voll­zeit Be­triebs­rat

Mehr­ar­beits­ver­gü­tung bei Über­schrei­tung der in­di­vi­du­el­len Ar­beits­zeit durch Be­triebs­rat­s­tä­tig­keit bleibt die Aus­nah­me: Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 11.06.2010, 6 Sa 675/10
Wanduhr Auch (oder ge­ra­de) Be­triebs­rä­te ma­chen Über­stun­den

02.08.2010. Sind die Mit­glie­der des Be­triebs­rats nicht ge­ne­rell von der Ar­beit frei­ge­stellt, ha­ben sie An­spruch auf be­zahl­te Frei­stel­lung von der Ar­beit, um ih­re Be­triebs­auf­ga­ben wahr­neh­men kön­nen.

An­de­rer­seits er­hal­ten Be­triebs­rä­te für ih­re eh­ren­amt­li­che Be­triebs­rat­s­tä­tig­keit kei­ne zu­sätz­li­che Ver­gü­tung. Die Be­triebs­rats­ar­beit von Teil­zeit­kräf­ten über­steigt aber manch­mal ih­re ver­trag­li­che Ar­beits­zeit. Dann fragt sich, ob es nicht an­stel­le von Frei­zeit­aus­gleich di­rekt mehr Lohn ge­ben soll­te. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Ber­lin-Bran­den­burg mach­te sich hier­zu kürz­lich Ge­dan­ken: LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 11.06.2010, 6 Sa 675/10.

Können teil­zeit­an­ge­stell­te Be­triebsräte mit um­fang­rei­chen Auf­ga­ben mehr Lohn for­dern?

Die Mit­glie­der des Be­triebs­rats führen ihr Amt un­ent­gelt­lich als Eh­ren­amt (§ 37 Abs.1 Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz - Be­trVG) und dürfen da­bei we­der be­nach­tei­ligt noch begüns­tigt wer­den (§ 78 Satz 2 Be­trVG). Des­halb wer­den Be­triebsräte in al­ler Re­gel le­dig­lich von ih­rer Ar­beit un­ter Fort­zah­lung der ver­trag­li­chen Vergütung frei­ge­stellt, oh­ne ein zusätz­li­ches Ent­gelt zu er­hal­ten.

Manch­mal ist es nicht möglich, Be­triebs­rats­auf­ga­ben in­ner­halb der re­gelmäßigen Ar­beits­zeit wahr­zu­neh­men. Auch hier se­hen § 37 Abs.3, Abs.6 Be­trVG zunächst vor, dass ein Be­triebs­rats­mit­glied An­spruch auf be­zahl­te Frei­stel­lung hat, wenn die Be­triebs­ratstätig­keit oder ei­ne Schu­lung aus "be­triebs­be­ding­ten Gründen" außer­halb der Ar­beits­zeit statt­fin­den muss.

Sol­che Gründe lie­gen bei­spiels­wei­se vor, wenn die Auf­ga­be we­gen der un­ter­schied­li­chen Ar­beits­zei­ten der Be­triebs­rats­mit­glie­der nicht in­ner­halb der persönli­chen Ar­beits­zeit al­ler Mit­glie­der er­fol­gen kann. Be­triebsräte soll­ten da­her dar­auf ach­ten, ob bei­spiels­wei­se Sit­zun­gen wirk­lich zwin­gend in die Frei­zeit von Be­triebs­rats­mit­glie­dern ge­legt wer­den müssen. An­dern­falls ist die zeit­li­che La­ge nämlich mögli­cher­wei­se nur "be­triebs­rats­be­dingt" und führt dann nicht zu ei­nem Frei­stel­lungs­an­spruch.

Hat das Be­triebs­rats­mit­glied ei­nen Frei­stel­lungs­an­spruch, dann muss die Frei­zeit in­ner­halb ei­nes Mo­nats ge­ge­ben wer­den; nur wenn dies aus "be­triebs­be­ding­ten Gründen" nicht möglich ist, dann ist die auf­ge­wen­de­te Zeit wie Mehr­ar­beit zu vergüten (§ 37 Abs.3 Satz 3 Be­trVG).

Ge­ra­de bei Teil­zeit­kräften in großen Be­trie­ben kann es pas­sie­ren, dass Be­triebs­rats­auf­ga­ben dau­er­haft im glei­chen Um­fang wie ei­ne Voll­zeit­kraft er­le­digt wer­den müssen und da­mit "be­triebs­be­dingt" (nämlich weil "zu we­nig" Ar­beits­zeit ver­ein­bart wur­de) außer­halb der Ar­beits­zeit lie­gen.

Vor fast zwan­zig Jah­ren hat­te das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Düssel­dorf (Ur­teil vom 19.05.1993, 18 Sa 215/93) sinn­gemäß ent­schie­den, dass Teil­zeit­kräfte re­gelmäßig nicht zunächst ei­nen Frei­stel­lungs­an­spruch, son­dern gleich ei­nen Vergütungs­an­spruch ha­ben, wenn die lau­fend ge­leis­te­te Be­triebs­ratstätig­keit de­ren wöchent­li­che Ar­beits­zeit über­steigt.

Das LAG Ber­lin-Bran­den­burg hat nun Ge­le­gen­heit, zu die­ser Fra­ge sei­ne Sicht der Din­ge zu präsen­tie­ren (Ur­teil vom 11.06.2010, 6 Sa 675/10).

Der Fall: Verkäufe­r­in in Teil­zeit ist Be­triebs­rat in Be­trieb mit hun­der­ten Ar­beit­neh­mern

Die Kläge­rin war bei der Be­klag­ten als Verkäufe­r­in beschäftigt. Ver­ein­bart war ei­ne Teil­zeittätig­keit von täglich knapp 3,5 St­un­den, ins­ge­samt re­gelmäßig 18 St­un­den pro Wo­che.

Sie ist Mit­glied ei­nes An­fang März 2009 erst­mals für ih­ren Be­trieb gewähl­ten Be­triebs­rats und des von die­sem ge­bil­de­ten Be­triebs­aus­schus­ses. Der Ar­beits­auf­wand in die­ser Gründungs­pha­se über­stieg ih­re Teil­zeit­beschäfti­gung deut­lich. An Sit­zun­gen nahm sie frei­tags je­weils sechs St­un­den so­wie mon­tags und diens­tags je­weils acht St­un­den teil. Außer­dem be­such­te sie im Mai ein Einführungs­se­mi­nar und ei­ne Schu­lung von je­weils 37 St­un­den Dau­er.

In sie­ben Wo­chen von Mai bis Ju­li 2009 muss­te sie je­weils vier St­un­den über ih­re re­gelmäßige Ar­beits­zeit hin­aus an Sit­zun­gen teil­neh­men. Auch die bei­den Schu­lun­gen dau­er­ten je­weils 19 St­un­den zusätz­lich.

Nach­dem die Kläge­rin von der be­klag­ten Ar­beit­ge­be­rin für die­se zusätz­li­che Tätig­keit ver­geb­lich ei­ne Vergütung ge­for­dert hat­te, ging sie vor Ge­richt. Das Ar­beits­ge­richt Ber­lin gab ihr Recht. Dar­auf­hin ging die Be­klag­te in Be­ru­fung.

LAG Ber­lin-Bran­den­burg: Mehr Lohn gibt es nur, wenn vor­her er­folg­los um Frei­zeit­aus­gleich ge­be­ten wur­de

Das LAG Ber­lin-Bran­den­burg gab der Be­ru­fung statt, d.h. das Be­triebs­rats­mit­glied ver­lor in der zwei­ten In­stanz.

Nach Auf­fas­sung des Ge­richts hätte die kla­gen­de Ar­beit­neh­me­rin zunächst von der be­klag­ten Ar­beit­ge­be­rin die Gewährung von Frei­zeit­aus­gleich ver­lan­gen müssen. Erst bei ei­ner Wei­ge­rung hätte sie An­spruch auf ei­ne Vergütung er­hal­ten.

Ent­ge­gen dem LAG Düssel­dorf meint das LAG Ber­lin-Bran­den­burg, es sei un­er­heb­lich, dass die Be­triebs­ratstätig­keit im­mer deut­lich länger als die ver­ein­bar­te Ar­beits­zeit dau­er­te. Al­lein da­durch wer­de ei­ne Ar­beits­be­frei­ung noch nicht oh­ne Wei­te­res unmöglich.

Ein teil­zeit­beschäftig­tes Be­triebs­rats­mit­glied ist nämlich nicht un­er­setz­lich. Viel­mehr kann auch hier nöti­gen­falls nach § 25 Abs.1 Be­trVG ein Er­satz­mit­glied bei "zeit­wei­li­ger Ver­hin­de­rung" (al­so bei­spiels­wei­se bei Ur­laub oder Frei­stel­lung) nachrücken. Der Er­satz kann dann während ei­nes et­waig gewähr­ten Frei­zeit­aus­gleichs die lau­fen­den Auf­ga­ben er­le­di­gen. Soll­ten Auf­ga­ben doch ein­mal zwin­gend von dem in Teil­zeit beschäftig­ten Mit­glied erfüllt wer­den müssen, dann ent­steht wie­der­um le­dig­lich ein neu­er An­spruch auf Frei­zeit­aus­gleich.

We­gen der un­ter­schied­li­chen Mei­nun­gen in die­ser Fra­ge lies das LAG die Re­vi­si­on zu.

Fa­zit: Die Re­vi­si­on ist zwi­schen­zeit­lich un­ter dem Ak­ten­zei­chen 7 AZR 435/10 beim Bun­des­ar­beits­ge­richt anhängig. Ob Teil­zeit oder Voll­zeit - bis die Vergütungs­fra­ge höchst­rich­ter­lich geklärt ist, müssen viel­beschäftig­te Be­triebs­rats­mit­glie­der si­cher­heits­hal­ber von ih­rem Ar­beit­ge­ber zunächst Frei­zeit­aus­gleich for­dern.

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Letzte Überarbeitung: 1. Juni 2014

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