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ARBEITSRECHT AKTUELL // 09/150

Be­triebs­über­gang: Wi­der­spruch bei Auf­he­bungs­ver­trag?

Kein Wi­der­spruch bei Auf­he­bungs­ver­trag mit Er­wer­ber: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 23.07.2009, 8 AZR 357/08
Zwei Firmenschilder, eines durchgestrichen Un­ter­schrift wäh­rend "über­ge­gan­ge­nem" Ar­beits­ver­hält­nis bin­det

21.08.2009. Wird ein Be­trieb ver­äu­ßert, ge­hen die von ei­nem sol­chen Be­triebs­über­gang be­trof­fe­nen Ar­beits­ver­hält­nis­se ge­mäß § 613a Abs.1 Satz 1 Bür­ger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) kraft Ge­set­zes auf den Er­wer­ber über. Ar­beit­neh­mer sind je­doch trotz­dem nicht ver­ra­ten und ver­kauft, denn sie ha­ben ein ge­setz­li­ches Recht zum Wi­der­spruch.

Frag­lich ist je­doch, wie sich ein Wi­der­spruch aus­wirkt, wenn be­reits ein Auf­he­bungs­ver­trag mit dem Er­wer­ber ge­schlos­sen wur­de.

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) hat­te kürz­lich Ge­le­gen­heit, sich mit der Fra­ge zu be­fas­sen: BAG, Ur­teil vom 23.07.2009, 8 AZR 357/08.

Be­triebsüber­gang: Wi­der­spruchs­recht bei un­zu­rei­chen­der Un­ter­rich­tung

Um den Ar­beit­neh­mer ei­ne vernünf­ti­ge und nicht übe­reil­te Ent­schei­dung über ihr Wi­der­spruchs­recht zu ermögli­chen, müssen der Er­wer­ber und/oder der Be­triebs­veräußerer die Ar­beit­neh­mern gemäß § 613a Abs.5 BGB um­fas­send

  1. über den Zeit­punkt des Über­gangs,
  2. über sei­nen Grund,
  3. über die recht­li­chen, wirt­schaft­li­chen und so­zia­len Fol­gen des Über­gangs für die be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer so­wie
  4. über die hin­sicht­lich der Ar­beit­neh­mer in Aus­sicht ge­nom­me­nen Maßnah­men

un­ter­rich­ten. Ab Zu­gang ei­ner sol­chen – ord­nungs­gemäßen - Un­ter­rich­tung ha­ben die Ar­beit­neh­mer ei­nen Mo­nat Zeit, dem Über­gang des Ar­beits­verhält­nis­ses zu wi­der­spre­chen (§ 613a Abs.6 BGB).

Ent­spricht die den Ar­beit­neh­mern ge­ge­be­ne Un­ter­rich­tung nicht den recht­li­chen An­for­de­run­gen, d.h. ist sie un­zu­rei­chend, be­ginnt die Mo­nats­frist für den Wi­der­spruch nach der Recht­spre­chung nicht zu lau­fen. In­fol­ge­des­sen können die Ar­beit­neh­mer auch noch „Jahr und Tag“ nach dem Be­triebsüber­gang ih­ren Wi­der­spruch erklären. Die Ausübung ei­nes sol­chen Spätwi­der­spruchs hat die­sel­be Fol­ge wie ein bin­nen Mo­nats­frist nach der Un­ter­rich­tung erklärter Wi­der­spruch: Er ver­hin­dert den Über­gang des Ar­beits­verhält­nis­ses des wi­der­spre­chen­den Ar­beit­neh­mers auf den Be­triebs­er­wer­ber.

In den letz­ten Jah­ren stel­len die Ar­beits­ge­rich­te zu­neh­mend stren­ge­re An­for­de­run­gen an ei­ne kor­rek­te Un­ter­rich­tung, d.h. an ih­re die Ge­nau­ig­keit, Verständ­lich­keit und Vollständig­keit. Ins­be­son­de­re die von den be­tei­lig­ten Ar­beit­ge­bern zu er­tei­len­den In­for­ma­tio­nen über die wirt­schaft­li­chen Fol­gen des Be­triebsüber­gangs stel­len sich vor Ge­richt oft als un­zu­rei­chend her­aus. Da­her kom­men in den letz­ten Jah­ren recht­lich wirk­sa­me Spätwi­dersprüche im­mer häufi­ger vor.

Dass Un­ter­neh­men und die sie be­ra­ten­den Rechts­anwälte da­von nicht be­geis­tert sind, liegt auf der Hand. Vor al­lem ar­beit­ge­ber­sei­tig wird da­her sehr in­ten­siv darüber dis­ku­tiert, wie ge­nau die In­for­ma­tio­nen über die wirt­schaft­li­chen Fol­gen des Be­triebsüber­gangs sein müssen und un­ter wel­chen Umständen ein auf­grund un­zu­rei­chen­der Un­ter­rich­tung über die Mo­nats­frist hin­aus fort­be­ste­hen­des Wi­der­spruchs­recht später er­lischt bzw. als „ver­wirkt“ an­zu­se­hen ist.

Zu die­sen bei­den Fra­gen hat sich das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) mit Ur­teil vom 23.07.2009, 8 AZR 357/08) geäußert. Das Ur­teil liegt der­zeit nur in Ge­stalt ei­ner Pres­se­mit­tei­lung vor (Pres­se­mit­tei­lung Nr. 72/09).

Der Fall: Un­ter­rich­tung über be­vor­ste­hen­den Be­triebsüber­gang un­ter Aus­spa­rung der pi­kan­ten De­tails

Im Jah­re 2005 veräußer­te die deut­sche Sie­mens AG ih­re Mo­bil­funk­spar­te an die tai­wa­ne­si­sche BenQ Com­pa­ny. Der deut­sche Teil des Un­ter­neh­mens­be­reichs Mo­bil­funk wur­de zum 30.09.2005 im We­ge des Be­triebsüber­gangs gemäß § 613a BGB auf ei­ne deut­sche Toch­ter­ge­sell­schaft der BenQ Com­pa­ny, nämlich an die BenQ Mo­bi­le GmbH & Co. OHG über­tra­gen.

Für ei­nen „Ver­kauf“ ei­nes Un­ter­neh­mens­teils bzw. ei­nes großen Be­triebs war al­ler­dings selt­sam, dass Sie­mens als Verkäufer der Käufer­sei­te 350 Mio. EUR zahl­te, d.h. ei­ne Art „ne­ga­ti­ven Kauf­preis“ ent­rich­te­te, und dass die zu­sam­men mit dem Be­trieb ver­kauf­ten Mo­bil­funk­pa­ten­te und Mar­ken­rech­te an der deut­schen Toch­ter­ge­sell­schaft vor­bei di­rekt an die BenQ Com­pa­ny, d.h. der tai­wa­ne­si­schen Mut­ter­ge­sell­schaft über­tra­gen wur­den. Über die­se „pi­kan­ten“ De­tails der Trans­ak­ti­on wur­den die be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer im Rah­men der Un­ter­rich­tung nicht in­for­miert.

Wie an­ge­sichts der wirt­schaft­li­chen Ge­samt­umstände nicht ver­wun­der­lich war, ging die deut­sche Toch­ter­ge­sell­schaft von BenQ ein Jahr nach dem Be­triebsüber­gang plei­te. In ei­ner von der IG Me­tall un­terstütz­ten Ak­ti­on erklärten dar­auf­hin 3.300 ehe­ma­li­ge Sie­mens-Ar­beit­neh­mer den Wi­der­spruch ge­gen den Über­gang ih­rer Ar­beits­verhält­nis­se auf die BenQ Mo­bi­le GmbH & Co. OHG.

In der Fol­ge­zeit kam es zu vie­len Ar­beits­ge­richts­pro­zes­sen zwi­schen den wi­der­spre­chen­den Ar­beit­neh­mern und der Sie­mens AG, die die Spätwi­dersprüche nicht als rech­tens ak­zep­tie­ren woll­te und da­her das (Fort-)Be­ste­hen der Ar­beits­verhält­nis­se bei der Sie­mens AG be­stritt.

Während ei­ni­ge der be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer kei­ne ihr Ver­trags­verhält­nis be­tref­fen­den Ver­ein­ba­run­gen mit dem Be­triebsüber­neh­mer ge­trof­fen hat­te, hat­ten sich an­de­re mit ihm auf ei­nen Auf­he­bungs­ver­trag verständigt. Dies hat­te auch der Kläger in dem Ver­fah­ren ge­tan, das vom BAG am 23.07.2009 un­ter dem Ak­ten­zei­chen 8 AZR 357/08 ent­schie­den wur­de. Die­ser Ar­beit­neh­mer hat­te am 09.08.2006 und da­mit kur­ze Zeit vor dem In­sol­venz­an­trag mit der BenQ Mo­bi­le GmbH & Co. OHG die Auf­he­bung sei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses zum 31.10.2006 ge­gen Zah­lung ei­ner Ab­fin­dung ver­ein­bart. Auf­grund der we­nig später an­ge­mel­de­ten In­sol­venz war dies aber ein schlech­tes Geschäft. Am 22.12.2006 wi­der­sprach er da­her dem Über­gang sei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses auf die BenQ Mo­bi­le GmbH & Co. OHG (ob­wohl er doch mit die­ser be­reits ei­nen Auf­he­bungs­ver­trag ab­ge­schlos­sen hat­te).

Das Ar­beits­ge­richt und Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) München (Ur­teil vom 17.04.2008, 4 Sa 1063/07) ga­ben sei­ner Kla­ge statt.

BAG: Wi­der­spruchs­recht durch Auf­he­bungs­ver­trag ver­wirkt

Das BAG ent­schied in die­sem spe­zi­el­len Fall an­ders als die Vor­in­stan­zen, d.h. zu­guns­ten von Sie­mens.

Zwar schließt sich das BAG der be­reits vom LAG München ver­tre­te­nen An­sicht an, dass die Un­ter­rich­tung der Ar­beit­neh­mer über den Be­triebsüber­gang un­zu­rei­chend war. Da­her konn­te der Kläger auch in die­sem Fall noch nach Ab­lauf der ge­setz­li­chen Ein­mo­nats­frist sei­nen Wi­der­spruch erklären. Dass er trotz­dem vor dem BAG den kürze­ren zog, lag dar­an, dass er nach An­sicht des BAG sein Wi­der­spruchs­recht ver­wirkt hat­te. Er hat­te nämlich, so das BAG, durch den Auf­he­bungs­ver­trag mit der BenQ Mo­bi­le GmbH & Co. OHG über sein Ar­beits­verhält­nis dis­po­niert. Auf die­sen ent­schei­den­den Vor­gang konn­te sich auch die Sie­mens AG be­ru­fen, ob­wohl sie an dem Auf­he­bungs­ver­trag nicht be­tei­ligt war und mögli­cher­wei­se noch nicht ein­mal Kennt­nis von ihm hat­te.

So­weit die schlech­te Nach­richt aus Sicht der be­trof­fe­nen Sie­mens­mit­ar­bei­ter. Und nun die gu­te: Die zwi­schen der Un­ter­rich­tung über den Be­triebsüber­gang (Sep­tem­ber 2005) und den schrift­lich erklärten Wi­dersprüchen (En­de 2006) ver­stri­che­ne Zeit von mehr als ei­nem Jahr lässt das Wi­der­spruchs­recht noch nicht ver­wir­ken, d.h. der bloße Zeit­ab­lauf führt nicht zum Rechts­ver­lust.

Dies zei­gen fünf Par­al­lelfälle, die das BAG am sel­ben Tag ent­schied und in de­nen die Ar­beit­neh­mer ob­sieg­ten (8 AZR 538/08, 8 AZR 539/08, 8 AZR 540/08, 8 AZR 541/08 und 8 AZR 558/08). Sie hat­ten zwar auch erst En­de 2006 wi­der­spro­chen, d.h. nach Be­kannt­wer­den der In­sol­venz der BenQ Mo­bi­le GmbH & Co. OHG, doch hat­ten sie kei­nen Auf­he­bungs­ver­trag mit dem Be­triebs­er­wer­ber ab­ge­schlos­sen.

Fa­zit: Im Er­geb­nis ist be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer zu ra­ten, in Fällen wie die­sem nicht al­lein mit dem Er­wer­ber über ei­ne Ver­trags­be­en­di­gung (Kündi­gung, Auf­he­bungs­ver­trag, Ab­wick­lungs­ver­trag) zu ver­han­deln, son­dern vor ei­nem sol­chen Schritt durch Erklärung ge­genüber dem Be­triebs­veräußerer dem Über­gang des Ar­beits­verhält­nis­ses zu wi­der­spre­chen, am bes­ten un­ter ausführ­li­chem Hin­weis auf die recht­li­chen Mängel der Un­ter­rich­tung. Ein sol­cher Wi­der­spruch dürf­te im Verhält­nis zum Be­triebs­er­wer­ber kaum scha­den, während der Be­triebs­veräußerer An­lass da­zu hat, sich bei Zwei­feln an der Kor­rekt­heit der Un­ter­rich­tung vor­sichts­hal­ber an ei­ner Ab­fin­dungslösung zu be­tei­li­gen.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: Zwi­schen­zeit­lich, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Bei­trags, hat das Ge­richt sei­ne Ur­teils­gründe veröffent­licht. Das Ur­teil mit Ent­schei­dungs­gründen fin­den Sie im Voll­text hier:

Letzte Überarbeitung: 12. März 2018

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