HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 10/007

Be­triebs­ver­la­ge­rung ins Aus­land

Lan­des­ar­beits­ge­richt be­jaht Be­triebs­über­gang: Lan­des­ar­beits­ge­richt Ba­den-Würt­tem­berg, Ur­teil vom 17.09.2009, 11 Sa 40/09
Be­triebs­ver­äu­ße­rung ins Aus­land: Ver­ra­ten und Ver­kauft?

12.01.2010. Wenn ein Un­ter­neh­men sei­ne Pro­duk­ti­on ins Aus­land ver­la­gert, liegt in der Re­gel kein Be­triebs­über­gang vor, da die Fort­füh­rung der bis da­hin be­ste­hen­den "wirt­schaft­li­chen Ein­heit" auf­grund der gro­ßen räum­li­chen Dis­tanz meist nicht mög­lich ist. In der Re­gel wer­den näm­lich nur we­ni­ge oder gar kei­ne der ehe­ma­li­gen Ar­beit­neh­mer den Um­zug des Be­triebs mit­ma­chen, d.h. ins Aus­land ge­hen, um dort wei­ter zu ar­bei­ten. Dann kommt es nicht zu ei­nem Be­triebs­über­gang, son­dern zu ei­ner Be­triebs­still­le­gung, d.h. zur end­gül­ti­gen Auf­lö­sung der bis­he­ri­gen Ar­beits- und Pro­duk­ti­ons­ab­läu­fe.

Dies gilt al­ler­dings nicht, wenn die Ent­fer­nung zwi­schen dem al­ten und dem neu­en, im Aus­land ge­le­ge­nen Be­trieb nicht sehr groß ist. Dann schließt auch ei­ne ei­ne Pro­duk­ti­ons­ver­la­ge­rung ins Aus­land ei­nen Be­triebs­über­gang nicht aus, so das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ba­den-Würt­tem­berg: LAG Ba­den-Würt­tem­berg, Ur­teil vom 17.09.2009, 11 Sa 40/09

Be­triebsüber­gang oder Be­triebs­still­le­gung

Wenn ein Be­trieb über­tra­gen wird, ge­hen die Ar­beits­verhält­nis­se der Beschäftig­ten au­to­ma­tisch gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) auf den Er­wer­ber über, wenn es sich bei der Über­tra­gung um ei­nen Be­triebs(teil)über­gang han­delt.

Die­se Rechts­fol­ge darf von dem Be­triebs­er­wer­ber nicht um­gan­gen wer­den. Kündi­gun­gen we­gen des Be­triebsüber­gangs sind des­halb gemäß § 613a Abs. 4 BGB eben­falls un­wirk­sam.

Ver­la­gert der Ar­beit­ge­ber al­ler­dings die Pro­duk­ti­on an ei­nen an­de­ren Ort und nimmt in die­sem Zu­sam­men­hang Ent­las­sun­gen vor, ist oft um­strit­ten, ob über­haupt ein Be­triebsüber­gang vor­liegt, bei dem die Ar­beits­verhält­nis­se der Beschäftig­ten geschützt sind, oder ob es sich nicht um ei­ne Be­triebs­still­le­gung han­delt, bei der Kündi­gun­gen aus be­triebs­be­ding­ten Gründen er­fol­gen dürfen. Wenn ei­ne Be­triebs­still­le­gung vor­liegt, ist ein Be­triebsüber­gang je­den­falls aus­ge­schlos­sen.

Wenn ein Ar­beit­neh­mer bei ei­ner Pro­duk­ti­ons­ver­la­ge­rung be­triebs­be­dingt gekündigt wird, bleibt ihm des­halb nur das Ar­gu­ment, es läge gar kei­ne Be­triebs­still­le­gung vor, son­dern ein Be­triebs(teil)über­gang. Klagt der Ar­beit­neh­mer auf Fest­stel­lung, dass sein Ar­beits­verhält­nis mit dem Be­triebs­er­wer­ber wei­ter be­steht, muss er dar­le­gen und be­wei­sen, dass die Vor­aus­set­zun­gen ei­nes Be­triebsüber­gangs vor­lie­gen.

Klagt er da­ge­gen ge­gen die Kündi­gung durch den al­ten Ar­beit­ge­ber, muss der ver­klag­te Ar­beit­ge­ber dar­le­gen und be­wei­sen, dass die Kündi­gung gemäß § 1 Kündi­gungs­schutz­ge­setz (KSchG) so­zi­al ge­recht­fer­tigt ist, weil ei­ne Be­triebs­still­le­gung und kein Be­triebsüber­gang vor­liegt. Aus­rei­chend ist dann, wenn der Ar­beit­neh­mer greif­ba­re An­halts­punk­te für ei­nen Be­triebsüber­gang vor­bringt, um die Dar­le­gung des Ar­beit­ge­bers zu ent­kräften.

Pro­ble­ma­tisch ist, ob dies auch dann gilt, wenn die vom Ar­beit­ge­ber be­haup­te­te Be­triebs­still­le­gung mit ei­ner Pro­duk­ti­ons­ver­la­ge­rung ins Aus­land ein­her­geht. Mit die­ser Fra­ge be­fasst sich ein ak­tu­el­les Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts (LAG) Ba­den-Würt­tem­berg (LAG Ba­den-Würt­tem­berg, Ur­teil vom 17.09.2009, 11 Sa 40/09).

Der Fall des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ba­den-Würt­tem­berg: Be­trieb ver­la­gert Pro­duk­ti­on in die Schweiz

Ein in­ter­na­tio­nal täti­ges Un­ter­neh­men hat­te ein Toch­ter­un­ter­neh­men in Deutsch­land und ein Toch­ter­un­ter­neh­men in der Schweiz. Der kla­gen­de Ar­beit­neh­mer, ein Ver­triebs­mit­ar­bei­ter, der von ei­nem Heimbüro aus ar­bei­te­te, war bei dem deut­schen Toch­ter­un­ter­neh­men beschäftigt.

En­de 2008 ent­schloss sich das deut­sche Toch­ter­un­ter­neh­men auf Wei­sung der Mut­ter­ge­sell­schaft, ei­nen Teil des Be­triebs, der Klap­pen­ven­ti­le für die Phar­ma­in­dus­trie pro­du­zier­te und ver­trieb, mit 22 Mit­ar­bei­tern (dar­un­ter der kla­gen­de Ver­triebs­mit­ar­bei­ter) in Deutsch­land auf­zu­ge­ben.

Den 22 Beschäftig­ten wur­de dar­auf­hin gekündigt und die für die Pro­duk­ti­on bzw. Mon­ta­ge be­nut­zen An­la­gen, Ma­schi­nen und Werk­zeu­ge zu dem Schwei­zer Toch­ter­un­ter­neh­men ver­bracht. Lau­fen­den Pro­jek­te wur­den der Schwei­zer Ge­sell­schaft über­tra­gen und Kun­den und Lie­fe­ran­ten darüber in­for­miert, dass sämt­li­che Geschäfts­ak­ti­vitäten ab 01.10.2009 in der Schweiz fort­geführt würden.

Von den 22 gekündig­ten Beschäftig­ten er­hiel­ten elf, dar­un­ter auch der kla­gen­de Ver­triebs­mit­ar­bei­ter, von dem Schwei­zer Toch­ter­un­ter­neh­men ein An­ge­bot zum Ab­schluss ei­nes neu­en Ar­beits­ver­tra­ges.

Der Ver­triebs­mit­ar­bei­ter lehn­te das An­ge­bot je­doch ab und er­hob Kündi­gungs­schutz­kla­ge. Das Ar­beits­ge­richt Frei­burg wies sei­ne Kla­ge ab (Ur­teil vom 13.03.2009, 14 Ca 520/08).

Lan­des­ar­beits­ge­richt Ba­den-Würt­tem­berg: Be­triebsüber­gang auch bei Pro­duk­ti­ons­ver­la­ge­rung ins grenz­na­he Aus­land

Das LAG gab dem Ver­triebs­mit­ar­bei­ter recht. Denn sei­ner An­sicht nach hat­te der kla­gen­de Ar­beit­neh­mer ge­nug An­halts­punk­te für ei­nen Be­triebsüber­gang dar­ge­legt, die von der Ar­beit­ge­be­rin nicht ent­kräftet wer­den konn­ten.

Dies gilt auch bei ei­ner Be­triebs­ver­la­ge­rung ins Aus­land, so das LAG. Auch hier gel­te § 613a BGB. Ent­schei­dend ist nach Auf­fas­sung des LAG, ob der Vor­trag des Ar­beit­neh­mers es möglich er­schei­nen lässt, dass ein Be­triebsüber­gang vor­liegt.

Dies nahm das Ge­richt im vor­lie­gen­den Fall an, wo­bei es berück­sich­tig­te, dass al­ter und neu­er Be­trieb grenz­nah und nur we­ni­ge Ki­lo­me­ter von­ein­an­der ent­fernt la­gen. Außer­dem ist der Ver­triebs­mit­ar­bei­ter, da er von ei­nem Ho­me Of­fice aus ar­bei­tet, von der Fir­men­ver­la­ge­rung prak­tisch kaum be­trof­fen, so das LAG wei­ter.

Dass dem Schwei­zer Un­ter­neh­men durch die Über­tra­gung der (deut­schen) Ar­beits­verhält­nis­se der Beschäftig­ten deut­sches Ar­beits­recht auf­ge­zwun­gen wer­de, ließ das LAG als Ein­wand nicht gel­ten. Denn auch im Schwei­zer Ge­set­zes­recht ge­be es ei­ne § 613a BGB ver­gleich­ba­re Re­ge­lung, so das LAG.

Fa­zit: Auch wenn ein Be­trieb sei­ne Pro­duk­ti­on ins Aus­land ver­la­gert, kann al­so ein Be­triebsüber­gang vor­lie­gen. Dies gilt je­den­falls dann, wenn die Ent­fer­nung zwi­schen neu­em und al­tem Be­trieb nicht zu groß ist.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 22. Juli 2014

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de
Bewertung: 5.0 von 5 Sternen (1 Bewertung)

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de