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ARBEITSRECHT AKTUELL // 10/004

Be­wer­ber­dis­kri­mi­nie­rung auf­grund ei­ner vom Ar­beit­ge­ber an­ge­nom­me­nen Be­hin­de­rung

Bun­des­ar­beits­ge­richt ent­schei­det zum Ver­bot der be­hin­de­rungs­be­ding­ten Dis­kri­mi­nie­rung: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 17.12.2009, 8 AZR 760/08
Drei Äpfel Be­wer­ber­dis­kri­mi­nie­rung: Äp­fel mit Bir­nen ver­glei­chen?

07.01.2010. Das All­ge­mei­ne Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG) ver­bie­tet Dis­kri­mi­nie­run­gen we­gen ei­nes der in § 1 AGG ge­nann­ten Merk­mal, d.h. we­gen des Ge­schlechts, des Al­ters, der se­xu­el­len Iden­ti­tät, ei­ner Be­hin­de­rung usw. Die­ser Schutz wird da­durch ver­stärkt, dass ei­ne dis­kri­mi­nier­te Per­son die o.g. per­sön­li­chen Merk­ma­le, die als Grund für ei­ne Schlech­ter­stel­lung im All­ge­mei­nen ver­bo­ten sind, nicht un­be­dingt auf­wei­sen muss. Es ge­nügt, wenn der für die Dis­kri­mi­nie­rung Ver­ant­wort­li­che das Vor­lie­gen ei­nes sol­chen Merk­mals (ob zu­recht oder zu Un­recht) nur an­nimmt (§ 7 Abs. 1, zwei­ter Halb­satz AGG).

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) hat Mit­te De­zem­ber 2009 zu der Fra­ge Stel­lung ge­nom­men, un­ter wel­chen Um­stän­den ein im Be­wer­bungs­ver­fah­ren ab­ge­lehn­ter Stel­len­be­wer­ber we­gen ei­ner vom Ar­beit­ge­ber an­ge­nom­me­nen Be­hin­de­rung dis­kri­mi­niert wird: BAG, Ur­teil vom 17.12.2009, 8 AZR 760/08.

Mit sei­nem Ur­teil hat das BAG an­ders ent­schie­den als die Vor­in­stanz, das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Mün­chen, auf­ge­ho­ben (Ur­teil vom 08.07.2008, 8 Sa 112/08).

Was ist ei­ne (ver­mu­te­te) "Be­hin­de­rung" im Sin­ne des All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­set­zes (AGG)?

Mit dem All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­setz („AGG“), das am 18.08.2006 in Kraft ge­tre­ten ist, wur­den ver­schie­de­ne eu­ropäische An­ti­dis­kri­mi­nie­rungs-Richt­li­ni­en in deut­sches Recht um­ge­setzt und der Schutz von Ar­beit­neh­mern bei Mob­bing, Dis­kri­mi­nie­rung und Un­gleich­be­hand­lung deut­lich gestärkt.

Das AGG ver­bie­tet nicht ge­recht­fer­tig­te Be­nach­tei­li­gun­gen im Er­werbs­le­ben aus Gründen der Ras­se oder we­gen der eth­ni­schen Her­kunft, des Ge­schlechts, der Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung, ei­ner Be­hin­de­rung, des Al­ters oder der se­xu­el­len Iden­tität (§§ 1, 7 AGG) und gewährt dem­je­ni­gen, der im Zu­sam­men­hang mit ei­ner Be­wer­bung auf ei­ne zu be­set­zen­de Stel­le in ge­setz­lich un­zulässi­ger Wei­se be­nach­tei­ligt wur­de, ei­nen An­spruch auf Scha­dens­er­satz und auf Gel­dentschädi­gung we­gen der er­lit­te­nen Ver­let­zung sei­nes Persönlich­keits­rechts (§ 15 Abs.1, 2 AGG). Die Gel­dentschädi­gung we­gen ei­ner Dis­kri­mi­nie­rung bei der Stel­len­be­set­zung beträgt in der Re­gel bis zu drei Mo­nats­gehältern (§ 15 Abs. 2 AGG).

Um den ge­setz­li­chen Schutz vor Dis­kri­mi­nie­run­gen ef­fek­tiv aus­zu­ge­stal­ten, sieht das AGG aus­drück­lich vor, dass ein be­nach­tei­lig­ter Ar­beit­neh­mer die o.g. persönli­chen Merk­ma­le, die als Grund für ei­ne Schlech­ter­stel­lung im all­ge­mei­nen ver­bo­ten sind, nicht un­be­dingt tatsächlich auf­wei­sen muss, son­dern dass es aus­reicht, wenn der für die Dis­kri­mi­nie­rung Ver­ant­wort­li­che dies nur an­nimmt. Ob die­se An­nah­me rich­tig oder falsch ist, spielt da­nach kei­ne Rol­le (§ 7 Abs. 1, zwei­ter Halb­satz AGG). Da­her kann bei­spiels­wei­se ein he­te­ro­se­xu­el­ler Stel­len­be­wer­ber we­gen sei­ner se­xu­el­len Iden­tität dis­kri­mi­niert wer­den, wenn der Ar­beit­ge­ber ihn nicht ein­stellt, weil er irrtümlich an­nimmt, er sei schwul.

An­ders als ein an­geb­lich zu ho­hes oder zu ge­rin­ges Al­ter, die „fal­sche“ Re­li­gi­on oder „fal­sche“ se­xu­el­le Vor­lie­ben kann al­ler­dings das (ver­mu­te­te) Vor­lie­gen ei­ner Be­hin­de­rung nicht so leicht fest­ge­stellt wer­den. Das AGG de­fi­niert nämlich nicht, wo­durch sich ei­ne (bloße) Krank­heit von ei­ner Be­hin­de­rung un­ter­schei­det.

Um­so schwe­rer ist es für die Ar­beits­ge­rich­te her­aus­zu­fin­den, ob sich ein Ar­beit­ge­ber bei der Ab­leh­nung ei­nes Be­wer­bers von der An­nah­me lei­ten ließ, die­ser be­hin­dert. Ei­ne sol­che Fest­stel­lung ist aber not­wen­di­ge Vor­aus­set­zung für ei­nen Gel­dentschädi­gungs­an­spruch des ab­ge­lehn­ten Be­wer­bers: Während die Ab­leh­nung ei­nes Be­wer­bers auf­grund ei­ner (rea­len oder bloß an­ge­nom­me­nen) Krank­heit nämlich nicht ver­bo­ten ist, ist sei­ne Ab­leh­nung we­gen ei­ner (rea­len oder bloß an­ge­nom­me­nen) Be­hin­de­rung un­zulässig.

In ei­ner Ent­schei­dung vom De­zem­ber 2009 hat sich das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) zu der Fra­ge geäußert, wor­in der Un­ter­schied zwi­schen ei­ner (an­ge­nom­me­nen) Krank­heit von ei­ner (an­ge­nom­me­nen) Be­hin­de­rung liegt (Ur­teil vom 17.12.2009, 8 AZR 760/08).

Der Fall des Bun­des­ar­beits­ge­rich­tes: Vom Ar­beit­ge­ber ver­mu­te­tes chro­ni­sches Rücken­lei­den

Der kla­gen­de Stel­len­be­wer­ber ist von Be­ruf Di­plom-Bio­lo­ge und führt ei­nen ent­spre­chen­den Dok­tor­ti­tel. Der be­klag­te Ar­beit­ge­ber ist Arzt und be­treibt ein Un­ter­neh­men, das in der me­di­zi­ni­schen For­schung und Ent­wick­lung tätig ist.

Der Bio­lo­ge be­warb sich auf ei­ne vom be­klag­ten Arzt aus­ge­schrie­be­ne Stel­le als wis­sen­schaft­li­cher Mit­ar­bei­ter. Im Be­wer­bungs­gespräch frag­te der Be­klag­te den Be­wer­ber, ob er mögli­cher­wei­se in psych­ia­tri­scher Be­hand­lung sei. Auf die er­staun­te Ge­gen­fra­ge des Be­wer­bers, war­um er ei­ne sol­che Fra­ge be­ant­wor­ten soll­te, teil­te der Arzt mit, dass er bei dem Be­wer­ber ei­nen stei­fen Gang ha­be be­ob­ach­tet hätte und dass dies ei­ne chro­ni­sche Wir­belsäulen­er­kran­kung, den sog. „Mor­bus Bech­te­r­ew“, ver­mu­ten las­se. Ei­ne sol­che Krank­heit sei aber häufig mit De­pres­sio­nen ver­bun­den. In die­sem Zu­sam­men­hang for­der­te der Ar­beit­ge­ber auf, der Be­wer­ber möge doch ein­mal sei­ne Wir­belsäule ärzt­lich un­ter­su­chen las­sen.

Sch­ließlich wur­de der Kläger mit sei­ner Be­wer­bung ab­ge­lehnt, nach­dem er nicht da­zu be­reit war, sei­ne Wir­belsäule un­ter­su­chen zu las­sen.

Er zog dar­auf­hin vor Ge­richt und ver­klag­te den Arzt un­ter Be­ru­fung auf das Ver­bot der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen ei­ner Be­hin­de­rung auf Zah­lung ei­ner Gel­dentschädi­gung. Sei­ner Mei­nung nach war er nämlich we­gen ei­ner vom be­klag­ten Arzt an­ge­nom­me­nen Be­hin­de­rung nicht ein­ge­stellt wor­den.

Das in der ers­ten In­stanz mit dem Fall be­fass­te Ar­beits­ge­richt Re­gens­burg gab der Kla­ge in Höhe von zwei Mo­nats­gehältern statt (Ur­teil vom 05.12.2007, 3 Ca 1161/07 S). Da­ge­gen wies das für die Be­ru­fung zuständi­ge Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) München die Kla­ge ab.

Sei­ner Auf­fas­sung nach hat­te der be­klag­te Arzt nur ei­ne Krank­heit des Bio­lo­gen, nicht aber ei­ne Be­hin­de­rung an­ge­nom­men, und die Ab­leh­nung ei­nes Be­wer­bers we­gen ei­ner (ver­mu­te­ten) Krank­heit stellt kei­ne nach dem AGG ver­bo­te­ne Dis­kri­mi­nie­rung dar (Ur­teil vom 08.07.2008, 8 Sa 112/08).

Bun­des­ar­beits­ge­richt schließt Dis­kri­mi­nie­rung we­gen ei­ner Be­hin­de­rung nicht aus. Der Fall muss neu ver­han­delt wer­den.

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt ent­schied an­ders als das LAG München und hob des­sen Ent­schei­dung da­her auf. Da die strei­ti­ge Fra­ge ei­ner mögli­chen Dis­kri­mi­nie­rung des Be­wer­bers aus Sicht des BAG noch nicht aus­rei­chend geklärt war, ver­wies es den Rechts­streit an das LAG München zur er­neu­ten Ver­hand­lung zurück (Ur­teil vom 17.12.2009, 8 AZR 760/08).

Die Be­gründung für die­se Ent­schei­dung liegt der­zeit noch nicht vor. So­weit man dies der bis­lang al­lein be­kann­ten Pres­se­mit­tei­lung des BAG ent­neh­men kann, be­wer­te­te es die vom Ar­beit­ge­ber ge­stell­ten Fra­gen an­ders als das LAG. Während die­se Fra­gen nach An­sicht des LAG auf das Vor­lie­gen ei­ner Krank­heit ab­ziel­ten, konn­te das BAG nicht aus­sch­ließen, dass der Ar­beit­ge­ber da­mit her­aus­fin­den woll­te, ob der Be­wer­ber mögli­cher­wei­se be­hin­dert wäre.

Im Er­geb­nis dürf­te das BAG mit sei­ner Ent­schei­dung rich­tig lie­gen. Zu­min­dest ist die vom LAG ge­ge­be­ne Be­gründung nicht über­zeu­gend. Nach der Recht­spre­chung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs (EuGH) ist nämlich ei­ne „Be­hin­de­rung“ im Sin­ne der - dem AGG zu­grun­de­lie­gen­den - Richt­li­nie ei­ne Ein­schränkung zu ver­ste­hen, die auf vor­aus­sicht­lich lang­dau­ern­de phy­si­sche, geis­ti­ge oder psy­chi­sche Be­ein­träch­ti­gun­gen zurück­zuführen ist und ein Hin­der­nis für die Teil­ha­be am Be­rufs­le­ben dar­stellt. Die­sem Verständ­nis von „Be­hin­de­rung“ zu­fol­ge un­ter­schei­det sich ei­ne Be­hin­de­rung von ei­ner Krank­heit durch ih­re vor­aus­sicht­lich lan­ge Dau­er.

Berück­sich­tigt man die­se Vor­ga­be des EuGH bei der Aus­le­gung des Be­griffs der Be­hin­de­rung im Rah­men des AGG, ziel­ten die hier strei­ti­gen Fra­gen des Ar­beit­ge­bers sehr wohl auf ei­ne mögli­che Be­hin­de­rung und nicht nur auf ei­ne et­wai­ge Krank­heit. Denn so­wohl das vom Ar­beit­ge­ber ver­mu­te­te Rücken­lei­den („Mor­bus Bech­te­r­ew“) als auch ei­ne da­durch mögli­cher­wei­se ver­ur­sach­te De­pres­si­on sind Krank­hei­ten von vor­aus­sicht­lich lan­ger Dau­er.

Im Er­geb­nis heißt dies: Ver­sucht der Ar­beit­ge­ber vor der endgülti­gen Ein­stel­lungs­ent­schei­dung her­aus­zu­fin­den, ob ein Be­wer­ber un­ter ei­ner vor­aus­sicht­lich lang­dau­ern­den phy­si­schen, geis­ti­gen oder psy­chi­schen Be­ein­träch­ti­gung lei­det und wird der Be­wer­ber spätre nicht ein­ge­stellt, ist gemäß der Be­weis­last­re­gel des § 22 AGG zu ver­mu­ten, dass der Ar­beit­ge­ber den Be­wer­ber we­gen ei­ner (an­ge­nom­me­nen) Be­hin­de­rung ab­ge­lehnt und da­mit in ver­bo­te­ner Wei­se dis­kri­mi­niert hat.

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Letzte Überarbeitung: 26. Januar 2014

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