20.08.2007. Gemäß § 84 Abs.2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) ist der Arbeitgeber bei längeren Krankheiten eines Arbeitnehmers gesetzliche dazu verpflichtet, sich mit dem Arbeitnehmer gemeinsam Gedanken darüber zu machen, wie man künftig Krankheiten vorbeugen kann, d.h. der Arbeitgeber muss ein sog. betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) durchführen.
Was allerdings passiert, wenn der Arbeitgeber diese Pflicht zum BEM nicht erfüllt, ist im Gesetz nicht geregelt. Klar ist allerdings, dass es sich hier um eine wirkliche gesetzliche Pflicht und nicht nur um eine Soll-Vorschrift handelt.
In einer aktuellen Entscheidung hat sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) dazu geäußert, welche Auswirkungen ein Verstoß des Arbeitgebers gegen seine Pflicht zum BEM hat, wenn er später mit dem Arbeitnehmer vor Gericht über die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung streitet. Das Unterlassen des BEM macht die Kündigung zwar nicht automatisch unwirksam, doch muss der Arbeitgeber dann schon sehr genau belegen, worin die angeblichen negativen betrieblichen Auswirkungen der Krankheit bestehen sollen: BAG, Urteil vom 12.07.2007, 2 AZR 716/06.
Wenn ein Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig ist, muss der Arbeitgeber gemäß § 84 Abs.2 Satz 1 SGB IX unter Beteiligung des betroffenen Arbeitnehmers und des Betriebsrats oder Personalrats klären, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann.
Diese Pflicht zum „betrieblichen Eingliederungsmanagement“ hat der Arbeitgeber nicht nur dann, wenn der betroffene Arbeitnehmer ein schwerbehinderter Mensch im Sinne von § 2 Abs.2 SGB IX (oder auch nur behindert) ist, sondern auch dann, wenn es sich um einen nicht (schwer)behinderten Arbeitnehmer handelt.
Bei der Durchführung des Eingliederungsmanagements soll der Werks- oder Betriebsarzt hinzugezogen werden. Außerdem ist der Arbeitnehmer zuvor auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements und auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen (§ 2 Abs.2 Satz 2, 3 SGB IX).
Da das Gesetz die rechtlichen Folgen einer Untätigkeit des Arbeitgebers nicht regelt, d.h. die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen § 84 Abs.2 Satz 1 SGB IX offen lässt, ist in der juristischen Diskussion streitig, ob eine vom Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung aus krankheitsbedingten Gründen möglicherweise unwirksam ist, falls der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung keine Bemühungen im Sinne des gesetzlich vorgeschriebenen Eingliederungsmanagements unternommen hat.
Dafür spricht, dass die gesetzliche Pflicht zum betrieblichen Eingliederungsmanagement ansonsten gefahrlos vom Arbeitgeber missachtet werden könnte. Andererseits kann eine so harte „Strafe“ für das Nicht-Durchführen des Eingliederungsmanagements dem Gesetz auch nicht ohne weiteres entnommen werden.
Zu der Frage, welche rechtlichen Nachteile der Arbeitgeber zu befürchten hat, wenn er der Pflicht zum „betrieblichen Eingliederungsmanagement“ nicht nachkommt und damit gegen § 84 Abs.2 Satz 1 SGB IX verstößt, hat sich das BAG mit Urteil vom 12.07.2007 (2 AZR 716/06) geäußert.
In dem vom BAG entschiedenen Fall war der klagende Arbeitnehmer behindert, und zwar mit einem Grad der Behinderung von 30, doch war er einem Schwerbehinderten aber nicht gleichgestellt. Er war seit 1981 bei dem beklagten Arbeitgeber als Maschinenbediener beschäftigt. Seit März 2002 war er wegen eines Rückenleidens durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Nach Anhörung des Betriebsrats kündigte der Arbeitgeber daraufhin das Arbeitsverhältnis im Oktober 2004 fristgemäß.
Dagegen erhob der Kläger Kündigungsschutzklage und argumentierte, dass bei entsprechender Ausstattung seines Arbeitsplatzes sein weiterer Einsatz als Maschinenbediener durchaus möglich sei. Der Arbeitgeber hätte ihn außerdem durch Umgestaltung anderer Arbeitsplätze auch dort einsetzen können. Zu solchen Maßnahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements sei er auch gesetzlich verpflichtet gewesen.
Der Arbeitgeber hielt dagegen seine krankheitsbedingte Kündigung für rechtens. Dabei behauptete er, dass die Arbeitsfähigkeit des Klägers auf unabsehbare Zeit nicht wieder hergestellt werden könne. Auch eine Beschäftigung auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz sei nicht mehr in Betracht gekommen.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht (LAG Hamm, Urteil vom 29.03.2006, 18 Sa 2104/05) haben die Klage abgewiesen.
Das BAG hat den Fall zur weiteren Sachaufklärung an das Berufungsgericht, das Landesarbeitsgericht Hamm, zurückverwiesen und dem Landesarbeitsgericht dabei aufgegeben zu prüfen, ob ein leidensgerechter Arbeitsplatz vorhanden sei oder durch eine zumutbare Umgestaltung der Betriebsabläufe geschaffen werden könnte. Zur Begründung heißt es dazu in dem Urteil:
Wenn ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer aus krankheitsbedingten Gründen kündigt, ohne zuvor dieses betriebliche Eingliederungsmanagement durchgeführt zu haben, so führt dies nach Ansicht des BAG nicht automatisch zur Unwirksamkeit der Kündigung. Anders gesagt: Die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements, d.h. die Beachtung der gesetzlichen Pflicht gemäß § 84 Abs.2 Satz 1 SGB IX, ist keine notwendige Voraussetzung der Wirksamkeit für eine Kündigung aus krankheitsbedingten Gründen.
Mit dieser Aussage hat das BAG dem Arbeitgeber aber keinen Freibrief zur beliebigen Missachtung von § 84 Abs.2 Satz 1 SGB IX gegeben. Diese Regelung sei, so das Gericht, kein „bloßer Programmsatz“, sondern vielmehr eine Ausprägung des das Kündigungsrecht beherrschenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Daher muss es für den Arbeitgeber negative rechtliche Folgen haben, wenn er kein betriebliches Eingliederungsmanagement durchführt, obwohl er es an sich müsste.
Diese Folgen bestehen nach Ansicht des BAG darin, dass der Arbeitgeber im Prozess um die Wirksamkeit einer von ihm ausgesprochenen krankheitsbedingten Kündigung eine erhöhte Darlegungs- und Beweislast in bezug auf die betrieblichen Auswirkungen der krankheitsbedingten Fehlzeiten trägt.
Fazit: Führt der Arbeitgeber kein Eingliederungsmanagement durch, so kann er sich nicht darauf berufen, dass keine alternativen, der Erkrankung angemessenen Einsatzmöglichkeiten vorhanden seien. Diesen Nachweis kann er zwar (theoretisch) führen, muss dazu aber im Detail vortragen.
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