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Com­p­li­an­ce Of­fi­cer in der Ver­ant­wor­tung

Bun­des­ge­richts­hof ent­schei­det über Straf­bar­keit: Bun­des­ge­richts­hof, Ur­teil vom 17.07.2009, 5 StR 394/08
Rechte Hand mit roter Karte Die Ga­ran­ten­stel­lung ei­nes Com­p­li­an­ce Of­fi­cers: Straf­recht­li­che Kon­se­quen­zen

29.12.2009. Ver­hin­dert ein Com­p­li­an­ce Of­fi­cer Straf­ta­ten nicht, die aus dem Un­ter­neh­men her­aus be­gan­gen wer­den, kann dies auch straf­recht­li­che Kon­se­quen­zen ha­ben, wie die vor­lie­gen­de Ent­schei­dung des Bun­des­ge­richts­hofs (BGH) zeigt, BGH, Ur­teil vom 17.07.2009, 5 StR 394/08.

Auf­ga­ben des Com­p­li­an­ce Of­fi­cers

Größere Un­ter­neh­men stel­len zu­neh­mend Beschäftig­te ein, die darüber wa­chen sol­len, dass es dort nicht zu Re­gel­verstößen kommt. Tra­di­tio­nell wird die­se Funk­ti­on als „In­nen­re­vi­si­on“ be­zeich­net. Neu­er­dings kom­men „Com­p­li­an­ce Of­fi­cers (CO)“ zum Ein­satz, die oft von ex­tern ge­holt wer­den.

Teil­wei­se sol­len Com­p­li­an­ce Of­fi­cers (nur) ver­hin­dern, dass Vor­schrif­ten zu Las­ten des Un­ter­neh­mens ge­bro­chen wer­den (et­wa, dass Mit­ar­bei­ter sich auf Kos­ten des Un­ter­neh­mens be­rei­chern), teil­wei­se aber auch, dass über­haupt Straf­ta­ten oder an­de­re gra­vie­ren­de Verstöße aus dem Un­ter­neh­men her­aus be­gan­gen wer­den, die dem „Image“ des Un­ter­neh­mens scha­den können.

Ver­hin­dert ein Com­p­li­an­ce Of­fi­cer, der ar­beits­ver­trag­lich die­se Ver­pflich­tung über­nom­men hat, pflicht­wid­rig ei­ne Straf­tat nicht, kann ihm we­gen des dar­in lie­gen­den Ver­s­toßes ge­gen sei­ne ar­beits­ver­trag­li­chen Ver­pflich­tun­gen je nach La­ge des Fal­les außer­or­dent­lich oder or­dent­lich aus ver­hal­tens­be­ding­ten Gründen gekündigt wer­den. Zu­dem ris­kiert er, dass er für den ent­stan­de­nen Scha­den haf­tet.

Frag­lich ist außer­dem, ob ein der­ar­ti­ger Pflicht­ver­s­toß als straf­recht­lich re­le­van­tes „Un­ter­las­sen“ im Sin­ne des § 13 Straf­ge­setz­buch (StGB) zu be­ur­tei­len ist. Im­mer­hin kommt hier ei­ne Ga­ran­ten­pflicht in Be­tracht, et­wa so, wie bei ei­nem bau­lei­ten­den Ar­chi­tek­ten ei­ne Ga­ran­ten­pflicht dafür an­ge­nom­men wird, dass von dem Gebäude kei­ne Ge­fahr für an­de­re aus­geht.

Um­strit­ten ist, un­ter wel­chen Umständen ei­ne straf­recht­li­che Ga­ran­ten­pflicht dafür be­steht, be­trieb­li­che Straf­ta­ten zu ver­hin­dern. Si­cher ist, dass nur we­ni­ge Beschäftig­te, die mit be­son­de­ren Kon­troll- und Wei­sungs­be­fug­nis­sen zur Ver­hin­de­rung be­trieb­li­cher Straf­ta­ten aus­ge­stat­tet sind, für ei­ne Ga­ran­ten­pflicht über­haupt in Be­tracht kom­men.

Frag­lich ist, wel­che Pflich­ten und Be­fug­nis­se ei­nem Beschäftig­ten über­tra­gen wor­den sein müssen, um ei­ne Ga­ran­ten­pflicht zur Ver­hin­de­rung von Straf­ta­ten an­zu­neh­men und wel­chen Um­fang die­se Ga­ran­ten­pflicht dann hat. Mit die­ser Fra­ge be­fasst sich ein neue­res Ur­teil des Bun­des­ge­richts­hofs (BGH) in Straf­sa­chen (BGH, Ur­teil vom 17.07.2009, 5 StR 394/08).

Der Fall des Bun­des­ge­richts­hofs: Überhöhte Ab­rech­nun­gen bei der BSR von "Com­p­li­an­ce Of­fi­cer" nicht ver­hin­dert

Der An­ge­klag­te W. war Lei­ter des St­abs­be­reichs Gre­mi­en­be­treu­ung, Lei­ter der Rechts­ab­tei­lung und Lei­ter der In­nen­re­vi­si­on bei der Ber­li­ner Stadt­rei­ni­gung (BSR). Er war Voll­ju­rist und galt als aus­ge­wie­se­ner „Ta­rif­ex­per­te“, d.h. als Spe­zia­list für die von der BSR er­ho­be­nen Gebühren.

Die BSR nahm über ei­nen Zeit­raum von et­wa zwei Jah­ren ge­genüber et­wa 170.000 Ber­li­ner Grundstücks­ei­gentümern überhöhte Ab­rech­nun­gen für die Rei­ni­gung der Ver­kehrs­we­ge vor. Die BSR hat­te da­bei zu Un­recht auch sol­che Straßen in ih­re Gebühren­kal­ku­la­ti­on ein­be­zo­gen, die kei­nen An­lie­ger ha­ben. Nach Ber­li­ner Lan­des­recht trägt die Kos­ten der Rei­ni­gung in­so­weit das Land Ber­lin in vol­lem Um­fang.

Der Feh­ler war 1999 ei­ner von der BSR für die Gebühren­kal­ku­la­ti­on ein­ge­setz­ten „Ta­rif­kom­mis­si­on“ un­ter­lau­fen, die ih­re Ar­beit un­ter Ver­ant­wor­tung des Haupt­an­ge­klag­ten, des Vor­stands­mit­glieds Dr. G, ver­rich­te­te. Auch der An­ge­klag­te W. gehörte ihr an. Noch 1999, d.h. be­vor die überhöhten Ab­rech­nun­gen an die Grundstücks­ei­gentümer ver­schickt wur­den, fiel der Feh­ler der Ta­rif­kom­mis­si­on auf. Auch W. wur­de zu die­sem Zeit­punkt von dem Feh­ler in­for­miert. Als aus­ge­wie­se­ner Ta­rif­ex­per­te wuss­te er, dass die Ein­be­zie­hung an­lie­ger­frei­er Straßen rechts­wid­rig war und konn­te auch die gra­vie­ren­den Fol­gen der feh­ler­haf­ten Vor­ge­hens­wei­se einschätzen.

Dr. G be­stand je­doch dar­auf, den von ihm mit ver­ur­sach­ten Feh­ler zu ver­tu­schen, zunächst wohl vor al­lem des­halb, da­mit die von der BSR be­ab­sich­tig­te Ver­trags­verlänge­rung für ihn nicht schei­ter­te. Dr. G ließ dann in den Fol­ge­jah­ren den rechts­wid­ri­gen Ta­rif fort­schrei­ben. Aus falsch ver­stan­de­ner Loya­lität in­for­mier­te W. darüber nie­man­den. Bei ei­ner Nach­be­rech­nung der Ta­ri­fe wur­de das Ge­sche­hen ent­deckt.

Das Land­ge­richt Ber­lin (Ur­teil vom 03.03.2008, (514) 3 Wi Js 1361/02 KLs (9/04)) ver­ur­teil­te dar­auf­hin den Haupt­an­ge­klag­ten Dr. G we­gen Be­tru­ges (§ 263 StGB) zu ei­ner Frei­heits­stra­fe. Den An­ge­klag­ten W. ver­ur­teil­te das Land­ge­richt we­gen Bei­hil­fe zum Be­trug durch Un­ter­las­sen (§§ 263, 27, 13 StGB) zu ei­ner Geld­stra­fe von 120 Ta­gessätzen (ins­ge­samt 9.000 EUR). Da­mit ist W. zwar eher glimpf­lich da­von­ge­kom­men, ist aber im­mer­hin vor­be­straft.

Das Land­ge­richt kam zu dem Er­geb­nis, dass W. dem Haupt­an­ge­klag­ten Dr. G bei sei­nem Be­trug ge­hol­fen hat, in­dem er nie­man­den über die Straf­tat des Dr. G in­for­mier­te. W. traf in­so­weit ei­ne Ga­ran­ten­pflicht, so das Land­ge­richt, da er als Lei­ter der In­nen­re­vi­si­on ge­ra­de dafür ver­ant­wort­lich war, dass die ge­setz­li­chen Vor­schrif­ten für die Er­stel­lung der Ta­rif­kal­ku­la­ti­on ein­ge­hal­ten würden.

Ge­gen sei­ne Ver­ur­tei­lung leg­te W. Re­vi­si­on beim BGH ein.

Bun­des­ge­richts­hof: Com­p­li­an­ce Of­fi­cer ist straf­recht­lich ver­ant­wort­lich

Der BGH bestätig­te das Ur­teil des Land­ge­richts Ber­lin. Das Land­ge­richt hat zu Recht ei­ne Ga­ran­ten­stel­lung des W. an­ge­nom­men, so der BGH. Un­zwei­fel­haft wa­ren W. auf­grund ei­nes be­son­de­ren Ver­trau­ens­verhält­nis­ses von der BSR be­son­de­re Schutz­pflich­ten übe­r­ant­wor­tet wor­den, so dass er Ga­rant war.

Der BGH be­fasst sich ausführ­lich mit der Fra­ge, ob sich die­se Ga­ran­ten­pflicht auf die Ver­hin­de­rung von Straf­ta­ten be­schränk­te, die das Vermögen des Un­ter­neh­mens be­ein­träch­tig­ten und des­halb mögli­cher­wei­se für die zu­las­ten der Grundstück­ei­gentümer be­gan­ge­ne Straf­tat von Dr. G gar nicht galt. Maßgeb­lich für die Be­ant­wor­tung die­ser Fra­ge ist die Be­stim­mung des Ver­ant­wor­tungs­be­reichs, den der Ver­pflich­te­te (ver­trag­lich und tatsächlich) über­nom­men hat, meint der BGH.

Com­p­li­an­ce Of­fi­cers wird als Auf­ga­ben­ge­biet die Ver­hin­de­rung von Rechts­verstößen, die aus dem Un­ter­neh­men her­aus be­gan­gen wer­den und die­sem er­heb­li­che Nach­tei­le durch Haf­tungs­ri­si­ken oder An­se­hens­ver­lust brin­gen können, über­tra­gen. Der­ar­ti­ge Be­auf­trag­te trifft des­halb re­gelmäßig ei­ne straf­recht­li­che Ga­ran­ten­pflicht, sol­che im Zu­sam­men­hang mit der Tätig­keit des Un­ter­neh­mens ste­hen­de Straf­ta­ten von Un­ter­neh­mens­an­gehöri­gen zu ver­hin­dern, so der BGH. Dies sei die Kehr­sei­te der vom Un­ter­neh­men über­tra­ge­nen Pflicht, Straf­ta­ten zu ver­hin­dern.

Ei­ne der­art weit­ge­hen­de Ga­ran­ten­pflicht nimmt der BGH für die In­nen­re­vi­si­on in der Re­gel nicht an, weil die­se übli­cher­wei­se nur Straf­ta­ten, die das Vermögen des Un­ter­neh­men be­ein­träch­ti­gen, ver­hin­dern sol­len.

Vor­lie­gend ist dies nach An­sicht des BGH je­doch an­ders, weil die BSR ho­heit­li­che Auf­ga­ben erfüllt und des­halb ei­ne be­son­de­re Stel­lung in­ne­hat. Der Ge­set­zes­voll­zug ist Kernstück ih­rer Tätig­keit und die ge­set­zes­kon­for­me Erfüllung ih­rer Auf­ga­ben zen­tra­ler Be­stand­teil des un­ter­neh­me­ri­schen Han­delns, meint der BGH. Da­her ge­be es kei­ne Tren­nung zwi­schen der Wah­rung von Un­ter­neh­mens­in­ter­es­sen und den In­ter­es­sen außen­ste­hen­der Drit­ter, so dass die In­nen­re­vi­si­on und da­mit auch der An­ge­klag­te W. voll­umfäng­lich für die Ver­hin­de­rung von Straf­ta­ten durch Un­ter­neh­mens­an­gehöri­ge ver­ant­wort­lich war.

Fa­zit: Das Ur­teil des BGH macht deut­lich, dass die Ver­ant­wor­tung von Com­p­li­an­ce Of­fi­cers und der ver­ant­wort­li­chen Mit­ar­bei­ter der In­nen­re­vi­si­on, ins­be­son­de­re bei ho­heit­lich täti­gen Ar­beit­ge­bern, sehr weit geht und auch straf­recht­lich ei­ne Rol­le spie­len kann.

Da es für den Um­fang der straf­recht­li­chen Ver­ant­wor­tung maßgeb­lich auf den dem Beschäftig­ten über­tra­ge­nen Ver­ant­wor­tungs­be­reich an­kommt, soll­te der Um­fang der Pflich­ten ver­trag­lich ge­nau ab­geklärt und aus­drück­lich in den Ar­beits­ver­trag auf­ge­nom­men wer­den.

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Letzte Überarbeitung: 28. August 2016

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