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ARBEITSRECHT AKTUELL // 09/074

Die Re­form der Ar­beits­zeit­richt­li­nie ist ge­schei­tert

Kei­ne No­vel­lie­rung der Ar­beits­zeit­richt­li­nie im Sin­ne ei­ner er­wei­ter­ten Zu­läs­sig­keit von Be­reit­schafts­diens­ten: Eu­ro­päi­sches Par­la­ment, Pres­se­mit­tei­lung vom 01.05.2009
Europafahne EU-Par­la­ment stimmt ge­gen ufer­lo­se Ver­län­ge­rung von Be­reit­schafts­diens­ten

05.05.2009. Die Re­form der Ar­beits­zeit­richt­li­nie (Richt­li­nie 2003/88/EG) ist auf­grund nicht zu über­brü­cken­der Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten zwi­schen Eu­ro­pa­par­la­ment und Kom­mis­si­on vor­erst ge­schei­tert.

Da­mit bleibt die Ar­beits­zeit­richt­li­nie in ih­rer der­zei­ti­gen Ge­stalt wei­ter in Gel­tung.

Auch die Recht­spre­chung des Eu­ro­päi­schen Ge­richts­hofs (EuGH), dass Be­reit­schafts­dienst­zei­ten in vol­lem Um­fang als Ar­beits­zeit zu be­wer­ten sind, ist für die EU-Mit­glieds­staa­ten auch in Zu­kunft wei­ter maß­geb­lich: Eu­ro­päi­sches Par­la­ment, Pres­se­mit­tei­lung vom 01.05.2009: No­vel­lie­rung der Ar­beits­zeit­richt­li­nie ge­schei­tert.

Was re­gelt die Ar­beits­zeit­richt­li­nie?

Die Richt­li­nie 2003/88/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 04.11.2003 über be­stimm­te As­pek­te der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung (Richt­li­nie 2003/88/EG - „Ar­beits­zeit­richt­li­nie“) re­gelt wie ih­re im We­sent­li­chen in­halts­glei­chen Vorgänger­richt­li­ni­en die Höchst­ar­beits­zeit von Ar­beit­neh­mern. Sie enthält ei­ne Rei­he von prak­tisch sehr wich­ti­gen Be­schränkun­gen der Ar­beits­zei­ten von abhängig beschäftig­ten Per­so­nen, zu de­nen un­ter an­de­rem auch Kran­ken­hausärz­te oder Feu­er­wehr­be­am­te zählen.

So muss gemäß Art. 3 der Richt­li­nie je­dem Ar­beit­neh­mer pro 24-St­un­den-Zeit­raum ei­ne Min­destru­he­zeit von elf zu­sam­menhängen­den St­un­den gewährt wer­den, und gemäß Art. 5 Abs.1 der Richt­li­nie muss je­dem Ar­beit­neh­mer pro Sie­ben­ta­ges­zeit­raum ei­ne kon­ti­nu­ier­li­che Min­destru­he­zeit von 24 St­un­den (zuzüglich der tägli­chen Ru­he­zeit von elf St­un­den) gewährt wer­den. Be­son­ders wich­tig ist die Fest­le­gung der 48-St­un­den­wo­che in Art.6 Nr.b) der Richt­li­ne, d.h. die Re­gel, dass die durch­schnitt­li­che Ar­beits­zeit pro Sie­ben­ta­ges­zeit­raum 48 St­un­den ein­sch­ließlich der Über­stun­den nicht über­schrei­ten darf.

War­um sind die Fol­ge­run­gen, die der EuGH beim The­ma Be­reit­schafts­dienst aus der Ar­beits­zeit­richt­li­nie zieht, für Ar­beit­ge­ber ein Ärger­nis?

Auf der Grund­la­ge ei­nes aus Spa­ni­en stam­men­den Vor­la­ge­fal­les ent­schied der Eu­ropäische Ge­richts­hof (EuGH) im Jah­re 2000, dass Be­reit­schafts­dienst­zei­ten in vol­lem Um­fang, d.h. auch in be­zug auf die sog. „in­ak­ti­ve“ Zeit, als Ar­beits­zei­ten im Sin­ne des EU-Ar­beits­zeit­rechts gel­ten (EuGH, Ur­teil vom 03.10.2000, C-303/98 - Si­map). Die­ses Ur­teil wur­de später mehr­fach, un­ter an­de­rem durch das auf Grund­la­ge ei­ner deut­schen EuGH-Vor­la­ge er­gan­ge­ne Ur­teil vom 09.09.2003 (C-151/02 - Jäger) bestätigt.

Be­reit­schafts­dienst­zei­ten sind Zei­ten, zu de­nen Ar­beit­neh­mer zwar im Be­trieb an­we­send sein, aber nur ar­bei­ten müssen, wenn dies auf­grund be­trieb­li­cher Ge­ge­ben­hei­ten er­for­der­lich ist. Ty­pisch für die­se Form der Ar­beit ist der - vor al­lem nächt­li­che - Be­reit­schafts­dienst von Ärz­ten und Pfle­ge­per­so­nal.

Dem SI­MAP-Ur­teil trug der deut­sche Ge­setz­ge­ber mit er­heb­li­cher Verzöge­rung durch ei­ne zum 01.01.2004 in Kraft ge­tre­te­ne Re­form des Ar­beits­zeit­ge­set­zes (Arb­ZG) Rech­nung. Das Arb­ZG in sei­ner Re­form­fas­sung stellt ent­spre­chend den Vor­ga­ben des EuGH klar, dass Be­reit­schafts­dienst­zei­ten als Ar­beits­zeit zu wer­ten sind. Erst nach ei­ner al­ler­letz­ten zweijähri­gen Über­g­angs­frist, die in § 25 Arb­ZG zu­guns­ten der Be­trei­ber von Kli­ni­ken und Pfle­ge­ein­rich­ti­gen ent­hal­ten ist, ist die neue EU-recht­li­che Rechts­la­ge ab dem 01.01.2007 auch in Deutsch­land bzw. in deut­schen Kli­ni­ken „an­ge­kom­men“.

In­fol­ge die­ser Ge­set­zes­re­for­men kom­men Kran­ken­haus­be­trei­ber nicht um­hin, ihr ärzt­li­ches Per­so­nal auf­zu­sto­cken, was mit Mehr­kos­ten ver­bun­den ist.

Was soll­te an der Ar­beits­zeit­richt­li­nie geändert wer­den?

In Re­ak­ti­on auf die be­harr­li­che Lob­by­ar­beit der eu­ropäischen Kran­ken­haus­be­trei­ber be­schloss der Mi­nis­ter­rat Mit­te des letz­ten Jah­res ei­ne Ände­rung der Ar­beits­zeit­richt­li­nie (Mi­nis­ter­rats­be­schluss vom 10.06.2008).

Nach dem Ent­wurf soll es (wie­der) möglich sein, Zei­ten des „in­ak­ti­ven“ Be­reit­schafts­diens­tes nicht mehr als Ar­beits­zeit zu berück­sich­ti­gen.

Da­mit nicht ge­nug: Die der­zeit be­reits be­ste­hen­de Möglich­keit, die wöchent­li­che Höchst­ar­beits­zeit von 48 St­un­den un­ter be­stimm­ten en­gen Vor­aus­set­zun­gen zu über­schrei­ten, falls der Ar­beit­neh­mer sein Ein­verständ­nis hier­mit erklärt hat („Opt-Out“, vgl. Art.17 Abs.5 der Ar­beits­zeit­richt­li­nie), soll­te nach die­sen Pla­nun­gen er­wei­tert wer­den (wir be­rich­te­ten darüber in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 08/069 Ei­ni­gung über EU-Richt­li­ni­en zur Ar­beits­zeit und zur Leih­ar­beit).

Die­se Pla­nun­gen wa­ren Teil ei­nes von V. Spid­la er­reich­ten po­li­ti­schen Kom­pro­mis­ses, der auf der ei­nen Sei­te ei­ne Auf­wei­chung der Ar­beits­zeit­richt­li­nie, auf der an­de­ren Sei­te erst­mals die Schaf­fung ei­ner Richt­li­nie zur Re­ge­lung der Ar­beit­neh­merüber­las­sung (Zeit­ar­beit) be­deu­tet hätte.

Eu­ro­pa­par­la­ment ge­gen Mi­nis­ter­rat

Hätte - wenn nicht das EU- Par­la­ment dem Mi­nis­ter­rat ei­nen Strich durch die Rech­nung ge­macht und mit Be­schluss vom 17.12.2008 den Neu­ent­wurf der Ar­beits­zeit­richt­li­nie ab­ge­lehnt hätte (wir be­rich­te­ten darüber in: Ar­beits­recht ak­tu­ell: 09/011 Eu­ro­pa­par­la­ment stoppt Re­form der Ar­beits­zeit­richt­li­nie.).

Darüber hin­aus sprach sich das Par­la­ment so­gar für ei­ne Verschärfung der Ar­beit­neh­mer­schutz­vor­schrif­ten der Ar­beits­zeit­richt­li­nie aus. Nach sei­nen Vor­stel­lun­gen soll­ten nicht nur „in­ak­ti­ve“ Be­reit­schafts­dienst­zei­ten wie bis­her als Ar­beits­zeit an­zu­se­hen sein. Viel­mehr soll­te die sog. Opt-Out-Re­ge­lung, die es den Mit­glied­staa­ten der­zeit er­laubt, vom Ar­beit­neh­mer aus­drück­lich ab­ge­seg­ne­te Verlänge­run­gen der Ar­beits­zeit über die Gren­zen der Richt­li­nie hin­aus zu er­lau­ben, in­ner­halb von drei Jah­ren aus­lau­fen, so dass ab die­sem Zeit­punkt die Möglich­keit, von der Höchst­ar­beit­zeit nach oben ab­zu­wei­chen, eu­ro­pa­weit ab­ge­schafft wäre.

Der letz­te Akt des po­li­ti­schen Dra­mas EU-Par­la­ment ge­gen EU-Kom­mis­si­on war nun­mehr die of­fi­zi­el­le Ver­laut­ba­rung des Eu­ropäischen Par­la­ments vom 28.04.2009 über das Schei­tern ei­nes Kom­pro­mis­ses betr. die Ar­beits­zeit­richt­li­nie.

Ent­ge­gen an­ders lau­ten­den Be­wer­tun­gen die­ses Er­geb­nis­ses ist die­ses aus Sicht des Ar­beits­zeit­schut­zes po­si­tiv zu be­wer­ten, da die ei­ge­nen po­li­ti­schen Vor­schläge des Eu­ro­pa­par­la­ments, die es am 17.12.2008 in be­zug auf ei­ne Verschärfung der Ar­beits­zeit­richt­li­nie ge­macht hat­te, von vorn­her­ein aus­sichts­los wa­ren.

Rea­lis­tisch be­trach­tet stand nie ei­ne Be­gren­zung der Opt-Out-Re­ge­lung zur De­bat­te, son­dern nur - aber im­mer­hin! - ei­ne aus­drück­li­che Kor­rek­tur der Recht­spre­chung des EuGH zum Ar­beits­zeit­be­griff bzw. zum Be­reit­schafts­dienst.

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Letzte Überarbeitung: 21. Juni 2019

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