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ARBEITSRECHT AKTUELL // 10/018

Dis­kri­mi­nie­rung jün­ge­rer Ar­beit­neh­mer

EuGH ent­schei­det zu Kün­di­gungs­fris­ten: Eu­ro­päi­scher Ge­richts­hof, Ur­teil vom 19.01.2010, C-555/07 (Kü­cük­de­ve­ci gg. Swe­dex)
Rentnerpaar auf Parkbank Un­zu­läs­si­ge Kün­di­gungs­frist we­gen Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung

27.01.2010. Der Eu­ro­päi­sche Ge­richts­hof (EuGH) hat ei­ne Ent­schei­dung zu der Streit­fra­ge ge­fällt, wie mit ei­ner Ge­set­zes­re­ge­lung zu ver­fah­ren ist, der zu­fol­ge für die Be­mes­sung der Kün­di­gungs­fris­ten Be­schäf­ti­gungs­zei­ten vor Voll­endung des 25. Le­bens­jah­res nicht be­rück­sich­tigt wer­den.

Ei­ne sol­che Be­stim­mung, wie sie in § 622 Abs. 2 Satz 2 Bür­ger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) ent­hal­ten ist, ver­stößt nach über­wie­gen­der An­sicht ge­gen die Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27.11.2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Be­schäf­ti­gung und Be­ruf ist da­her eu­ro­pa­rechts­wid­rig. Ein Richt­li­ni­en­ver­stoß al­lein kann aber nicht da­zu füh­ren, dass die an das deut­sche Ge­set­zes­recht ge­bun­de­nen Ar­beits­ge­rich­te die­se Vor­schrift "un­an­ge­wen­det" las­sen müs­sen.

Da­zu braucht es stär­ke­re Grün­de. Sol­che Grün­de (Ver­stoß ge­gen pri­mä­res Eu­ro­pa­recht) hat der EuGH in ei­ner ak­tu­el­len Ent­schei­dung an­ge­nom­men und da­mit die deut­schen Ar­beits­ge­rich­te auf­ge­for­dert, § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht mehr an­zu­wen­den: EuGH, Ur­teil vom 19.01.2010, Rs. C-555/07 (Kü­cük­de­ve­ci gg. Swe­dex).

Kündi­gungs­fris­ten und Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung

Die Kündi­gungs­fris­ten, die der Ar­beit­ge­ber bei der or­dent­li­chen Kündi­gung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses be­ach­ten muss, sind in § 622 Abs.2 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) ge­re­gelt. Da­nach gilt die Re­gel: Je länger das Ar­beits­verhält­nis be­stand, des­to länger sind die Fris­ten. Bei fünfjähri­gem Be­ste­hen muss der Ar­beit­ge­ber ei­ne Kündi­gungs­frist von zwei Mo­na­ten zum Mo­nats­en­de be­ach­ten, nach acht Jah­ren drei Mo­na­te, bei zehn Jah­ren vier Mo­na­te usw.

Die Verlänge­rung der Kündi­gungs­fris­ten in Abhängig­keit von der Dau­er des Ar­beits­verhält­nis­ses kommt al­ler­dings nicht al­len Ar­beit­neh­mern in glei­cher Wei­se zu­gu­te. Gemäß § 622 Abs.2 Satz 2 BGB wer­den nämlich Zei­ten, die vor der Voll­endung des 25. Le­bens­jah­res des Ar­beit­neh­mers lie­gen, bei der Be­rech­nung der Beschäfti­gungs­dau­er nicht berück­sich­tigt.

Dar­aus folgt: Wenn ein z.B. 26jähri­ger Ar­beit­neh­mer zum Zeit­punkt der Kündi­gung auf ei­ne achtjähri­ge Be­triebs­zu­gehörig­keit ver­wei­sen kann, muss sein Ar­beit­ge­ber le­dig­lich die Grundkündi­gungs­frist von vier Wo­chen zum 15. oder zum Mo­nats­en­de be­ach­ten. Da­ge­gen kann ein 35jähri­ger Ar­beits­kol­le­ge, der zum sel­ben Zeit­punkt ein­ge­stellt wor­den war und da­her die­sel­be Be­triebs­zu­gehörig­keit von acht Jah­ren vor­wei­sen kann, vom Ar­beit­ge­ber nur mit ei­ner verlänger­ten Kündi­gungs­frist von vier Mo­na­ten zum Mo­nats­en­de gekündigt wer­den.

Die­sel­be Be­triebs­zu­gehörig­keit führt so­mit gemäß § 622 Abs.2 Satz 2 BGB je nach dem Al­ter des Ar­beit­neh­mers zu ver­schie­den lan­gen Kündi­gungs­fris­ten, wo­bei die jünge­ren Ar­beit­neh­mer vom Ge­setz schlech­ter be­han­delt wer­den als die älte­ren. In der ar­beits­recht­li­chen Recht­spre­chung und Li­te­ra­tur ist da­her seit länge­rer Zeit vor­herr­schen­de Mei­nung, dass die ge­setz­li­che Aus­klam­me­rung von Beschäfti­gungs­zei­ten, die vor dem 25. Le­bens­jahr zurück­ge­legt wur­den, ei­ne eu­ro­pa­recht­lich un­zulässi­ge Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Le­bens­al­ters ist.

Die Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27.11.2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf ver­bie­tet nämlich nicht ge­recht­fer­tig­te Un­gleich­be­hand­lun­gen von Ar­beit­neh­mern we­gen des Al­ters, und zwar un­abhängig da­von, ob älte­re ge­genüber jünge­ren oder aber jünge­re ge­genüber älte­ren Ar­beit­neh­mern dis­kri­mi­niert wer­den (Art.1 und Art.2 Abs.2 der Richt­li­nie 2000/78/EG).

Das Ver­bot der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung ist seit dem In­kraft­tre­ten des All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­set­zes (AGG) am 18.08.2006 auch Teil des deut­schen Ge­set­zes­rechts (§ 1, § 7 AGG).

Un­klar und um­strit­ten ist al­ler­dings, wel­che recht­li­chen Kon­se­quen­zen dar­aus zu zie­hen sind, dass § 622 Abs.2 Satz 2 BGB ge­gen das Eu­ro­pa­recht so­wie ge­gen das im AGG ent­hal­te­ne Ver­bot der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung verstößt. Im­mer­hin hat sich der deut­sche Ge­setz­ge­ber mit die­sen seit Jah­ren dis­ku­tier­ten Fra­gen noch nicht be­fasst und wird dies vor­aus­sicht­lich auch nicht tun.

Die Kor­rek­tur von Ge­set­zes­vor­schrif­ten, die mit EU-Richt­li­ni­en un­ver­ein­bar sind, ist aber in ei­ner par­la­men­ta­ri­schen De­mo­kra­tie nicht Auf­ga­be der Ge­rich­te, son­dern des Ge­setz­ge­bers bzw. des Par­la­ments. Dies gilt je­den­falls dann, wenn sich ei­ne richt­li­ni­en­wid­ri­ge Ge­set­zes­vor­schrift nicht in ei­ner Wei­se aus­le­gen lässt, die den Eu­ro­pa­rechts­ver­s­toß ent­fal­len lässt.

Ei­ne sol­che eu­ro­pa­rechts­kon­for­me Aus­le­gung ist aber bei § 622 Abs.2 Satz 2 BGB nicht möglich, da die Be­deu­tung die­ser Vor­schrift "klipp und klar" ist, d.h. Un­klar­hei­ten, die im We­ge der Aus­le­gung be­sei­tigt wer­den müss­ten, gibt es hier nicht.

Vor die­sem Hin­ter­grund ha­ben in den ver­gan­ge­nen Jah­ren ei­ni­ge Ge­rich­te im An­schluss an das Ur­teil des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs (EuGH) in Sa­chen Man­gold (Ur­teil vom 22.11.2005, C-144/04) die Mei­nung ver­tre­ten, dass das Ver­bot der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung ein "all­ge­mei­ner Grund­satz" des Eu­ro­pa­rechts sei, d.h. ein Prin­zip, das über den EU-Richt­li­ni­en steht und da­her oh­ne be­son­de­re ge­setz­ge­be­ri­sche Um­set­zungs­hand­lun­gen in den Rechts­ord­nun­gen der Mit­glied­staa­ten gilt.

Kurz ge­sagt heißt das: Das eu­ro­pa­recht­li­che Ver­bot der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung geht der al­ters­dis­kri­mi­nie­ren­den Vor­schrift des § 622 Abs.2 Satz 2 BGB vor, so dass die­se nicht an­ge­wen­det wer­den kann. So hat­te et­wa das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Ber­lin-Bran­den­burg mit Ur­teil vom 24.07.2007 (7 Sa 561/07) ent­schie­den (wir be­rich­te­ten in: Ar­beits­recht ak­tu­ell 07/90 Dis­kri­mi­nie­rung jünge­rer Ar­beit­neh­mer bei Kündi­gungs­fris­ten).

An­de­re Ge­rich­te da­ge­gen wa­ren nicht so "mu­tig", d.h. sie sa­hen sich nicht als be­fugt an, ei­ne gel­ten­de Ge­set­zes­vor­schrift auf­grund des o.g. Eu­ro­pa­rechts­ver­s­toßes "un­an­ge­wen­det" zu las­sen.

Un­ter die­sen Ge­rich­ten be­fin­det sich das LAG Düssel­dorf, das mit Be­schluss vom 21.11.2007 (12 Sa 1311/07) in ei­nem Kündi­gungs­schutz­pro­zess das Ver­fah­ren aus­setz­te und dem EuGH die Fra­ge vor­leg­te, ob ei­ne Vor­schrift wie § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB ge­gen das eu­ro­pa­recht­li­che Ver­bot der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung verstößt und ob ei­ne sol­che Vor­schrift zu­las­ten ei­nes von ihr begüns­tig­ten pri­va­ten Ar­beit­ge­bers un­an­ge­wen­det blei­ben darf (wir be­rich­te­ten in: Ar­beits­recht ak­tu­ell 07/90 Dis­kri­mi­nie­rung jünge­rer Ar­beit­neh­mer bei Kündi­gungs­fris­ten).

Nun­mehr hat der EuGH über die­sen Vor­la­ge­be­schluss des LAG Düssel­dorf ent­schie­den (Ur­teil vom 19.01.2010, Rs. C-555/07 - Kücükde­ve­ci ge­gen Swe­dex).

Der Streit­fall: Kündi­gung ei­ner jünge­ren Ar­beit­neh­me­rin mit Mo­nats­frist - nach zehn Jah­ren Beschäfti­gung

Ei­ne am 12.02.1978 ge­bo­re­ne Ar­beit­neh­me­rin, Frau Kücükde­ve­ci, trat am 04.06.1996, d.h. mit 18 Jah­ren als Ver­sand­ar­bei­te­rin in die Diens­te des be­klag­ten Ar­beit­ge­bers, der Fa. Swe­dex GmbH & Co. KG. Auf das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en fan­den die ge­setz­li­chen Kündi­gungs­fris­ten An­wen­dung.

Mit Schrei­ben vom 19.12.2006, am sel­ben Tag zu­ge­gan­gen, erklärte die Be­klag­te die or­dent­li­che Kündi­gung zum 31.01.2007, hilfs­wei­se zum nächstmögli­chen Ter­min. Da­ge­gen er­hob Frau Kücükde­ve­ci beim Ar­beits­ge­richt Mönchen­glad­bach Kündi­gungs­schutz­kla­ge.

Sie mach­te un­ter an­de­rem gel­tend, dass die Kündi­gung ihr Ar­beits­verhält­nis frühes­tens zum 30.04.2007 be­en­den könne. § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 BGB verlängert die Kündi­gungs­frist nach 10jähri­ger Be­triebs­zu­gehörig­keit nämlich auf vier Mo­na­te zum Mo­nats­en­de. Sie war der Mei­nung, dass die Aus­nah­me­vor­schrift des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB, wo­nach die Verlänge­rung der Kündi­gungs­fris­ten in Abhängig­keit von der Be­triebs­zu­gehörig­keits­zeit erst ab Voll­endung des 25. Le­bens­jah­res ein­grei­fen soll, ge­gen das Ver­bot der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung ver­s­toße und da­her un­be­ach­tet blei­ben müss­te.

Das LAG Düssel­dorf hat durch Teil­ur­teil vom 20.11.2007 die Kündi­gungs­schutz­kla­ge ab­ge­wie­sen, da­bei al­ler­dings of­fen ge­las­sen, ob die Kündi­gung zum 31.01.2007 oder erst zum 30.04.2007, d.h. drei Mo­na­te später wirk­sam ge­wor­den war. Mit dem be­reits erwähn­ten Vor­la­ge­be­schluss vom sel­ben Tag hat es we­gen die­ser strei­ti­gen drei Mo­na­te das Ver­fah­ren aus­ge­setzt und den EuGH um Stel­lung­nah­me zu den fol­gen­den Fra­gen er­sucht:

"1. a) Verstößt ei­ne na­tio­na­le Ge­set­zes­re­ge­lung, nach der sich die vom Ar­beit­ge­ber ein­zu­hal­ten­den Kündi­gungs­fris­ten mit zu­neh­men­der Dau­er der Beschäfti­gung stu­fen­wei­se verlängern, je­doch hier­bei vor Voll­endung des 25. Le­bens­jahrs lie­gen­de Beschäfti­gungs­zei­ten des Ar­beit­neh­mers un­berück­sich­tigt blei­ben, ge­gen das ge­mein­schafts­recht­li­che Ver­bot der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung, na­ment­lich ge­gen Primärrecht der Ge­mein­schaft oder ge­gen die Richt­li­nie 2000/78?

b) Kann ein Recht­fer­ti­gungs­grund dafür, dass der Ar­beit­ge­ber bei der Kündi­gung von jünge­ren Ar­beit­neh­mern nur ei­ne Grundkündi­gungs­frist ein­zu­hal­ten hat, dar­in ge­se­hen wer­den, dass dem Ar­beit­ge­ber ein - durch länge­re Kündi­gungs­fris­ten be­ein­träch­tig­tes - be­trieb­li­ches In­ter­es­se an per­so­nal­wirt­schaft­li­cher Fle­xi­bi­lität zu­ge­stan­den wird und jünge­ren Ar­beit­neh­mern nicht der (durch länge­re Kündi­gungs­fris­ten den älte­ren Ar­beit­neh­mern ver­mit­tel­te) Be­stands- und Dis­po­si­ti­ons­schutz zu­ge­stan­den wird, z. B. weil ih­nen im Hin­blick auf ihr Al­ter und/oder ge­rin­ge­re so­zia­le, fa­mi­liäre und pri­va­te Ver­pflich­tun­gen ei­ne höhe­re be­ruf­li­che und persönli­che Fle­xi­bi­lität und Mo­bi­lität zu­ge­mu­tet wird?

2. Wenn die Fra­ge zu 1a be­jaht und die Fra­ge zu 1b ver­neint wird:

Hat das Ge­richt ei­nes Mit­glied­staats in ei­nem Rechts­streit un­ter Pri­va­ten die dem Ge­mein­schafts­recht ex­pli­zit ent­ge­gen­ste­hen­de Ge­set­zes­re­ge­lung un­an­ge­wen­det zu las­sen, oder ist dem Ver­trau­en, das die Nor­mun­ter­wor­fe­nen in die An­wen­dung gel­ten­der in­ner­staat­li­cher Ge­set­ze set­zen, da­hin ge­hend Rech­nung zu tra­gen, dass die Un­an­wend­bar­keits­fol­ge erst nach Vor­lie­gen ei­ner Ent­schei­dung des Ge­richts­hofs über die in­kri­mi­nier­te oder ei­ne im We­sent­li­chen ähn­li­che Re­ge­lung ein­tritt?"

Eu­ropäischer Ge­richts­hof be­jaht Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung

Der EuGH hat sich, wie kaum an­ders zu er­war­ten war, der Mei­nung an­ge­schlos­sen, dass ei­ne ein­sei­tig zu­las­ten jünge­rer Ar­beit­neh­mer ge­hen­de Vor­schrift von der Art des hier um­strit­te­nen § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB ge­gen das eu­ro­pa­recht­li­che Ver­bot der al­ters­be­ding­ten Dis­kri­mi­nie­rung im Er­werbs­le­ben verstößt.

Dies be­gründet der Ge­richts­hof da­mit, dass der ei­gent­li­che (Haupt-)Zweck des § 622 Abs. 2 BGB, nämlich den Schutz der Ar­beit­neh­mer ent­spre­chend der Dau­er der Be­triebs­zu­gehörig­keit zu verstärken, nicht kon­se­quent um­ge­setzt wird, da die an sich ge­woll­te Verlänge­rung der Kündi­gungs­frist ent­spre­chend der Beschäfti­gungs­dau­er für Ar­beit­neh­mer un­ter 25 Jah­ren - zweck­wid­rig - aus­ge­schlos­sen ist. Außer­dem wer­den nach An­sicht des Ge­richts­hofs Ar­beit­neh­mer un­ter 25 Jah­ren sche­ma­tisch gleich und da­mit sach­wid­rig be­han­delt, da der Aus­schluss von ei­ner Verlänge­rung der Kündi­gungs­fris­ten für al­le un­ter 25jähri­gen Ar­beit­neh­mer gilt, d.h. un­abhängig da­von gilt, wie alt sie zum Zeit­punkt ih­rer Ent­las­sung sind.

Zu der zwei­ten Vor­la­ge­fra­ge be­kräftigt der EuGH un­ter Ver­weis auf die Man­gold-Ent­schei­dung (Ur­teil vom 22.11.2005, C-144/04) noch­mals aus­drück­lich sei­ne (viel­fach kri­ti­sier­te) Recht­spre­chung, dass das Ver­bot der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters ein all­ge­mei­ner Grund­satz des Uni­ons­rechts sei, da er ei­ne "spe­zi­fi­sche An­wen­dung des all­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­grund­sat­zes" dar­stel­le. Da­her ha­be das na­tio­na­le Ge­richt die Ob­lie­gen­heit, bei ein­schlägi­gen Strei­tig­kei­ten die "vol­le Wirk­sam­keit des Uni­ons­rechts zu gewähr­leis­ten" und zu die­sem Zweck, falls er­for­der­lich, je­de die­sem Ver­bot ent­ge­gen­ste­hen­de Be­stim­mung des na­tio­na­len Rechts un­an­ge­wen­det zu las­sen.

Fa­zit: Nach dem jetzt gefäll­ten Kücükde­ve­ci-Ur­teil des EuGH vom 19.01.2010 kann man auf­grund der mehr­fa­chen be­kräfti­gen­den Be­zug­nah­me auf die Aus­sa­gen der Man­gold-Ent­schei­dung von ei­ner ständi­gen Recht­spre­chung des EuGH spre­chen, der zu­fol­ge das Ver­bot der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung ein "all­ge­mei­ner Grund­satz" des EU-Rechts ist und den Ge­set­zes­vor­schrif­ten der Mit­glieds­staa­ten vor­geht.

Ob man die Nicht­an­wen­dung von § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB mit so weit­ge­hen­den eu­ro­pa­recht­li­chen The­sen be­gründen muss, ist zwei­fel­haft, da das Ver­bot der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung seit dem 18.08.2006 Be­stand­teil des deut­schen Ge­set­zes­rechts ist (§§ 1, 3, 7, 10 AGG). Da der Ge­setz­ge­ber im AGG den Wort­laut der ein­schlägi­gen EU-Richt­li­ni­en oft un­verändert über­nom­men hat, spricht viel dafür, dass er ei­ne Ände­rung ver­streut zu fin­den­der Ge­set­zes­vor­schrif­ten für überflüssig hielt bzw. be­wusst nicht vor­ge­nom­men hat. Dies gibt der deut­schen Recht­spre­chung die Le­gi­ti­ma­ti­on, älte­re Ge­set­zes­vor­schrif­ten, die den im AGG ent­hal­te­nen Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bo­ten zu­wi­der­lau­fen, ent­spre­chend die­sen Ver­bo­ten an­zu­pas­sen.

Es braucht da­her nicht un­be­dingt ei­nen sehr um­strit­te­nen, an­geb­lich über den Richt­li­ni­en ste­hen­den all­ge­mei­nen EU-Rechts­grund­satz, dass al­ters­be­ding­te Dis­kri­mi­nie­run­gen ver­bo­ten sind. Aus­rei­chend ist viel­mehr die seit je­her an­er­kann­te Kol­li­si­ons­re­gel, dass bei wi­der­spre­chen­den Ge­set­zen das jünge­re Ge­setz das ihm in­halt­lich wi­der­spre­chen­de älte­re Ge­setz ver­drängt.

Wie auch im­mer man die­se man die­se Fra­gen be­ur­teilt: § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB ist tot und mit ihm die tra­di­tio­nel­le Un­ter­schei­dung zwi­schen Be­triebs­zu­gehörig­keits­jah­ren und "Zähl­jah­ren" im Sin­ne des Kündi­gungs­fris­ten­rechts.

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Letzte Überarbeitung: 16. November 2020

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