Die GNBZ hatte mit dem Arbeitgeberverband der so genannten "neuen" Postdienstunternehmen einen Mindestlohntarifvertrag geschlossen, der weit niedrigere Mindestlöhne vorsah, als der Verdi-Mindestlohntarifvertrag, den das Bundesministerium für Arbeit und Soziales als Branchenmindestlohn einführen wollte.
Die GNBZ und der Arbeitgeberverband der neuen Postdienstunternehmen haben ihre Rechtsbeschwerde gegen die Entscheidung des LAG Köln zum Bundesarbeitsgericht (BAG) jetzt zurückgenommen: BAG, Beschluss vom 27.04.2010, 1 ABR 101/09.
Im Jahr 2007 wurde mit der Reform des Arbeitnehmerentsendegesetzes (AEntG) der Weg für die Einführung von Mindestlöhnen geebnet, wobei dadurch allerdings nicht ein einheitlicher Mindestlohn sondern nur branchenspezifische Mindestlöhne ermöglicht wurden.
Vereinfacht gesagt können nach dem AEntG Mindestlöhne dadurch eingeführt werden, dass erstens die fragliche Branche in das Gesetz aufgenommen wird und zweitens die Tarifparteien einen „ganz normalen“ Tarifvertrag abschließen, der Lohnuntergrenzen regelt, und dieser Tarifvertrag schließlich per Rechtsverordnung durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) auf alle Unternehmen der Branche erstreckt wird (so genannte „Erstreckungsverordnung“).
Als die Branche der Postdienstunternehmen Ende 2007 in das AEntG aufgenommen wurde, entbrannte um die Einführung eines Mindestlohn für diese Branche ein heftiger Konflikt. Die Gewerkschaft Verdi schloss nämlich flugs mit der Post AG einen Tarifvertrag, der Mindestlöhne von 9,80 EUR vorsah, den das BMAS gleich per Rechtsverordnung auf die gesamte Branche erstreckte.
Das löste einen Aufschrei bei den neuen Postdienstunternehmen, also den Konkurrenten der Post AG, aus, die das staatliche Vorgehen für politisch fragwürdig hielten und in den Verdi-Mindestlöhnen ihr wirtschaftliches Aus sahen. Es gründete sich eine neue Gewerkschaft, die Gewerkschaft der neuen Brief- und Zustelldiensten (GNBZ), die mit den neuen Postunternehmen, d.h. mit deren Arbeitgeberverband, einen (reinen) Mindestlohntarifvertrag abschloss, der Mindestlöhne ab 6,50 EUR vorsah. Diese (niedrigeren) Mindestlöhne müssten sie zahlen, nicht die weit höheren des Verdi-Tarifvertrags, so das Argument.
Arbeitgeber und Arbeitgeberverband der neuen Postdienstunternehmen gingen gegen die Verordnung, die den Mindestlohn des Verdi-Tarifvertrags für die gesamte Branche verbindlich machte, sodann vor Gericht.
Der Rechtsstreit ging bis zum Bundesverwaltungsgericht, dass im Januar 2010 zu dem Ergebnis gelangte, dass die Verordnung tatsächlich rechtswidrig war, weil das BMAS einen Verfahrensfehler begangen hatte und außerdem eine Erstreckung nur auf gar nicht tarifgebundene Arbeitgeber erfolgen durfte, während die neuen Postdienste schließlich die Tarifverträge der GNBZ anwendeten (wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 10/028 "Kein Mindestlohn für Konkurrenten der Post").
Ob die neuen Postdienste jedoch tatsächlich als anderweitig tariflich gebunden gelten konnten, war zweifelhaft, weil die Tarifverträge der GNBZ möglicherweise gar keine wirksamen Tarifverträge waren. Tarifverträge dürfen nämlich nur von „richtigen“ Gewerkschaften geschlossen werden, d.h. die Gewerkschaften müssen tariffähig sein. Kriterium hierfür ist u.a., dass die Gewerkschaften Gegenspieler der Arbeitgeberseite sind, d.h. die Arbeitgeberseite darf in ihnen nichts zu sagen haben.
Das war bei der GNBZ jedoch fragwürdig. Schließlich war der Abschluss des Mindestlohntarifvertrags eindeutig im Interesse der Arbeitgeber, da der Tarifvertrag als ein Argument gegen die Geltung der höheren Verdi-Tariflöhne ins Feld geführt werden konnte.
Das allein hätte jedoch nicht ausgereicht, um die Tariffähigkeit der GNBZ ernsthaft anzuzweifeln. Daneben tauchten jedoch Schreiben des Arbeitgeberverbandes der „neuen“ Postdienstunternehmen auf, in denen dafür geworben wurde, der Gewerkschaft beizutreten. Es bestand außerdem der Verdacht, dass die Gewerkschaft in Wirklichkeit von der Arbeitgeberseite verdeckt finanziert und gesteuert wurde, um gezielt den Verdi-Mindestlohn zu unterlaufen. Deswegen ermittelte sogar die Staatsanwaltschaft, die das Verfahren jedoch später einstellte.
Verdi klagte jedenfalls vor dem Arbeitsgericht Köln auf Feststellung, dass die GNBZ nicht tariffähig ist. Sowohl das Arbeitsgericht (Beschluss vom 30.10.2008, 14 BV 324/08) als auch das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln als zweite Instanz (Beschluss vom 20.05.2009, 9 TaBV 105/08) teilten die Einschätzung von Verdi.
Die GNBZ ist nicht tariffähig, so das LAG, weil schon die Satzung als Ziel der Gewerkschaft das Wohl der Postdienstleistungsunternehmen statt der tariflichen Vertretung der Arbeitnehmer festschreibt. Nach der Satzung sei außerdem die (Ehren-)Mitgliedschaft auch von Arbeitgebern in der Gewerkschaft möglich.
Vor allem ist die GNBZ jedoch auch nach Auffassung des Gerichts tatsächlich von Arbeitgebern finanziert und beeinflusst und verstößt damit gegen das Erfordernis der „Gegnerfreiheit“ (wir berichteten in: Arbeitsrecht aktuell: 09/147 "Die Gewerkschaft der Neuen Brief- und Zustelldienste (GNBZ) ist nicht tariffähig").
Gegen diese Entscheidung legte die GNBZ und der Arbeitgeberverband der Neuen Brief- und Zustelldienste Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht (BAG) unter dem Aktenzeichen 1 ABR 101/09 ein.
Wie aus dem BAG-Beschluss vom 27.04.2010 (1 ABR 101/09) ersichtlich ist, haben Gewerkschaft und Arbeitgeberverband ihre Rechtsbeschwerde jetzt zurückgenommen. Damit ist der Beschluss des LAG Köln rechtskräftig, d.h. jetzt steht endgültig fest, dass die GNBZ keine Gewerkschaft ist.
Arbeitgeberverband und GNBZ haben wohl zurecht befürchtet, dass das BAG nicht anders entscheiden würde als die Vorinstanzen. Zu offensichtlich waren die Anzeichen, die für eine Einflussnahme und Steuerung der GNBZ durch die Arbeitgeberseite sprachen.
Das Ergebnis ist vor dem Hintergrund wichtig, dass einer „Scheingewerkschaft“ Einhalt geboten wurde. Unmittelbare positive Auswirkungen für die Arbeitnehmer der neuen Postdienstunternehmen ergeben sich jedoch nicht. Denn durch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist klargestellt, dass der Verdi-Tarifvertrag nicht als verbindlicher Mindestlohn in der Branche gilt.
Hier müsste das BMAS einen neuen Anlauf nehmen und eine rechtlich beanstandungsfreie Erstreckungsverordnung erlassen. Allerdings hat der Präsident des Arbeitgeberverbands Neue Brief- und Zustelldienste (NBZ), Florian Gerster, schon angekündigt, jetzt mit Verdi über Tariflöhne zu verhandeln (DGB, Pressemitteilung vom 20.04.2010).
Die Existenz eines anderen Mindestlohn-Tarifvertrags neben dem Verdi-Tarifvertrag wäre mittlerweile übrigens kein Ausschlusskriterium für die Erstreckungsverordnung mehr. Der Gesetzgeber hat nämlich reagiert und den jetzigen § 7 Abs. 1 AEntG so formuliert, dass ausdrücklich die Erstreckung eines Mindestlohn-Tarifvertrages auch auf anderweitig tarifgebundene Arbeitgeber erfolgen darf.
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Letzte Überarbeitung: 13. Juli 2016
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