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ARBEITSRECHT AKTUELL // 09/204

Muss das Kün­di­gungs­schutz­recht ge­än­dert wer­den?

Das deut­sche Kün­di­gungs­schutz­recht bie­tet mög­li­cher­wei­se kei­nen aus­rei­chen­den Dis­kri­mi­nie­rungs­schutz: Pres­se­mit­tei­lung der Kom­mis­si­on vom 08.10.2009
Europafahne Kom­mis­si­on lei­tet Ver­trags­ver­let­zungs­ver­fah­ren ge­gen Deutsch­land ein
05.11.2009. Der­zeit ist von der ge­ra­de erst ge­bil­de­ten schwarz-gel­ben Ko­ali­ti­on in Ber­lin nicht zu hö­ren, dass die­se we­sent­li­che Din­ge im Ar­beits- und So­zi­al­recht än­dern möch­te.

Zwar muss­te man in den Ko­ali­ti­ons­ver­hand­lun­gen über die von der FDP ge­wünsch­ten Lo­cke­run­gen des ge­setz­li­chen Kün­di­gungs­schut­zes spre­chen, doch konn­te sich die FDP mit die­sen For­de­run­gen nicht durch­set­zen.

Da­her gä­be es über die ar­beits- und so­zi­al­recht­li­che Ge­setz­ge­bung in Deutsch­land der­zeit we­nig zu be­rich­ten, wä­re da nicht die EU-Kom­mis­si­on in Brüs­sel. Sie mahn­te Deutsch­land An­fang Ok­to­ber 2009 for­mell, das Kün­di­gungs­schutz­recht zu ver­schär­fen, da die­ses nicht das eu­ro­pa­recht­lich er­for­der­li­che Ni­veau an Dis­kri­mi­nie­rungs­schutz ge­währ­leis­te.

So­mit gibt es zwar mo­men­tan kei­nen von der neu­en Ber­li­ner Re­gie­rungs­ko­ali­ti­on, aber da­für ei­nen von au­ßen kom­men­den Ver­än­de­rungs­druck.

Sind in Deutsch­land dis­kri­mi­nie­ren­de Kündi­gun­gen möglich?

Mit ih­rer „mit Gründen ver­se­he­nen Stel­lung­nah­me“ lei­tet die Kom­mis­si­on die zwei­te Stu­fe ei­nes so ge­nann­ten Ver­trags­ver­let­zungs­ver­fah­rens ge­gen Deutsch­land ein (Pres­se­mit­tei­lung vom 08.10.2009, IP/09/1447). Deutsch­land hat nun nach den Re­ge­lun­gen des EG-Ver­tra­ges zunächst zwei Mo­na­te Zeit, Nach­bes­se­run­gen vor­zu­neh­men. An­dern­falls droht ei­ne Ver­trags­ver­let­zungs­kla­ge vor dem Eu­ropäischen Ge­richts­hof (EuGH), des­sen Ur­teil not­falls mit fi­nan­zi­el­len Sank­tio­nen durch­ge­setzt wer­den könn­te.

Hin­ter­grund des Strei­tes ist das am 14.08.2006 in kraft ge­tre­te­ne All­ge­mei­ne Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG), mit dem meh­re­re EU-Richt­li­ni­en zur Dis­kri­mi­nie­rungs­bekämp­fung im Ar­beits­le­ben um­ge­setzt wer­den sol­len, so die Richt­li­nie 2000/78/EG, die Richt­li­nie 2000/43/EG und die Richt­li­nie 2002/73/EG. Die­se Richt­li­ni­en ver­bie­ten im We­sent­li­chen Dis­kri­mi­nie­run­gen aus Gründen der „Ras­se“, der eth­ni­schen Her­kunft, des Ge­schlechts, der Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung, ei­ner Be­hin­de­rung oder der se­xu­el­len Iden­tität. Auch das AGG ver­bie­tet zwar Be­nach­tei­li­gun­gen Beschäftig­ter we­gen die­ser Merk­ma­le, doch geht dies der Kom­mis­si­on nicht weit ge­nug. Haupt­kri­tik­punkt an der deut­schen Um­set­zung ist der man­geln­de Dis­kri­mi­nie­rungs­schutz im Kündi­gungs­fall. Pla­ka­tiv stellt die Kom­mis­sa­rin her­aus, dass schwan­ge­re Frau­en in Deutsch­land nicht vor ge­schlechts­dis­kri­mi­nie­ren­den Kündi­gun­gen geschützt sei­en.

St­ein des An­s­toßes ist of­fen­sicht­lich § 2 Abs.4 AGG. Während die Richt­li­ni­en ih­re je­wei­li­gen Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bo­te nämlich al­le­samt selbst­verständ­lich auch auf Kündi­gun­gen er­stre­cken, be­stimmt § 2 Abs.4 AGG, dass für Kündi­gun­gen nicht das AGG son­dern aus­sch­ließlich die Be­stim­mun­gen des „all­ge­mei­nen und be­son­de­ren Kündi­gungs­schut­zes“ gel­ten sol­len.

Mit die­ser Re­ge­lung re­agier­te der Ge­setz­ge­ber auf Befürch­tun­gen, das aus­ge­feil­te Kündi­gungs­schutz­recht - ins­be­son­de­re das Kündi­gungs­schutz­ge­setz (KSchG) - könn­te vom an­geb­lich all­um­fas­sen­den AGG weit­ge­hend ver­drängt wer­den. Im Rah­men des KSchG ist nämlich hauptsäch­li­cher Maßstab für die Wirk­sam­keit ei­ner Kündi­gung ih­re so­zia­le Recht­fer­ti­gung. Wel­che Ge­sichts­punk­te hier­bei mit wel­chem Ge­wicht ent­schei­den, ist durch den § 1 KSchG und vor al­lem durch die Recht­spre­chung bis ins De­tail geklärt. Die Angst des Ge­setz­ge­bers be­stand dar­in, dass die­se ge­si­cher­ten und vor al­lem spe­zi­ell auf den Kündi­gungs­fall zu­ge­schnit­te­nen Re­geln mit An­wend­bar­keit des AGG vom großen Be­sen Dis­kri­mi­nie­rungs­schutz hin­weg­ge­fegt wer­den könn­ten.

Al­ler­dings ist man sich in der Dis­kus­si­on über den Sinn (und den Un­sinn) des § 2 Abs.4 AGG weit­ge­hend darüber ei­nig, dass er nicht be­deu­ten kann, Kündi­gun­gen voll­kom­men un­be­ein­flusst vom Ver­bot der Dis­kri­mi­nie­rung zu las­sen. (wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell 06/20). Es wäre wi­der­sin­nig und ist von nie­man­dem ge­wollt, ge­ra­de die Kündi­gung, d.h. den schärfs­ten Ein­schnitt in das Ar­beits­verhält­nis, we­ni­ger streng zu be­ur­tei­len als an­de­re Maßnah­men des Ar­beit­ge­bers.

Wie al­ler­dings das von den Richt­li­ni­en ge­for­der­te Schutz­ni­veau er­reicht wer­den soll, darüber ge­hen die Mei­nun­gen aus­ein­an­der.

Wie ist der Dis­kri­mi­nie­rungs­schutz bei Kündi­gun­gen in Deutsch­land gewähr­leis­tet und was for­dert die EU-Kom­mis­si­on?

Die deut­sche Recht­spre­chung ver­sucht bis­her, den durch die EU-Richt­li­ni­en im Kündi­gungs­schutz­recht ge­for­der­ten Schutz vor Dis­kri­mi­nie­run­gen in das be­ste­hen­de Sys­tem des ge­setz­li­chen Kündi­gungs­schut­zes ein­zu­bau­en. Das lässt sich bei An­wend­bar­keit des KSchG z.B. da­durch er­rei­chen, dass das Er­for­der­nis der so­zia­len Recht­fer­ti­gung durch die Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bo­te auf­ge­la­den wird. Ei­ne dis­kri­mi­nie­ren­de Kündi­gung wäre dann zwar nicht di­rekt, aber im­mer­hin über den Um­weg des all­ge­mei-nen Kündi­gungs­schut­zes un­wirk­sam.

Die­sen Weg geht auch das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG), das in ei­ni­gen Ent­schei­dun­gen vom 06.11.2008 klar­stell­te, dass ein Ver­s­toß ge­gen Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bo­te des AGG zur So­zi­al­wid­rig­keit der Kündi­gung führen kann (u.a. BAG, Ur­teil vom 06.11.2008, 2 AZR 523/07).

Das KSchG ist zwar nur in Be­trie­ben mit mehr als zehn Ar­beit­neh­mern und auch dann nur auf Ar­beits­verhält­nis­se an­zu­wen­den, die mehr als sechs Mo­na­te be­stan­den ha­ben. Große Lücken im Dis­kri­mi­nie­rungs­schutz gibt es trotz­dem nicht: Denn auch außer­halb des KSchG ist ei­ne dis­kri­mi­nie­ren­de Kündi­gung nach deut­schem Recht un­zulässig. Der Ar­beit­neh­mer wird nämlich durch das Gleich­be­hand­lungs­ge­bot des Art.3 Grund­ge­setz (GG) geschützt. An die­ses ist der Ar­beit­ge­ber zwar nicht un­mit­tel­bar ge­bun­den, doch ist ei­ne dis­kri­mi­nie­ren­de Kündi­gung sit­ten­wid­rig und da­mit nach § 138 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) un­wirk­sam.

Im We­sent­li­chen ist da­mit in Deutsch­land ein den Richt­li­ni­en ent­spre­chen­der Dis­kri­mi­nie­rungs­schutz auch bei Kündi­gun­gen gewähr­leis­tet.

Und selbst­verständ­lich sind auch schwan­ge­re Frau­en in Deutsch­land vor be­nach­tei­li­gen­den Kündi­gun­gen geschützt, da § 9 Abs.1 Mut­ter­schutz­ge­setz (MuSchG) ein ge­ne­rel­les Ver­bot der Kündi­gung schwan­ge­rer Frau­en enthält.

Die EU-Kom­mis­si­on drängt in ih­rer „mit Gründen ver­se­he­nen Stel­lung­nah­me“ den­noch dar­auf, dis­kri­mi­nie­ren­de Kündi­gun­gen aus­drück­lich und ein­deu­tig im Ge­setz zu ver­bie­ten. Ei­ne An­glei­chung an das Schutz­ni­veau der Richt­li­ni­en durch richt­li­ni­en­kon­for­me An­wen­dung des KSchG genügt ih­rer An­sicht nach nicht. Denn das KSchG, so die Kom­mis­si­on, bie­tet in Kleinst­be­trie­ben kei­nen Schutz und greift zu­dem erst nach Ab­lauf der sechs­mo­na­ti­gen War­te­zeit.

Auch der über den Gleich­heits­satz des Grund­ge­set­zes ver­mit­tel­te Schutz genügt der Kom­mis­si­on zu­fol­ge nicht den An­for­de­run­gen der Richt­li­ni­en. Denn da­mit die Ar­beit­neh­mer ih­re Rech­te ef­fek­tiv wahr­neh­men können, so die Kom­mis­si­on, müssen sie auch er­kenn­bar sein. Da­zu bedürfe es ei­ner ge­setz­li­chen Klar­stel­lung.

Wel­che Ände­run­gen wären sinn­voll?

Will Deutsch­land ei­ne Ver­trags­ver­let­zungs­kla­ge vor dem EuGH ver­mei­den, wird der Ge­setz­ge­ber wohl nicht um­hin­kom­men, Ände­run­gen vor­zu­neh­men. Hier bie­ten sich grundsätz­lich zwei We­ge an. Ent­we­der wird das KSchG selbst geändert oder § 2 Abs.4 AGG wird ge­stri­chen.

Die Ände­rung im KSchG müss­te zum ei­nen die dis­kri­mi­nie­ren­de Kündi­gung aus­drück­lich für un­wirk­sam erklären und die­sen Schutz zum an­de­ren auch auf Ar­beit­neh­mer in Klein­be­trie­ben mit we­ni­ger als elf Ar­beit­neh­mern und auf die ers­ten sechs Mo­na­te des Beschäfti­gungs­verhält­nis­ses aus­wei­ten.

§ 2 Abs.4 AGG ab­zu­schaf­fen wäre da­her wohl der bes­se­re Weg. Denn die­ser ist in sei­ner jet­zi­gen Form nicht nur - wahr­schein­lich - eu­ro­pa­rechts­wid­rig, son­dern wirkt im AGG wie ein Fremdkörper. So steht er im Ge­gen­satz zu § 2 Abs.2 Nr.2 AGG, nach dem Dis­kri­mi­nie­run­gen auch „in Be­zug auf (...) Ent­las­sungs­be­din­gun­gen“ un­zulässig sind. Ei­ne Strei­chung würde den Dis­kri­mi­nie­rungs­schutz ver­ein­heit­li­chen und es wäre klar­ge­stellt, dass auch gekündig­te Ar­beit­neh­mer bei Dis­kri­mi­nie­run­gen von den Schutz­vor­schrif­ten des AGG pro­fi­tie­ren.

Das AGG sieht nämlich nicht nur das Ver­bot der Dis­kri­mi­nie­rung vor. Es knüpft in § 15 Abs.1 und 2 AGG an Verstöße auch Scha­dens­er­satz- und Entschädi­gungs­ansprüche. Außer­dem sieht § 22 AGG ei­ne Be­wei­ser­leich­te­rung für den Ar­beit­neh­mer vor, die für die­sen im Pro­zess be­son­ders hilf­reich und da­mit ent­schei­dend für die von den Richt­li­ni­en ge­for­der­te Ef­fek­ti­vität des Dis­kri­mi­nie­rungs­schut­zes ist. Die­se spe­zi­el­len Vor­schrif­ten zum Schutz dis­kri­mi­nier­ter Ar­beit­neh­mer grei­fen nach be­ste­hen­der Rechts­la­ge, dies ist der Kri­tik der Kom­mis­si­on zu­zu­ge­ben, nicht bei Kündi­gun­gen ein, so dass der Dis­kri­mi­nie­rungs­schutz bei Kündi­gun­gen hier in der Tat lücken­haft ist.

Dass mit der Strei­chung des § 2 Abs.4 AGG die befürch­te­te Über­la­ge­rung des Kündi­gungs­schut­zes durch das AGG ein­her­gin­ge, ist nicht zu er­war­ten. Denn wie dar­ge­legt be­steht der Dis­kri­mi­nie­rungs­schutz auch heu­te be­reits in wei­ten Tei­len durch die richt­li­ni­en­kon­for­me An­wen­dung des § 1 KSchG, durch Art.3 GG und natürlich durch Son­der­vor­schrif­ten wie § 9 Abs.1 MuSchG, oh­ne dass es da­durch zu ir­gend­wel­chen Ver­wer­fun­gen ge­kom­men wäre.

Ein ein­deu­ti­ges ge­setz­ge­be­ri­sches Si­gnal hätte aber mögli­cher­wei­se die po­si­ti­ve Wir­kung, dass dis­kri­mi­nie­ren­de Kündi­gun­gen von vorn­her­ein un­ter­blei­ben. Sch­ließlich ist die lang­fris­ti­ge Be-sei­ti­gung von Be­nach­tei­li­gun­gen et­wa we­gen des Ge­schlech­tes, ei­ner Be­hin­de­rung oder der eth­ni­schen Her­kunft erklärtes Ziel der Richt­li­ni­en und auch des AGG wie des­sen § 1 sta­tu­iert.

Ob die neue Bun­des­re­gie­rung kurz­fris­tig die er­for­der­li­chen Ge­set­zesände­rung ein­lei­ten wird, ist trotz­dem zu be­zwei­feln. Denn soll­te die Kom­mis­si­on tatsächlich vor dem EuGH kla­gen, wäre mit des­sen Ent­schei­dung frühes­tens in zwei bis drei Jah­ren zu rech­nen.

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Letzte Überarbeitung: 18. Dezember 2017

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