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ARBEITSRECHT AKTUELL // 10/124

Ruf­be­reit­schaft: Un­fall auf dem Weg zur Ar­beit

Kein Er­satz des Un­fall­scha­dens durch den Ar­beit­ge­ber: Lan­des­ar­beits­ge­richt Mün­chen, Ur­teil vom 15.12.2009, 6 Sa 637/09
Verkehrsunfall mit verletzter Frau und Sanitätern im Vordergrund Ver­kehrs­un­fall auf dem Ar­beits­weg
29.06.2010. Wird der Ar­beit­neh­mer wäh­rend der Ruf­be­reit­schaft (viel­leicht mehr­mals) zum Ar­beits­platz be­or­dert und er­lei­det auf dem Weg dort­hin mit sei­nem Au­to ei­nen Au­to­un­fall, möch­te er den Scha­den von sei­nem Ar­beit­ge­ber er­setzt be­kom­men.

Dass dies recht­lich nicht so ein­fach ist, zeigt ei­ne Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts (LAG) Mün­chen: LAG Mün­chen, Ur­teil vom 15.12.2009, 6 Sa 637/09.

Haf­tung des Ar­beit­ge­bers für Schäden des Ar­beit­neh­mers

Ar­beit­neh­mer be­nut­zen oft ih­ren ei­ge­nen PKW um Din­ge für ih­ren Ar­beit­ge­ber zu er­le­di­gen. Bei­spiels­wei­se fah­ren Ar­beit­neh­mer mit dem ei­ge­nen Au­to zu Kun­den oder brin­gen mit dem Au­to Brie­fe für den Ar­beit­ge­ber zur Post. Wenn der Ar­beit­neh­mer dann mit sei­nem Au­to ei­nen Un­fall er­lei­det, möch­te er natürlich die da­durch ent­stan­de­nen Schäden von sei­nem Ar­beit­ge­ber er­setzt ha­ben. Sch­ließlich hat er das Au­to für die be­trieb­li­chen Zie­le des Ar­beit­ge­bers ein­ge­setzt und will dann nicht auf sei­nem Scha­den sit­zen blei­ben.

So ein­leuch­tend dies ist, so kom­pli­ziert ist die recht­li­che La­ge. Denn Scha­dens­er­satz im recht­li­chen Sinn schul­det der Ar­beit­ge­ber dem Ar­beit­neh­mer nicht, weil er die Schäden we­der fahrlässig noch vorsätz­lich ver­ur­sacht hat.

An­ge­wandt wird statt­des­sen § 670 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB), auch wenn die Re­ge­lung ei­gent­lich nicht ganz passt. Denn nach § 670 BGB ist der Auf­trag­ge­ber, al­so der Ar­beit­ge­ber, ver­pflich­tet, dem Auf­trag­neh­mer (in die­sem Fall: Dem Ar­beit­neh­mer) die von ihm ge­mach­ten „Auf­wen­dun­gen“ zu er­set­zen, wenn der Auf­trag­neh­mer sie nach den Umständen für er­for­der­lich hal­ten durf­te. Auf­wen­dun­gen sind zwar frei­wil­li­ge Leis­tun­gen, d.h. Un­fallschäden fal­len ei­gent­lich nicht hier­un­ter.

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) wen­det die­se Vor­schrift trotz­dem seit lan­gem auch für den Er­satz von dem Ar­beit­neh­mer bei Dienst­fahr­ten mit dem ei­ge­nen Au­to ent­stan­de­nen Schäden an. Der Ar­beit­neh­mer muss sei­nen PKW dann al­ler­dings „mit Bil­li­gung des Ar­beit­ge­bers oh­ne be­son­de­re Vergütung im Betäti­gungs­be­reich des Ar­beit­ge­bers ein­ge­setzt“ ha­ben und bei die­ser Ge­le­gen­heit ein Un­fall ge­sche­hen sein (BAG, Ur­teil vom 08.05.1980, 3 AZR 82/79).

Der Ar­beit­neh­mer hat dann nämlich sein Au­to im „Betäti­gungs­be­reich des Ar­beit­ge­bers“ ein­ge­setzt, weil der Ar­beit­ge­ber ein ei­ge­nes Fahr­zeug hätte ein­set­zen müssen, wenn der Ar­beit­neh­mer nicht sei­nes ge­nom­men hätte. Dann muss der Ar­beit­ge­ber auch die Ge­fahr tra­gen, dass durch ei­nen Un­fall Schäden am Au­to des Ar­beit­neh­mers ent­ste­hen.

Pro­ble­ma­tisch ist, ob auch der Un­fall­scha­den vom Ar­beit­ge­ber gemäß § 670 BGB zu er­set­zen ist, den der Ar­beit­neh­mer mit sei­nem Au­to auf dem Weg zum Ar­beits­platz während der Ruf­be­reit­schaft er­lei­det. Nor­ma­ler­wei­se muss der Ar­beit­ge­ber nämlich Schäden, die der Ar­beit­neh­mer auf dem Weg zur und von der Ar­beit er­lei­det, nicht er­set­zen, weil der Ar­beit­neh­mer das so ge­nann­te „We­ge­ri­si­ko“ trägt.

Der Weg zur Ar­beit gehört eben nicht zur Ar­beits­zeit. In § 8 Abs. 3 Satz 4 Ta­rif­ver­trag für den öffent­li­chen Dienst (TVöD) ist je­doch ge­re­gelt, dass während der Ruf­be­reit­schaft auch die ggf. er­for­der­li­chen We­ge­zei­ten des Ar­beit­neh­mers vergütet wer­den müssen. Während der Ruf­be­reit­schaft kann der Ar­beit­neh­mer, an­ders als beim Be­reit­schafts­dienst, sel­ber wählen, wo er sich aufhält, so­lan­ge er im Not­fall schnell sei­nen Ar­beits­platz er­rei­chen kann.

Hier­mit hat sich vor kur­zem das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) München be­fasst (Ur­teil vom 15.12.2009, 6 Sa 637/09).

Der Fall des Lan­des­ar­beits­ge­richts München: Arzt er­lei­det auf dem Weg zur Ar­beit während Ruf­be­reit­schaft Au­to­un­fall

Der kla­gen­de Ar­beit­neh­mer war Ober­arzt und in ei­nem Kli­ni­kum beschäftigt. Auf das Ar­beits­verhält­nis fand der TVöD An­wen­dung. Am 06.01.2008 hat­te der Ober­arzt Ruf­be­reit­schaft und muss­te mehr­mals zu Notfällen in die Kli­nik fah­ren. Da­bei be­nutz­te er sein ei­ge­nes Au­to.

Auf dem Weg zur Kli­nik ge­riet er da­bei ins Schleu­dern und lan­de­te im Straßen­gra­ben. An dem Au­to ent­stand da­durch ein Scha­den von 6.000 EUR, den der Arzt von der Kli­nik er­setzt ha­ben woll­te. Die Kli­nik wei­ger­te sich, den Scha­den zu er­set­zen, weil der Arzt sich schließlich nur auf dem Weg zur Ar­beit be­fun­den ha­be und das We­ge­ri­si­ko sel­ber tra­gen müsse.

Der Arzt zog des­halb vor das Ar­beits­ge­richt Re­gens­burg, um sei­nen Scha­den vom Ar­beit­ge­ber er­setzt zu er­hal­ten. Dort un­ter­lag er (Ur­teil vom 04.06.2009, 8 Ca 1310/08).

Lan­des­ar­beits­ge­richt München: Ar­beit­ge­ber muss Scha­den nicht er­set­zen

Auch vor dem LAG un­ter­lag der Ober­arzt. Das LAG ging nämlich eben­falls da­von aus, dass sich der Arzt nur auf dem Weg zur Ar­beit be­fun­den ha­be und des­halb das We­ge­ri­si­ko tra­gen müssen. Die Fahrt war al­so nicht „be­trieb­lich ver­an­lasst“, wie vom BAG für § 670 BGB ge­for­dert.

Da­bei änder­te sich hier­an nichts da­durch, dass der Arzt nicht auf dem Weg zur „nor­ma­len“ Ar­beit ge­we­sen war, son­dern Ruf­be­reit­schaft hat­te. Zwar steht in § 8 Abs. 3 Satz 4 TVöD, dass We­ge­zei­ten während ei­ner Ruf­be­reit­schaft wie die tatsächli­che Ar­beits­zeit zu vergüten sind, dies sieht das LAG aber als rei­ne Vergütungs­re­ge­lung an, d.h. Ar­beits­zeit soll der Weg zur Ar­beit während der Ruf­be­reit­schaft den­noch nicht sein.

Dies be­gründet das LAG da­mit, dass der Ar­beit­neh­mer sel­ber ent­schei­det, wo er sich während der Ruf­be­reit­schaft aufhält und wie dem­ent­spre­chend sein Weg zur Ar­beit ist. Dass gemäß § 8 Abs. 3 Satz 4 TVöD die We­ge­zei­ten während der Ruf­be­reit­schaft voll zu vergüten sind, heißt dann noch nicht, dass der Ar­beit­ge­ber auch für Schäden, die dem Ar­beit­ge­ber auf dem Weg ent­ste­hen auf­kom­men soll. Ein der­ar­ti­ges Ri­si­ko wäre für den Ar­beit­ge­ber gar nicht kal­ku­lier­bar, da er ja nicht be­stim­men darf, wo sich der Ar­beit­neh­mer während der Ruf­be­reit­schaft aufhält, meint das LAG.

Fa­zit: Die Ent­schei­dung des LAG ist ver­tret­bar, weil das Ri­si­ko, während des We­ges zu und von der Ar­beit ei­nen Un­fall zu er­lei­den, ar­beits­recht­lich vom Ar­beit­neh­mer zu tra­gen. An­de­rer­seits ist es schon ein ziem­lich "spe­zi­el­les We­ge­ri­si­ko", das man während ei­ner Ruf­be­reit­schaft zu tra­gen hat. Ein mögli­cher Weg, den Ar­beit­neh­mer von dem We­ge­ri­si­ko während ei­ner Ruf­be­reit­schaft zu ent­las­ten, be­steht im Ab­schluss ei­ner ent­spre­chen­den Be­triebs­ver­ein­ba­rung.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) über die­sen Fall ent­schie­den und dem Ar­beit­neh­mer Recht ge­ge­ben. Die Ent­schei­dung des BAG im Voll­text fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 21. Juni 2019

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