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ARBEITSRECHT AKTUELL // 10/182

Ho­her Scha­dens­er­satz nur für den Bes­ten

Scha­dens­er­satz für dis­kri­mi­nier­te Stel­len­be­wer­ber nur bei Nach­weis der Best­qua­li­fi­ka­ti­on: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 19.08.2010, 8 AZR 530/09
Münzen, Münzhaufen Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung: Auf die Aus­schrei­bung kommt es an
17.09.2010. Das All­ge­mei­ne Gleich­be­hand­lungs­ge­setz soll Dis­kri­mi­nie­run­gen aus be­stimm­ten Grün­den, z.B. we­gen des Al­ters, ver­hin­dern oder zu­min­dest be­sei­ti­gen. Ob­wohl es schon ei­ni­ge Jah­re alt ist, gibt es im­mer wie­der Fäl­le, in de­nen - be­ab­sich­tigt oder nicht - dis­kri­mi­niert wird.

Ins­be­son­de­re bei Stel­len­an­zei­gen kom­men un­ge­recht­fer­tig­te Be­nach­tei­li­gun­gen im­mer wie­der vor. Er­folg­lo­se, dis­kri­mi­nier­te Be­wer­ber ha­ben in sol­chen Fäl­len An­spruch auf ei­ne Ent­schä­di­gung.

Zu de­ren Vor­aus­set­zun­gen hat vor kur­zem das Bun­des­ar­beits­ge­richt Stel­lung ge­nom­men: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 19.08.2010, 8 AZR 530/09.

Wie be­kom­men dis­kri­mi­nier­te Be­wer­ber Scha­dens­er­satz?

Nach dem All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG) sind sach­lich nicht ge­recht­fer­tig­te Be­nach­tei­li­gun­gen (Dis­kri­mi­nie­run­gen) im Er­werbs­le­ben ver­bo­ten, u.a. Dis­kri­mi­nie­run­gen aus Al­ters­gründen (§§ 1, 7 AGG). Ob­wohl das AGG be­reits seit vier Jah­ren in Kraft ist, kom­men Verstöße ge­gen das Ver­bot der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung nach wie vor oft vor, ins­be­son­de­re im Zu­sam­men­hang mit „un­ge­schick­ten“ Aus­schrei­bun­gen, die sich aus­drück­lich an „jun­ge“ Be­wer­ber rich­ten.

Wenn der Ar­beit­ge­ber zunächst ei­ne an jun­ge Be­wer­ber ge­rich­te­te und da­her al­ters­dis­kri­mi­nie­ren­de Stel­len­aus­schrei­bung ver­an­lasst und da­nach ei­nen „zu al­ten“, aber ob­jek­tiv aus­rei­chend qua­li­fi­zier­ten Be­wer­bers ab­lehnt, ist die Stel­len­aus­schrei­bung ein aus­rei­chen­des In­diz dafür, dass der älte­re Be­wer­ber we­gen sei­nes Al­ters nicht berück­sich­tig wur­de.

Dann greift nämlich die Be­weis­last­re­gel des § 22 AGG. Sie be­sagt: Kann der ab­ge­lehn­te Be­wer­ber An­halts­punk­te be­wei­sen, die ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung ver­mu­ten las­sen (wie z.B. ei­ne nicht al­ter­s­neu­tra­le Stel­len­aus­schrei­bung), so liegt der Ball beim Ar­beit­ge­ber: Er muss dann dar­le­gen und be­wei­sen, dass die Ab­leh­nung des Be­wer­bers auf dis­kri­mi­nie­rungs­frei­en, d.h. ob­jek­ti­ven bzw. sach­li­chen Gründen be­ruh­te.

In der­ar­ti­gen Fällen ver­lan­gen ab­ge­lehn­te Be­wer­ber oft un­ter Be­ru­fung auf § 15 Abs. 2 AGG ei­ne Gel­dentschädi­gung. Sie soll als ei­ne Art Schmer­zens­geld die auf­grund der Dis­kri­mi­nie­rung er­lit­te­ne Persönlich­keits­rechts­ver­let­zung aus­glei­chen. Der An­spruch auf Gel­dentschädi­gung ist bei dis­kri­mi­nie­ren­den öffent­li­chen Stel­len­aus­schrei­bun­gen vor Ge­richt zu­meist leicht durch­zu­set­zen, da die nicht al­ter­s­neu­tra­le Stel­len­aus­schrei­bung be­reits als sol­che ei­ne Persönlich­keits­rechts­ver­let­zung dar­stellt.

Über den Entschädi­gungs­an­spruch hin­aus steht dem Be­wer­ber aber je nach La­ge des Fal­les auch ein Scha­dens­er­satz­spruch zu. Er soll den ma­te­ri­el­len bzw. fi­nan­zi­el­len Ver­lust aus­glei­chen, den der ab­ge­lehn­te Be­wer­ber auf­grund der Nicht­ein­stel­lung er­lit­ten hat. Der Scha­dens­er­satz­spruch er­gibt sich aus § 15 Abs. 1 AGG.

Um­strit­ten und bis­lang vom Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) nicht ent­schie­den ist die Fra­ge, von wel­chen Vor­aus­set­zun­gen die ge­richt­li­che Durch­set­zung des Scha­dens­er­satz­an­spruchs abhängt: Muss der ab­ge­lehn­te Be­wer­ber nur die dis­kri­mi­nie­ren­de Stel­len­aus­schrei­bung be­wei­sen - oder muss er darüber hin­aus auch be­wei­sen, dass er als ob­jek­tiv am bes­ten ge­eig­ne­ter Be­wer­ber die Stel­le er­hal­ten hätte, wenn die­se in ei­ner be­nach­tei­li­gungs­frei­en Aus­wahl ver­ge­ben wor­den wäre? Hin­ter­grund die­ser Streit­fra­ge ist die Be­wei­ser­leich­te­rung des § 22 AGG.

Wenn sich die­se Be­weis­last­re­gel auf al­le An­spruchs­vor­aus­set­zun­gen des Scha­dens­er­satz­an­spruchs nach § 15 Abs. 1 AGG be­zieht, so ist bei ei­ner dis­kri­mi­nie­ren­den Stel­len­aus­schrei­bung auch zu ver­mu­ten, dass der „zu al­te“ Be­wer­ber die Stel­le we­gen sei­nes Al­ters nicht er­hal­ten und folg­lich dis­kri­mi­nie­rungs­be­dingt ei­nen Vermögens­scha­den er­lit­ten hat.

Be­zieht sich § 22 AGG da­ge­gen nur dar­auf, dass die Aus­wah­l­ent­schei­dung auf der Grund­la­ge von dis­kri­mi­nie­ren­den Gründen vor­ge­nom­men wur­de. Das be­gründet zwar ei­nen Gel­dentschädi­gungs­an­spruch, doch ist da­mit noch nicht ge­sagt, dass der Be­wer­ber auch bei kor­rek­ter Aus­wahl ein­ge­stellt wor­den wäre - und da­her we­gen der Dis­kri­mi­nie­rung fi­nan­zi­ell geschädigt ist. Denn mögli­cher­wei­se wäre er ja auch bei dis­kri­mi­nie­rungs­frei­er Aus­wahl nicht ge­nom­men wor­den.

Be­ruft sich der Be­wer­ber auf sei­ne Ansprüche aus § 15 Abs. 1 und/oder Abs. 2 AGG, muss er außer­dem gemäß § 15 Abs. 4 AGG schnell han­deln, d.h. sei­ne Ansprüche in­ner­halb ei­ner Aus­schluss­frist von zwei Mo­na­ten ab Zu­gang der Ab­leh­nung „schrift­lich“ beim Ar­beit­ge­ber gel­tend ma­chen. Hier­zu ist bis­lang noch nicht endgültig geklärt, ob auch ein Fax für die Wah­rung der Schrift­form genügt.

Zu bei­den Streit­fra­gen hat vor das BAG ge­ur­teilt (Ur­teil vom 19.08.2010, 8 AZR 530/09).

Der Fall: "jun­ger Voll­ju­rist für ein Jahr be­fris­tet ge­sucht"

2007 veröffent­lich­te ei­ne GmbH ei­ne Stel­len­an­zei­ge, mit der „ein/e jun­ge/r Voll­ju­rist/in“ mit be­frie­di­gen­den Staats­ex­ami­na und ers­ter Be­rufs­er­fah­rung im Me­di­en­be­reich ge­sucht wur­de. Bei der Be­wer­bung soll­ten auch Ge­halts­vor­stel­lun­gen an­ge­ge­ben wer­den.

Ein da­mals 49 Jah­re Voll­ju­rist hat­te zwar bei­de Ex­amen mit der über­ra­gen­den No­te „gut“ ab­ge­legt, konn­te aber kei­ne ein­schlägi­gen Be­rufs­er­fah­run­gen vor­wei­sen. Bei sei­ner Be­wer­bung gab er auch kei­ne Ge­halts­vor­stel­lun­gen an. Ge­nom­men wur­de letzt­lich ei­ne 33jähri­ge Anwältin.

Sei­ne aus dem AGG fol­gen­den fi­nan­zi­el­len Ansprüche mach­te er zunächst per Fax und später ge­richt­lich gel­tend. Kon­kret for­der­te er als Scha­dens­er­satz ein Jah­res­ge­halt und zu­dem ei­ne Gel­dentschädi­gung von 25.000 Eu­ro. Das Ar­beits­ge­richt München sprach ihm nur ein Mo­nats­ge­halt als Entschädi­gung zu und wies die Kla­ge im übri­gen ab (Ur­teil vom 12.06.2008, 22 Ca 8774/07) Auch das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) München ent­schied in die­sem Sin­ne (Ur­teil vom 03.06.2009, 10 Sa 719/08).

Das LAG mein­te, die Ver­mu­tungs­wir­kung des § 22 AGG be­zie­he sich nur auf die Dis­kri­mi­nie­rung als sol­che. Da­her sprach es dem Kläger kei­nen Scha­dens­er­satz zu, da er nicht be­wie­sen hat­te, der best­qua­li­fi­zier­te Be­wer­ber zu sein. Zwar wa­ren sei­ne Ex­ami­na deut­lich bes­ser als die sei­ner Kon­kur­ren­tin, der ein­ge­stell­ten Anwältin, doch konn­te die­se an­ders als der Kläger ein­schlägi­ge Be­rufs­er­fah­run­gen vor­wei­sen.

Die vom Ar­beits­ge­richt aus­ge­ur­teil­te Gel­dentschädi­gung von ei­nem Mo­nats­ge­halt (3.344,00 EUR) hielt das LAG für aus­rei­chend. Denn es lag hier kein be­son­ders schwe­rer Fall ei­ner Dis­kri­mi­nie­rung vor. Sch­ließlich war das LAG auch der An­sicht, dass die frist­wah­ren­de „schrift­li­che“ Gel­tend­ma­chung der Ansprüche per Fax aus­rei­chend ist, d.h. dass ein Fax die ge­setz­lich vor­ge­schrie­be­ne „Schrift­form“ wahrt.

Bun­des­ar­beits­ge­richt: Scha­dens­er­satz be­kommt nur, wer be­wei­sen kann, der Bes­te für die zu be­set­zen­de Stel­le zu sein.

So­weit dies aus der bis­lang al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mit­tei­lung ent­nom­men wer­den kann, hat das BAG die Ent­schei­dung des LAG im Er­geb­nis und auch in der Be­gründung bestätigt.

Un­ter dis­kri­mi­nie­ren­den Umstände ab­ge­lehn­te Be­wer­ber müssen da­her nach­wei­sen, dass sie bei ei­ner dis­kri­mi­nie­rungs­frei­en Aus­wahl ein­ge­stellt wor­den wären Ge­lingt ein sol­cher Nach­weis nicht, steht ih­nen Scha­dens­er­satz­an­spruch nicht zu.

Zu der Fra­ge, ob ein Fax für die vom Ge­setz ge­for­der­te „schrift­li­chen“ Gel­tend­ma­chung genügt oder nicht, fin­det sich zwar kein Hin­weis in der Pres­se­mit­tei­lung, doch bestätigt das BAG den Entschädi­gungs­an­spruch. Dem­nach geht wohl auch das BAG da­von aus, dass der Kläger hier sei­ne Ansprüche recht­zei­tig und schrift­lich gel­tend ge­macht hat.

Fa­zit: Ar­beit­ge­ber müssen für dis­kri­mi­nie­ren­de Stel­len­aus­schrei­bun­gen in der Re­gel ein Mo­nats­ge­halt als Gel­dentschädi­gung be­zah­len. Dis­kri­mi­nier­te Be­wer­ber, die darüber hin­aus auch ei­nen Scha­dens­er­satz gemäß § 15 Abs. 1 AGG ver­lan­gen, müssen das Ge­richt da­von über­zeu­gen, dass sie bei dis­kri­mi­nie­rungs­frei­er Aus­wahl ein­ge­stellt wor­den wären. Ein sol­cher Nach­weis ge­lingt nur sel­ten. Vor die­sem Hin­ter­grund ist frag­lich, ob durch so ge­rin­ge fi­nan­zi­el­le Sank­tio­nen die eu­ro­pa­recht­lich ge­for­der­te ab­schre­cken­de Wir­kung der Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bo­te er­reicht wird.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das Ge­richt sei­ne Ent­schei­dungs­gründe schrift­lich ab­ge­fasst und veröffent­licht. Die Ent­schei­dungs­gründe im Voll­text fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 10. Januar 2014

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