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ARBEITSRECHT AKTUELL // 08/065

Tä­tig­keit als Arzt im Prak­ti­kum ist kei­ne „Vor­zeit ärzt­li­cher Tä­tig­keit“ im Sin­ne des TV-Ärz­te.

AiP-Zei­ten kön­nen, müs­sen aber nicht als ärzt­li­che Dienst­jah­re be­wer­tet wer­den: Lan­des­ar­beits­ge­richt Düs­sel­dorf, Ur­teil vom 16.04.2008, 12 Sa 2237/07
Mundschutz Der Arzt im Prak­ti­kum ist ein Arzt - aber auch im Sin­ne des TV-Ärz­te?
27.06.2008. Bei der An­wen­dung des En­de 2006 vom Mar­bur­ger Bund ver­ein­bar­ten Ta­rif­ver­trags für Ärz­tin­nen und Ärz­te an Uni­ver­si­täts­kli­ni­ken ("TV-Ärz­te") kommt es im­mer wie­der zu Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten zwi­schen den Kli­nik­lei­tung und Ärz­ten.

Ei­ne der vie­len der­zeit strei­ti­gen Fra­gen be­steht dar­in, ob die ver­gü­tungs­re­le­van­te Dau­er der ärzt­li­chen Tä­tig­keit un­ter Ein­schluss von AiP-Zei­ten zu be­rech­nen ist. An­ders ge­sagt: Sind Zei­ten als Arzt im Prak­ti­kum (AiP) "Vor­zei­ten ärzt­li­cher Tä­tig­keit" im Sin­ne des TV-Ärz­te oder nicht?

In ei­ner ak­tu­el­len Ent­schei­dung hat das Das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Rhein­land-Pfalz die Mei­nung ver­tre­ten, dass AiP-Zei­ten Vor­zei­ten ärzt­li­cher Tä­tig­keit ge­mäß TV-Ärz­te sind. Da­mit setzt sich das LAG al­ler­dings in Wi­der­spruch zu den Ent­schei­dun­gen ei­ni­ger an­de­rer Lan­des­ar­beits­ge­rich­te

Gel­ten Zei­ten als "Arzt im Prak­ti­kum (AiP) als ärzt­li­che Dienst­jah­re für die Ein­grup­pie­rung im Rah­men des TV-Ärz­te?"?

Nach­dem zwi­schen Mar­bur­ger Bund und Ta­rif­ge­mein­schaft deut­scher Länder der Ta­rif­ver­trag für Ärz­tin­nen und Ärz­te an Uni­ver­sitätsklin­ken (TV-Ärz­te) ge­schlos­sen wur­de, er­ga­ben sich in vie­len Uni-Kli­ni­ken Strei­tig­kei­ten zwi­schen den Ärz­ten und der Kli­nik­ver­wal­tung in­fol­ge des neu ein­geführ­ten Vergütungs­sys­tems.

An­ders als die bis­her gel­ten­den Ta­rif­sys­te­me für die Vergütung von an­ge­stell­ten Kran­ken­hausärz­ten un­ter­schei­det der TV-Ärz­te zwi­schen vier Ent­gelt­grup­pen (Arzt, Fach­arzt, Ober­arzt, Ober­arzt als ständi­ger Ver­tre­ter des Chef­arz­tes), wo­bei die ers­ten drei Ent­gelt­grup­pen (Arzt bis Ober­arzt) in Stu­fen auf­ge­glie­dert sind, die man je nach der Dau­er der ein­schlägi­gen Be­rufstätig­keit er­reicht. So er­reicht man bei­spiels­wei­se in der Ent­gelt­grup­pe Ä1 (Arzt) die Stu­fe 2 im zwei­ten Jahr der Tätig­keit als Arzt, die (bes­ser be­zahl­te) Stu­fe 3 im drit­ten Jahr der Tätig­keit als Arzt usw.

In ei­ni­gen Fällen ist die Fest­stel­lung des Um­fangs von Vor­zei­ten ärzt­li­cher Tätig­keit strei­tig, da der Ta­rif­ver­trag hier nur Zei­ten „mit ein­schlägi­ger Be­rufs­er­fah­rung“ als berück­sich­ti­gungsfähig an­er­kennt (§ 16 TV-Ärz­te).

Frag­lich ist zum Bei­spiel, ob die Tätig­keit als Arzt im Prak­ti­kum (AiP) als „ärzt­li­che“ Tätig­keit im Sin­ne der Ta­rif­nor­men zu ver­ste­hen ist. Soll­te die Zeit als AiP als Tätig­keit zu be­wer­ten sein, bei der Be­rufs­er­fah­run­gen aus nichtärzt­li­cher Tätig­keit ge­sam­melt wer­den, gilt § 16 Abs.2 Satz 2 TV-Ärz­te, wo­nach „Zei­ten von Be­rufs­er­fah­rung aus nichtärzt­li­cher Tätig­keit berück­sich­tigt wer­den können“. Wäre die­se Vor­schrift bei der Stu­fen­fin­dung ein­schlägig, stünde dem Uni­ver­sitätskli­ni­kum ein Er­mes­sens­spiel­raum zu.

Zu der Fra­ge, ob die Ar­beit als AiP als „ärzt­li­che“ Tätig­keit im Sin­ne des TV-Ärz­te zu ver­ste­hen ist, hat sich das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Düssel­dorf in ei­ner ak­tu­el­len Ent­schei­dung geäußert (LAG Düssel­dorf, Ur­teil vom 16.04.2008, 12 Sa 2237/07).

Der Streit­fall: As­sis­tenzärz­tin am Uni-Kli­ni­kum Duis­burg/Es­sen ver­langt ei­ne höhe­re Dienst­al­ters­stu­fe un­ter Ver­weis auf AiP-Zei­ten

Die kla­gen­de Ar­beit­neh­me­rin war seit dem 01.07.2001 bei der Rechts­vorgänge­rin der Be­klag­ten Uni­ver­sität Duis­burg/Es­sen als AiP beschäftigt. Seit An­fang 2003 ließ sie sich als Ärz­tin in der Wei­ter­bil­dung zur Fachärz­tin für Kin­der- und Ju­gend­me­di­zin bei der Be­klag­ten wei­ter­bil­den. Auf das Ar­beits­ver­trags­verhält­nis der Par­tei­en war in­fol­ge bei­der­sei­ti­ger Ta­rif­ge­bun­den­heit der TV-Ärz­te an­zu­wen­den.

In der Zeit vom 01.07.2006 bis 31.12.2006 vergüte­te das Uni­ver­sitätskli­ni­kum die Tätig­keit der Ärz­tin mit mo­nat­lich 4.200,00 EUR brut­to gemäß TV-Ärz­te, Ent­gelt­grup­pe Ä1, Stu­fe 4 (Ärz­te im 4. Jahr).

Mit ih­rer Kla­ge ver­lang­te die Ärz­tin dem­ge­genüber ei­ne Vergütung nach Ä1, Stu­fe 5 (Ärz­te im 5. Jahr) in Höhe von mo­nat­lich 4.500,00 EUR. Sie ver­trat die Auf­fas­sung, ih­re AiP-Zei­ten sei­en ihr als Vor­zei­ten ärzt­li­cher Tätig­keit an­zu­rech­nen. Sie ha­be sich da­her seit dem 01.07.2005 im 5. Jahr ih­rer ärzt­li­chen Tätig­keit be­fun­den, so dass sie seit dem Zeit­punkt der erst­ma­li­gen An­wend­bar­keit des TV-Ärz­te (01.07.2006) in Ä3, Stu­fe 5 ein­zu­grup­pie­ren sei (bei Stu­fe 5 en­den die dienst­al­ters­abhängi­gen Stu­fen der Ent­gelt­grup­pe Ä3, so dass der Kläge­rin ein et­wai­ges sechs­tes oder sieb­tes Dienst­jahr nichts nützen würde, da sie über Stu­fe 5 in der Ent­gelt­grup­pe Ä5 nicht hin­aus­kom­men würde).

Zu­min­dest aber müsse das Kli­ni­kum ihr die AiP-Zei­ten als „Zei­ten von Be­rufs­er­fah­rung aus nichtärzt­li­cher Tätig­keit“ gut­brin­gen.

Das Ar­beits­ge­richt Es­sen hat die Kla­ge mit Ur­teil vom 22.11.2007 (5 CA 2451/07) ab­ge­wie­sen.

LAG Düssel­dorf: AiP-Zei­ten können, müssen aber nicht als ärzt­li­che Dienst­jah­re be­wer­tet wer­den

Das LAG Düssel­dorf hat sich mit Ur­teil vom 16.04.2008 (12 Sa 2237/07) der Mei­nung des Ar­beits­ge­richts an­ge­schlos­sen, d.h. die Be­ru­fung der Ar­beit­neh­me­rin zurück­ge­wie­sen.

Zur Be­gründung heißt es, die AiP-Zeit sei nicht als Vor­zeit ärzt­li­cher Tätig­keit nach § 16 Abs.2 Satz 1 TV-Ärz­te zu be­wer­ten, da die­se Zeit kei­ne „ärzt­li­che Tätig­keit“ im Sin­ne des TV-Ärz­te dar­stel­le. Zum ei­nen feh­le dem AiP die Ap­pro­ba­ti­on. Er ha­be le­dig­lich ei­ne Er­laub­nis nach § 10 Abs. 4 Bun­desärz­te­ord­nung (BÄO). Zum an­de­ren sol­le der AiP nur sei­nem Aus­bil­dungs­stand ent­spre­chend tätig wer­den. Dies ent­spre­che auch der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung, die den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en des TV-Ärz­te be­kannt ge­we­sen sei.

Die Einführung ei­ner neu­en Vergütungs­struk­tur sei für sich ge­nom­men nicht ge­eig­net, die von der Recht­spre­chung vor­ge­nom­me­ne Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen der Tätig­keit des AiP und ei­ner ärzt­li­chen Tätig­keit im ei­gent­li­chen Sin­ne auf­zu­he­ben. Wäre ein sol­ches Er­geb­nis von den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en gewünscht wor­den, hätte es ei­nen deut­li­chen Nie­der­schlag im TV-Ärz­te fin­den müssen, was nicht ge­sche­hen sei.

Viel­mehr ergäben sich aus dem ta­rif­li­chen Ge­samt­zu­sam­men­hang so­wie aus der Ta­rif­ge­schich­te kei­ne An­halts­punk­te dafür, dass AiP-Zei­ten als „Vor­zei­ten ärzt­li­cher Tätig­keit“ ein­zu­ord­nen sein soll­ten. Viel­mehr zei­ge ge­ra­de die Re­ge­lung des § 16 Abs.2 Satz 2 TV-Ärz­te, dass AIP-Zei­ten nicht au­to­ma­tisch, son­dern nur op­tio­nal als ärzt­li­che Tätig­keit zu be­han­deln sei­en.

Zwar sei es nicht aus­ge­schlos­sen, AiP-Zei­ten als Zei­ten der Be­rufs­er­fah­rung aus nichtärzt­li­cher Tätig­keit gemäß § 16 Abs.2 Satz 2 TV-Ärz­te bei der Stu­fen­fin­dung zu berück­sich­ti­gen. Al­ler­dings ste­he dem Uni­ver­sitätskli­ni­kum hier nach dem Ta­rif­ver­trag ein Er­mes­sen zu.

Die Gren­ze der Er­mes­sens­ausübung bil­de § 315 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB). Die­se sah das LAG im vor­lie­gen­den Fall als ge­wahrt an. Es sei nicht er­mes­sens­feh­ler­haft, wenn das Uni­ver­sitätskli­ni­kum sich ge­ne­rell ent­schlos­sen ha­be, AiP-Zei­ten nicht zu berück­sich­ti­gen. Da das Kli­ni­kum ei­ne Berück­sich­ti­gung der AiP-Zei­ten all­ge­mein aus­sch­ließe, lie­ge auch kein Ver­s­toß ge­gen den Gleich­be­hand­lungs­grund­satz vor. Auch das Ar­gu­ment der Ärz­tin, die Kli­nik ver­fol­ge bei ih­rer Er­mes­sens­ausübung le­dig­lich fi­nan­zi­el­le In­ter­es­sen, ließ das Ge­richt nicht gel­ten, da schließlich auch das In­ter­es­se der Kläge­rin an ei­ner Höher­grup­pie­rung fi­nan­zi­el­ler Na­tur sei.

We­gen der grundsätz­li­chen Be­deu­tung der zu ent­schei­den­den Rechts­fra­ge ließ das LAG die Re­vi­si­on zum Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) zu. Zu­recht, denn vor kur­zem hat das LAG Rhein­land-Pfalz die Fra­ge, ob AiP-Zei­ten als Zei­ten ärzt­li­cher Tätig­keit im Sin­ne des TV-Ärz­te gel­ten, im Sin­ne der Ärz­te­schaft ent­schie­den (LAG Rhein­land-Pfalz, Ur­teil vom 22.08.2008, 9 Sa 114/08).

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Letzte Überarbeitung: 14. September 2016

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