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ARBEITSRECHT AKTUELL // 10/059

Vor­sit­zen­der für Ei­ni­gungs­stel­le

Ge­richt ist an Vor­schlag ge­bun­den: Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg, Be­schluss vom 22.01.2010, 10 TaBV 2829/09
Sitzung des Betriebsrats, Betriebsratsversammlung LAG Ber­lin-Brdbg. folgt dem "Wind­hund­prin­zip"
25.03.2010. Er­zie­len Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat in re­ge­lungs­be­dürf­ti­gen An­ge­le­gen­hei­ten kei­ne Ei­ni­gung, wird ei­ne Ei­ni­gungs­stel­le ein­ge­setzt, not­falls ge­richt­lich. Da­bei schlägt die an­trag­stel­len­de Par­tei (in der Re­gel der Be­triebs­rat) auch den Vor­sit­zen­den der Ei­ni­gungs­stel­le vor.

Mit der vor­lie­gen­den Ent­schei­dung hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Ber­lin-Bran­den­burg klar­ge­stellt, dass das Ar­beits­ge­richt im Ver­fah­ren über die Be­set­zung der Ei­ni­gungs­stel­le in der Re­gel an die­se zu­erst ge­mach­ten per­so­nel­len Vor­schlä­ge ei­ner Be­triebs­par­tei ge­bun­den ist: LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Be­schluss vom 22.01.2010, 10 TaBV 2829/09.

Ein­set­zung ei­ner Ei­ni­gungs­stel­le und Rol­le des Vor­sit­zen­den

Zur Bei­le­gung von Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten zwi­schen Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat sieht § 76 Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz (Be­trVG) die Bil­dung ei­ner Ei­ni­gungs­stel­le vor. Sie be­steht aus Bei­sit­zern, die in glei­cher An­zahl vom Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat be­stellt wer­den, und ei­nem un­par­tei­ischen Vor­sit­zen­den, auf den sich bei­de Sei­ten ei­ni­gen sol­len. Der Vor­sit­zen­de ist in al­ler Re­gel ein Rich­ter am Ar­beits­ge­richt, am Lan­des­ar­beits­ge­richt oder – dies aber nur in sel­te­nen Aus­nah­mefällen mit außer­gewöhn­lich großer wirt­schaft­li­cher oder po­li­ti­scher Be­deu­tung - ein Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt.

Die Aus­wahl des Vor­sit­zen­den ist ei­ne heik­le An­ge­le­gen­heit, denn der Vor­sit­zen­de hat oft we­sent­li­chen Ein­fluss auf das Er­geb­nis des Ei­ni­gungs­stel­len­ver­fah­rens.

Zunächst nämlich ver­han­deln Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat „nur“ un­ter Mo­de­ra­ti­on des Ei­ni­gungs­stel­len­vor­sit­zen­den, d.h. sie stel­len For­de­run­gen auf und be­gründen die­se, während der Vor­sit­zen­de zuhört und die Ar­gu­men­te sam­melt und sich­tet. Die Auf­ga­be des Vor­sit­zen­den in die­sem Sta­di­um der Ver­hand­lun­gen ist ver­gleich­bar mit der des Rich­ters im ar­beits­ge­richt­li­chen Güte­ter­min: Es gibt zwar kei­ne recht­li­che Pflicht bzw. kei­nen Zwang, sich zu ei­ni­gen, doch wäre dies bei­den Streit­par­tei­en zu ra­ten, um im Rah­men ei­ner gütli­chen Ei­ni­gung ih­re Vor­stel­lun­gen bestmöglich durch­zu­set­zen. Je nach­dem, wie der Vor­sit­zen­de die bei­der­sei­ti­gen For­de­run­gen be­wer­tet und je nach­dem, wel­che kon­kre­ten Vor­schläge er selbst be­reits macht, kann er der ei­nen oder an­de­ren Kon­flikt­par­tei hel­fen oder scha­den.

Kommt es im Ei­ni­gungs­stel­len­ver­fah­ren nicht zu ei­ner gütli­chen Ei­ni­gung, d.h. zu ei­ner „frei­wil­li­gen“ Be­triebs­ver­ein­ba­rung oder Re­ge­lungs­ab­spra­che, fällt die Ei­ni­gungs­stel­le ei­nen Spruch. Die­ser er­setzt in den Fällen der er­zwing­ba­ren Mit­be­stim­mung in so­zia­len oder wirt­schaft­li­chen An­ge­le­gen­hei­ten die feh­len­de Ei­ni­gung zwi­schen Be­triebs­rat und Ar­beit­ge­ber. Da bei­de Be­triebs­part­ner in der Ei­ni­gungs­stel­le mit der­sel­ben An­zahl von Bei­sit­zern bzw. Stim­men ver­tre­ten sind, kommt es im ers­ten Ab­stim­mungs­gang oft zur Stim­men­gleich­heit.

Für die­sen Fall schreibt § 76 Abs.3 S.2 Halbs.2 Be­trVG vor, dass der Vor­sit­zen­de nach wei­te­rer Be­ra­tung an der er­neu­ten Be­schluss­fas­sung teil­nimmt. In die­sem Fall hat er un­mit­tel­ba­ren Ein­fluss auf das Er­geb­nis des Ver­fah­rens, da er den Spruch der Ei­ni­gungs­stel­le durch sei­ne Stim­me maßgeb­lich be­ein­flusst.

Ei­ni­gen sich die Be­triebs­par­tei­en nicht auf die Er­rich­tung ei­ner Ei­ni­gungs­stel­le und/oder auf die Per­son des Vor­sit­zen­den, kann die Ei­ni­gungs­stel­le in ei­nem zügig aus­ge­stal­te­ten Ver­fah­ren auf An­trag ei­ner Be­triebs­par­tei gemäß § 98 Abs. 1 Ar­beits­ge­richts­ge­setz (ArbGG) vom Ar­beits­ge­richt be­stellt wer­den. Da­mit das Be­set­zungs­ver­fah­ren schnell er­le­digt wer­den kann, kann der An­trag auf Ei­ni­gungs­stel­len­be­set­zung we­gen feh­len­der Zuständig­keit der Ei­ni­gungs­stel­le nur zurück­ge­wie­sen wer­den, wenn die Un­zuständig­keit „of­fen­sicht­lich“ ist (§ 98 Abs. 1 Satz 2 ArbGG). Ge­setz­lich nicht ge­re­gelt ist die Fra­ge, wie zu ent­schei­den ist, wenn sich Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat (auch) über die Per­son des Vor­sit­zen­den strei­ten.

Da Ei­ni­gungs­stel­len­be­set­zungs­ver­fah­ren nur über zwei In­stan­zen geführt wer­den können bzw. das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) letz­te In­stanz ist (§ 98 Abs. 2 Satz 4 ArbGG), gibt es hier kei­ne vom Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) ge­prägte ein­heit­li­che Recht­spre­chung. Das LAG Ham­burg und das LAG Bre­men sind der An­sicht, dass von ei­nem per­so­nel­len Vor­schlag des An­trag­stel­lers (meist ist das der Be­triebs­rat) nur bei er­heb­li­chen Gründen ab­ge­wi­chen wer­den kann, z.B. bei Be­fan­gen­heit des vor­ge­schla­ge­nen Vor­sit­zen­den. Dem­ge­genüber mei­nen das LAG Schles­wig-Hol­stein und das LAG Ba­den-Würt­tem­berg, dass bei Strei­tig­kei­ten über die Per­son des Vor­sit­zen­den ei­ne von kei­nem Be­tei­lig­ten ge­nann­te drit­te Per­son zu be­stel­len ist.

Zu die­ser Streit­fra­ge hat sich nun­mehr das LAG Ber­lin-Bran­den­burg geäußert (Be­schluss vom 22.01.2010, 10 TaBV 2829/09).

Der Fall des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ber­lin-Bran­den­burg: Be­triebs­rat be­an­tragt Ein­set­zung ei­ner Ei­ni­gungs­stel­le. Ar­beit­ge­ber auch mit dem vor­ge­schla­ge­nen Vor­sit­zen­den nicht ein­ver­stan­den

Der in der Fi­lia­le ei­nes Ein­zel­han­dels­un­ter­neh­mens be­ste­hen­de Be­triebs­rat und der Ar­beit­ge­ber strit­ten über die vom Be­triebs­rat ver­lang­te Ein­set­zung ei­ner Ei­ni­gungs­stel­le. Sie soll­te über die Aus­zah­lungs­mo­da­litäten ei­ner ta­rif­li­chen Leis­tung ent­schei­den. Der Ar­beit­ge­ber mein­te, ei­ne Ver­ein­ba­rung der Be­triebs­par­tei­en zu die­sem The­ma sei we­gen ei­ner ab­sch­ließen­den ta­rif­li­chen Re­ge­lung recht­lich nicht möglich.

Der Be­triebs­rat zog vor das Ar­beits­ge­richt Ber­lin und be­an­trag­te gemäß § 98 Abs. 1 ArbGG die Ei­ni­gungs­stel­le ein­zu­set­zen zu dem The­ma „Aus­ge­stal­tung der Zah­lungs­mo­da­litäten bei der Um­set­zung des Ta­rif­ver­tra­ges zur be­fris­te­ten Vor­sor­ge­leis­tung zwi­schen dem Han­dels­ver­band Ber­lin-Bran­den­burg e.V. und der Ge­werk­schaft ver.di vom 04.09.2008“. Außer­dem be­an­trag­te der Be­triebs­rat, ei­nen Rich­ter am Ar­beits­ge­richt a.D. zum Ei­ni­gungs­stel­len­vor­sit­zen­den zu be­stel­len. Mit die­sen Anträgen hat­te er in ers­ter In­stanz Er­folg (Ar­beits­ge­richt Ber­lin, Be­schluss vom 30.11.2009, 19 BV 20301/09).

Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg: Vor­ge­schla­ge­ner Vor­sit­zen­der ist zu be­stel­len

Das LAG wies die Be­schwer­de des Ar­beit­ge­bers zurück (Be­schluss vom 22.01.2010, 10 TaBV 2829/09). Die Ei­ni­gungs­stel­le wur­de wie von dem Be­triebs­rat be­an­tragt un­ter Vor­sitz des ehe­ma­li­gen Rich­ters am Ar­beits­ge­richt ein­ge­setzt.

Da­bei berück­sich­tigt das LAG die Ge­fahr, dass bei­de Be­triebs­par­tei­en nach dem Müller­prin­zip ver­fah­ren, d.h. nach dem Mot­to „wer zu­erst kommt, mahlt zu­erst!“, und da­her mögli­cher­wei­se vor­schnell die ge­richt­li­che Ein­set­zung der Ei­ni­gungs­stel­le be­an­tra­gen.

An­de­rer­seits ist die­se Ge­fahr nicht Grund ge­nug, um von der Bin­dung des Ge­richts an die Anträge der Pro­zess­be­tei­lig­ten ab­zu­se­hen, die auch im Be­schluss­ver­fah­ren und da­mit auch im Ei­ni­gungs­stel­len­be­set­zungs­ver­fah­ren gilt. Und wenn es, so das LAG, kei­ne sach­li­chen Be­den­ken ge­gen den von ei­ner Par­tei vor­ge­schla­ge­nen Vor­sit­zen­den gibt, dann gibt es auch kei­nen vom Ge­richt zu be­ach­ten­den Grund, ihn nicht zu be­stel­len.

Außer­dem, so das LAG, ent­geht das Ar­beits­ge­richt durch die Statt­ga­be des auf ei­ne be­stimm­te Per­son ge­rich­te­ten An­trags dem Ver­dacht, selbst ei­ge­ne In­ter­es­sen zu ver­fol­gen, in­dem es ei­ne drit­te Per­son be­stellt. Ein sol­cher Rück­griff auf ei­nen Drit­ten wäre für die Par­tei­en nicht trans­pa­rent und könn­te den Ver­dacht auf­kom­men las­sen, dass sich die Ar­beits­rich­ter ge­gen­sei­tig zu Ei­ni­gungs­stel­len­vor­sit­zen­den be­stel­len, nach der De­vi­se „Gibst du mir ei­ne Ei­ni­gungs­stel­le, ge­be ich dir auch ei­ne.“.

Im kon­kre­ten Fall hat­te der Ar­beit­ge­ber kei­ne Tat­sa­chen vor­ge­tra­gen, die Miss­trau­en ge­gen den vom Be­triebs­rat vor­ge­schla­ge­nen Vor­sit­zen­den und da­mit des­sen Ab­leh­nung recht­fer­ti­gen würden. Die vom Ar­beit­ge­ber hier an­geführ­ten Be­den­ken, er ste­he recht­lich und po­li­tisch im Ar­beit­neh­mer­la­ger, ließ das LAG nicht gel­ten.

Fa­zit: Lehnt der Ar­beit­ge­ber ei­ne vom Be­triebs­rat ver­lang­te Ei­ni­gungs­stel­le ab, muss er befürch­ten, dass der Be­triebs­rat ein ge­richt­li­ches Ei­ni­gungs­stel­len­be­set­zungs­ver­fah­ren in Gang setzt. In ei­nem sol­chen Fall wird der Be­triebs­rat, je­den­falls nach der Recht­spre­chung ei­ni­ger Lan­des­ar­beits­ge­rich­te und nun­mehr auch des LAG Ber­lin-Bran­den­burg, im Ob­sie­gens­fall auch den von ihm gewünsch­ten Vor­sit­zen­den durch­brin­gen.

Hat der Ar­beit­ge­ber kei­nen Grund für die Hoff­nung, der Be­set­zungs­an­trag des Be­triebs­rats wer­de we­gen „of­fen­sicht­li­cher Un­zuständig­keit“ der Ei­ni­gungs­stel­le zurück­ge­wie­sen, soll­te er sich nicht länger dar­um verkämp­fen, die Ei­ni­gungs­stel­le ab­zu­weh­ren, son­dern sich mit dem Be­triebs­rat „frei­wil­lig“ und rasch auf ei­nen Vor­sit­zen­den ei­ni­gen. Ein wei­te­res Aus­sit­zen des Pro­blems kann an­sons­ten zur Fol­ge ha­ben, dass der Ei­ni­gungs­stel­len­be­set­zungs­an­trag des Be­triebs­rats auf­grund des Müller­prin­zips zum Durch­marsch wird bzw. zum De­sas­ter für den Ar­beit­ge­ber.

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Letzte Überarbeitung: 9. Juni 2014

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