HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 10/041

Wei­sungs­recht: La­ge der Ar­beits­zeit darf nicht aus­gren­zen

Kon­takt zu Kol­le­gen muss er­mög­licht wer­den: Lan­des­ar­beits­ge­richt Rhein­land-Pfalz, Ur­teil vom 17.06.2009, 8 Sa 26/09
Gelbgekleidete Person im Vordergrund, acht von ihr abwandte rotgekleidete Personen im Hintergrund Wei­sungs­recht: Kon­takt mit Kol­le­gen muss mög­lich sein

27.02.2010. Im Rah­men der ar­beits­ver­trag­li­chen, ta­rif­li­chen und ge­setz­li­chen Re­ge­lun­gen darf der Ar­beit­ge­ber In­halt, Ort und Zeit der Ar­beits­leis­tung im Ein­zel­nen fest­le­gen (Wei­sungs­recht).

Da­bei muss er al­ler­dings die In­ter­es­sen des Ar­beit­neh­mers aus­rei­chend be­ach­ten.

Ob dies der Fall ist, wenn der Ar­beit­ge­ber dem Ar­beit­neh­mer völ­lig an­de­re Ar­beits­zei­ten zu­teilt als al­len an­de­ren Be­schäf­tig­ten, um das Zu­sam­men­tref­fen zwei­er Kon­flikt­par­tei­en zu ver­mei­den, ist Ge­gen­stand der vor­lie­gen­den Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts (LAG) Rhein­land-Pfalz: LAG Rhein­land-Pfalz, Ur­teil vom 17.06.2009, 8 Sa 26/09.

Wei­sungs­recht des Ar­beit­ge­bers

Im Ar­beits­ver­trag lässt sich im All­ge­mei­nen nur der Rah­men der vom Ar­beit­neh­mer zu ver­rich­ten­den Tätig­kei­ten fest­le­gen. Was der Ar­beit­neh­mer in­ner­halb die­ses fest­ge­steck­ten Rah­mens dann tatsächlich zu wel­chem Zeit­punkt tun muss, darf der Ar­beit­ge­ber qua sei­nes so ge­nann­ten Wei­sungs­rechts be­stim­men.

§ 106 Ge­wer­be­ord­nung (Ge­wO) gibt dem Ar­beit­ge­ber dem­ent­spre­chend das Recht, In­halt, Ort und Zeit der Ar­beits­leis­tung des Ar­beit­neh­mers nach sei­nem „bil­li­gen“ Er­mes­sen fest­zu­le­gen. In­ner­halb der ge­setz­li­chen, ta­rif­li­chen bzw. ar­beits­ver­trag­li­chen Be­schränkun­gen darf der Ar­beit­ge­ber des­halb die Ar­beits­zei­ten der Ar­beit­neh­mer nach sei­nen be­trieb­li­chen Er­for­der­nis­sen fest­le­gen. Dies muss al­ler­dings nach „bil­li­gem Er­mes­sen“ er­fol­gen, d.h. der Ar­beit­ge­ber muss da­bei die In­ter­es­sen des Ar­beit­neh­mers aus­rei­chend berück­sich­ti­gen.

Nor­ma­ler­wei­se hat der Ar­beit­ge­ber vor al­lem ei­ne dem Ar­beits­be­darf ent­spre­chen­de Schicht­ein­tei­lung im Blick, wenn er die Ar­beits­zeit der Beschäftig­ten nach sei­nen be­trieb­li­chen Er­for­der­nis­sen fest­legt. Aus­nahms­wei­se kann der Ar­beit­ge­ber aber auch des­halb an­de­re Ar­beits­zei­ten für ei­nen Ar­beit­neh­mer für er­for­der­lich hal­ten, weil es Streit zwi­schen Kol­le­gen gibt und der Ar­beit­ge­ber durch Tren­nung der Kon­flikt­par­tei­en den Streit entschärfen möch­te.

Da­bei wird der Ar­beit­ge­ber in ers­ter Li­nie dem von ihm er­mit­tel­ten Ver­ur­sa­cher des Streits an­de­re Ar­beits­zei­ten zu­wei­sen, ob­wohl er recht­lich zur Er­mitt­lung des Ver­ur­sa­chers ei­gent­lich nicht ver­pflich­tet ist, weil dem Ver­ur­sa­cher des Streits ei­ne Ände­rung der Ar­beits­zei­ten eher zu­zu­mu­ten ist als der an­de­ren Kon­flikt­par­tei.

Auch bei ei­ner Ände­rung der Ar­beits­zei­ten des (ver­meint­li­chen) Ver­ur­sa­chers ei­nes Streits un­ter Kol­le­gen, muss der Ar­beit­ge­ber aber die In­ter­es­sen die­ses Ar­beit­neh­mers aus­rei­chend berück­sich­ti­gen. Dies zeigt die vor­lie­gen­de Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts (LAG) Rhein­land-Pfalz (Ur­teil vom 17.06.2009, 8 Sa 26/09).

Der Fall des Lan­des­ar­beits­ge­richts Rhein­land-Pfalz: Ar­beit­ge­ber weist Ar­beit­neh­mer ganz an­de­re Ar­beits­zei­ten zu als Kol­le­gen

Der kla­gen­de Ar­beit­neh­mer war La­ger- und Ver­kaufs­an­ge­stell­ter bei den US-Streit­kräften. Die „nor­ma­le“ Ta­ges­schicht be­gann dort zwi­schen 06:00 Uhr und 07:00 Uhr mor­gens und en­de­te nach­mit­tags zwi­schen 15:00 Uhr und 16:00 Uhr. Von 21:30 Uhr bis 05:42 Uhr dau­er­te bei dem Ar­beit­ge­ber die Nacht­schicht.

Der Kläger ar­bei­te­te in der Ta­ges­schicht. En­de 2006 ge­riet er da­bei in ei­nen Streit mit ei­ner Kol­le­gin. Ursprüng­lich wur­de dem Ar­beit­neh­mer vor­ge­wor­fen, dass er sei­ne Kol­le­gin se­xu­ell belästigt bzw. ge­schla­gen hat­te. Dies ließ sich al­ler­dings nicht nach­wei­sen. Später wur­den die­se Vorwürfe fast vollständig zurück­ge­nom­men. Der Ar­beit­neh­mer soll­te jetzt nur noch ei­ne laut­star­ke ver­ba­le Aus­ein­an­der­set­zung mit der Kol­le­gin ge­habt und sie da­bei ver­se­hent­lich an der Na­se berührt ha­ben.

Während die Ar­beits­kol­le­gin sag­te, sie sei durch die Aus­ein­an­der­set­zung trau­ma­ti­siert, ver­wies der Ar­beit­neh­mer dar­auf, dass die Kol­le­gin anläss­lich der von ihr er­stat­te­ten Straf­an­zei­ge bei der Po­li­zei zu Pro­to­koll ge­ge­ben hat­te, durch den Vor­fall nicht ar­beits­unfähig er­krankt zu sein.

Der Ar­beit­ge­ber setz­te den Ar­beit­neh­mer ab Mit­te 2008 dar­auf­hin je­den­falls zu an­de­ren Ar­beits­zei­ten als al­le an­de­ren Beschäftig­ten ein, nämlich von 04:00 Uhr mor­gens bis 12:12 Uhr mit­tags. Ge­gen die­se Ände­rung sei­ner Ar­beits­zei­ten er­hob der Ar­beit­neh­mer vor dem Ar­beits­ge­richt Kai­sers­lau­tern Kla­ge auf Fest­stel­lung, dass die Zu­wei­sung die­ser Ar­beits­zei­ten nicht be­rech­tigt sei. Vor dem Ar­beits­ge­richt hat­te er da­mit Er­folg (Ur­teil vom 20.11.2008, 2 Ca 1180/08), wor­auf­hin der Ar­beit­ge­ber Be­ru­fung zum LAG Rhein­land-Pfalz ein­leg­te.

Lan­des­ar­beits­ge­richt Rhein­land-Pfalz: Aus­gren­zung in­ner­halb der Be­leg­schaft durch Zu­wei­sung an­de­rer Ar­beits­zei­ten un­zulässig

Auch das LAG gab dem Ar­beit­neh­mer recht. Der Ar­beit­ge­ber hat­te nämlich nach Auf­fas­sung des LAG die In­ter­es­sen des Ar­beit­neh­mers nicht aus­rei­chend berück­sich­tigt. Die­se über­wo­gen ge­genüber dem In­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers, die „Streithähne“ zu tren­nen.

Das In­ter­es­se des Ar­beit­neh­mers, nicht zu völlig an­de­ren Schicht­zei­ten als al­le an­de­ren Beschäftig­ten zu ar­bei­ten, ist be­rech­tigt, so das LAG, weil durch die an­de­ren Ar­beits- und Pau­sen­zei­ten der Ar­beit­neh­mer in­ner­halb der Be­leg­schaft aus­ge­grenzt wird. Der Kon­takt zu den Kol­le­gen wird durch die un­ter­schied­li­chen Pau­sen­zei­ten nämlich er­heb­lich be­ein­träch­tigt und die teil­wei­se Nacht­ar­beit stellt ei­ne zusätz­li­che Be­las­tung dar.

Die In­ter­es­sen des Ar­beit­ge­bers an der Schicht­ein­tei­lung sind dem­ge­genüber we­ni­ger ge­wich­tig, so das LAG. Die vom Ar­beit­ge­ber mit der Ände­rung der Ar­beits­zei­ten be­zweck­te Wah­rung des Be­triebs­frie­dens ist zwar ein an­er­ken­nens­wer­tes Mo­tiv, meint das LAG, aber die noch übrig ge­blie­be­nen Vorwürfe ge­gen den Ar­beit­neh­mer wa­ren nicht schwer­wie­gend ge­nug, um ei­ne der­art dras­ti­sche Tren­nung des Ar­beit­neh­mers von den übri­gen Beschäftig­ten zu recht­fer­ti­gen. Der Ar­beit­ge­ber hätte zu­dem zunächst ver­su­chen müssen, den Streit auf an­de­re Wei­se, et­wa durch klären­de Gespräche, zu schlich­ten.

Fa­zit: Das Wei­sungs­recht des Ar­beit­ge­bers wird nor­ma­ler­wei­se von den Ar­beits­ge­rich­ten groß ge­schrie­ben, d.h. Ar­beit­neh­mer sind sel­ten er­folg­reich, wenn sie ge­gen un­lieb­sa­me Ar­beits­an­wei­sun­gen mit dem Ar­gu­ment vor­ge­hen, die An­wei­sung wi­derspräche „bil­li­gem Er­mes­sen“.

Der Ar­beit­ge­ber im vor­lie­gen­den Fall hat­te da­bei die zulässi­ge Gren­ze über­schrit­ten, weil er kei­ne über­zeu­gen­de Be­gründung für die Zu­tei­lung der Ar­beits­zei­ten hat­te und den Ar­beit­neh­mer mit den un­gewöhn­li­chen Ar­beits­zei­ten öffent­lich „be­straf­te“.

Zu Recht hiel­ten das Ar­beits­ge­richt und das Lan­des­ar­beits­ge­richt dies für un­zulässig, weil der So­zi­al­kon­takt zu an­de­ren Beschäftig­ten von er­heb­li­cher Be­deu­tung ist und die Aus­gren­zung des Ar­beit­neh­mers als Re­ak­ti­on auf den Kon­flikt kei­ne sach­ge­rech­te und sinn­vol­le Lösung dar­stellt.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 31. Januar 2019

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de
Bewertung: 5.0 von 5 Sternen (2 Bewertungen)

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de