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BAG, Ur­teil vom 22.02.2000, 3 AZR 845/98

   
Schlagworte: Tarifvertrag, Ausschluss, Geringfügige Beschäftigung
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 3 AZR 845/98
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 22.02.2000
   
Leitsätze:

1. Der tarifvertragliche Ausschluß von geringfügig Beschäftigten aus der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst ist aufgrund des von den Tarifvertragsparteien gewählten Gesamtversorgungssystems jedenfalls bis zum 31. März 1999 sachlich gerechtfertigt.

2. Dies gilt auch, soweit die Geringfügigkeit der Beschäftigung nach der bis zum 31. März 1999 geltenden Fassung des § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV darauf beruhte, daß der Verdienst hieraus ein Sechstel des Gesamteinkommens des Arbeitnehmers nicht überstieg (Ergänzung zu BAG 27. Februar 1996 - 3 AZR 886/94 - BAGE 82, 193; 12. März 1996 ¬3 AZR 993/94 - AP TV Arb Bundespost § 24 Nr. 1).

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Hannover, Urteil vom 26.11.1997, 2 Ca 876/96
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 22.09.1998, 13 Sa 454/98
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

Im Na­men des Vol­kes!

UR­TEIL

In Sa­chen

Kläger, Be­ru­fungskläger, An­schlußbe­ru­fungs­be­klag­ter und Re­vi­si­onskläger,

pp.

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te, An­schlußbe­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Drit­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 22. Fe­bru­ar 2000 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Rei­ne­cke, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Krem­hel­mer und Be­p­ler so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Pla­tow und Stem­mer für Recht er­kannt:

 

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1. Die Re­vi­si­on des Klägers ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Nie­der­sach­sen vom 22. Sep­tem­ber 1998 - 13 Sa 454/98 - wird zurück­ge­wie­sen.

2. Der Kläger hat die Kos­ten der Re­vi­si­on zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten in der Re­vi­si­ons­in­stanz nur noch dar­um, ob das be­klag­te Land den Kläger so stel­len muß, als wäre er in der Zeit zwi­schen dem 1. März und dem 31. De­zem­ber 1993 bei der Ver­sor­gungs­an­stalt des Bun­des und der Länder (VBL) ver­si­chert ge­we­sen.

Der am 25. Sep­tem­ber 1935 ge­bo­re­ne Kläger ist Di­plom-In­ge­nieur. Er un­ter-rich­tet seit dem 15. April 1971 Ma­the­ma­tik und Phy­sik an ei­nem Gym­na­si­um im Um-fang von zunächst vier, dann, seit dem 1. Sep­tem­ber 1994, fünf Un­ter­richts­stun­den pro Wo­che.

In der Zeit bis zum 31. Ja­nu­ar 1989 war der Kläger haupt­be­ruf­lich bei ei­nem kom­mu­na­len Ver­kehrs­un­ter­neh­men beschäftigt. Da­nach hat­te er bis zum 31. Ju­li 1990 ei­ne Pro­fes­sur­ver­tre­tung an ei­ner Fach­hoch­schu­le über­nom­men. Zwi­schen dem 1. Au­gust 1990 und dem 28. Fe­bru­ar 1993 war er ar­beits­los. Vom 1. März 1993 bis zum 31. Au­gust 1994 folg­te ei­ne wei­te­re Pro­fes­sur­ver­tre­tung an ei­ner Fach­hoch­schu­le. Für die­se Tätig­keit er­hielt der Kläger ein Mo­nats­ge­halt von 7.864,87 DM.

Grund­la­ge der Un­ter­richtstätig­keit des Klägers am Gym­na­si­um ist der Dienst­ver­trag vom 7. Ju­ni 1971, der für die Zeit ab dem 1. April 1991 durch Ver­trag vom 14. Au­gust 1992 ab­geändert wur­de. In die­sem Ände­rungs­ver­trag heißt es ua.:

㤠1

... Das Ar­beits­verhält­nis be­stimmt sich nach dem Bun­des-An­ge­stell­ten­ta­rif­ver­trag (BAT) und den die­sen ergänzen­den, ändern­den oder er­set­zen­den Ta­rif­verträgen in der für den Ar­beit­ge­ber je­weils gel­ten­den Fas­sung. Außer­dem fin­den die für den Ar­beit­ge­ber je­weils gel­ten­den sons­ti­gen Ta­rif­verträge An­wen­dung....

§2

So­bald der Ar­beit­neh­mer die ta­rif­li­chen Vor­aus­set­zun­gen des § 3 Buchst. n des BAT erfüllt und so­mit der BAT für den An­ge-stell­ten nicht mehr gilt, wird die­ser Ände­rungs­ver­trag ge­gen-

 

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stands­los. Es gel­ten für das Ar­beits­verhält­nis so­dann wie­der die Be­stim­mun­gen des bürger­li­chen Ge­setz­buchs (BGB) über den Dienst­ver­trag und die ergänzen­den Be­stim­mun­gen des Nie­ders. Kul­tus­mi­nis­te­ri­ums zur Beschäfti­gung und Vergütung ne­ben­be­ruf­li­cher oder ne­ben­amt­li­cher Lehr­kräfte."

Zwi­schen dem 1. März 1993 und dem 31. Au­gust 1994 er­hielt der Kläger ei­ne Vergütung nach Jah­res­wo­chen­stun­den, die sich in der Zeit bis zum 31. De­zem­ber 1993 auf mo­nat­lich 584,48 DM be­lief. Die an­tei­li­ge Vergütung nach den Ent­gelt­ta­rif­verträgen zum BAT hätte 1.236,29 DM be­tra­gen. Mit sei­ner Kla­ge hat­te der Kläger ursprüng­lich be­an­tragt fest­zu­stel­len, daß das be­klag­te Land ver­pflich­tet ist, den Kläger vom 1. März 1993 bis zum 31. Au­gust 1994 zeit­an­tei­lig nach VergGr. II a BAT zu vergüten und ihn so zu stel­len, als wäre er mit Wir­kung vom 1. März 1993 bis zum 31. Au­gust 1994 bei der Ver­sor­gungs­an­stalt des Bun­des und der Länder ver­si­chert.

Durch Teil­ver­gleich vom 26. No­vem­ber 1997 ha­ben die Par­tei­en sich vor dem Ar­beits­ge­richt da­hin ge­ei­nigt, daß der Kläger je­den­falls für die Zeit vom 1. Ja­nu­ar 1994 bis zum 31. Au­gust 1994 an­tei­li­ge Vergütung nach VergGr. II a BAT „nebst an­tei­li­ger Leis­tung zur VBL" erhält. Die Ent­gelt­kla­ge für die Zeit bis zum 31. De­zem­ber 1993 ha­ben die Vor­in­stan­zen we­gen Verjährung rechts­kräftig ab­ge­wie­sen. Mit sei­ner Re­vi­si­on ver­folgt der Kläger nur noch sei­nen An­trag wei­ter, ihn so zu stel­len, als wäre er im Zeit­raum vom 1. März bis zum 31. De­zem­ber 1993 bei der Ver­sor­gungs­an­stalt des Bun­des und der Länder ver­si­chert ge­we­sen. Er hat den Stand­punkt ein­ge­nom­men, die Be­klag­te schul­de die von ihm gel­tend ge­mach­te Gleich­be­hand­lung auch für die Zeit vom 1. März bis zum 31. De­zem­ber 1993. Die Ne­ben­be­ruf­lich­keit sei­ner Tätig­keit recht­fer­ti­ge den Aus­schluß aus der VBL-Ver­si­che­rung nicht.

Das be­klag­te Land hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen. Es hat die Ein­re­de der Verjährung er­ho­ben. Ei­ne Ver­pflich­tung der Be­klag­ten zur Ver­si­che­rung des Klägers bei der VBL ha­be nicht be­stan­den, weil die Einkünf­te des Klägers aus sei­ner ne­ben­be­ruf­li­chen Tätig­keit im Streit­zeit­raum we­ni­ger als ein Sechs­tel des Ge­samt­ein­kom­mens aus­ge­macht ha­be. Der Kläger sei des­halb ge­ringfügig Beschäftig­ter iSv. § 8 Abs. 1 Nr. 1 zwei­te Al­ter­na­ti­ve SGB IV und nicht bei der Ver­sor­gungs­an­stalt des Bun­des und der Länder zu ver­si­chern ge­we­sen.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge we­gen Verjährung ab­ge­wie­sen, so­weit der Kläger für den Streit­zeit­raum ei­ne zeit­an­tei­li­ge Vergütung nach VergGr. II a BAT ver­langt hat. Im übri­gen, was die Zu­satz­ver­sor­gung an­geht, hat es dem Kla­ge­an­trag ent­spro­chen. Ge­gen die­ses Ur­teil ha­ben der Kläger Be­ru­fung und die Be­klag­te An­schluß-

 

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be­ru­fung ein­ge­legt und ih­re ursprüng­li­chen Anträge wei­ter­ver­folgt. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Be­ru­fung des Klägers zurück­ge­wie­sen und die Kla­ge auf die An­schlußbe­ru­fung des be­klag­ten Lan­des ins­ge­samt ab­ge­wie­sen.

Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on des Klägers ist un­be­gründet. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat sei­ne Kla­ge zu Recht ab­ge­wie­sen. Der Kläger hat kei­nen An­spruch dar­auf, daß das be­klag­te Land ihm für die Beschäfti­gungs­zeit als Gym­na­si­al­leh­rer vom 1. März bis zum 31. De­zem­ber 1993 ei­ne Zu­satz­ver­sor­gung ver­schafft.

I. Ein sol­cher An­spruch er­gibt sich we­der un­mit­tel­bar aus § 46 BAT iVm. dem Ta­rif­ver­trag über die Ver­sor­gung der Ar­beit­neh­mer des Bun­des und der Länder so­wie von Ar­beit­neh­mern kom­mu­na­ler Ver­wal­tun­gen und Be­trie­be (Ver­sor­gungs-TV) so­wie der Sat­zung der VBL noch aus dem Ar­beits­ver­trag der Par­tei­en.

1. Ein ta­rif­ver­trag­li­cher An­spruch schei­det schon des­halb aus, weil der Kläger nicht Mit­glied ei­ner Ge­werk­schaft ist. Die Ta­rif­verträge für den öffent­li­chen Dienst gel­ten für ihn des­halb nicht un­mit­tel­bar und zwin­gend nach § 4 Abs. 1 TVG.

2. Nach dem Wort­laut des Ar­beits­ver­tra­ges vom 7. Ju­ni 1991 be­steht für den Kläger auch kein ver­trag­li­cher Ver­sor­gungs­an­spruch. Der Bun­des-An­ge­stell­ten­ta­rif­ver­trag, des­sen § 46 ei­nen An­spruch auf Zu­satz­ver­sor­gung be­gründet, fin­det nach dem Ar­beits­ver­trag eben­so wie der Ver­sor­gungs-TV nur so lan­ge auf das Ar­beits­verhält­nis des Klägers An­wen­dung, wie der Kläger die Vor­aus­set­zun­gen des § 3 Buchst. n BAT nicht erfüllt, al­so nicht le­dig­lich ge­ringfügig iSv. § 8 SGB IV beschäftigt ist. Zwi­schen dem 1. März und dem 31. De­zem­ber 1993 war der Kläger je­doch ge­ringfügig iSv. § 8 Abs. 1 Nr. 1 zwei­te Al­ter­na­ti­ve SGB IV ge­ringfügig beschäftigt. Sein Ein­kom­men aus der Tätig­keit als Gym­na­si­al­leh­rer von da­mals 584,49 DM über­stieg zu­sam­men mit sei­nem Ein­kom­men aus dem Haupt­ar­beits­verhält­nis als Pro­fes­sur­ver­tre­ter von 7.864,87 DM nicht ein Sechs­tel sei­nes Ge­samt­ein­kom­mens. Ob dem Kläger auch schon für den An­spruchs­zeit­raum an­tei­li­ge Vergütung in Höhe von 1.236,29 DM zu­stan­den, ist un­er­heb­lich. Ein sol­cher An­spruch ist, wie das Lan­des­ar­beits­ge­richt rechts­kräftig ent­schei­den hat, je­den­falls nicht mehr durch­setz­bar. Im übri­gen würde auch die­ser Mo­nats­ver­dienst ein Sechs­tel des Ge­samt­ein­kom­mens nicht über­schrei­ten.

 

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II. Der Kläger hat auch kei­nen An­spruch aus dem ar­beits­recht­li­chen Gleich­be­hand­lungs­grund­satz. Die­se An­spruchs­grund­la­ge (§ 1 Abs. 1 Satz 4 Be­trAVG) ist im vor­lie­gen­den Zu­sam­men­hang im Verhält­nis zwi­schen den Pro­zeßpar­tei­en nicht an­wend­bar. Das be­klag­te Land hat kei­ne ei­genständi­ge Ord­nung ge­schaf­fen, wo­nach es be­stimm­ten Ar­beit­neh­mern ta­rif­ver­trag­li­che Rech­te einräumt, die es an­de­ren nicht gibt. Der mit dem Kläger ge­schlos­se­ne Ar­beits­ver­trag vom 7. Ju­ni 1991 macht deut­lich, daß das be­klag­te Land den Kläger le­dig­lich so be­han­deln will, als wäre er ta­rif­ge­bun­den. Auf sein Ar­beits­verhält­nis soll der BAT, an den das be­klag­te Land ge­bun­den ist, nur dann kei­ne An­wen­dung fin­den, wenn die Vor­aus­set­zun­gen des § 3 Buchst. n BAT er-füllt sind „und so­mit der BAT für den An­ge­stell­ten nicht gilt".

In ei­nem sol­chen Fall, in dem der Ar­beit­ge­ber le­dig­lich die ta­rif­li­che Ord­nung un­abhängig von der Ta­rif­ge­bun­den­heit der ein­zel­nen Ar­beit­neh­mer all­ge­mein an­wen­det, kann es nur dar­um ge­hen, ob die­se in Be­zug ge­nom­me­ne Ord­nung ih­rer­seits gleich­heits­wid­rig ist. Ei­ne Bin­dung des Ar­beit­ge­bers an ei­ge­nes, die bei ihm be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis­se ord­nen­des Vor­ver­hal­ten schei­det aus (BAG 7. März 1995 - 3 AZR 282/94 - BA­GE 79, 236, 241 f.).

III. Der Kläger hat auch nicht des­halb ei­nen ar­beits­ver­trag­lich ver­mit­tel­ten ta­rif­ver­trag­li­chen Ver­sor­gungs­an­spruch, weil der Aus­schluß ge­ringfügig Beschäftig­ter aus dem Gel­tungs­be­reich des BAT und des Ver­sor­gungs-TV we­gen Ver­s­toßes ge­gen § 2 Abs. 1 BeschFG oder Art. 3 Abs. 1 GG un­wirk­sam wäre.

1. Die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en sind an den all­ge­mei­nen Gleich­heits­satz des Art. 3 Abs. 1 GG ge­bun­den, der Teil der ob­jek­ti­ven Wert­ord­nung ist, die als ver­fas­sungs­recht­li­che Grund­ent­schei­dung für al­le Be­rei­che des Rechts Gel­tung be­an­sprucht. Ta­rif­verträge sind auch an­hand des § 2 Abs. 1 BeschFG zu über­prüfen. § 6 BeschFG er­laubt es den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en nicht, Ar­beit­neh­mer oh­ne sach­lich ver­tret­ba­re Gründe we­gen des Um­fangs ih­rer ver­trag­lich ge­schul­de­ten Ar­beits­zeit schlech­ter zu be­han­deln als an­de­re (BAG 7. März 1995 - 3 AZR 282/94 - BA­GE 79, 236, 242 f.).

2. § 3 Buchst. n BAT schließt al­ler­dings Ar­beit­neh­mer nicht al­lein des­halb aus dem Gel­tungs­be­reich des BAT und des Ver­sor­gungs-TV aus, weil ih­re re­gelmäßige Wo­chen­ar­beits­zeit kürzer ist als die re­gelmäßige Wo­chen­ar­beits­zeit ver­gleich­ba­rer voll­zeit­beschäftig­ter Ar­beit­neh­mer (§ 2 Abs. 2 BeschFG). Es muß hin­zu­kom­men, daß der Ver­dienst, den sie aus die­ser Tätig­keit er­zie­len, nur der­art ge­ring ist, daß sie in ih­ren Ar­beits­verhält­nis­sen nicht so­zi­al­ver­si­che­rungs­pflich­tig sind. Es ist des­halb zwei-

 

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fel­haft, ob ei­ne sol­che ta­rif­ver­trag­li­che Aus­schlußre­ge­lung an § 2 Abs. 1 BeschFG oder am all­ge­mei­nen Gleich­heits­satz des Art. 3 Abs. 1 GG zu mes­sen ist. Letzt­lich kann dies un­ent­schie­den blei­ben, weil die Prüfungs­maßstäbe sich hier nicht un­ter­schei­den. Je­den­falls bis zum 31. März 1999 gibt es für die Schlech­ter­stel­lung ge­ringfügig Beschäftig­ter iSv. § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV in Be­zug auf die Zu­satz­ver­sor­gung ei­nen sach­lich recht­fer­ti­gen­den Grund.

a) Ein sach­li­cher Grund für die un­ter­schied­li­che Be­hand­lung bei der ta­rif­li­chen Gewährung ei­ner Leis­tung be­steht, wenn sich aus dem ta­rif­ver­trag­li­chen Leis­tungs­zweck Gründe her­lei­ten las­sen, die es un­ter Berück­sich­ti­gung al­ler Umstände recht­fer­ti­gen, daß ei­ne be­stimm­te Ar­beit­neh­mer­grup­pe, hier die der ge­ringfügig Beschäftig­ten, die be­tref­fen­de Leis­tung nicht er­hal­ten (BAG 27. Fe­bru­ar 1996 - 3 AZR 886/94 - BA­GE 82, 193, 199 mwN). Bei der Zweck­set­zung ha­ben die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en ei­nen wei­ten Ge­stal­tungs­spiel­raum. Sie ent­schei­den ei­gen­ver­ant­wort­lich darüber, wel­ches Ver­sor­gungs­sys­tem sie wählen und wel­che Zie­le sie da­mit im Ein­zel­nen ver­fol­gen.

b) Aus der dem Ver­sor­gungs-TV zu ent­neh­men­den ta­rif­ver­trag­li­chen Zweck­set­zung er­gibt sich die sach­li­che Recht­fer­ti­gung dafür, ge­ringfügig Beschäftig­te aus die­sem Ver­sor­gungs­werk aus­zu­neh­men.

Die Zu­satz­ver­sor­gung im öffent­li­chen Dienst wird im Rah­men ei­nes Ge­samt­ver­sor­gungs­sys­tems gewährt. Ge­setz­li­che Ren­ten we­gen Al­ters- oder ver­min­der­ter Er­werbsfähig­keit wer­den bei der Be­rech­nung der Zu­satz­ver­sor­gung berück­sich­tigt. Die als Ge­samt­ver­sor­gungs­sys­tem aus­ge­stal­te­te Zu­satz­ver­sor­gung ergänzt die ge­setz­li­che Ren­ten­ver­si­che­rung. Sie steht nicht los­gelöst ne­ben ihr, son­dern ist mit ihr un­trenn­bar ver­knüpft. Da die Ge­samt­ver­sor­gung auf­grund ih­res Zwecks not­wen­di­ger­wei­se das ge­setz­li­che Ren­ten­ver­si­che­rungs­recht mit berück­sich­tigt, dürfen die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en auch auf die so­zi­al­ver­si­che­rungs­recht­li­che Rechts­la­ge ab­stel­len. Sie sind nicht ver­pflich­tet, die Wer­tent­schei­dun­gen des Ge­setz­ge­bers im Be­reich des So­zi­al­ver­si­che­rungs­rechts durch teil­wei­se Um­ge­stal­tung des von ih­nen gewähl­ten be­trieb­li­chen Zu­satz­ver­sor­gungs­sys­tems zu kor­ri­gie­ren.

§ 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV hat ge­ringfügi­ge Beschäfti­gun­gen von der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rungs­pflicht aus­ge­nom­men. Dies ist eu­ro­pa­recht­lich nicht zu be­an­stan­den (EuGH 14. De­zem­ber 1995 - C 317/93 - Eu­GHE 11995, 4625). An die­ser

 

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so­zi­al­ver­si­che­rungs­recht­li­chen Re­ge­lung können sich die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en ori­en­tie­ren.

c) Der sach­li­chen Recht­fer­ti­gung von § 3 Buchst. n BAT in Ver­bin­dung mit dem Ver­sor­gungs-TV steht nicht ent­ge­gen, daß be­trieb­li­che Al­ters­ver­sor­gung auch Ent­gelt­cha­rak­ter hat. Dies be­deu­tet nicht, daß Ver­sor­gungs­leis­tun­gen stets dem Um­fang der Ar­beits­leis­tun­gen und der Dau­er des Ar­beits­verhält­nis­ses ent­spre­chen müssen. Ta­rif­li­che Ver­sor­gungs­re­ge­lun­gen können sich auch an den Ver­sor­gungs­verhält­nis­sen der ein­zel­nen Ar­beit­neh­mer ori­en­tie­ren und die De­ckung ei­nes be­stimm­ten Ver­sor­gungs­be­darfs als Ent­gelt in Aus­sicht stel­len. Es hängt von der Aus­ge­stal­tung des je­wei­li­gen Ver­sor­gungs­sys­tems ab, wel­ches Ge­wicht den in­di­vi­du­el­len Ver­sor­gungs­verhält­nis­sen zu­kommt. Bei dem im öffent­li­chen Dienst be­ste­hen­den Ge­samt­ver­sor­gungs­sys­tem hat die Ren­ten­bio­gra­phie des ein­zel­nen Ar­beit­neh­mers ent­schei­den­de Be­deu­tung. Hier geht es dar­um, ei­ne Grund­si­che­rung, wie sie die ge­setz­li­che Ren­ten­ver­si­che­rung dar­stellt, durch ta­rif­li­che Zu­satz­leis­tun­gen zu ergänzen. An ei­ner sol­chen Grund­si­che­rung fehlt es aber in den Fällen des § 8 Abs. 1 SGB IV. Der Aus­schluß ge­ringfügig Beschäftig­ter aus der Zu­satz­ver­sor­gung wi­der­spricht des­halb nicht der Ergänzungs­funk­ti­on der be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung im öffent­li­chen Dienst. Er trägt ihr viel­mehr Rech­nung. Die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en sind nicht ver­pflich­tet, die feh­len­de So­zi­al­ver­si­che­rungs­ren­te durch ei­ne be­trieb­li­che Al­ters­ver­sor­gung zu er­set­zen. Auch sie können von der vom So­zi­al­ge­setz­ge­ber zu­grun­de ge­leg­ten ge­rin­ge­ren Schutz­bedürf­tig­keit ge­ringfügig Beschäftig­ter aus­ge­hen.

3. Die­se Gründe ha­ben den Se­nat in sei­nen Ur­tei­len vom 27. Fe­bru­ar 1996 (- 3 AZR 886/94 - BA­GE 82, 193) und vom 12. März 1996 (- 3 AZR 993/94 - AP TV Arb Bun­des­post § 24 Nr. 1 = EzA Be­trAVG § 1 Gleich­be­hand­lung Nr. 11) ver­an­laßt, die Her­aus­nah­me von Ar­beit­neh­mern aus dem Zu­satz­ver­sor­gungs­sys­tem des öffent­li­chen Diens­tes als sach­lich ge­recht­fer­tigt an­zu­se­hen, die nur in ei­nem we­gen sei­ner Ge­ringfügig­keit nicht so­zi­al­ver­si­che­rungs­pflich­ti­gen Beschäfti­gungs­verhält­nis (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 ers­te Al­ter­na­ti­ve SGB IV) ste­hen (eben­so Blo­mey­er/Ot­to Be­trAVG 2. Aufl. Ein­lei­tung Rn. 226; Höfer Be­trAVG Stand 1999 ART Rn. 530 ff; An­d­re­sen/Förs­ter/Rößler/ Rühmann Ar­beits­recht der be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung Teil 7 B Rn. 129; aA Kas­se­ler Hand­buch/Linck 2. Aufl. 4.2. Rn. 134 ff.). Sie recht­fer­tig­ten je­den­falls bis zur Neu­re­ge­lung des Rechts der ge­ringfügi­gen Beschäfti­gung mit Wir­kung zum 1. April 1999 auch die Schlech­ter­stel­lung von Ar­beit­neh­mern wie dem Kläger, die nach der zwei­ten Al­ter­na­ti­ve des § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV als ge­ringfügig Beschäftig­te an­zu­se­hen sind.

 

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Auch in sol­chen Beschäfti­gungs­verhält­nis­sen konn­te bis zum 31. März 1999 ei­ne ge­setz­li­che Grund­ver­sor­gung nicht er­dient wer­den, die von den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en hätte ergänzt wer­den können. Es kommt nicht dar­auf an, daß ge­ringfügig Beschäftig­te iSd. § 8 Abs. 1 Nr. 1 zwei­te Al­ter­na­ti­ve SGB IV in ih­rer Haupt­beschäfti­gung ei­ne ge­setz­li­che Al­ters­si­che­rung er­rei­chen. Maßstab für die ta­rif­ver­trag­li­che Re­ge­lung sind das je­wei­li­ge ein­zel­ne Ar­beits­verhält­nis und die Pflich­ten, wel­che die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en dem Ar­beit­ge­ber die­ses Ar­beits­verhält­nis­ses auf­er­le­gen wol­len. Es ist sach­lich ge­recht­fer­tigt, daß die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en ihn nicht da­zu ver­pflich­ten, die feh­len­de So­zi­al­ver­si­che­rungs­ren­te aus die­ser Beschäfti­gung durch ei­ne be­trieb­li­che Al­ters­ver­sor­gung zu er­set­zen.

Es kommt auch nicht dar­auf an, daß Ar­beit­neh­mer wie der Kläger bei An­wend­bar­keit des Ver­sor­gungs-TV und der Sat­zung der VBL auf ihr Ar­beits­verhält­nis auf­grund der be­ste­hen­den An­rech­nungs­be­stim­mun­gen re­gelmäßig nur ei­ne Ver­si­cher­ten­ren­te und kei­ne Ver­sor­gungs­ren­te er­die­nen würden. Ent­schei­dend ist für die sach­li­che Recht­fer­ti­gung der ta­rif­ver­trag­li­chen Un­gleich­be­hand­lung, daß das von den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en gewähl­te Zu­satz­ver­sor­gungs­sys­tem durch ei­ne ent­spre­chen­de en­ge Ver­knüpfung mit dem ge­setz­li­chen Al­ters­ver­sor­gungs­sys­tem auf die Ergänzung ei­ner im Ar­beits­verhält­nis er­dien­ten ge­setz­li­chen Grund­ver­sor­gung aus­ge­rich­tet ist. Die­sem Zweck ent­spricht die Her­aus­nah­me ge­ringfügig Beschäftig­ter aus dem ta­rif­li­chen Ver­sor­gungs­werk je­den­falls für die Zeit bis zum 31. März 1999.

Rei­ne­cke

Krem­hel­mer

Be­p­ler

Pla­tow

Stem­mer

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Dr. Martin Hensche
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Nina Wesemann
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