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BAG, Ur­teil vom 13.12.2011, 9 AZR 399/10

   
Schlagworte: Urlaubsabgeltung, Ausschlussfrist
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 9 AZR 399/10
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 13.12.2011
   
Leitsätze: Der vom Gerichtshof der Europäischen Union aufgestellte Rechtssatz, dass die Dauer des Übertragungszeitraums, innerhalb dessen der Urlaubsanspruch bei durchgängiger Arbeitsunfähigkeit nicht verfallen kann, die Dauer des Bezugszeitraums deutlich übersteigen muss, ist auf die Mindestlänge einer tariflichen Ausschlussfrist für die Geltendmachung des Anspruchs auf Urlaubsabgeltung nicht übertragbar. Solche Ausschlussfristen können deutlich kürzer als ein Jahr sein.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Fulda, Urteil vom 13.11.2009, 1 Ca 431/09
Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 21.04.2010, 6 Sa 1944/09
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


9 AZR 399/10
6 Sa 1944/09

Hes­si­sches
Lan­des­ar­beits­ge­richt

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

13. De­zem­ber 2011

UR­TEIL

Brüne, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Be­klag­te, Be­ru­fungskläge­rin, Be­ru­fungs­be­klag­te, Re­vi­si­onskläge­rin und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

pp.


Kläger, Be­ru­fungs­be­klag­ter, Be­ru­fungskläger, Re­vi­si­ons­be­klag­ter und Re­vi­si­onskläger,

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hat der Neun­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 13. De­zem­ber 2011 durch den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Krasshöfer als Vor­sit­zen­den, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Suckow und Klo­se so­wie den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Meh­nert und die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin Neu­mann für Recht er­kannt:

Auf die Re­vi­si­on der Be­klag­ten wird das Ur­teil des Hes­si­schen Lan­des­ar­beits­ge­richts vom 21. April 2010 - 6 Sa 1944/09 - teil­wei­se auf­ge­ho­ben, so­weit es die Be­ru­fung der Be­klag­ten zurück­ge­wie­sen hat.

Auf die Be­ru­fung der Be­klag­ten wird das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ful­da vom 13. No­vem­ber 2009 - 1 Ca 431/09 - ab­geändert, so­weit es der Kla­ge statt­ge­ge­ben hat. Die Kla­ge wird ins­ge­samt ab­ge­wie­sen.

Die Re­vi­si­on des Klägers ge­gen das Ur­teil des Hes­si­schen Lan­des­ar­beits­ge­richts vom 21. April 2010 - 6 Sa 1944/09 - wird zurück­ge­wie­sen.

Der Kläger hat die Kos­ten des Rechts­streits zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Der Kläger ver­langt von der Be­klag­ten die Ab­gel­tung des ta­rif­li­chen Mehr­ur­laubs, des ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laubs und des Schwer­be­hin­der­ten­zu­satz­ur­laubs so­wie die Zah­lung des ta­rif­li­chen Ur­laubs­gelds.

Der mit ei­nem Grad von min­des­tens 50 schwer­be­hin­der­te Kläger war seit dem 1. Ju­ni 1978 bei der Be­klag­ten, ei­ner Rei­fen­her­stel­le­rin, in ei­ner Fünf-Ta­ge-Wo­che beschäftigt. Auf das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en fan­den die Ta­rif­verträge für die Kau­tschu­k­in­dus­trie in Hes­sen kraft bei­der­sei­ti­ger Ta­rif­bin­dung so­wie auf­grund ein­zel­ver­trag­li­cher In­be­zug­nah­me An­wen­dung. In § 16 des Man­tel­ta­rif­ver­trags für die Kau­tschu­k­in­dus­trie in den Ländern Hes­sen,

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Nie­der­sach­sen, Rhein­land-Pfalz und Saar­land vom 17. De­zem­ber 2003 (im Fol­gen­den: MTV) heißt es:

Aus­schluss­fris­ten


1. Al­le Ansprüche aus dem Ar­beits­verhält­nis müssen bei­der­sei­tig in­ner­halb von drei Mo­na­ten nach ih­rem Ent­ste­hen gel­tend ge­macht wer­den, und zwar sei­tens des Ar­beit­neh­mers bei der Be­triebs­lei­tung oder ih­rem Be­auf­trag­ten, sei­tens der Be­triebs­lei­tung beim Ar­beit­neh­mer.


2. Beim Aus­schei­den ei­nes Ar­beit­neh­mers sind Ansprüche spätes­tens zwei Mo­na­te nach Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses gel­tend zu ma­chen. Wer­den Ansprüche erst später fällig, so be­rech­net sich die Frist von zwei Mo­na­ten vom Tag der Fällig­keit an.

3. Nach Ab­lauf die­ser Fris­ten ist die Gel­tend­ma­chung aus­ge­schlos­sen. Das gilt nicht, wenn die Be­ru­fung auf ei­ne Aus­schluss­frist we­gen des Vor­lie­gens be­son­de­rer Umstände ei­ne un­zulässi­ge Rechts­ausübung ist.“

Der für meh­re­re Bun­desländer - ua. für das Land Hes­sen - gel­ten­de Ur­laubs­ta­rif­ver­trag für die Be­trie­be der kau­tschuk- und kunst­stoff­ver­ar­bei­ten­den In­dus­trie vom 11. Fe­bru­ar 2000 (im Fol­gen­den: Ur­laubsTV) sieht aus­zugs­wei­se Fol­gen­des vor:

㤠3
Ur­laubs­dau­er


(1) Die Ur­laubs­dau­er beträgt 30 Ta­ge.


(2) Als Ur­laubs­ta­ge zählen al­le Ka­len­der­ta­ge mit Aus­nah­me der Sams­ta­ge, der Sonn­ta­ge so­wie der ge­setz­li­chen Fei­er­ta­ge.

...


(3) Der Zu­satz­ur­laub für Schwer­be­hin­der­te re­gelt sich nach den ge­setz­li­chen Be­stim­mun­gen.

§ 4
Ur­laubs­vergütung


...


II. Zusätz­li­ches Ur­laubs­geld

(1) Für al­le Ar­beit­neh­mer beträgt das zusätz­li­che Ur-

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laubs­geld je ta­rif­li­chen Ur­laubs­tag 35,00 DM. ...“


Das Ar­beits­ent­gelt des Klägers be­trug zu­letzt je Ar­beits­tag 108,02 Eu­ro brut­to.

Der Kläger konn­te we­gen durchgängig an­dau­ern­der Ar­beits­unfähig­keit zwei Ta­ge Ur­laub des Jah­res 2004 so­wie den ge­sam­ten Ur­laub des Jah­res 2005 und auch nicht den für die Mo­na­te Ja­nu­ar bis April 2006 ent­stan­de­nen an­tei­li­gen Ur­laub in An­spruch neh­men. Das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en en­de­te am 30. April 2006. Die Ar­beits­unfähig­keit des Klägers dau­er­te auch über die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses an. Seit dem 1. Mai 2006 be­zieht der Kläger ei­ne Ren­te we­gen vol­ler Er­werbs­min­de­rung auf Dau­er.

Mit Schrei­ben vom 15. Ju­li 2009 for­der­te der Kläger von der Be­klag­ten ver­geb­lich die Ab­gel­tung des nicht ge­nom­me­nen Ur­laubs iHv. zwei Ar­beits­ta­gen aus dem Jahr 2004, von 35 Ar­beits­ta­gen aus dem Jahr 2005 und von 12 Ar­beits­ta­gen aus dem Jahr 2006 so­wie die Zah­lung des ta­rif­li­chen Ur­laubs­gelds für die­se 49 Ur­laubs­ta­ge.

Der Kläger hat die An­sicht ver­tre­ten, Art. 7 Abs. 2 der Richt­li­nie 2003/88/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 4. No­vem­ber 2003 über be­stimm­te As­pek­te der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung (im Fol­gen­den: Ar­beits­zeit­richt­li­nie) in sei­ner Aus­le­gung durch den Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on (im Fol­gen­den: EuGH) und das Bun­des­ar­beits­ge­richt las­se es nicht zu, dass Ur­laubs­ansprüche bei an­dau­ern­der Ar­beits­unfähig­keit des Ar­beit­neh­mers ver­fal­len. Ta­rif­li­che Aus­schluss­fris­ten von nur zwei bzw. drei Mo­na­ten ver­stießen ge­gen die Vor­ga­ben des EuGH.

Der Kläger hat be­an­tragt, 


die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an ihn 6.170,08 Eu­ro brut­to nebst Zin­sen in Höhe von fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 15. Ju­li 2009 zu zah­len.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen. Sie hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, die neue­re Recht­spre­chung des EuGH und des Bun­des­ar­beits-

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ge­richts ste­he nicht mit Art. 7 der Ar­beits­zeit­richt­li­nie in Ein­klang. Die Kla­ge­for­de­rung sei je­den­falls gemäß § 16 MTV ver­fal­len, da der Kläger die Kla­ge­ansprüche nicht frist­gemäß gel­tend ge­macht ha­be.


Das Ar­beits­ge­richt hat der Kla­ge auf Ab­gel­tung des ge­setz­li­chen Teil­ur­laubs ein­sch­ließlich des Schwer­be­hin­der­ten­zu­satz­ur­laubs für das Jahr 2006 iHv. 899,81 Eu­ro brut­to statt­ge­ge­ben und sie im Übri­gen ab­ge­wie­sen. Die hier­ge­gen ein­ge­leg­te Be­ru­fung des Klägers blieb er­folg­los. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts auf die Be­ru­fung der Be­klag­ten teil­wei­se ab­geändert und die­se nur zur Zah­lung von 756,14 Eu­ro brut­to ver­ur­teilt, weil auch der Schwer­be­hin­der­ten­zu­satz­ur­laub für das Jahr 2006 ver­fal­len sei. Die Par­tei­en ver­fol­gen mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt für bei­de Par­tei­en zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ih­re Anträge auf Zah­lung des vol­len Kla­ge­be­trags bzw. auf vollständi­ge Kla­ge­ab­wei­sung wei­ter.


Ent­schei­dungs­gründe

A. Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ist be­gründet. Die Re­vi­si­on des Klägers war da­ge­gen zurück­zu­wei­sen. Die Kla­ge ist ins­ge­samt un­be­gründet. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat zu Un­recht an­ge­nom­men, der An­spruch des Klägers auf Ab­gel­tung des an­tei­li­gen ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laubs für das Jahr 2006 un­ter­fal­le nicht der ta­rif­li­chen Aus­schluss­frist. Der Kläger ist gemäß § 16 MTV von der Gel­tend­ma­chung sämt­li­cher streit­ge­genständ­li­cher Ansprüche aus­ge­schlos­sen.

I. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Be­klag­te zu Un­recht ver­ur­teilt, den an­tei­li­gen ge­setz­li­chen Ur­laubs­an­spruch des Klägers von sie­ben Ar­beits­ta­gen für das Jahr 2006 in Höhe von 756,14 Eu­ro brut­to ab­zu­gel­ten und die hier­auf ent­fal­len­den Zin­sen zu zah­len.

1. Die ua. im Land Hes­sen gel­ten­den Ta­rif­verträge für die Kau­tschu­k­in­dus­trie fan­den auf das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en schon kraft bei­der­sei­ti­ger Ta­rif­bin­dung An­wen­dung.
 


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2. Der Se­nat hat be­reits ent­schie­den, dass Ansprüche auf Ab­gel­tung des ta­rif­li­chen Mehr­ur­laubs und des ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laubs ta­rif­li­chen Aus-schluss­fris­ten un­ter­fal­len können. Der un­ab­ding­ba­re Schutz des ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laubs nach §§ 1, 3 Abs. 1, § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG steht dem nicht ent­ge­gen (BAG 9. Au­gust 2011 - 9 AZR 365/10 - Rn. 12 ff., NZA 2011, 1421).

Sei­ne frühe­re Recht­spre­chung, der zu­fol­ge ta­rif­li­che Aus­schluss­fris­ten nicht auf Ur­laubs­ab­gel­tungs­ansprüche an­zu­wen­den sei­en (vgl. zu­letzt BAG 20. Ja­nu­ar 2009 - 9 AZR 650/07 - Rn. 21; 20. Mai 2008 - 9 AZR 219/07 - Rn. 48, BA­GE 126, 352), hat der Se­nat im Hin­blick auf Art. 7 Abs. 2 der Ar­beits­zeit­richt­li­nie und sei­ner Aus­le­gung durch den EuGH für die Fälle fort­dau­ern­der Ar­beits­unfähig­keit des Ar­beit­neh­mers aus­drück­lich auf­ge­ge­ben (BAG 9. Au­gust 2011 - 9 AZR 365/10 - Rn. 14 ff., NZA 2011, 1421). Das ist ei­ne not­wen­di­ge Fol­ge­wir­kung der Auf­ga­be der Sur­ro­gats­theo­rie (vgl. BAG 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 44 ff., BA­GE 130, 119; fort­geführt von BAG 4. Mai 2010 - 9 AZR 183/09 - Rn. 17, BA­GE 134, 196). Nach der re­for­mier­ten Recht­spre­chung ist der Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch ein rei­ner Geld­an­spruch, der als sol­cher den Be­din­gun­gen un­terfällt, die nach dem an­wend­ba­ren Ta­rif­ver­trag für die Gel­tend­ma­chung von Geld­ansprüchen vor­ge­schrie­ben sind. Da­zu gehören ta­rif­li­che Aus­schluss­fris­ten.


3. Der Kläger ist gemäß § 16 Ziff. 3 Satz 1 MTV mit der Gel­tend­ma­chung des Ab­gel­tungs­an­spruchs für den an­tei­li­gen ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laub für das Jahr 2006 aus­ge­schlos­sen. Er mach­te den An­spruch nicht in­ner­halb der Fris­ten des § 16 Ziff. 1, Ziff. 2 MTV gel­tend. Die Ob­lie­gen­heit, die ta­rif­li­chen Aus­schluss­fris­ten ein­zu­hal­ten, verkürzt ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Klägers sei­ne Rech­te nicht in un­zulässi­ger Wei­se.


a) Der An­spruch gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG auf Ab­gel­tung des im Jahr des Aus­schei­dens ent­stan­de­nen Teil­ur­laubs nach § 5 Abs. 1 Buchst. c BUrlG fällt un­ter die Aus­schluss­fris­ten des § 16 MTV. Sie be­tref­fen nach dem Ta­rif­wort­laut al­le Ansprüche aus dem Ar­beits­verhält­nis. Zu die­sen gehört der An­spruch auf Ur­laubs­ab­gel­tung. For­mu­lie­ren Ta­rif­ver­trags­par­tei­en kei­ne Ein­schränkun­gen, so fal­len un­ter den Be­griff der „Ansprüche aus dem Ar­beits­verhält­nis” al­le
 


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ge­setz­li­chen, ta­rif­li­chen und ver­trag­li­chen Ansprüche, die Ar­beits­ver­trags­par­tei­en auf­grund ih­rer durch den Ar­beits­ver­trag be­gründe­ten Rechts­stel­lung ge­gen­ein­an­der ha­ben (vgl. BAG 22. Ja­nu­ar 2008 - 9 AZR 416/07 - Rn. 19, AP TVG § 4 Aus­schluss­fris­ten Nr. 191 = EzA TVG § 4 Aus­schluss­fris­ten Nr. 190).


§ 16 Ziff. 2 MTV ver­langt, dass beim Aus­schei­den ei­nes Ar­beit­neh­mers „Ansprüche“ spätes­tens zwei Mo­na­te nach Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses gel­tend zu ma­chen sind. Ei­ne Be­schränkung auf be­stimm­te Ar­ten von Ansprüchen sieht die Ta­rif­norm nicht vor. Zu­dem ist die Re­ge­lung im Zu­sam­men­hang mit der vor­an­ge­hen­den Zif­fer aus­zu­le­gen. Nach § 16 Ziff. 1 MTV müssen aus­drück­lich „al­le“ Ansprüche aus dem Ar­beits­verhält­nis bei­der­sei­tig in­ner­halb von drei Mo­na­ten nach ih­rem Ent­ste­hen gel­tend ge­macht wer­den. Es gibt kei­ne An­halts­punk­te dafür, dass die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en die Ab­gel­tung von Ur­laubs­ansprüchen trotz des all­ge­mein und weit ge­fass­ten Wort­lauts von den ta­rif­li­chen Aus­schluss­fris­ten des § 16 MTV aus­neh­men woll­ten, zu­mal der Ur­laubsTV kei­ne ei­genständi­ge Aus­schluss­fris­ten­re­ge­lung für die­se Ansprüche enthält. So­weit die älte­re Recht­spre­chung des Se­nats an­nahm, ta­rif­li­che Aus­schluss­fris­ten sei­en da­hin­ge­hend aus­zu­le­gen, dass Ur­laubs­ab­gel­tungs­ansprüche im Zwei­fel von ih­nen nicht er­fasst wer­den, so wird dar­an nicht fest­ge­hal­ten. Die Recht­spre­chung be­ruh­te auf der Sur­ro­gats­theo­rie, der zu­fol­ge Ur­laubs­ab­gel­tungs­ansprüche wie Ur­laubs­ansprüche be­fris­tet für ei­nen be­stimm­ten Zeit­raum be­stan­den und de­ren Erfüllung während die­ses Zeit­raums stets ver­langt wer­den konn­te (vgl. BAG 24. No­vem­ber 1992 - 9 AZR 549/91 - zu 3 der Gründe, AP BUrlG § 1 Nr. 23 = EzA TVG § 4 Aus­schluss­fris­ten Nr. 102). Die­se Aus­le­gungs­re­gel kann nicht mehr auf­recht­er­hal­ten wer­den. Denn nach der neue­ren Recht­spre­chung sind Ur­laubs­ab­gel­tungs­ansprüche rei­ne Geld­ansprüche. Je­den­falls bei Ta­rif­verträgen, die wie der MTV nach Ab­lauf der Um­set­zungs­frist der ers­ten Ar­beits­zeit­richt­li­nie 93/104/EG am 23. No­vem­ber 1996 ab­ge­schlos­sen wur­den, ist grundsätz­lich da­von aus­zu­ge­hen, dass Aus­schluss­fris­ten, die al­le Ansprüche aus dem Ar­beits­verhält­nis er­fas­sen sol­len, auch den An­spruch auf Ur­laubs­ab­gel­tung zeit­lich be­gren­zen.


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b) Das Schrei­ben vom 15. Ju­li 2009, mit dem der Kläger die Ansprüche erst­mals gel­tend mach­te, wahr­te nicht die Aus­schluss­frist von zwei Mo­na­ten nach Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses gemäß § 16 Ziff. 2 MTV.

Das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en en­de­te am 30. April 2006. Ab dem 1. Mai 2006 be­gann da­mit die Aus­schluss­frist des § 16 Ziff. 2 MTV zu lau­fen. Der Frist­be­ginn wur­de nicht gemäß § 16 Ziff. 2 Satz 2 MTV auf ei­nen späte­ren Zeit­punkt hin­aus­ge­scho­ben. Nach die­ser Vor­schrift be­rech­net sich die Frist von zwei Mo­na­ten vom Tag der Fällig­keit an, wenn Ansprüche erst später nach Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses fällig wer­den. Auch wenn ei­ne Ar­beits­unfähig­keit über den Be­en­di­gungs­zeit­punkt hin­aus fort­be­steht, ent­steht der Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG stets mit Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses und wird gemäß § 271 BGB auch so­fort fällig (vgl. BAG 9. Au­gust 2011 - 9 AZR 365/10 - Rn. 18 mwN, NZA 2011, 1421; 11. Ok­to­ber 2010 - 9 AZN 418/10 - Rn. 20, AP ArbGG 1979 § 72a Nr. 75 = EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 125). Der Kläger mach­te sei­ne For­de­rung ge­genüber der Be­klag­ten nicht bin­nen zwei Mo­na­ten ab dem En­de des Ar­beits­verhält­nis­ses bis zum 30. Ju­ni 2006, son­dern erst­mals mit Schrei­ben vom 15. Ju­li 2009 gel­tend.


c) Die Be­klag­te kann sich auf die Aus­schluss­frist be­ru­fen, oh­ne dass hier­in auf­grund be­son­de­rer Umstände ei­ne un­zulässi­ge Rechts­ausübung iSd. § 16 Ziff. 3 Satz 2 MTV läge. Die Par­tei­en ha­ben kei­ne An­halts­punk­te hierfür vor­ge­tra­gen; im Übri­gen sind sie nicht er­sicht­lich. Der Kläger be­ruft sich auch nicht dar­auf, es sei ihm auf­grund sei­nes Ge­sund­heits­zu­stands schlecht­hin unmöglich ge­we­sen, sei­ne An­ge­le­gen­hei­ten zu be­sor­gen. Des­halb wur­de der Lauf der Aus­schluss­frist auch nicht aus­nahms­wei­se ent­spre­chend § 206 BGB ge­hemmt (vgl. zu den all­ge­mei­nen Vor­aus­set­zun­gen ei­ner Hem­mung: BAG 9. Au­gust 2011 - 9 AZR 365/10 - Rn. 34 mwN, NZA 2011, 1421; 9. Au­gust 2011 - 9 AZR 475/10 - Rn. 49 f., NZA 2012, 166).

d) Die Aus­schluss­fris­ten­re­ge­lung des § 16 MTV steht auch in Ein­klang mit den Vor­ga­ben der Ar­beits­zeit­richt­li­nie. Ent­ge­gen der Rechts­an­sicht des Klägers ge­bie­tet Art. 7 der Ar­beits­zeit­richt­li­nie nicht, dass ei­ne Aus­schluss­frist für den
 


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Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch die Dau­er des Be­zugs­zeit­raums des Ur­laubs­an­spruchs deut­lich über­steigt. Ei­ne Vor­la­ge­pflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV be­steht nicht (zur Vor­la­ge­ver­pflich­tung: vgl. BAG 23. März 2010 - 9 AZR 128/09 - Rn. 20 ff., BA­GE 134, 1, un­ter Be­zug­nah­me auf BVerfG 25. Fe­bru­ar 2010 - 1 BvR 230/09 - Rn. 15 mwN, AP GG Art. 101 Nr. 65 = EzA KSchG § 17 Nr. 21). Dies gilt selbst dann, wenn man die Fra­ge, wie die Ab­gel­tung des Ur­laubs­an­spruchs iSd. Art. 7 Abs. 2 der Ar­beits­zeit­richt­li­nie dog­ma­tisch ein­zu­ord­nen ist, als vom EuGH noch nicht erschöpfend be­ant­wor­tet an­sieht (vgl. zur Pro­ble­ma­tik des Sur­ro­gats­be­griffs: Düwell DB 2011, 2492 f.).


aa) Nach Art. 267 AEUV ent­schei­det der EuGH im We­ge der Vor­ab­ent­schei­dung über die Aus­le­gung der Hand­lun­gen der Or­ga­ne, mit­hin auch über die Aus­le­gung von Richt­li­ni­en (vgl. ErfK/Wißmann 12. Aufl. Art. 267 AEUV Rn. 10). Ei­ne Vor­la­ge kommt nur in Be­tracht, wenn die Fra­ge des Uni­ons­rechts nach Auf­fas­sung des vor­le­gen­den Ge­richts für des­sen Ent­schei­dung er­for­der­lich ist. Es ist al­lein Sa­che des mit dem Rechts­streit be­fass­ten na­tio­na­len Ge­richts, im Hin­blick auf die Be­son­der­hei­ten der Rechts­sa­che so­wohl die Er­for­der­lich­keit ei­ner Vor­ab­ent­schei­dung für den Er­lass sei­nes Ur­teils als auch die Er­heb­lich­keit der dem EuGH ggf. vor­zu­le­gen­den Fra­gen zu be­ur­tei­len (vgl. EuGH 18. De­zem­ber 2007 - C-341/05 - [La­val] Rn. 45 mwN, Slg. 2007, I-11767).

bb) Die Fra­ge, ob die Ab­gel­tung des Ur­laubs iSd. Art. 7 Abs. 2 der Ar­beits­zeit­richt­li­nie ein Sur­ro­gat des Ur­laubs­an­spruchs dar­stellt, und wel­che Rechts-fol­gen mit die­ser Ein­ord­nung ver­bun­den wären, ist im vor­lie­gen­den Ver­fah­ren nicht ent­schei­dungs­er­heb­lich. Die bei­den denk­ba­ren dog­ma­ti­schen Ein­ord­nun­gen des Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruchs führen vor­lie­gend zum sel­ben Er­geb­nis.

(1) Sieht man die Ab­gel­tung des Ur­laubs­an­spruchs im Rah­men des Art. 7 der Ar­beits­zeit­richt­li­nie ent­spre­chend der neu­en Recht­spre­chung des Se­nats zu § 7 Abs. 4 BUrlG - je­den­falls für die Fälle der lang an­dau­ern­den Krank­heit des Ar­beit­neh­mers - als rei­nen Geld­an­spruch an, so enthält die Richt­li­nie kei­ne Vor­ga­ben hin­sicht­lich der Möglich­keit, die­sen An­spruch nach na­tio­na­lem Recht ei­ner zeit­lich be­fris­te­ten Gel­tend­ma­chung zu un­ter­wer­fen. Sei­nem bloßen

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Wort­laut nach enthält Art. 7 Abs. 2 der Ar­beits­zeit­richt­li­nie nicht ein­mal das Ge­bot der Ur­laubs­ab­gel­tung bei Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses, son­dern nur das Ver­bot der Ur­laubs­ab­gel­tung im be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis.

(a) Nach der Aus­le­gung des EuGH be­gründet Art. 7 Abs. 2 der Ar­beits­zeit­richt­li­nie al­ler­dings ei­nen An­spruch des Ar­beit­neh­mers auf ei­ne fi­nan­zi­el­le Vergütung. Es steht den Mit­glied­staa­ten aber frei, für den we­gen der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht mehr ge­nom­me­nen Ur­laub in ih­ren in­ner-staat­li­chen Rechts­vor­schrif­ten die Vor­aus­set­zun­gen für die Ausübung und die Um­set­zung des An­spruchs auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub fest­zu­le­gen. Sie dürfen le­dig­lich die Ent­ste­hung die­ses sich un­mit­tel­bar aus der Richt­li­nie 93/104/EG er­ge­ben­den An­spruchs nicht von ir­gend­ei­ner Vor­aus­set­zung abhängig ma­chen (EuGH 20. Ja­nu­ar 2009 - C-350/06 und C-520/06 - [Schultz-Hoff] Rn. 46, 56, Slg. 2009, I-179). Fehlt es - wie bei dem Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch - an ei­ner uni­ons­recht­li­chen Re­ge­lung des Ver­fah­rens der Rechts­durch­set­zung, ist es Sa­che der Mit­glied­staa­ten, das Ver­fah­ren - ein­sch­ließlich der Verjährungs­re­ge­lun­gen - für die Kla­gen aus­zu­ge­stal­ten, die den Schutz der dem Ein­zel­nen aus dem Uni­ons­recht er­wach­sen­den Rech­te gewähr­leis­ten sol­len. Bei der Aus­ge­stal­tung müssen die Grundsätze der Gleich­wer­tig­keit und der Ef­fek­ti­vität ge­wahrt wer­den (vgl. EuGH 18. Sep­tem­ber 2003 - C-125/01 - [Pflücke] Rn. 34 mwN, Slg. 2003, I-9375; vgl. zum Ver­fall von Ur­laubs­ab­gel­tungs­ansprüchen: LAG Düssel­dorf 5. Mai 2010 - 7 Sa 1571/09 - zu III 2 der Gründe, NZA-RR 2010, 568). Die Fest­le­gung an­ge­mes­se­ner Aus­schluss­fris­ten für die Rechts­ver­fol­gung wahrt die­se Grundsätze. Die Ausübung der durch das Uni­ons­recht ver­lie­he­nen Rech­te wird da­durch we­der prak­tisch unmöglich ge­macht noch übermäßig er­schwert (vgl. EuGH 24. März 2009 - C-445/06 - [Dans­ke Slag­te­ri­er] Rn. 48, Slg. 2009, I-2119). In Be­zug auf die Erfüllung von Ar­beits­ent­gelt­ansprüchen hat der EuGH ent­schie­den, dass in­so­weit die Verjährungs­frist nicht so kurz sein darf, dass es den Be­trof­fe­nen in der Pra­xis nicht ge­lingt, die Frist ein­zu­hal­ten, und sie da­mit den Schutz ver­lie­ren, den ih­nen die Richt­li­nie ga­ran­tie­ren soll (EuGH 16. Ju­li 2009 - C-69/08 - [Vi­scia­no] Rn. 44, Slg. 2009, I-6741). Die Prüfung, ob die Aus­schluss­frist den Grund­satz der
 


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Ef­fek­ti­vität wahrt, ob­liegt dem na­tio­na­len Ge­richt (vgl. EuGH 24. März 2009 - C-445/06 - [Dans­ke Slag­te­ri­er] Rn. 34, aaO).

(b) Es spricht ei­ne Ver­mu­tung dafür, dass die zwei­mo­na­ti­ge Ver­fall­frist des § 16 Ziff. 2 MTV an­ge­mes­sen ist. Als ta­rif­li­che Re­ge­lung un­ter­liegt sie nach deut­schem Recht kei­ner An­ge­mes­sen­heits­kon­trol­le (vgl. BAG 22. Sep­tem­ber 1999 - 10 AZR 839/98 - zu II 3 b cc der Gründe, AP TVG § 1 Ta­rif­verträge: Bau Nr. 226 = EzA TVG § 4 Aus­schluss­fris­ten Nr. 132; 6. Sep­tem­ber 1995 - 5 AZR 174/94 - zu III 1 der Gründe, BA­GE 81, 5). Un­abhängig da­von er­scheint ei­ne Frist von zwei Mo­na­ten ab Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht so kurz, dass es Ar­beit­neh­mern, de­ren Ar­beits­verhält­nis en­det, nicht ge­lin­gen kann, die Frist zur Gel­tend­ma­chung ih­rer Ur­laubs­ab­gel­tungs­ansprüche zu wah­ren. Da­bei ist zu be­ach­ten, dass der aus­schei­den­de Ar­beit­neh­mer grundsätz­lich da­zu in der La­ge ist, sei­ne Ansprüche an­hand des Bun­des­ur­laubs­ge­set­zes und der ein­schlägi­gen ta­rif­li­chen Vor­schrif­ten selbst zu be­rech­nen; er ist nicht auf zusätz­li­che Auskünf­te, de­ren Ein­ho­lung zusätz­li­che Zeit be­an­spru­chen würde, an­ge­wie­sen. Durch ei­nen Ver­fall der Ur­laubs­ab­gel­tungs­ansprüche droht - an­ders als beim Ver­fall des Vergütungs­an­spruchs - nicht, dass der für das Ver­trags­verhält­nis we­sent­li­che Leis­tungs­aus­tausch ver­fehlt wird.

Selbst wenn man den An­wen­dungs­be­reich des Grund­sat­zes der Gleich­wer­tig­keit so aus­deh­nend ver­ste­hen müss­te, dass es eu­ro­pa­recht­lich ge­bo­ten wäre, die zu For­mu­lar­verträgen ent­wi­ckel­ten Grundsätze (vgl. BAG 28. Sep­tem­ber 2005 - 5 AZR 52/05 - zu II 5 der Gründe, BA­GE 116, 66) auch für die An­ge­mes­sen­heits­prüfung der ta­rif­li­chen Re­ge­lung des § 16 Ziff. 2 MTV her­an­zu­zie­hen und die Zwei­mo­nats­frist des­halb als un­an­ge­mes­sen kurz er­schie­ne, wären die Ansprüche des Klägers je­den­falls auf­grund der an­ge­mes­se­nen drei­mo­na­ti­gen Frist nach § 16 Ziff. 1 MTV ver­fal­len.

(2) Wäre der Ab­gel­tungs­an­spruch nach der Ar­beits­zeit­richt­li­nie als Sur­ro­gat im Sin­ne der frühe­ren Recht­spre­chung des Se­nats zu ver­ste­hen, so be­deu­te­te dies, dass der Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch kein ein­fa­cher Geld­an­spruch wäre, son­dern für ihn die­sel­ben recht­li­chen Re­ge­lun­gen gölten wie für den Ur­laubs­an­spruch selbst. Die Fra­ge, ob der eu­ro­pa­recht­lich ga­ran­tier­te Min­dest-

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ur­laub ver­fal­len kann, ist - so­weit vor­lie­gend von Re­le­vanz - durch die Recht­spre­chung des EuGH geklärt: Nach Art. 7 Abs. 1 der Ar­beits­zeit­richt­li­nie tref­fen die Mit­glied­staa­ten die er­for­der­li­chen Maßnah­men, da­mit je­der Ar­beit­neh­mer ei­nen be­zahl­ten Min­dest­jah­res­ur­laub von vier Wo­chen nach Maßga­be der Be­din­gun­gen für die In­an­spruch­nah­me und die Gewährung erhält, die in den ein­zel­staat­li­chen Rechts­vor­schrif­ten und/oder nach den ein­zel­staat­li­chen Ge­pflo­gen­hei­ten vor­ge­se­hen sind. Der EuGH hat da­zu fest­ge­stellt, dass Art. 7 Abs. 1 der Ar­beits­zeit­richt­li­nie grundsätz­lich ei­ner na­tio­na­len Re­ge­lung nicht ent­ge­gen­steht, die für die Ausübung des mit die­ser Richt­li­nie aus­drück­lich ver­lie­he­nen An­spruchs auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub Mo­da­litäten vor­sieht, die so­gar den Ver­lust die­ses An­spruchs am En­de ei­nes Be­zugs­zeit­raums oder ei­nes Über­tra­gungs­zeit­raums um­fas­sen. Die­ser grundsätz­li­chen Fest­stel­lung hat der EuGH die Vor­aus­set­zung hin­zu­gefügt, dass der Ar­beit­neh­mer, des­sen An­spruch auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub er­lo­schen ist, tatsächlich die Möglich­keit ge­habt ha­ben muss, den ihm mit der Richt­li­nie ver­lie­he­nen An­spruch aus­zuüben (EuGH 22. No­vem­ber 2011 - C-214/10 - [KHS] Rn. 26, NZA 2011, 1333; 20. Ja­nu­ar 2009 - C-350/06 und C-520/06 - [Schultz-Hoff] Rn. 43, Slg. 2009, I-179).


Be­zo­gen auf den Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch be­deu­tet die An­wen­dung die­ser Grundsätze, dass die Richt­li­nie ei­ner na­tio­na­len ta­rif­li­chen Re­ge­lung nicht ent­ge­gen­steht, die vor­sieht, dass der An­spruch in­ner­halb von zwei Mo­na­ten nach Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses und der da­mit ein­her­ge­hen­den Fällig­keit des An­spruchs gel­tend ge­macht wer­den muss. Es han­delt sich um Be­din­gun­gen für die In­an­spruch­nah­me und die Gewährung, die sich nach dem ein­zel­staat­li­chen und nicht nach dem eu­ropäischen Recht rich­ten. Auch die wei­te­re Vor­aus­set­zung, an die der EuGH die Zulässig­keit von Aus­schluss­fris­ten knüpft, ist erfüllt. Der Ar­beit­neh­mer hat vor Ab­lauf der ta­rif­li­chen Ver­fall­frist tatsächlich die Möglich­keit, den ihm mit der Richt­li­nie ver­lie­he­nen An­spruch aus­zuüben. Die­sen we­sent­li­chen Un­ter­schied zwi­schen dem eu­ro­pa­recht­lich ga­ran­tier­ten Ur­laubs­an­spruch während des be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis­ses und dem eu­ro­pa­recht­lich ga­ran­tier­ten Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch bei Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ver­kennt der Kläger. Auch der ar­beits­unfähig
 


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er­krank­te Ar­beit­neh­mer ist grundsätz­lich da­zu in der La­ge, den auf Zah­lung von Geld ge­rich­te­ten An­spruch gel­tend zu ma­chen und sei­ne Erfüllung ent­ge­gen­zu­neh­men (vgl. BAG 9. Au­gust 2011 - 9 AZR 365/10 - Rn. 29, NZA 2011, 1421). Dass die Ar­beits­unfähig­keit für sich ge­nom­men ei­ner Gel­tend­ma­chung des Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruchs und der Ent­ge­gen­nah­me von Geld nicht ent­ge­gen­steht, hält der Se­nat für of­fen­kun­dig. Er geht da­von aus, dass für die Ge­rich­te der übri­gen Mit­glied­staa­ten und den EuGH die glei­che Ge­wiss­heit be­steht.


Des­halb ist die Vor­ga­be des EuGH, dass der Über­tra­gungs­zeit­raum deut­lich länger sein müsse als der Be­zugs­zeit­raum (EuGH 22. No­vem­ber 2011 - C-214/10 - [KHS] Rn. 38, NZA 2011, 1333), nicht auf den Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch des dau­er­haft er­krank­ten Ar­beit­neh­mers über­trag­bar. Die Vor­ga­be gilt nur für den Ur­laubs­an­spruch selbst, den der dau­er­haft er­krank­te Ar­beit­neh­mer im be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis tatsächlich nicht in An­spruch neh­men kann. Die Länge ei­ner ta­rif­li­chen Frist, nach der der Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch dem Ver­fall un­ter­liegt, kann da­her deut­lich kürzer als zwölf Mo­na­te sein.

4. Der Kläger kann im Hin­blick auf die Versäum­ung der ta­rif­li­chen Aus­schluss­frist auch kei­nen Ver­trau­ens­schutz in An­spruch neh­men. Da­bei kann da­hin­ge­stellt blei­ben, ob die dar­ge­stell­te langjähri­ge Recht­spre­chung des Se­nats zur Un­ab­ding­bar­keit (§ 13 Abs. 1 BUrlG) des Ab­gel­tungs­an­spruchs hin­sicht­lich des ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laubs aus § 7 Abs. 4 BUrlG über­haupt ge­eig­net war, ein schutzwürdi­ges Ver­trau­en der Ar­beit­neh­mer in de­ren Fort­be­stand zu be­gründen. Der Se­nat braucht auch nicht darüber zu be­fin­den, ob für Ar­beit­neh­mer eben­so wie für Ar­beit­ge­ber mit Ab­lauf der Um­set­zungs­frist der ers­ten Ar­beits­zeit­richt­li­nie 93/104/EG am 23. No­vem­ber 1996 be­reits kein schützens­wer­tes Ver­trau­en in den Fort­be­stand der bis­he­ri­gen Se­nats­recht­spre­chung mehr be­ste­hen konn­te. Der Kläger hat das Be­kannt­wer­den des Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chens des Lan­des­ar­beits­ge­richts Düssel­dorf in der Sa­che Schultz-Hoff vom 2. Au­gust 2006 (- 12 Sa 486/06 - LA­GE BUrlG § 7 Nr. 43) nicht zum An­lass ge­nom­men, tätig zu wer­den. Spätes­tens ab die­sem Zeit­punkt konn­ten auch Ar­beit­neh­mer nicht mehr da­von aus­ge­hen, dass die Se­nats­recht-

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spre­chung zu den Grundsätzen der Un­ab­ding­bar­keit des Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruchs im Fall lang an­dau­ern­der Ar­beits­unfähig­keit un­verändert fort­geführt würde (BAG 9. Au­gust 2011 - 9 AZR 365/10 - Rn. 31, NZA 2011, 1421). Der Ver­trau­ens­ver­lust be­trifft nicht le­dig­lich den ein­zel­nen As­pekt des Erlöschens von Ur­laubs­ab­gel­tungs­ansprüchen bei lang an­dau­ern­der Ar­beits­unfähig­keit, son­dern um­fasst auch die Recht­spre­chungs­grundsätze zum Nicht­ein­grei­fen von ta­rif­li­chen Aus­schluss­fris­ten. Ge­gen die Gewährung von Ver­trau­ens­schutz zu­guns­ten des Klägers spricht zu­dem, dass ihm durch die Recht­spre­chungsände­rung nichts ge­nom­men wird, was ihm bei Fort­be­ste­hen der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung zu­ge­stan­den hätte (BAG 9. Au­gust 2011 - 9 AZR 365/10 - Rn. 32, aaO). Denn auch nach der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung hätte dem Kläger kein An­spruch auf Ur­laubs­ab­gel­tung zu­ge­stan­den. Die­ser wäre we­gen der an­dau­ern­den Ar­beits­unfähig­keit nach Ab­lauf des Über­tra­gungs­zeit­raums zum 31. März 2007 er­lo­schen.

II. Die Re­vi­si­on des Klägers ist un­be­gründet. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Be­ru­fung des Klägers ge­gen das teil­wei­se kla­ge­ab­wei­sen­de Ur­teil des Ar­beits­ge­richts im Er­geb­nis zu Recht zurück­ge­wie­sen.

1. Dem Kläger steht kein An­spruch auf Ab­gel­tung et­wai­ger, bei Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses noch be­ste­hen­der ge­setz­li­cher Min­des­t­ur­laubs­ansprüche für die Jah­re 2004 und 2005 zu. Die Re­vi­si­on des Klägers rügt zwar zu­tref­fend, dass das Lan­des­ar­beits­ge­richt der Be­klag­ten in­so­weit zu Un­recht Ver­trau­ens­schutz zu­ge­bil­ligt hat. Das Be­ru­fungs­ur­teil ist je­doch aus an­de­ren Gründen im Er­geb­nis zu­tref­fend (§ 561 ZPO). Et­waig ent­stan­de­nen Ansprüchen auf Ur­laubs­ab­gel­tung steht je­den­falls § 16 Ziff. 3 Satz 1 MTV ent­ge­gen.


a) Die An­nah­me des Lan­des­ar­beits­ge­richts, die Be­klag­te ge­nieße hin­sicht­lich der Ansprüche auf Ab­gel­tung des ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laubs Ver­trau­ens­schutz, ist rechts­feh­ler­haft.

Mögli­ches Ver­trau­en pri­va­ter Ar­beit­ge­ber auf den Fort­be­stand der frühe­ren ständi­gen Recht­spre­chung zum Ver­fall des Ur­laubs­an­spruchs gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG auch bei fort­be­ste­hen­der krank­heits­be­ding­ter Ar­beits­unfähig­keit

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ist seit dem 24. No­vem­ber 1996 nicht länger schutzwürdig und nicht erst - wie das Lan­des­ar­beits­ge­richt an­ge­nom­men hat - seit dem Be­kannt­wer­den des Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chens des Lan­des­ar­beits­ge­richts Düssel­dorf in der Sa­che Schultz-Hoff vom 2. Au­gust 2006 (- 12 Sa 486/06 - LA­GE BUrlG § 7 Nr. 43). Die Grund­la­ge des Ver­trau­ens auf die Fort­dau­er der frühe­ren Se­nats­recht­spre­chung, die den Ver­fall von Ur­laubs(-ab­gel­tungs)ansprüchen bei Ar­beits­unfähig­keit bis zum En­de des Über­tra­gungs­zeit­raums an­nahm, war nach Ab­lauf der Um­set­zungs­frist für die ers­te Ar­beits­zeit­richt­li­nie 93/104/EG am 23. No­vem­ber 1996 zerstört. Dies hat der Se­nat in sei­ner Ent­schei­dung vom 23. März 2010 (- 9 AZR 128/09 - Rn. 96 ff., BA­GE 134, 1) fest­ge­stellt und ein­ge­hend be­gründet.

b) Es kann im vor­lie­gen­den Fall of­fen­blei­ben, ob auch nach der neu­en Recht­spre­chung des Se­nats ins­be­son­de­re der An­spruch auf Ur­laub für das Jahr 2004 zum Zeit­punkt der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses am 30. April 2006 noch Be­stand hat­te oder be­reits ver­fal­len war. Der EuGH hat in sei­ner Ent­schei­dung vom 22. No­vem­ber 2011 (- C-214/10 - [KHS] Rn. 28, 44, NZA 2011, 1333) die Rechts­grundsätze, die er in der Rechts­sa­che Schultz-Hoff auf­ge­stellt hat, „nu­an­ciert“. Er geht nun­mehr da­von aus, Art. 7 Abs. 1 der Ar­beits­zeit­richt­li­nie ste­he ein­zel­staat­li­chen Rechts­vor­schrif­ten oder Ge­pflo­gen­hei­ten nicht ent­ge­gen, die die Möglich­keit ei­nes lang­fris­tig ar­beits­unfähi­gen Ar­beit­neh­mers, Ansprüche auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub an­zu­sam­meln, da­durch ein­schränken, dass sie ei­nen Über­tra­gungs­zeit­raum von 15 Mo­na­ten vor­se­hen, nach des­sen Ab­lauf der An­spruch auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub er­lischt. Vor die­sem Hin­ter­grund könn­te der Se­nat ge­hal­ten sein, sei­ne mit Ur­teil vom 24. März 2009 (- 9 AZR 983/07 - BA­GE 130, 119) vor­ge­nom­me­ne eu­ro­pa-rechts­kon­for­me Aus­le­gung bzw. Fort­bil­dung des BUrlG auf das eu­ro­pa­recht­lich ge­for­der­te Min­dest­maß zu be­schränken. In­dem § 7 Abs. 3 BUrlG ei­nen sehr kur­zen Über­tra­gungs­zeit­raum nor­miert, gewähr­leis­tet das Ge­setz ei­ne en­ge zeit­li­che Bin­dung des Ur­laubs an das Ur­laubs­jahr (vgl. BAG 18. Ok­to­ber 2011 - 9 AZR 303/10 - Rn. 19, NZA 2012, 143). Der dar­in zum Aus­druck kom­men­de Wil­le des Ge­setz­ge­bers könn­te es ge­bie­ten, dass der Ur­laubs­an­spruch bei Ar­beit­neh­mern, die meh­re­re Be­zugs­zeiträume in Fol­ge ar­beits­unfähig er­krankt

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sind, nach der kürzes­ten Frist, die eu­ro­pa­recht­lich zulässig ist, verfällt. Bei ei­ner sol­chen Be­gren­zung der eu­ro­pa­rechts­kon­for­men Aus­le­gung bzw. Rechts­fort­bil­dung wäre zu prüfen, ob der Recht­spre­chung des EuGH be­reits mit aus­rei­chen­der Klar­heit zu ent­neh­men ist, von wel­cher ex­ak­ten Dau­er der Über­tra­gungs­zeit­raum nach der Ar­beits­zeit­richt­li­nie min­des­tens sein muss. Ei­ne sol­che so­for­ti­ge Wei­ter­ent­wick­lung der neu­en Recht­spre­chung zum Ver­fall von Ur­laubs­ansprüchen im ge­nann­ten Sinn könn­te al­ler­dings die Gren­ze der rich­ter­li­chen Rechts­an­wen­dung und -fort­bil­dung in un­zulässi­ger Wei­se über­schrei­ten. Es ist frag­lich, ob die Fest­le­gung der kon­kre­ten Länge des Über­tra­gungs­zeit­raums den Ge­rich­ten für Ar­beits­sa­chen zu­kommt oder ob es nach dem Grund­satz der Ge­wal­ten­tei­lung Auf­ga­be des Ge­setz­ge­bers ist, den ent­spre­chen­den Über­tra­gungs­zeit­raum fest­zu­le­gen (vgl. zu den Gren­zen ver­tret­ba­rer Aus­le­gung und zulässi­ger rich­ter­li­cher Rechts­fort­bil­dung: jüngst BVerfG 25. Ja­nu­ar 2011 - 1 BvR 918/10 - Rn. 50 ff., BVerfGE 128, 193; da­zu Höpfner NZA 2011, 893, 896 mwN). Zu be­den­ken sind fer­ner die Fol­gen aus der nun­mehr vom EuGH aus­drück­lich be­ton­ten Ver­an­ke­rung des Ur­laubs­an­spruchs im Primärrecht der Uni­on (vgl. da­zu Stie­bert/Pötters EuZW 2011, 960, 961 f.).


c) Im Streit­fall steht der Gel­tend­ma­chung die­ser Ansprüche je­den­falls § 16 Ziff. 3 Satz 1 MTV ent­ge­gen. So­weit am 30. April 2006 mit Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG Ansprüche auf Ab­gel­tung des ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laubs aus den Vor­jah­ren ent­stan­den wa­ren, wahr­te der Kläger die ta­rif­li­che Aus­schluss­frist nicht. Denn die erst­ma­li­ge Gel­tend­ma­chung er­folg­te mit Schrei­ben vom 15. Ju­li 2009 (vgl. oben un­ter A I).


2. Dem Kläger steht auch kein An­spruch auf Ab­gel­tung et­wai­ger, bei Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses noch be­ste­hen­der Ansprüche auf Schwer­be­hin­der­ten­zu­satz­ur­laub zu. Die Re­vi­si­on des Klägers rügt zwar zu­tref­fend, das Lan­des­ar­beits­ge­richt ha­be zu Un­recht an­ge­nom­men, der Ur­laubs­an­spruch nach § 125 SGB IX sei trotz der langjähri­gen Ar­beits­unfähig­keit des Klägers nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG spätes­tens am 31. März des je­wei­li­gen Fol­ge­jah­res ver­fal­len. Das Be­ru­fungs­ur­teil ist je­doch aus an­de­ren Gründen im Er­geb­nis
 


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zu­tref­fend (§ 561 ZPO). Et­waig ent­stan­de­nen Ansprüchen auf Ab­gel­tung des Schwer­be­hin­der­ten­zu­satz­ur­laubs steht § 16 Ziff. 3 Satz 1 MTV ent­ge­gen.


a) Auf den Zu­satz­ur­laub nach § 125 SGB IX sind die Vor­schrif­ten über die Ent­ste­hung, Über­tra­gung, Kürzung und Ab­gel­tung des ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laubs an­zu­wen­den. Auch der Schwer­be­hin­der­ten­zu­satz­ur­laub ist da­her nach der neue­ren Se­nats­recht­spre­chung ab­zu­gel­ten, wenn der Ar­beit­neh­mer bis zum En­de des Über­tra­gungs­zeit­raums ar­beits­unfähig ist (BAG 23. März 2010 - 9 AZR 128/09 - Rn. 69, 71, BA­GE 134, 1). Der Zu­satz­ur­laubs­an­spruch nach § 125 Abs. 1 Satz 1 SGB IX teilt das recht­li­che Schick­sal des Min­des­t­ur­laubs­an­spruchs, es sei denn ta­rif­li­che oder ein­zel­ver­trag­li­che Be­stim­mun­gen se­hen für den Ar­beit­neh­mer güns­ti­ge­re Re­ge­lun­gen vor. Der Ar­beit­ge­bern zu gewähren­de Ver­trau­ens­schutz geht nicht wei­ter als bei dem Min­des­t­ur­laubs­an­spruch nach dem BUrlG (vgl. BAG 23. März 2010 - 9 AZR 128/09 - Rn. 72 ff., aaO).

b) So­weit am 30. April 2006 mit Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG Ansprüche auf Ab­gel­tung des Schwer­be­hin­der­ten­zu­satz­ur­laubs aus den Vor­jah­ren ent­stan­den wa­ren, sind sie ver­fal­len. Aus der An­wend­bar­keit der Vor­schrif­ten über die Ab­gel­tung des ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laubs folgt not­wen­dig, dass es sich auch bei dem An­spruch auf Ab­gel­tung des Zu­satz­ur­laubs nach § 125 SGB IX um ei­nen ein­fa­chen Geld­an­spruch han­delt, auf den ta­rif­li­che Aus­schluss­fris­ten An­wen­dung fin­den. Die erst­ma­li­ge Gel­tend­ma­chung mit dem Schrei­ben vom 15. Ju­li 2009 hat die Aus­schluss­fris­ten des an­wend­ba­ren § 16 MTV nicht ge­wahrt (vgl. oben un­ter A I).


3. Ent­ge­gen der Rechts­an­sicht der Re­vi­si­on des Klägers hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt rechts­feh­ler­frei an­ge­nom­men, dass der Kläger die Ab­gel­tung des ta­rif­li­chen Mehr­ur­laubs in­ner­halb der Frist von zwei Mo­na­ten nach Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses hätte gel­tend ma­chen müssen. § 16 MTV er­fasst auf­grund sei­ner wei­ten For­mu­lie­rung auch Ansprüche auf Ab­gel­tung des ta­rif­li­chen Mehr­ur­laubs. Der ta­rif­li­che Mehr­ur­laub und des­sen Ab­gel­tung un­ter-fal­len we­der dem ta­rif­lich un­ab­ding­ba­ren Schutz der §§ 1, 3 Abs. 1, § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG noch Art. 7 der Ar­beits­zeit­richt­li­nie. Ei­nem ta­rif­lich an­ge­ord­ne­ten Ver­fall des über­ge­setz­li­chen Ur­laubs­an­spruchs und sei­ner Ab­gel­tung steht

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nach dem kla­ren Richt­li­ni­en­recht und der ge­si­cher­ten Recht­spre­chung des EuGH kein Uni­ons­recht ent­ge­gen (BAG 9. Au­gust 2011 - 9 AZR 365/10 - Rn. 13 mwN, NZA 2011, 1421). Die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en können Ur­laubs- und Ur­laubs­ab­gel­tungs­ansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Ar­beits­zeit­richt­li­nie gewähr­leis­te­ten und von §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG be­gründe­ten An­spruch auf Min­dest­jah­res­ur­laub von vier Wo­chen über­stei­gen, frei re­geln (BAG 23. März 2010 - 9 AZR 128/09 - Rn. 19, BA­GE 134, 1).

4. Die Re­vi­si­on des Klägers rügt eben­so oh­ne Er­folg, dass das Lan­des­ar­beits­ge­richt an­ge­nom­men hat, sei­nen Ansprüchen auf Zah­lung von ta­rif­li­chem Ur­laubs­geld iSd. Ur­laubsTV ste­he eben­falls § 16 Ziff. 3 Satz 1 MTV ent­ge­gen.

a) Es kann of­fen­blei­ben, ob der Kläger nach § 4 Ab­schn. II Ur­laubsTV für die ge­setz­li­chen Zu­satz­ur­laubs­ta­ge nach § 125 SGB IX ein zusätz­li­ches Ur­laubs­geld zu ver­lan­gen be­rech­tigt war. Be­den­ken hier­ge­gen be­ste­hen in­so­weit, als der Wort­laut des § 4 Ab­schn. II Ziff. 1 Ur­laubsTV al­lein auf ta­rif­li­che Ur­laubs­ta­ge ab­stellt und § 3 Ziff. 3 Ur­laubsTV zu­dem be­stimmt, dass sich der Zu­satz­ur­laub für Schwer­be­hin­der­te nach den ge­setz­li­chen Be­stim­mun­gen „re­gelt“, die kein zusätz­li­ches Ur­laubs­geld vor­se­hen (vgl. zum zusätz­li­chen Ur­laubs­geld für „ge­nom­me­nen“ ta­rif­li­chen Ur­laub nach § 13 Rah­men­ta­rif­ver­trag Be­ton­st­ein­ge­wer­be Nord­west­deutsch­land vom 14. Sep­tem­ber 1993: BAG 17. No­vem­ber 1998 - 9 AZR 507/97 - zu I 2 b der Gründe, AP TVG § 1 Ta­rif­verträge: Be­ton­st­ein­ge­wer­be Nr. 6 = EzA TVG § 4 Be­ton­st­ein­ge­wer­be Nr. 1).


b) § 16 MTV ist auch auf das ta­rif­li­che Ur­laubs­geld an­zu­wen­den. Schon nach der frühe­ren Recht­spre­chung un­ter­lag der An­spruch auf (zusätz­li­ches) Ur­laubs­geld - eben­so wie der An­spruch auf Ur­laubs­ent­gelt - als Zah­lungs­an­spruch aus dem Ar­beits­verhält­nis den ta­rif­li­chen Aus­schluss­fris­ten und konn­te ver­fal­len, wenn der Ar­beit­neh­mer die Ansprüche nicht frist­ge­recht gel­tend mach­te (vgl. BAG 22. Ja­nu­ar 2002 - 9 AZR 601/00 - zu A II 4 c der Gründe, BA­GE 100, 189; 11. April 2000 - 9 AZR 225/99 - zu I 3 der Gründe, AP TVG § 1 Ta­rif­verträge: Luft­fahrt Nr. 13 = EzA TVG § 4 Luft­fahrt Nr. 4; vgl. fer­ner AnwK-ArbR/Düwell 2. Aufl. § 11 BUrlG Rn. 69; ErfK/Gall­ner § 11 BUrlG Rn. 35).
 


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Un­abhängig da­von, ob das zusätz­li­che Ur­laubs­geld nach § 4 Ab­schn. II Ur­laubsTV ei­ne von der Ur­laubs­nah­me un­abhängi­ge Gra­ti­fi­ka­ti­on oder ei­ne zum Ur­laub ak­zes­s­o­ri­sche Son­der­zah­lung dar­stellt (vgl. zu die­ser Dif­fe­ren­zie­rung: BAG 12. Ok­to­ber 2010 - 9 AZR 531/09 - Rn. 22 ff., AP TVG § 1 Ta­rif­verträge: Dach­de­cker Nr. 9 = EzA BUrlG § 7 Nr. 122; 19. Mai 2009 - 9 AZR 477/07 - Rn. 15 mwN, DB 2009, 2051), steht der An­wen­dung ta­rif­li­cher Aus-schluss­fris­ten we­der der Un­ab­ding­bar­keits­schutz der §§ 1, 3 Abs. 1, § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG noch der­je­ni­ge des Art. 7 der Ar­beits­zeit­richt­li­nie ent­ge­gen. Das zusätz­li­che Ur­laubs­geld stellt, auch so­weit es zum ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laub hin­zu­tritt, ei­ne rei­ne Geld­for­de­rung dar. Es un­terfällt von vorn­her­ein we­der dem Un­ab­ding­bar­keits­schutz des ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laubs nach § 13 BUrlG noch dem Schutz des Art. 7 der Ar­beits­zeit­richt­li­nie, da es sich um ei­ne darüber hin­aus­ge­hen­de we­der vom BUrlG noch von der Ar­beits­zeit­richt­li­nie ga­ran­tier­te zusätz­li­che Leis­tung han­delt. Vor die­sem Hin­ter­grund sind die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en frei, zusätz­li­ches Ur­laubs­geld ta­rif­li­chen Aus­schluss­fris­ten zu un­ter­wer­fen.

B. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kos­ten sei­ner er­folg­lo­sen Re­vi­si­on und als un­ter­le­ge­ne Par­tei gemäß § 91 Abs. 1 ZPO die Kos­ten des Rechts­streits zu tra­gen.


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