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ARBEITSRECHT AKTUELL // 15/005

Be­fris­te­te Ar­beits­ver­trä­ge an Schu­len

Jah­re­lan­ge Ket­ten­be­fris­tung von Ar­beits­ver­trä­gen mit ita­lie­ni­schen Leh­rern ver­stößt ge­gen EU-Recht: Eu­ro­päi­scher Ge­richts­hof, Ur­teil vom 26.11.2014, C-22/13 u.a. (Mas­co­lo)
Lehrerin in einer Grundschulklasse mit Schülern, Schule

03.01.2015. Die Mit­glieds­staa­ten der Eu­ro­päi­schen Uni­on (EU) müs­sen ge­mäß den Vor­ga­ben des EU-Rechts ef­fek­ti­ve Maß­nah­men ge­gen den Miss­brauch be­fris­te­ter Ar­beits­ver­trä­ge er­grei­fen.

Vor al­lem die im­mer er­neu­te Be­fris­tung von Ar­beits­ver­trä­gen mit den­sel­ben Ar­beit­neh­mern ("Ket­ten­be­fris­tung") legt den Ver­dacht na­he, dass der Ar­beit­ge­ber trotz ei­nes dau­ern­den Be­schäf­ti­gungs­be­darfs Be­fris­tun­gen miss­bräuch­lich ein­setzt, um den Ar­beit­neh­mern die Vor­tei­le ei­ner dau­er­haf­ten Be­schäf­ti­gung vor­zu­ent­hal­ten.

In ei­nem ak­tu­el­len Ur­teil hat der Eu­ro­päi­sche Ge­richts­hof (EuGH) die jah­re­lan­gen Ket­ten­be­fris­tun­gen mit ita­lie­ni­schen Leh­rern als eu­ro­pa­rechts­wid­rig be­an­stan­det: EuGH, Ur­teil vom 26.11.2014, C-22/13 u.a. (Mas­co­lo).

Gibt es sach­li­che Gründe, die Ar­beits­verträge von Leh­rern staat­li­cher Schu­len im­mer er­neut zu be­fris­ten?

Un­ter­schreibt der Ar­beit­neh­mer ei­nen be­fris­te­ten Ar­beits­ver­trag, hat er gleich­sam mit dem Ver­trag auch schon die Kündi­gung er­hal­ten, denn er ge­nießt kei­nen Be­stands­schutz, der über die ver­ein­bar­te Ver­trags­lauf­zeit hin­aus­ge­hen würde. Zeit­verträge sind da­her mit so­zia­ler Un­si­cher­heit für die be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer ver­bun­den.

Aus die­sem Grund sieht die im Jah­re 1999 von Ge­werk­schaf­ten und Ar­beit­ge­ber­verbänden auf eu­ropäischer Ebe­ne ge­trof­fe­ne „Rah­men­ver­ein­ba­rung über be­fris­te­te Ar­beits­verträge" vor, dass die EU-Staa­ten Maßnah­men ge­gen den Miss­brauch auf­ein­an­der fol­gen­der be­fris­te­ter Ar­beits­verträge er­grei­fen müssen (§ 5 Nr. 1 der Rah­men­ver­ein­ba­rung). Die Vor­ga­ben der Rah­men­ver­ein­ba­rung gehören zu den EU-Richt­li­ni­en, da die Richt­li­nie 1999/70/EG des Ra­tes vom 28.06.1999 die Rah­men­ver­ein­ba­rung in ih­ren An­hang auf­ge­nom­men und zum Richt­li­ni­en­in­halt er­ho­ben hat.

§ 5 Nr.1 der Rah­men­ver­ein­ba­rung gibt den Mit­glieds­staa­ten drei Mit­tel zu Aus­wahl vor, mit de­nen sie ei­nen Miss­brauch von be­fris­te­ten Ar­beits­verträgen ver­hin­dern können, nämlich

Frag­lich ist, ob ein sach­li­cher Grund für die im­mer er­neu­te Be­fris­tung von Ar­beits­verträgen mit Leh­rern dar­in lie­gen kann, dass Schüler­zah­len stark schwan­ken und der Staat da­her - auch aus fi­nan­zi­el­len Gründen - die An­zahl fest an­ge­stell­ter Leh­rer be­gren­zen möch­te.

Streit in Ita­li­en über Ket­ten­be­fris­tun­gen von Leh­rern an öffent­li­chen Schu­len

Wer als Leh­rer in Ita­li­en ei­ne un­be­fris­te­te Fest­an­stel­lung ha­ben möch­te, muss sich ei­ne ge­wis­se Zeit lang mit be­fris­te­ten Verträgen zu­frie­den ge­ben. Denn dann wird er in ei­ne Lis­te mit Kan­di­da­ten für ei­ne Fest­an­stel­lung auf­ge­nom­men und rückt dort im­mer wei­ter vor, je öfter er be­fris­te­te Verträge über­nom­men hat.

Ei­ner der sach­li­chen Gründe, die die Be­fris­tung von Ar­beits­verträgen mit ita­lie­ni­schen Leh­rern recht­fer­ti­gen, ist das Frei­hal­ten von Stel­len während der Dau­er von Be­set­zungs­ver­fah­ren, bei de­nen es um ei­ne Fest­an­stel­lung geht. Da sol­che Be­set­zungs­ver­fah­ren länge­re Zeit in An­spruch neh­men, schließt die Schul­ver­wal­tung in der Zwi­schen­zeit be­fris­te­te Verträge ab.

Der Ha­ken die­ses Be­fris­tungs­sys­tems be­steht al­ler­dings dar­in, dass in Ita­li­en zwi­schen 2000 und 2011, d.h. über elf (!) Jah­re lang, gar kei­ne re­gulären, auf ei­ne Fest­an­stel­lung ge­rich­te­ten Be­set­zungs­ver­fah­ren mehr durch­geführt wur­den, letzt­lich aus fi­nan­zi­el­len Gründen, d.h. um die Be­las­tung öffent­li­cher Haus­hal­te mit fes­ten Per­so­nal­kos­ten zu re­du­zie­ren.

Vor die­sem Hin­ter­grund zo­gen in den ver­gan­ge­nen Jah­ren vie­le ita­lie­ni­sche Leh­re­rin­nen und Leh­rer vor die Ge­rich­te und klag­ten auf Fest­an­stel­lung und auf Scha­dens­er­satz, un­ter ih­nen Raf­fa­el­la Mas­co­lo, bei der die Ge­samt­dau­er der Be­fris­tun­gen be­reits über neun Jahr be­trug.

Zwei der mit sol­chen Fällen be­fass­ten ita­lie­ni­schen Ge­rich­te leg­ten dem EuGH die Fra­ge vor, ob Re­ge­lun­gen von der Art der hier strei­ti­gen ita­lie­ni­schen Be­fris­tungs­vor­schrif­ten mit der Rah­men­ver­ein­ba­rung über be­fris­te­te Ar­beits­verträge bzw. mit der Richt­li­nie 1999/70/EG des Ra­tes vom 28.06.1999 ver­ein­bar sind.

EuGH: Gibt es kei­nen Zeit­plan für Be­set­zungs­ver­fah­ren, ist die "Ver­tre­tung" für die Dau­er sol­cher Be­set­zungs­ver­fah­ren kein Sach­grund für ei­ne Ver­trags­be­fris­tung

Eben­so wie be­reits der Ge­ne­ral­an­walt beim EuGH Maciej Sz­pu­nar in sei­nen Schluss­anträgen vom 17.07.2014 kam auch der Ge­richts­hof zu dem Er­geb­nis, dass die ita­lie­ni­sche Be­fris­tungs­pra­xis ge­gen die Rah­men­ver­ein­ba­rung über be­fris­te­te Ar­beits­verträge bzw. die Richt­li­nie 1999/70/EG verstößt.

Denn da der ita­lie­ni­sche Staat über elf Jah­re gar kei­ne re­gulären Stel­len­be­set­zun­gen mehr durchführ­te, konn­ten die strei­ti­gen be­fris­te­ten Verträge nicht mit dem Sach­grund ge­recht­fer­tigt wer­den, dass der Be­darf an den be­fris­tet beschäftig­ten Leh­rern zeit­lich be­schränkt für die Dau­er von Be­set­zungs­ver­fah­ren be­steht. Auch die Dau­er der Ket­ten­be­fris­tun­gen, die in den Streitfällen zwi­schen fünf und neun Jah­ren be­trug, sprach dafür, dass die ita­lie­ni­sche Schul­ver­wal­tung hier ei­nen dau­ern­den Beschäfti­gungs­be­darf miss­bräuch­lich durch im­mer er­neu­te Ver­ein­ba­rung be­fris­te­ter Verträge ab­deck­te.

Im Er­geb­nis un­ter­nahm der ita­lie­ni­sche Staat da­her im Be­reich sei­ner Schul­ver­wal­tung gar nichts, um ei­nem Miss­brauch be­fris­te­ter Verträge ent­ge­gen­zu­wir­ken, d.h. Ita­li­en er­griff hier kei­ne der drei in § 5 Nr.1 der Rah­men­ver­ein­ba­rung ge­nann­ten mögli­chen Maßnah­men.

Fa­zit: Eben­so wie be­reits in sei­nem Ur­teil vom 26.01.2012 (C-586/10 - Kücük) be­tont der EuGH auch in die­ser Ent­schei­dung, dass größere Un­ter­neh­men oder Ver­wal­tungs­dienst­stel­len in­fol­ge von Krank­heit und Schwan­ger­schaft ei­nen ständi­gen Ver­tre­tungs­be­darf ha­ben und die­sen auch durch be­fris­te­te Verträge ab­de­cken können: Die Tat­sa­che, dass in größeren Un­ter­neh­men oder Dienst­stel­len ständig je­mand krank ist oder we­gen Schwan­ger­schaft oder El­tern­zeit fehlt, ver­pflich­tet sol­che Ar­beit­ge­ber nicht da­zu, ei­ne fest an­ge­stell­te Per­so­nal­re­ser­ve von "Sprin­gern" vor­zu­hal­ten.

Das be­deu­tet um­ge­kehrt aber nicht, dass be­lie­bi­ge "Ver­tre­tungs­gründe" als Sach­grund für Ver­tre­tungs­be­fris­tun­gen her­hal­ten können. Wenn gar kei­ne re­gulären Be­set­zungs­ver­fah­ren zum Zwe­cke von Fest­an­stel­lun­gen durch­geführt wer­den (wie in Ita­li­en von 2000 bis 2011), kann von kon­kre­ten Ver­tre­tungsfällen bzw. Ver­tre­tungs­si­tua­ti­on nicht die Re­de sein. Dann be­steht in Wahr­heit ein dau­ern­der Beschäfti­gungs­be­darf.

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Letzte Überarbeitung: 11. Juli 2019

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