HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

ArbG Ber­lin, Ur­teil vom 05.11.2011, 28 Ca 9265/11

   
Schlagworte: Kündigungsschutzklage, Kündigungsschutzklage: Klagefrist
   
Gericht: Arbeitsgericht Berlin
Aktenzeichen: 28 Ca 9265/11
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 05.11.2011
   
Leitsätze:

1. Die Regelung des § 85 Abs. 2 ZPO zur Zurechnung anwaltlichen Verschuldens ist auf die Versäumung der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG im Rahmen der nachträglichen Klagezulassung nach § 5 KSchG nicht anzuwenden (Abweichung von BAG 11. Dezember 2008 - 2 AZR 472/08 - BAGE 129, 32 = AP § 4 KSchG 1969 Nr. 68 = NZA 2009, 692).

2. Schlaglichter zu historischen Hintergründen der Zurechnung anwaltlichen Verschuldens an Fristversäumnissen im allgemeinen Zivilprozess und deren teleologisch geprägter Unterscheidung von den Verhältnissen bei erstmaliger Eröffnung gerichtlichen Rechtsschutzes als Ziel der Kündigungsschutzklage.

Vorinstanzen:
   

Ar­beits­ge­richt Ber­lin


Geschäfts­zei­chen (bit­te im­mer an­ge­ben)
28 Ca 9265/11  


Verkündet

am 12.08.2011

 


als Ur­kunds­be­am­ter/in
der Geschäfts­stel­le
 


Im Na­men des Vol­kes

Zwi­schen­ur­teil

 


In Sa­chen

pp


hat das Ar­beits­ge­richt Ber­lin, 28. Kam­mer,
auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 12.08.2011
durch den Rich­ter am Ar­beits­ge­richt Dr. R. als Vor­sit­zen­der
so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Herr L. und Herr N.
für Recht er­kannt:


I.
Die Kündi­gungs­schutz­kla­ge wird nachträglich zu­ge­las­sen.


II.
Die Kos­ten­ent­schei­dung bleibt dem En­dur­teil vor­be­hal­ten.


II.
Der Wert des Streit­ge­gen­stan­des wird auf 7.384,95 Eu­ro fest­ge­setzt.

 

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T a t b e s t a n d

Es geht – vor­ab - um nachträgli­che Zu­las­sung (§ 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG 1) ei­ner ver­späte­ten (§ 4 Satz 1 KSchG 2 ) Kündi­gungs­schutz­kla­ge. - Vor­ge­fal­len ist dies:

I. Die (heu­te 3) 59-jähri­ge Kläge­rin steht seit Au­gust 1983 in den Diens­ten des be­klag­ten Ver­eins, der mit re­gelmäßig mehr als zehn Ar­beits­per­so­nen ei­ne Pri­vat­schu­le be­treibt. Hier war die Kläge­rin bis zu den Er­eig­nis­sen, die den Hin­ter­grund des Rechts­streits bil­den, seit Ja­nu­ar 2004 ge­gen ei­ne Vergütung von mo­nat­lich 2.461,65 Eu­ro in Voll­zeit als Küchen­hil­fe und Rei­ni­gungs­kraft beschäftigt 4.
II. Mit be­sag­ten „Er­eig­nis­sen“ hat es fol­gen­de Be­wandt­nis:
1. Die Kläge­rin hat­te ei­ne Toch­ter, de­ren Le­bens­gefähr­te sie am 29. Mai 2010 mit Mes­ser­sti­chen töte­te. Es war die Kläge­rin, die ih­re Toch­ter sei­ner­zeit ver­blu­tet auf­fand 5.
2. Nach die­sem Er­leb­nis war sie zunächst nicht mehr in der La­ge, ih­ren Ar­beits­auf­ga­ben im Hau­se des Be­klag­ten nach­zu­kom­men 6 . Da­her be­fand sie sich et­wa ein Jahr lang in ärzt­li­cher Be­hand­lung 7 .
3. Wel­che Be­geg­nun­gen oder Kon­tak­te sich während die­ser Zeit zwi­schen den Par­tei­en er­ga­ben, ist nicht im Ein­zel­nen fest­ge­stellt 8 . An­ga­ben der Kläge­rin zu­fol­ge, be­ab­sich­tig­te sie je­doch „Mit­te Mai 2011“, „den Be­klag­ten auf­zu­su­chen und ihn darüber zu in­for­mie­ren, dass sie wie­der ge­sund“ sei und ih­re Ar­beit auf­neh­men wol­le 9. Un­strei­tig ist, dass in ei­nem in­so­weit zur Ter­min­ab­spra­che von­sei­ten des Be­klag­ten geäußert wur­de, „die Kläge­rin am 18.05.2011 auf­su­chen zu wol­len“ 10 . Un­strei­tig ist wei­ter, dass es zur Wie­der­auf­nah­me der Ar­beit tatsächlich nicht kam.

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1 S. Text: „§ 5 Zu­las­sung ver­späte­ter Kündi­gung. (1) War ein Ar­beit­neh­mer nach er­folg­ter Kündi­gung trotz An­wen­dung al­ler ihm nach La­ge der Umstände zu­zu­mu­ten­den Sorg­falt ver­hin­dert, die Kla­ge in­ner­halb von drei Wo­chen nach Zu­gang der schrift­li­chen Kündi­gung zu er­he­ben, so ist auf sei­nen An­trag die Kla­ge nachträglich zu­zu­las­sen“.
2 S. Text: „§ 4 An­ru­fung des Ar­beits­ge­richts. Will ein Ar­beit­neh­mer gel­tend ma­chen, dass ei­ne Kündi­gung so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt oder aus an­de­ren Gründen rechts­un­wirk­sam ist, so muss er in­ner­halb von drei Wo­chen nach Zu­gang der schrift­li­chen Kündi­gung Kla­ge beim Ar­beits­ge­richt auf Fest­stel­lung er­he­ben, dass das Ar­beits­verhält­nis durch die Kündi­gung nicht auf­gelöst ist“.
3 Ge­bo­ren im April 1952.
4 S. Kla­ge­schrift S. 2-3 (Bl. 2-3 der Ge­richts­ak­te [künf­tig kurz: „GA“]).
5 S. Kla­ge­schrift S. 4 (Bl. 4 GA).
6 S. Kla­ge­schrift a.a.O.
7 S. Kla­ge­schrift a.a.O.
8 Im Ver­hand­lungs­ter­min am 12.8.2011 war von­sei­ten des Be­klag­ten un­ter an­de­rem – nicht pro­to­kol­liert - die Re­de vom „Ham­bur­ger Mo­dell“, Ein­zel­hei­ten hat das Ge­richt je­doch nicht er­kun­det; d.U.
9 S. Kla­ge­schrift S. 4 (Bl. 4 GA).
10 S. Kla­ge­schrift S. 4 (Bl. 4 GA).

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4. Statt­des­sen ge­schah dies:
Mit Schrei­ben vom 18. Mai 2011 11 (Ko­pie: Ur­teils­an­la­ge I.), das die Kläge­rin am sel­ben Tag emp­fing 12 , erklärte der Be­klag­te un­ter Be­ru­fung auf „krank­heits­be­ding­te Gründe“ die (frist­ge­rech­te) Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses. - Hier­nach in­for­mier­te die Kläge­rin nach ei­ge­ner Dar­stel­lung des­sen Vor­stand „über ih­re Ge­ne­sung und teil­te ihm mit, von ih­rem Arzt mit Wir­kung zum 14.06.2011 wie­der als ar­beitsfähig ein­ge­stuft wor­den zu sein“ 13 . - Es half nichts: Der Be­klag­te teil­te „le­dig­lich mit, dass es bei der Kündi­gung blei­be“ 14.
III. Die Kläge­rin kümmer­te sich nun um ei­nen An­walts­ter­min. Die­ser kam (wohl 15) am 23. Mai 2011 mit Herrn Rechts­an­walt J. Sch.. (ge­bo­ren im März 1934 16) zu­stan­de, der sie schon in an­de­rer Sa­che ver­trat. Was sich bei der Un­ter­re­dung und im Ein­zel­nen ab­spiel­te und wie es Herrn Rechts­an­walt Sch.. da­bei (ge­sund­heit­lich) er­ging, ist im De­tail nicht aus­ge­leuch­tet. - An­zu­neh­men 17 ist je­doch, dass Rechts­an­walt Sch.. Kla­ge­auf­trag er­hielt.
1. Acht Ta­ge später, nämlich am 31. Mai 2011 fand Herr Rechts­an­walt Sch.. Not­auf­nah­me im Kli­ni­kum Ber­lin-Span­dau, nach­dem er am glei­chen Ta­ge (wohl 18) ei­nen Schlag­an­fall er­lit­ten hat­te. Wei­te­re acht Ta­ge später und zu­gleich drei Wo­chen nach Zu­gang des Kündi­gungs­schrei­bens vom 18. Mai 2011 (8. Ju­ni 2011), lag ei­ne Kündi­gungs­schutz­kla­ge bei Ge­richt nicht vor.
2. Das änder­te sich noch­mals acht Ta­ge später: Am 14. Ju­ni 2011 nahm die Kläge­rin te­le­fo­nisch Kon­takt zum Büro ih­rer Be­vollmäch­tig­ten auf, um sich „nach dem Sach­stand“ zu er­kun­di­gen 19. Dort war von ei­nem ent­spre­chen­den Kla­ge­auf­trag nichts be­kannt 20. Al­ler­dings stieß man bei ei­ner Su­che auf die vor­erwähn­te Ak­te der Kläge­rin aus an­de­rer Sa­che, und zwar „auf ei­nem Sta­pel wei­te­rer Ak­ten, der sich auf dem Schreib­tisch des Kol­le­gen Sch.. be­fand“ 21.

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11 S. Ko­pie als An­la­ge K 2 zur Kla­ge­schrift (Bl. 14 GA).
12 S. Kla­ge­schrift a.a.O.
13 S. Kla­ge­schrift S. 4 (Bl. 4 GA).
14 S. Kla­ge­schrift a.a.O.
15 S. Kla­ge­schrift S. 5 (Bl. 5 GA): „Nach dem Ter­min­ka­len­der de Kanz­lei er­schien sie am 23.05.2011 in den Kanz­leiräum­en zur Be­spre­chung des Vor­gangs mit dem Kol­le­gen Sch..“.
16 S. Ko­pie der Auf­ent­halts­be­schei­ni­gung des Kli­ni­kums Span­dau vom 15.6.2011 als An­la­ge K 5 zur Kla­ge­schrift (Bl. 18 GA).
17 S. Kla­ge­schrift S. 5 [II.]: „Die Kläge­rin be­auf­trag­te den Kol­le­gen Sch.. mit ih­rer Ver­tre­tung in die­ser Sa­che“.
18 S. Kla­ge­schrift S. 7 (Bl. 7 GA): „Dass der Kol­le­ge ei­nen Schlag­an­fall er­lit­ten hat, liegt nach den vor­ge­tra­ge­nen Sym­pto­men auf der Hand. Das Kli­ni­kum Span­dau lehnt ei­ne Mit­tei­lung der Dia­gno­se aus Gründen des Da­ten­schut­zes lei­der ab, der Kol­le­ge Sch.. ist der­zeit kaum in der La­ge, das Kli­ni­kum von des­sen Ver­schwie­gen­heits­pflicht zu ent­bin­den“.
19 S. Kla­ge­schrift S. 6 (Bl. 6 GA).
20 S. Kla­ge­schrift a.a.O.: „Wie hier nachträglich re­kon­stru­iert wer­den konn­te, nahm der Kol­le­ge Sch.. das Kündi­gungs­schrei­ben mit hand­schrift­li­chen, im we­sent­li­chen nicht les­ba­ren Be-spre­chungs­ver­mer­ken zu ei­ner wei­te­ren hier schon für die Kläge­rin geführ­te Ak­te in an­de­rer Sa­che. Nach Ak­ten­la­ge un­ter­ließ es der Kol­le­ge Sch.. da­bei, die An­la­ge ei­ner neu­en Ak­te zu verfügen und die Frist für die Er­he­bung der Kündi­gungs­schutz­kla­ge zu no­tie­ren und no­tie­ren zu las­sen. Der Un­ter­zeich­ner [Herr Rechts­an­walt T. K....; d.U.] ver­si­chert dies zum Zweck der Glaub­haft­ma­chung an Ei­des statt“.
21 S. Kla­ge­schrift S. 6-7 (Bl. 6-7 GA).

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3. Nun wid­me­te sich der jet­zi­ge Be­vollmäch­tig­te der Kläge­rin (Herr Rechts­an­walt T. K....) der An­ge­le­gen­heit.
IV. Am 16. Ju­ni 2011 ging bei Ge­richt so­dann die sechs Ta­ge dar­auf (22. Ju­ni 2011) zu­ge­stell­te Kündi­gungs­schutz­kla­ge ein, mit der die Kläge­rin den An­trag auf nachträgli­che Zu­las­sung ver­bin­det: Sie hält die Kündi­gung für so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt und die Versäum­ung der Kla­ge­frist des § 4 Satz 1 KSchG 22 im Sin­ne des § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG 23 für nicht vor­werf­bar: So sei der Kol­le­ge (Rechts­an­walt Sch..) be­reits am Ta­ge der Be­spre­chung mit der Kläge­rin stark an­ge­spannt und ge­sund­heit­lich an­ge­schla­gen ge­we­sen 24. Er ha­be ein stark geröte­tes Ge­sicht ge­habt und sei häufig um Hal­tung bemüht ge­we­sen 25. Die­ser Zu­stand ha­be im We­sent­li­chen un­verändert bis zum 31. Mai 2011 an­ge­dau­ert 26 . An die­sem Ta­ge ha­be ihn die Feu­er­wehr ge­gen 19.15 Uhr ins Kli­ni­kum Span­dau ein­ge­lie­fert, wo er bis zum 9. Ju­ni 2011 be­han­delt wor­den sei. Schon vor sei­nem Schlag­an­fall sei sein Ge­sund­heits­zu­stand er­sicht­lich sehr schlecht ge­we­sen 27 . Er sei so schlecht ge­we­sen, dass er den Vor­gang wohl schon nach der Be­spre­chung aus den Au­gen ver­lo­ren ha­be und zu­dem auch nicht mehr in der La­ge ge­we­sen sei, An­wei­sun­gen für die Ak­ten­la­ge und No­tie­rung der Frist zu tref­fen 28 . Die wei­te­ren Kanz­lei­kol­le­gen hätten nicht ab­se­hen können, dass hier in den von Herrn Rechts­an­walt Sch.. be­ar­bei­te­ten Ak­ten Fris­ten nicht no­tiert ge­we­sen sei­en 29. Ins­be­son­de­re sei der Vor­gang nicht als neue, ak­tenmäßig noch nicht er­fass­te Sa­che er­kenn­bar ge­we­sen, denn er sei in ei­ner be­reits an­ge­leg­ten an­de­ren Ak­te ab­ge­legt ge­we­sen 30.

V. Die Kläge­rin be­an­tragt 31 ,

1. die Kündi­gungs­schutz­kla­ge nach § 5 KSchG nachträglich zu­zu­las­sen,

hilfs­wei­se,

ihr hin­sicht­lich der Versäum­ung der dreiwöchi­gen Kla­ge­frist Wie­der­ein­set­zung in vo­ri­gen Stand zu gewähren;

2. fest­zu­stel­len, dass das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis durch Kündi­gung im Schrei­ben vom 18. Mai 2011 nicht auf­gelöst wor­den ist, son­dern über den 31. De­zem­ber 2011 hin­aus un­gekündigt fort­be­steht;

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22 S. Text oben, S. 2 Fn. 2.
23 S. Text oben, S. 2 Fn. 1.
24 S. Kla­ge­schrift S. 6 (Bl. GA).
25 S. Kla­ge­schrift a.a.O.
26 S. Kla­ge­schrift a.a.O.
27 S. Kla­ge­schrift S. 7 (Bl. 7 GA).
28 S. Kla­ge­schrift a.a.O.
29 S. Kla­ge­schrift a.a.O.
30 S. Kla­ge­schrift a.a.O.
31 Die hie­si­ge Nu­me­rie­rung weicht von der­je­ni­gen der Kläge­rin ab, wofür um Verständ­nis ge­be­ten wird; d.U.

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3. den Be­klag­ten zu ver­ur­tei­len, sie zu un­veränder­ten Ar­beits­be­din­gun­gen als Küchen­hil­fe und Rei­ni­gungs­kraft bis zum rechts­kräfti­gen Ab­schluss des Rechts­streits wei­ter­zu­beschäfti­gen.

Der Be­klag­te be­an­tragt,

1. den An­trag auf nachträgli­che Zu­las­sung zurück­zu­wei­sen;

2. die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

VI. Er hält ei­nen Zu­las­sungs­grund nicht für ge­ge­ben. Die feh­ler­haf­te Sach­be­ar­bei­tung im Hau­se der Be­vollmäch­tig­ten der Kläge­rin sei nicht ent­schul­digt 32, das Ver­schul­den ih­rer Anwälte der Kläge­rin auch zu­zu­rech­nen 33. Da­bei sei be­reits der Grad der Be­ein­träch­ti­gung von Rechts­an­walt Sch.. „im Vor­feld des Schlag­an­falls im De­tail un­klar“ 34 : Im­mer­hin sei die­ser trotz ge­sund­heit­li­cher Pro­ble­me noch fähig ge­we­sen, sein Büro auf­zu­su­chen und Be­spre­chungs­ter­mi­ne wahr­zu­neh­men 35. Dann sei es ihm aber „auch noch möglich ge­we­sen, Frist zu no­tie­ren bzw. zu verfügen oder zu­min­dest Kol­le­gen oder Mit­ar­bei­ter um Fris­ten­no­tie­rung nach­zu­su­chen“ 36 . Je­den­falls tref­fe aber die übri­gen Anwälte ent­spre­chen­des Ver­schul­den: Denn die­se hätten die Ak­ten von Rechts­an­walt Sch.. nach sei­ner Er­kran­kung über­nom­men oder doch un­verzüglich über­neh­men müssen 37 . Ge­ra­de weil sie nach ei­ge­nem Be­kun­den von der Schuld­unfähig­keit des er­krank­ten Kol­le­gen über­zeugt ge­we­sen sei­en, hätten sie des­sen Ak­ten un­verzüglich prüfen und frist­ge­recht wei­ter be­ar­bei­ten müssen 38. Statt­des­sen hätten sie sich die Ak­te der Kläge­rin erst auf de­ren Nach­fra­ge vor­le­gen las­sen 39 . Al­lein schon die Tat­sa­che, dass be­sag­te Ak­te zwei Wo­chen lang un­be­ar­bei­tet auf dem Tisch des Kol­le­gen ge­le­gen ha­be, sei ein Versäum­nis der übri­gen Anwälte 40. Die­se hätten die Ak­ten viel­mehr so­fort sich­ten und ei­ne Be­stands­auf­nah­me zu lau­fen­de Fris­ten und zum Be­ar­bei­tungs­be­darf ma­chen müssen, nach­dem die Er­kran­kung von Rechts­an­walt Sch.. deut­lich ge­wor­den sei 41.
VII. Hier­zu er­wi­dert die Kläge­rin, ih­re Anwälte hätten sich der Vorgänge des

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32 S. An­trags­er­wi­de­rungs­schrift vom 4.7.2011 S. 1-2 [vor 1.] (Bl. 28-29 GA): Kla­ge ver­fris­tet, da „schuld­haft zu spät … ein­ge­reicht“.
33 S. An­trags­er­wi­de­rungs­schrift S. 3 [2.] (Bl. 30 GA): „Hier ha­ben die Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten der Kläge­rin die ver­späte­te Kla­ge­er­he­bung ver­schul­det und dies ist ihr zu­zu­rech­nen“.
34 S. An­trags­er­wi­de­rungs­schrift S. 5 [vor 5.] (Bl. 32 GA).
35 S. An­trags­er­wi­de­rungs­schrift a.a.O.
36 S. An­trags­er­wi­de­rungs­schrift a.a.O.; Be­weis: Sach­verständi­gen­gut­ach­ten.
37 S. An­trags­er­wi­de­rungs­schrift S. 3 [vor a)] (Bl. 30 GA).
38 S. An­trags­er­wi­de­rungs­schrift a.a.O.
39 S. An­trags­er­wi­de­rungs­schrift S. 4 [b)] (Bl. 31 GA).
40 S. An­trags­er­wi­de­rungs­schrift a.a.O.
41 S. An­trags­er­wi­de­rungs­schrift a.a.O.

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er­krank­ten Kol­le­gen Sch.. un­verzüglich an­ge­nom­men 42 . Da­bei sei­en selbst­verständ­lich sämt­li­che Ak­ten aus sei­nem De­zer­nat auf mögli­che Fristabläufe ge­prüft wor­den 43. Hier­zu hätten auch die Ak­ten der­je­ni­gen Man­da­ten gehört, mit de­nen Rechts­an­walt Sch.. in jünge­rer Zeit Be­spre­chungs­ter­mi­ne durch­geführt ha­be 44. Auch sei­en die auf dem Schreib­tisch des Kol­le­gen be­find­li­chen Ak­ten ge­prüft wor­den 45. Ins­be­son­de­re hätten sich ih­re Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten auch ver­ge­wis­sert, dass sich auf sei­nem Schreib­tisch nicht et­wa noch Un­ter­la­gen be­fan­den, für die noch neue Ak­ten an­zu­le­gen und ge­ge­be­nen­falls Fris­ten zu no­tie­ren sei­en 46. Wenn ihr auf Kündi­gungs­schutz ge­rich­te­tes Man­dat da­bei gleich­wohl nicht er­kenn­bar ge­we­sen sei, so des­halb, weil sich das Kündi­gungs­schrei­ben (Ur­teils­an­la­ge I.) in ei­ner Ak­te be­fun­den ha­be, die im Büro der Anwälte un­ter dem Ru­brum „T. [Fa­mi­li­en­na­me der Kläge­rin im Ori­gi-nal aus­ge­schrie­ben; d.U.] ./. Bun­des­agen­tur für Ar­beit“ geführt wer­de 47. Die­sem ha­be le­dig­lich ein wei­te­res Blatt mit un­le­ser­li­chen hand­schrift­li­chen Ver­mer­ken von Rechts­an­walt Sch.. bei­ge­le­gen 48. Auch ha­be sich aus dem Ter­min­ka­len­der der Kanz­lei nicht er­ge­ben, dass der Be­spre­chungs­ter­min mit ihr in ei­ner neu­en Sa­che ver­ein­bart ge­we­sen sei 49. Da Ge­gen­stand der be­reits an­ge­leg­ten Ak­te ihr An­spruch auf So­zi­al­leis­tun­gen („Hartz IV“) ge­we­sen sei, hätte dort natürlich auch ihr Ar­beits­verhält­nis ei­ne Rol­le ge­spielt, so dass das Kündi­gungs­schrei­ben auch nicht als au­gen­schein­lich ak­ten­frem­des Do­ku­ment zu er­ken­nen ge­we­sen sei 50 .

VIII. We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des Par­tei­vor­brin­gens wird auf den In­halt der ge­wech­sel­ten Schriftsätze und auf de­ren An­la­gen so­wie auf den In­halt der Sit­zungs­nie­der­schrif­ten ver­wie­sen. - Zu ergänzen ist, dass sich die Kläge­rin des Wei­te­ren zur Glaub­haft­ma­chung ih­rer An­ga­ben zu den Be­ar­bei­tungs­verhält­nis­sen in der Kanz­lei ih­rer Be­vollmäch­tig­ten auf ei­ne Ei­des­statt­li­che Ver­si­che­rung der Rechts­an­walts- und No­ta­ri­ats­fach­an­ge­stell­ten ih­rer Be­vollmäch­tig­ten, Frau C. T...., vom 15. Ju­ni 2011 51 (Ko­pie: Ur­teils­an­la­ge II.) stützt. Dort heißt es:

„EI­DESS­TATT­LICHE VER­SICHE­RUNG

Ich, die Un­ter­zeich­ne­te, C. T...., ge­bo­ren am ….1961, wohn­haft …………….., 12207 Ber­lin, erkläre in Kennt­nis der Be­deu­tung ei­ner ei­des­statt­li­chen Ver­si­che­rung und der Straf­bar­keit ei­ner – auch fahrlässig – fal­schen ei­des­statt­li­chen Ver­si­che­rung fol­gen­des an Ei­des statt:

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42 S. Schrift­satz vom 12.7.2011 S. 1 (Bl. 36 GA).
43 S. Schrift­satz vom 12.7.2011 a.a.O.
44 S. Schrift­satz vom 12.7.2011 S. 1-2 (Bl. 36-37 GA).
45 S. Schrift­satz vom 12.7.2011 S. 2 (Bl. 37 GA).
46 S. Schrift­satz vom 12.7.2011 a.a.O.
47 S. Schrift­satz vom 12.7.2011 a.a.O.
48 S. Schrift­satz vom 12.7.2011 a.a.O.
49 S. Schrift­satz vom 12.7.2011 a.a.O.
50 S. Schrift­satz vom 12.7.2011 a.a.O.
51 S. An­la­ge K 4 zur An­trags­schrift (Bl. 16-17 GA).

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Ich bin als Rechts­an­walts- und No­ta­ri­ats­fach­ang­stell­te bei den Rechts­anwälten Sch.. & H.... beschäftigt.
Ich ha­be den Ter­min­ka­len­der der Kanz­lei ein­ge­se­hen. Da­nach hat­te Frau A.T. [Na­me der Kläge­rin im Ori­gi­nal aus­ge­schrie­ben; d.U.] am 23.05.2011 ei­nen Be­spre­chungs­ter­min mit Herrn Rechts­an­walt Sch...
Be­reits am Ta­ge des Be­spre­chungs­ter­mins schien mir Herr Sch.. ge­sund­heit­lich stark an­ge­schla­gen. Er hat­te ein stark geröte­tes Ge­sicht, schien stark an­ge­spannt und um Hal­tung bemüht. Wei­ter hat­te er of­fen­sicht­lich im­mer wie­der Pro­ble­me mit sei­nem Gleich­ge­wichts­sinn so­wie Schwie­rig­kei­ten mit sei­ner akus­ti­schen Wahr­neh­mung. Die­ses Er­schei­nungs­bild dau­er­te mehr oder we­ni­ger kon­stant bis zum 31.05.2011 an.
Am 31.05.2011 ge­gen 19.00 Uhr rief Herr Rechts­an­walt Sch.. über die in­ter­ne Te­le­fon­lei­tung bei mir durch. Ich nahm den Hörer ab, hörte aber nur kaum de­fi­nier­ba­re Geräusche. Des­halb ging ich in das Zim­mer des Herrn Sch... Die­ser saß am Schreib­tisch, konn­te sich aber kaum be­we­gen und be­merk­bar ma­chen, er schien teil­wei­se gelähmt zu sein. Ins­be­son­de­re war Herr Sch.. er­sicht­lich nicht in der La­ge zu spre­chen. Ich in­for­mier­te so­fort sei­nen Part­ner, Herrn Rechts­an­walt W. H...., der die Feu­er­wehr in­for­mier­te. Ge­gen 19.15 Uhr er­schien ein Not­arzt­wa­gen der Feu­er­wehr und hol­te Herrn Sch.. ab. Ich hat­te schon zu­vor te­le­fo­nisch ab­ge­stimmt, dass Herr Sch.. in das V. Kli­ni­kum Span­dau ge­bracht wer­den soll­te, weil die­se Kli­nik mit ei­ner So­fort­auf­nah­me für Schlag­an­fall­pa­ti­en­ten aus­ge­stat­tet ist. Nach mei­ner Kennt­nis wur­de Herr Sch.. in die­se Kli­nik ge­bracht. Über Drit­te, mir ist nicht mehr ge­nau in Er­in­ne­rung, ob über den Nef­fen des Herrn Sch.., L. Sch.. oder über Herrn Rechts­an­walt W. H...., ha­be ich er­fah­ren, dass Herr Sch.. am 9.06.2011 oder am 10.06.2011 zur Re­ha­bi­li­ta­ti­on in die Kli­nik H. in Span­dau ge­bracht wor­den sein soll.
Am Diens­tag, 14.06.2011, mel­de­te sich te­le­fo­nisch Frau T. [w.o.], um sich nach dem Stand der Sa­che zu er­kun­di­gen. Mir war ein Vor­gang der Frau T. ge­gen ih­ren Ar­beit­ge­ber nicht be­kannt, ich wußte aber, dass für Frau T. ei­ne Ak­te in ei­ner an­de­ren An­ge­le­gen­heit an­ge­legt ist. Die­se Ak­te such­te ich, um sie dem für die Kanz­lei täti­gen Rechts­an­walt T. K.... zum Te­le­fo­nat mit Frau T. vor­zu­le­gen. Ich fand die­se Ak­te auf dem Schreib­tisch von Rechts­an­walt Sch... In die­ser Ak­te be­fand sich oben­auf ei­ne Klar­sichthülle, in der sich zwei Blätter be­fan­den, un­ter an­de­rem ein Schrei­ben der … [Be­klag­ten; d.U.]. Ich ha­be die­se Ak­te dann Rechtsan-walt K.... vor­ge­legt.
Ber­lin, 15. Ju­ni 2011
(Un­ter­schrift)“.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Dem Zu­las­sungs­be­geh­ren der Kläge­rin ist sein Er­folg nicht zu ver­sa­gen.
Darüber hat die Kam­mer durch Zwi­schen­ur­teil (§ 5 Abs. 4 KSchG 52) vor­ab be­fun­den. - Im Ein­zel­nen ist da­zu fol­gen­des aus­zuführen:

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52 S. Text: „§ 5 Zu­las­sung ver­späte­ter Kla­gen. (1) … (4) Das Ver­fah­ren über den An­trag auf nachträgli­che Zu­las­sung ist mit dem Ver­fah­ren über die Kla­ge zu ver­bin­den. Das Ar­beits­ge­richt kann das Ver­fah­ren zunächst auf die Ver­hand­lung und Ent­schei­dung über den An­trag be­schränken. In die­sem Fall er­geht die Ent­schei­dung durch Zwi­schen­ur­teil, das wie ein En­dur­teil an­ge­foch­ten wer­den kann“.

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I. Wie ein­gangs (s. oben, S. 2 [vor I.] mit Fn. 2) be­reits an­ge­klun­gen, muss ein Ar­beit­neh­mer, der ei­ne Kündi­gung vor Ge­richt ei­ner Über­prüfung un­ter­zie­hen las­sen will, auf­grund des § 4 Satz 1 KSchG 53 bin­nen drei­er Wo­chen nach Zu­gang des Kündi­gungs­schrei­bens (§§ 623 54 , 130 Abs. 1 Satz 155 BGB) Kla­ge beim Ar­beits­ge­richt auf Fest­stel­lung er­he­ben (s. §§ 253 Abs. 1 56 , 167 57 ZPO), dass das Ar­beits­verhält­nis durch die Kündi­gung nicht auf­gelöst sei.
1. Tut er dies nicht - oder je­den­falls nicht frist­ge­recht -, so wird die Wirk-sam­keit der be­tref­fen­den Kündi­gung kraft Ge­set­zes „fin­giert“: In § 7 (1. Halb­satz) KSchG 58 ist hier­zu be­stimmt, dass die Kündi­gung dann als von An­fang an rechts­wirk­sam „gilt“. Sie ist in die­sen Fällen so­mit in al­ler Re­gel und gleichgültig, wel­che recht­li­chen Mängel ihr ob­jek­tiv auch im­mer an­haf­ten mögen, un­wi­der­leg­bar als wirk­sam zu be­han­deln.
2. Recht­li­che Möglich­kei­ten zur Fol­gen­be­sei­ti­gung oh­ne Ein­verständ­nis des Kündi­gen­den ver­schafft in die­ser La­ge le­dig­lich die gleich­falls ein­gangs schon an­ge­spro­che­ne Vor­schrift des § 5 Abs.1 Satz 1 KSchG 59 : Da­nach ist ei­ne ver­spätet er­ho­be­ne Kündi­gungs­schutz­kla­ge auf An­trag nachträglich zu­zu­las­sen, wenn der gekündig­te Ar­beit­neh­mer trotz An­wen­dung al­ler ihm nach La­ge der Umstände zu­zu­mu­ten­den Sorg­falt ver­hin­dert war, die Kla­ge recht­zei­tig zu er­he­ben. In die­sem Fal­le wird der Fik­ti­ons­ef­fekt des § 7 KSchG so­mit ge­gen­stands­los. Das be­fass­te Ge­richt hat dann zur Klärung der Wirk­sam­keit der Kündi­gung in ei­ne Sach­prüfung ein­zu­tre­ten.
II. So verhält es sich hier: Die Kläge­rin hat zwar die Kla­ge­frist versäumt, doch war ihr zu be­schei­ni­gen, dass sie die ihr nach La­ge der Umstände ob­lie­gen­de Sorg­falt ge­wahrt hat. Die Be­klag­te ist da­her nicht von der Über­prüfung der sach­li­chen Be­rech­ti­gung ih­rer Kündi­gung be­freit:
1. Was in­so­fern zunächst die­je­ni­ge Sorg­falt an­be­langt, die der recht­lich wohl nicht be­wan­der­ten Kläge­rin persönlich ab­ge­for­dert wer­den kann, so ist

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53 S. Text oben, S. 2 Fn. 2.
54 S. Text: „§ 623 Schrift­form der Kündi­gung. Die Be­en­di­gung von Ar­beits­verhält­nis­sen durch Kündi­gung oder Auflösungs­ver­trag bedürfen zu ih­rer Wirk­sam­keit der Schrift­form; die elek­tro­ni­sche Form ist aus­ge­schlos­sen“.
55 S. Text: „§ 130 Wirk­sam­wer­den der Wil­lens­erklärung ge­genüber Ab­we­sen­den. (1) Ei­ne Wil­lens­erklärung, die ei­nem an­de­ren ge­genüber ab­zu­ge­ben ist, wird, wenn sie in des­sen Ab­we­sen­heit ab­ge­ge­ben wird, in dem Zeit­punkt wirk­sam, in wel­chem sie ihm zu­geht“.
56 S. Text: „§ 253 Kla­ge­schrift. (1) Die Er­he­bung der Kla­ge er­folgt durch Zu­stel­lung ei­nes Schrift­sat­zes (Kla­ge­schrift)“.
57 S. Text: „§ 167 Rück­wir­kung der Zu­stel­lung. Soll durch die Zu­stel­lung ei­ne Frist ge­wahrt wer­den oder die Verjährung neu be­gin­nen oder nach § 204 des Bürger­li­chen Ge­setz­buchs ge­hemmt wer­den, tritt die­se Wir­kung be­reits mit Ein­gang des An­trags oder der Erklärung ein, wenn die Zu­stel­lung demnächst er­folgt“.
58 S. Text: „§ 7 Wirk­sam­wer­den der Kündi­gung. Wird die Rechts­un­wirk­sam­keit ei­ner Kündi­gung nicht recht­zei­tig gel­tend ge­macht (§ 4 Satz 1, §§ 5 und 6), so gilt die Kündi­gung als von An-fang an rechts­wirk­sam“.
59 S. Text oben, S. 2 Fn. 1.

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vor­ab fest­zu­hal­ten, dass die­se fünf Ta­ge nach Er­halt des Kündi­gungs­schrei­bens ei­ne Be­spre­chung mit ih­rem Rechts­an­walt ar­ran­giert und die­sem – wie nach al­ler fo­ren­si­schen Er­fah­rung ver­mu­tet wer­den darf (s. oben, S. 3 [III.]) - Kla­ge­auf­trag er­teilt hat­te. Verhält es sich so, dann er­scheint evi­dent, dass sie das nach ih­ren Verhält­nis­sen men­schenmögli­che zur Wah­rung ih­rer Rech­te und der Ein­hal­tung der Kla­ge­frist ge­tan hat. Denn ge­nau dies ist der wohl­ver­stan­de­ne Sinn der Ein­schal­tung eben­so pro­fes­sio­nel­ler wie be­ru­fe­ner Sach­wal­ters auf dem Ge­biet ei­ner ge­ord­ne­ten Rechts­pfle­ge (§ 1 60 , § 3 61 BRAO): Wer sich im ar­beits­ge­richt­li­chen Ver­fah­ren (s. § 11 Abs. 2 Satz 1 ArbGG 62) dem Rechts­an­walt 63 zur Wah­rung sei­ner Be­lan­ge un­verzüglich an­ver­traut, darf bis zum Be­weis des Ge­gen­teils da­von aus­ge­hen, dass sei­ne An­ge­le­gen­heit dort in den rich­ti­gen Händen ist 64. Ins­be­son­de­re kann es bei sach­ge­rech­tem Verständ­nis nicht sei­ne Auf­ga­be sein, den so man­da­tier­ten Be­vollmäch­tig­ten wie­der­um sei­ner­seits oh­ne kon­kre­te Ver­an­las­sung zu „kon­trol­lie­ren“ 65. Dass sich die Kläge­rin hier­nach „erst“ am 14. Ju­ni 2011 und so­mit sechs Ta­ge nach Ab­lauf der Kla­ge­frist an das Büro ih­rer Be­vollmäch­tig­ten ge­wandt hat (s. oben, S. 3 [III.2.]), kann ihr so­mit nicht zum Vor­wurf ge­rei­chen 66.
2. Kann es auf die­sem Hin­ter­grund al­len­falls noch um die Fra­ge ge­hen, wel­che Rol­le die Be­hand­lung des Kla­ge­auf­trags im Büro ih­rer Be­vollmäch­tig­ten im Lich­te des § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG ge­spielt ha­be, so er­gibt sich auch un­ter die­sem Blick­win­kel kein an­de­res Er­geb­nis. Da­bei kann die von den Par­tei­en

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60 S. Text: „§ 1 Stel­lung des Rechts­an­walts in der Rechts­pfle­ge. Der Rechts­an­walt ist ein un­abhängi­ges Or­gan der Rechts­pfle­ge“.
61 S. Text: „§ 3 Recht zur Be­ra­tung und Ver­tre­tung. (1) Der Rechts­an­walt ist der be­ru­fe­ne un­abhängi­ge Be­ra­ter und Ver­tre­ter in al­len Rechts­an­ge­le­gen­hei­ten“.
62 S. Text: „§ 11 Pro­zess­ver­tre­tung. (1) … (2) Die Par­tei­en können sich durch ei­nen Rechts­an­walt als Be­vollmäch­tig­ten ver­tre­ten las­sen“.
63 S. zum Um­stand, dass im ar­beits­ge­richt­li­chen Ver­fah­ren nicht ein­mal Rechts­beistände als Pro­zess­be­vollmäch­tig­te zu­ge­las­sen sind, statt vie­ler BAG 21.4.1988 – 8 AZR 394/86 – BA­GE 58, 132 = AP § 11 ArbGG Pro­zess­ver­tre­ter Nr. 10 = NZA 1989, 151 [Leit­satz]: „Vor den Ar­beits­ge­rich­ten sind Rechts­beistände, die nach § 209 BRAO in die zuständi­ge Rechts­an­walts­kam­mer auf­ge­nom­men wur­den, nicht zur Pro­zess­ver­tre­tung be­fugt“; LAG Nie­der­sach­sen 13.3.2001 – 11 Ta 474/00 – AnwBl 2001, 523 = Rbei­stand 2002, 9 [Leit­satz].
64 S. prägnant et­wa schon BGH 24.10.1960 - III ZR 147/59 – BGHZ 33, 353 = NJW 1961, 310 = MDR 1961, 121 [II.2.]: „Da­mit, dass ein Rechts­an­walt ei­ne ge­setz­li­che Frist – sei es aus Un­kennt­nis oder aus Nachlässig­keit – versäum­en wer­de, braucht nicht ge­rech­net zu wer­den. Wer sei­ne Sa­che ei­nem Rechts­an­walt über­gibt, dar­auf grundsätz­lich dar­auf ver­trau­en, dass der rich­ti­ge Weg ge­gan­gen wird“.
65 S. da­zu statt vie­ler Fa­bi­an v. Schla­b­ren­dorff, Min­der­heits­vo­tum zu BVerfG 8.5.1973 - 2 BvL 5/72 u.a. - BVerfGE 35, 41 = NJW 1973, 1315 = MDR 1973, 829 [„Ju­ris“-Rn. 82]: „Die un­ter­le­ge­ne Par­tei gerät je­doch in ei­ne aus­weg­lo­se La­ge, wenn der von ihr be­auf­trag­te Rechts­an­walt ei­nen Feh­ler be­geht, der nicht aus­ge­gli­chen wer­den kann. Sie hat we­der An­lass noch Möglich­keit, die be­ruf­li­che Tätig­keit des An­walts zu be­auf­sich­ti­gen“.
66 S. im sel­ben Sin­ne et­wa BGH 24.10.1960 (Fn. 64) [II.3.]: „Auch der wei­te­re Ein­wand der Re­vi­si­on, die Kläge­rin ha­be – nach­dem sie ei­ni­ge Wo­chen nichts von Rechts­an­walt Dr. D. gehört ha­be – nach­fra­gen und auf so­for­ti­ge Schrit­te drängen müssen, ist un­be­gründet. So­lan­ge die Kläge­rin kei­nen An­laß zu Mißtrau­en hat­te – hierüber ist nichts vor­ge­tra­gen wor­den – konn­te sie nach der Be­auf­tra­gung ei­nes Rechts­an­walts grundsätz­lich da­von aus­ge­hen, dass die An­ge­le­gen­heit den rich­ti­gen Weg ge­hen wer­de“.

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ein­ge­hend erörter­te Fra­ge, ob die Be­vollmäch­tig­ten der Kläge­rin an der Verzöge­rung der Ein­rei­chung der Kündi­gungs­schutz­kla­ge ein Ver­schul­den trifft, an sich auf sich be­ru­hen. Die Zu­rech­nung frem­den Ver­schul­dens im Rechts­ver­kehr be­darf nämlich ei­ner kon­kre­ten Zu­rech­nungs­norm 67 , an der es hier fehlt. Ins­be­son­de­re ist dies­bezüglich die vom Be­klag­ten - be­greif­li­cher­wei­se - be­nann­te Vor­schrift des § 85 Abs. 2 ZPO 68 ent­ge­gen dies­bezügli­cher Ju­di­ka­tur der Ge­rich­te für Ar­beits­sa­chen nicht an­wend­bar (s. so­gleich, a.). Al­ler­dings wäre das Er­geb­nis selbst dann kein an­de­res, wenn man § 85 Abs. 2 ZPO für den Streit­fall her­an­zie­hen woll­te. Auch dann wäre die hie­si­ge Kündi­gungs­schutz­kla­ge hier viel­mehr (wohl) nachträglich zu­zu­las­sen ge­we­sen (s. näher un­ten, S. 31-32 [b.]). - In­so­fern, der Rei­he nach:
a. Wie be­reits zi­tiert, be­stimmt § 85 Abs. 2 ZPO, dass „das Ver­schul­den des Be­vollmäch­tig­ten dem Ver­schul­den der Par­tei gleich“ ste­he. Die­se Vor­schrift be­zieht sich al­ler­dings nicht auf die Verhält­nis­se im Vor­feld und bei Ein­rei­chung ei­ner Kündi­guns­schutz­kla­ge. So­weit sich der Zwei­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG) unlängst zur ge­gen­tei­li­gen An­sicht be­kannt hat 69, kann dem nicht ge­folgt wer­den. - In­so­fern, noch­mals, der Rei­he nach:
aa. An­ge­sichts sei­ner Stel­lung in der Pro­zess­ord­nung ist an­er­kannt, dass sich § 85 ZPO „in bei­den Absätzen le­dig­lich auf die pro­zes­sua­len Wir­kun­gen der Pro­zess­hand­lun­gen“ be­zieht 70. Da­nach geht es um „die Wir­kun­gen im Verhält­nis zu den übri­gen Pro­zess­be­tei­lig­ten im Rah­men des Pro­zess­rechts­verhält­nis­ses“ 71.

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67 S. hier­zu be­reits klipp und klar RG 3.11.1938 – IV 135/38 – RGZ 158, 357, 361: „Ein all­ge­mei­ner Grund­satz, dass der Ver­tre­te­ne für das Ver­schul­den sei­nes Be­vollmäch­tig­ten oder sons­ti­gen Ver­tre­ters in je­dem Fal­le ein­zu­ste­hen ha­be, ist dem gel­ten­den Rech­te fremd. Die Vor­schrift des § 278 BGB be­zieht sich nur auf die Erfüllung von Ver­bind­lich­kei­ten. § 232 Abs. 2 ZPO aber ist ei­ne nur für das Ge­biet des Pro­zes­ses gel­ten­de, auf den be­son­de­ren Verhält­nis­sen und Bedürf­nis­sen des Pro­zes­ses be­ru­hen­de Vor­schrift, die sich nicht oh­ne wei­te­res auf das außer­pro­zes­sua­le Ge­biet über­tra­gen lässt“; im An­schluss et­wa BGH 21.5.1951 – IV ZR 11/51 – BGHZ 2, 205, 207: „§ 232 Abs. 2 ZPO ist ei­ne nur für das Ge­biet des Pro­zess­rechts gel­ten­de, auf sei­nen be­son­de­ren Verhält­nis­sen und Bedürf­nis­sen be­ru­hen­de Son­der­vor­schrift (vgl. RGZ 158, 357, 361). Sie soll gewähr­leis­ten, dass die Par­tei, die ih­ren Pro­zess durch ei­nen Ver­tre­ter führen lässt, in je­der Wei­se so be­han­delt wird, als wenn sie den Pro­zess selbst geführt hätte“; s. aus neue­rer Zeit et­wa Wolf­gang Grun­sky, Anm. LAG Hamm [11.12.1980 – 8 Ta 173/80] EzA § 5 KSchG Nr. 8 [3]: „Grundsätz­lich braucht sich nie­mand das Ver­schul­den ei­nes Drit­ten zu­rech­nen zu las­sen; da­zu ist viel­mehr ei­ne Zu­rech­nungs­norm er­for­der­lich“.
68 S. Text: „§ 85 Wir­kung der Pro­zess­voll­macht. (1) Die von dem Be­vollmäch­tig­ten vor­ge­nom­men Pro­zess­hand­lun­gen sind für die Par­tei in glei­cher Art ver­pflich­tend, als wenn sie von der Par­tei selbst vor­ge­nom­men wären. Dies gilt von Geständ­nis­sen und an­de­ren tatsächli­chen Erklärun­gen, in­so­weit sie nicht von der mit­er­schie­ne­nen Par­tei so­fort wi­der­ru­fen oder be­rich­tigt wer­den. - (2) Das Ver­schul­den des Be­vollmäch­tig­ten steht dem Ver­schul­den der Par­tei gleich“.
69 S. BAG 11.12.2008 – 2 AZR 472/08 – BA­GE 129, 32 = AP § 4 KSchG 1969 Nr. 68 = NZA 2009, 692 = EzA § 5 KSchG Nr. 35.

70 So noch im­mer prägnant Die­ter Lei­pold, in: Fried­rich St­ein/Mar­tin Jo­nas (Be­gründer), ZPO, 20. Auf­la­ge (1984), § 85 Rn. 3.

71 S. Die­ter Lei­pold a.a.O.

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(1.) Da es sich so­mit um pro­zes­sua­le Rechts­fol­gen der Hand­lun­gen oder Un­ter­las­sun­gen des Be­vollmäch­tig­ten han­delt, ist § 85 Abs. 2 ZPO „bei der Versäum­ung von Verjährungs-, Aus­schluss- und Kla­ge­fris­ten“, die zur Un­zulässig­keit oder Un­be­gründet­heit der Kla­ge führen (sol­len), je­den­falls nicht un­mit­tel­bar an­wend­bar, so­weit es sich da­bei um außer­halb der ZPO ge­re­gel­te Fra­gen han­delt 72 . Das schließt al­ler­dings nicht aus, dass bei nor­ma­tiv gleich zu ach­ten­der In­ter­es­sen­la­ge auch ei­ne ent­spre­chen­de An­wen­dung des § 85 Abs. 2 ZPO in Be­tracht ge­zo­gen wer­den kann 73.
(2.) Was auf die­sem Hin­ter­grund die hie­si­ge Kla­ge­frist nach § 4 Satz 1 KSchG an­be­langt, so galt den Ge­rich­ten für Ar­beits­sa­chen über Jahr­zehn­te hin­weg als aus­ge­macht, dass die­ser kein pro­zes­sua­ler Cha­rak­ter zu­kom­me, son­dern le­dig­lich ma­te­ri­el­le Be­deu­tung 74 : Ih­re Versäum­ung be­wirk­te – im Un­ter­schied zur heu­ti­gen Gesetzeslage75 - le­dig­lich, dass sich der Prüfungs­um-fang in­so­fern ver­eng­te, als spe­zi­ell die So­zi­al­wid­rig­keit ei­ner Kündi­gung nicht mehr gerügt wer­den konn­te 76. Die­se Sicht ver­an­lass­te das LAG Ber­lin da­her

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72 S. Die­ter Lei­pold (Fn. 70) § 85 Rn. 9.
73 So in der Tat auch Die­ter Lei­pold (Fn. 70) § 85 Rn. 23 zu § 5 KSchG im Kündi­gungs­schutz­pro­zess.
74 S. statt vie­ler BAG 20.9.1955 – 2 AZR 317/55 – AP § 3 KSchG Nr. 7 [Leit­satz]: „Die 3-Wo­chen­frist des § 3 KSchG ist ei­ne Aus­schluss­frist; ih­re Versäum­ung be­gründet kei­ne pro­zess­hin­dern­de Ein­re­de im Sin­ne des § 538 Abs. 1 Nr. 2 ZPO“; 16.1.1961 – 2 AZR 197/58 – BA­GE 10, 302 = AP § 6 KSchG Nr. 1 = MDR 1961, 448 [I.1.]: „Das an­ge­foch­te­ne Ur­teil meint, die Wah­rung der Kla­ge­frist des § 3 KSchG [§ 4 n.F.; d.U.] sei ei­ne Pro­zess­vor­aus­set­zung. Dem ist nicht zu­zu­stim­men. Die Drei-Wo­chen­frist des § 3 KSchG ist viel­mehr ei­ne ma­te­ri­ell-recht­li­che Aus­schluss­frist“; s. mit ähn­li­cher Ten­denz auch be­reits BGH 24.10.1960 (Fn. 64) [II.1.]: „Denn Art. 8 Abs. 6 des Fi­nanz­ver­tra­ges knüpft an die Versäum­ung der Frist nicht le­dig­lich ei­nen ver­fah­rens­recht­li­chen Nach­teil, son­dern ei­ne ma­te­ri­el­le Rechts­fol­ge, den Ver­lust des An­spruchs; die Vor­schrift re­gelt al­so we­der ei­ne Wie­der­ein­set­zung in den vo­ri­gen Stand noch ei­ne Nach­sicht­gewährung. Wenn es aber um die Be­sei­ti­gung oder Hint­an­hal­tung ei­ner ma­te­ri­el­len Rechts­fol­ge geht, kann mit Recht be­zwei­felt wer­den, ob ei­ne ent­spre­chen-de An­wen­dung des § 233 ZPO, der – un­be­scha­det des ma­te­ri­el­len Rechts­be­stan­des – al­le pro­zes­sua­le Nach­tei­le zu be­sei­ti­gen be­stimmt ist, dem ge­setz­ge­be­ri­schen Wil­len ge­recht wird. … Wie­weit dem [§ 232 Abs. 2 ZPO; d.U.] ein all­ge­mei­ner Rechts­ge­dan­ke zu­grun­de liegt, … braucht hier je­doch nicht ent­schie­den zu wer­den, weil es hier nicht um die Be­sei­ti­gung ei­nes pro­zes­sua­len, son­dern um die Ver­mei­dung ei­nes ma­te­ri­el­len Nach­teils geht“; eben­so noch BAG 28.4.1983 – 2 AZR 438/81 – BA­GE 42, 294 = AP § 5 KSchG 1969 Nr. 4 [B.I.]: „Zu­tref­fend ist das Be­ru­fungs­ge­richt da­von aus­ge­gan­gen, die Kla­ge­frist von 3 Wo­chen nach § 4 KSchG sei ei­ne ma­te­ri­el­le Aus­schluss­frist und kei­ne Pro­zess­vor­aus­set­zung für die Fest­stel­lungs­kla­ge“.
75 So sind durch der Neu­fas­sung (u.a.) der §§ 4, 7 und 13 KSchG durch Art. 1 des Ge­set­zes zu Re­for­men am Ar­beits­markt vom 24.12.2003 (BGBl. I S. 3002) be­kannt­lich seit 1.1.2004 sämt­li­che Prüfungs­maßstäbe an die Wah­rung der Kla­ge­frist ge­bun­den; s. BT-Drs. 15/1204 S. 13 [Zu Num­mer 3 (§ 4)]: „Mit der Ände­rung der Vor­schrift wird fest­ge­legt, dass für al­le Fälle der Rechts­un­wirk­sam­keit ei­ner Ar­beit­ge­berkündi­gung ei­ne ein­heit­li­che Kla­ge­frist gilt. Der Ar­beit­neh­mer muss die Rechts­un­wirk­sam­keit der Kündi­gung un­abhängig von dem Grund der Un­wirk­sam­keit in­ner­halb ei­ner Frist von drei Wo­chen nach Zu­gang der Kündi­gung gel­tend ma­chen“. - Da­mit hat das Pro­blem der Ver­schul­dens­zu­rech­nung ge­genüber dem her­ge­brach­ten Zu­stand des KSchG 1951 und des KSchG 1969 ei­ne weit­aus höhe­re Bri­sanz ge­won­nen; d.U.
76 S. be­reits BAG 16.1.1961 (Fn. 73) [Leit­satz 2.]: „§ 6 KSchG [§ 7 n.F.; d.U.] über­brückt mit der Fik­ti­on der Rechts­wirk­sam­keit der Kündi­gung le­dig­lich das Feh­len der im § 1 Abs. 2 KSchG ge­nann­ten Gründe“; s. auch auch schon Al­fred Hu­eck, RdA 1949, 331, 335 (für den Ent­wurf

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noch im Jah­re 1975 da­zu, ei­ner ent­spre­chen­den An­wen­dung des § 232 Abs. 2 ZPO 77 als Vorläufer des § 85 Abs. 2 ZPO mit der Be­gründung die An­er­ken­nung zu ver­sa­gen, dass al­lein die Möglich­keit nachträgli­cher Zu­las­sung nach § 5 KSchG die Kla­ge­frist des § 4 Satz 1 KSchG „noch nicht zu ei­ner Pro­zess­frist“ ma­che 78 . - Al­ler­dings hat das BAG sei­ne Ju­di­ka­tur zur Rechts­na­tur der Kla­ge­frist hier­nach 79 im Jah­re 1986 80 geändert 81: Da­nach sei dem Ar­beit­neh­mer durch § 4 Satz 1 KSchG „nur be­fris­tet die Möglich­keit eröff­net, Rechts­schutz

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ei­nes Kündi­gungs­schutz­ge­set­zes der so­ge­nann­ten „Bi-Zo­ne“ vom 20.7.1949: „Die Aus­schluss­frist von drei Wo­chen gilt nur für die Gel­tend­ma­chung der So­zi­al­wid­rig­keit der Kündi­gung. An­de­re Mängel der Kündi­gung z.B. Ge­setz- oder Ta­rif­wid­rig­keit, … [usw.] können auch später noch gel­tend ge­macht wer­den“.
77 S. Text: „§ 232. (1) … (2) In­so­fern die Auf­he­bung der Fol­gen ei­ner un­ver­schul­de­ten Versäum­ung zulässig ist, wird ei­ne Versäum­ung, die in dem Ver­schul­den ei­nes Ver­tre­ters ih­ren Grund hat, als ei­ne un­ver­schul­de­te nicht an­ge­se­hen“.
78 S. LAG Ber­lin 8.12.1975 – 5 Ta 7/75 – n.v. (Be­richt: AnwBl 1976, 86) [II.4.]: „Zwar be­inhal­tet § 232 Abs. 2 ZPO den all­ge­mei­nen Grund­satz, dass ei­ne Frist­versäum­ung ei­nes Ver­tre­ters auch dann ver­schul­det ist, wenn sie le­dig­lich im Ver­schul­den des Ver­tre­ters ih­ren Grund hat. Die­ser Grund­satz be­trifft aber nur so­ge­nann­te Not­fris­ten, d.h. Fris­ten des Pro­zess­rechts, wie aus § 232 Abs. 1 ZPO her­vor­geht, wo Fris­ten des Ein­spruchs ge­gen Versäum­nis­ur­tei­le, zur Be­ru­fung, Re­vi­si­on und so­for­ti­gen Be­schwer­de erwähnt sind. Wenn auch § 5 KSchG in­so­weit Pro­zess­recht enthält, als ein be­son­de­res ge­richt­li­ches Ver­fah­ren zur nachträgli­chen Kla­ge­zu­las­sung eröff­net wird, so wird doch die Kla­ge­frist des § 4 KSchG noch nicht zu ei­ner Pro­zess­frist. Bei der Drei-Wo­chen-Frist des § 4 KSchG han­delt es sich viel­mehr um ei­ne Aus­schluss­frist des ma­te­ri­el­len Rechts (…). … - We­gen der un­ter­schied­li­chen Rechts­na­tur der bei­den Fris­ten ver­bie­tet sich aber auch ei­ne ana­lo­ge An­wen­dung des § 232 Abs. 2 ZPO [usw.]“; eben­so zu­vor schon ArbG Ber­lin 7.2.1973 – 10 Ca 465/72 – AP § 5 KSchG 1969 Nr. 1 [Leit­satz]: „Im Ver­fah­ren auf nachträgli­che Zu­las­sung ei­ner ver­spätet er­ho­be­nen Kündi­gungs­schutz­kla­ge braucht sich der Ar­beit­neh­mer ein et­wai­ges Ver­schul­den sei­nes Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten nicht an­rech­nen zu las­sen. § 232 Abs. 2 ZPO fin­det kei­ne An­wen­dung“.
79 S. hier­zu auch schon W. Her­schel, (ab­leh­nen­de) Anm. zu ArbG Ber­lin 7.2.1973 (Fn. 78) [2.]: „Frei­lich hat sich die ge­gen­tei­li­ge, im Er­geb­nis zu­tref­fen­de h.M. selbst überflüssi­ge Schwie­rig­kei­ten be­rei­tet, in­dem sie, so­gar vom BAG un­terstützt, die Frist des § 4 KSchG nicht für ei­ne Pro­zess­frist, son­dern für ei­ne Frist des ma­te­ri­el­len Rechts hält. Die­se Qua­li­fi­ka­ti­on ist falsch, und der Be­schluss soll­te An­lass sein, das Pro­blem noch­mals zu über­den­ken“.
80 S. BAG 26.6.1986 – 2 AZR 358/85 – BA­GE 52, 263 = AP § 4 KSchG 1969 Nr. 14 = NZA 1986, 761 [Leit­satz und B.II.3 b.]: „Geht in­ner­halb der Frist des § 4 KSchG beim Ar­beits­ge­richt ein nicht un­ter­zeich­ne­ter, je­doch im übri­gen den Er­for­der­nis­sen ei­ner Kla­ge­schrift ent­spre­chen­der Schrift­satz ein, so kann der Man­gel der Nicht­un­ter­zeich­nung frist­wah­rend nach § 295 ZPO ge­heilt wer­den (...)“; „Die Nicht­er­he­bung der Kla­ge in­ner­halb von drei Wo­chen führt zwar in­fol­ge der Re­ge­lung in § 7 KSchG da­zu, dass die Kla­ge we­gen Versäum­ung der Aus­schluss­frist als un­be­gründet ab­zu­wei­sen ist (BAG 20.9.1955 [s. oben, Fn. 74]; BAG 28.4.1983 [s oben, Fn. 74]), dies be­deu­tet aber nicht zwangsläufig, die in § 4 KSchG be­stimm­te Not­wen­dig­keit der frist­ge­bun­de­nen Kla­ge­er­he­bung sei dem ma­te­ri­el­len Rechts­be­reich zu­zu­ord­nen (…). Die Drei-Wo­chen-Frist ist viel­mehr ei­ne pro­zes­sua­le Kla­ge­er­he­bungs­frist“.
81 S. im An­schluss auch BAG 6.8.1987 – 2 AZR 553/86 – n.v. („Ju­ris“) [II.2 c.]; 24.6.2004 – 2 AZR 461/03 – AP § 620 BGB Kündi­gungs­erklärung Nr. 22 = NZA 2004, 1330 [B.I.1.]: „Die Versäum­ung die­ser pro­zes­sua­len Frist hat die ma­te­ri­ell-recht­li­che Wir­kung, dass die so­zia­le Recht­fer­ti­gung ei­ner Kündi­gung nicht wei­ter über­prüft wer­den kann und mögli­che Mängel der So­zi­al­wid­rig­keit ge­heilt wer­den (...)“; s. auch – be­rich­tend – BVerfG 25.2.2000 – 1 BvR 1363/99 – AP § 5 KSchG 1969 Nr. 13 = NZA 2000, 789 = MDR 836 [B.I.1 c.]: „Die 3-Wo­chen-Frist des § 4 KSchG wird von der Recht­spre­chung als pro­zes­sua­le Kla­ge­er­he­bungs­frist an­ge­se­hen (BAG 6.8.1987 [s. oben])“.

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we­gen der of­fe­nen ma­te­ri­el­len Rechts­la­ge zu be­geh­ren“ 82 . Die Versäum­ung der Frist ha­be „so­mit un­mit­tel­bar den Ver­lust des Kla­ge­rechts zu Fol­ge“, das ma­te­ri­el­le Recht sei „des Rechts­schut­zes be­raubt“, sie sei „so­mit ei­ne pro­zes­sua­le Frist (so rich­tig [Max] Voll­kom­mer, AcP 161 [1961], 332 ff.83 )“ 84 .
(3.) Was nun die Zu­rech­nung et­wai­gen An­walts­ver­schul­dens an­be­langt, so ist ge­ra­de schon erwähnt (s. oben, S. 10 [a.]), dass sich der Zwei­te Se­nat des BAG neu­er­dings dafür ent­schie­den hat, § 85 Abs. 2 ZPO auch im Blick auf die Kla­ge­frist des § 4 Satz 1 KSchG als sach­lich ein­schlägi­ge Zu­rech­nungs­norm an­zu­se­hen 85, zu­mal es sich da­bei nach ei­ge­ner Ju­di­ka­tur um „ei­ne pro­zes­sua­le Kla­ge­er­he­bungfrist“ han­de­le, die eben nicht „als ma­te­ri­ell-recht­li­che Frist zu qua­li­fi­zie­ren“ sei 86.
ab. Das über­zeugt nicht. Al­ler­dings ver­kennt die Kam­mer nicht, dass der Se­nat sei­ne Ent­schei­dung vom De­zem­ber 2008 mit dem an sich äußerst wünschens­wer­ten Ziel, die stre­cken­wei­se zu­tiefst verhärte­ten Front­stel­lun­gen 87 der di­ver­gie­ren­den Mei­nungs­la­ger be­fass­ter LAG-Be­zir­ke zu über­win­den, eben­so sorgfältig wie gründ­lich aus­ge­ar­bei­tet hat. Gleich­wohl ver­mag sie dem Er­geb­nis aber nicht bei­zu­tre­ten:
(1.) Ge­dank­li­cher Aus­gangs­punkt kann nur der gleich­falls schon vor­aus­ge­schick­te (s. oben, S. 10 [vor a.]) Ge­sichts­punkt sein, dass sich die Fol­gen­zu­wei­sung für frem­des Ver­schul­den nach gel­ten­der Rechts­ord­nung nicht von selbst ver­steht, son­dern ei­ner spe­zi­fi­schen Zu­rech­nungs­norm be­darf. Sol­che Zu­rech­nungs­nor­men hält das ko­di­fi­zier­te Recht auch nicht als Ge­ne­ral­klau­sel

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82 S. BAG 26.6.1986 (Fn. 80) [B.II.3 b.].
83 S. Max Voll­kom­mer, Be­gründet die Drei­wo­chen­frist des § 3 des Kündi­gungs­schut­zes ei­ne be­son­de­re Pro­zess­vor­aus­set­zung oder ist sie ei­ne ma­te­ri­ell­recht­li­che Frist? - Ein Bei­trag zur Leh­re von den Kla­ge­fris­ten, AcP 161 (1962), S. 332-356; s. da­zu noch un­ten, S. 20-22.
84 S. BAG 26.6.1986 (Fn. 80) [B.II.3 b.].
85 S. BAG 11.12.2008 (Fn. 69) [Leit­satz]: „Das Ver­schul­den ei­nes (Pro­zess-)Be­vollmäch­tig­ten an der Versäum­ung der ge­setz­li­chen Kla­ge­frist (§ 4 Satz 1 KSchG) bei ei­ner Kündi­gungs-schutz­kla­ge ist dem kla­gen­den Ar­beit­neh­mer nach § 85 Abs. 2 ZPO zu­zu­rech­nen“.
86 S. BAG 11.12.2008 (Fn. 69) [B.II.2 c.]: „Die­se An­wend­bar­keit kann nicht mit dem Ar­gu­ment ab­ge­lehnt wer­den, bei der Kla­ge­frist des § 4 Satz 1 KSchG han­de­le es sich um ei­ne ma­te­ri­ell-recht­li­che und kei­ne pro­zes­sua­le Frist. Nach der Recht­spre­chung des Se­nats ist die Frist des § 4 Satz 1 KSchG ei­ne pro­zes­sua­le Kla­ge­er­he­bungs­frist und nicht als ma­te­ri­ell-recht­li­che Frist zu qua­li­fi­zie­ren (BAG 26.6.1986 [s. oben, Fn. 80]; 24.6.2004 [s. oben, Fn. 81])“.
87 S. hier­zu statt vie­ler et­wa die Be­ob­ach­tun­gen schon bei Wolf­gang Grun­sky, (Fn. 67) [1.]: „tief­grei­fen­de Mei­nungs­ver­schie­den­heit“, „Verschärfung des Tons“; Max Voll­kom­mer, in: Fried­helm Farth­mann/Pe­ter Ha­nau/Udo Isen­hardt/Ul­rich Preis, Fest­schrift für Eu­gen Stahl­ha­cke (1995), S. 599, 601: „Die Ver­tre­ter der ver­schie­de­nen Stand­punk­te ste­hen sich in­zwi­schen in ,La­gern' schroff ge­genüber. … In der Aus­ein­an­der­set­zung sind ,schar­fe', ja ideo­lo­gisch gefärb­te Töne nicht zu überhören, wie der ge­genüber h.M. er­ho­be­ne Vor­wurf der Be­fan­gen­heit in ,über­kom­me­nen Denk­ge­wohn­hei­ten' im Sin­ne ei­ner über­hol­ten Be­griffs­ju­ris­pru­denz“; kenn­zeich­nend (und sehr le­sen­wert) auch LAG Nie­der­sach­sen 27.7.2000 – 5 Ta 799/99 – LA­GE § 5 KSchG Nr. 98 = MDR 2001, 40 [Leit­satz 2.]: „Da sich in der seit ge­rau­mer Zeit kon­tro­vers geführ­ten Rechts­dis­kus­si­on zur An­wen­dung des § 85 Abs. 2 ZPO bei ver­späte­ter Kla­ge­er­he­bung durch Ver­tre­ter­ver­schul­den zwi­schen so­wie teil­wei­se auch in­ner­halb der Lan­des­ar­beits­ge­rich­te kei­ne ein­heit­li­che Rechts­auf­fas­sung ab­zeich­net, er­geht der drin­gen­de Ap­pell an den Ge­setz­ge­ber, in die­sem ,un­end­li­chen Streit' für Rechts­klar­heit zu sor­gen“.

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be­reit, son­dern le­dig­lich als je­weils punk­tu­el­len In­ter­es­sen­aus­gleich, wie er bei­spiels­wei­se in den Vor­schrif­ten der §§ 31 88 , 278 Satz 1 89 , 831 Abs. 1 Satz 1 BGB 90 oder eben auch – im Fa­den­kreuz der hie­si­gen De­bat­te – in § 85 Abs. 2 ZPO 91 für die an­walt­li­che Tätig­keit im Rah­men zi­vil­ge­richt­li­cher Pro­zes­se an­zu­tref­fen ist.
(2.) In die­sem Zu­sam­men­hang ist im Spe­zi­al­schrift­tum schon vor mehr als dreißig Jah­ren me­tho­disch über­zeu­gend her­aus­ge­ar­bei­tet wor­den, dass sich die Ant­wort auf die Fra­ge nach der An­wend­bar­keit des § 85 Abs. 2 ZPO – je-den­falls, so­weit sie be­jaht wer­den können soll - aus der Re­ge­lung sel­ber er­ge­ben muss 92, sei es in di­rek­ter, sei es in ent­spre­chen­der An­wen­dung. Da­mals ist gleich­falls be­reits zu Recht dar­auf ver­wie­sen wor­den, dass maßgeb­li­cher Be­zugs­punkt für das Ver­schul­den die in § 85 Abs. 1 ZPO 93 erwähn­te Pro­zess­hand­lung zu sein ha­be und nichts an­de­res 94. Rich­tig bleibt da­bei, dass sich ggf. noch im­mer der ge­genläufi­ge Ge­set­zes­be­fehl er­ge­ben kann, wo­nach al­so im spe­zi­fi­schen Sach­be­reich im Vor­feld der Kündi­gungs­schutz­kla­ge das all­ge­mei­ne zi­vil­pro­zes­sua­le Re­gle­ment hint­an­ste­hen sol­le. Auch das bedürf­te dann frei­lich po­si­ti­ver Be­gründung. - Um mit dem Letz­te­ren zu be­gin­nen:
(a.) Es ist (nicht nur) in der neu­e­re­ren Ju­di­ka­tur der Ver­such un­ter­nom­men wor­den, die Nicht­an­wend­bar­keit des § 85 Abs. 2 ZPO auf die Kla­ge­frist in § 4 Satz 1 KSchG dar­aus her­zu­lei­ten, dass § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG ein im Ver-gleich zu den ursprüng­li­chen Wie­der­ein­set­zungs­vor­schrif­ten der §§ 233 Abs. 1 95 , 232 Abs. 2 ZPO 96 a.F. 97 , aus de­nen die Zu­rech­nung an­walt­li­chen Ver­schul­dens nach § 85 Abs. 2 ZPO im Zu­ge der Be­schleu­ni­gungs­no­vel­le des

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88 S. Text: „§ 31 Haf­tung des Ver­eins für Drit­te. Der Ver­ein ist für den Scha­den ver­ant­wort­lich, den der Vor­stand, ein Mit­glied des Vor­stands oder ein an­de­rer ver­fas­sungs­gemäß be­ru­fe­ner Ver­tre­ter durch ei­ne in Ausführung der ihm zu­ste­hen­den Ver­rich­tun­gen be­gan­ge­ne, zum Scha­dens­er­satz ver­pflich­ten­de Hand­lung ei­nem Drit­ten zufügt“.
89 S. Text: „§ 278 Ver­ant­wort­lich­keit des Schuld­ners für Drit­te. Der Schuld­ner hat ein Ver­schul­den sei­nes ge­setz­li­chen Ver­tre­ters und der Per­so­nen, de­ren er sich zur Erfüllung sei­ner Ver­bind­lich­keit be­dient, in glei­chem Um­fang zu ver­tre­ten wie ege­nes Ver­schul­den“.
90 S. Text: „§ 831 Haf­tung für den Ver­rich­tungs­ge­hil­fen. (1) Wer ei­nen an­de­ren zu ei­ner Ver­rich­tung be­stellt, ist zum Er­satz des Scha­dens ver­pflich­tet, den der an­de­re in Ausführung der Ver­rich­tung ei­nem Drit­ten wi­der­recht­lich zufügt“.
91 S. Text oben, S. 10 Fn. 68.
92 S. Wolf­gang Grun­sky (Fn. 67) [3 b, bb.]: „Die Ant­wort muss sich aus § 85 Abs. 2 ZPO er­ge­ben“; eben­so Max Voll­kom­mer (Fn. 87) S. 606 [vor III.]: „Die Lösung muss viel­mehr in § 85 II ZPO selbst ge­sucht wer­den“.
93 S. Text oben, S. 10 Fn. 68; zur Er­in­ne­rung: „Die von dem Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten vor­ge­nom­me­nen Pro­zess­hand­lun­gen … “.
94 S. Wolf­gang Grun­sky (Fn. 67) [3 b, bb.]: „Be­zugs­punkt für das Ver­schul­den ist da­bei die in § 85 Abs. 1 ZPO erwähn­te Pro­zess­hand­lung; bei ih­rer Vor­nah­me bzw. Un­ter­las­sung muss ein Ver­schul­den vor­lie­gen“.
95 S. Text: „§ 233. (1) Ei­ner Par­tei, die durch Na­tur­er­eig­nis­se oder an­de­re un­ab­wend­ba­re Zufälle ver­hin­dert ist, ei­ne Not­frist oder die Frist zur Be­gründung der Be­ru­fung oder der Re­vi­si­on ein­zu­hal­ten, ist auf An­trag die Wie­der­ein­set­zung in den vo­ri­gen Stand zu er­tei­len“.
96 S. Text oben, S. 12 Fn. 77.
97 S. Neu­veröffent­li­chung der ZPO in BGBl. I 1950 S. 555.

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Jah­res 1976 98 her­vor­ge­gan­gen ist, sprach­lich deut­lich ab­wei­chen­des Er­schei­nungs­bild auf­weist 99 . - Nun ist das zwar rich­tig. Es reicht zur Be­gründung des be­sag­ten Gel­tungs­be­fehls für sich ge­nom­men aber wohl nicht aus: In­so­fern ist es zum bes­se­ren Verständ­nis hilf­reich, sich auf den Ur­sprung ko­dif­zier­ter Kla­ge­fris­ten nach Kündi­gung zurück­zu­be­sin­nen. Pro­to­typ und Vor­bild sämt­li­cher Fol­ge­be­stim­mun­gen war nämlich die Re­ge­lung in § 90 des Be­triebsräte­ge­set­zes vom 4. Fe­bru­ar 1920 (BRG 100), die sich un­ter an­de­rem auf § 84 BRG 101 be­zog und für die Versäum­ung der dor­ti­gen Fünf-Ta­ges-Frist die Möglich­keit ei­ner „Wie­der­ein­set­zung in den vo­ri­gen Stand“ eröff­ne­te 102 . Dort be­stand so­mit nicht nur auf der Tat­be­stands- („Na­tur­er­eig­nis­se“, „un­ab­wend­ba­re Zufälle“), son­dern auch auf der Rechts­fol­gen­sei­te („Wie­der­ein­set­zung“) sprach­li­cher Gleich­klang mit den eben schon zi­tier­ten Be­stim­mun­gen des § 233 Abs. 1 ZPO 103. Ei­ne Verände­rung die­ses Zu­stands er­brach­te dann ei­ne Re­ge­lung in den Durchführungs­be­stim­mun­gen zu § 56 AOG 104 (1934): In der Vier­zehn­ten

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98 S. Ge­setz zur Ver­ein­fa­chung und Be­schleu­ni­gung ge­richt­li­cher Ver­fah­ren (Ver­ein­fa­chungs­no­vel­le) vom 3.12.1976 (BGBl. I S. 3281 ff.) [Ar­ti­kel 1 Nr. 4]: „In § 85 wird fol­gen­der Ab­satz an­gefügt: ,(2) Das Ver­schul­den des Be­vollmäch­tig­ten steht dem Ver­schul­den der Par­tei gleich'“; [Ar­ti­kel 1 Nr. 20]: „§ 232 fällt weg; § 233 wird wie folgt ge­fasst: ,§ 233 – War ei­ne Par­tei oh­ne ihr Ver­schul­den ver­hin­dert, ei­ne Not­frist oder die Frist zur Be­gründung der Be­ru­fung, der Re­vi­si­on oder der Be­schwer­de nach §§ 621 e, 629 a Abs. 2 oder die Frist des § 234 Abs. 1 ein­zu­hal­ten, so ist ihr auf An­trag Wie­der­ein­set­zung in den vo­ri­gen Stand zu gewähren“.
99 S. Hes­si­sches LAG 10.9.2002 – 15 Ta 98/02 – n.v. („Ju­ris“) [II.]: „Tra­gen­der Grund dafür, § 85 Abs. 2 ZPO we­der un­mit­tel­bar noch ana­log ein­zu­set­zen, ist die Aus­le­gung des § 5 Abs. 1 KSchG, wo­bei es nicht von ent­schei­den­der Be­deu­tung ist, ob man die Frist als pro­zes­su­al, ma­te­ri­ell oder als pro­zes­su­al-ma­te­ri­ell ein­ord­net (…). Nach Wort­laut und Sinn und Zweck die­ser sehr stren­gen Be­stim­mun­gen hat der Ar­beit­neh­mer al­les ihm Mögli­che zu tun, um die 3-Wo­chen­frist des § 4 Satz 1 KSchG zu wah­ren, selbst leich­te Fahrlässig­keit wird ihm in­so­weit re­gelmäßig scha­den (…). Hat aber der Ar­beit­neh­mer in­ner­halb noch of­fe­ner Frist recht-zei­tig z.B. ei­nen Rechts­an­walt mit der Er­he­bung ei­ner Kündi­gungs­schutz­kla­ge be­auf­tragt und die­sen dies­bezüglich kor­rekt (spe­zi­ell über den Ar­beit­ge­ber und den Zu­gang der Kündi­gung) in­for­miert, hat er selbst re­gelmäßig al­les in sei­ner Macht Ste­hen­de ge­tan, um die Kla­ge­frist ein­zu­hal­ten. Mehr ver­langt die Norm nicht. Es kann we­der vom Wort­laut der Norm her noch von de­ren Norm­zweck her an­ge­nom­men wer­den, dass der Ar­beit­neh­mer auch für ein Ver­schul­den sei­nes Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten ein­zu­ste­hen hätte“.
100 S. Be­triebsräte­ge­setz vom 4.2.1920 (RGBl. S. 147).
101 S. Text: „§ 84. Ar­beit­neh­mer können im Fal­le der Kündi­gung sei­tens des Ar­beit­ge­bers bin­nen fünf Ta­gen nach der Kündi­gung Ein­spruch er­he­ben, in dem sie den Ar­bei­ter- oder An­ge­stell­ten­rat an­ru­fen: - 1. wenn … [usw.] - 4. wenn die Kündi­gung sich als ei­ne un­bil­li­ge, nicht durch das Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers oder durch die Verhält­nis­se des Be­triebs be­ding­te Härte dar­stellt“.
102 S. Text: „§ 90. Wird in den Fällen der §§ 81 bis 89 die Ein­hal­tung der Fris­ten durch Na­tur­er­eig­nis­se oder an­de­re un­ab­wend­ba­re Zufälle ver­hin­dert, so fin­det Wie­der­ein­set­zung in den vo­ri­gen Stand nach nähe­rer Vor­schrift der Ausführungs­be­stim­mun­gen statt“; s. zu den er-wähn­ten Ausführungs­vor­schrif­ten die Ver­ord­nung zur Ausführung des Be­triebsräte­ge­set­zes vom 5.6.1920 (RGBl. S. 1139-1140; Text­aus­zug: „§ 1. Die Wie­der­ein­set­zung in den vo­ri­gen Stand fin­det un­ter den Vor­aus­set­zun­gen des § 90 des Be­triebsräte­ge­set­zes durch Be­schluss des Sch­lich­tungs­aus­schus­ses oder der ver­ein­bar­ten Schieds­stel­le (§ 82 Abs. 3) statt. - § 2 Der An­trag auf Wie­der­ein­set­zung muss in­ner­halb ei­ner zweiwöchi­gen Frist ge­stellt wer­den. … [usw.]“.
103 S. Text oben, S. 14 Fn. 95.
104 S. § 56 des Ge­set­zes zur Ord­nung der na­tio­na­len Ar­beit (AOG) vom 20.1.1934 (RGBl. I S. 45); Text­aus­zug: „§ 56. (1) Wird ei­nem An­ge­stell­ten oder Ar­bei­ter nach einjähri­ger Beschäfti­gung in dem glei­chen Be­trieb oder in dem glei­chen Un­ter­neh­men gekündigt, so kann er,

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Ver­ord­nung zur Durchführung des AOG vom 15. Ok­to­ber 1935 105 tauch­te in § 6 a.a.O. erst­mals je­ne For­mel von der „An­wen­dung al­ler … zu­mut­ba­ren Sorg­falt“ auf 106, die das ge­schrie­be­ne Recht bis heu­te be­stimmt. Von hier­her pflanz­te sich das sprach­li­che Vor­bild zunächst in lan­des­ge­setz­li­chen Ko­di­fi­ka­tio­nen zum Be­triebsräte- und Kündi­gungs­schutz­recht fort, ehe es sich so­dann zur Re­ge­lung auf Bun­des­ebe­ne so­wohl im so­ge­nann­ten „Hat­ten­hei­mer Ent­wurf“ von Ar­beit­ge­ber- und Ge­werk­schafts­sei­te im Ja­nu­ar 1950 107 als auch im Re­gie­rungs­ent­wurf des Jah­res 1950 108 für das Kündi­gungs­schutz­ge­setz 1951 109 als Fort­schrei­bung „frühe­ren Rechts“ 110 wie­der­fand. - Al­ler­dings ent­stamm­te die sprach­li­che Neuschöpfung kei­nes­wegs „in­no­va­ti­vem“ Geist sei­ner na­tio­nal­so­zia­lis­tisch ge­prägten Ent­ste­hungs­epo­che: Sie war viel­mehr, wor­auf in der hie­si­gen De­bat­te um die Zu­rech­nung an­walt­li­chen Ver­schul­dens schon wie­der­holt hin­ge­wie­sen wur­de 111, der Ent­wick­lung der Ju­di­ka­tur des Reichs­ge­richts (RG) zum Wie­der­ein­set­zungs­recht ge­schul­det, die be­reits im Sep­tem­ber 1919 in die Be­to­nung der sub­jek­ti­ven Möglich­kei­ten des Ein­zel­nen gemündet war 112. Was da­ne­ben den ter­mi­no­lo­gi­schen Wan­del auf der Rechts­fol­gen-

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wenn es sich um ei­nen Be­trieb mit in der Re­gel min­des­tens zehn Beschäftig­ten han­delt, bin­nen zwei Wo­chen nach Zu­gang der Kündi­gung beim Ar­beits­ge­richt mit dem An­trag auf Wi­der­ruf der Kündi­gung kla­gen, wenn die­se un­bil­lig hart und nicht durch die Verhält­nis­se des Be­trie­bes be­dingt ist“.
105 S. Vier­zehn­te Ver­ord­nung zur Durchführung des Ge­set­zes zur Ord­nung der na­tio­na­len Ar­beit vom 15.10.1935 (RGBl. I S. 1240).
106 S. Text: „§ 6. (1) War ein An­ge­stell­ter oder Ar­bei­ter nach er­folg­ter Kündi­gung trotz An­wen­dung al­ler ihm nach La­ge der Umstände zu­zu­mu­ten­den Sorg­falt ver­hin­dert, die Frist zur Er­he­bung der Kla­ge auf Wi­der­ruf der Kündi­gung (§ 56 Abs. 1 des Ge­set­zes zur Ord­nung der na­tio­na­len Ar­beit) ein­zu­hal­ten, so ist ihm auf An­trag die Wie­der­ein­set­zung in den vo­ri­gen Stand zu gewähren“.
107 S. Text­ab­druck in RdA 1950, 63-65 mit Kom­men­tie­rung Al­fred Hu­eck, RdA 1950, 65-67; Text­aus­zug: „§ 8 Zu­las­sung ver­späte­ter Kla­gen. (1) War ein Ar­beit­neh­mer nach er­folg­ter Kündi­gung trotz An­wen­dung al­ler ihm nach La­ge der Umstände zu­zu­mu­ten­den Sorg­falt ver­hin­dert, die Kla­ge in­ner­halb von drei Wo­chen nach Zu­gang der Kündi­gung zu er­he­ben, so ist auf sei­nen An­trag die Kla­ge nachträglich zu­zu­las­sen“.
108 S. BT-Drs. [1. Wahl­pe­ri­ode] 2090.
109 S. Text: „§ 4 Zu­las­sung ver­späte­ter Kla­gen. (1) War ein Ar­beit­neh­mer nach er­folg­ter Kündi­gung trotz An­wen­dung al­ler ihm nach La­ge der Umstände zu­zu­mu­ten­den Sorg­falt ver­hin­dert, die Kla­ge in­ner­halb von drei Wo­chen nach Zu­gang der Kündi­gung zu er­he­ben, so ist auf sei­nen An­trag die Kla­ge nachträglich zu­zu­las­sen“.
110 S. BT-Drs. I/2090 S. 13 [Zu §§ 3-6]: „Bei schuld­lo­ser Frist­versäum­nis ist, wie im frühe­ren Recht, ei­ne nachträgli­che Zu­las­sung der Kla­ge vor­ge­se­hen, § 4“.
111 S. da­zu et­wa schon Wer­ner Mel­zer, Ar­buR 1966, 107, 108 [III.]: „Dafür, dass der Ge­setz­ge­ber mit der For­mu­lie­rung in § 4 Abs. 1 KSchG ei­ne An­wend­bar­keit des § 232 Abs. 2 ZPO ha­be ver­hin­dern wol­len, fehlt je­der An­halt. Mit die­ser Fas­sung wird le­dig­lich der herr­schen-den sub­jek­ti­ven Theo­rie zum Be­griff des un­ab­wend­ba­ren Zu­falls Aus­druck ver­lie­hen, nicht aber zu­gleich die Fra­ge der Zu­rech­nung von Ver­tre­ter­ver­schul­den ent­schie­den“; zu­vor auch schon Fritz Po­el­mann, RdA 1952, 205, 209 [III.1.]: „Es würde auf ei­ne rei­ne Wort­in­ter­pre­ta­ti­on hin­aus­lau­fen, woll­te man aus die­ser Fas­sung und den wei­te­ren Wor­ten , … al­ler ihm nach La­ge der Umstände' schließen, der Ge­setz­ge­ber ha­be die­se den Wor­ten nach en­ge­re Fas­sung in der Ab­sicht gewählt, über den Weg des Um­kehr­schlus­ses ei­ne ent­spre­chen­de An­wen­dung des § 232 Abs. 2 ZPO aus­zu­sch­ließen“.
S. RG 23.9.1919 – III 190/19 – RGZ 96, 322, 323-324: „Das Reichs­ge­richt hat nun in dem Be­schlus­se der ver­ei­nig­ten Zi­vil­se­na­te vom 22. Mai 1901 (RGZ 48, 411) den un­ab­wend­ba­ren Zu­fall, im be­son­de­ren Sin­ne des § 233 ZPO, als ein Er­eig­nis be­zeich­net, das un­ter den

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sei­te seit dem ge­mein­sa­men Ent­wurf von Ar­beit­ge­bern und Ge­werk­schaf­ten aus dem Ja­nu­ar 1950 113 an­be­langt („Kla­ge­zu­las­sung“ statt „Wie­der­ein­set­zung“), so spricht in der Tat al­les für die Erläute­rung, die W. Her­schel als maßgeb­li­cher Re­dak­teur des Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­rens zum Kündi­gungs­schutz­ge­setz da­zu ge­ge­ben hat: Man ha­be sich nämlich „auch dem Ar­bei­ter möglichst verständ­lich“ ma­chen wol­len 114 . Verhält es sich so, dann ist dem sprach­li­chen Zu­schnitt des § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG ent­schei­den­der Er­kennt­nis­wert zur hie­si­gen Fra­ge­stel­lung nach der An­wend­bar­keit des § 232 Abs. 2 ZPO oder sei­ner Fol­ge­vor­schrift in § 85 Abs. 2 ZPO auf die Kla­ge­frist des § 4 Satz 1 KSchG ent­ge­gen ers­tem An­schein wohl doch nicht ab­zu­ge­win­nen.
(b.) Da­mit steht frei­lich um­ge­kehrt kei­nes­wegs fest, dass § 85 Abs. 2 ZPO die ge­such­te Zu­rech­nung an­walt­li­chen Ver­schul­dens po­si­tiv her­gibt. Dass dies der Fall sei, müss­ten an­de­re Er­kennt­nis­quel­len ob­jek­ti­vie­ren. - Da­zu fol­gen­des:
(ba.) Hält man hier­nach im Text der Vor­schrift Aus­schau, so stößt man in der Tat auf den Schlüssel­be­griff (s. da­zu schon oben, S. 14 [(2.)]) der so­ge­nann­ten „Pro­zess­hand­lun­gen“ (hier: der Par­tei­en 115 ). Was da­mit ge­meint ist, wird im Ge­setz sel­ber zwar nicht de­fi­niert 116. Im­mer­hin mag sich aus ei­ner Zu­sam­men­schau der­je­ni­gen Vor­schrif­ten, die den Be­griff ver­wen­den, ab­lei­ten, „dass je­den­falls al­le die­je­ni­gen Hand­lun­gen als Pro­zess­hand­lun­gen an­zu­se­hen sind, die un­mit­tel­bar dem Be­trieb des anhängi­gen Pro­zes­ses die­nen“ 117 . Das ent­spricht Be­griffs­be­stim­mun­gen (zu § 54 ZPO 118) aus den Ana­len des Reichs-

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ge­ge­be­nen, nach der Be­son­der­heit des Fal­les zu berück­sich­ti­gen­den Umständen auch durch die äußers­te, die­sen Umständen an­ge­mes­se­ne und vernünf­ti­ger­wei­se zu er­war­ten­de Sorg­falt we­der ab­zu­weh­ren noch in sei­nen schädli­chen Fol­gen zu ver­mei­den ist. Da­mit hat es ei­ner­seits ei­ne Be­griffs­be­stim­mung nach fes­ten, un­verrück­ba­ren Re­geln ab­ge­lehnt, an­der­seits aber der Recht­spre­chung freie Bahn ge­schaf­fen, den Be­griff der dem Säum­i­gen im Ein­zel­fal­le bil­li­ger­wei­se an­zu­sin­nen­den äußers­ten Sorg­falt und da­mit den Be­griff des un­ab­wend­ba­ren Zu­falls fort­zu­bil­den und auf der an­ge­ge­be­nen Grund­la­ge den Bedürf­nis­sen des Rechts­le­bens ent­spre­chend wei­ter zu ent­wi­ckeln. … Ein ,un­ab­wend­ba­rer' Zu­fall ist eben ein sol­cher, des­sen Ein­tritt oder Fol­gen von dem­je­ni­gen, dem die Vor­nah­me ei­ner Pro­zess­hand­lung ob­lag und der sie versäumt hat, bei An­wen­dung der ge­ra­de ihm nach La­ge des Fal­les ge­rech­ter­wei­se zu­zu­mu­ten­den Sorg­falt nicht ,ab­ge­wen­det' wer­den konn­te“.
113 S. Text oben, S. 16 Fn. 107.
114 S. W. Her­schel, Anm. LAG Frank­furt/Main [21.2.1952 – III LA B 9/52] AP 1952 Nr. 129 S. 48: „In der Tat be­ruht der ab­wei­chen­de Wort­laut über­wie­gend auf dem Stre­ben des heu­ti­gen Ge­setz­ge­bers, sich auch dem Ar­bei­ter möglichst verständl. zu ma­chen“.
115 Da­von zu un­ter­schei­den sind im Sprach­ge­brauch des Ge­set­zes die­je­ni­gen („Pro­zess­hand­lun­gen“) des Ge­richts, auf die es im vor­lie­gen­den Zu­sam­men­hang aber nicht an­kom­men soll; d.U
116 S. da­zu statt vie­ler Die­ter Lei­pold (Fn. 70) Rn. 158 vor § 128: „Ei­ne Be­griffs­be­stim­mung enthält die ZPO nicht“.
117 S. Die­ter Lei­pold a.a.O.
118 S. Text: „§ 54 Be­son­de­re Ermäch­ti­gung zu Pro­zess­hand­lun­gen. Ein­zel­ne Pro­zess­hand­lun­gen, zu de­nen nach den Vor­schrif­ten des bürger­li­chen Rechts ei­ne be­son­de­re Ermäch­ti­gung er­for­der­lich ist, sind oh­ne sie gültig, wenn die Ermäch­ti­gung zur Pro­zessführung im All­ge­mei­nen er­teilt oder die Pro­zessführung auch oh­ne ei­ne sol­che Ermäch­ti­gung im All-ge­mei­nen statt­haft ist“.

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ge­richts 119 und passt da­mit zwar re­la­tiv („je­den­falls“?) naht­los zu den­je­ni­gen Stim­men, die dar­auf be­ste­hen, dass der ei­nen Rechts­streit (erst) ein­lei­ten­de Ver­fah­rens­akt nicht sel­ber schon „Pro­zess­hand­lung“ sein könne. An­de­rer­seits hat aber wie­der­um das Reichs­ge­richt bei an­de­rer Ge­le­gen­heit 120 (zu § 211 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F. 121) ei­nen deut­lich wei­te­ren Be­griff der „Pro­zess­hand­lung“ zu­grun­de ge­legt, nach des­sen Maßga­be auch je­de Wil­lens­betäti­gung da­zu gehöre, die zur Be­gründung des Rechts­streits die­ne und vom Pro­zess­ge­setz in ih­ren Vor­aus­set­zun­gen und Wir­kun­gen ge­re­gelt sei 122. - Das ver­weist auf Gren­zen der Hoff­nung, die Ant­wort auf die Streit­fra­ge im Be­griff der Pro­zess­hand­lung zu fin­den. Al­so müssen an­de­re Aus­le­gungs­mit­tel die ge­such­te Hil­fe leis­ten.
(bb.) Aus ge­set­zes­his­to­ri­scher Sicht gerät in den Blick, dass sich die Grund­norm zur Wie­der­ein­set­zung in den vo­ri­gen Stand (§ 233 Abs. 1 ZPO 123 ), in de­ren Pro­blem­zu­sam­men­hang die Fra­ge des An­walts­ver­schul­dens per Zu­rech­nungs­norm in § 232 Abs. 2 ZPO a.F. 124 auf­ge­wor­fen war, auf ge­setz­li­che „Not­fris­ten“ ei­ner­seits und auf Fris­ten zur Be­gründung der Rechts­mit­tel der Be­ru­fung und Re­vi­si­on be­zo­gen hat­ten. Das könn­te ei­nen (ers­ten) Hin­weis dar­auf ent­hal­ten, dass sich so­wohl die Fol­gen­be­sei­ti­gung (Wie­der­ein­set­zung) nach dies­bezügli­chen Frist­versäum­nis­sen als auch de­ren Ein­schränkun­gen durch die Zu­rech­nung an­walt­li­chen Dritt­ver­schul­dens eben­so spe­zi­fisch wie ex­klu­siv auf den Schutz ge­richt­li­cher Ent­schei­dun­gen vor ver­späte­ter In­fra­ge­stel­lung be­zie­hen soll­te. Auch dar­auf wird in der hier in­ter­es­sie­ren­den De­bat­te um § 5

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119 S. et­wa RG 22.12.1902 – VII 337/03 – RGZ 56, 333, 334-335: „Nach dem in den älte­ren Ge­set­zen, der Recht­spre­chung und der Li­te­ra­tur herr­schen­den Sprach­ge­brauch sind un­ter Pro­zess­hand­lun­gen nur sol­che Hand­lun­gen zu ver­ste­hen, wel­che dem Be­trie­be des Ver­fah­rens un­mit­tel­bar an­gehören, mögen sie nun dem Ge­richt oder dem Geg­ner ge­genüber vor­zu­neh­men sind, na­ment­lich die­je­ni­gen, wel­che die ge­richt­li­che Ent­schei­dung des Rechts­streits her­bei­zuführen be­stimmt sind. Außer den Ak­ten des An­griffs und der Ver­tei­di­gung ha­ben die­se Ei­gen­schaft auch die Zu­geständ­nis­se geg­ne­ri­scher Be­haup­tun­gen; An­er­kennt­nis­se und Ver­zich­te können sie ha­ben, wenn sie vermöge der ih­nen ge­ge­be­nen Ge­stalt die un­mit­tel­ba­re Grund­la­ge ei­ner ge­richt­li­chen Ent­schei­dung zu bil­den ge­eig­net sind“.
120 S. RG 2.10.1911 – VI 476/10 – RGZ 77, 324, 329.
121 S. Text: „§ 211 [1.] Die Un­ter­bre­chung durch Kla­ge­er­he­bung dau­ert fort, bis der Pro­zess rechts­kräftig ent­schie­den oder an­der­weit er­le­digt ist. - [2.] Gerät der Pro­zess in Fol­ge ei­ner Ver­ein­ba­rung oder da­durch, dass er icht be­trie­ben wird, in Still­stand, so en­digt die Un­ter­bre­chung mit der letz­ten Pro­zess­hand­lung der Par­tei­en oder des Ge­richts“.
122 S. RG 2.10.1911 a.a.O.: „Pro­zess­hand­lung im Sin­ne der Zi­vil­pro­zess­ord­nung ist je­de Hand­lung – Wil­lens­betäti­gung – so­wohl der Par­tei­en als des Ge­richts, die zur Be­gründung, Führung und Er­le­di­gung des Rechts­streits dient und vom Pro­zess­ge­setz in ih­ren Vor­aus­set­zun­gen und Wir­kun­gen ge­re­gelt ist“.
123 S. Text oben, S. 14 Fn. 95.
124 S. Text oben, S. 12 Fn. 77.

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Abs. 1 Satz 1 KSchG schon seit Jahr­zehn­ten un­ermüdlich hin­ge­wie­sen 125. Und dar­auf wird zurück­zu­kom­men sein (s. un­ten, S. 24 ff.).
Al­ler­dings dürf­te ge­genüber zu weit­rei­chen­den Schlüssen aus die­ser über­hol­ten Ge­set­zes­la­ge im Au­ge zu be­hal­ten sein, dass die Her­auslösung der Zu­rech­nungs­norm des § 232 Abs. 2 ZPO a.F. und ih­re Un­ter­brin­gung in den ein­lei­ten­den all­ge­mei­nen Vor­schrif­ten der ZPO über die Wir­kun­gen der An­walts­voll­macht (§ 85 Abs. 2 ZPO) der amt­li­chen Be­gründung im Re­gie­rungs­ent­wurf zu­fol­ge nicht zu­letzt dar­auf ab­ziel­te, die als zu eng emp­fun­de­ne Vorläufer­re­ge­lung in § 232 Abs. 2 ZPO zu er­wei­tern 126. Dafür wie­der­um wur­de der zu­vor auch schon in der Ju­di­ka­tur des Bun­des­ge­richts­hofs (BGH) an­zu­tref­fen­de Ge­sichts­punkt 127 als le­gis­la­to­ri­sches An­lie­gen auf­ge­grif­fen, an­walt­lich ver­tre­te­ne

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125 S. Leon­hard Wen­zel, Ver­tre­ter­ver­schul­den und nachträgli­che Kla­ge­zu­las­sung im Kündi­gungs­schutz­pro­zess, DB 1970, 730, 732 [3.]: „Der An­trag auf nachträgli­che Kla­ge­zu­las­sung zielt nicht dar­auf, ei­ne for­mell rechts­kräftig ge­wor­de­ne Ent­schei­dung wie­der in Fra­ge zu stel­len, son­dern be­zweckt die Ausräum­ung der ma­te­ri­ell­recht­li­chen Wir­kun­gen, die nach § 7 KSchG mit dem Ab­lauf der Kla­ge­frist ein­tre­ten“; zur Ju­di­ka­tur et­wa schon ArbG Ber­lin 7.2.1973 (Fn. 78): „Der An­trag auf nachträgli­che Kla­ge­zu­las­sung zielt nicht dar­auf ab, ei­ne for­mell rechts­kräftig ge­wor­de­ne Ent­schei­dung wie­der in Fra­ge zu stel­len, son­dern be­zweckt al­lein die Ausräum­ung der ma­te­ri­ell­recht­li­chen Wir­kun­gen, die nach § 7 KSchG mit dem Ab­lauf der Kla­ge­frist ein­tre­ten. Der durch den Ab­lauf der Kla­ge­frist ein­tre­ten­de Zu­stand ist nicht zu ver­glei­chen mit dem Ver­trau­en­stat­be­stand, der durch ei­ne for­mell rechts­kräfti­ge rich­ter­li­che Ent­schei­dung ge­schaf­fen wird; im An­schluss auch LAG Ber­lin 8.12.1975 (Fn. 78) [II.4.]: „Im übri­gen ha­ben ins­be­son­de­re … das Ar­beits­ge­richt Ber­lin in sei­ner Ent­schei­dung vom 7.2.1973 (…) und Wen­zel (…) im ein­zel­nen über­zeu­gend dar­ge­legt, aus wel­chen Gründen die ana­lo­ge An­wen­dung der Vor­schrift des § 232 Abs. 2 ZPO nicht in Be­tracht kommt. Die­sen Ausführun­gen schließt sich die Be­schwer­de­kam­mer un­ein­ge­schränkt an“.
126 S. da­zu BT-Drs. VI/790 S. 37: „Der neue § 85 Abs. 2 soll für die ge­willkürte Ver­tre­tung die Re­gel zum Aus­druck brin­gen, dass ei­ne Par­tei, die ih­ren Rechts­streit durch ei­nen vor ihr be­stell­ten Ver­tre­ter führen lässt, in je­der Wei­se so be­han­delt wird, als wenn sie den Rechts­streit selbst führen würde. Die neue Vor­schrift ent­spricht der eben­falls neu­en Be­stim­mung des § 51 Abs. 2 … , die sich mit der Aus­wir­kung des ge­setz­li­chen Ver­tre­ters be­fasst. Bei­de Vor­schrif­ten er­set­zen und er­wei­tern die un­voll­kom­me­ne Be­stim­mung des § 232 Abs. 2 ZPO“.
127 S. hier­zu et­wa BGH 21.5.1951 (Fn. 67) – Zi­tat dort; 11.3.1976 – III ZR 113/74 – BGHZ 66, 122 = NJW 1976, 1218 = MDR 741 [3.]: „Nach der Be­stim­mung des § 232 Abs. 2 ZPO für das zi­vil­pro­zes­sua­le Wie­der­ein­set­zungs­ver­fah­ren wird die Versäum­ung ei­ner Pro­zess­han­dung, ,die im Ver­schul­den ei­nes Ver­tre­ters ih­ren Grund hat, als ei­ne un­ver­schul­de­te nicht an­ge­se­hen'. Die­ser Re­ge­lung liegt ein all­ge­mei­ner Rechts­ge­dan­ke zu­grun­de, der über den un­mit­tel­ba­ren An­wen­dungs­be­reich der Vor­schrift im Wie­der­ein­set­zungs­ver­fah­ren hin­aus gilt: - Die Par­tei, die sich bei der Ver­fol­gung oder Ver­tei­di­gung ih­rer Rechts­po­si­ti­on in ei­nem ge­richt­li­chen oder rechtsförmi­gen Ver­fah­ren durch ei­nen Be­vollmäch­tig­ten ver­tre­ten lässt, wird in je­der Wei­se so be­han­delt, als ha­be sie das Ver­fah­ren selbst be­trie­ben. Der dem Ver­tre­te­nen ver­ant­wort­li­che be­vollmäch­tig­te Ver­tre­ter tritt für Ver­fah­rens­hand­lun­gen und ih­re Un­ter­las­sung ,an die Stel­le' des Ver­tre­te­nen, was dem in § 85 ZPO ver­an­ker­ten ver­fah­rens­recht­li­chen Ver­tre­tungs­grund­satz zu ent­neh­men ist (…). Die Be­stel­lung ei­nes Ver­tre­ters für die ver­fah­rens­recht­li­che Gel­tend­ma­chung ei­nes An­spruchs soll nach die­sem Grund­satz der sog. un­mit­tel­ba­ren Stell­ver­tre­tung nicht da­zu führen, dass der Ver­fah­rens­be­tei­lig­te, der sich für die Durchführung des Ver­fah­rens ei­nes Ver­tre­ters be­dient und die­sem die Ver­fah­rens­hand­lun­gen überlässt, sei­ner Ver­ant­wor­tung für die Ver­fah­rens­hand­lun­gen und ih­re Rechts­fol­gen bei ei­nem Ver­schul­den des Ver­tre­ters le­dig wird. Ins­be­son­de­re darf sich die Ver­tre­ter­be­stel­lung nicht zum Nach­teil ei­nes Ver­fah­rens­be­tei­lig­ten mit ent­ge­gen­ge­setz­ter In­ter­es­sen­rich­tung aus­wir­ken. Ein Be­tei­lig­ter, der das Ver­fah­ren durch ei­nen von ihm be­vollmäch­tig­ten Ver­tre­ter be­trei­ben lässt, soll so­mit bei der Versäum­ung ei­ner Ver­fah­rens­hand­lung ver­fah­rens­recht­lich nicht bes­ser ste­hen als ein Be­tei­lig­ter, der das Ver­fah­ren persönlich be­treibt. Die Par­tei muss sich da­her das schuld­haf­te Han­deln ih­res Ver­tre­ters bei

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Par­tei­en „in je­der Wei­se“ so zu be­han­deln, wie wenn sie den Rechts­streit sel­ber führen würde 128 . Es ist die­ser Ge­sichts­punkt, der auch im hie­si­gen Pro­blem­zu­sam­men­hang später gleich­falls wie­der­holt als ver­meint­lich durch­grei­fen­der Ge­sichts­punkt auf­ge­grif­fen 129 wor­den ist. - Al­ler­dings: Bei sol­cher Be­schwörung un­ge­schrie­be­ner Recht­s­prin­zi­pi­en (BGH a.a.O.: „all­ge­mei­ner Rechts­grund­satz“) droht nicht nur der an sich all­seits ge­teil­te und schon wie­der­holt erwähn­te Aus­gangs­punkt (s. oben, S. 10 [vor a.]; S. 13 [(3.)]) aus den Au­gen ver­lo­ren zu wer­den, dass die Zu­rech­nung frem­den Ver­schul­dens ei­ner kon­kre­ten Zu­rech­nungs­norm be­darf. Viel­mehr droht dem sol­cher­art un­re­flek­tier­ten Rück­griff auf al­len­falls punk­tu­ell po­si­ti­vier­te Grundsätze die Ge­fahr, die in kon­kre­ten Zu­rech­nungs­nor­men sprach­lich mar­kier­ten Gren­zen zu über­se­hen. Me­tho­disch be­wegt sich der Rechts­an­wen­der da­mit auf ge­nau je­nem trüge­ri­schen Ter­rain, vor des­sen un­be­se­he­ner Be­ge­hung be­reits Rolf Herz­berg im (da­ma­li­gen) Kon­text te­leo­lo­gi­scher Nor­min­ter­pre­ta­ti­on ein­prägsam ge­warnt hat 130 .
(bc.) Die be­sag­te Ge­fahr wäre hier mögli­cher­wei­se ge­bannt, wenn es sich bei der in § 4 Satz 1 KSchG an­ge­spro­che­nen Frist – wie ih­nen neu­er­dings wie­der zu­ge­schrie­ben 131 – wirk­lich um ei­ne pro­zes­sua­le Frist han­del­te, de­ren Versäum­ung die pro­zes­sua­len Wir­kun­gen je­ner Pro­zess­hand­lun­gen ak­tua­li­siert, die nach dem be­reits Ge­sag­ten (s. oben, S. 10 [aa.]; S. 11-13 [(2.)]) den ge-

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der Versäum­ung ei­ner ver­fah­rens­recht­li­chen Frist wie ei­ge­nes persönli­ches Ver­schul­den zu­rech­nen las­sen. Dies gilt nicht nur für ein Ver­schul­den des Ver­tre­tes im Ver­kehr mit dem Ge­richt oder ei­nem an­de­ren Ver­fah­rens­be­tei­lig­ten, son­dern all­ge­mein für je­des Ver­schul­den des Ver­tre­ters bei der ,Pro­zessführung', al­so bei der ver­fah­rensmäßigen Rechts­ver­fol­gung oder Rechts­ver­tei­di­gung (...)“.
129 S. BT-Drs. VI//790 S. 37 – Zi­tat oben, Fn. 126.
130 S. LAG Ber­lin 28.8.1978 – 9 Ta 7/78 – AP § 5 KSchG 1979 Nr. 2: „Der ge­nann­ten Norm liegt der Ge­dan­ke zu­grun­de, dass die Par­tei, die ih­ren Rechts­streit durch ei­nen Ver­tre­ter führen lässt, in je­der Wei­se so be­han­delt wird, als wenn sie ih­ren Pro­zess selbst geführt hätte“; dass. 8.1.2002 – 6 Ta 2245/01 – n.v. („Ju­ris“) [2.2.]: „Dies zwar nicht im We­ge di­rek­ter An­wen­dung, weil sich § 85 Abs. 2 ZPO sei­ner Stel­lung im Ge­setz ent­spre­chend zunächst nur auf die pro­zes­sua­len Fol­gen ei­nes Ver­schul­dens be­zieht. Zur Lücken­sch­ließung ist je­doch ei­ne ana­lo­ge An­wen­dung ge­bo­ten, weil § 85 Abs. 2 ZPO nach der Ge­set­zes­be­gründung der Ge­dan­ke zu­grun­de liegt, dass die Par­tei, die ih­ren Pro­zess von ei­nem Ver­tre­ter führen lässt, in je­der Wei­se so be­han­delt wird, als hätte sie den Pro­zess selbst geführt“.
131 S. Rolf D. Herz­berg, Kri­tik der te­leo­lo­gi­schen Ge­set­zes­aus­le­gung, NJW 1990, 2525, 2526 [II.]: „Der In­ter­pret er­schleicht sich den Be­weis. Er setzt still­schwei­gend die Prämis­se, dass Be­rech­ti­gung nur dem von ihm de­fi­nier­ten (po­si­ti­ven) Zweck der frag­li­chen Vor­schrift zu-kom­me, nicht aber der Gren­ze, die sie selbst der Zweck­ver­fol­gung zieht. Dass müss­te er in­des erst ein­mal be­wei­sen. Die te­leo­lo­gi­sche Aus­le­gung zeigt sich al­so schlecht­hin un­taug­lich, das je­wei­li­ge Aus­le­gungs- oder Aus­deh­nungs­pro­blem schlüssig zu lösen. Denn auch die Be­gren­zung, sie mag uns ge­fal­len oder nicht, hat ja je­den­falls ei­nen Zweck, eben den, der Ver­fol­gung des ,ei­gent­li­chen' Ge­set­zes­zwecks ei­ne Schran­ke zu zie­hen, so dass sich je­des­mal zwangsläufig ein te­leo­lo­gi­sches Patt er­gibt“.
132 S. in­so­fern – noch­mals - BAG 11.12.2008 (Fn. 69) [B.II.2 c.]: „Die An­wend­bar­keit [des § 85 Abs. 2 ZPO; d.U.] kann nicht mit dem Ar­gu­ment ab­ge­lehnt wer­den, bei der Kla­ge­frist des § 4 Satz 1 KSchG han­de­le es sich um ei­ne ma­te­ri­ell-recht­li­che und kei­ne pro­zes­sua­le Frist. Nach der Recht­spre­chung des Se­nats ist die Frist des § 4 Satz 1 KSchG ei­ne pro­zes­sua­le Kla­ge­er­he­bungs­frist und nicht als ma­te­ri­ell-recht­li­che Frist zu qua­li­fi­zie­ren (vgl. BAG 26.6.1986 [s. oben, Fn. 80]; 24.6.2004 [s. oben, Fn. 81])“.

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mein­sa­men Be­zugs­punkt des § 85 ZPO bil­den. Ge­nau da­von kann je­doch kei­ne Re­de sein:
[ 1. ] Wie schon erwähnt (s. oben, S. 11-12), hat die Versäum­ung der Kla­ge­frist nach ursprüng­lich eben­so ein­ge­spiel­ter wie zu­tref­fen­der Ju­di­ka­tur des Bun­des­ar­beits­ge­richts zu § 7 KSchG 132 (le­dig­lich) zur Fol­ge, dass sich der Prüfungs­um­fang im Blick auf ei­ne strit­ti­ge Kündi­gung verändert: Es ent­fal­len zwar zur Wirk­sam­keits­kon­trol­le ei­ne Rei­he von Prüfungs­maßstäben, doch wird die auf Fest­stel­lung der Nicht­auflösung des Ar­beits­verhält­nis­ses ge­rich­te­te Kla­ge (s. § 4 Satz 1 KSchG 133 ) da­mit ge­ra­de nicht un­zulässig. Wie be­reits Max Voll­kom­mer, den der Zwei­te Se­nat des BAG für den Wech­sel sei­ner Recht­spre­chung 1986 aus­drück­lich in An­spruch ge­nom­men hat 134, in sei­nem vom BAG zi­tier­ten Bei­trag aus dem Jah­re 1962 135 be­tont hat­te, rich­tet sich die Klas­si­fi­zie­rung von Kla­ge­fris­ten nach den Wir­kun­gen ih­rer Versäum­ung 136: „Liegt der vom Frist­ab­lauf aus­gelöste Rechts­nach­teil“, so Voll­kom­mer wei­ter 137, „auf pro­zes­sua­lem Ge­biet, so han­delt es sich um ei­ne pro­zes­sua­le, liegt er auf ma­te­ri­el­lem Ge­biet, so han­delt es sich um ei­ne ma­te­ri­ell­recht­li­che Frist“. Und schließlich: „Hat der Frist­ab­lauf Wir­kun­gen auf bei­den Rechts­ge­bie­ten, so sind Haupt- und Ne­ben­wir­kun­gen zu un­ter­schei­den. Für die Qua­li­fi­zie­rung ge­ben dann ers­te­re den Aus­schlag“ 138.
[ 2. ] Nach die­sen Grundsätzen kann kein Zwei­fel dar­an be­ste­hen, dass sich die Kla­ge­frist des § 4 Satz 1 KSchG als ma­te­ri­el­le Frist dar­stellt 139: Das Ge­setz sel­ber the­ma­ti­siert in § 7 KSchG die Wir­kun­gen ih­rer Versäum­ung und be­schreibt die­se da­hin, dass die be­tref­fen­de Kündi­gung als „von An­fang an rechts­wirk­sam“ gel­te. Mehr Klar­heit kann man beim bes­ten Wil­len nicht ver­lan­gen. So­weit § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG al­ler sol­chen Evi­denz zum Trotz gleich­wohl mit den Wor­ten „Zu­las­sung“ ver­späte­ter Kla­gen über­schrie­ben ist und auch im Text die Wor­te „nachträglich zu­zu­las­sen“ ver­wen­det, geht es den­noch

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132 S. Text oben, S. 8 Fn. 58.
133 S. Text oben, S. 2 Fn. 2.
134 S. BAG 26.6.1986 (Fn. 80) [B.II.3 b.]: „Dem Ar­beit­neh­mer ist durch die in § 4 KSchG ge­trof­fe­ne Re­ge­lung nur be­fris­tet die Möglich­keit eröff­net, Rechts­schutz we­gen der of­fe­nen ma­te­ri­el­len Rechts­la­ge zu be­geh­ren. Die Versäum­ung der Frist hat so­mit un­mit­tel­bar den Ver­lust des Kla­ge­rechts zur Fol­ge, das ma­te­ri­el­le Recht wird des Rechts­schut­zes be­raubt, sie ist so­mit ei­ne pro­zes­sua­le Frist (so rich­tig Voll­kom­mer, AcP 161 [1962], 332 ff.)“.
135 S. Max Voll­kom­mer (Fn. 83).
136 S. Max Voll­kom­mer (Fn. 83) S. 335 [II.1.]: „Die Kla­ge­fris­ten sind ent­we­der sol­che des ma­te­ri­el­len oder des Pro­zess­rechts. Für die Zu­ord­nung ei­nes Rechts­in­sti­tuts zu dem ei­nen oder an­de­ren Rechts­ge­biet ist nach all­ge­mei­nen me­tho­di­schen Grundsätzen von den je­wei­li­gen Wir­kun­gen aus­zu­ge­hen“; s. auch Fn. 141.
137 S. Max Voll­kom­mer (Fn. 83) a.a.O.
138 S. Max Voll­kom­mer (Fn. 83) a.a.O.
139 So mit vol­lem Recht nach wie vor Achim Lep­ke, Zur Rechts­na­tur der Kla­ge­frist des § 4 KSchG, DB 1991, 2034, 2038 [VI.1.]: An­ders als bei den rein pro­zes­sua­len Fris­ten der ZPO bzw. des ArbGG … han­delt es sich bei der Frist des § 4 KSchG um ei­ne ma­te­ri­ell-recht­li­che Aus­schluss­frist“.

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nicht um Zulässig­keit oder Un­zulässig­keit der Kla­ge 140 : Hier mag man per­ple­xe Ge­setz­ge­bung dia­gnos­ti­zie­ren oder schlicht In­kon­se­quenz 141. Je­den­falls ist es kein Zu­fall, dass sich die Ju­di­ka­tur der Ge­rich­te für Abeits­sa­chen bis 1986 von sol­chem Sprach­ge­brauch nicht hat be­ir­ren las­sen. So­weit dar­in von ei­nem „Ver­lust des Kla­ge­rechts“ (BAG a.a.O.) die Re­de ist, ab­stra­hiert das im Übri­gen nicht we­ni­ger von den kon­kre­ten Rechts­fol­gen der Frist­versäum­nis als die struk­tu­rell gleich­ge­la­ger­te Fol­ge­aus­sa­ge, das ma­te­ri­el­le Recht wer­de „des Rechts­schut­zes be­raubt“ 142. Letz­te­res ließe sich mit ver­gleich­ba­rem Plau­si­bi­litäts­wert – gleich­sam spie­gel­bild­lich - auch der Kündi­gungs­erklärungs­frist in § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB 143bescheinigen, woll­te man et­wa auch sie mit Blick auf die zeit­li­che Li­mi­tie­rung der Kündi­gungs­be­fug­nis des Ar­beit­ge­bers aus § 626 Abs. 1 BGB 144 zur „pro­zes­sua­len Frist“ erklären. - Das al­les kann nicht über­zeu­gen.
(bd.) Es führt so­mit kein Weg dar­an vor­bei, dass die Ant­wort auf die Fra­ge der Zu­rech­nung von An­walts­ver­schul­den im Rah­men des § 4 Satz 1 KSchG nur in der De­bat­te zur rechtsähn­li­chen An­wen­dung des § 85 Abs. 2 ZPO zu fin­den sein wird, die be­kannt­lich gleich­falls schon seit Jahr­zehn­ten geführt wird 145.

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140 S. da­zu statt vie­ler und nach wie vor rich­tig LAG Ber­lin 28.8.1978 (Fn. 129): „Zwar kommt die un­mit­tel­ba­re An­wen­dung von § 85 Abs. 2 ZPO im Rah­men des Ver­fah­rens der nachträgli­chen Zu­las­sung der Kündi­gungs­schutz­kla­ge gemäß § 5 KSchG nicht in Be­tracht; denn die in § 4 Satz 1 KSchG nor­mier­te Kla­ge­frist ist kei­ne pro­zess­recht­li­che, son­dern ei­ne ma­te­ri­ell-recht­li­che Frist (…). Ih­re Versäum­ung führt nämlich nicht zur Un­zulässig­keit der Kündi­gungs­schutz­kla­ge, son­dern zur Kla­ge­ab­wei­sung als un­be­gründet, weil durch die nicht recht­zei­ti­ge kla­ge­wei­se Gel­tend­ma­chung fin­giert wird, dass die Kündi­gung so­zi­al ge­recht-fer­tigt sei, wie der Vor­schrift des § 7 KSchG ent­nom­men wer­den kann“.
141 S. hier­zu auch Max Voll­kom­mer (Fn. 83) S. 347-348: „Bei der Ent­schei­dung des In­ter­es­sen­kon­flikts ist der Ge­setz­ge­ber ei­nen ei­gen­ar­ti­gen Mit­tel­weg ge­gan­gen. Er hat sich nicht ent­schließen können, die Gel­tend­ma­chung sämt­li­cher Un­wirk­sam­keits­gründe (z.B. Ver­s­toß ge­gen zwin­gen­de ge­setz­li­che Vor­schrif­ten oder ver­trag­li­che Ver­ein­ba­run­gen, Form­m­an­gel, Sit­ten­wid­rig­keit, Feh­len behörd­li­cher Zu­stim­mung usw.) an die kur­ze Aus­schluss­frist zu bin­den“.
142 S. zu die­ser For­mel auch Max Voll­kom­mer (Fn. 83) S. 337: „Auf pro­zes­sua­lem Ge­biet da-ge­gen lie­gen die Wir­kun­gen des Frist­ab­laufs dann, wenn die pro­zes­sua­le Rechts­la­ge zu­un­guns­ten der Par­tei verändert wird, sie nämlich mit der Vor­nah­me der Pro­zess­hand­lung der Kla­ge aus­ge­schlos­sen wird. Der Frist­ab­lauf be­wirkt in die­sem Fall, dass die Kla­ge un­zulässig wird. Die ma­te­ri­el­le Rechts­la­ge bleibt zwar un­berührt, je­doch wird das ma­te­ri­el­le Recht des Rechts­schut­zes be­raubt, die Par­tei er­lei­det den Ver­lust des Kla­ge­rechts. Der Ab­lauf der pro­zes­sua­len Kla­ge­frist be­sei­tigt al­so die Klagbbar­keit“.
143 S. Text: „§ 626 Frist­lo­se Kündi­gung aus wich­ti­gem Grund. (1) … (2) Die Kündi­gung kann nur in­ner­halb von zwei Wo­chen er­fol­gen“.
144 S. Text: „§ 626 Frist­lo­se Kündi­gung aus wich­ti­gem Grund. (1) Das Dienst­verhält­nis kann von je­dem Ver­trags­teil aus wich­ti­gem Grund oh­ne Ein­hal­tung ei­ner Kündi­gungs­frist gekündigt wer­den, wenn Tat­sa­chen vor­lie­gen, auf Grund de­rer dem Kündi­gen­den un­ter Berück­sich­ti­gung al­ler Umstände des Ein­zel­fal­les und un­ter Abwägung der In­ter­es­sen bei­der Ver­trags­tei­le die Fort­set­zung des Dienst­verhält­nis­ses bis zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist oder bis zu der ver­ein­bar­ten Be­en­di­gung des Dienst­verhält­nis­ses nicht zu­ge­mu­tet wer­den kann“.
145 S. da­zu statt vie­ler ei­ner­seits et­wa LAG Ber­lin 31.5.1978 – 6 Ta 4/78 – ARST 1979, 15: „Es gibt im ar­beits­ge­richt­li­chen Ver­fah­ren kei­ne ,be­son­de­ren Grundsätze', die der all­ge­mein an­er­kann­ten ana­lo­gen An­wen­dung des § 85 Abs. 2 ZPO (früher § 233 Abs. 2 ZPO) auf ma­te­ri­el­le Kla­ge­fris­ten für den Be­reich des Kündi­gungs­schutz­rechts ent­ge­gen­ste­hen“; dass. 28.8.1978 (Fn. 129): „Gleich­wohl steht die Rechts­na­tur der Kla­ge­frist ei­ner ana­lo­gen An­wen­dung des § 85 Abs. 2 ZPO nicht ent­ge­gen. Die frist­ge­rech­te Kla­ge­er­he­bung ist nämlich

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Das ist aber auch kein Nach­teil. Es ver­heißt viel­mehr nicht nur ei­ne er­fah-rungs­gemäß verstärk­te Of­fen­le­gung der maßgeb­li­chen Plau­si­bi­litäts­struk­tu­ren der Dis­ku­tan­ten, son­dern führt nun in der Tat auch zum „sprin­gen­den Punkt“. - In­so­fern, aber­mals, der Rei­he nach:
[ 1. ] Das Bun­des­ar­beits­ge­richt be­gründet sei­ne Ent­schei­dung zur An­wen­dung des § 85 Abs. 2 ZPO 146 auf die Kla­ge­frist in § 4 Satz 1 KSchG 147 mit Über­le­gun­gen 148, die auf Vor­bil­der in der Ge­setz­ge­bungs­ge­schich­te zu § 85

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ei­ne not­wen­di­ge Pro­zess­hand­lung zur Fest­stel­lung der So­zi­al­wid­rig­keit der Kündi­gung im Kla­ge­we­ge. Wenn ei­ne ma­te­ri­ell-recht­li­che Frist in ei­nem en­gen un­trenn­ba­ren Zu­sam­men-hang mit der ver­fah­rens­recht­li­chen Gel­tend­ma­chung des An­spru­ches steht, er­scheint es ge­recht­fer­tigt, die Zu­rech­nungs­grundsätze für Pro­zess­hand­lun­gen ent­spre­chend an­zu­wen­den“; dass. 8.1.2002 (Fn. 129) – Zi­tat dort; an­de­rer­seits LAG Ham­burg 3.6.1985 – 1 Ta 5/85 – LA­GE § 5 KSchG Nr. 19 = RzK I 10 d Nr. 3: „Sind we­der § 85 Abs. 2 ZPO noch § 278 BGB un­mit­tel­bar an­wend­bar, so kann sich man­gels an­de­rer Zu­rech­nungs­nor­men le­dig­lich die Fra­ge stel­len, ob die­se Vor­schrif­ten ana­log an­zu­wen­den sind. Ei­ne der­ar­ti­ge Ana­lo­gie ist je­doch ab­zu­leh­nen. Vor­aus­set­zung ei­ner Ana­lo­gie ist ei­ne plan­wid­ri­ge Lücke des Ge­set­zes (…). Ei­ne sol­che liegt hier nicht vor“; LAG Nie­der­sach­sen 27.7.2000 (Fn. 87) [II.3 c, bb.]: „Die­se Ana­lo­gie über­zeugt schon des­halb nicht, weil sich ei­ne plan­wid­ri­ge Lücke in § 85 Abs. 2 ZPO für vor­pro­zes­sua­le Versäum­nis­se des Be­vollmäch­tig­ten nicht nach­wei­sen lässt. Das Ar­gu­ment, es ge­he nicht an, zwi­schen der Zu­rech­nung des Ver­schul­dens des ge­setz­li­chen Ver­tre­ters, des Erfüllungs­ge­hil­fen im Rah­men des ma­te­ri­el­len Rechts nach § 278 BGB und der Zu­rech­nung nach §§ 51 Abs. 2, 85 Abs. 2 ZPO ei­nen Frei­raum zu schaf­fen, in dem ein Ver­tre­ter­ver­schul­den nicht zu­ge­rech­net wer­de, ent­spricht zwar der all-ge­mei­nen Erwägung, dass je­der, der sich am Rechts­ver­kehr be­tei­ligt, für Per­so­nen ein­zu­ste­hen hat, die er­kenn­bar sein Ver­trau­en ge­nießen (…). Da­mit lässt sich al­ler­dings nur ei­ne Lücke im Sys­tem der ge­setz­li­chen Zu­rech­nung von Ver­tre­ter­ver­schul­den auf­zei­gen, nicht aber de­ren Plan­wid­rig­keit in § 85 Abs. 2 ZPO be­gründen, … [usw.]“.
146 S. Text oben, S. 10 Fn. 68.
147 S. Text oben, S. 2 Fn. 2.
148 S. BAG 11.12.2008 (Fn. 69) [B.II.2 d, cc.]: „Der Vor­schrift des § 85 Abs. 2 ZPO liegt der all­ge­mei­ne Rechts­ge­dan­ke zu­grun­de, dass ei­ne Par­tei, die ih­ren Pro­zess durch ei­nen Ver­tre­ter führt, sich in je­der Wei­se so be­han­deln las­sen muss, als wenn sie den Pro­zess selbst geführt hätte. Die Her­an­zie­hung ei­nes Ver­tre­ters soll nicht zu ei­ner Ver­schie­bung des Pro­zess­ri­si­kos zu Las­ten des Geg­ners führen (…). Oh­ne die Zu­rech­nung des Ver­tre­ter­ver­schul­dens würde die­ses Ri­si­ko zu Las­ten des Geg­ners ver­scho­ben. Die ver­tre­te­ne Par­tei könn­te sich auf ihr feh­len­des Ei­gen­ver­schul­den be­ru­fen und zum Nach­teil der an­de­ren Par­tei die be­tref­fen­de Pro­zess­hand­lung mit frist­wah­ren­der Wir­kung nach­ho­len. Die an­de­re Par­tei müss­te stets ein­kal­ku­lie­ren, dass die Frist­versäum­ung durch ih­ren Geg­ner nicht auf des­sen ei­ge­nem Ver­schul­den be­ruht. Der Um­stand, dass das Ver­fah­rens­recht der Par­tei ge­stat­tet, sich ei­nes Ver­tre­ters zu be­die­nen, soll aber eben nicht da­zu führen, das Pro­zess­ri­si­ko zu Las­ten des Geg­ners zu ver­größern (…). Der Ver­tre­ter hat nach dem Re­präsen­ta­ti­ons­prin­zip nicht nur die Rech­te der Par­tei wahr­zu­neh­men, son­dern muss in glei­cher Wei­se auch ih­re Pflich­ten erfüllen (…), bei­spiels­wei­se frist­gemäß Kündi­gungs­schutz­kla­ge er­he­ben. Des­halb fal­len Un­ter­las­sun­gen von ge­bo­te­nen Pro­zess­hand­lun­gen in die Ri­si­ko­sphäre der Par­tei. … Ei­ne Ab­leh­nung der Ver­schul­dens­zu­rech­nung im Rah­men der Frist des § 4 Satz 1 KSchG und ei­ne et­wai­ge nachträgli­che Zu­las­sung der Kla­ge stünde im Übri­gen im Ge­gen­satz zu dem vom Kündi­gungs­schutz­ge­setz an­er­kann­ten In­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers an ei­ner möglichst bal­di­gen Klar­heit über den Fort­be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses (…) und würde zu ei­ner Ri­si­ko­ver­schie­bung zu Las­ten des Geg­ners führen, die aber ge­ra­de nach dem Sinn und Zweck des § 85 Abs. 2 ZPO ver­hin­dert wer­den soll. Die ge­nann­ten Fris­ten die­nen der Be­en­di­gung ei­nes Schwe­be­zu­stands und da­mit dem Rechts­frie­den. Die von § 4 Satz 1 KSchG gewünsch­te Rechts­klar­heit lässt § 5 KSchG im In­ter­es­se der Ein­zel­fall­ge­rech­tig­keit zurück­tre­ten, aber – wie­der­um im In­ter­es­se der Rechts­si­cher­heit und -klar­heit – nur un­ter den en­gen Vor­aus­set­zun­gen des § 5 KSchG (...)“.

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Abs. 2 ZPO 149 und in der Ju­di­ka­tur des Bun­des­ge­richts­hofs (BGH) 150 zurück­ge­hen und die auch be­reits in der mehr oder min­der jünge­ren Ju­di­ka­tur des LAG Ber­lin 151 auf­ge­grif­fen wor­den wa­ren. Da­nach sol­le sich ei­ne Par­tei, die sich ei­nes Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten be­die­ne, in je­der Wei­se so be­han­deln las­sen müssen, als führe sie den Pro­zess sel­ber: Die Ein­schal­tung ei­nes Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten sol­le nämlich na­ment­lich kei­ne „Ver­schie­bung des Pro­zess­ri­si­kos“ be­wir­ken. Ge­ra­de dies ge­sche­he in­des­sen – so die Ar­gu­men­ta­ti­on wei­ter -, wenn die Par­tei ei­ne an sich ver­späte­te Pro­zess­hand­lung un­ter Be­ru­fung auf feh­len­des Ei­gen­ver­schul­den „zum Nach­teil der an­de­ren Par­tei“ mit frist­wah­ren­der Wir­kung nach­ho­len könne. Das aber ver­größere „das Pro­zess­ri­si­ko zu Las­ten des Geg­ners“. - Was nun spe­zi­ell die hie­si­ge Kla­ge­frist be­tref­fe, so be­tont das Ge­richt noch­mals das durch die §§ 4 Satz 1, 7 (1. Halb­satz) KSchG an­er­kann­te In­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers an möglichst bal­di­ger „Klar­heit über den Fort­be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses“, de­ret­we­gen es oh­ne die An­wen­dung des § 85 Abs. 2 ZPO „zu ei­ner Ri­si­ko­ver­schie­bung“ käme. Zwar las­se § 5 KSchG die gewünsch­te Rechts­klar­heit und als­bal­di­gen Rechts­frie­den im In­ter­es­se der Ein­zel­fall­ge­rech­tig­keit wie­der­um zurück­tre­ten, dies aber wie­der­um „nur un­ter den en­gen Vor­aus­set­zun­gen des § 5 KSchG“.
[ 2. ] Das hält je­doch kri­ti­scher Prüfung nicht stand:
[ a. ] Was zunächst die Aus­gangsüber­le­gun­gen an­be­langt, die aus Vor­bil­dern der all­ge­mei­nen Zi­vil­ge­richts­bar­keit stam­men, so be­zie­hen die­se ih­re vor­der­gründi­ge Plau­si­bi­lität aus dem – wei­ter oben (S. 18 [(bb.)]) schon ein­mal erwähn­ten - spe­zi­fi­schen Kon­text, aus dem sie herrühren: Wie das Ar­beits­ge­richt Ber­lin in­so­fern – wie ge­sagt - schon 1973 152 un­ter Zu­stim­mung des da­ma­li­gen LAG Ber­lin 153 zu be­den­ken ge­ge­ben hat, geht es bei den all­ge­mei­nen Be­stim­mun­gen der Zi­vil­pro­zess­ord­nung zur Wie­der­ein­set­zung in den vo­ri­gen Stand vor al­lem dar­um, „ei­ne for­mell rechts­kräfti­ge Ent­schei­dung wie­der in Fra­ge zu stel­len“. Ge­meint ist da­bei die Ent­schei­dung ei­nes Ge­richts, nicht ein dis­po­si­ti­ver Wil­lens­akt (hier: die Ab­ga­be ei­ner Kündi­gungs­erklärung) ei­ner Pri­vat­per­son. - Die­se phäno­me­no­lo­gi­sche Ver­schie­den­heit kann nicht oft ge­nug fest­ge­hal­ten zu wer­den, weil dem Be­trach­ter hier un­ver­se­hens der his­to­ri­sche Ur­grund für die Schaf­fung je­ner Re­strik­ti­on bei der Wie­der­ein­set­zung in den vo­ri­gen Stand be­geg­net, der nach den eben­so viel­zi­tier­ten wie er­hel­len­den Wor­ten

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149 S. BT-Drs. VI/790 S. 37 – Zi­tat oben, S. 19 Fn. 126.
150 S. BGH 11.3.1976 (Fn. 127) – Zi­tat dort.
151 S. LAG Ber­lin 28.8.1978 (Fn. 129) – Zi­tat dort; dass. 8.1.2002 (Fn. 129) – Zi­tat dort.
152 S. ArbG Ber­lin 7.2.1973 (Fn. 12).
153 S. noch­mals LAG Ber­lin 8.12.1975 (Fn. 78) – Zi­tat gleich­falls oben, Fn. 125.

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von Mar­tin Jo­nas aus dem Jah­re 1932 zur Zu­rech­nung an­walt­li­chen Ver­schul­dens bei der Versäum­ung pro­zes­sua­ler Fris­ten über­haupt erst geführt hat 154 .
Das zeigt: Wel­ten tren­nen die­sen Schutz­zweck von je­nen Verhält­nis­sen, die sich dem Be­trach­ter im si­tua­ti­ven Zu­sam­men­hang des § 4 Satz 1 KSchG zei­gen 155: Denn hier geht es ge­ra­de nicht dar­um, im In­ter­es­se des ob­sie­gen­den Teils die Beständig­keit ei­ner ho­heit­li­chen Maßnah­me ab­zu­si­chern, die nicht nur mit der Au­to­rität ei­nes Ge­richts, son­dern auch in ei­nem Ver­fah­ren er­gan­gen ist, in dem die Kon­tra­hen­ten al­le Ge­le­gen­heit ge­habt ha­ben (soll­ten), ih­ren je­wei­li­gen Sicht­wei­sen gebührend zur Spra­che zu brin­gen. Bei der hie­si­gen Kla­ge­frist geht es viel­mehr um nichts we­ni­ger als dar­um, zu ei­nem der­ar­ti­gen Ver­fah­ren über­haupt den ge­such­ten Zu­gang zu er­hal­ten. Was des­sen Ab­sol­vie­rung für das Bild der be­tei­lig­ten In­ter­es­sen be­wir­ken kann, wird beim Großen Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts im be­kann­ten Be­schluss vom 27. Fe­bru­ar 1985 zum An­spruch des Ar­beit­neh­mers auf Pro­zess­beschäfti­gung nach erst­in­stanz­lich

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154 S. Mar­tin Jo­nas, Anm. RG [11.5.1931 – 192/30 IV] JW 1932, 1350-1351: „Aus­zu­ge­hen ist da­von, dass ein all­ge­mei­ner Satz, der ent­spre­chend § 278 BGB ein Ein­ste­hen für frem­des Ver­schul­den vor­sieht, nicht be­steht. Wenn in die­ser Hin­sicht für das Ge­biet des Pro­zes­ses im § 232 Abs. 2 ZPO für den Ver­tre­ter ei­ne Aus­nah­me ge­macht ist, so be­ruht das auf den be­son­de­ren Verhält­nis­sen und Bedürf­nis­sen des Pro­zes­ses. Der Pro­zess kann fes­te For­men und Fris­ten nicht ent­beh­ren. Dem­gemäß sind auch, um die pro­zess­po­li­tisch be­son­ders miss­li­che Auf­he­bung ein­mal er­gan­ge­ner for­mell rechts­kräfti­ger Ent­schei­dun­gen so­weit ir­gend angängig zu ver­hin­dern, die Möglich­kei­ten der Wie­der­auf­nah­me wie der Wie­der­ein­set­zung auf ein Min­dest­maß be­schränkt. Nur un­ter die­sem Ge­sichts­punkt will auch der § 232 Abs. 2 ZPO ver­stan­den sein. Wenn mir das Ge­setz ge­stat­tet, mich ei­nes Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten zu be­die­nen, so soll das nicht zu ei­ner Abwälzung der sich aus der Möglich­keit feh­ler­haf­ten pro­zes­sua­len Han­delns er­ge­ben­den Ge­fah­ren, d.h. zu ei­ner Ver­schie­bung des Pro­zess­ri­si­kos zu Las­ten des Geg­ners, führen. Dass die Re­ge­lung in ih­rer Schärfe selbst auf dem Ge­bie­te des Pro­zes­ses nicht un­be­denk­lich ist, zeigt die lehr­rei­che Ent­schei­dung RG 115, 411 = JW 1927, 842 wo – viel­leicht so­gar et­was geküns­telt – ei­ne Aus­nah­me für den Fall ge­macht ist, dass die (in Straf­haft be­find­li­che) Par­tei we­der Ein­fluss auf die Aus­wahl des Ver­tre­ters (des Ar­men­an­walts) noch die Möglich­keit ei­ner Kon­trol­le hat­te. - Pro­zess­po­li­ti­sche Erwägun­gen, ins­be­son­de­re der Ge­sichts­punkt tun­lichs­ter In­takt­er­hal­tung ein­mal er­gan­ge­ner for­mell rechts­kräfti­ger Ent­schei­dun­gen, schei­den außer­halb des Pro­zes­ses aus. Da­mit entfällt aber auch die Grund­la­ge, von der al­lein sich ei­ne ana­lo­ge An­wen­dung des § 232 Abs. 2 ZPO auf den Be­reich des § 203 BGB recht­fer­ti­gen ließe“.
155 S. grund­le­gend auch be­reits Max Voll­kom­mer (Fn. 87) S. 606 [vor III.]: „Es wird sich zei­gen, dass die durch § 85 Abs. 2 ZPO ge­si­cher­te pro­zes­sua­le For­men­stren­ge aufs engs­te mit dem Schutz des Be­stan­des von for­mell rechts­kräfti­gen Ent­schei­dun­gen im Zu­sam­men­hang steht. Kla­ge­fris­ten be­schränken den Zu­gang zum Ge­richt; der Rechts­schutz soll aber möglichst of­fen­ste­hen. Fris­ten­stren­ge bei Kla­ge­fris­ten si­chert nicht den Be­stand der Rechts­kraft ei­ner das Ver­fah­ren ab­sch­ließen­den Ent­schei­dung, son­dern führt zum Ver­lust des Rechts­schut­zes über­haupt“; S. 609-610 [IV.]: „Die Zu­rech­nungs­re­gel hat den Um­fang des Rechts­schut­zes un­mit­tel­bar be­schränken­de Aus­wir­kun­gen: ,Bei der Versäum­ung ei­ner Rechts­mit­tel­frist führt die Zu­rech­nung des Ver­schul­dens des Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten für die Par­tei zum Ver­lust wei­te­ren Rechts­schut­zes, bei der Versäum­ung der Kla­ge­frist zur völli­gen Vor­ent­hal­tung des ge­richt­li­chen Rechts­schut­zes in der Sa­che' [mit Hin­weis auf BVerfG 20.4.1982 – 2 BvL 26/81 – BVerfGE 60, 253, 267; d.U.]. … Der Norm­zweck des § 85 II ZPO be­steht in der Ein­hal­tung und Si­che­rung der pro­zessfördern­den Funk­ti­on der Fris­ten und da­mit der Si­che­rung der Rechts­kraft von er­gan­ge­nen Ent­schei­dun­gen. ,Die rechts­po­li­ti­sche Be­gründung für ei­ne Fremd­ver­schul­dens­zu­rech­nung ist der möglichst weit­ge­hen­de Schutz for­mell rechts­kräfti­ger Ent­schei­dun­gen' [mit wei­te­ren Nach­wei­sen; d.U.]“.

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ob­sie­gen­dem Ur­teil im Kündi­gungs­schutz­pro­zess 156 (hof­fent­lich) an­schau­lich. - Dort 157 heißt es:

„[C.II.3 b)] … Wägt man die dar­ge­stell­ten In­ter­es­sen bei­der Sei­ten ge­gen­ein­an­der ab, so er­gibt sich, dass je­den­falls in der Re­gel zunächst ein­mal das be­rech­tig­te und schutz­wer­te In­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers, we­gen des für ihn da­mit ver­bun­de­nen ho­hen Ri­si­kos den Ar­beit­neh­mer während des Kündi­gungs­schutz­pro­zes­ses nicht zu beschäfti­gen, stärker und drin­gen­der er­scheint. …
c) Die In­ter­es­sen­la­ge verändert sich je­doch, wenn im Kündi­gungs­schutz­pro­zess ein die In­stanz ab­sch­ließen­des Ur­teil er­geht, das die Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung und da­mit den Fort­be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses fest­stellt. Durch ein sol­ches noch nicht rechts­kräfti­ges Ur­teil wird zwar kei­ne endgülti­ge Klar­heit über den Fort­be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses ge­schaf­fen. Aber die Par­tei­en hat­ten Ge­le­gen­heit, dem Ge­richt in ei­nem or­dent­li­chen Pro­zess­ver­fah­ren die zur Be­ur­tei­lung der Kündi­gung aus ih­rer Sicht er­for­der­li­chen Tat­sa­chen vor­zu­tra­gen, dafür Be­weis an­zu­tre­ten und ih­re Rechts­auf­fas­sun­gen dar­zu­stel­len“.

Das taugt auch in un­se­rem Pro­blem­zu­sam­men­hang zum be­sag­ten sprin­gen­den Punkt: Von „nor­ma­tiv gleich zu ach­ten­der In­ter­es­sen­la­ge“ (s. oben, S. 11 [vor (2.)]), wie sie selbst bei Ver­nachlässi­gung der An­for­de­run­gen der tra­di-tio­nel­len Aus­le­gungs­dok­tri­nen („plan­wid­ri­ge Re­ge­lungslücke“ 158 ; Karl La­renz) als me­tho­di­schem Min­dest­stan­dard zur Le­gi­ti­ma­ti­on ana­lo­ger Rechts­an­wen­dung zu for­dern blie­be, kann bei sol­cher Sach­la­ge kei­ne Re­de sein 159. In­so­fern liegt auch der Hin­weis auf ein „Pro­zess­ri­si­ko“ und des­sen „Ver­schie­bung“ auf den Ar­beit­ge­ber ne­ben der Sa­che: Denn an­ders als in Kon­stel­la­tio­nen, in de­nen die ei­ge­ne Pro­zessführung des Ar­beit­ge­bers zur erst­in­stanz­li­chen Kla­ge­ab­wei­sung geführt hat, soll die Kla­ge sei­ne Kündi­gung rich­ter­li­cher Kon­trol­le

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156 S. BAG (GS) 27.2.1985 – GS 1/84 – BA­GE 48, 122 = AP § 611 BGB Beschäfti­gungs­pflicht Nr. 14 = NZA 1985, 703.
157 S. BAG (GS) 27.2.1985 (Fn. 156) [C.II.3 b)].
158 S. da­zu nur LAG Ham­burg 3.6.1985 (Fn. 145) – Zi­tat dort; LAG Nie­der­sach­sen 27.7.2000 (Fn. 87) [II.3 c, bb.] – Zi­tat Fn. 145.
159 So auch be­reits Leon­hard Wen­zel (Fn. 125) DB 1970, 730, 732 [3.]: „Der durch den Frist­ab­lauf ge­schaf­fe­ne Tat­be­stand ist je­doch nicht ent­fernt mit dem Ver­trau­en­stat­be­stand zu ver­glei­chen, der durch ei­ne for­mell rechts­kräfti­ge rich­ter­li­che Ent­schei­dung ge­schaf­fen wird. Wie schon dar­ge­legt wur­de, schließt der Ab­lauf der Kla­ge­frist die Kla­ge nicht schlecht­hin aus. Kann die or­dent­li­che Kündi­gung auch nicht mehr als so­zi­al­wid­rig im Sin­ne des § 1 KSchG bekämpft wer­den, so lässt sich die Kla­ge doch auf an­de­re Ge­sichts­punk­te stützen (Form­nich­tig­keit, Mängel der Ver­tre­tungs­macht, Kündi­gungs­ver­bo­te usw.). … - Die­se Zu­sam­menhänge las­sen es nicht zu, die In­ter­es­sen­la­ge in bei­den Fällen gleich zu be­wer­ten, zu­mal sich in der Ver­fah­rens­ge­stal­tung eben­falls er­heb­li­che Ab­wei­chun­gen zwi­schen bei­den Ver­fah­rens­ar­ten er­ge­ben“; Max Voll­kom­mer (Fn. 87) S. 613 ff., 616: „Mag auch Aus­schluss­fris­ten in ge­wis­ser Wei­se die Funk­ti­on ei­ner ,Zwi­schen­ent­schei­dung' zu-kom­men, so sind doch ver­gleich­ba­re Rechts­schutz­in­ter­es­sen an der Auf­recht­er­hal­tung der durch den Ab­lauf der Kla­ge­frist gem. § 4 I KSchG ein­ge­tre­te­nen Rechts­la­ge nicht er­kenn-bar. Den Vor­rang ver­dient das Rechts­ver­fol­gungs­in­ter­es­se des Kündi­gungs­schutzklägers; der ,ers­te Zu­gang' zum Kündi­gungs­rechts­schutz darf nicht am Ver­tre­ter­ver­schul­den schei­tern“.

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über­haupt erst aus­set­zen 160. Das be­greif­li­che In­ter­es­se, sol­che Über­prüfung zu ver­mei­den, er­scheint aber al­les an­de­re als gleich­wer­tig mit dem In­ter­es­se, das Er­geb­nis erst­in­stanz­li­cher Kon­trol­le ge­gen wei­te­re An­grif­fe des un­ter­le­ge­nen Klägers möglichst zu ver­tei­di­gen. In­so­fern ist auch das in der De­bat­te viel­fach an­zu­tref­fen­de Ar­gu­ment, es könne kei­nen ent­schei­den­den Un­ter­schied ma­chen, ob nun die Kla­ge- oder ei­ne Rechts­mit­tel­frist versäumt wor­den sei 161, nicht stich­hal­tig. - Im Ge­gen­teil: Die Un­ter­schie­de könn­ten fun­da­men­ta­ler nicht sein.
[ b. ] Nicht über­zeu­gen kann im hie­si­gen Sach­zu­sam­men­hang auch je­ner aus den all­ge­mei­nen pro­zes­sua­len Dok­tri­nen ent­lehn­te Ge­dan­ke, der sich wie ein ro­ter Fa­den durch die zi­tier­te Be­weisführung von BAG und BGH hin­durch­zieht: Da­nach ge­bie­te es die Ein­schal­tung ei­nes Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten, die so ver­tre­te­ne Par­tei zum Schutz vor „Ver­schie­bun­gen“ des Pro­zess­ri­si­kos zu­las­ten der Ge­gen­sei­te hin­sicht­lich der Pro­zeßhand­lun­gen ih­res Be­vollmäch­tig­ten nicht an­ders zu be­han­deln, als sei­en ihr dies­bezügli­che Feh­ler sel­ber un­ter­lau­fen. Das könn­te zwar plau­si­bel und le­gi­tim er­schei­nen, so­lan­ge die Vor­stel­lung tragfähig er­schie­ne, der Ar­beit­neh­mer könne sei­nen Kündi­gungs­schutz­pro­zess eben­so­gut – erst­in­stanz­lich im­mer­hin recht­lich statt­haft – auch höchst­persönlich führen. Bei Lich­te be­trach­tet hat er aber rea­li­ter gar kei­ne Wahl. Denn an­ge­sichts des Kom­pe­tenz- und Rou­ti­ne­vor­sprungs, der ihm auf Ar­beit­ge­ber­sei­te mit Per­so­nalbüro und spe­zia­li­sier­ten Stäben ty­pi­scher­wei­se selbst dann be­geg­net, wenn sich der Ar­beit­ge­ber nicht sei­ner­seits an­walt­li­cher Ver­tre­tung be­dient 162 (in die­sem Fal­le wirkt auch § 11 a ArbGG 163 zu­tiefst be­redt), wäre es

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160 S. zur ka­te­go­ria­len Ver­schie­den­heit im hie­si­gen Kon­text – da­mals des § 90 BGB (s. oben, S. 15 Fn. 102) be­reits Ge­org Fla­tow/Ot­to Kahn-Freund, BRG, 13. Auf­la­ge (1931), § 90 Anm. 4: „Die Fris­ten, um die es sich han­delt, sind mit Aus­nah­me der An­trags- und Kla­ge­fris­ten in § 82 Abs. 3 und § 86 Abs. 1 nicht Fris­ten zur Ausübung von Pro­zess­hand­lun­gen, son­dern zur außer­ge­richt­li­chen Gel­tend­ma­chung von Rech­ten. Auch bei den Kla­ge­fris­ten han­delt es sich nicht um Fris­ten in­ner­halb ei­nes Ver­fah­rens, son­dern um Fris­ten, durch die ein Ver­fah­ren erst be­gon­nen wird, wie sie in § 586 ZPO vor­kom­men, wo aber die ,Kla­ge' in Wirk­lich­keit nur ei­ne Art Rechts­mit­tel ge­gen ein frühe­res Ur­teil ist. Die Wie­der­ein­set­zung in den vo­ri­gen Stand nach § 90 ist dem­nach von der nach §§ 233 ZPO, §§ 44 ff. St­PO, §§ 22, 92 FGG grundsätz­lich ver­schie­den“.
161 So aber auch BAG 11.12.2008 (Fn. 69) [B.II.2 d, aa.]: „Es würde zu Wer­tungs­wi­dersprüchen führen, wenn ein Or­ga­ni­sa­ti­ons­ver­schul­den des Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten hier fol­gen­los blie­be, der glei­che Feh­ler ihm bei der Ein­le­gung der Be­ru­fung aber zu­ge­rech­net würde“.
162 S. zum An­teil an­walt­lich ver­tre­te­ner Ar­beit­ge­ber im Kündi­gungs­schutz­ver­fah­ren in­struk­tiv Ar­min Höland/Ute Kahl/Na­di­ne Zei­big, Kündi­gungs­pra­xis und Kündi­gungs­schutz im Ar­beits­verhält­nis – Ei­ne em­pi­ri­sche Pra­xis­un­ter­su­chung aus Sicht des ar­beits­ge­richt­li­chen Ver­fah­rens (2004), S. 127; da­nach wa­ren nach Er­he­bun­gen zum Jah­re 2003 spätes­tens im Kam­mer­ter­min 70 v.H. der Ar­beit­ge­ber an­walt­lich ver­tre­ten und wei­te­re 16 v.H. durch Be­auf­trag­te ei­nes Ar­beit­ge­ber­ver­ban­des.
162 S. Text­aus­zug: „§ 11 a Bei­ord­nung ei­nes Rechts­an­walts, Pro­zess­kos­ten­hil­fe. (1) Ei­ner Par­tei, die außer­stan­de ist, oh­ne Be­ein­träch­ti­gung des für sie und ih­re Fa­mi­lie not­wen­di­gen Un­ter­halts die Kos­ten des Pro­zes­ses zu be­strei­ten, und die nicht durch ein Mit­glied oder ei­nen An­ge­stell­ten ei­ner Ge­werk­schaft oder ei­ner Ver­ei­ni­gung von Ar­beit­ge­bern ver­tre­ten wer­den kann, hat der Vor­sit­zen­de des Ar­beits­ge­richts auf ih­ren An­trag ei­nen Rechts­an­walt

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zu­tiefst leicht­fer­tig, sein Heil vor Ge­richt „auf ei­ge­ne Faust“ su­chen zu wol­len. - So ge­se­hen, verhält es sich hier nicht an­ders als in sons­ti­gen Fällen, in de­nen die Zu­rech­nung an­walt­li­chen Ver­schul­dens die auf pro­fes­sio­nel­le Sach­kun­de an­ge­wie­se­ne Par­tei „in ei­ne aus­weg­lo­se La­ge“ bringt 164. Das ist zu­dem um­so we­ni­ger ein­zu­se­hen, als der Ar­beit­ge­ber auf­grund des § 5 Abs. 3 Satz 2 KSchG 165 be­kannt­lich oh­ne­hin sechs Mo­na­te lang mit der Möglich­keit rech­nen muss, sei­ne Kündi­gung ge­richt­li­cher Kon­trol­le doch noch aus­set­zen zu müssen 166.
[ c. ] Ge­genüber sol­chen Verhält­nis­sen hilft es den Be­trof­fe­nen nicht wei­ter, auf et­wai­ge Möglich­kei­ten ver­wie­sen zu wer­den 167, sich beim feh­ler­haft han­deln­den Rechts­an­walt um Re­gress bemühen. Das wären – im Bil­de ge­spro­chen – „St­ei­ne statt Brot“: Ab­ge­se­hen da­von, dass sol­che Kom­pen­sa­ti­on in Geld, wie der Zwei­te Se­nat auch zu­bil­ligt 168, den ge­ge­be­nen­falls ver­wirk­lich­ten Scha­den nicht aus­glei­chen kann, muss man zur An­er­ken­nung ei­nes Er­satz­an­spruchs ge­genüber dem Haft­pflicht­ver­si­che­rer des be­vollmäch­tig­ten An­walts doch erst ein­mal kom­men. Das grenzt in­des­sen – ab­ge­se­hen vom wei­te-

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bei­zu­ord­nen, wenn die Ge­gen­par­tei durch ei­nen Rechts­an­walt ver­tre­ten ist. Die Par­tei ist auf ihr An­trags­recht hin­zu­wei­sen. - (2) Die Bei­ord­nung kann un­ter­blei­ben, wenn sie aus be­son­de­ren Gründen nicht er­for­der­lich ist, oder wenn die Rechts­ver­fol­gung of­fen­sicht­lich mut­wil­lig ist“.
164 S. da­zu – al­ler­dings in Fällen förm­li­chen An­walts­zwan­ges im Be­ru­fungs­ver­fah­ren in Kind­schafts­sa­chen – v. Schla­b­ren­dorff (Fn. 65) – Zi­tat Fn. 65.
165 S. Text: „§ 5 Zu­las­sung ver­späte­ter Kla­gen. (1) … (3) Der An­trag ist nur in­ner­halb von zwei Wo­chen nach Be­he­bung des Hin­der­nis­ses zulässig. Nach Ab­lauf von sechs Mo­na­ten, vom En­de der versäum­ten Frist an ge­rech­net, kann der An­trag nicht mehr ge­stellt wer­den“.
166 S. statt vie­ler LAG Nie­der­sach­sen 27.7.2000 (Fn. 87) [II.3 c, bb.]: „Sch­ließlich führt auch der Ge­sichts­punkt der Rechts­si­cher­heit und des Ver­trau­ens­schut­zes zu kei­nem an­de­ren Er­geb­nis, weil für den Ar­beit­ge­ber kein Ver­trau­en­stat­be­stand be­gründet wird. We­gen der Möglich­keit nachträgli­cher Zu­las­sung nach § 5 KSchG dürf­te er für ei­nen Zeit­raum von 6 Mo­na­ten oh­ne­hin nicht dar­auf ver­trau­en, dass ei­ne Kla­ge nicht nachträglich zu­ge­las­sen wird“; s. auch v. Schla­b­ren­dorff (Fn. 65) [4 a (1.)]: „Über­zeu­gend weist das vor­le­gen­de Ge­richt dar­auf hin, dass die in § 234 Abs. 3 ZPO be­gründe­te Aus­schluss­frist von ei­nem Jahr ein genügen­des und ver­fas­sungs­recht­lich un­be­denk­li­ches Kor­rek­tiv dar­stellt, um den Wunsch der ob­sie­gen­den Par­tei nach Endgültig­keit der erst­in­stanz­li­chen Ent­schei­dung zu schützen“; zum Schrift­tum statt vie­ler Er­fArbR/Rei­ner Ascheid, 5. Auf­la­ge (2005), § 5 KSchG Rn. 7: „Ein ge­gensätz­li­ches schutzwürdi­ges In­ter­es­se des AG be­steht nicht, denn er muss oh­ne­hin über ei­nen Zeit­raum von sechs Mo­na­ten noch da­mit rech­nen, dass ei­ne ver­späte­te Kla­ge zu­ge­las­sen wird“ - mit Hin­wei­sen auf Max Voll­kom­mer S. 613.
167 S. in die­sem Sin­ne je­doch BAG 11.12.2008 (Fn. 69) [B.II.2 d, dd.]: „Auch wird der Ar­beit­neh­mer durch ei­ne Zu­rech­nung des Ver­schul­dens des Be­vollmäch­tig­ten nicht völlig schutz-los ge­stellt. Wenn auch oft Kau­sa­lität und Scha­den nicht im­mer leicht zu be­wei­sen sein wer­den, ver­bleibt den Be­trof­fe­nen ein Re­gress­an­spruch ge­gen den Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten (…)“.
168 S. BAG 11.12.2008 (Fn. 69) [B.II.2 d, dd.]: „Zwar ist die­ser auf Scha­dens­er­satz in Geld ge­rich­te­te An­spruch nicht ge­eig­net, den Be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses als sol­chen kom­plett zu kom­pen­sie­ren. Al­ler­dings hat das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt die Ver­ein­bar­keit ei­ner Zu­rech­nung des An­walts­ver­schul­dens mit dem Grund­ge­setz für Ver­fah­ren fest­ge­stellt, die so­gar deut­lich in­ten­si­ver in höchst­persönli­che und da­mit ei­nem Re­gress nicht zugäng­li­che Rechts­po­si­tio­nen ein­grei­fen als das ar­beits­ge­richt­li­che Kündi­gungs­schutz­ver­fah­ren (...)“; s. zur hier­mit an­ge­spro­che­nen Ju­di­ka­tur des BVerfG noch un­ten, Fn. 172.

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ren po­ten­ti­ell enor­men Zeit­ver­zehr - an ei­ne struk­tu­rell unlösba­re Auf­ga­be: Denn in ei­nem sol­chen Fol­ge­pro­zess hat der An­spruch­stel­ler nicht nur sei­nen frühe­ren Be­vollmäch­tig­ten ge­gen sich, son­dern er be­kommt es auch mit ei­ner Ge­richts­bar­keit zu tun, die in den maßgeb­li­chen ar­beits­recht­li­chen Fra­ge­stel­lun­gen al­les an­de­re als „zu Hau­se“ ist. Über die nöti­gen Res­sour­cen, ei­ne sol­che „Ver­dop­pe­lung“ der Pro­zes­se durch­zu­ste­hen, dürf­ten die we­nigs­ten Be­trof­fe­nen verfügen. Die ih­nen mit sol­chem An­sin­nen be­rei­te­ten Be­las­tun­gen ste­hen zu­dem in kei­nem Verhält­nis zum Ge­wicht des In­ter­es­ses des von ei­ner Kon­trol­le sei­ner Kündi­gung persönlich ver­schon­ten Ar­beit­ge­bers, des­sent­we­gen sie dem Be­trof­fe­nen gleich­wohl zu­ge­mu­tet wer­den sol­len 169. Der nicht zu­letzt durch Art. 12 Abs. Satz 1 GG 170 ein­ge­for­der­te 171 Rechts­schutz sähe an­ders aus.
[ d. ] Dem kann nicht mit Er­folg ent­ge­gen ge­hal­ten wer­den, selbst das Bun-des­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) ha­be be­reits die Zu­rech­nung an­walt­li­chen Ver­schul­dens an ver­späte­ter Kla­ge­er­he­bung durch §§ 60 172, 173 Satz 1 173 Vw­GO in Ver­bin­dung mit § 85 Abs. 2 ZPO 174 ge­bil­ligt, und dies so­gar für Pro­blem­la­gen, bei de­nen mit dem Grund­recht auf Asyl­gewährung (Art. 16 a Abs. 1

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169 S. ten­den­zi­ell eben­so be­reits v. Schla­b­ren­dorff (Fn. 65) [4 a (3 b)]: „Man kann nicht sa­gen, dass die­se von der Mehr­heits­mei­nung ge­bil­lig­te Ver­drei­fa­chung der Rechts­strei­tig­kei­ten ei­ne an ma­te­ria­ler Ge­rech­tig­keit und Rechts­si­cher­heit sich ori­en­tie­ren­de aus­glei­chen­de Lösung dar­stellt. In bei­den Nach­fol­ge­pro­zes­sen sind die Pro­zess­aus­sich­ten der un­ter­le­ge­nen Par­tei denk­bar ge­ring. Ihr sind Schwie­rig­kei­ten auf­er­legt, um zu ei­nem ge­rech­ten Aus­gleich zu ge­lan­gen. Die­se Schwie­rig­kei­ten ste­hen mit den auf­zu­op­fern­den In­ter­es­sen der durch erst in­stanz­li­ches Ur­teil ob­sie­gen­den Par­tei in kei­nem sach­ge­rech­ten Verhält­nis. Das al­les ist kei­ne sich an der ma­te­ria­len Ge­rech­tig­keit aus­rich­te­ne Abwägung. Der un­ter­le­ge­nen Par­tei ge­schieht kla­res Un­recht, das durch schutzwürdi­ge In­ter­es­sen ih­res Geg­ners nicht ge­for­dert wird“.
170 S. Text: „Art. 12 [Be­rufs­frei­heit] (1) Al­le Deut­schen ha­ben das Recht, Be­ruf, Ar­beits­platz und Aus­bil­dungsstätte frei zu wählen. Die Be­rufs­ausübung kann durch Ge­setz oder auf Grund ei­nes Ge­set­zes ge­re­gelt wer­den“.
171 S. da­zu nur BVerfG 27.1.1998 – 1 BvL 15/87 – BVerfGE 97, 169 = AP § 23 KSchG 1969 Nr. 17 = EzA § 23 KSchG Nr. 17 = NZA 1998, 470 [Zu Leit­satz 2 a. und B.I.3 b, cc.]: „Im Rah­men der Ge­ne­ral­klau­seln (§§ 242, 138 BGB) zum Schutz der Ar­beit­neh­mer vor ei­ner sit­ten- und treu­wid­ri­gen Ausübung des Kündi­gungs­rechts des Ar­beit­ge­bers ist auch der ob­jek­ti­ve Ge­halt der Grund­rech­te – hier ins­be­son­de­re auch Art. 12 Abs. 1 GG – zu be­ach­ten, so dass der ver­fas­sungs­recht­lich ge­bo­te­ne Min­dest­schutz des Ar­beits­plat­zes vor Ver­lust durch pri­va­te Dis­po­si­ti­on in je­dem Fall gewähr­leis­tet ist“; [B.I.3 b, cc.]: „Der ob­jek­ti­ve Ge­halt der Grund­rech­te kann auch im Ver­fah­rens­recht Be­deu­tung er­lan­gen“; s. mit glei­cher Ten­denz schon BVerfG 20.4.1982 - 2 BvL 26/81 – BVerfGE 60, 253 = NJW 1982, 2425 = JZ 1982, 596 [C.I.4 e.]: „Aus­le­gung und An­wen­dung von Ver­fah­rens­recht, die im Ein­klang mit die­sen Grund­rech­ten steht“.
172 S. Text: „§ 60. (1) Wenn je­mand oh­ne Ver­schul­den ver­hin­dert war, ei­ne ge­setz­li­che Frist ein­zu­hal­ten, so ist im auf An­trag Wie­der­ein­set­zung in den vo­ri­gen Stand zu gewähren. - (2) … [usw.]“.
173 S. Text: „§ 173. So­weit die­ses Ge­setz kei­ne Be­stim­mun­gen über das Ver­fah­rens­recht enthält, sind das Ge­richts­ver­fas­sungs­ge­setz und die Zi­vil­pro­zess­ord­nung ent­spre­chend an­zu­wen­den, wenn die grundsätz­li­chen Un­ter­schie­de der bei­den Ver­fah­rens­ar­ten dies nicht aus­sch­ließen“.
174 S. Text oben, S. 10 Fn. 68.

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GG 175) persönli­che Frei­heits­rech­te auf dem Spiel ste­hen können. - Im Ge­gen­teil: Zum ers­ten geht es auch dort um die Ab­si­che­rung ei­nes kraft staat­li­cher Au­to­rität ge­won­ne­nen Ent­schei­dungs­akts 176 und ge­ra­de nicht um pri­va­te Dis­po­si­ti­on ei­nes Ar­beit­ge­bers (s. schon oben, S. 18 und 24-25). Zum zwei­ten ist zu­min­dest das be­glei­ten­de ver­wal­tungs­recht­li­che Re­gle­ment dar­auf an­ge­legt, dem Be­trof­fe­nen vor ab­sch­ließen­der Ent­schei­dung der zuständi­gen Behörde recht­li­ches Gehör zu ver­schaf­fen (s. all­ge­mein nur § 28 Abs. 1 VwVfG 177) und da­mit für die Ziel­per­son ein Ver­fah­ren zu gewähr­leis­ten, zu dem es beim Aus­spruch der Kündi­gung von Ar­beits­verhält­nis­sen nach vor­herr­schen­der Auf­fas­sung der Ge­rich­te für Ar­beits­sa­chen be­kannt­lich re­gelmäßig kei­ne Par­al­le­le gibt. Zum Drit­ten blie­be zu be­ach­ten, dass das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt a.a.O. bei sei­nen ver­fas­sungs­recht­li­chen Wer­tun­gen mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG 178 über­dies den Hin­weis für ver­an­lasst ge­hal­ten hat, dass für „den ers­ten Zu­gang zum Ge­richt“ als pro­ze­du­ra­le Vor­ga­be für die als­bal­di­ge Be­stands­kraft des Asyl­be­schei­des „auch be­deut­sam“ sei, dass die­sem gemäß § 59 Vw­GO 179 ei­ne Be­leh­rung über die mögli­chen Rechts­be­hel­fe „so­wie über die Frist für die­se Rechts­be­hel­fe bei­zufügen ist“ 180. Und wei­ter 181:

„Die­se ge­setz­lich nor­mier­te Rechts­schutzfürsor­ge ist ge­eig­net, den Be­trof­fe­nen nach­drück­lich auf die Frist­ge­bun­den­heit sei­nes Rechts­schutz­be­geh­rens auf­merk­sam zu ma­chen. Darüber hin­aus er­folgt re­gelmäßig

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175 S. Text: „Art. 16 a [Asyl­recht] (1) Po­li­tisch Ver­folg­te ge­nießen Asyl­recht“.
176 S. BVerfG 20.4.1982 (Fn. 171) [C.II.2 c, aa)]: „Im Be­reich des Rechts­schut­zes die­nen ne­ben dem In­sti­tut der Rechts­kraft (…) in ers­ter Li­nie pro­zes­sua­le Fris­ten der Rechts­si­cher­heit. An der Be­stands­kraft von Ver­wal­tungs­ak­ten be­steht ein ver­gleich­ba­res rechts­staat­li­ches, in der Rechts­si­cher­heit be­gründe­tes In­ter­es­se. Zwar ist es nach der Ver­fas­sungs­ord­nung des Grund­ge­set­zes vor­ran­gig Sa­che der Ge­rich­te, die Rechts­ord­nung durch die letzt­ver­bind­li­che Fest­stel­lung des­sen, was im kon­kre­ten Fal­le rech­tens ist, zu si­chern. Das Er­for­der­nis der Rechts­si­cher­heit gilt in­des nicht min­der in an­de­ren Wir­kungs­be­rei­chen der Rechts­ord­nung und in­be­son­de­re im Vor­feld der mögli­chen Be­fas­sung der Ge­rich­te. Die­ses Er­for­der­nis ge­bie­tet es auch, dass übe­r­all dort, wo Ak­te mit dem An­spruch recht­li­cher Ver­bind­lich­keit ge­setzt wer­den, den Be­trof­fe­nen möglichst schnell Ge­wiss­heit über das für sie Ver­bind­li­che zu­teil wer­de. Das gilt zu­mal im Ver­wal­tungs­recht. Es ist weit­hin von der Möglich­keit ho­heit­lich-ver­bind­li­cher Rechts­ge­stal­tung und -fest­stel­lung ge­kenn­zeich­net. Ge­ra­de in ei­nem Staat, der so weit­ge­hend recht­li­cher Kon­trol­le un­ter­stellt ist, ist es un­ab­ding­bar, dass die Be­stands­kraft sei­ner Ver­wal­tungs­ak­te bin­nen an­ge­mes­se­ner Fris­ten ein­tritt, soll er nicht hand­lungs­unfähig wer­den und da­mit der Frei­heit al­ler Ab­bruch ge­tan wer­den. Gibt die Rechts­ord­nung der Ver­wal­tungs­behörde die Möglich­keit, durch Ho­heits­akt für ih­ren Be­reich das im Ein­zell­fall recht­lich Ver­bind­li­che fest­zu­stel­len, zu be­gründen oder zu verändern, so be­steht auch ein ver­fas­sungs­recht­li­ches In­ter­es­se dar­an, sei­ne Be­stands­kraft her­bei­zuführen“.
177 S. Text: „§ 28 Anhörung Be­tei­lig­ter. (1) Be­vor ein Ver­wal­tungs­akt er­las­sen wird, der in Rech­te ei­nes Be­tei­lig­ten ein­greift, ist die­sem Ge­le­gen­heit zu ge­ben, sich zu den für die Ent­schei­dung er­heb­li­chen Tat­sa­chen zu äußern“.
178 S. Text: „Art. 19 [Ein­schränkung von Grund­rech­ten, Rechts­weg] (1) … (4) Wird je­mand durch die öffent­li­che Ge­walt in sei­nen Rech­ten ver­letzt, so steht ihm der Rechts­weg of­fen“.
179 S. Text: „§ 59. Erlässt ei­ne Bun­des­behörde ei­nen schrift­li­chen Ver­wal­tungs­akt, der der An­fech­tung un­ter­liegt, so ist ei­ne Erklärung bei­zufügen, durch die der Be­tei­lig­te über den Rechts­be­helf, der ge­gen den Ver­wal­tungs­akt ge­ge­ben ist, über die Stel­le, bei der der Rechts­be­helf ein­zu­le­gen ist, und über die Frist be­lehrt wird“.
180 S. BVerfG 20.4.1982 (Fn. 171) [C.I.4 d.].
181 S. BVerfG 20.4.1982 a.a.O.

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auch ei­ne Be­leh­rung über die Zu­rech­nung des Ver­schul­dens des Pro-zess­ver­tre­ters. An­ge­sichts des­sen ist vor den An­for­de­run­gen des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG kei­ne un­zulässi­ge Wer­tung zu er­war­ten, dass der Be-trof­fe­ne gehöri­ge An­stren­gun­gen un­ter­nimmt, die Frist zu wah­ren, wenn er den Rechts­weg ein­schla­gen will“.

Man sieht (hof­fent­lich): Exis­tie­ren dem­ge­genüber im Vor­feld der Kündi­gung von Ar­beits­verhält­nis­sen we­der ob­li­ga­to­ri­sche Vor­schrif­ten zur Si­che­rung recht­li­chen Gehörs des Ver­pflich­te­ten noch Be­leh­rungs­er­for­der­nis­se ge­genüber dem Adres­sa­ten ei­ner Kündi­gung hin­sicht­lich sei­ner Möglich­kei­ten zu recht­li­cher Ge­gen­wehr, so kann auch in­so­fern kei­ne Re­de da­von sein, dass bei der Kla­ge­frist des § 4 Satz 1 KSchG ei­ne ge­mes­sen am ko­di­fi­zier­ten In­ter­es­sen­aus­gleich des § 85 Abs. 2 ZPO ana­lo­giefähig ver­gleich­ba­re In­ter­es­sen­la­ge vorläge. Die Her­an­zie­hung sei­ner Wer­tun­gen schei­det nach al­lem hier in je­dem Fal­le aus, oh­ne dass es auf die Ver­tie­fung der Fra­ge nach dem Ein­fluss grund­recht­li­cher Schutz­pflich­ten 182 (s. hier­zu Art. 1 Abs. 3 GG 183) aus Art. 12 Abs. 1 GG noch ankäme.
ac. Nach al­le­dem brauch­te die hie­si­ge Kläge­rin sich et­wai­ges Ver­schul­den ih­rer Be­vollmäch­tig­ten an der Ver­spätung der Kündi­gungs­schutz­kla­ge nicht zu­rech­nen zu las­sen. Die Kla­ge wäre so­mit schon des­halb nachträglich zu­zu­las­sen.
b. Wie be­reits vor­aus­ge­schickt, hätte dem Zu­las­sungs­an­trag al­ler­dings wohl auch dann ent­spro­chen wer­den müssen, wenn es sich in der Fra­ge der recht­li­chen Prüfungs­maßstäbe zu § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG an­ders ver­hiel­te. In die­sem Fälle schlüge zu Bu­che, dass sich ein Ver­schul­den ih­rer Be­vollmäch­tig­ten an der Versäum­ung der Kla­ge­frist nicht fest­stel­len ließe:
ba. So­weit dies zunächst Herrn Rechts­an­walt Sch.. be­trifft, den die Kläge­rin un­strei­tig „mit ih­rer Ver­tre­tung in der Sa­che“ be­auf­tragt hat­te 184 , so steht nach den verfügba­ren Er­kennt­nis­quel­len fest, dass die­ser das Kündi­gungs­schrei­ben ent­ge­gen ge­nom­men und un­ter Fer­ti­gung hand­schrift­li­cher No­ti­zen ei­nem be­reits lau­fen­den Vor­gang körper­lich zu­ge­ord­net hat. We­der hat er den Vor­gang da­bei, so­weit es sich rück­bli­ckend aus den nach sei­nem Aus­fall am 31. Mai 2011 an sei­nem Ar­beits­platz vor­ge­fun­de­nen Verhält­nis­sen hat re­kon­stru­ie­ren

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182 S. statt vie­ler aus jünge­rer Zeit BVerfG 30.7.2003 – 1 BvR 792/03 – NZA 2003, 959, wo das Ge­richt ein­mal mehr be­tont, dass die Grund­rech­te „ih­re Wirk­kraft als ver­fas­sungs­recht­li­che Wer­tent­schei­dun­gen durch das Me­di­um der Vor­schrif­ten ent­fal­ten, die das je­wei­li­ge Rechts­ge­biet un­mit­tel­bar be­herr­schen, da­mit vor al­lem auch durch die zi­vil­recht­li­chen Ge­ne­ral­klau­seln“. Der Staat ha­be „auch in­so­weit die Grund­rech­te des Ein­zel­nen zu schützen und vor Ver­let­zung durch an­de­re zu be­wah­ren“. Da­bei fällt es, so­weit das ge­schrie­be­ne Ge­set­zes­recht den In­ter­es­sen­aus­gleich zwi­schen den Be­tei­lig­ten nicht ab­sch­ließend aus-ge­stal­tet hat, den Fach­ge­richts­bar­kei­ten zu, „die­sen grund­recht­li­chen Schutz durch Aus­le­gung und An­wen­dung des Rechts zu gewähren und im Ein­zel­fall zu kon­kre­ti­sie­ren“.
183 S. Text: „Art. 1 [Schutz der Men­schenwürde, Men­schen­rech­te, Grund­rechts­bin­dung] (1) … (3) Die nach­fol­gen­den Grund­rech­te bin­den Ge­setz­ge­bung, voll­zie­hen­de Ge­walt und Recht­spre­chung als un­mit­tel­bar gel­ten­des Recht“.
184 S. oben, S. 3 [III.] mit Fn. 17.

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las­sen (s. oben, 4 [IV.]; Ur­teils­an­la­ge II.), als neu­es Man­dat kennt­lich ge­macht, noch ei­ne Frist zur Wie­der­vor­la­ge verfügt oder auch nur de­ren No­tie­rung ver­an­lasst. Wäre dies al­les nun un­ter re­gulären ge­sund­heit­li­chen Be­din­gun­gen des An­walts ge­sche­hen, für die sich der „Schat­ten“ des her­auf­zie­hen­den Schlag­an­falls kur­zer­hand aus­blen­den ließe, so läge der Man­gel an do­ku­men­ta­to­ri­scher Vor­sor­ge ge­gen die Versäum­ung pünkt­li­cher Ein­rei­chung der Kündi­gungs­schutz­kla­ge auf der Hand. Denn die so­for­ti­ge büro­or­ga­ni­sa­to­ri­sche Fi­xie­rung der hier­zu zu wah­ren­den Fris­ten gehört zu den ele­men­ta­ren Vor­keh­run­gen ge­gen das Ri­si­ko, die frag­li­chen Ak­ti­vitäten un­ter dem Ein­druck kon­kur­rie­ren­der Auf­ga­ben aus den Au­gen zu ver­lie­ren. - Al­lein: Von sol­chen re­gulären Be­din­gun­gen kann hier nicht kur­zer­hand aus­ge­gan­gen wer­den. Han­del­te es sich beim Zu­sam­men­bruch von Herrn Rechts­an­walt Sch.. am Abend des 31. Mai 2011 wirk­lich, wofür al­les spricht, um ei­nen Schlag­an­fall, so er­schei­nen ge­ra­de un­ter Berück­sich­ti­gung der von der Kläge­rin glaub­haft ge­mach­ten Auffällig­kei­ten schon in den Ta­gen zu­vor Störun­gen in ho­hem Maße plau­si­bel, die sei­ne Ver­schul­densfähig­keit im Sin­ne des § 827 Abs. 1 Satz 1 BGB 185 aus­ge­schlos­sen ha­ben dürf­ten. - Der vom Be­klag­ten in­so­weit an­ge­reg­ten Klärung durch Ak­ti­vie­rung me­di­zi­ni­schen Sach­ver­stan­des 186 be­darf es hier an­ge­sichts des Um­stan­des, dass die Kam­mer die The­ma­tik hier nur ergänzend zur Spra­che bringt, al­ler­dings nicht.
bb. Et­was an­de­res würde auch nicht für die Zeit­span­ne gel­ten, die nach dem Aus­fall von Rechts­an­walt Sch.. bis zum Ab­lauf der Kla­ge­frist mit dem 8. Ju­ni 2011 noch ver­blieb: In­so­weit steht zwar fest, dass sich auf sei­nem Schreib­tisch die Ak­te der Kläge­rin be­fand, die im Büro der Be­vollmäch­tig­ten we­gen ih­res Rechts­streits mit der Bun­des­agen­tur für Ar­beit geführt wur­de. Eben­so stand fest, dass Rechts­an­walt Sch.. und die Kläge­rin am 23. Mai 2011 ei­ne Un­ter­re­dung hat­ten. Al­ler­dings ver­hilft das nicht zum Vor­wurf ge­gen die übri­gen Teil­ha­ber der So­zietät, sie hätten bei der Ver­ge­wis­se­rung über die Exis­tenz frist­ge­bun­de­ner An­ge­le­gen­hei­ten des Kol­le­gen ih­re Sorg­falts­pflich­ten ver­letzt: Wenn es – wie glaub­haft ge­macht - zu­trifft, dass das Kündi­gungs­schrei­ben des Be­klag­ten vom 18. Mai 2011 in be­sag­ter Ak­te des an­de­ren Rechts­streits be­fand, dann war ihm bei sol­cher „Tar­nung“ in der Tat nicht oh­ne Wei­te­res an­zu­se­hen, dass sich in ihm ne­ben dem lau­fen­den so­zi­al­ver­si­chungs­recht­li­chen Man­dat ein Kündi­gungs­schutz­man­dat verkörper­te. - Das brauch­te dann - in­so­weit nach­voll­zieh­bar - erst mit dem An­ruf der Kläge­rin am 14. Ju­ni 2011 ma­ni­fest wer­den.

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185 S. Text: „§ 827 Aus­schluss und Min­de­rung der Ver­ant­wort­lich­keit. (1) Wer im Zu­stand der Be­wusst­lo­sig­keit oder in ei­nem die freie Wil­lens­bil­dung aus­sch­ließen­den Zu­stand krank­haf­ter Störung der Geis­testätig­keit ei­nem an­de­ren Scha­den zufügt, ist für den Scha­den nicht ver­ant­wort­lich“.
186 S. oben, S. 5 [VI.] Fn. 36.

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III. Die Kon­se­quen­zen zieht der Te­nor zu I. des Ur­teils. - Die Kos­ten­ent­schei­dung bleibt dem En­dur­teil vor­be­hal­ten (Te­nor zu II.). Den Wert des Streit­ge­gen­stan­des hat die Kam­mer auf­grund des § 61 Abs. 1 ArbGG 187 im Te­nor fest­ge­setzt und in An­leh­nung an § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG 188 mit dem drei­fa­chen des frühe­ren Mo­nats­ge­halts der Kläge­rin be­mes­sen, al­so mit (3 x 2.461,65 Eu­ro = ) 7.384,95 Eu­ro. So erklärt sich der Te­nor III.

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S. Text: „§ 61 In­halt des Ur­teils. (1) Den Wert des Streit­ge­gen­stan­des setzt das Ar­beits­ge­richt im Ur­teil fest“.
S. Text: „§ 42 Wie­der­keh­ren­de Leis­tun­gen. (1) … (4) Für die Wert­be­rech­nung bei Rechts­strei­tig­kei­ten vor den Ge­rich­ten für Ar­beits­sa­chen über das Be­ste­hen, das Nicht­be­ste­hen oder die Kündi­gung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses ist höchs­tens der Be­trag des für die Dau­er ei­nes Vier­tel­jahrs zu leis­ten­den Ar­beits­ent­gelts maßge­bend; ei­ne Ab­fin­dung wird nicht hin­zu­ge­rech­net“.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g e n

Ge­gen die­ses Ur­teil kann von dem Be­klag­ten Be­ru­fung ein­ge­legt wer­den.

Die Be­ru­fungs­schrift muss von ei­nem bei ei­nem deut­schen Ge­richt zu­ge­las­se­nen Rechts­an­walt oder ei­nem Ver­tre­ter ei­ner Ge­werk­schaft bzw. ei­ner Ar­beit­ge­ber­ver­ei­ni­gung oder ei­nes Zu­sam­men­schlus­ses sol­cher Verbände ein­ge­reicht wer­den.

Die Be­ru­fungs­schrift muss in­ner­halb

ei­ner Not­frist von ei­nem Mo­nat

bei dem

Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg,
Mag­de­bur­ger Platz 1, 10785 Ber­lin

ein­ge­gan­gen sein. Die Be­ru­fungs­schrift muss die Be­zeich­nung des Ur­teils, ge­gen das die Be­ru­fung ge­rich­tet wird, so­wie die Erklärung ent­hal­ten, dass die Be­ru­fung ge­gen die­ses Ur­teil ein­ge­legt wer­de.

Sie ist gleich­zei­tig oder in­ner­halb

ei­ner Frist von zwei Mo­na­ten

in glei­cher Form schrift­lich zu be­gründen.

Die Schrift­form wird auch durch Ein­rei­chung ei­nes elek­tro­ni­schen Do­ku­ments im Sin­ne des § 46 c ArbGG genügt. Nähe­re In­for­ma­tio­nen da­zu fin­den sich auf der In­ter­net­sei­te un­ter www.ber­lin.de/erv.

Bei­de Fris­ten be­gin­nen mit der Zu­stel­lung des in vollständi­ger Form ab­ge­setz­ten Ur­teils, spätes­tens aber mit Ab­lauf von fünf Mo­na­ten nach der Verkündung.

Da­bei ist zu be­ach­ten, dass bei ei­ner Zu­stel­lung durch Nie­der­le­gung bei ei­ner Nie­der­las­sung der Deut­schen Post AG die Frist be­reits mit der Nie­der­le­gung und Be­nach­rich­ti­gung in Lauf ge­setzt wird, al­so nicht erst mit der Ab­ho­lung der Sen­dung. Das Zu­stel­lungs­da­tum ist auf dem Um­schlag ver­merkt.

Für die Kläge­rin ist ge­gen die­ses Ur­teil kein Rechts­mit­tel ge­ge­ben.

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Von der Be­gründungs­schrift wer­den zwei zusätz­li­che Ab­schrif­ten zur Un­ter­rich­tung der eh­ren­amt­li­chen Rich­ter er­be­ten.


Wei­te­re Statt­haf­tig­keits­vor­aus­set­zun­gen er­ge­ben sich aus § 64 Abs. 2 ArbGG:
„Die Be­ru­fung kann nur ein­ge­legt wer­den,
a) wenn sie in dem Ur­teil zu­ge­las­sen wor­den ist,
b) wenn der Wert des Be­schwer­de­ge­gen­stan­des 600 Eu­ro über­steigt,
c) in Rechts­strei­tig­kei­ten über das Be­ste­hen, das Nicht­be­ste­hen oder die Kündi­gung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses oder
d) wenn es sich um ein Versäum­nis­ur­teil han­delt, ge­gen das der Ein­spruch an sich nicht statt­haft ist, wenn die Be­ru­fung oder An­schluss­be­ru­fung dar­auf gestützt wird, dass der Fall schuld­haf­ter Versäum­ung nicht vor-ge­le­gen ha­be“.

 

D r . R.

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