07.03.2016. Sind Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig erkrankt, muss der Arbeitgeber ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) durchführen.
Dazu muss der Arbeitgeber den betroffenen Arbeitnehmer beteiligen und, falls der Arbeitnehmer einverstanden ist, auch den Betriebsrat (§ 84 Abs.2 Satz 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB IX). Bei Einleitung des BEM muss der Arbeitgeber auf dessen Ziele hinweisen und auf Art und Umfang der dafür erhobenen und verwendeten Daten.
Ohne einen solchen datenbezogenen Hinweis lieg kein ordnungsgemäßes BEM vor, wie das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein vor kurzem klargestellt hat: LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 22.09.2015, 1 Sa 48 a/15.
Sind Arbeitnehmer über mehrere Jahre hinweg jeweils länger als sechs Wochen pro Jahr arbeitsunfähig erkrankt, müssen sie mit einer krankheitsbedingten Kündigung rechnen. Hier hilft auch der Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) oft nicht. Denn § 1 KSchG erlaubt dem Arbeitgeber in solchen Fällen eine ordentliche Kündigung aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers.
Konkret ist eine krankheitsbedingte ordentliche Kündigung nach der Rechtsprechung zulässig, wenn
Beim dritten Prüfungspunkt, der Verhältnismäßigkeit, kommt es unter anderem auf die Frage an, ob der Arbeitnehmer auf einem anderen, "leidensgerechten" Arbeitsplatz eingesetzt werden könnte, an dem sich seine gesundheitlichen Probleme nicht so stark bemerkbar machen würden. Gibt es eine solche Möglichkeit, wäre die Kündigung unverhältnismäßig.
Im Prinzip kann der Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess pauschal behaupten, dass keine andere Beschäftigungsmöglichkeit für den krankheitsbedingt gekündigten Arbeitnehmer vorhanden sei. Dann liegt der Ball beim Arbeitnehmer, d.h. er muss das Gericht vom Vorhandensein einer solchen Beschäftigungsmöglichkeit überzeugen. Das gelingt nur selten.
An dieser Stelle kommt allerdings zugunsten des Arbeitnehmers das BEM in Spiel. Denn mit dem BEM soll ja herausgefunden werden, ob es Alternativen zu einer Kündigung gibt. Und das heißt nach der Rechtsprechung:
Hat der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung kein BEM in die Wege geleitet, muss vor Gericht nicht etwa der Arbeitnehmer beweisen, dass es als Alternative zur Kündigung eine leidensgerechte Beschäftigungsmöglichkeit gibt. Vielmehr ist es Aufgabe des Arbeitgebers, das Gericht davon zu überzeugen, dass es keine solche Beschäftigungsmöglichkeit gibt. Und das gelingt dem Arbeitgeber praktisch nie.
Umso wichtiger ist es daher für den Arbeitgeber, im Vorfeld einer möglichen krankheitsbedingten Kündigung bei der Einleitung des BEM nicht zu patzen, d.h. alles richtig zu machen. Und dazu gehört, wie das Bundesarbeitsgericht (BAG) 2014 klargestellt hat, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf die Ziele des BEM und auf die Art und den Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten vorab hinweist (BAG, Urteil vom 20.11.2014, 2 AZR 755/13).
An solchen Formalitäten kann eine krankheitsbedingte Kündigung vor Gericht scheitern, wie der Fall des LAG Schleswig-Holstein zeigt.
Im Streitfall war ein 50jähriger und seit 29 Jahren beschäftigter Lagerarbeiter häufig für kürzere Zeit arbeitsunfähig erkrankt, was zu folgenden Ausfallzeiten führte:
Ende Februar 2014 bescheinigte ein Arzt, dass der Lagerarbeiten Tätigkeiten mit Zwangshaltungen der Wirbelsäule nicht mehr verrichten könne. Ausgeschlossen seien auch Hebe- und Tragearbeiten ohne Hilfsmittel bei Gegenständen über fünf Kilogramm Gewicht. Daraufhin setzte der Arbeitgeber den Lagerarbeiter an einem anderen Arbeitsplatz als bisher ein.
Mit Schreiben vom 14.01.2014 und vom 09.04.2014 bot der Arbeitgeber ein BEM an. Diese beiden Schreiben enthielten keinen Hinweis zur Datenerhebung und Datenverwendung. Dem Kläger wurde nicht mitgeteilt, welche Krankheitsdaten erhoben und gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden.
Der Arbeitnehmer erwiderte auf diese Schreiben, er wolle zurzeit kein BEM-Gespräch führen und komme bei Bedarf auf den Arbeitgeber bzw. auf das im Betrieb bestehende Integrationsteam zu.
Der Arbeitgeber erklärte daraufhin nach vorheriger Anhörung des Betriebsrats im Mai 2014 eine ordentliche krankheitsbedingte Kündigung.
Das dagegen gerichtete Kündigungsschutzklage wies das Arbeitsgericht Neumünster zurück (Urteil vom 15.01.2015, 4 Ca 704 c/14). Dagegen legte der Lagerarbeiter Berufung ein.
Vor dem LAG Schleswig-Holstein hatte der Kläger dagegen Erfolg, d.h. das Gericht bewertete die Kündigung als unwirksam. Zur Begründung heißt es:
Der Arbeitgeber konnte zwar wegen der erheblichen Fehlzeiten im Ausgangspunkt eine negative Gesundheitsprognose darlegen. Diese Prognose konnte der gekündigte Arbeitnehmer aber vor Gericht entkräften, indem er ärztliche Bescheinigungen vorlegte, die ihm eine positiven Gesundheitsverlauf attestierten.
Aber selbst dann, wenn man zugunsten des Arbeitgebers von einer negativen Gesundheitsprognose ausgehen würde, wäre die krankheitsbedingte Kündigung unverhältnismäßig, so das LAG. Denn der Arbeitgeber hatte nicht ausreichend erklärt, wieso eine leidensgerechte Arbeit ausgeschlossen sein sollte.
Hier fiel es dem Arbeitgeber auf die Füße, dass er kein korrektes BEM durchgeführt hatte. Und das wiederum lag daran, dass er nicht vorab den nach dem Gesetz erforderlichen Hinweis auf die Datennutzung gegeben hatte. Hier hätte der Arbeitgeber, so das LAG, einen Hinweis geben müssen,
"der klarstellt, dass nur solche Daten erhoben werden, deren Kenntnis erforderlich ist, um ein zielführendes, der Gesundung und Gesunderhaltung des Betroffenen dienendes BEM durchführen zu können. Dem Arbeitnehmer muss mitgeteilt werden, welche Krankheitsdaten als sensible Daten im Sinne von § 3 Abs. 9 BDSG erhoben und gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden. Nur bei entsprechender Unterrichtung kann vom Versuch der ordnungsgemäßen Durchführung eines BEM die Rede sein (...)."
Fazit: Führt der Arbeitgeber kein BEM durch oder entspricht dieses nicht den gesetzlichen Anforderungen, hat der Arbeitgeber äußerst schlechte Chancen, mit einer dennoch ausgesprochenen krankheitsbedingten Kündigung vor Gericht durchzukommen. Und zu einem gesetzeskonformen BEM gehört, dass der Arbeitgeber zuvor, d.h. bei Einleitung des BEM-Verfahrens, den datenbezogenen Hinweis nach § 84 Abs.2 Satz 2 SGB IX gibt.
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Letzte Überarbeitung: 3. März 2017
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