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ARBEITSRECHT AKTUELL // 11/053

Be­triebs­rat er­strei­tet Un­wirk­sam­keit ei­nes Be­schlus­ses der Ei­ni­gungs­stel­le

Ei­ni­gungs­stel­le: Un­ter­schrift un­ter Be­schluss­aus­fer­ti­gung darf nicht feh­len: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Be­schluss vom 14.09.2010, 1 ABR 30/09
Dokument mit Unterschriftenzeile und Füller Form­m­an­gel feh­len­de Un­ter­schrift
16.03.2011. Zur Bei­le­gung von Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten zwi­schen Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat sieht das Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz (Be­trVG) die Bil­dung ei­ner in­ner­be­trieb­li­chen Sch­lich­tungs­stel­le vor. Da­bei han­delt es sich um ei­ne "Ei­ni­gungs­stel­le" (§ 76 Abs. 1 Be­triebs­er­fas­sungs­ge­setz), an die bei ent­spre­chen­der ta­rif­ver­trag­li­cher Ver­ein­ba­rung auch ei­ne ta­rif­li­che Sch­lich­tungs­stel­le tre­ten kann (§ 76 Abs. 8 Be­trVG).

Sie ist ein Aus­gleich da­für, dass der Be­triebs­rat ge­mäß § 74 Abs. 2 Satz 1 Halb­satz 1 Be­trVG nicht zum Streik auf­ru­fen darf und kann da­zu bei­tra­gen, un­ter dem Vor­sitz ei­nes neu­tra­len Drit­ten doch noch ei­ne Ei­ni­gung zu er­zie­len. In den prak­tisch wich­tigs­ten, ge­setz­lich ge­re­gel­ten Fäl­len kann die Tä­tig­keit ei­ner Ei­ni­gungs­stel­le auf An­trag ei­ner Sei­te ein­ge­lei­tet wer­den. Es ist zu­meist der Be­triebs­rat, der von die­ser Mög­lich­keit Ge­brauch macht. Das be­son­de­re an die­sen so ge­nann­ten er­zwing­ba­ren Ver­fah­ren ist, dass der Spruch der Ei­ni­gungs­stel­le die Ei­ni­gung zwi­schen Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat er­setzt (§ 76 Abs. 5 Satz 1 Be­trVG). In al­len an­de­ren Fäl­len - man spricht hier von ei­nem frei­wil­li­gen Ver­fah­ren - wird die Ei­ni­gungs­stel­le nur tä­tig, wenn bei­de Sei­ten es be­an­tra­gen oder mit ih­rem Tä­tig­wer­den ein­ver­stan­den sind (§ 76 Abs. 6 Be­trVG). In die­sen Fäl­len er­setzt ihr Spruch die Ei­ni­gung nur, wenn das von bei­den Be­tei­lig­ten so ge­wollt ist.

Auf wel­che Wei­se ei­ne Ei­ni­gungs­stel­le ge­bil­det wird und wie das Ei­ni­gungs­stel­len­ver­fah­ren selbst ab­läuft, ist ge­setz­lich nur in Grund­zü­gen ge­re­gelt. Sie be­steht aus Bei­sit­zern, die von den Be­triebs­par­tei­en je­weils in glei­cher An­zahl (im Re­gel­fall zwei) ge­stellt wer­den, und ei­nem un­par­tei­ischen Vor­sit­zen­den (§ 76 Abs. 2 Be­trVG). Die Ei­ni­gungs­stel­le hat "un­ver­züg­lich" tä­tig zu wer­den und fasst ih­re Be­schlüs­se nach münd­li­cher Be­ra­tung mit Stim­men­mehr­heit (§ 76 Abs. 3 Be­trVG). Da­bei ent­hält sich der Vor­sit­zen­de zu­nächst der Stim­me und gibt den Ver­tre­tern der Be­triebs­par­tei­en da­mit die Mög­lich­keit, sich zu ei­ni­gen. Ty­pi­scher­wei­se en­det ei­ne sol­che Ab­stim­mung al­ler­dings in ei­nem Patt. In die­sem Fall fin­det ei­ne wei­te­re Be­ra­tung und an­schlie­ßend ei­ne er­neu­te Ab­stim­mung statt. An die­ser nimmt der Vor­sit­zen­de dann teil und wird so zum "Züng­lein an der Waa­ge". Die­se be­son­de­re Be­deu­tung des Vor­sit­zen­den ist der Grund, war­um teil­wei­se schon über die Be­set­zung der Ei­ni­gungs­stel­le hef­tig ge­strit­ten wird (wir be­rich­te­ten zu­letzt in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 10/241 LAG Hamm folgt Wind­hund­prin­zip bei Streit um Vor­sit­zen­den ei­ner Ei­ni­gungs­stel­le).

Die Be­schlüs­se der Ei­ni­gungs­stel­le sind, so der aus­drück­li­che Ge­set­zes­wort­laut, "schrift­lich nie­der­zu­le­gen, vom Vor­sit­zen­den zu un­ter­schrei­ben und Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat zu­zu­lei­ten" (§ 76 Abs. 3 Satz 4 Be­trVG).

Ist ei­ne der bei­den Be­triebs­par­tei­en mit die­sem Be­schluss, d.h. dem Spruch der Ei­ni­gungs­stel­le un­zu­frie­den, be­steht die Mög­lich­keit, ge­richt­lich des­sen Un­wirk­sam­keit fest­stel­len zu las­sen. Die­se kann sich aus sei­nem In­halt oder aus Ver­fah­rens­feh­lern bei sei­ner Ent­ste­hung er­ge­ben.

In ei­nem vom Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) ent­schie­de­nen Fall hat­te ein Be­triebs­rat sich aus in­halt­li­chen Grün­den ge­gen den Be­schluss ei­ner ta­rif­li­chen Sch­lich­tungs­stel­le ge­wehrt, der auf An­trag des Ar­beit­ge­bers zu Stan­de ge­kom­men war. Nach­dem ei­ne ers­te Ab­stim­mung kei­ne Mehr­heit fand, wur­de der An­trag auf Vor­schlag des Vor­sit­zen­den ge­ring­fü­gig ge­än­dert und so­dann un­ter Be­tei­li­gung des Vor­sit­zen­den er­neut ab­ge­stimmt. Spä­ter über­mit­tel­te der Vor­sit­zen­de ein von ihm un­ter­zeich­ne­tes Sit­zungs­pro­to­koll und ei­ne nicht un­ter­zeich­ne­te Aus­fer­ti­gung des Sch­lich­tungs­stel­len­spruchs.

Vor dem Ar­beits­ge­richt Ha­meln (Be­schluss vom 16.06.2008, 2 BV 8/07) und dem Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Nie­der­sach­sen (Be­schluss vom 09.02.2009, 8 TaBV 70/08) ver­such­te der Be­triebs­rat zu­nächst ver­geb­lich, die Un­wirk­sam­keit des Be­schlus­ses fest­stel­len zu las­sen. Das lehn­ten bei­de In­stan­zen aus in­halt­li­chen Grün­den ab. Vor dem BAG kam es dann zu ei­ner über­ra­schen­den Wen­de.

Das obers­te deut­sche Ar­beits­ge­richt ent­schied, der Spruch der Ei­ni­gungs­stel­le sei be­reits aus for­ma­len Grün­den un­wirk­sam. Die mit dem Un­ter­schrifts­er­for­der­nis be­zweck­te Rechts­klar­heit wird nach sei­ner Auf­fas­sung nur er­reicht, wenn sich die Un­ter­schrift ent­we­der un­mit­tel­bar am En­de des Be­schlus­ses oder am En­de der dem Be­schluss un­mit­tel­bar an­ge­füg­ten Be­grün­dung be­fin­det. Nur in die­sem Fall ste­he für den Le­ser zwei­fels­frei fest, wel­chen In­halt die durch die Sch­lich­tungs­stel­le be­schlos­se­ne und im Be­trieb gel­ten­den Re­ge­lun­gen ha­ben. Ab­ge­se­hen da­von hät­te der Vor­sit­zen­de auch nicht so­fort an der Ab­stim­mung über den ge­än­der­ten Vor­schlag teil­neh­men dür­fen. Durch die Än­de­rung wur­de der ur­sprüng­li­che Vor­schlag zu ei­nem neu­en Vor­schlag. Über ihn hät­te da­her, wie ge­setz­lich vor­ge­se­hen, zu­nächst al­lein durch die Bei­sit­zer ab­ge­stimmt wer­den müs­sen.

Die Ent­schei­dung ist rechts­kräf­tig.

Fa­zit: § 76 Be­trVG ent­hält - mit den Wor­ten des BAG - ei­ne ver­bind­li­che Hand­lungs­an­lei­tung. Da­bei ist die Un­ter­schrift ge­wis­ser­ma­ßen der "Schluss­strich" un­ter den Kon­flikt zwi­schen den Be­triebs­par­tei­en. In­so­weit dür­fen des­halb kei­ne Zwei­fel of­fen blei­ben. Die­se auf den ers­ten Blick for­mal­ju­ris­tisch wir­ken­den An­griffs­punk­te kön­nen ins­be­son­de­re dann in­ter­es­sant sein, wenn sich ei­ner der Be­tei­lig­ten von ei­nem Ei­ni­gungs­stel­len­spruch "über­fah­ren" fühlt und die­ser ma­te­ri­ell­recht­lich nicht sinn­voll an­greif­bar ist.

Nä­he­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 18. Oktober 2016

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