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BAG, Be­schluss vom 01.02.2011, 1 ABR 79/09

   
Schlagworte: Arbeitnehmerüberlassung, Mitbestimmung in personellen Angelegenheiten, Stellenausschreibung
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 1 ABR 79/09
Typ: Beschluss
Entscheidungsdatum: 01.02.2011
   
Leitsätze: Der Betriebsrat kann die Ausschreibung von Arbeitsplätzen verlangen, die vom Arbeitgeber dauerhaft für die Besetzung mit Leiharbeitnehmern vorgesehen sind.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Mannheim, Beschluss vom 2.10.2008, 5 BV 14/08
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.03.2009, 16 TaBV 12/08
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

1 ABR 79/09
16 TaBV 12/08
Lan­des­ar­beits­ge­richt

Ba­den-Würt­tem­berg

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

1. Fe­bru­ar 2011

BESCHLUSS

Rad­t­ke, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In dem Be­schluss­ver­fah­ren mit den Be­tei­lig­ten

1.

An­trag­stel­ler, Be­schwer­deführer und Rechts­be­schwer­deführer,

2.

Rechts­be­schwer­deführe­rin,

hat der Ers­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der Anhörung vom 1. Fe­bru­ar 2011 durch die Präsi­den­tin des Bun­des­ar­beits­ge­richts Schmidt, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Linck und Prof. Dr. Koch so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Dr. Kle­be und Rath für Recht er­kannt:
 


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1. Auf die Rechts­be­schwer­de des Be­triebs­rats und un­ter Zurück­wei­sung der Rechts­be­schwer­de der Ar­beit­ge­be­rin wird der Be­schluss des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ba­den-Würt­tem­berg vom 12. März 2009 - 16 TaBV 12/08 - auf­ge­ho­ben.


2. Auf die Be­schwer­de des Be­triebs­rats wird der Be­schluss des Ar­beits­ge­richts Mann­heim vom 2. Ok­to­ber 2008 - 5 BV 14/08 - ab­geändert.

Es wird fest­ge­stellt, dass die Ar­beit­ge­be­rin Ar­beits-plätze aus­schrei­ben muss, die sie dau­er­haft mit Leih­ar­beit­neh­mern zu be­set­zen be­ab­sich­tigt.

Von Rechts we­gen!

Gründe

A. Die Be­tei­lig­ten strei­ten über die Ver­pflich­tung der Ar­beit­ge­be­rin zur Aus­schrei­bung von Ar­beitsplätzen, die dau­er­haft mit Leih­ar­beit­neh­mern be­setzt wer­den sol­len.


Die Ar­beit­ge­be­rin be­treibt ein als ge­meinnützig an­er­kann­tes Be­rufs­bil­dungs­werk. An­trag­stel­ler ist der bei ihr ge­bil­de­te Be­triebs­rat. Für den Be­trieb der Ar­beit­ge­be­rin gilt ei­ne am 23. Ju­ni 2002 ab­ge­schlos­se­ne Kon­zern­be­triebs­ver­ein­ba­rung über das Ver­fah­ren bei Stel­len­aus­schrei­bun­gen (KBV Stel­len­aus­schrei­bung), de­ren §§ 1, 2 lau­ten:


㤠1
Die nach­ge­hend ge­re­gel­te Aus­schrei­bung von Stel­len soll es al­len Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern der be­tref­fen­den Un­ter­neh­men ermögli­chen, un­ter­neh­mens-überg­rei­fend Ent­wick­lungs- und Auf­stiegsmöglich­kei­ten wahr­zu­neh­men.


§ 2
Zur Be­set­zung vor­ge­se­he­ne Ar­beitsplätze (Stel­len) in den be­tref­fen­den SRH-Be­trie­ben und Un­ter­neh­men wer­den von der für die Aus­schrei­bung zuständi­gen Stel­le in das


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IN­TER­NET/SRH-Por­tal ein­ge­stellt oder ih­re Ein­stel­lung dort hin­ein wird ver­an­lasst. Die Ein­stel­lung in das IN­TER-NET/SRH-Por­tal er­folgt in­halts­gleich gleich­zei­tig mit ei­ner even­tu­ell vor­ge­se­he­nen in­ter­nen bzw. ex­ter­nen Aus­schrei­bung.


Hier­von können, mit Zu­stim­mung des für die Ein­stel­lung zuständi­gen Be­triebs­ra­tes, aus­ge­nom­men wer­den Ar­beitsplätze, für die in den je­wei­li­gen Un­ter­neh­men auf­grund des Be­triebs­zwe­ckes, der Aus­bil­dung, der Qua­li­fi­ka­ti­on of­fen­sicht­lich kei­ne Mit­ar­bei­ter für die Be­wer­bung zur Verfügung ste­hen.


Ar­beitsplätze mit be­son­de­ren Qua­li­fi­ka­tio­nen, bei Vor­lie­gen ei­ner ge­eig­ne­ten ex­ter­nen Be­wer­bung.
...“

Zwi­schen den Be­tei­lig­ten ent­stand im Jahr 2008 bei der Ein­stel­lung ei­ner als Krank­heits­ver­tre­tung ein­ge­setz­ten Leih­ar­beit­neh­me­rin Streit darüber, ob die Ar­beit­ge­be­rin zur Aus­schrei­bung von Ar­beitsplätzen ver­pflich­tet ist, die sie mit Leih­ar­beit­neh­mern zu be­set­zen be­ab­sich­tigt.


Der Be­triebs­rat hat dar­auf­hin das vor­lie­gen­de Be­schluss­ver­fah­ren ein­ge­lei­tet und zu­letzt be­an­tragt


fest­zu­stel­len, dass die Ar­beit­ge­be­rin gem. der Kon­zern­be­triebs­ver­ein­ba­rung „Stel­len­aus­schrei­bung“ vom 23. Ju­ni 2002 auch die Stel­len aus­schrei­ben muss, die sie mit Leih­ar­beit­neh­mern zu be­set­zen be­ab­sich­tigt,

hilfs­wei­se


fest­zu­stel­len, dass die Ar­beit­ge­be­rin gem. der Kon­zer­be­triebs­ver­ein­ba­rung „Stel­len­aus­schrei­bung“ vom 23. Ju­ni 2002 auch die Stel­len aus­schrei­ben muss, die sie mit Leih­ar­beit­neh­mern vorüber­ge­hend zu be­set­zen be­ab­sich­tigt.

Die Ar­beit­ge­be­rin hat die Ab­wei­sung der Anträge be­an­tragt. 


Das Ar­beits­ge­richt hat den erst­in­stanz­lich al­lein er­ho­be­nen Haupt­an­trag ab­ge­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat ihm teil­wei­se ent­spro­chen und

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fest­ge­stellt, dass ei­ne Aus­schrei­bungs­pflicht be­steht, so­weit es sich nicht um Ten­denzträger han­delt. Hier­ge­gen rich­ten sich die Rechts­be­schwer­den der Ar­beit­ge­be­rin und des Be­triebs­rats, mit de­nen die­se ih­re zu­letzt ge­stell­ten Anträge wei­ter­ver­fol­gen.

B. Die Rechts­be­schwer­de des Be­triebs­rats ist be­gründet, während sich die Rechts­be­schwer­de der Ar­beit­ge­be­rin als un­be­gründet er­weist.


I. Der Haupt­an­trag des Be­triebs­rats ist zulässig. 


1. Der An­trag be­darf der Aus­le­gung. 


Nach sei­nem Wort­laut ist er auf die Fest­stel­lung ge­rich­tet, dass die Ar­beit­ge­be­rin al­le Ar­beitsplätze ent­spre­chend dem in der KBV Stel­len­aus­schrei­bung be­stimm­ten Ver­fah­ren aus­schrei­ben muss, die sie mit Leih­ar­beit­neh­mern zu be­set­zen be­ab­sich­tigt. Ein sol­ches An­trags­verständ­nis wird dem Be­geh­ren des Be­triebs­rats je­doch nicht ge­recht. Die Be­tei­lig­ten strei­ten nicht über die Art und Wei­se der Aus­schrei­bung, son­dern al­lein über das Be­ste­hen ei­ner in­ner­be­trieb­li­chen Aus­schrei­bungs­pflicht. Der Be­triebs­rat stützt sei­nen An­spruch nicht auf die KBV Stel­len­aus­schrei­bung, son­dern al­lein auf sein in der An­trags­schrift lie­gen­des Aus­schrei­bungs­ver­lan­gen. Er hat in der Anhörung vor dem Se­nat zu­dem klar­ge­stellt, dass sich die­ses nur auf sol­che Ar­beitsplätze be­zieht, die nicht nur kurz­fris­tig, son­dern dau­er­haft mit Leih­ar­beit­neh­mern be­setzt wer­den sol­len. Die­sen Be­griff hat der Be­triebs­rat in der Anhörung da­hin­ge­hend präzi­siert, dass hier­von nur Ein­satz­zei­ten von zu­min­dest ei­nem Jahr um­fasst sind. Die Be­tei­lig­ten ha­ben da­zu übe­rein­stim­mend erklärt, dass sol­che Über­nah­men von Leih­ar­beit­neh­mern nicht nur theo­re­ti­scher Na­tur sind, son­dern in der be­trieb­li­chen Pra­xis auf­tre­ten.


2. Der so ver­stan­de­ne An­trag ist hin­rei­chend be­stimmt iSv. § 253 Abs. 2 11 Nr. 2 ZPO. Hierfür be­steht auch das nach § 256 Abs. 1 ZPO er­for­der­li­che Fest­stel­lungs­in­ter­es­se. Der Be­triebs­rat kann die zwi­schen den Be­tei­lig­ten um­strit­te­ne Fra­ge, ob die Ar­beit­ge­be­rin ver­pflich­tet ist, be­stimm­te Ar­beitsplätze


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in­ner­be­trieb­lich aus­zu­schrei­ben, los­gelöst vom kon­kre­ten Ein­zel­fall durch ei­nen abs­trak­ten Fest­stel­lungs­an­trag zur ge­richt­li­chen Ent­schei­dung stel­len.


II. Der Haupt­an­trag ist be­gründet. Der Be­triebs­rat kann ver­lan­gen, dass die Ar­beit­ge­be­rin sämt­li­che Ar­beitsplätze aus­schreibt, die sie mit Leih­ar­beit­neh­mern zu be­set­zen be­ab­sich­tigt, de­ren Ein­satz­zeit vor­aus­sicht­lich ein Jahr über­steigt. Der in der Be­schwer­de­instanz er­ho­be­ne Hilfs­an­trag des Be­triebs­rats fällt dem Se­nat nicht zur Ent­schei­dung an.

1. Nach § 93 Be­trVG kann der Be­triebs­rat ver­lan­gen, dass Ar­beitsplätze, die be­setzt wer­den sol­len, all­ge­mein oder für be­stimm­te Tätig­kei­ten vor ih­rer Be­set­zung in­ner­halb des Be­trie­bes aus­ge­schrie­ben wer­den. Die Vor­schrift gibt ei­ne Aus­schrei­bung von Ar­beitsplätzen nicht ge­ne­rell vor. Ei­ne Ver­pflich­tung hier­zu be­steht nur, wenn der Be­triebs­rat die Aus­schrei­bung ver­langt hat oder die Aus­schrei­bung zwi­schen den Be­triebs­par­tei­en ver­ein­bart ist (BAG 14. De­zem­ber 2004 - 1 ABR 54/03 - zu B II 3 b aa der Gründe, BA­GE 113, 102). Das Ge­setz enthält auch kei­ne aus­drück­li­chen Be­stim­mun­gen da­zu, wel­che An­for­de­run­gen an In­halt, Form und Frist ei­ner Aus­schrei­bung so­wie de­ren Be­kannt­ma­chung zu stel­len sind. Die kon­kre­te Aus­ge­stal­tung ob­liegt al­lein dem Ar­beit­ge­ber. Nähe­res kann al­ler­dings in ei­ner Be­triebs­ver­ein­ba­rung ge­re­gelt wer­den; ein er­zwing­ba­res Mit­be­stim­mungs­recht hat der Be­triebs­rat in­so­weit nicht. Die Min­dest­an­for­de­run­gen an In­halt und Form ei­ner Aus­schrei­bung er­ge­ben sich aus ih­rem Zweck. Die­ser geht da­hin, die zu be­set­zen­de Stel­le den in Be­tracht kom­men­den Ar­beit­neh­mern zur Kennt­nis zu brin­gen und ih­nen die Möglich­keit zu ge­ben, ihr In­ter­es­se an der Stel­le kund­zu­tun und sich dar­um zu be­wer­ben. Aus der Aus­schrei­bung muss da­her her­vor­ge­hen, um wel­chen Ar­beits­platz es sich han­delt und wel­che An­for­de­run­gen ein Be­wer­ber erfüllen muss. Außer­dem muss die Be­kannt­ma­chung so er­fol­gen, dass al­le als Be­wer­ber in Be­tracht kom­men­den Ar­beit­neh­mer die Möglich­keit ha­ben, von der Aus­schrei­bung Kennt­nis zu neh­men (BAG 16. Ok­to­ber 2010 - 7 ABR 18/09 - Rn. 17, NZA 2011, 360).
 


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2. Die Aus­schrei­bungs­pflicht nach § 93 Be­trVG be­steht auch für Ar­beitsplätze, die der Ar­beit­ge­ber dau­er­haft mit Leih­ar­beit­neh­mern zu be­set­zen be­ab­sich­tigt. Dies folgt aus ei­nem am Wort­laut, der Ge­set­zes­sys­te­ma­tik und dem Norm­zweck ori­en­tier­ten Verständ­nis der Vor­schrift.


a) Der Wort­laut von § 93 Be­trVG ist ein­deu­tig. Da­nach kann der Be­triebs­rat die in­ner­be­trieb­li­che Aus­schrei­bung von sämt­li­chen Ar­beitsplätzen ver­lan­gen, die der Ar­beit­ge­ber zu be­set­zen be­ab­sich­tigt. Da­mit stellt das Ge­setz auf die Stel­le ab, auf der ein Ar­beit­neh­mer tätig wer­den soll. Hierfür kommt es auf die Art und den In­halt des Rechts­verhält­nis­ses, das die­ser Beschäfti­gung zu­grun­de liegt, nicht an.


b) Fehl geht auch die An­nah­me der Ar­beit­ge­be­rin, § 93 Be­trVG sei ent­ge­gen sei­nem Wort­laut da­hin­ge­hend aus­zu­le­gen, dass ei­ne Aus­schrei­bungs­pflicht nicht für Ar­beitsplätze be­steht, die mit Leih­ar­beit­neh­mern be­setzt wer­den sol­len.

aa) Ei­nem sol­chen Norm­verständ­nis wi­der­spricht schon der sys­te­ma­ti­sche Zu­sam­men­hang zwi­schen § 93 Be­trVG und dem Be­tei­li­gungs­recht des Be­triebs­rats bei der Ein­stel­lung iSv. § 99 Abs. 1 Satz 1 Be­trVG. Bei­de Vor­schrif­ten knüpfen des­sen Hand­lungsmöglich­kei­ten an die Be­set­zung ei­nes „Ar­beits­plat­zes“. Nach § 99 Abs. 1 Satz 1, 2 Be­trVG hat der Ar­beit­ge­ber die Zu­stim­mung des Be­triebs­rats zu ei­ner Ein­stel­lung ein­zu­ho­len und da­bei ua. über den in Aus­sicht ge­nom­me­nen Ar­beits­platz zu un­ter­rich­ten. Der Be­triebs­rat kann die Zu­stim­mung zu der Ein­stel­lung ver­wei­gern, wenn die nach § 93 Be­trVG er­for­der­li­che Aus­schrei­bung des Ar­beits­plat­zes im Be­trieb un­ter­blie­ben ist (§ 99 Abs. 2 Nr. 5 Be­trVG). Ei­ne Ein­stel­lung iSv. § 99 Abs. 1 Satz 1 Be­trVG liegt vor, wenn Per­so­nen in den Be­trieb des Ar­beit­ge­bers ein­ge­glie­dert wer­den, um zu­sam­men mit den dort beschäftig­ten Ar­beit­neh­mern des­sen ar­beits­tech­ni­schen Zweck durch wei­sungs­ge­bun­de­ne Tätig­keit zu ver­wirk­li­chen. Auch in­so­weit ist das Rechts­verhält­nis, in dem die­se Per­so­nen zum Be­triebs­in­ha­ber
 


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ste­hen, be­deu­tungs­los. Zu den nach § 99 Abs. 1 Satz 1 Be­trVG zu­stim­mungs-pflich­ti­gen Ein­stel­lun­gen gehört da­her auch der Ein­satz von Leih­ar­beit­neh­mern im Ent­lei­her­be­trieb (BAG 23. Ja­nu­ar 2008 - 1 ABR 74/06 - Rn. 21 f., BA­GE 125, 306).

bb) Ge­gen die von der Ar­beit­ge­be­rin ver­tre­te­ne Sicht­wei­se spricht auch der Norm­zweck von § 93 Be­trVG.

Die Vor­schrift soll es dem Be­triebs­rat im In­ter­es­se der von ihm ver­tre­te­nen Be­leg­schaft ermögli­chen, durch die Be­kannt­ma­chung der frei­en Beschäfti­gungsmöglich­kei­ten den in­ner­be­trieb­li­chen Ar­beits­markt zu ak­ti­vie­ren. Die im Be­trieb beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer sol­len die Ge­le­gen­heit er­hal­ten, sich auf die zu be­set­zen­den Ar­beitsplätze zu be­wer­ben. Da­ne­ben soll ei­ner Verärge­rung der Be­leg­schaft über die Her­ein­nah­me Außen­ste­hen­der trotz im Be­trieb vor­han­de­ner Beschäfti­gungsmöglich­kei­ten ent­ge­gen­ge­wirkt wer­den (BAG 27. Ju­li 1993 - 1 ABR 7/93 - zu B II 1 c der Gründe, AP Be­trVG 1972 § 93 Nr. 3 = EzA Be­trVG 1972 § 99 Nr. 115).

c) Ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Ar­beit­ge­be­rin ist die Aus­schrei­bungs­pflicht nicht da­von abhängig, ob der Ar­beits­platz mit ei­nem Leih­ar­beit­neh­mer be­setzt wer­den soll. Die Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne te­leo­lo­gi­sche Re­duk­ti­on von § 93 Be­trVG lie­gen nicht vor.

aa) Dies folgt schon dar­aus, dass bei der Ein­stel­lung von be­triebs­frem­den Ar­beit­neh­mern das mit § 93 Be­trVG ne­ben der Ak­ti­vie­rung des in­ner­be­trieb­li­chen Ar­beits­mark­tes ver­folg­te Norm­ziel ei­ner erhöhten Trans­pa­renz von be­trieb­li­chen Vorgängen un­verändert be­ste­hen bleibt. Für die In­ter­es­sen der Be­leg­schaft ist es oh­ne Be­deu­tung, ob der Ar­beit­ge­ber mit dem ein­zu­stel­len­den Ar­beit­neh­mer durch ei­nen Ar­beits­ver­trag ver­bun­den ist oder die Be­set­zung des Ar­beits­plat­zes mit ei­nem Leih­ar­beit­neh­mer er­folgt.

bb) Da­ne­ben er­weist sich die Auf­fas­sung der Ar­beit­ge­be­rin, durch ih­re Ent­schei­dung, ei­nen Ar­beits­platz mit ei­nem Leih­ar­beit­neh­mer zu be­set­zen, sei
 


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der Ar­beits­platz dem in­ner­be­trieb­li­chen Stel­len­markt ent­zo­gen, als un­zu­tref­fend.

Die Ent­schei­dungs­frei­heit des Ar­beit­ge­bers bei der Be­set­zung von frei­en Ar­beitsplätzen ist ge­genüber be­stimm­ten be­son­ders geschütz­ten Ar­beit­neh­mer­grup­pen ein­ge­schränkt. So gewährt § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX den im Be­trieb beschäftig­ten schwer­be­hin­der­ten Ar­beit­neh­mern und den ih­nen Gleich­ge­stell­ten ge­genüber ih­ren Ar­beit­ge­bern An­spruch auf ei­ne Beschäfti­gung, bei der sie ih­re Fähig­kei­ten und Kennt­nis­se möglichst voll ver­wer­ten und wei­ter­ent­wi­ckeln können. Kann der schwer­be­hin­der­te Ar­beit­neh­mer die bis­her zu­ge­wie­se­nen Tätig­kei­ten we­gen sei­ner Be­hin­de­rung nicht mehr wahr­neh­men, kann die­ser un­ter den in § 81 Abs. 4 SGB IX ge­nann­ten Vor­aus­set­zun­gen ei­ne an­der­wei­ti­ge Beschäfti­gung und, so­weit der bis­he­ri­ge Ar­beits­ver­trag die­se Beschäfti­gungsmöglich­keit nicht ab­deckt, ei­ne ent­spre­chen­de Ver­tragsände­rung ver­lan­gen und durch­set­zen (BAG 14. März 2006 - 9 AZR 411/05 - Rn. 18, AP SGB IX § 81 Nr. 11 = EzA SGB IX § 81 Nr. 11). Dies kann zu ei­nem Vor­rang des durch § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX geschütz­ten Ar­beit­neh­mers bei der Be­set­zung des ei­nem Leih­ar­beit­neh­mer zu­ge­dach­ten Ar­beits­plat­zes führen. Eben­so kann der Ar­beit­ge­ber auf­grund der Rück­sicht­nah­me­pflicht (§ 241 Abs. 2 BGB) ge­hal­ten sein, Ar­beit­neh­mern, die aus in ih­rer Per­son lie­gen­den Gründen nicht mehr im Stan­de sind, die ih­nen nach § 106 Satz 1 Ge­wO zu­ge­wie­se­ne Ar­beits­leis­tung zu er­brin­gen, in­ner­halb des ar­beits­ver­trag­lich ver­ein­bar­ten Rah­mens ei­ne Tätig­keit zu über­tra­gen, zu de­ren Er­brin­gung sie noch in der La­ge sind (BAG 19. Mai 2010 - 5 AZR 162/09 - Rn. 27, NZA 2010, 1119). Da­her kann der Ar­beit­ge­ber auch in­so­weit ver­pflich­tet sein, ei­nen frei­en Ar­beits­platz mit ei­nem be­reits beschäftig­ten leis­tungs­ge­min­der­ten Ar­beit­neh­mer zu be­set­zen, wenn ihm die Neu­be­stim­mung der aus­zuüben­den Tätig­keit recht­lich möglich und zu­mut­bar ist. Da­ne­ben kann die Be­set­zungs­ent­schei­dung durch § 9 Tz­B­fG be­schränkt sein. Nach die­ser Vor­schrift hat der Ar­beit­ge­ber ei­nen teil­zeit­beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer, der ihm den Wunsch nach ei­ner Verlänge­rung sei­ner ver­trag­lich
 


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ver­ein­bar­ten Ar­beits­zeit an­ge­zeigt hat, bei der Be­set­zung ei­nes ent­spre­chen­den frei­en Ar­beits­plat­zes un­ter den in der Vor­schrift be­nann­ten Maßga­ben bei glei­cher Eig­nung be­vor­zugt zu berück­sich­ti­gen.


cc) Sch­ließlich ver­kennt die Ar­beit­ge­be­rin bei ih­rer auf ih­rem Letz­tent­schei­dungs­recht be­ru­hen­den Ar­gu­men­ta­ti­on, dass der Be­triebs­rat bei den als In­for­ma­ti­ons-, Anhörungs-, Be­ra­tungs- und Erörte­rungs­rech­ten aus­ge­stal­te­ten Be­tei­li­gungs­rech­ten re­gelmäßig kei­ne Möglich­keit hat, die Ent­schei­dung des Ar­beit­ge­bers zu ver­hin­dern. Das be­trifft et­wa das Anhörungs­recht beim Kündi­gungs­aus­spruch (§ 102 Abs. 1 Be­trVG) eben­so wie das Be­ra­tungs­recht im Zu­sam­men­hang mit ei­ner Be­triebsände­rung (§ 111 Satz 1 Be­trVG). Dies be­freit den Ar­beit­ge­ber aber nicht von der Ein­hal­tung des ge­setz­lich be­stimm­ten Ver­fah­rens. Des­sen Durchführung ist ein aus dem De­mo­kra­tie- und So­zi­al­staats­prin­zip fol­gen­des Recht der Ar­beit­neh­mer auf Teil­ha­be an den sie be­tref­fen­den An­ge­le­gen­hei­ten. Der Be­triebs­rat soll die Ge­le­gen­heit er­hal­ten, die kol­lek­ti­ven In­ter­es­sen der Be­leg­schaft ge­genüber dem Ar­beit­ge­ber gel­tend zu ma­chen. Die von ihm an­geführ­ten Ar­gu­men­te hat der Ar­beit­ge­ber in sei­ne Ent­schei­dungs­fin­dung ein­zu­be­zie­hen und bei die­ser ver­ant­wor­tungs­voll zu berück­sich­ti­gen, oh­ne dass ihm ein be­stimm­tes Er­geb­nis vor­ge­ge­ben wird.

3. Da­nach un­ter­liegt die an­ge­foch­te­ne Ent­schei­dung teil­wei­se der Auf­he­bung. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat zwar zu­tref­fend die Ver­pflich­tung der Ar­beit­ge­be­rin zur Aus­schrei­bung der Ar­beitsplätze be­jaht, die nach der Vor­stel­lung der Ar­beit­ge­be­rin dau­er­haft mit Leih­ar­beit­neh­mern be­setzt wer­den sol­len, hier­von aber zu Un­recht die Ar­beitsplätze aus­ge­nom­men, auf de­nen sie Ten­denzträger beschäftigt.


a) Dem vom Be­triebs­rat gel­tend ge­mach­ten An­spruch steht die KBV Stel­len­aus­schrei­bung nicht ent­ge­gen. Bei die­ser han­delt es sich um ei­ne frei­wil­li­ge Be­triebs­ver­ein­ba­rung (§ 88 Be­trVG), die nicht die Aus­schrei­bungs­pflicht, son­dern das ein­zu­hal­ten­de Aus­schrei­bungs­ver­fah­ren in den ver­bun­de­nen Kon­zern­ge­sell­schaf­ten re­gelt. Die Gel­tend­ma­chung ei­ner be­triebs-be­zo­ge­nen Aus­schrei­bungs­pflicht fällt nicht in die Zuständig­keit des
 


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Ge­samt- oder des Kon­zern­be­triebs­rats. Die­se be­steht nur für An­ge­le­gen­hei­ten, die ei­nen über den Be­trieb hin­aus­ge­hen­den Funk­ti­ons­be­reich be­tref­fen und von den Be­triebsräten oder den Ge­samt­be­triebsräten nicht ge­re­gelt wer­den können (§ 50 Abs. 1, § 58 Abs. 1 Be­trVG). Bei ei­nem auf § 93 Be­trVG gestütz­ten Aus­schrei­bungs­ver­lan­gen han­delt es sich aber nicht um ei­ne An­ge­le­gen­heit, die ei­ner wei­te­ren Re­ge­lung be­darf. Die Vor­schrift gewährt dem Be­triebs­rat ei­nen Rechts­an­spruch auf die Vor­nah­me der ver­lang­ten Stel­len­aus­schrei­bung, dem sich der Ar­beit­ge­ber nicht ent­zie­hen kann. Die­ser An­spruch ist al­lein von der Äußerung ei­nes ent­spre­chen­den Ver­lan­gens durch den Be­triebs­rat abhängig. Mit des­sen Zu­gang beim Ar­beit­ge­ber ist die An­ge­le­gen­heit ab­ge­schlos­sen. Die an­sch­ließen­de Aus­ge­stal­tung der Aus­schrei­bung kann der Be­triebs­rat nicht be­ein­flus­sen, da es in­so­weit an ei­nem Be­tei­li­gungs­recht fehlt. In­so­weit un­ter­schei­det sich die dem Be­triebs­rat in § 93 Be­trVG ein­geräum­te Be­fug­nis von den im Be­trVG ge­re­gel­ten Mit­wir­kungs- und Mit­be­stim­mungs­rech­ten, die die Durchführung ei­ner be­trieb­li­chen Maßnah­me zum Ge­gen­stand ha­ben und bei de­nen ei­ne Kon­fliktlösung durch die Ei­ni­gungs­stel­le oder das Ar­beits­ge­richt vor­ge­se­hen ist. Ob und ggf. un­ter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen der Ge­samt- oder der Kon­zern­be­triebs­rat ne­ben dem Be­triebs­rat ei­ne Aus­schrei­bung von Ar­beitsplätzen ver­lan­gen kann, muss vor­lie­gend nicht näher erörtert wer­den.


b) Ent­ge­gen der An­nah­me des Lan­des­ar­beits­ge­richts ist die Ar­beit­ge­be­rin auch ver­pflich­tet, die Ar­beitsplätze von Ten­denzträgern in­ner­be­trieb­lich aus­zu­schrei­ben. Wie der Se­nat wie­der­holt ent­schie­den hat, wird durch die Ver­pflich­tung zur in­ner­be­trieb­li­chen Stel­len­aus­schrei­bung nach § 93 Be­trVG bei Ten­denzträgern die Ten­denz­be­stim­mung und -ver­wirk­li­chung nicht ernst­haft be­ein­träch­tigt (6. De­zem­ber 1988 - 1 ABR 43/87 - zu B I 3 c bb der Gründe; 30. Ja­nu­ar 1979 - 1 ABR 78/76 - zu II 2 der Gründe, AP Be­trVG 1972 § 118 Nr. 11 = EzA Be­trVG 1972 § 118 Nr. 20). An die­ser Recht­spre­chung hält der Se­nat fest.
 


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c) Ob der Be­triebs­rat nach § 93 Be­trVG glei­cher­maßen die Aus­schrei­bung von Ar­beitsplätzen ver­lan­gen kann, die nur kurz­zei­tig mit Leih­ar­beit­neh­mern be­setzt wer­den sol­len oder auf de­nen es zu ei­nem vom Ver­lei­her ver­an­lass­ten Aus­tausch von Leih­ar­beit­neh­mern kommt, be­darf an­ge­sichts des in der Anhörung kon­kre­ti­sier­ten An­trags kei­ner Ent­schei­dung.

Schmidt 

Linck 

Koch

Kle­be 

Rath

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