HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 12/198

Ta­rif­ver­trag und Be­triebs­über­gang

Kein An­spruch aus Haus­ta­rif­ver­trag ge­gen den Be­triebs­er­wer­ber, wenn der Ta­rif­ver­trag erst nach Be­triebs­über­gang in Kraft tritt: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­tei­le vom 16.05.2012, 4 AZR 320/10 und 321/10
Zwei Firmenschilder, eines durchgestrichen Funk­tio­niert im­mer noch: Ta­rif­abbau durch Aus­töch­te­rung von Be­trie­ben

17.05.2012. Wird ein Be­trieb ver­äu­ßert, wird der Be­triebs­er­wer­ber Ar­beit­ge­ber al­ler im Be­trieb be­schäf­tig­ten Ar­beit­neh­mer, mit al­len Rech­ten und Pflich­ten. Al­ler­dings tritt der Er­wer­ber nicht als Ta­rif­par­tei in ei­nen be­ste­hen­den Haus­ta­rif­ver­trag ein. Da­her wer­den des­sen Re­ge­lun­gen ge­mäß § 613a Abs.1 Satz 2 Bür­ger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) "nur" Be­stand­teil der Ar­beits­ver­trä­ge der Ar­beit­neh­mer des Be­triebs wer­den und kön­nen da­her nach Ab­lauf ei­nes Jah­res ge­än­dert wer­den, so das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) mit Be­schluss vom 10.06.2009, 4 ABR 21/08 (wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 09/222 Haus­ta­rif­ver­trag nach Be­triebs­über­gang).

Aber auch dann, wenn ein be­ste­hen­der Fir­men­ta­rif­ver­trag nur zum Be­stand­teil des Ar­beits­ver­trags wird, kön­nen sei­ne Re­ge­lun­gen für ei­nen Be­triebs­er­wer­ber teu­er wer­den. Manch­mal tritt ei­ne sol­che Be­las­tung erst län­ge­re Zeit nach dem Be­triebs­über­gang zu­ta­ge, wenn näm­lich die im Haus­ta­rif­ver­trag des Be­triebs­ver­äu­ße­rers ent­hal­te­nen An­sprü­che erst ei­ni­ge Zeit nach dem Be­triebs­über­gang in Kraft tre­ten.

In ei­nem Ur­teil vom gest­ri­gen Mitt­woch hat­te das BAG zu ent­schei­den, ob der Be­triebs­er­wer­ber un­ter sol­chen Um­stän­den den Haus­ta­rif­ver­trag sei­nes Vor­gän­gers er­fül­len muss oder nicht: BAG, Ur­teil vom 16.05.2012, 4 AZR 320/10, BAG, Ur­teil vom 16.05.2012, 4 AZR 321/10.

Vor ei­nem Be­triebsüber­gang ver­ein­bar­ter Haus­ta­rif­ver­trag tritt erst da­nach in Kraft - mit Bin­dungs­wir­kung zu­las­ten des Er­wer­bers?

Die wich­tigs­ten Re­ge­lun­gen, die in Ta­rif­verträgen ent­hal­ten sind, be­tref­fen Gehälter und Ar­beit­zei­ten. Sol­che Re­ge­lun­gen sind wich­tig für Ar­beit­neh­mer und teu­er für Ar­beit­ge­ber. Da­her tre­ten ta­rif­ver­trag­li­che Loh­nerhöhun­gen oft nicht be­reits zum Zeit­punkt des Ta­rif­ab­schlus­ses in Kraft, son­dern stu­fen­wei­se ver­teilt über die nächs­ten Mo­na­te oder Jah­re.

Ein sol­cher Stu­fen­ta­rif­ver­trag ist be­reits mit sei­nem Ab­schluss in Kraft, d.h. er gilt als Ta­rif­ver­trag be­reits vor Er­rei­chen der späte­ren Stu­fen ei­ner ta­rif­li­chen Loh­nerhöhung. Wer ei­nen Be­trieb er­wirbt, des­sen bis­he­ri­ger Ar­beit­ge­ber ei­nen sol­chen ge­stuf­ten Haus­ta­rif­ver­trag ver­ein­bart hat, hat da­mit auch künf­ti­ge Loh­nerhöhun­gen mit­ge­kauft, die sich aus ei­nem sol­chen Ta­rif­ver­trag er­ge­ben.

Aber gilt das auch dann, wenn ein "nor­ma­ler" Ta­rif­ver­trag zwar vor ei­nem Be­triebsüber­gang schon fest ver­ein­bart ist, aber erst ei­ni­ge Jah­re später und da­mit nach dem Be­triebsüber­gang in Kraft tre­ten soll? Hier sind zwei Mei­nun­gen denk­bar:

Ei­ner­seits könn­te man sa­gen, dass hier kein wirk­li­cher Un­ter­schied zum Stu­fen­ta­rif­ver­trag be­steht. Dann würde der erst künf­tig in Kraft tre­ten­de Ta­rif­ver­trag be­reits beim Be­triebsüber­gang zu den "Rech­ten" der be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer gehören, d.h. sie hätten ei­ne Art An­wart­schaft auf die Leis­tun­gen aus dem später in Kraft tre­ten­den Ta­rif­ver­trag.

An­de­rer­seits könn­te man aber auch ar­gu­men­tie­ren, dass ein erst künf­tig in Kraft tre­ten­der Ta­rif­ver­trag nicht zu den ar­beits­ver­trag­li­chen Rech­ten gehört, die den vom Be­triebsüber­gang be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mern zu­ste­hen, weil der Be­triebs­er­wer­ber an ei­nen sol­chen Ta­rif nie ge­bun­den war: Als Ta­rif­par­tei nicht, denn den Ta­rif hat sein Vorgänger ab­ge­schlos­sen, und auch nicht als Be­triebs­er­wer­ber, weil der Ta­rif­ver­trag bei Über­gang des Be­triebs noch nicht in Gel­tung war.

BAG: Kein An­spruch aus Haus­ta­rif­ver­trag ge­gen den Be­triebs­er­wer­ber, wenn der Ta­rif­ver­trag erst nach Be­triebsüber­gang in Kraft tritt

In dem vom BAG ent­schie­de­nen Fall ging es um fi­nan­zi­el­le Leis­tung aus ei­nem Haus­ta­rif­ver­trag über ei­ne Zu­satz­zah­lung (TV Zu­satz­zah­lung). Der TV Zu­satz­zah­lung wur­de En­de 2004 zu­sam­men mit ei­nem so­fort in Kraft ge­tre­te­nen Sa­nie­rungs­ta­rif­ver­trag ver­ein­bart. Um die Bi­lanz des Ar­beit­ge­bers zu ent­las­ten, soll­te der TV Zu­satz­zah­lung erst drei Jah­re später, nämlich An­fang 2008 in Kraft tre­ten. In der Zwi­schen­zeit, zum 01.01.2006, wur­de der Be­trieb - ein Call­cen­ter - per Be­triebsüber­gang auf ei­nen neu­en Ar­beit­ge­ber über­tra­gen. Die­ser wei­ger­te sich, die Leis­tun­gen gemäß dem 2008 in Kraft ge­tre­te­ten TV Zu­satz­zah­lung an die Ar­beit­neh­mer zu zah­len.

Die Zah­lungs­kla­gen hat­ten vor dem Ar­beits­ge­richt Des­sau-Roßlau (Ur­tei­le vom 13.05.2009, 1 Ca 73/09 und 1 Ca 72/09) und in der Be­ru­fung vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Sach­sen-An­halt zunächst Er­folg (LAG Sach­sen-An­halt, Ur­teil vom 10.03.2010, 4 Sa 215/09 und Ur­teil vom 10.03.2010, 4 Sa 218/09). Beim BAG kam dann al­ler­dings die kal­te Du­sche für die Kläge­rin­nen: Das BAG hob die Vorgänger-Ent­schei­dun­gen auf. Zur Be­gründung heißt es in der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mel­dung des BAG:

Tritt ein Ta­rif­ver­trag erst nach sei­nem Ab­schluss in Kraft, be­ginnt die Ta­rif­gel­tung erst mit dem In­kraft­tre­ten, so das BAG. Vor­her gehört ein sol­cher Ta­rif­ver­trag nicht zu den ar­beits­ver­trag­li­chen Rech­ten und Pflich­ten, die gemäß § 613a Abs.1 BGB auf den Be­triebs­er­wer­ber über­ge­hen. Und auch dann, wenn in den Ar­beits­verträgen auf ei­nen sol­chen Ta­rif­ver­trag Be­zug ge­nom­men wird, ist der Er­wer­ber laut BAG nicht an ihn ge­bun­den, denn ei­ne ar­beits­ver­trag­li­che Be­zug­nah­me auf die „je­weils gülti­gen Ta­rif­verträge“ er­fasst nicht Haus­ta­rif­verträge ei­nes an­de­ren Un­ter­neh­mens.

Fa­zit: Ar­beit­neh­mer, de­ren Ar­beits­verhält­nis­se auf­grund ei­nes Be­triebsüber­gangs auf ei­nen neu­en Ar­beit­neh­mer über­ge­hen, können ge­gen den Er­wer­ber kei­ne Rech­te aus ei­nem Haus­ta­rif­ver­trag her­lei­ten, der zwar be­reits vor dem Be­triebsüber­gang ab­ge­schlos­sen war, aber erst da­nach in Kraft tritt. Mit die­ser Ent­schei­dung, die for­mal­ju­ris­tisch nach­voll­zieh­bar ist, be­tont das BAG den Un­ter­schied zwi­schen ei­nem be­reits wirk­sa­men Ta­rif­ver­trag, des­sen Stu­fen noch nicht al­le­samt in Gel­tung sind, und ei­nem Ta­rif­ver­trag, der als Gan­zes erst zu ei­nem späte­ren Zeit­punkt in Kraft tre­ten soll. 

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das BAG die Ent­schei­dungs­gründe für die be­spro­che­nen bei­den Ur­tei­le veröffent­licht. Die vollständig be­gründe­ten Ur­tei­le fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 18. April 2017

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Bewertung:

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de